Dionysos und das Dionysische in Nietzsches "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" im Vergleich mit Dionysos in der Mythologie


Seminar Paper, 2019

15 Pages, Grade: 2

Anonymous


Excerpt


Abstract

In der folgenden Arbeit befasse ich mich mit Nietzsches Ansicht des Dionysischen und damit auch mit seiner Ansicht des Gottes Dionysos in seinem 1872 erschienen Werk „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ und dem Gott Dionysos oder auch Bacchus aus der Mythologie. Dazu ziehe ich sowohl die von dem Gott überlieferten Schriften als auch Gedichte von antiken Autoren wie Ovid hinzu, außerdem Darstellungen des Gottes aus archäologischen Funden.

Dionysos und das Dionysische in Nietzsches „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ im Vergleich mit Dionysos in der griechischen Mythologie

1 Einleitung

Friedrich Nietzsche veröffentlichte 1872 sein Werk „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. In diesem Werk ging er zum ersten Mal einen Schritt in Richtung der Philosophie und trat mit einem Fuß aus der Philologie heraus, die er zum damaligen Zeitpunkt noch unterrichtete1. In besagtem Werk setzte sich Nietzsche ganz besonders mit Apollo (dem Gott der Weisheit, des Gesangs und der Dichtkunst2 ) und Dionysos (dem Gott des Weins, der Fruchtbarkeit und der Ekstase3 ) auseinander. In der folgenden Arbeit werde ich mich hauptsächlich auf Dionysos und Nietzsches Sicht und Auslegung dieser Gottheit fokussieren. Nicht zuletzt wegen der Häufigkeit und des beinahe schon exzessiven Gebrauchs in diesem Werk mit dem er von der Gesellschaft bis zur Musik und sich selbst alles zu beschreiben vermag. Wie genau dies zu Dionysos in der griechischen Mythologie und den Erzählungen über ihn wie zum Beispiel in Ovids Metamorphosen passt, soll durch die Gegenüberstellung und den schlussendlichen Vergleich aufgeklärt werden.

2 Nietzsches Dionysos

In der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ stammt Nietzsches erster Definitionsversuch des Dionysischen. Er hat den Namen des Gottes für ein neues kulturelles Ideal zwar nicht erfunden, aber seine Version davon in dem Sinn, den sie noch heute in der Philosophie innehat, erfand er sehr wohl.4

Apollon und Dionysos sind schon lange vor Nietzsche als Gegensatz beschrieben worden. Es kommt zu einer Angleichung Apollons an Dionysos; Dionysos muss zugleich auch Apollon sein.5 Von Anfang an macht sich die Tendenz bemerkbar, Dionysos auszugrenzen und als nicht in vollem Sinn griechisch zu definieren.6 Nietzsches Dionysos entsteht und lebt durch die von Nietzsche aufgestellte Duplizität zwischen ihm und seinem mythologischen Halbbruder Apollon. Dies fasst er mit den Begriffen des „Apolonischen“ und des „Dionysischen“ zusammen, die zwar Gegensätze bilden und sich doch ergänzen. Traum und Rausch werden von ihm in ein Gespann verflochten, das unter dem Schatten der Göttlichkeit seinen Sinn in der Musik findet7 und obwohl Apollo der eigentliche Gott des Gesangs und der Dichtkunst8 ist, wird dies von Nietzsche immer mehr in den Schatten des ewigen Rausches des Dionysos gestellt. So ist der Zustand des Dionysischen einer der wonnevollen Verzückung wenn wir das Grausen unseres Lebens hinnehmen und in Selbstvergessenheit schwelgen9. So sahen die apollonischen Griechen die Wirkung, die das Dionysische erregte sowohl als barbarisch an, als auch titanenhaft. Doch jene barbarische und titanenhafte Wildheit war genauso wichtig, wie das Apollinische. Apollon konnte nicht ohne Dionysos leben10, ob Dionysos jedoch ohne Apollo leben kann/könnte lässt Nietzsche dabei völlig offen, womit eine deutliche Tendenz für den Gott des Weines offenbart wird.

Außerdem fällt bald eine Verherrlichung des Dionysischen offen auf. Für ihn ist es im Unterschied zum Sokratismus den er als Sklavenmoral hinstellt eine Erlöserfigur, die den Glorienschein des Heroismus und der Größe bewahrt.11 So soll sich nur unter dem „Zauber des Dionysischen“ der Bund zwischen Menschen wieder zusammenschließen. Alles was jemals unglücklich war oder unterjocht wurde feiert Versöhnungsfest. Selbst der Sklave ist nun ein freier Mann.12 Das man hier von einer Verherrlichung und einem Euphemismus der höchsten Instanz, ja vielleicht sogar Zeus selbst sprechen muss, kann nicht abgestritten werden. Nietzsche zeichnet ein Bild eines Gottes, der alles zum Besseren wendet. Biblisch gesprochen macht Nietzsche Dionysos zum Hüter des gelobten Landes. Dabei betont er immer auch den revolutionären Zug des Gottes.

Er erwartet die Erfüllung seiner Hoffnung auf Erneuerung der Tragödie erst für den Zeitpunkt, an dem das sokratische Zeitalter der Rationalität und des kalten Verstandes durch eine revolutionäre Denkungsart umgestürzt und an dessen Stelle die tragisch-dionysische Einsicht in die Hinfälligkeit und Sterblichkeit allen Daseins gesetzt wird.13

Im Gegensatz dazu ist und bleibt das Dionysische unsterblich. Die Thematik der Zeitlosigkeit und offenbaren Unsterblichkeit des Gottes und der von Nietzsche gesponnenen These seiner Person betreffend wird durch den Begriff des dionysischen vergegenwärtigt. Es zieht sich von der Zeit der Götter und der damit einhergehenden Antike bis ins Mittelalter in dem die „bacchischen Chöre“ sich zu den Volkstänzern wandelten die von Ort zur Ort singend und tanzend ihren Weg gehen. In sich selbst das glühende Leben tragend, dass ihnen unter dem Zauber des Dionysischen gewährt wird. Dionysos hat für Nietzsche etwas Freies-unbeugsames und fröhlich-ausgelassenes. Dies wird durch die Erwähnung von zerspringenden Ketten noch Zusehens verstärkt. Es handelt sich also wenig um eine kritische Distanz, sondern Nietzsche geht mit Engagement und Leidenschaft an das Thema des Dionysischen und bietet dem Gott in seinen Zeilen genau das wofür er unter andere steht und das ist Ekstase. Dies ist wohl mit unter einer der Gründe, warum Nietzsche das Apolonischen und damit das Vernünftige völlig ablegt und sich in seinen weiteren Werken ausschließlich auf das Dionysische beschränkt14. Die dionysischen Mächte erheben sich ungestüm und hinterlassen eine üppige Schönheitswirkung

Auch der „Schein“ spielt in Verbindung mit dem Dionysischen eine große Rolle. Sie begegnen sich anfangs durch die Formulierung des apollinischen Scheins und der apollinischen Maske. Der Schein des Apollinischen und des Dionysischen waren zwar immer ästhetische Ausdrucksformen aber sie repräsentierten auch die Struktur eines Verhältnisses des „Scheins“ zu dem, worauf er sich bezieht. Der „Schein“ wurde im Dionysischen ein Gegenbegriff der traditionellen Wahrheitsvorstellung.15 Dadurch konstruierte Nietzsche dem Dionysischen eine weitere Facette hinzu und dies ist die Unwahrheit. So wird der Schein des Gottes ein unter das Licht der Lüge gestellt. Dies ist vor allem dann interessant, wenn man Nietzsches Betrachtung des Dionysos als Richter heranzieht. Denn schließlich ist es einem Richter nicht erlaubt zu lügen. Er versucht dennoch Dionysos als Richter und nicht zuletzt als richtenden Maßstab anzusetzen. Darin erkennt man eine gewisse Selbstidentifikation mit der griechischen Gottheit. So schreibt er doch selbst in seinem Werk „Menschliches Allzumenschliches“ dass jeder Philosoph auch ein Richter sei und auch dort setzt er sich auch mit etwas göttlichem gleich – nämlich Jesus Christus.16 Der Vergleich von Nietzsche und dem Göttlichen wird also mit Dionysos geschaffen. Dem Gott mit dem er sich identifizieren kann. Jener sei der beste Vertreter und die größte Errungenschaft des modernen Geisteslebens. Seine Ausführungen gipfeln schlussendlich in ekstatischer Aufführung über das lustvolle Auslöschen des Individuums und dem Ja-Sagen zum Leben, auch wenn es furchtbar und schrecklich ist. All dies wurde in kurzen apodiktischen Formulierungen aufs Papier gebracht.17

Weiters beschreibt Nietzsche das Dionysische als „Gegenlehre und Gegenwertung des Lebens“ und beschreibt sie als das antichristliche – mehr noch, er gibt das Dionysische als den Antichristen an. Er richtet sich dabei vollkommen gegen die Moral und stellt somit auch das Dionysische als eine unmoralische Lebensweise dar.18 Als drittes Grundelement verlangen die „Gegenlehre und Gegenwertung“ noch die Selbstüberwindung. Diese wird benötigt um in die gesunde Moral bejahen zu können, die von einem Instinkt des Lebens beherrscht wird.19 Interessant ist hier, dass das Dionysische bei Nietzsche als allegorische Mythologisierung des „Willens“ fungiert.20 Wille und Moral sind eng miteinander Verbunden und so wird das Dionysische zum Willen der unmoralischen Lebensweise verwoben. Nietzsche macht aus Dionysos also einen Gott, der so lebt wie es ihm gefällt und so trägt jeder Held die Maske des ursprünglichen Helden Dionysos. Der Gott, der der von anderen berühmten griechischen Figuren durch Maskierung nachgeahmt wird. Denn der Wahre Dionysos erscheint laut Nietzsche

„[…] in der Maske eines kämpfenden Helden und gleichsam in das Netz des Einzelwillens verstrickt.“21

Nun sei dahingestellt, dass die Helden der griechischen Antike meist durch Blutvergießen ihre Stellung als Helden erhielten (z.B. Perseus durch das Abtrennen des Kopfes der Medusa). Das Dionysische bejaht somit nicht nur mehr das Leben und seine Schrecken sondern in indirekter Weise auch den Schrecken und die Gewalt an sich.22 So versinkt Nietzsches Dionysos immer mehr in Wiedersprüchen, die sich doch ergänzen, wie auch die Wiedersprüche des Apollo und seinesgleichen sich ergänzen.

Vor allem das Leiden des Gottes Dionysos wird in den Vordergrund gestellt. Das Leiden des Helden bildet schließlich den Inhalt einer griechischen Tragödie und so betont auch Nietzsche immer wieder die Leiden seines Helden oder besser gesagt dem Helden aller Helden. So schreibt er, dass die griechische Tragödie am Anfang grundsätzlich nur die Leiden des Dionysos behandelt hat. Dadurch stellte er den einzigen dieser Helden dar. Er war der erste und einzige Bühnenheld. Alle anderen Helden stellten nur Kopien seiner unsagbaren Heldenhaftigkeit dar. Somit zeichnet Nietzsche uns das Bild des leidenden Helden Dionysos und stellt so das Leiden an sich in einen heldenhaften Vordergrund.23 Die Verklärung und Vergöttlichung des Leidens ist die Kunst des Dionysischen. Die Kunst und das Fest, für die es steht sollen die Erschöpften und Kranken von ihrem Leidensweg abbringen und ihnen in einem lustvollen Augenblick einen kleinen Rausch und ein bisschen Wahnsinn schenken.24 Der Rausch als Reflexionsverlust angesehen bildet so also die Bedingung für das Tragisch-Erhabene. So bildet das Dionysische sowohl das Leiden als auch die von Nietzsche angedachte Lösung.

[...]


1 Figal, Günter. (1991): Nietzsche: Eine philosophische Einführung. Stuttgart: Reclam, S. 22.

2 Schwab, Gustav. (20151): Die schönsten Sagen des klassischen Altertums. Bindlach: Loewe Verlag, S. 20.

3 Fink, Gerhard. (201721): Who’s who in der antiken Mythologie. München: dtv Verlag, S. 92.

4 Bohrer, Karl Heinz (2015): Das Erscheinen des Dionysos. Berlin: Suhrkamp, S. 137.

5 Hamdorf, Friedrich Wilhelm (1986): Dionysos – Bacchus: Kult und Wandlungen des Weingottes. München: Callwey, S. 47.

6 Apollon und Dionysos (2001): Neue Züricher Zeitung. https://www.nzz.ch/article7I55Z-1.486767 (Zugriff: 20.08.2019).

7 Nietzsche, Friedrich (1983): Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. München: Goldmann Verlag, S. 23.

8 Schwab (2015), S. 20

9 Nietzsche (1983), S. 27

10 Nietzsche (1983), S. 38f.

11 Seilliére, Ernest (1906): Apollo oder Dionysos? Kritische Studie über Friedrich Nietzsche. Berlin: Verlag von H. Barsdorf, S. 52.

12 Nietzsche (1983), S. 27

13 Günther, Timo (2009): Moderne literarische Transformationen des Dionysos. In: Dionysos. Verwandlung und Ekstase. Regensburg: Schnell & Steiner, S. 143.

14 Baeumer, Max L. (2006): Dionysos und das Dionysische in der antiken und deutschen Literatur. Darmstadt: WBG, S. 338.

15 Bohrer (2015), S. 179

16 Nietzsche, Friedrich (1954): Werke in drei Bänden. München: Carl Hanser, Band 1, S. 757

17 Baeumer (2006), S. 348

18 Nietzsche (1983), S. 13

19 Skowron, Michael: Nietzsches dionysische Gegenlehre und Gegenwertung. In: Nietzscheforschung (2015) Band 22, H. 1, S. 213–226.

20 Schmidt, Jochen (2012): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie". Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken 1. Berlin: Walter de Gruyter, S. 87.

21 Nietzsche (1983), S. 70f.

22 Georg, Jutta(2012): Ein tanzender Gott. Das Dionysische als Metapher des Unbewussten bei Nietzsche. In: Nietzsches Philosophie des Unbewussten. Berlin: Walter de Gruyter, S. 109.

23 Nietzsche (1983), S. 70

24 Georg (2012), S. 113

Excerpt out of 15 pages

Details

Title
Dionysos und das Dionysische in Nietzsches "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" im Vergleich mit Dionysos in der Mythologie
College
University of Salzburg
Grade
2
Year
2019
Pages
15
Catalog Number
V516731
ISBN (eBook)
9783346108197
ISBN (Book)
9783346108203
Language
German
Keywords
Dionysos, Nietzsche, Dionysisch, Die Geburt der Tragödie
Quote paper
Anonymous, 2019, Dionysos und das Dionysische in Nietzsches "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" im Vergleich mit Dionysos in der Mythologie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/516731

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