Tschechische Migranten in München - Die kleinen Unterschiede des Alltags in den Untersuchungskategorien Nahrung, Arbeit, Freizeit und Wohnung


Thesis (M.A.), 2005

135 Pages, Grade: 2,5


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellungen
1.2 Begriffserklärung

2 Forschungsstand

3 Verwendete Methoden zur Datenerhebung
3.1 Interview
3.2 Weitere Forschungseinflüsse
3.2.1 Beeinflussung der Interviewsituation durch den Forscher
3.2.2 Beeinflussung der Interviewsituation durch die Befragten
3.2.3 Herkunft des Lebenspartners
3.2.4 Alltag und Erinnerung
3.2.5 Transkription
3.2.6 Individuum und kulturelle Tendenzen
3.2.7 Beharrungsform
3.3 Zugang zum Feld
3.4 Auswahl der Befragten

4 Untersuchungsgruppe
4.1 Allgemeine Einführung zu der Interviewgruppe
4.2 Bildung der Befragten
4.3 Einflüsse auf die Befragten aus dem Ausland
4.4 Untersuchungsgruppe: eher bleibeorientiert
4.5 Homogenität der Gruppe
4.6 Staatsangehörigkeit

5 Vorstellung der Interviewpartner
5.1 Pavel N.
5.2 Josef R.
5.3 Marek P.
5.4 Hana S.
5.5 Radka V.
5.6 Jaroslava M.
5.7 Martin T.
5.8 Stanislav Z.
5.9 Karel D.
5.10 Erika T.
5.11 Lenka Z.
5.12 Anna F.

6 Allgemeine Einleitung zu den Untersuchungskategorien
6.1 Wichtigkeit der Sprache in der Fremde

7 Untersuchungskategorie A : Nahrung
7.1 Versorgung mit Nahrungsmitteln in Deutschland
7.1.1 Finanzielle Gründe
7.1.2 Örtliche Gründe
7.1.3 Zeitliche und gesellschaftliche Gründe
7.1.4 Gewohnheit/Tradition und Regionales
7.2 Schwierigkeiten, Unterschiede, Konflikte und Lösungsstrategien
7.2.1 Mehl - ein „großes Problem“ der Tschechen in Deutschland/München
7.2.2 Andere Nahrungsmittel und Komplikationen
7.3 Back- und Kochrezepte
7.3.1 Verwendung der Rezepte
7.3.2 Regionale Rezepte
7.3.3 Bewahren oder Wandel
7.4 Gäste
7.4.1 Einladungen bei der Endo-Küche
7.4.2 Einladungen bei der Exo-Küche

8 Untersuchungskategorie B: Arbeit
8.1 Verhältnis von Ausbildung und Arbeit
8.2 Arbeitskollegen/Kommilitonen
8.2.1 Kontakte/Freundschaften
8.2.2 Konflikte und Probleme vs. Harmonie
8.3 Ausländerbenachteiligung und deren Empfindung
8.3.1 Osteuropa - Ausländer

9 Untersuchungskategorie C: Freizeit
9.1 Klärung des Begriffs Freizeit
9.2 Sportliche Aktivitäten
9.2.1 Kontakte und Orte der Sportaktivitäten
9.3 Nichtsportliche Freizeitaktivitäten
9.4 Freizeitunterschiede zwischen Tschechien und Deutschland
9.4.1 Kontakte in der Freizeit
9.4.2 Konflikte bei der Freizeitgestaltung

10 Untersuchungskategorie D: Wohnung
10.1 Wohnraumvorstellungen
10.2 Nostalgie – Gegenstände in den Wohnungen/Zimmern
10.3 Verhältnis zu Nachbarn

11 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

12 Verzeichnisse/Quellenangaben
12.1 Literaturverzeichnis
12.2 Internetquellen
12.3 Tabellenverzeichnis
12.4 Anhang

1 Einleitung

Aufgrund meiner Herkunft und meinem eigenen persönlichen Interesse hat sich mir das Thema für meine Magisterarbeit förmlich angeboten. Durch Gespräche mit Mitstudenten, Freunden und Bekannten hat sich ein interessantes Feld geöffnet, in dem ich meine theoretischen Kenntnisse einmal in der praktischen Ausführung anwenden konnte. All diese Faktoren sowie die positive Resonanz meines Professors beeinflussten mich, das Thema „Tschechische Migranten in München“ vertieft zu betrachten.

Da ich schon einige Erfahrungen und Informationen durch meine anderen Seminararbeiten gesammelt habe (vorerst in einer empirischen Untersuchung der Tschechen in Wien und später mit interkulturellem Vergleich der Deutschen und Tschechen in München), habe ich mich entschieden, den Alltag der Tschechen in München genauer zu untersuchen. In den vergangenen acht Jahren, die ich in München und näherer Umgebung verbrachte, habe ich öfter einige Probleme selbst erlebt, die sich rückwirkend mit heutigem Wissensstand betrachtet, als kulturbedingte Probleme und Missverständnisse herausstellten. Mittlerweile bin ich mit einem Deutschen verheiratet und habe dadurch einige Konflikte und ihre Lösungsansätze von beiden Seiten betrachten können. Ich werde mich dennoch nur peripher auf meine eigenen Erfahrungen beziehen und mich eher auf die später im empirischen Teil dargestellte qualitative Methode konzentrieren.

Gleich zu Beginn dieser Arbeit sollen die Fragestellungen (1.1) und die wichtigsten angewendeten Begriffe definiert werden. Die Begriffserklärung ist ein wichtiger aber oft vernachlässigter Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Arbeit. Bei diesem Kapitel werden nur Begriffe erklärt, die sich auf die ganze Arbeit beziehen. Spezielle Begriffe, die sich nur in der jeweiligen Untersuchungskategorie A, B, C oder D finden lassen, werden in dem jeweiligen Kapitel erläutert.

Der Forschungsstand (2) bezieht sich vor allem auf die volkskundlichen Forschungen. Es wird der Forschungsstand sowohl der allgemeinen Migration als auch der tschechischen Migration betrachtet. Im darauf folgenden Teil (3) wird auf die Methoden und die Forschungseinflüsse eingegangen. Das Kapitel (4) geht auf die Untersuchungsgruppen ein. Anschließend (5) werden die einzelnen Interviewpartner vorgestellt. Auf die allgemeine Einleitung zu den Untersuchungskategorien (6) folgen die Untersuchungsbereiche A: Nahrung (7), B: Arbeit (8), C: Freizeit (9) und D: Wohnung (10). Abschließend wird in der Zusammenfassung und Schlussbetrachtung (11) ein Fazit der Untersuchung gezogen.

Die Struktur des Fragebogens (im Anhang aufgeführt) geht gleichmäßiger auf die Untersuchungskategorien ein. Da sich aber während meiner Forschung herausstellte, dass einige Felder mehr Material als andere ergeben, wurde die Struktur meiner Magisterarbeit und Reihenfolge der Themen entsprechend angepasst.

1.1 Fragestellungen

Es wird untersucht, welche Unterschiede man zwischen dem Alltag der Flüchtlinge der Jahre 1968/69 und dem der Migranten[1] nach 1995 beobachten kann.

Wie wird auf die kleinen Unterschiede der Nachbarländer eingegangen, die durch die kulturellen Werte und Normen der Probanden hervorgerufen wurden?

Mit welchen Differenzen, Unstimmigkeiten oder sogar Schwierigkeiten und Konflikten werden tschechische Migranten in München konfrontiert?

Wie wirken sich die kulturellen Muster auf die Lösungsmöglichkeiten aus?

Bei welcher Gruppe der Migranten spielt die Nostalgie eine größere Rolle?

Als sekundärer Gesichtspunkt wird auf die geschlechtsspezifischen Strategien eingegangen.

- Es lässt sich vermuten, dass die älteren Migranten andere Strategien für Alltagspraktiken als die jüngeren entwickelt haben.
- Die Situation war für die Emigranten in dem Sinne leichter, dass sie von der deutschen Bevölkerung akzeptiert worden sind. Es gab ihnen gegenüber keine so starke Fremdenfeindlichkeit und sie wurden eher unterstützt.
- Die Migranten, die nach der Wende gekommen sind, kamen freiwillig nach München. Bei dieser Personengruppe ist es genau umgekehrt. Sie können frei reisen, aber sie bekommen weniger Unterstützung, weil es in Deutschland zur Zeit genug „solche“ Ausländer gibt. Der „Kommunistenbonus“ ist bei dieser Gruppe nicht mehr vorhanden.
- Ältere Migranten neigen mehr zur Nostalgie als jüngere.
- Männer erzählen mehr über die Arbeit und evtl. die Freizeit, Frauen eher über die Nahrung.
- Die Sprachschwierigkeiten beeinflussen sehr stark den Alltag. Die Kenntnisse der deutschen Sprache erleichtern das alltägliche Leben der Migranten.

1.2 Begriffserklärung

Fremd: „Der Fremde gehört weder hier noch dort ganz hin. Sobald er vom Bekannten ins Unbekannte gewechselt ist, gerät er in einen Zwischenbereich; er ist nirgends zu Hause. Physisch und (zum Teil) auch psychisch lebt er in der fremden Kultur, bleibt aber doch seiner eigenen Kultur verhaftet, jener Kultur also, die er in der Enkulturation verinnerlicht hat und die er überallhin ‚mitnimmt’.“ (Simmel 1983: 261)

„Fremdsein beruht auf Wechselseitigkeit. Der Fremde in der Fremde erlebt die Menschen der Gastkultur als fremd, zugleich aber ist er selber für die Einheimischen ebenfalls ein Fremder, der zudem als ‚Eindringling’ erlebt wird und somit eine potenzielle Gefahr darstellt. Potenziellen Gefahren begegnet man oft – in meist sehr urtümlichen Reaktionen – mit Misstrauen und Ablehnung.“ (Maletzke 1996: 30)

Migration: ist ein Wechsel in eine andere Gesellschaft von einzelnen oder mehreren Menschen, die entweder dauerhaft oder mit Wunsch auf dauerhafte Bleibe orientiert sind. (vgl. Treibel 1999: 21)

Migrant/In: Migration durchführendes Individuum/Paar.

Unterbegriffe der Migration:

Binnenmigration – Land-Land Migration/Land-Stadt Migration

Remigration – Rückwanderung

Emigration – Auswanderung – freiwillig oder erzwungen aus religiösen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen

Immigration – Einwanderung, die aus Sicht des aufnehmendes Landes erfolgt.

Bikulturelle Ehe – Sie bezieht sich auf zwei Personen oder ein Paar mit Partnern aus zwei verschiedenen Nationen. In diesem Fall werden Beziehungen zwischen z.B. Bayern und Sachsen nicht als bikulturell angesehen.

Akkulturation – ein Prozess der Anpassung an neue kulturelle Lebensbedingungen, bei der es wechselseitige Auseinandersetzungen zwischen Individuum/Gesellschaft und Kultur gibt. (vgl. Boll 1993: 285 f.)

Enkulturation – „ein einseitiger Anpassungsvorgang des Individuums an das vorgefundene kulturelle Erbe." (Grosch 1998: 33)

Nostalgie„von unbestimmter Sehnsucht erfüllte Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu früheren, in der Erinnerung sich verklärenden Zeiten, Erlebnissen, Erscheinungen in Kunst, Musik, Mode u.a. äußert.“ (Duden. Das Fremdwörterbuch: 681 f.)

2 Forschungsstand

Als eine grundlegende Studie der Arbeit wurden Phasen der kulturellen Integration von Ulrich Tolksdorf ausgewählt (vgl. Tolksdorf 1990: 106-127). Tolksdorf hat sich vor allem mit Flüchtlingen und Aussiedlern aus der ehemaligen DDR beschäftigt. Er hat die Phasen in ein sechsstufiges Modell eingeteilt. Im folgenden Text werden diese sechs Stufen vorgestellt. Um dieses Modell auch auf die heutigen Migranten anwenden zu können, bedarf es einiger Anpassungen an die heutigen Gegebenheiten.

In der ersten Phase, dem Kulturschock (1), werden die kulturellen Unterschiede wie z.B. Nahrung, Wohnung, Arbeit, Kleidung und Einkaufsverhalten als „fremd“ und damit schockierend oder unangenehm empfunden. Die Diskrepanzen im Alltagsleben und der materiellen Kultur wirken dabei ebenso stark auf die Migranten.

In dem darauf folgenden Abschnitt, dem Kulturkontakt (2), variieren die Erfahrungen je nachdem wo, z.B. in ländlicher oder städtischer Umgebung, die Migranten untergebracht wurden. Ein weiterer Faktor ist der Unterschied zwischen der Unterbringung in Massenunterkünften oder bei Privatleuten. Trotz der stärkeren Wahrnehmung der Gastkultur (Lebensweise und kulturelle Unterschiede) kann man noch nicht von einer breiten Integration sprechen.

Die unmittelbar anknüpfende Phase, die sich direkt aus dem Kulturkontakt ableitet, ist die Phase des Kulturkonflikts (3). In dieser Phase geht es um die Entscheidung zwischen kultureller Integration und Separation. Diese beiden Begriffe sind jedoch nicht als Widerspruch zu verstehen, sondern als einen Dualismus. Dabei setzen sie sich sowohl mit der einheimischen als auch mit der eigenen Kultur auseinander. Dies betrifft meist nur den öffentlichen Bereich, der private wird als eine Art “kleine Heimat“ beibehalten.

Die Phase der sekundären Minderheitenbildung (4) wirkt sich vor allem im kulturellen Bereich aus, mit dem sich die Volkskunde beschäftigt. Einerseits prägt sich die Integration stärker aus, andererseits kann man viele stagnierende und hemmende Kulturelemente feststellen. Eine der sehr wichtigen Beobachtungen muss in dieser Phase erwähnt werden. Es handelt sich um das Heimatbild, welches die Flüchtlinge in ihren Köpfen beibehalten haben und das sie erst nach dem Besuch der Heimat wieder korrigieren können. Viele Leute wurden jahrelang gar nicht informiert, was in Tschechien passiert ist, was sich verändert hat und welche neuen Entwicklungen zu der aktuellen „Normalität“ gehören. Sie haben nur die alte Erinnerung an die Heimat und die ist für sie jene, die zählt. Dadurch haben oft auch die Kinder ein falsches Bild von Tschechien bekommen. Erst, wenn sie selbst die Reise unternehmen, stellen sie fest, dass es ziemlich anders ist, als von den Erzählungen der Eltern oder sogar der Großeltern zu erwarten gewesen wäre.

In der Phase der Akkulturation (5) sind die Elemente der unterschiedlichen Kulturen soweit miteinander verschmolzen, dass eine Verhaltenssicherheit erreicht wird, die der Umwelt entsprechend angepasst wurde.[2]

Bei der punktuellen Bewahrung (6) werden einzelne Bereiche wie z.B. Speisen aus der Heimat, bestimmte Raumanordnungen und einzelne Verhaltensweisen beibehalten, ohne sie im gesamten aus der Heimatkultur zu übernehmen.

Im Grunde ist das Modell von Tolksdorf auch auf die Migranten ab dem Jahr 1995 mit einigen Veränderungen anwendbar, obwohl es ursprünglich vor allem für Flüchtlinge gedacht war. Der Hauptunterschied befindet sich in der ersten Phase. Die Migranten haben eine meist positive Erwartungshaltung, bei der vor allem die neuen, interessanten und anregenden Eindrücke im Vordergrund stehen. Diese Phase hält bis zu drei Monate an und ist durch eine meist optimistische bis euphorische Einstellung geprägt. Aufgrund der individuellen Wohnungswahl und keiner Unterbringung in Massen- oder Sammelunterkünften sowie stärkerer persönlicher Freiheit, erfolgt der erste Kulturkontakt (1) in einer „besseren Position“. Die folgenden Eindrücke und Erfahrungen führen aber zum Kulturschock (2), der in seinen Auswirkungen ähnlich wie bei den Emigranten zu beobachten ist. Der Kulturkonflikt (3), der sich daran anschließt, ist identisch mit dem Tolksdorfschen Modell. Die Phase vier, die Phase der sekundären Minderheitenbildung ist bei den jüngeren Migranten wesentlich weniger zu beobachten, da sie frei reisen können und der Verzug der Realität und der Erinnerung keinen so starken Unterschied darstellt. Es bleibt nur ein zeitlich geringfügig verzerrtes Bild über das Heimatland im Kopf vorhanden. Alle weiteren Phasen des Tolksdorfschen Modells lassen sich auf die jungen Migranten, unter ständiger kritischer Betrachtung[3], anwenden.

Libuše Volbrachtová (1988: 209-218) bezieht sich in ihrer Arbeit auf die psychiatrische Literatur und ihre eigene Feldforschung. Sie beschäftigte sich mit Emigranten bis ins Jahr 1988. Es ist dabei wichtig, auf die Betrachtung der kleinen Unterschiede der Nachbarländer[4] einzugehen.

„Die räumliche Nähe weckt die Vorstellung einer weitgehenden Ähnlichkeit in der Kultur, im Alltagsleben, in der sogenannten Lebensweise und in der Mobilität. Die Nachbarschaft und die gemeinsam erlebte mitteleuropäische Geschichte müsste doch etwas geschaffen haben, was für beide Völker gleich ist.[...] Bei Nachbarländern beginnt der Kulturschock harmlos; es scheint keine großen Unterschiede zu geben, und die kleinen sind nicht so bedeutend.“ (Volbrachtová 1988: 211)

Gerade bei europäischen Nachbarländern wird erwartet, dass es nur geringe Unterschiede in den untersuchten Bereichen geben wird. Im Grunde genommen ist diese Annahme berechtigt, wenn man dazu weiter entfernte Länder vergleicht. Ich möchte deshalb kurz auf den koreanischen Autor Jang-Seop Lee hinweisen (Lee 1991), auf den später nochmals eingegangen wird. Er beschäftigt sich unter anderem auch mit Nahrung und Wohnung. Dennoch ist gleich auf den ersten Blick zu erkennen, dass deutlichere Unterschiede bei diesen zwei Kategorien auftreten, als bei den Nachbarländern Tschechien und Deutschland. So markante Unterschiede wie sie bei Koreanern und Deutschen auftreten (z.B. essen Koreaner Reis zum Frühstück; Tee oder Kaffe sind keine Getränke zum Essen, sondern Genussmittel bei Gesprächen), gibt es zwischen Deutschen und Tschechen nicht.

Volbrachtová bezieht sich weiterhin auf das Vertraute und auf das Fremde. „Gerade etwas Fremdes in vertrauten Erscheinungsformen der Kultur stört den Menschen mehr, als kulturelle Phänomene, die von seinen Gefühlen weit entfernt sind und exotisch wirken.“ (Volbrachtová 1988: 212)

Volbrachtová ist bis jetzt die einzige Volkskundlerin, die sich mit der Migration der Tschechen nach Bayern beschäftigt hat. Dies bestätigt die These von K. Roth, dass die Erforschung der Nachbarländer sehr selten vorkommt. (vgl. Roth 2005: 237)

Da sich die Problematik der feinen Unterschiede fast durch die ganze empirische Arbeit zieht, ist die Forschung von Volbrachtová ein grundlegender Einstieg in meine empirische Studie, auf die ich mich immer wieder beziehen werde. Auch in der folgenden Untersuchung wird auf die „Feinheiten“ und „Kleinigkeiten“ des Alltags der tschechischen Migranten hingewiesen und diese analysiert. Dies bezieht sich sowohl auf die der jüngeren als auch auf die der älteren Generation. Volbrachtová untersucht in ihrem Aufsatz nur die Emigranten, die bis ins Jahr 1988 nach Bayern kamen. Ich möchte weiterhin diesen Beitrag um Beobachtungen und Forschungen bei den späteren Migranten ergänzen.

Die Grundlagen zur Untersuchung der „kleinen Unterschiede“ legte der Soziologe Pierre Bourdieu schon Ende der 70er Jahre. Sein umfangreiches Werk „Die feinen Unterschiede“[5] erweckte großes Interesse und löste neue Wellen der empirischen Forschungen aus. Bourdieu beschäftigt sich mit der Sozialstruktur Frankreichs in Bezug auf Klassentheorie und Kultursoziologie. Er weist nach, dass die persönlichen Geschmäcker und Vorlieben des Menschen durch die Gesellschaft und die jeweilige Klassenzugehörigkeit geprägt werden und nicht zufällig oder individuell sind.

Zur Forschung über die letzten Jahre[6] haben auch die Autoren Ivan Nový und Sylvia Schroll-Machl vor allem auf der interkulturellen Ebene beigetragen. Sie haben in ihrem Werk den Bezug der Tschechen und Deutschen zur Arbeit und Freizeit untersucht.

Meiner Meinung nach werden im Buch „Perfekt geplant oder genial improvisiert?“ einige mögliche Lösungsansätze dargestellt. Trotzdem darf man dieses Buch nicht als „Allheilmittel“ für sämtliche Probleme der interkulturellen Zusammenarbeit, des Kulturkontaktes und der Kulturkonfliktbewältigung verstehen.[7] Deswegen möchte ich die Untersuchungen von Schroll-Machl und Nový mit sehr großer Vorsicht und gleichzeitig ständiger Kritik betrachten und ihre Ansätze eher als grobe Richtungsorientierung bei meinen empirischen Forschungen nutzen.

Zu der in dieser Arbeit verwendeten Literatur zählt auch ein Werk[8] des koreanischen Wissenschaftlers Lee. Das Buch dieses Volkskundlers hat mich stark inspiriert, da unter anderem die Alltagsuntersuchungen im Bereich des Wohnens und der Nahrung ausgiebig dargestellt worden sind, die mich auch in meiner Arbeit sehr interessieren. Es wurde sowohl die Wohnkultur als auch die Nahrungskultur der in Deutschland lebenden Koreaner untersucht. Dennoch kann dieses Buch nur am Rande angewandt werden, da die betrachteten Kulturen zu stark voneinander abweichen. Die deutsch-koreanischen Familien wurden in Nordhein-Westfalen im Zeitraum von 1986-1988 untersucht. Der „koreanische Lebensstil“ unterscheidet sich viel markanter vom mitteleuropäischen „tschechischen Lebensstil“ und Alltag.

Ein weiterer Volkskundler, der sich mit den Themen und Problemen der volkskundlichen Migrationsforschung auseinander gesetzt hat, ist Burkhart Lauterbach. In seinem Aufsatz (vgl. Lauterbach 1999: 129-130) teilt er die Forschungsfelder der volkskundlichen Migration in: Sprachinsel- und interethnische Forschung, Flüchtlings- und Vertriebenenforschung, Aussiedler- und Spätaussiedlerforschung, Arbeitsmigranten- sowie Auswandererforschung ein. Die folgende Arbeit wird sich vor allem mit den Forschungsfeldern „Flüchtlinge“ und „Auswanderer“, teilweise auch „Arbeitsmigrationsforschung“ beschäftigen.

Diese Schwerpunktfelder würde ich gerne erweitern, wie selbst Lauterbach dies am Ende seines Beitrages erwähnt: „Im Bereich volkskundlicher Migrations-Studien lassen sich, wie gezeigt, fünf thematische Schwerpunkte ausmachen, Schwerpunkte, welche eine Vielfalt an Methoden und Quellen aufweisen, dies in Abhängigkeit von der jeweiligen [...] Ausrichtung, Schwerpunkte, welche sich im Lauf der Zeit ergänzen und erweitern lassen.“ (Lauterbach 1999: 150)

Die Erweiterung wird die „Einwanderungsforschung“ sein, die einen wichtigen Teil dieser Arbeit darstellt. Die Gründe, die dazu führten, dieses nicht eindeutig unter „Auswanderungsforschung“ oder „Arbeitsmigrantenforschung“ einzugliedern, werden im empirischen Teil erläutert.

Im Allgemeinen ist zu sagen, dass in der Volkskunde im Bezug auf die Flüchtlingsforschung eher die Untersuchungen über andere Nationalitäten, als Tschechen geschrieben wurden, mit einigen Ausnahmen wie Volbrachtová. Im Bereich der Arbeiterforschung kann man sehr viel Material z.B. zu der türkischen oder italienischen Arbeiterforschung finden. Im Bereich der Auswanderung/Einwanderung der Tschechen gibt es wenig Untersuchungen. Unter diesen finden wir einige Ansätze von K. Roth und J. Roth im Bereich der Volkskunde und der Interkulturellen Kommunikation. Sonst wurde mehr zum Thema Wirtschaft, wirtschaftliche Beziehungen, Mitarbeit und Konflikte geschrieben, aber zum Thema „Alltag der Tschechen in Deutschland“ wurden keine Forschungen gemacht.

3 Verwendete Methoden zur Datenerhebung

3.1 Interview

Als Methode für die Untersuchungen wurde das halbnarrative (themenzentrierte) Leitfadeninterview gewählt, welches durch eine teilnehmende unstrukturierte Beobachtung ergänzt wurde. Dazu wurden zusätzlich Daten von Informanten verwendet, mit denen freie Gespräche geführt und Notizen gemacht wurden. Es waren Leute, die sich im tschechischen Zentrum oder Sportverein sehr aktiv engagierten.

Die qualitativen Methoden der Untersuchung wurden gewählt, weil keine Statistiken über tschechische Migranten in München vorgelegt werden sollen, sondern Untersuchungen über einzelne Individuen und deren Alltag im Bezug auf die vier Kategorien, die beschrieben und analysiert werden.

Die Beobachtung wurde vor allem auf den Alltagsbereich Wohnung angewendet . Die Wohnungen konnten entweder gleich beim Interview besichtigt werden oder es wurde ein zweiter Termin mit der jeweiligen Person vereinbart, um mir die Wohnung noch einmal anzusehen, was sehr viel Zeit in Anspruch genommen hat. Vor allem bei Leuten, die mich nicht kannten, war es beim ersten Besuch fast unmöglich, in ihre Privatsphäre einfach ohne weiteres einzudringen.

Die Interviews fanden in den Wohnungen der Interviewpartner statt. Sie wurden in der tschechischen Sprache durchgeführt. Eheleute wurden getrennt interviewt.

Bei der Befragung hat sich einerseits die Form des Leitfadeninterviews bewährt, da offene Fragen es ermöglichten, durch freie Erzählweise Informationen zu bekommen, die sich im Gesprächsverlauf ergaben. An diese wäre man bei konkreten Fragestellungen höchstwahrscheinlich nicht gekommen. Andererseits war das Nachfragen bzw. das Umformulieren der gestellten Fragen notwendig, damit es zu keinen Missverständnissen kam. (vgl. Atteslander 2003: 146 -149)

Zur Auflockerung der Situation und Erklärung der Fragen benutzte ich die von Lehmann (vgl. 1979/1980: 36.45) dargestellte Methodik, eigene Erlebnisse oder Erfahrungen von meinem Aufenthalt in Deutschland zu beschreiben. Meine Herkunft vereinfachte die Kommunikation und ermöglichte ein besseres Vertrauensverhältnis. Bei der jüngeren Gruppe bin ich als eine gleichaltrige Person mit ähnlichem Erfahrungshintergrund betrachtet worden, während die ältere Gruppe mich als „Mädchen“ aus der alten Heimat betrachtete und an Motiven und Hintergründen meines Lebens in Deutschland interessiert war. Der Ablauf war bei fast allen älteren Probanden gleich: zuerst haben sie Fragen über meine Person gestellt und dann (nach ein bis zwei Stunden) konnte das eigentliche Interview beginnen.

Bei der tschechischen „Mentalität“ ist es sehr wichtig, gerade in persönlichen Belangen sich zuerst mit dem Gesprächspartner bekannt zu machen, bevor man Auskunft über die andere Person erhält.

„Das Ziel einer Befragung muss also sein, eine möglichst hohe Gemeinsamkeit in der Kommunikation zu erreichen. Eine solche verhindert ein Ungleichgewicht der Motivation und erhöht die Gültigkeit einer Meinungsäußerung.“ (Atteslander 2003: 142)

Bei der Untersuchung der jüngeren Gruppe habe ich den Nachteil einer Teilgruppenzugehörigkeit zu der Untersuchungsgruppe. Mir war bewusst, dass ich versuchen musste den objektiven Einblick beizubehalten. Diese Anforderungen an den Forscher sind sehr hochgestellt und nicht immer umsetzbar.

Bei der persönlichen Befragung spielt einerseits der Verzerrungsfaktor eine Rolle, der einen direkten Einfluss auf den Gesprächsverlauf hat, andererseits können Regel- und Kontrollfunktionen durch den Interviewer übernommen werden. (vgl. Atteslander 2003: 149). Dies ermöglicht es mir ein besseres Verständnis der Problemstellungen und Ansätze durch eigene Erfahrungen aufzubringen.

Bei der Untersuchung der älteren Gruppe wird die Objektivität gewährleistet, aber ebenso besteht die Gefahr, dass einige Tatsachen missverstanden oder übersehen werden können. Dennoch bin ich der Meinung, dass meine Herkunft und meine Auslandserfahrungen nur als Gewinn bei dieser Forschung betrachtet werden können.[9]

„Ethnologen mit multiplen Identitäten können bei Forschungen in ihren Herkunftsländern gleichzeitig Insider und Outsider sein [...].“ (Roth 2005: 238)

Die Erforschung der Alltagskultur ist keine leichte Aufgabe, die aber durch die beiden Sichten – emische und etische – dem Forscher erleichtert werden. (vgl. Ebd. 2005: 238)

3.2 Weitere Forschungseinflüsse

3.2.1 Beeinflussung der Interviewsituation durch den Forscher

Durch meine Person wurden die Befragungen und natürlich auch die Interviewergebnisse beeinflusst. In der Interviewsituation ist davon auszugehen, dass das Verhalten und die Aussagen anders ausfallen, als wenn es um eine „Nicht-Forscher“ Person ginge und andererseits ich als Forscher die Befragungssituation schon durch meine Person, Alter, Geschlecht, Zugehörigkeit und andere Einflüsse, die nicht zu vermeiden sind, verändere.

3.2.2 Beeinflussung der Interviewsituation durch die Befragten

Wie Brigitte Böhnisch-Brednich[10] bereits betont hat, werden öfters unlösbare Konflikte, wie z.B. der Zweifel an der Migrationsentscheidung oder Familien- und Partnerkonflikte nur indirekt und manchmal nur in einer Bemerkung geäußert. Meistens werden Probleme geschildert, für die eine Lösung gefunden wurde bzw. „anerkannte“ aussichtslose Fälle wie z.B. die Sorge um die zurückgelassene Familie. Auch Informationen, die für den Forscher aber nicht für die Probanden von Interesse sind, kann man ab und zu nur indirekt aus den Interviews herauslesen.

3.2.3 Herkunft des Lebenspartners

Ein Aspekt, der in keinem Fall übersehen werden darf, ist den Bezug zum Partner zu nehmen. Der Alltag ist sehr stark dadurch beeinflusst, ob der tschechische Migrant mit einem deutschen oder tschechischen Partner verheiratet ist oder zusammenlebt. Die kulturell bedingten Differenzen können bei binationalen Paaren in vielen Alltagsbereichen Schwierigkeiten hervorrufen. Diese Missverständnisse und Konflikte können bei sehr unterschiedlichen Kulturen/Herkunftsländern sehr markant sein (z.B. Deutschland/China). Vergleichend dazu zeigen sich nicht so gravierende kulturell bedingte Unterschiede zwischen Tschechen und Deutschen. Dieses bewirken die ähnlichen historischen, geografischen und politischen Hintergründe. In diesem Zusammenhang wird der Bezug zurück auf die wissenschaftliche Arbeit von Volbrachtová genommen. Diese Differenzen zwischen Tschechen und Deutschen erscheinen im ersten Moment klein, besitzen aber nicht weniger an Bedeutung. Hier muss um so stärker die Aufmerksamkeit auf die kleinen Unterschiede gerichtet und diese untersucht werden.

Die binationalen Ehen oder Paare betreffen die jungen Probandinnen, die alle einen Deutschen als Partner haben. Ein junger Mann hat eine deutsche Partnerin, die dennoch tschechische Vorfahren hat. Ein weiterer junger Mann lebt in Deutschland seit Jahren mit seiner tschechischen Frau, der dritte ist zur Zeit Single. Die älteren Befragten leben alle in einer tschechisch-tschechischen Ehe und eine Dame ist verwitwet.

3.2.4 Alltag und Erinnerung

Es muss erwähnt werden, dass die Interviews in einigen Bereichen vor allem auf der Erzählung basieren und es nicht immer möglich ist, alle erzählten Tatsachen nachzuprüfen. Vor allem der Bezug des Erzählten und der Erinnerung und deren Selektivität, drückt sich in den Interviews, die Alltagsbeobachtungen untersuchen, stark aus.

„Erinnerung knüpft sich an herausgehobene lebensgeschichtliche Ereignisse und Beziehungen, an Krisen, Erfahrungen von Glück oder von Brüchen im Leben, nicht jedoch an Alltagsphänomene, die sich stetig wiederholen, routiniert und habitualisiert ablaufen. Das Alltägliche entzieht sich der präzisen Rekonstruktion und wird in kulturell normierten, stimmigen Bildern umschrieben.“ (Schmidt-Lauber 2005: 153)

Auch Lehmann beschreibt die Diskrepanz zwischen der Konstruktion des Erzählten und den tatsächlichen Ereignissen (vgl. Lehmann 2001: 239). Dieser Aspekt zieht sich durch den ganzen empirischen Teil der Arbeit und muss ständig miteinbezogen werden.

3.2.5 Transkription

Jede Transkription ist nicht nur ein Festhalten, sondern auch ein Übersetzungs- und gleichzeitig ein Interpretationsvorgang (vgl. Schmidt-Lauber 2005: 153). Zu einer weiteren Verfärbung der Aussagen der Probanden kann die Übersetzung in die deutsche Sprache führen. Die Bedeutung eines Wortes erfährt bei seiner Übersetzung in eine andere Sprache eine mehr oder weniger starke Veränderung. (vgl. Ueda 2002: 181 f.)

Wie mit meinem Betreuer besprochen, werden die Transkriptionen nicht angehängt. Es bestehen zwei Gründe dafür: einerseits wären weitere ca. 140 Seiten des Anhangs notwendig um diese Quellenangaben hinzuzufügen und andererseits ist die tschechische Sprache in Deutschland nur für wenige Leser verständlich.

3.2.6 Individuum und kulturelle Tendenzen

In dieser Arbeit muss auch erwähnt werden, dass hier keine statistischen Fakten oder auf alle Tschechen, die nach Bayern bzw. konkret nach München gekommen sind, übertragbare Muster dargestellt werden. Es geht um zwölf unterschiedliche Individuen, die auch so betrachtet werden müssen und von denen nur grobe Richtungen und Tendenzen bei den in Deutschland lebenden Tschechen ableitbar sind.

Aussagen über die Individuen sind keine Aussagen über Kulturen und andersherum. Es geht nur um sogenannte zentrale Tendenzen. Es gibt keinen „Durchschnittsmenschen“ in einem Land. (vgl. Hofstede 1993: 297-298)

3.2.7 Beharrungsform

Die Migration zwischen den sechziger und siebziger Jahren hatte aufgrund der politischen Gegebenheiten eine viel stärkere Isolation vom realen Alltag in Tschechien zur Folge. Viele Traditionen des Alltags wurden nach wie vor beibehalten. Mit der Zeit entwickelten sich andere traditionelle Alltagsformen in Tschechien, weil aber die tschechischen Flüchtlinge keinen oder nur wenig Kontakt nach Tschechien pflegen durften, blieben sie bei einer Beharrungsform, die in Tschechien nicht mehr oder in einer umgewandelten Form vorkommt. Dieses wurde schon in Tolkdorfs Integrationsstufen angesprochen.

Die oben beschriebenen Forschungseinflüsse sind mir bewusst und werden in der Magisterarbeit beachtet.

3.3 Zugang zum Feld

In dieser Arbeit wird der Alltag der Tschechen in München untersucht und anhand meiner Fragestellungen herausgearbeitet. Zu den besonders betrachteten Fragen gehören die „kleinen Unterschiede“ oder „Gemeinsamkeiten“ bei den zwei Altersgruppen. Die geschlechtspezifischen Unterschiede werden in der empirischen Arbeit beachtet, spielen dennoch nur eine sekundäre Rolle.

Da ich in meiner Magisterarbeit den gesamten Bereich des Alltags nicht präzise darstellen und untersuchen kann, weil es den Rahmen dieser Arbeit weit sprengen würde, möchte ich mich vor allem auf vier Alltagsbereiche konzentrieren. Ich bin der Meinung, dass man auf der einen Seite durch eine Untersuchung entweder nur des privaten[11] oder des öffentlichen[12] Bereiches, lediglich eine einseitige Ansicht vermittelt. Deshalb wurden Bereiche gewählt, die sowohl der privaten als auch der öffentlichen Sphäre zugehören. Andererseits wurden diese Bereiche gewählt, weil vermutet werden kann, dass sich das Akkulturationsverhalten bei diesen vier Kategorien am besten begründen lässt.

Sicherlich wäre es möglich, die Fragestellungen unter anderen Aspekten zu untersuchen (wie z.B. Kleidung). Im Rahmen dieser Arbeit ist es jedoch aus zeitlichen Gründen nicht möglich, alle weiteren Bereiche zu analysieren. Aus den Vorgesprächen mit in München lebenden Tschechen hat sich herausgebildet, dass sie im Alltag vor allem über die Arbeit reden. Auch über Sportmöglichkeiten und Ausgehen (unter dem Punkt „Freizeit“ betrachtet), was sie einkaufen und kochen (im Bereich „Nahrung“ eingegliedert), sowie nicht zuletzt die Unterkunft (Untersuchungskategorie „Wohnung“ ) wurde viel geredet .

3.4 Auswahl der Befragten

Die empirischen Daten wurden von März bis Mai 2005 in München/Deutschland erhoben.

Als Untersuchungsgruppe wurden Tschechen, die nach München gekommen sind, gewählt. Die Interviewpartner leben seit mindestens fünf Jahren in München. Sie werden jeweils als ein migrierendes Individuum, in zwei Fällen als migrierende Ehepartner im Bezug zur aufnehmenden Gesellschaft betrachtet. Die vorhandenen Kenntnisse der tschechischen Sprache waren hilfreich beim Zustandekommen der Befragungstermine und dem Ermöglichen einer vertrauten Atmosphäre. Die Informanten wurden absichtlich an unterschiedlichen Orten gesucht, damit die Gruppenzugehörigkeit nicht nur z. B auf den Freundeskreis oder das Tschechische Zentrum[13] usw. begrenzt wird. Nur drei Informanten kannte ich bereits persönlich, der Kontakt zu den anderen musste gesucht werden. Viele Personen, die zu einem Interview bereit wären, konnte ich nicht befragen, da sie meinen Anforderungen an die Untersuchungsgruppe nicht entsprachen. Deswegen erwartete mich ein langes Suchen im Tschechischen Zentrum, im Tschechischen Restaurant[14] und im tschechischen Sportverein Sokol[15]. Der leichteste Zugang war für mich persönlich der Sportverein, weil ich als sportlicher Typ schnell Kontakte und weitere Empfehlungen bekommen habe. Auch durch die lockere Atmosphäre des Restaurants habe ich drei Zusagen zum Interview bekommen, wie sich später herausgestellt hat, waren zwei davon Pendler und der dritte eine im nächsten Monat remigrierende Person. Nach solchen Misserfolgen habe ich die Angst des Forschers vor dem Feld nachvollziehen können, wie man es bei Rolf Lindner[16] in seinem Aufsatz nachlesen kann. Bei meinem Versuch im tschechischen Zentrum Kontakt aufzunehmen wurde ich entweder abgelehnt wurde oder die Teilnehmer waren Deutsche, die sich für die tschechische Kultur interessieren. Dies hat die Angst noch vergrößert. Bei fünf Personen, die schon im Monat März ein Interview versprochen hatten, war wegen Ostern (wo alle, meist in der Tschechischen Republik, auf Reisen waren) ein Termin erst im April möglich.

Die Namen der Probanden wurden aus Datenschutzgründen geändert. Statt dessen wurden in der Tschechischen Republik häufig vorkommende Namen verwendet. Auch die Geburtsorte wurden (vor allem bei Interviewpartnern, die aus kleinen Dörfern kamen) nicht erwähnt, damit der Personenschutz gewährleistet bleibt. Leider kann ich aus denselben Gründen keine Fotos oder Ähnliches von den Befragten veröffentlichen, obwohl es mit Sicherheit eine sehr interessante Quelle gewesen wäre.

Schon beim Magistranden-Kolloquium wurde ich sowohl von Dozenten/Innen als auch von Mitstudenten/Innen darauf hingewiesen, dass man sehr schwer die männlichen Interviewpartner finden kann, ganz besonders, wenn es um die Alltagsforschung geht. Selbst wenn, werden die männlichen Personen nur sehr kurze und strikte Antworten geben. Nach der Durchführung der Interviews hat sich eine genau umgekehrte Tendenz gezeigt. Die Männer, sowohl die Jüngeren als auch die Älteren, waren sofort zu einem Interview bereit. Zwei haben mich nach der Zusage sogar von sich aus zurückgerufen und wir konnten noch in der selben Woche ein Interview vereinbaren. Von den angesprochenen Männern bekam ich mit einer Ausnahme immer eine Zusage. Während des Interviews haben sie mir sogar Kontakt zu anderen Männern vermittelt und es wäre kein Problem gewesen, noch weitere männliche Probanden zu bekommen. Die Interviews waren wider Erwarten sehr ausführlich. Bei den Frauen konnte ich jüngere Frauen auch relativ schnell befragen (sowohl Freundinnen als auch Fremde), wobei ich mehrere Kontaktpersonen suchen musste. Bei der älteren Gruppe von Frauen stieß ich auf die größten Probleme. Zwei Damen haben sechs Wochen nach der Zusage abgesagt. Mit einer anderen habe ich ein ca. eineinhalbstündiges Telefongespräch durchgeführt und nach dieser Zeit die Antwort bekommen: „ Ich muss mir es noch überlegen. Sie sind sehr sympathisch, ich würde es eigentlich sehr gerne machen, aber ich möchte nicht, dass jemand, der mich kennt, etwas davon erfährt.“ Eine Dame war der Meinung: „Ich doch nicht, nein, von mir erfahren sie ja nichts, ich habe nichts Interessantes zu erzählen.“ Aber als ich ihren Mann interviewt habe, ist sie immer zwischendurch aus der Küche gekommen und wollte etwas zu meinen Fragen erzählen, obwohl ich sie sehr höflich darauf hingewiesen habe, dass wir nicht gestört werden sollten, damit das Interview ihres Mannes nicht beeinflusst wird. Letztendlich ist es mir gelungen, drei Frauen für ein Interview zu überzeugen, dennoch waren sie alle ein wenig zurückhaltender und haben weniger erzählt als die anderen Probanden.

4 Untersuchungsgruppe

4.1 Allgemeine Einführung zu der Interviewgruppe

Befragt wurden zwölf Personen mittels eines Leitfadeninterviews (s. Anhang). Der Befragtenkreis setzte sich aus drei Frauen und drei Männern im Alter von 28-35 Jahren und drei Frauen und drei Männern im Alter von 60-78 Jahren zusammen. Die erste Migrantengruppe ist nach 1995 freiwillig nach Deutschland gekommen, konkreter zwischen 1995-2000. Die zweite Gruppe der Emigranten aus den Jahren 1968/69 ist aus der Tschechoslowakei zwar nicht ausgewiesen worden, aber da die Bedingungen des Sozialismus für viele unerträglich waren, haben sie sich entschieden wegzugehen bzw. zu fliehen.

„Den letzten großen Aderlass erlebte die Tschechoslowakei im Jahre 1968, als Folge des sowjetischen Einmarschs. Schätzungsweise 200 000 Menschen verließen das Land. Von ihnen ließen sich viele in Österreich, Frankreich, England, der Schweiz, und den USA nieder. Die größte Gruppe kam nach Deutschland, das in Sachen Aufnahmebereitschaft die anderen genannten, ebenfalls von Sympathie dem ‚Prager Frühling’ gegenüber geprägten, Staaten noch übertraf.“ (Szklorz 2000: 38)

4.2 Bildung der Befragten

Die Befragten wurden an unterschiedlichsten Stellen gesucht, damit die unterschiedlichsten Statusgruppen vorhanden sind. Dennoch ist leider festzustellen, dass es fast unmöglich ist, an Leute heranzukommen, die weniger als eine Hochschul- bzw. Fachhochschulreife haben. Diese Tatsache basiert vor allem bei den jüngeren Migranten darauf, dass nur wenige Tschechen ohne Abitur nach Deutschland migriert sind. Menschen ohne Abitur kann man im Bereich der „Pendler“ finden, die jede Möglichkeit nutzen, um wieder nach Hause zu fahren, sich im Lande nicht integrieren müssen und oft auch nicht integrieren wollen. Manche bleiben nur für relativ kurze Zeit in Deutschland. Diese Gruppen habe ich von vornherein ausgeschlossen, da sie ganz andere Alltagsstrategien entwickelt haben, als die Migranten, die hier dauerhaft leben. Im Rahmen dieser Magisterarbeit ist es nicht möglich, derart unterschiedliche Gruppen und Strategien zu untersuchen. Die Tatsache, dass auch ein tschechisches au pair Mädchen Abitur haben muss,[17] um von einer Agentur vermittelt zu werden, ist ein weiterer Punkt. Sehr viele junge Migranten sind, wie meine empirischen Untersuchungen und eigenen Erfahrungen bestätigen, als au pair nach Deutschland gegangen (dies schließt auch die Männer nicht aus). Von dem au pair Aufenthalt führte es bei einigen zum Studium oder sie fanden andere Beschäftigungen. Als au pair zu arbeiten ermöglichte den jungen Leuten zu reisen, eine neue Sprache zu lernen und Auslandserfahrung sowie wirtschaftliche Vorteile zu bekommen.

Drei der jüngeren Befragten, zwei Frauen und ein Mann, sind nach Deutschland als au pair gekommen. Mittlerweile studieren die drei Befragten. Dies sind keine Einzelfälle, da der Aufenthalt als au pair sehr oft ein Weg[18] ist, sowohl die Bleibe in Deutschland als auch ein Studium ohne komplizierte Aufnahmeprüfungen zu ermöglichen.

Bei den Emigranten gibt es einen Herren, der eine Ausbildung ohne Abitur hat, weil ihm aus politischen Gründen trotz seiner Befähigung dazu in der Tschechoslowakei keine andere Ausbildung erlaubt wurde.

„Viele hätten beim Verbleib in der Heimat Benachteiligungen im Berufsleben oder Schikanen zu befürchten gehabt und einen Zwang zur Anpassung an die neue politische Realität. Also nutzten sie den Umstand der offenen Grenzen und die allgemeine Anteilnahme, die den Tschechoslowaken während des „Prager Frühlings“ in der ganzen Welt entgegengebracht wurde. Sie nahmen schlicht ihre Chance wahr für eine neue Existenz im Westen, also auch im westlichen Deutschland, anstelle eines Lebens in einem Land, das seine politische Perspektive verloren hatte.“ (Szklorz 2000: 38)

Außer dem oben erwähnten Herr D., der sein Fachabitur in Deutschland in einer Abendschule nachgeholt hat, hatten alle Probanden Abitur oder einen Hochschulabschluss, als sie nach Deutschland kamen.[19]

„Der Umstand, dass die ankommenden Tschechoslowaken überwiegend qualifizierten bis hochqualifizierten Berufen angehörten, hatte damals gewiss einen zusätzlichen positiven Einfluss auf die Asylgewährung. Ein Glück für die Fliehenden.“ (Szklorz 2000: 38)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass heutzutage alle meine Probanden entweder das Abitur oder ein abgeschlossenes Studium haben, was natürlich Auswirkungen auf die Ergebnisse meiner Forschungen haben wird.

4.3 Einflüsse auf die Befragten aus dem Ausland

Weiterhin werden die Einstellungen und Werte auch durch die Erlebnisse beeinflusst, welche die Tschechen in anderen Ländern, vor ihrer Ankunft in Deutschland, gesammelt haben. Grundsätzlich wurden Leute gewählt, die nicht länger als ein halbes Jahr im Ausland außerhalb Deutschlands verbracht haben. Diese Erfahrungen beeinflussen die Werte, Normen und Einstellungen der Befragten. Sie wiesen auf Eindrücke aus den unterschiedlichsten Ländern wie England, Holland, Amerika, Österreich und Italien hin. Diese Informationen möchte ich nicht ganz außer Acht lassen . Bei den Migranten, die direkt aus Tschechien nach München gingen, spielt wiederum eine wichtige Rolle, ob sie Erfahrungen mit einer größeren Stadt hatten oder direkt aus einem Dorf oder einer kleinen Stadt kamen.

4.4 Untersuchungsgruppe: eher bleibeorientiert

Beide Gruppen sowohl die jüngere als auch die ältere sind eher bleibeorientiert. Ich habe mich darauf konzentriert, dass zwar unterschiedliche Altersgruppen und Geschlechter verglichen werden, aber trotzdem bei beiden Gruppen eher eine Bleibeorientierung zu beobachten ist. Dennoch möchte ich mich mit diesem Thema ein wenig auseinander setzen, da ich nicht der Meinung bin, dass es um zwei eindeutige und abgegrenzte, abgeschlossene Vorgänge geht. Bei vielen Leuten spielt nicht nur die Orientierung eine Rolle, sondern auch die Möglichkeiten und Perspektiven. Bei der älteren Gruppe ist es eine eindeutige Bleibeorientierung, die bei einer Person durch die totale Übernahme der deutschen Staatsangehörigkeit, bei fünf weiteren durch die doppelte Staatsbürgerschaft gekennzeichnet ist.

„Wir fahren nach Tschechien, wenn wir Lust haben. Wir bleiben da ca. eine Woche, länger als eine Woche halte ich es dort nicht aus. Ich habe mich hier so eingewöhnt, dass ich dort nicht länger als eine Woche bleiben kann!“ (Interview Martin T. 11.04.2005)

“Man versteht sich hier als etabliert. Zurück nach Tschechien gehen, dass wäre für mich sehr schwer.“ (Interview Stanislav Z. 11.04.2005)

Alle der sechs Befragten haben vor, für immer in Deutschland zu bleiben. Sie fühlen sich in München wohl und sicher und das Leben in Tschechien bedürfe neuer Anpassungen an die veränderten Verhältnisse seit den Jahren 1968/69.

Die jüngeren Leute sind „flexibel“. Die meisten der Befragten äußerten sich in dem Sinne, dass sie gerne bleiben würden. Das heißt aus privaten Gründen wollen sie auf jeden Fall in Deutschland bleiben. Wenn es aber politisch oder auch wirtschaftlich nicht mehr möglich sein wird und für sie nicht mehr erträglich, gehen sie zurück. Das weist darauf hin, dass wir bei solcher exakten Trennung sehr vorsichtig sein müssen und immer den Bezug darauf nehmen, dass einige von den Bleibeorientierten zurück in die Heimat gehen oder das sie in ein anderes Land umziehen.

Unter meinen Befragten gibt es auch einige Studierende[20], die jedoch nicht nur wegen des Studiums in Deutschland sind. Sie sind verheiratet oder leben in einer festen Partnerschaft und haben vor, weiterhin in Deutschland zu bleiben. Also beziehen sich meine Untersuchungen nicht auf Studierende, die ausschließlich wegen des Studiums in Deutschland sind und weiterhin sehr starken Bezug zu Tschechien haben.

Eine weitere Problematik besteht darin, dass es auch Verheiratete gibt, die trotzdem die Remigration anstreben, spätestens im Alter/Rente.

4.5 Homogenität der Gruppe

Bei der tschechischen Bevölkerung handelt es sich um die homogenste Gruppe in ganz Europa. Aus diesem Grund möchte ich mich nicht näher mit der Problematik der ethnischen Zugehörigkeit, die andere Gruppen/Länder viel deutlicher betrifft, befassen. In fast allen anderen Völkern Europas gibt es auch andere ethnische Zugehörigkeiten, z. B. Deutschland, Österreich, Slowakei. Dieses Phänomen bei der Slowakei und Tschechien möchte ich nur kurz erwähnen, da es sich aus der historischen Sicht um ein Land handelte, dennoch gibt es viele in der Slowakei lebende Ungarn, Ukrainer und andere Gruppen.

„Die Slowakei ist und war in ihrer Entwicklung stets ein multiethnisches Land. Ihr buntes Kolorit wandelte sich im Laufe der Zeit, doch war die Slowakei in ihrer ganzen bisherigen Entwicklung nie monochrom oder monoethnisch. Die Slowaken bildeten zwar stets die Mehrheit der Bevölkerung, aber der Anteil der anderen Ethnien lag zwischen 15 und 30 Prozent.“ (Kováč 1999: 147)

Diese „Zersplitterung“ ist bei der tschechischen Bevölkerung nicht oder eher selten zu finden, deswegen ist es nicht notwendig auf die Problematik der ethnischen Zugehörigkeit, wie es bei anderen Ländern oft gemacht werden muss, einzugehen. Doch die Frage nach der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit wurde gestellt, welches im nächsten Kapitel näher erläutert wird.[21]

4.6 Staatsangehörigkeit

Alle Befragten aus der jüngeren Gruppe haben die tschechische Staatsangehörigkeit. Fünf der Befragten der älteren Gruppe haben sowohl deutsche als auch tschechische Staatsangehörigkeit. Eine Probandin hat diese schon im Jahr 1972 zurückgegeben und hat seit dem die deutsche Staatsangehörigkeit. Bei einem Ehepaar wurde der tschechische Reisepass zuerst zurückgegeben. Als es in der ČSFR (Tschechoslowakische föderative Republik) durch die Verfassung erlaubt war, zwei Staatsangehörigkeiten zu haben, wurde der tschechische Pass 1993 wieder ausgestellt. Die restlichen drei mussten wegen des „Landesverrats“[22] teilweise auch durch ihre Familien in Deutschland den Staat ausbezahlen. Dieser forderte die Kosten der gesamten Schulbildung, des Gerichtsverfahrens und der Registrierung in der Tschechoslowakei als Deutsche. Da aber niemand nach dem tschechoslowakischen Pass und dessen Rückgabe fragte, haben sie bis heute beide Staatsangehörigkeiten.

Tabelle der Interviewpartner:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1

Die jüngeren Probanden werden als „Gruppe 1“ und die Älteren als „Gruppe 2“ oder „Emigranten(-gruppe)“ bezeichnet.

5 Vorstellung der Interviewpartner

5.1 Pavel N.

Pavel N. wurde in einem kleinen südmährischen Dorf geboren und ist 28 Jahre alt. In seinem Leben in Tschechien hat er schon in verschiedenen Städten gelebt. Pavel kommt aus einem Einfamilienhaus mit eigenem Zimmer. Nach der achtjährigen Schule[23] hat er ein Gymnasium in Brno (Brünn)[24] besucht, wo er nach dem Abitur zum Studieren geblieben ist. Pavel N. hat fünf Jahre an der Universität Lebensmitteltechnologie studiert und anschließend noch drei Jahre sein Doktorandenstudium fortgesetzt, dieses aber noch nicht beendet. Im Rahmen dieses Doktorandenstudiums ist er als Austauschstudent nach München gekommen und führte auch ein halbes Jahr lang Forschungen an der TU München durch. Pavel N. hat auch einige Zeit in den nordböhmischen Städten Liberec (Reichenberg) und Jablonec nad Nisou (Gablonz an der Neiße) mit seiner Ex-Partnerin gelebt. Herr N. hat in München und der näheren Umgebung zuerst im Jahr 1998 als Student jeweils drei bis vier Monate in den Ferien gearbeitet. Erst im Jahr 2000 ist er nach München umgezogen. Der Grund war seine Freundin, die er zwischenzeitlich während seiner Arbeit bei BMW kennen gelernt hatte. Seit diesem Zeitpunkt hat er immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, nach München zu seiner Partnerin kommen zu können, um mit ihr zusammen zu sein. Pavel N. schrieb sich im Jahr 2002 wieder an der Universität ein. Dieses Studium ermöglicht Herrn N., mit seiner Freundin zusammen zu leben. Darum hat er nicht vor, es wirklich zu beenden. Meistens arbeitet er bei verschiedenen Firmen, bei denen er gerade einen Job bekommt. Pavel N. würde sehr gerne in Deutschland bleiben und sucht schon nach Möglichkeiten, wie er dieses erreichen kann. Dennoch ist er ziemlich offen. Er wird, je nach dem, wo er die bessere Arbeit erhält und ob seine Freundin mitkommt, eventuell wieder zurückgehen.

5.2 Josef R.

Josef R. kommt aus der westböhmischen Stadt Klatovy (Eichen) und ist 32 Jahre alt. Dort hat er mit seinen Eltern bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr gewohnt und auch die achtjährige Schule und das Gymnasium besucht. Nach dem Abitur war er fünf Jahre in Praha (Prag). Dort hat Herr R. eine zweijährige Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert und drei Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Seine erste Arbeitsstelle war in einer Bank, die zweite in einem Immobilienbüro. Das Leben in einer Großstadt war für Josef R. viel angenehmer als in einer Kleinstadt, da er seiner Meinung nach „městský typ“ (ein Stadtmensch) ist. Für ihn war der Übergang von der tschechischen Hauptstadt Praha nach München ziemlich unproblematisch, da er schon an die größere Stadt gewöhnt war. Sein Traum und Ziel war immer, ins Ausland zu gehen. Einer der Gründe, warum er Deutschland wählte, war die Nähe zu Tschechien. Ein weiterer war, dass er Deutsch in der Hauptschule, auf dem Gymnasium und auch in der Schule in Praha gelernt hatte. Obwohl es ihn sehr interessiert hätte, kamen englischsprachige Länder nicht in Frage, da er nie Englisch gelernt hatte. Ein weiterer Grund nach Deutschland zu gehen war die Arbeit bei einer österreichischen Bank in Tschechien. Dort stellte er immer wieder fest, wenn er die deutsche Sprache nicht perfekt sprechen kann, wird er auch keine Karriere machen können. Josef R. ist auf einem für einen Mann ungewöhnlichen Weg nach München gekommen, als au pair über eine deutsche Agentur. Die Entscheidung dazu war sehr schnell gefallen. Er kündigte 1996 innerhalb von 14 Tagen und ging nach München. Zuerst war er rund zwei Jahre als au pair bei einer Familie. Danach nahm er Gelegenheitsarbeiten an um seinen Unterhalt hier zu sichern. Im Jahr 1999 schrieb er sich an der Universität in München ein. Zuerst musste Josef R. das Studienkolleg[25] besuchen. Nach dem erfolgreichen Abschluss hat er einen Studienplatz beim Institut für Deutsch als Fremdsprache bekommen. Er studiert also seit ca. fünf Jahren an der Universität und verdient sich gleichzeitig seinen Unterhalt bei zwei Firmen. Er möchte im nächsten Jahr mit seiner Magisterarbeit beginnen. Er ist sich jedoch nicht sicher, ob er alles in der Zeit schaffen kann, da er nebenbei sehr viel arbeiten muss. Herr R. ist zur Zeit Single und lebt in einem Studentenwohnheim.

[...]


[1] Statt des Wortes Migranten werden auch Synonyme wie Probanden, Befragten, Interviewten, Interviewpartner, Informanten usw. benutzt. Dieses schließt sowohl männliche als auch weibliche Personen ein. Bei geschlechtsspezifischen Trennungen wird den weiblichen Migranten die Endung Innen angehängt, um diese Trennung nachvollziehbar zu machen.

[2] In diesem Bezug geht es nicht nur um eine bestimmte Landesebene, sondern auch um eine konkrete regionale Ebene.

[3] Das Modell wurde von vielen wissenschaftlichen Autoren kritisch betrachtet. Dem möchte ich mich anschließen.

[4] Falls kein anderer Bezug genommen wird, sind immer Tschechien und Deutschland mit „Nachbarländer“ gemeint.

[5] Erste Ausgabe erschien im Jahr 1979 mit Originaltitel „La distinction. Critique sociale du jugement“.

[6] In diesem Fall sind es Migranten, die zwischen den Jahren 1996 und 2000 nach München gekommen sind.

[7] Auch Hofstedes (Hofstede 1993) „4 Kulturdimensionen“ (Machtdistanz, Kollektivismus vs. Individualismus, Maskulinität vs. Femininität und Unsicherheitsvermeidung in seinem Buch „Interkulturelle Zusammenarbeit“) zeigen nur bestimmte Tendenzen, die auf die Individuen nicht ohne weiteres übertragbar sind, dennoch wurden sie sehr oft von einigen Autoren missverständlich übernommen.

[8] „Koreanischer Alltag in Deutschland“

[9] Ich selbst habe tschechische Staatsangehörigkeit und Nationalität, meine Mutter wie auch ihre Eltern kommen aus der Slowakei; die Großeltern väterlicherseits – der Großvater war Tscheche, die Großmutter Ukrainerin. Sie lebten zusammen einige Jahre in der Ukraine und in Österreich.

[10] Vgl. Böhnisch-Brednich 2002: 418 ff.

[11] Vermittelt das Gefühl von Privatsphäre, Einzigartigkeit und Schutz.

[12] Kann von jedem genutzt werden, ohne dass man ihn jedoch personalisieren oder selbst besitzen kann.

[13] http://czechcentres.cz/munich/stranka.asp?ID=267&menu=1048

[14] Im Winter 2004/2005 wurde ein tschechisches Restaurant im Süden von München (Chiemgaustr. 34a) neu eröffnet.

[15] Der Sportverein Sokol wird in Untersuchungskategorie C genauer erläutert.

[16] Lindner 1981: Die Angst des Forschers vor dem Feld

[17] http://www.au-pair.cz/index.htm, http://www.german-embassy.cz/EN/RK_VISA/index.html

Die einzige Ausnahme stellt Großbritanien dar, wo sich au pair auch ohne Abitur bewerben können.

[18] Hier kann man ein wenig verallgemeinern, da viele tschechische Studierende ihren Weg nach Deutschland als au pair gefunden haben.

[19] Es wird hier nicht unterschieden, ob es um einen Fachhochschul- oder Universität- ähnlichen Abschluss geht, weil dies einerseits nicht im Vordergrund steht und andererseits sehr schwer nachzuvollziehen ist – bei so langer Zeitspanne und den Veränderungen im Hochschulsystem.

[20] Studierende, die in Deutschland als Ziel ein abgeschlossenes Studium anstreben, fahren möglicherweise jede freie Zeit nach Hause, haben immer noch mehr Freunde in der Tschechischen Republik als in Deutschland, eventuell auch einen festen Lebenspartner. Sie müssen sich nicht so stark auf das Aufnahmeland einlassen und mit der kulturellen Problematik auseinandersetzen wie Studierende, die in Deutschland bleiben wollen.

[21] Diese Angelegenheit betrifft eher die ältere Gruppe, da bei den jüngeren Migranten keine Notwendigkeit mehr besteht, vor allem auf der politischen Ebene, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Es gibt heutzutage weniger Nachteile, abgesehen davon dass man sich an Wahlen in Deutschland nicht beteiligen kann. Dieses ist eindeutig anders bei anderen europäischen Gruppen, wie z. B. Türken/Innen, Russen/Innen, Bulgaren/Innen, oder Gruppen von anderen Kontinenten wie z.B. Lateinamerika.

[22] Die sozialistische tschechoslowakische Regierung ging bei jeder Landesflucht von einem Verrat am Land aus, ohne einen „tatsächlichen“ Sachverhalt zu haben. Das Verlassen des Landes ohne ausgewiesen zu werden, aus eigenem Wunsch, wurde als Verrat gewertet.

[23] In Tschechien gibt es ein zu Deutschland unterschiedliches Schulsystem. Nach achtjährigem Schulabschluss (Grund- und Hauptschule), wird entweder eine 3 bis 3½-jährige Ausbildung (selten eine zweijährige) oder ein Gymnasium/Fachgymnasium, evtl. weiterhin ein Studium absolviert.

[24] Die Städte werden hier in tschechisch dargestellt, beim ersten mal mit deutscher Namensübersetzung in Klammern. Die Übersetzung ist im Internet einzusehen: http://lexikon.izynews.de/de/dir/default_fr.aspx?u=http%3a%2f%2flexikon.izynews.de%2flex%2fListe_deutscher_Bezeichnungen_tschechischer_Orte

[25] Das Studienkolleg ist eine einjährige Vorbereitung, die der Freistaat Bayern für ausländische Studierende organisiert. Grundsätzlich müssen alle ausländischen Studierenden, deren Abitur oder meist Fachabitur in Bayern nicht anerkannt wurde, dieses Jahr belegen und dadurch einen in Deutschland anerkannten Abiturabschluss erlangen.

Excerpt out of 135 pages

Details

Title
Tschechische Migranten in München - Die kleinen Unterschiede des Alltags in den Untersuchungskategorien Nahrung, Arbeit, Freizeit und Wohnung
College
LMU Munich  (Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie)
Grade
2,5
Author
Year
2005
Pages
135
Catalog Number
V51779
ISBN (eBook)
9783638476591
ISBN (Book)
9783656775140
File size
990 KB
Language
German
Keywords
Tschechische, Migranten, München, Unterschiede, Alltags, Untersuchungskategorien, Nahrung, Arbeit, Freizeit, Wohnung
Quote paper
Miroslava Rabe (Author), 2005, Tschechische Migranten in München - Die kleinen Unterschiede des Alltags in den Untersuchungskategorien Nahrung, Arbeit, Freizeit und Wohnung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51779

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