Englisches Mehrheitsprinzip im Vergleich zur volonté générale


Dossier / Travail, 2020

19 Pages, Note: 7,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Das parlamentarische Mehrheitsprinzip
I. Parlamentarismus
II. Das Mehrheitsprinzip
1. Geschichtliche Entwicklung
2. Formen des Mehrheitsprinzips
3. Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips
4. Die parlamentarische Minderheit
III. Rousseaus Gesellschaftsvertrag
1. Bedeutung des volonté générale
2. Vereinbarkeit des volonté générale und Parlamentarismus
3. Das volonté générale, die Stimme der Mehrheit?
4. Kritik an Rousseaus Lehre
IV. Englisches Mehrheitsprinzip
1. Wahl und Aufgabe des House of Commons
2. Wirkung des Mehrheitsprinzips auf das Parteiensystem
3. Vereinbarkeit mit dem volonté générale

C. Kritik am Mehrheitsprinzip

D. Gesamtwürdigung des Themas

A. Einleitung

Die Demokratie, welche jedem Menschen in der heutigen Welt ein Begriff zu sein scheint, ist in den jetzigen politischen Debatten und dem Klimawandel noch mehr von Bedeutung denn je. Sie ist gerade das politische System, was die Bevölkerung am politischen Willen des Staates teilnehmen lässt. Sie musste im Laufe der Weltgeschichte die ein oder andere schwere Phase durchmachen; als Beispiel gilt die „Demokratiekrise“ in der Phase zwischen der russischen Märzrevolution und dem zweiten Weltkrieg.1

Die Demokratie bedeutet zwar im Kern, dass die tatsächliche Herrschaft durch das Volk ausgeht, doch sie unterscheidet sich in seinen verschiedensten Formen. Dabei kommen die direkte und repräsentative Demokratie am meisten vor. Während beim ersteren vor jeder politischen Entscheidung das Volk gefragt wird, wählt beim letzteren das Volk ein Parlament, wo dann die politischen Entscheidungen durch Abgeordnete getroffen werden; d.h. die sog. Volkvertreter repräsentieren im Parlament die Interessen des Volkes. Für den Bürger bedeutet also die Demokratie die gleiche politische Freiheit für jedermann.2

Es stellt sich auch die Frage, ob die Meinung der Mehrheit auch die der Minderheit sein kann, wenn vor allem die Mehrheit gerade mit knappen 51% zu 49% regiert. Fraglich ist auch an dieser Stelle, inwiefern Rousseau auf diese Problematik eine Antwort liefert. Gerade dies ist die Problematik mit der ich mich in dieser Arbeit auseinandersetze.

B. Das parlamentarische Mehrheitsprinzip

Das parlamentarische Mehrheitsprinzip beschreibt jenes System, wobei die Regierungsaufgaben von jener Partei bekleidet werden, welche die Stimmen mehrheitlich bei den Parlamentswahlen errungen hat.

I. Parlamentarismus

Der Parlamentarismus ist eine Regierungsform der Demokratie. Der eigentliche Sinn und Zweck des Parlamentarismus liegt darin, den Prozess der geschichtlichen Auseinandersetzung in Verfahrensregeln einzubinden und „dadurch zu befrieden, um ihn vor einer freiheitszerstörenden Radikalisierung zu bewahren“3.

Ursprünglich betrachtete man das Parlament als den Ort der Besprechung oder Beratung über einen konkreten Diskussionsgegenstand.4

In der heutigen, modernen Zeit gilt das Parlament als Ort des Diskurses und der politischen Entscheidungsfindung, um diese dann der Öffentlichkeit zu übertragen.5 Folglich kann behauptet werden, dass die Bedeutung sich in ihrer Entwicklung fortgeführt hat und sich kaum verändert hat.

Das Zustandekommen des Parlaments liegt in den Händen des Volkes, dies ist jedoch erst im modernen Zeitalter der Fall gewesen, vorher galt sie lediglich als Vertretung des Monarchen, letzterer hat sogar selbst bestimmt, wer Teil des Parlaments wird und wer nicht.6 Was früher durch Monarchen bestimmt wurde, bestimmt nun das Volk in Form von Wahlen, welche in einem demokratischen Staat abgehalten werden, um das Volk durch Repräsentanten im Parlament vertreten zu lassen.7

Doch dies führt dazu, dass man das Parlament zu einem Ort der Entstehung von Konflikten nennen darf, denn aus den Wahlen heraus entsteht immer eine Mehrheit und Minderheit im Parlament. Die Mehrheit setzt seine Interessen durch und die Minderheit wird dabei vernachlässigt und hat selbst keine bzw. wenig Möglichkeiten seine Interessen durchzusetzen. Dies führt folglich zu Konflikten und Probleme innerhalb des Parlaments. Fraglich ist, ob hier noch von einer Demokratie gesprochen werden kann, wenn nicht auch die Interessen der Minderheit in der Entscheidungsfindung Beachtung finden.

Im Ergebnis verfolgen die Mehrheit als auch die Minderheit im Parlament zu meist unterschiedliche politische Interessen.8

II. Das Mehrheitsprinzip

Der Begriff der Mehrheit beschreibt eine eindeutige Verhältnisbestimmung zwischen verschiedenen Parteien9, deren Sieg oder Niederlage von der Höhe der errungenen Stimmen abhängt. Das Mehrheitsprinzip findet sowohl im Wahlsystem als auch bei den Abstimmungen im Parlament Anwendung. Diejenige Partei, welche nach den errungenen Stimmanzahl im Vergleich mit den anderen Parteien die meisten erhalten hat, gewinnt logischerweise die Wahl und bildet die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament, d.h. im Umkehrschluss, dass sie ein Stimmenübergewicht hat und könnte demnach alle Entscheidungen selbst treffen, ohne dabei auf die Stimmen der Opposition (Minderheit) angewiesen zu sein.

Eines der wichtigsten Merkmale der Demokratie ist das gemeinsame Treffen von Entscheidungen. Dies erfolgt zumeist über Verhandlungen zwischen den Parteien im Parlament, dabei wird zunächst so verhandelt, dass alle Interessen berücksichtigt werden. Ziel der Verhandlungen ist dabei das Zustandekommen eines gemeinsamen Nenners.10 Wird durch den Beteiligten jedoch keine Einigung erzielt, so entscheidet die Partei mit den mehrheitlich erhaltenen Stimmen die Angelegenheit, welche zugleich meistens die Regierung bildet, im Parlament und dies bezeichnet man als Prinzip der Mehrheit.11

Beim Mehrheitsprinzip handelt es sich um ein formales Mittel, um am Ende des Diskurses eine gemeinsame Entscheidung zu finden.12 Die Entscheidungen der Mehrheit sind grundsätzlich von der Minderheit zu akzeptieren, dies heißt jedoch nicht, dass die Mehrheit willkürlich handeln darf13, sondern dieser hat bei seinen Handlungen und der Entscheidungsfindung rechtsstaatliche Prinzipien zu beachten14 und vor allem Rechte der Minderheit zu respektieren15.

Wie die Demokratie tritt auch das Mehrheitsprinzip in verschiedenen Formen auf. Dabei unterscheidet man zwischen der qualifizierten, absoluten und einfachen Mehrheit, welche der Formen zur Anwendung kommt, hängt vom jeweiligen Staat und dessen Verfassung ab. Klar ist jedoch, dass je höher die Anforderungen an die Mehrheit sind, desto mehr Einfluss die Minderheit erlangt, welcher dann selbst die Möglichkeit hat die Mehrheit zu bilden.16

1. Geschichtliche Entwicklung

Geschichtlich gesehen kam das Mehrheitsprinzip schon früh in der Antike zur Geltung auch wenn sie teils von Tyrannen und Alleinherrscher verdrängt wurde.17 Bereits bei den antiken Griechen waren Grundzüge des Mehrheitsprinzips zu beobachten, auch wenn es mit dem heutigen Verfahren nicht vergleichbar gewesen ist. Als Methode für die Abstimmungen galten Formen wie des Zurufens, Handzeichens oder des Stimmzeichens.18

Etwas später wurden bei den deutschen Königswahlen das Zusammenschlagen der Waffen als Mittel der Stimmabgabe genutzt.19

In religiöser Hinsicht galt das Mehrheitsprinzip in der frühen europäischen Geschichte als eine Art Gottesurteil gesehen.20 All diese Formen des Mehrheitsprinzips sind jedoch nicht vergleichbar mit dem heutigen Verständnis des Mehrheitsprinzips.

2. Formen des Mehrheitsprinzips

Das Mehrheitsprinzip kommt wie bereits erwähnt in verschiedenen Formen vor. Bei der Unterscheidung greift man auf die Zahl der Stimmen zurück, die die Mehrheit als regierungsfähig begründen soll. Man unterscheidet dabei zwischen der relativen, einfachen, absoluten und der qualifizierten Mehrheit.

Die relative Mehrheit stellt im Gegensatz zu den anderen Formen recht geringe Anforderungen. Hier hat diejenige Alternative von mehreren gewonnen, die vergleichsweise die meisten Stimmen erhalten hat, wichtig ist hierbei, dass die gewonnen Alternative „nicht die Mehrheit der Abstimmenden erringen muss“21, sprich erhält bei Partei A 40% und B und C jeweils 30% so hat Partei A die Wahlen gewonnen, obwohl im Prinzip 60% gegen die vermeintliche Mehrheitspartei sind.

Bei der einfachen Mehrheit reicht es aus, „wenn mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen abgegeben werden“22, hierbei existieren nur die Wahl zwischen zwei Alternativen; bei der absoluten Mehrheit müssen mind. 50,01% der Stimmen erreicht werden und bei der qualifizierten Mehrheit sind zwei Drittel der Stimmen oder auch ein ¾ Quorum23 erforderlich, letzteres findet zu meist bei Verfassungsänderungen Anwendung24.

Dabei kann davon ausgegangen werden dass, das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit „demokratischer“ scheint als die anderen Formen, wobei es dahinstehen kann, ob es tatsächlich der Fall ist, wenn die Minderheit in den jeweiligen Systemen ausreichend geschützt sind und mit gewissen Freiheits- und Grundrechten ausgestattet sind.

3. Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips

Es fragt sich zunächst, weshalb und wo das Mehrheitsprinzip ausreichend rechtfertigt wird, d.h. wie kommt es dazu, dass das Mehrheitsprinzip vom Volk bzw. vor allem von der Minderheit akzeptiert wird.

Die Legitimität der Mehrheitsprinzips wurde erst durch den modernen Verfassungsstaat ermöglicht, da hier der Minderheit erstmals Rechte zugesprochen wurden und der Mehrheit Grenzen aufgezeigt wurden.25

Einerseits kann angenommen werden, dass gerade die Mehrheit aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit26 am ehesten dran ist bei einer politischen Auseinandersetzung eine richtige und vernünftige Entscheidung zu treffen, dabei trifft folglich die Mehrheit „[…] das beste Urteil der Gemeinschaft bzgl. einer bestimmten Angelegenheit […]“27.28 Die größte Zahl wird vom Volk eher akzeptiert als die kleinste bzw. der niedrigsten, generell gilt, dass die staatlichen Ordnungen erst bei Vorhandensein einer Mehrheit akzeptiert werden.29

Des Weiteren ist mit der Mehrheitsentscheidung ein effizientes Parlament vorhanden, was vor allem bei Gesetzgebungen von Vorteil ist, damit wird auch eine Zersplitterung innerhalb des Parlaments verhindert.30

Wichtig ist für die Rechtfertigung der Mehrheit, dass diese auch von der Minderheit akzeptiert wird. Ohne Akzeptanz würde sowohl die Mehrheit als auch die Minderheit politisch stark darunter leiden, am Ende wären sie die Verlierer, denn das Volk ist jeder Zeit im Stande eine neue Mehr- bzw. auch Minderheit zu wählen.31 Daher wäre es der Mehrheit sogar ratsam, wenn es von einigen seiner Kompetenzen bei bestimmten Entscheidungen absieht und dafür „[…] Rücksicht auf die Wünsche der Minderheit nimmt“32. Eine gesunde Konkurrenz ist für beide Seiten wichtig.

4. Die parlamentarische Minderheit

Die parlamentarische Minderheit ist diejenige Partei bzw. sind diejenigen Parteien, welche bei Parlamentswahlen gegen die Regierende Partei verloren haben und somit zahlenmäßig der siegreichen Partei unterlegen sind. Für die Existenz der Minderheit wird somit eine Mehrheit vorausgesetzt; beide Seiten stehen in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis.

Die Minderheit ist neben der parlamentarischen Mehrheit in den jeweiligen Parlamenten ein wichtiger Akteur für die politische Meinungsbildung des Volkes sowie für die Entscheidungsfindung innerhalb des Parlaments33.

a. Schutz und Rechte der parlamentarischen Minderheit

Die Existenz der Minderheit ist durch die Mehrheit gegeben. Sie vertritt eine nicht unbedeutende Anzahl des Volkes im jeweiligen Parlament, daher ist es wichtig diesen Rechte und Freiheiten einzuräumen. Infrage kommen vor allem die Gleichberechtigung bei den Wahlen sowie der Schutz Freiheit des Einzelnen.34 Als Gegenakteur der Mehrheit und vor allem der Regierung muss sie umfangreich durch die Verfassung geschützt werden und mit Rechte versehen werden35 ; ihnen soll vor allem auch eine Entscheidungsgewalt zu kommen.36

Das einfachste Recht der Minderheit wäre folglich, dass diese bei einer Entscheidung seine Zustimmung verweigert, doch diese wäre numerisch für die Entscheidung irrelevant, weil sich die Mehrheit aufgrund ihrer numerischen Überlegenheit durchsetzen kann, wird jedoch eine qualifizierte Mehrheit erforderlich, so hat die Nichtzustimmung der Minderheit ein hohes Gewicht.

Abgesehen davon, kommen der Minderheit noch andere Verfassungsrechte zu wie etwa in der Einräumung von Antragsrechten, Rederechten und Einspruchsrechten. Dadurch kann die Minderheit ihre Vorstellungen in das Verfahren und gegebenenfalls auch in die Entscheidung selbst einbringen.37

Damit findet das Mehrheitsprinzip seine Grenzen größtenteils in den Grundsätzen des Rechtsstaats und seinen Ausprägungen sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht, daher dürfen Mehrheitsentscheidungen sich also nicht über die vom Verfassungsrecht festgelegten Grundvorstellungen über Richtigkeit, Vernünftigkeit und Gerechtigkeit politischer Entscheidungen hinwegsetzen. Der demokratische Verfassungsstaat vertraut demnach Gerechtigkeit und politische Vernünftigkeit nicht schlechthin der Mehrheit an.

[...]


1 Ritter, Recht und Staat, S.3.

2 Küpper, ZJS 2009, 477 f.

3 Mergel, Parlamentarismus, S. 67.

4 Kluxen, Parlamentarismus, S. 17.

5 Mergel, Parlamentarismus, S. 35.

6 Mergel, Parlamentarismus, S. 36 ff.

7 Behnke, Wahlen und Wahlsysteme, S. 57.

8 Mergel, Parlamentarismus, S. 38.

9 De Matos, Volkssouveränität, S. 55.

10 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 141.

11 Badura, Staatsrecht, D 8.

12 Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S.13.

13 Vgl. Morrison, Regierung und Parlament in England, S. 123 ff.

14 Katz, Staatsrecht, Rn. 151.

15 So Jellinek, Das Recht der Minorität, S. 4 ff.

16 Jellinek, Das Recht der Minorität, S.32.

17 Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S.42.

18 Nohlen, Wahlsysteme der Welt, S. 50 ff.

19 Mitteis, Die deutsche Königswahl, S. 308 ff.

20 Jellinek, Recht der Minoritäten, S. 5.

21 Helfen, Die Kritik am Mehrheitsprinzip Bd. I, S. 94, 95.

22 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 651.

23 De Wall, in: HRG, Band I, Sp. 38- 43.

24 z.B. Art. 42 I 2 GG.

25 Guggenberger/Offe, in: An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, S. 10.

26 Vgl. Aristoteles, Politik, 1281 b, 1286 a.

27 Hallowell, The Moral Foundation of Democracy, S. 120 f.

28 Zippelius, Zur Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips in der Demokratie, S. 9.

29 Zippelius, Zur Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips in der Demokratie, S. 13.

30 Kriele, Staatslehre, S. 188 ff.

31 So auch Kersten, Der Staat, S. 239.

32 Zippelius, Zur Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips in der Demokratie, S. 6.

33 So auch Jellinek, Recht der Minoritäten, S. 10.

34 Redlich, Recht und Technik des englischen Parlamentarismus, S. 66 ff.

35 Vgl. Jellinek, Recht der Minoritäten, S. 3 ff.

36 Jellinek, Recht der Minoritäten, S. 9.

37 Jellinek, Recht der Minoritäten, S. 9.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Englisches Mehrheitsprinzip im Vergleich zur volonté générale
Université
University of Frankfurt (Main)
Cours
Parlamentarismus
Note
7,0
Auteur
Année
2020
Pages
19
N° de catalogue
V519925
ISBN (ebook)
9783346115676
ISBN (Livre)
9783346115683
Langue
allemand
Mots clés
englisches, mehrheitsprinzip, vergleich
Citation du texte
Feryat Erdogan (Auteur), 2020, Englisches Mehrheitsprinzip im Vergleich zur volonté générale, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/519925

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Englisches Mehrheitsprinzip im Vergleich zur volonté générale



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur