Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zum Demokratiebegriff
2.1 Ursprung und Entstehung
2.2 Begriffsklärung Demokratie
3. Grundgedanken des demokratischen Systems
3.1 Rechtsstaatlichkeit
3.2 Partizipation und Inklusion
4. Die Schattenseiten der Demokratie
4.1 Herausforderungen und Risikofaktoren
4.2 Soziale Konflikte und Gewaltpotenzial
5. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Die Demokratisierung des Staates fördert bei allen edlen Seelen die Heilighaltung von Recht und Gesetz, bei unedlen dagegen verleitet sie die Pöbelherrschaft und Anarchie.“ (Wilhelm Roscher, 1817 – 1894, dt. Nationalökonom)
Alle Staatsgewalt geht von den Bürgerinnen und Bürgern aus. So besagt das Prinzip der Demokratie und verweist damit auch an das Vorbild der Volksherrschaft aus der griechischen Antike. Der demokratische Grundgedanke ist damals wie auch heute unverändert: Die Alleinherrschaft abschaffen, den Staatsbürgern durch Partizipationsmöglichkeiten die Mitsprache bei gesellschaftlichen Entscheidungen zusprechen und so den Wunsch nach persönlicher Interessenvertretung ermöglichen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich die Demokratie als primäre und erfolgreichste Form der Staatsorganisierung und Staatsregierung durchgesetzt.
Dennoch scheinen sich die demokratischen Voraussetzungen mit der Zeit zu wandeln. Immer häufiger hört man von sinkenden Zahlen bei Wahlbeteiligungen und neuen Tiefst-Rekorden bei der bürgerlichen Beteiligung an politischen Entscheidungen – weit verbreitet zeigen sich Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit. Offensichtlich hat ein Wandel in der Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber dem Regierungsapparat und den politischen Vertretern, und somit letztlich gegenüber der Demokratie selbst, stattgefunden. Negativbeispiele wie öffentliche Ausschreitungen oder Streiks machen den Unmut vieler Menschen sichtbar und verdeutlichen gleichzeitig die Herausforderungen, vor die sich die Politik gestellt sieht. Denn der Versuch, diesen Spagat zwischen gegensätzlichen gesellschaftlichen Interessen zu bewältigen, stellt besondere Anforderungen an die Demokratie. Wo die Interessen der einen Gruppe umgesetzt werden, werden die Interessen anderer Gruppen vernachlässigt. Hier zeigt sich schnell das Paradoxon und damit die Schattenseiten der Demokratie: Obwohl sich die Demokratie als Herrschaft des Volkes versteht ist es ihr meist nicht möglich, die Interessen aller Mitglieder eines politischen Systems gleichermaßen zu vertreten.
Wie genau sich diese Schattenseiten der Demokratie äußern und welche negativen Folgen demokratische Entscheidungen haben können, ist Inhalt dieser Arbeit. Dazu erfolgt im ersten Teil eine Begriffsbestimmung des Demokratiebegriffs und dessen Voraussetzungen und Dimensionen. Anschließend werden die Schattenseiten der Demokratie beleuchtet, die demokratische Entscheidungen mit sich bringen. So sollen letztlich die Gründe für das Ausmaß an Unzufriedenheit gegenüber der Politik erklärt werden.
2. Zum Demokratiebegriff
Die Volksherrschaft der griechischen Antike war und ist noch immer Vorbild für die heutige moderne Demokratie. Allerdings haben sich die Grundgedanken der politischen Ordnung seither stark gewandelt und so hat die ursprüngliche athenische Form der Demokratie mit unseren heutigen Vorstellungen nicht mehr allzu viel gemein. Fehlende Repräsentativsysteme und Institutionalisierung der Regierungsarbeit sowie mangelnde Qualifikationen von Regierungsvertretern, wie es in der Antike der Fall war, würde heute tiefes Misstrauen in der Bevölkerung hervorrufen.1 Veränderungen zeigen sich heute vor allem in Form der repräsentativen Demokratie, durch den stark gestiegenen Anteil an Teilhabeberechtigen an der Gesamtbevölkerung (Frauenwahlrecht) und durch die Herausbildung von Parteien und Verbänden als Organe zur persönlichen Anteilnahme am politischen Geschehen, die gleichzeitig auch als Vermittler zwischen Volk und politischer Führung fungieren.
Doch das zugrundeliegende Prinzip ist unverändert: der Anspruch liegt darin, die Herrschaft im Staat auf die politische Gleichheit der Staatsbürger zu verpflichten und so das Prinzip der Autonomie des Einzelnen mit dem Prinzip der Gleichheit miteinander zu vereinen. Demokratie sei damit verstanden als „government of the people, by the people, for the people“2, vom Volk ausgehende Herrschaft, die anhand des kollektiven Interesses des Volkes durch das Volk selbst ausgeübt wird.
2.1 Ursprung und Entstehung
Der Ursprung der Demokratie liegt im antiken Griechenland. In Athen entwickelte sich die Demokratie ohne spezifische politische Theorien oder Modelle als völlig neue Ausprägung des sozialen Miteinanders und wurde damit zur ersten demokratischen Staatsform der Weltgeschichte, die sich selbstständig unter den sie bedingenden Voraussetzungen herausbildete.3 Das dahinstehende Politikverständnis war so simpel, wie es revolutionär war: Ordnung auf dem Prinzip der Gleichheit. Zusammengesetzt aus dem Griechischen „demos“, Volk, und „kratein“, herrschen, basierte die politische Ordnung damit erstmals auf dem gerechten Handeln einer prinzipiell gleichgestellten Staatsbürgerschaft, der Volksherrschaft. Ein wesentlicher Grundgedanke war somit die Möglichkeit der Partizipation aller (damals noch ausschließlich) männlichen, mündigen Bürger, die in der Volksversammlung (gr. „Ekklesia“) zusammenkamen und Entscheidungskompetenzen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens auf sich vereinigten: Unter anderem Wahlen, Gesetzgebung, Entscheidungen zur inneren und äußeren Sicherheit, Kontrolle von staatlichen Organisationen und soziale Maßnahmen für die Bevölkerung zählten zu diesen Kompetenzen. Jeder Bürger, unabhängig von Bildung oder Qualifikationen, konnte sich an der Verwaltung innerhalb des Staates beteiligen, wodurch auch der Gleichheitsgedanke unterstrichen wurde und ein hoher Grad der Politisierung erreicht wurde.4 So wurden letztlich alte Bindungen und Systeme gelöst und mit neuen, durch das Volk ausgeübte und damit partizipative und dynamische Verhältnisse ersetzt. Nicht zuletzt die Tatsache, dass durch diese neuen Strukturen der Gleichberechtigung und des Mitspracherechts am öffentlichen und sozialen Geschehen die menschlichen Grundbedürfnisse befriedigt wurden, führte dazu, dass sich die Demokratie in ihrer Ausrichtung zur dominanten Staatsform entwickelte.
2.2 Begriffsklärung Demokratie
Basierend auf dem geschichtlichen Hintergrund ist selbsterklärend, dass die Demokratie heute allgegenwärtig ist – nicht nur mit Blick auf spezifische politische Prozesse im engeren Sinn, sondern allgemein mit Blick auf Entscheidungsfindungs und Mitbestimmungsprozesse im sozialen Miteinander. Verständlich ist daher auch, dass sich eine exakte Definition des Demokratiebegriffes als ausgesprochen schwierig gestaltet, denn das, was die Demokratie ausmacht, muss umstritten sein, da diese Organisation von Interessenkonflikten und unterschiedlichen Meinungen über das politische System und das soziale Miteinander selbst zum politischen Diskurs gehören.5
Dennoch lassen sich allgemeine Grundideen des demokratischen Systems auf einige Aspekte aufschlüsseln, die Teil jeder Demokratie sind: Die Demokratie beruht auf dem Zusammenwirken von informeller Meinungsbildung und verfasster Willensbildung, auf der Kooperation parlamentarisch-repräsentativer und Verständigungsprozesse im außerparlamentarischen, gesellschaftlichen Bereich.6
Seymour Martin Lipset und Jason M. Lakin bezeichnen die Demokratie in ihrer Minimaldefinition als ein institutionelles Abkommen, das allen mündigen Bürgern die Möglichkeit einräumt, durch freie und faire Wahlen Einfluss auf die Gesetzgebung und politische Prozesse zu nehmen.7 Ein demokratisches System ist demnach gekennzeichnet durch das Ziel der Schaffung eines gemeinsamen und dynamischen Wertesystems, welches aufgrund von Möglichkeiten der Partizipation, Integration und Inklusion gesellschaftlich akzeptiert ist. Diese Bedingungen eines demokratischen Systems werden im kommenden Abschnitt genauer betrachtet.
3. Grundgedanken des demokratischen Systems
Demokratische Systeme gründen sich auf die demokratische Grundordnung, die zwar unterschiedliche Ausprägungen zeigen kann, im Normalfall jedoch ähnliche Prinzipien vertritt. Die Selbstbestimmung des Volkes, Gleichheit und Freiheit unter Ausschluss jeder Gewalt und Willkürherrschaft und der Einhaltung der Menschenrechte sind nur einige Begriffe, die unter diesen demokratischen Prinzipien zusammengefasst werden. Schutz durch Rechtsstaatlichkeit, die Einhaltung sozialer Grundrechte durch Inklusion und die partizipativen Möglichkeiten, die den Bürgerinnen und Bürgern die Chance geben, an politischen Prozessen und Entscheidungen teilzunehmen, können gewissermaßen als Prämissen der Demokratie bezeichnet werden. Denn diese Rechte schaffen den Raum für den Austausch von Informationen und politischen Meinungen und sind als Basis für den Prozess freier Kommunikation und Interaktion von politisch Handelnden für das demokratische System unabdingbar.8
3.1 Rechtsstaatlichkeit
Gründend auf den Ausführungen Robert A. Dahls zum Verhältnis von Demokratie und Verfassung lassen sich nach Theo Schiller die folgenden fünf für jedes demokratische System unverzichtbaren Prinzipien herauskristallisieren:
1. Grundlegende Menschenrechte für alle Bürger einschließlich Minderheitenschutz, zugleich: Begrenzung der Staatsfunktionen;
2. Offenheit der Machtstruktur, politischer Wettbewerb, Machtkontrolle;
3. Politische Gleichheit;
4. Transparenz und Rationalität der Entscheidungsprozesse und Entscheidungen;
5. Politische Effektivität (Handlungs und Steuerungsfähigkeit).9
Die Erhaltung und Durchsetzung dieser demokratischen Prinzipien ist Aufgabe des Rechtsstaates. Damit ist die Rechtsstaatlichkeit eine der wichtigsten Forderungen an ein politisches Gemeinwesen und dient der allgemeinen Kultivierung der Demokratie.
Das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat ist damit eindeutig geregelt: Beide stehen weder im Gegensatz, noch im Verhältnis des zufälligen Nebeneinanders, sondern vielmehr in einer notwendigen Wechselbeziehung, die durch die gegenseitige Abhängigkeit charakterisiert ist. Die Basis dieser Wechselbeziehung von Demokratie und Rechtsstaat bilden die Menschenrechte. Nicht zuletzt aus diesem Grund muss der Staatsapparat regelmäßig die eigene Legitimation rechtfertigen und das Verhältnis von Recht und Machtausübung im Kontext des Gemeinwohls verdeutlichen. Denn die politische Herrschaft ist damit an inhaltliche Vorgaben gebunden und im sozialen Rechtsstaat zudem auf die grundsätzliche Zustimmung der Beherrschten angewiesen. Erst aus diesem sinnhaften Nebeneinander von Demokratie und Rechtsstaat resultiert die notwendige Legitimation.10
Der Anspruch an einen Rechtsstaat sind demnach stabile, die gesellschaftliche Realität strukturierende Regierungssysteme, die die Grundrechte der Staatsbürger sichern und demokratische Partizipationsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Erhaltung der Menschenrechte gewährleisten sollen.
3.2 Partizipation und Inklusion
Mit Partizipation wird das bewusste Mitwirken an politischen Prozessen und Entscheidungen bezeichnet. Durch die Möglichkeiten des öffentlichen Austausches von Wertvorstellungen und politischen Standpunkten werden so die Wege zu umfassenden Diskussionen um bürgerliche Öffentlichkeit und parlamentarische Demokratie geöffnet. Bürgerinnen und Bürger sind in diesen politischen Diskursen als freie, gleichberechtigte Individuen zu sehen, die das Recht und die Zugänge zu politischen Entscheidungen haben und so das Gemeinwesen aktiv mitgestalten, indem sie an gesellschaftlichen Prozessen und Entscheidungen mitwirken können.11 Partizipation bedeutet demnach, dass im Optimalfall unter der Berücksichtigung der individuellen Interessen einer Einzelperson kollektive Entscheidungen getroffen werden. Um die Verantwortlichkeiten der Beteiligung zu verdeutlichen, die mit politischer Partizipation einhergehen, sind vor allem folgende Punkte zu beachten:
1. Die Gestaltung der Informationen über Partizipationsmöglichkeiten sollte möglichst gut zugänglich und verständlich sein, sodass die Bedeutung für die jeweilige Zielgruppe klar und verständlich ist;
2. Partizipation sollte auf Basis von persönlichen Ressourcen aufbauen, sodass eine individuelle demokratische Beteiligung ermöglicht wird;
3. Durch die Reflexion der Einflussnahme werden den Beteiligten die Auswirkungen ihrer Partizipation verdeutlich und ermöglicht die politische und persönliche Weiterentwicklung.12
Zu beachten ist jedoch, dass diese politische Partizipation zielführend sein muss und zum Zweck von politischer Stabilität und Qualität auf Wahlen beschränkt werden muss, um Politik effektiv und rational gestalten zu können. Zudem muss ein fairer und offener Wettbewerb um politische Ämter und Macht im Rechtsstaat garantiert werden, sodass ein ausreichender Raum für die politische Partizipation geöffnet wird, um eine erfolgreiche repräsentative Demokratie hervorzubringen und das Interesse der Bürgerinnen und Bürger, sich in politischen Prozessen engagieren, zu steigern.13
[...]
1 Vgl. Frevel; Voelzke 2017, S. 18 f.
2 Ebd., S. 7
3 Vgl. Tsigarida 2006, S. 9
4 Vgl. Rebenich 2006, S. 16 ff.
5 Vgl. Salzborn 2012, S. 7
6 Vgl. Vorländer 2003, S. 115 f.
7 Vgl. Lakin; Lipset 2004, S. 19 f.
8 Vgl. ebd., S. 110
9 Vgl. Berg-Schlosser; Giegel 1999, S. 30 f.
10 Vgl. Unger 2008, S. 8 ff.
11 Vgl. Moser 2010, S. 71 f.
12 Vgl. ebd., S. 73 f.
13 Vgl. Krell; Mörschel 2012, S 93 f.