Kriegserinnerungen und Teilöffentlichkeiten. Nationale Konflikte im Lemberg der Zwischenkriegszeit


Dossier / Travail, 2004

14 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Lemberg bis 1772

2. Lemberg unter den Habsburgern

3. Krieg und Bürgerkrieg

4. Erinnerungskultur und städtische Öffentlichkeiten

Schluß

Literaturverzeichnis

Einleitung

Lemberg, Lwów, L`viv – zu allen Zeiten wurde die Stadt, von der hier die Rede sein soll, von Einwohnern und Belagerern, von Händlern und Reisenden, Herrschern und Beherrschten mit jeweils eigenen Namen bedacht. Ich habe mich im Rahmen dieses Aufsatzes für die durch-gehende Verwendung des deutschen Namens Lemberg entschieden, da mir dieser im Gegen-satz zum polnischen Lwów oder ukrainischen L`viv neutraler erschien und einer eventuellen Parteinahme im Konflikt, um den es hier gehen soll, vorbeugt.

Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte der Stadt bis 1772 und unter den Habs-burgern bis 1914, wende ich mich dem polnisch-ukrainischen Kampf um Lemberg im Herbst 1918 zu, um dann mein Augenmerk auf die verschiedenen Erinnerungskulturen und städti-schen Öffentlichkeiten der Zwischenkriegszeit zu legen, die ich anhand zweier Thesen von Christoph MICK und von Anna Veronika WENDLAND beleuchten möchte.

MICK behandelt Lemberg als Fallbeispiel für Totengedenken und die Konstruktion nationaler Identitäten über Totenkult und Kriegsdeutung, die sich in osteuropäischen Staaten kompli-zierter als in westeuropäischen vollziehen würden, da „ethnische und religiöse Konflikte die Leistungsfähigkeit herkömmlicher Symbole überforderte(n)“[1].

In enger Verbindung dazu steht WENDLANDS These von Lemberg als einer Stadt mit nationalisierten, „durch ethnisch-konfessionelle Identitätskonstrukte vorstrukturierte(n), teil-weise voneinander abgeschottete(n) Teilöffentlichkeiten“[2].

Am Schluß soll ein kurzer Ausblick auf zweiten Weltkrieg und Entwicklung bis zur Gegen-wart stehen.

1. Lemberg bis 1772

Lemberg wurde um 1250 als Bollwerk gegen die Mongolen von dem ruthenischen Fürsten Danylo Romanovyč gegründet, der gerade die Fürstentümer Volhynien und Halyč unter seiner Herrschaft vereinigt hatte. Schon früh erfolgte, bedingt durch die günstige Lage am Kreuzungspunkt wichtiger Handelsstraßen und gefördert durch ruthenische Fürsten, die An-siedlung von Deutschen, Italienern, Griechen, Polen, Armeniern, Juden, Tataren u.a.[3].

Diese Entwicklung verstärkte sich seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, als die Stadt unter König Kazimierz III dem polnischen Königreich einverleibt wurde und da für die folgenden 400 Jahre auch verbleiben sollte. Häufig wurde von polnischer dieser Zeitpunkt als zweite, eigentliche und wichtigere Gründung Lembergs gesehen, das seit damals stets seinen dezidiert polnischen Charakter bewahrt hätte und niemals Zweifel an seiner Zugehörigkeit zu Polen hat aufkommen lassen[4].

Unter der Herrschaft Kazimierz erlebte die Stadt einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung, begünstigt durch das 1356 verliehene Magdeburger Stadtrecht, das Lemberg bedeutende Privilegien sicherte.

In den folgenden Jahrhunderten begründete sich der Mythos Lembergs als Bollwerk der westlichen (in diesem Falle polnisch-litauischen) Zivilisation und des Christentums gegen barbarische Horden jeglicher Couleur aus dem Osten. Die Stadt war periodisch wieder-kehrenden Belagerungen durch Tataren, Kosaken, Türken u.a. ausgesetzt, denen es aber nicht gelang, Lemberg einzunehmen, und von denen sich die Einwohner häufig durch Zahlung hoher Summen befreien mußten[5].

Diese Lösegeldzahlungen trugen (neben den neuen Seehandelswegen) nicht unwesentlich zum allgemeinen Niedergang Lembergs im 18. Jahrhundert bei, ebenso wie 1704 die Einnah-me und Plünderung durch die Schweden[6].

1772 schließlich wurde die Stadt im Rahmen der ersten Teilung Polens dem Habsburger Reich einverleibt und zur Hauptstadt des neu gebildeten Kronlandes Galizien und Lodomerien erkoren[7].

2. Lemberg unter den Habsburgern

Nach Jahrzehnten des Niedergangs erlebte Lemberg unter der kaiserlich-königlichen Herr-schaft einen neuen Aufschwung, sowohl in wirtschaftlicher als auch in kultureller Hinsicht, einhergehend mit der Umwandlung in eine austro-deutsche Stadt mit österreichisch-ungarischer Beamtenschaft und deutsch als offizieller Amts- und Unterrichtssprache.

Konflikte in dieser Zeit (z.B. 1848) spielten sich vor allem zwischen den Einwohnern (Polen, Ruthenen und Juden gleichermaßen) auf der einen und der neoabsolutistischen Zentralre-gierung auf der anderen ab. Der deutsch-polnische Gegensatz spielte eine wichtigere Rolle als ethno-religiöse Zuordnungen[8].

Im Zuge verschiedener Reformen und Umstrukturierungen der Habsburger Monarchie, er-langten Galizien und dessen Hauptstadt seit 1867 einen autonomen Status mit umfangreichen Selbstverwaltungsrechten und Vorherrschaft der polnischen Bürgerschaft und des Adels. War das Erscheinungsbild Lembergs bis dahin austro-deutsch dominiert, so erfolgte nun ein allmählicher „Polonisierungsprozeß“ der vor allem von konservativen ostgalizischen Gutsbe-sitzern und polnischen Nationaldemokraten getragen wurde und der sich in den 1880er/90er Jahren noch verstärkte[9].

Polnisch verdrängte Deutsch als Amts-, Bildungs- und Umgangssprache, Straßen und Plätze wurden polnisch umbenannt, Denkmäler für polnische Helden, Dichter und Politiker errichtet[10]. Polen stellten die geistige und wirtschaftliche Elite der Stadt und verschafften Lemberg den Ruf der kulturellen Hauptstadt aller drei Teile des getrennten Polens[11]. Landtag, Universität und öffentliche Ämter waren polnisch dominiert, der Gouverneur meist ein Pole.

Auch die jüdischen Eliten strebten nun nicht mehr die Assimilation ans Deutschtum an, sondern wurden, wie auch ein großer Teil der Deutschen in Lemberg selbst, „polonisiert“[12].

Demgegenüber erwuchs aus dem ins Abseits gedrängten ruthenischen Bevölkerungsteil seit den 1870er Jahren eine ruthenisch-ukrainische Nationalbewegung, die zu Beginn haupt-sächlich von der griechisch-katholischen (unierten) Kirche, der die meisten Ruthenen an-hingen und über die sie sich als Ruthenen definierten, getragen wurde, aber auch zunehmend unter der ruthenischen Intelligenz Fuß faßte[13]. Russophile (im Rahmen panslawistischer Ideen einen Anschluß an Rußland anstrebende) und ukrainophile oder nationalpopulistische (einen eigenen ukrainischen Staat propagierende) Gruppen schufen sich ethnische Enklaven, wie z.B. 1864 das „Narodni Dom“, die Shevchenko-Gesellschaft, eine eigene Bank und Ver-sicherungsgesellschaft, ein ruthenisches Nationalmuseum, eigene Cafes usw. Lemberg war keine ukrainische Stadt, aber die „Hauptstadt der ukrainischen sozialen Mobilisierung“ mit zahlreichen Institutionen und Sitz des griechisch-katholischen Metropoliten[14]. Das „nationale Erwachen“ der Ruthenen erfolgte dabei hauptsächlich über Bildungsarbeit auf dem Land („Prosvita“-Gesellschaft) und radikalisierte sich als Reaktion auf den übertriebenen polni-schen Nationalismus. Erstmals traten Ruthenen bewußt als „Ukrainer“ auf[15].

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts spitzten sich die Auseinandersetzungen zu und wurden zunehmend gewalttätig ausgetragen, um schließlich im Streit über die Gründung einer ukrainischen Universität in Lemberg und 1908 der Ermordung des Gouverneurs Andrzej Potocki durch einen ukrainischen Studenten sowie anschließenden pogromartigen Ausschrei-tungen von polnischen Einwohnern gegen ukrainische Einrichtungen zu kulminieren[16]. Auf dem Lande bekamen die sozialen Konflikte zwischen polnischen Gutsbesitzern und ruthe-nischen Bauern eine nationalistische Komponente, Agrarstreiks und Angriffe auf erstere endeten häufig blutig[17]. Bis zum Beginn des Krieges 1914 gelang es trotz verschiedener Initiativen nicht, einen Ausgleich zwischen den verfeindeten Fraktionen zu erreichen[18].

Den höchsten Bevölkerungsanteil nach den Polen stellten jedoch nicht die Ruthenen, sondern die jüdische Gemeinde, die nach Wien eine der größten der Habsburger Monarchie war[19].

[...]


[1] Mick: 189.

[2] Wendland 2002: 150.

[3] Isabel Roeskau-Rydel, „Die Stadt der verwischten Grenzen“. Die Geschichte Lembergs von der Gründung bis zur ersten Teilung Polen (1772), in Fäßler u.a.: 18-20.

[4] z.B. Bailly: 10.

[5] Roeskau-Rydel: 22.

[6] Ebd.: 26.

[7] Ebd.: 40.

[8] Binder: 69.

[9] Mick: 191.

[10] Binder: 66.

[11] Mick: 191.

[12] Binder: 66; Mick: 192.

[13] Mick: 192.

[14] Wendland 2002: 153.

[15] Wendland 2003: 89; Rudolf A. Mark, „Polnische Bastion und ukrainisches Piemont“. Lemberg 1772-1921, in: Fäßler u.a.: 63-64.

[16] Wendland 2003: 89.

[17] Mick: 192.

[18] Ebd.: 193.

[19] Jerzy Holzer, „Vom Orient die Fantasie, und in der Brust der Slawen Feuer...“. Jüdisches Leben und Akkultu-ration im Lemberg des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Fäßler u.a.: 76.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Kriegserinnerungen und Teilöffentlichkeiten. Nationale Konflikte im Lemberg der Zwischenkriegszeit
Université
University of Leipzig
Cours
Die Erinnerung an Krieg, Genozid und Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts
Note
1,0
Auteur
Année
2004
Pages
14
N° de catalogue
V52083
ISBN (ebook)
9783638478861
ISBN (Livre)
9783656722939
Taille d'un fichier
490 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kriegserinnerungen, Teilöffentlichkeiten, Nationale, Konflikte, Lemberg, Zwischenkriegszeit, Erinnerung, Krieg, Genozid, Vertreibungen, Europa, Jahrhunderts
Citation du texte
Kay Ramminger (Auteur), 2004, Kriegserinnerungen und Teilöffentlichkeiten. Nationale Konflikte im Lemberg der Zwischenkriegszeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52083

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