Die Folgen des Rechtsbruches für das endliche Vernunftwesen in Fichtes Grundlage des Naturrechts von 1796


Seminar Paper, 2006

18 Pages, Grade: 16 Punkte (Sehr gut)


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Deduction
Die Deduction des Rechtsbegriffes - Die Entwicklung der Intersubjektivät
Die Entwicklung des Rechtsbegriffs

Der Übergriff in die fremde Freiheitssphäre
Die Folgen für das Anerkennungsverhältnis
Die Behandlung des Rechtsbrüchigen
Das über den Rechtsbruch hinaus geltende Denkgesetz
Das Verfahren nach dem Denkgesetz

Konsequenzen für die Interpretation der Strafrechtsbegründung Fichtes

Fazit

Die Folgen des Rechtsbruches für das endliche Vernunftwesen in Fichtes Grundlage des Naturrechts von 1796

„Wer den Bürgervertrag in einem Stücke verletzt, sey es mit Willen, oder aus Unbedachtsamkeit, da, wo im Vetrage auf seine Besonnenheit gerechnet wurde, verliert der Strenge nach dadurch alle seine Rechte als Bürger und als Mensch, und wird völlig rechtlos.“[1]

I. Einleitung

Fichte leitet das Kapitel „Ueber die peinliche Gesetzgebung“ (§ 20) mit einer aus dem Staatsbürgervertrag entwickelten Thesis ein:

„Wer den Bürgervertrag in einem Stücke verletzt, sei es mit Willen, oder aus Unbedachtsamkeit, da, wo im Vertrage auf seine Besonnenheit gerechnet wurde, verliert der Strenge nach dadurch all seine Rechte als Bürger, und als Mensch, und wird völlig rechtlos.“[2]. Diese Rechtlosigkeit wird in Fichtes Lehre später als das „schrecklichste Schicksal“[3] beschrieben, weil sie den vollständigen Rechtsverlust des Bürgers und somit schließlich gar den Verlust des Status einer Person in reziproken Anerkennungsverhältnissen bedeutet.[4]

Seine Thesis wird im darauf Folgenden auf Grundlage des in der Deduction Entwickelten bewiesen:

„Es hat jemand, zufolge des Rechtsbegriffs überhaupt, Rechte, lediglich unter der Bedingung, dass er in eine Gemeinschaft vernünftiger Wesen passe“.[5] Rechte lassen sich daher ausschließlich in einem reziproken Anerkennungsverhältnis denken. So ist das Verhältnis freier Wesen zu einander nach Fichtes Deduktion im ersten Teil des Naturrechts nothwendig eine Wechselwirkung von Freiheit und Intelligenz[6].

Eine selbstbewusste Existenz von Menschen, d.h. von vernünftigen oder zumindest vernunftfähigen Wesen, als Teil einer Gemeinschaft wird ausschließlich durch wechselseitige Anerkenntnis und das wechselseitige Einräumen von Freiheitssphären und deren Begrenzung möglich. Diese Beziehung nennt Fichte ein Rechtsverhältnis.

Fichte schreibt daher in § 12, in der Entwicklung vom Zwangsrecht zum Urrecht: „alles Rechtsverhältnis zwischen bestimmten Personen ist bedingt durch ihre wechselseitige Anerkennung durcheinander, durch dieselbe aber auch vollkommen bestimmt.“[7] Fichtes Begriff von einem Rechtsverhältnis ist eine wichtige Voraussetzung für seinen Beweis der Ausschließungs-These. Insbesondere der folgende Satz bringt dies klar zum Ausdruck: „Wer mit Willen sich gegen das Gesetz vergeht, [… oder], wer sich aus Unbesonnenheit dagegen vergeht, […] Bei beiden fällt die Bedingung der Rechtsfähigkeit weg, das Passen in eine Gesellschaft vernünftiger Wesen; sonach mit derselben das Bedingte; die Rechtsfähigkeit. Sie hören auf[,] Rechte zu haben. […]Jede Vergehung schließt aus vom Staate, (der Verbrecher wird vogelfrei, d. h. seine Sicherheit ist so wenig garantiert, als die eines Vogels, exlex, hors de la loi.)“[8].

Die vorliegende Arbeit soll unter Zugrundelegung Fichtes Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre von 1796 die Folgen des Vorgangs der Freiheitseinschränkung beim Rechtsbruch für die Qualitäten des endlichen Vernunftwesens im wechselseitigen Anerkennungsverhältnis, insbesondere unter Berücksichtigung des §3 der Deduktion des Rechtsbegriffes, genauer betrachten.

II. Die Deduction

Hierzu soll als Ausgangspunkt der Überlegung zunächst ein Überblick über Fichtes Deduction des Begriffes vom Rechte gegeben werden. Auch wenn eine grobe Zusammenfassung des Fichtschen Beweisgangs seiner tatsächlichen Leistung nicht angemessen erscheint, sei darauf verwiesen, dass ausführliche kritische Betrachtungen zu Fichtes Deduction bereits von anderen beschritten worden sind[9] und auch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein sollen.

1. Die Deduction des Rechtsbegriffes - Die Entwicklung der Intersubjektivät

Nach Fichte ist Intersubjektivität Bedingung des Selbstbewusstseins. Welche vernünftigen Gründe lassen sich finden die Existenz anderer Vernunftwesen anzunehmen und weshalb stellen sie sich für mich als Vernunftwesen dar? Fichte argumentiert wie folgt:

1.1. „Ein endliches Vernunftwesen kann sich selbst nicht setzen, ohne sich eine freie Wirksamkeit zuzuschreiben.“

Der erste Lehrsatz behandelt die Entwicklung des Selbstbewusstseins, als Wahrnehmung der Identität von Handeln und Behandeltwerden[10]. Die Argumentation des Beweises des Lehrsatzes basiert auf der Unterscheidung zwischen Objekten und dem endlichen Vernunftwesen.

1.2. In der Argumentation liegt ein Widerspruch begründet: Die Synthesis ist gedacht ein Objekt hervorzubringen, welches die freie Wirksamkeit des Subjekts begrenzt, jedoch ist die Natur der freien Wirksamkeit als absolute freie Wirksamkeit vorausgesetzt[11].

1.3. Der Widerspruch wird gelöst, wenn das Subjekt als bestimmt zur Selbstbestimmung gedacht wird[12].

1.4. Dies ist möglich, wenn eine Aufforderung an das Subjekt ergeht, sich zur freien Wirksamkeit zu erschließen[13].

1.5. Folglich gilt: “Diese Ursache muss daher nothwendig den Begriff von Vernunft und Freiheit haben; also selbst ein der Begriffe fähiges Wesen, eine Intelligenz, und, da eben erwiesenermaassen dies nicht möglich ist ohne Freiheit, auch ein freies, also überhaupt ein vernünftiges Wesen seyn, und als solches gesetzt werden.”[14]

1.6. “Nun ist aber nichts, was sich nicht durch bloße Naturkraft, sondern lediglich durch Erkenntnis als möglich denken lässt, als Erkenntnis selbst.”[15]

Weiter: „Die Ursache der Einwirkung auf uns hat gar keinen Zweck, wenn sie nicht zuvörderst den hat, dass wir sie als solche erkennen sollen; es muss daher ein vernünftiges Wesen als Ursache angenommen werden.“[16]

Das endliche Vernunftwesen nimmt sich selbst, durch die Aufforderung zum freien Handeln in seiner freien Wirksamkeit wahr. In derselben Handlung setzt es gleichzeitig in freier Wechselwirksamkeit andere freie Vernunftwesen außer sich.[17]

2. Die Entwicklung des Rechtsbegriffs

Fichtes Rechtssatz lautet: „Ich muss das freie Wesen außer mir in allen Fällen anerkennen als ein solches, d.h. meine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit seiner Freiheit beschränken.“[18]

Fichte leitet dieses Prinzip wie folgt her:

2.1. “Das Subject muss sich von dem Vernunftwesen, welches es, zufolge des vorigen Beweises, außer sich angenommen hat, durch Gegensatz unterscheiden.”[19]

2.2. Das Subjekt handelt derart, dass das Konzept seinerselbst als freie Wirksamkeit und das seine Vorstellung des Vernunftwesens ausser ihm (als seinerseits freies Wesen) gegenseitig bestimmt und bedingt sind.

2.3. “Das Verhältnis freier Wesen zu einander ist demnach nothwendig auf folgende Weise bestimmt, und wird gesetzt, als so bestimmt: Die Erkenntnis des Einen Individuums von anderen ist bedingt dadurch, dass das andere es als freies behandele (d.i. seine Freiheit beschränke durch den Begriff der Freiheit des ersten).”[20]

Das Konzept der Individualität ist ein reziprokes Konzept – es kann nur gedacht werden in Beziehung zu einem anderen Gleichartigen.

2.4. “Ich kann einem bestimmten Vernunftwesen nur insofern anmuthen, mich für ein vernünftiges Wesen anzuerkennen, inwiefern ich selbst es als ein solches behandele.”[21]

2.5. “Aber ich muss allen vernünftigen Wesen ausser mir, in allen möglichen Fällen anmuthen, mich für ein vernünftiges Wesen anzuerkennen.”[22]

2.6. Ich muss mein Gegenüber als Vernunftwesen behandeln, also meine Freiheit durch die seinige beschränken.

Recht wie (materiale) Ethik sind in einem Interpersonalverhältnis begründet, das dem legalen sittlichen Handeln des Individuums als konstitutive Bedingung vorausliegt[23].

Der dritte Lehrsatz ist in seinen Folgerungen nicht eine bloße Konsequenz der Aufforderung zur Freiheit.[24] Eine derartig mechanische Auffassung des Zwischenmenschlichen passt nicht in Fichtes Konzept der freien Wirksamkeit. Ohne Beschränkung seiner Freiheit kann nämlich kein fremdes freies Wesen - und somit kein vernünftiges Wesen – wahrgenommen werden. Die Selbstbeschränkung bewirkt nicht die zur Begründung des Rechtsverhältnisses notwendige Aufforderung. Sie ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung.

Es bedarf nun der weiteren Betrachtung, was der Rechtsbruch im Sinne Fichtes bedeutet. Hierzu soll erarbeitet werden, wie sich die Tat des Rechtsbruchs vollzieht und welche Konsequenzen sie für das Interpersonalverhältnis bzw. das Individuum hat und welche weiteren Folgen sich insbesondere für die Fichtesche Position im Strafrecht ergeben.

[...]


[1] NR S.260

[2] NR S.260; Georg Mohr nennt dieses Prinzip passend „Ausschließungsthese“. Georg Mohr in „Recht als Anerkennung und Strafe als ‚Abbüßung’. Trifft Hegels Kritik der Präventionstheorie Fichtes Begründung der ‚peinlichen Gesetzgebung’?“, in: Barbara Merker, Georg Mohr, Michael Quante (Hg.), Subjektivität und Anerkennung, S.252

[3] SR, S.272

[4] vgl. Georg Mohr, S.252

[5] NR S.260

[6] NR S.44

[7] NR S.123

[8] NR S.260

[9] zur Deduction insbesondere: Siep, Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Kap. 2-3; Verweyen, Recht und Sittlichkeit in J.G. Fichtes Gesellschaftslehre; Zaczyk, Das Strafrecht in der Rechtslehre J.G. Fichtes

[10] NR S.23

[11] NR S.32 „Dieses Object aber soll seyn eine Wirksamkeit des Subjects; aber es ist der Charakter einer solchen Wirksamkeit, dass die Thätigkeit des Subjects absolut frei sey und sich selbst bestimme. Hier soll beides vereinigt seyn; beide Charaktere sollen erhalten werden, und keiner verloren gehen. Wie mag dies möglich seyn?“

[12] NR S.33

[13] NR S.33

[14] NR S.36

[15] NR S.38

[16] NR S.38

[17] Der Argumentationsschritt der Aufforderung stimmt im Wesentlichen mit dem in der Sittenlehre von 1798 überein; vgl. hierzu auch Verweyen, S.90-91

[18] NR S.52

[19] NR S.41

[20] NR S.44

[21] NR S.44

[22] NR S.45

[23] Verweyen, S.90-91

[24] Für Siep ist der Übergang von der Intersubjektivität zum Recht keine Deduktion. Er bestreitet, „dass das Offenlassen meiner Handlungssphäre [die Selbstbeschränkung der fremden Freiheit],[…] für mich ein hinreichendes Kriterium für die Vernünftigkeit des anderen sei. Die Tatsache, dass der Andere alle meine Freiheit einschränkenden Handlungen unterlässt, könnte auch ein Zeichen von Desinteresse, List oder gerade des Fehlens jeder Gemeinsamkeit mit mir sein[…]“. Vgl. hierzu GdN, Merle, S.9

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Details

Title
Die Folgen des Rechtsbruches für das endliche Vernunftwesen in Fichtes Grundlage des Naturrechts von 1796
College
University of Bonn
Grade
16 Punkte (Sehr gut)
Author
Year
2006
Pages
18
Catalog Number
V52505
ISBN (eBook)
9783638482066
ISBN (Book)
9783640474493
File size
451 KB
Language
German
Keywords
Folgen, Rechtsbruches, Vernunftwesen, Fichtes, Grundlage, Naturrechts
Quote paper
Martin Wiechers (Author), 2006, Die Folgen des Rechtsbruches für das endliche Vernunftwesen in Fichtes Grundlage des Naturrechts von 1796, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52505

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