Politikverflechtung im Mehrebenensystem als Hindernis auf dem Weg zum supranationalen Wohlfahrtsstaat


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

30 Pages, Note: 1,7


Extrait


Gliederung:

A. Einleitung

B. Definition und Merkmale einer Politikverflechtung sowie deren Übertragung auf die europäische Ebene

C. Definition und Merkmale von Sozialpolitik

D. Begrenzte Problemlösungskapazitäten
D.1. Problemformen
D.2. Negative und positive Integration
D.3. Produkt- und Prozessregulierung
D.4. Regulative und redistributive Politik

E. Divergierende Interessen der Nationalstaaten und der Klassen
E.1. Nicht verhandelbare Konflikte
E.2. Das politische System europäischer Sozialpolitik

F. Kritik

G. Schlussfolgerung

H. Literaturverzeichnis

A. Einleitung

„Die bisherige Vorstellung eines europäischen Bundesstaates, der als neuer Souverän die alten Nationalstaaten und ihre Demokratien ablöst, erweist sich als ein synthetisches Konstrukt jenseits der gewachsenen europäischen Realitäten.“( Joschka Fischer, 12.5.2000 ).

Mit dieser Einschätzung der Zukunft des europäischen Integrationsprojektes, wies der deutsche Außenminister jede Form von Supranationalität als Endziel der Gemeinschaft zurück. Für ihn ist Europa nur denkbar in Verbindung mit starken und souveränen Nationalstaaten denen im Zuge von Kompetenzzuteilungen der Vorrang gegeben wird.

Nur die nötigsten Probleme sollten, so Fischer, auf europäischer Ebene gelöst werden.

In der modernen politikwissenschaftlichen Integrationsforschung ist es inzwischen gängige Praxis, die Europäische Union als ein politisches System „ sui generis“[1] zu bezeichnen.

Zunehmend rücken umfassendere Ansätze, wie etwa der Neo- Institutionalismus, in den Mittelpunkt. Für diesen prägten Jachtenfuchs/ Kohler- Koch den Begriff des Mehrebenenansatzes ( Jachtenfuchs/ Kohler- Koch 1996), welcher Interdependenzen zwischen den am Politikprozess beteiligten Ebenen erörtert. Dieser Begriff weist darauf hin, dass die EU die Nationalstaaten in ein umfassendes System einschließt, ohne das nationale politische, gesellschaftliche, ökonomische und rechtliche Systeme aufhören zu existieren.

Ein frühes Modell innerhalb der Mehrebenentheorie stellt die Politikverflechtung dar, die Interaktionen dezentraler und zentraler Entscheidungseinheiten sowie die daraus resultierenden Problematiken in den Fokus der Forschung rückt.

In der folgenden Ausarbeitung werde ich, ausgehend von der Theorie der Politikverflechtung, zeigen, weshalb die unzureichende Fähigkeit sozialpolitische Probleme auf supranationaler Ebene adäquat zu lösen, der Entstehung eines supranationalen Wohlfahrtsstaates entgegenstehen. Die dabei eigentlich zu berücksichtigenden Faktoren und Umstände sind so komplex wie die Realität nun mal ist und so vielfältig wie die in der wissenschaftlichen Diskussion entwickelten Theorien. Deshalb beschränke ich mich hier auf die nach meiner Ansicht wichtigsten Hindernisse.

Dabei wird zu klären sein, warum die Politikverflechtung Probleme erzeugt, wie sich diese auf europäischer Ebene auswirken und weshalb eine adäquate Lösung nicht gewährleistet ist. Außerdem ist nach der Rolle der dezentralen Akteure in diesem Verflechtungsprozess zu fragen und weshalb ihre divergierenden Interessen die Entwicklung des supranationalen Wohlfahrtsstaates verhindern.

Dazu erläutere ich zunächst die zentralen Begriffe Politikverflechtung ( B.) und Sozialpolitik ( C.). Anschließend gehe ich auf die, aus der Politikverflechtung resultierende, eingeschränkten Problemverarbeitungskapazitäten auf supranationaler Ebene ein und skizziere, weshalb positive und negative Integration, Produkt- und Prozessregulierung sowie die sozialregulative Politik der Gemeinschaft unüberwindbare Hindernisse für die Entwicklung eines supranationalen Wohlfahrtsstaates darstellen ( D.). Dass die divergierenden Interessen der im Mehrebenensystem miteinander verflochtenen Nationalstaaten und Klassen weitere schwierige Hürden sind, zeige ich in Abschnitt E. Neben unterschiedlichen Interessen stehen hier auch diverse Konflikte im Mittelpunkt die einen Konsens unmöglich erscheinen lassen. Abschließend erörtere ich einige Kritikpunkte an Scharpf´ s Theorieansatz, die eine neofunktionalistische Argumentationsweise verfolgen (F.). In der Schlussfolgerung fasse ich dann kurz die gewonnenen Erkenntnisse zusammen und ordne sie ein (G.).

B. Definition und Merkmale einer Politikverflechtung sowie deren Übertragung auf die europäische Ebene

Mit seiner Theorie der Politikverflechtung schuf Fritz W. Scharpf 1976 die Grundlage zur institutionellen Analyse des bundesdeutschen Föderalismus´. Mitte der 80er Jahre übertrug er diese Theorie auf die europäische Ebene, da beide politischen Systeme in den wichtigsten Strukturmerkmalen übereinstimmen.

Der Entscheidungsmodus der Politikverflechtung auf europäischer Ebene ist eine Kombination intergouvernementaler Verhandlungen unter starker Beteiligung supranationaler Akteure. Gemeinsame Entscheidungen hängen somit gleichzeitig von der Konvergenz der Interessen nationaler Regierungen und den institutionellen Ressourcen und Strategien supranationaler Akteure ab- diese Kombination variiert zudem von Politikfeld zu Politikfeld ( Scharpf 2002).

Im Rahmen seiner Analyse identifizierte Scharpf einen hohen Problemdruck bei gleichzeitigen Handlungsrestriktionen als Folgen von Kapitalismus und Konkurrenzdemokratie. Diesen Bedingungen begegnete Deutschland mit einem politischen System, welches strukturell fragmentiert und prozessual verflochten war und noch immer ist.

Ein besonders hoher Problemdruck entsteht immer dann, wenn entweder die tatsächlichen Leistungen eines vorher etablierten Anspruchsniveaus unterschritten oder aber das Anspruchsniveau über die tatsächlich möglichen Leistungen hinaus erhöht wird. Diese Asymmetrie von Leistung und Anspruchsniveau wird insbesondere von Kapitalismus und Konkurrenzdemokratie hervorgerufen. Kapitalismus, insbesondere dessen Konjunkturverläufe sowie „ horizontale Disparitäten“ (Offe 1969, S.177), führt gemäß Scharpf zu einer wiederholten Unterschreitung zuvor etablierter Anspruchsniveaus. Die negativen Folgen für bestimmte Bevölkerungsgruppen zwingen schließlich den Staat zum Aktivwerden. Durch die Konkurrenzdemokratie, welche die Bedingungen des Kapitalismus´ noch verstärkt, werden verschiedene Interessen artikuliert und zum Beispiel soziale Ungerechtigkeiten als solche öffentlich gemacht.

Aber auch Handlungsrestriktionen des politischen Systems sind Folge von Kapitalismus und Konkurrenzdemokratie und führen letztendlich zu beschränkten Steuerungsmöglichkeiten. Auch hier stehen wieder ökonomisch erzeugte Problemsituationen den eingeschränkten Reaktionsmöglichkeiten der verfassungsrechtlichen Demokratie gegenüber.

Konflikten wird in der BRD mittels politischer Fragmentierung und Verflechtung begegnet. Dabei zeichnen sich die Handlungskompetenzen durch starke institutionelle Fragmentierung, einerseits horizontal zwischen verschiedenen Bereichen und andererseits vertikal zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, aus. Die funktionale Differenzierung nach Kompetenzarten führt dazu, dass der Bund zuständig ist für die materielle Gesetzgebung sowie die Einnahmenhöhe öffentlicher Gelder festlegt. Wohingegen Verwaltungsaufgaben sowie die Verwendung der öffentlichen Gelder, zum Beispiel für Investitionen, in den Kompetenzbereich der Länder und Kommunen fällt. Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich schließlich die für den deutschen Föderalismus charakteristische Politikverflechtung:

„Im Ergebnis hat sich deshalb in der Bundesrepublik, wie auch in anderen institutionell fragmentierten politischern Systemen ein Muster faktischer Politikverflechtung herausgebildet, bei dem zwar einerseits die Entscheidungsautonomie der dezentralen Entscheidungseinheiten eingeschränkt wird, bei dem jedoch andererseits die umfassenderen Entscheidungseinheiten ( Länder, Bund, Europäische Gemeinschaft) nicht gesamte Aufgabenkomplexe an sich zogen, sondern statt dessen direkte und indirekte Einfluss- und Steuerungsinstrumente gegenüber den nach wie vor entscheidungszuständigen lokalen und regionalen Entscheidungseinheiten ausgebildet haben.“ ( Scharpf et al. 1976, S.29).

Die Politikverflechtung bietet in dieser Ausprägung Vor- und Nachteile. Als eine Stärke dieser politischen Struktur ist die notwendige Spezialisierung und Professionalisierung derjenigen Akteure zu nennen, die politische Forderungen benennen und umsetzen wollen. In einem pluralistischen System mit fragmentierten Problemverarbeitungsmöglichkeiten ist eine Spezialisierung auf bestimmte Teilgebiete unumgänglich. Somit treffen spezialisierte Interessenvertreter auf spezialisierte politische Vertreter. Aufgrund der begrenzten Handlungsmöglichkeiten und finanziellen Ressourcen der politischen Teilsysteme sind „utopische“ Forderungen unwahrscheinlicher und die Durchsetzungschancen steigen.

Schwächen sind einerseits Souveränitätsverluste der Institutionen des Gesamtsystems und andererseits Unbeweglichkeit hinsichtlich der Umschichtung von Ressourcen.

In dem Maße wie die pluralistischen Interaktionssysteme in den jeweiligen Teilpolitiken aktiv werden, sinken die Eingriffsmöglichkeiten der durch Wahl legitimierten Institutionen. Auf der anderen Seite werden Veränderungen der vorgegebenen Ressourcen der jeweiligen Teilpolitik vehement verhindert und somit politische Prioritäten nicht von den entsprechenden und notwendigen Ressourcen flankiert. Letztendlich verhindert dies die nötige Flexibilität um auf neue politische Problemstellungen angemessen zu reagieren (Scharpf et al.1976).

In formeller Hinsicht ist die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft dem deutschen Modell gefolgt. Die Gemeinschaft besitzt keinen eigenen administrativen Unterbau und Beschlüsse benötigen die Zustimmung der nationalen Regierungen in den Ministerräten und im Europäischen Rat. Im deutschen wie im europäischen System resultiert wirksame Politik aus Verhandlungen zwischen politisch eigenständigen Regierungen.

Aber es gibt auch Unterschiede. Die Bundesregierung besitzt eine eigene parlamentarische Legitimation und kann aufgrund des größeren Haushaltes gegenüber den Ländern ihr Verhandlungspotential ausspielen. Die europäische Kommission ist dagegen politisch wie fiskalisch völlig von den Regierungen der Mitgliedsstaaten abhängig. Das Zentrum ist auf europäischer Ebene also schwächer ausgeprägt ( Scharpf 1994).

Politikverflechtung findet sich in den meisten Bereichen der ersten Säule, die marktschaffende sowie marktkorrigierende Kompetenzen umfasst. Wenn Mitgliedsregierungen sich im Widerstand gegen Initiativen der Kommission einig sind oder wenn politisch sehr wichtige nationale Interessen stark divergieren, werden europäische Lösungen blockiert. Supranationale Akteure spielen dann eine wichtige Rolle, wenn Interessen zwar unterschiedlich sind, aber in den Nationalstaaten keine hohe politische Bedeutung haben, oder wo Regierungen zwar über den Inhalt einer Regelung auf europäischer Ebene streiten, aber trotzdem die gemeinsame Lösung dem Status quo vorziehen ( Scharpf 2000).

C. Definition und Merkmale von Sozialpolitik

Sozialpolitik ist ein weit genutzter Begriff und bedarf einer Auslegung im jeweiligen Kontext.

Im Sinne T. H. Marshalls setzt sie sich einerseits zusammen aus den verschiedenen Rechten und Forderungen eines Individuums. Andererseits nutzt die Sozialpolitik ihre „political power to supersede, supplement or modify operations of the economic system in order to achieve results which the economic system would not achieve on its own, and that in doing so it is guided by values other than those determined by open market forces” ( Marshall 1975, p. 15).

Die Aufgaben staatlicher Sozialpolitik innerhalb einer Gesellschaft, deren ökonomische Ordnung eine grundsätzlich marktwirtschaftliche Orientierung besitzt, bestehen aus Allokation und Distribution. Der Staat zielt dann auf die allokativen Unzulänglichkeiten der Arbeitsmärkte, wie unzureichende Sicherheit am Arbeitsplatz, schlechte Arbeitsbedingungen und eingeschränkte Sicherheit des Arbeitsplatzes, und der Versicherungsmärkte , wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall und Alter. Gleichzeitig liegt der Fokus der Aktivitäten auf einer Verminderung gesellschaftlich unerwünschter distributiver Tendenzen. Dazu zählen vorhandene Armut, soziale Ungerechtigkeiten, ungleiche Verteilung von Handlungs- und Entscheidungsrechten. Staatliche Sozialpolitik soll also Sicherheit und Gerechtigkeit effizient bereitstellen wenn dies über private Märkte nicht zu leisten ist[2] ( Berthold 1993).

Die europäische Sozialpolitik besteht aus den Säulen Rentensysteme, die Gesundheits- und Bildungssysteme, Arbeitslosenunterstützung, die Regulierung der Arbeitsmärkte, die Ansprüche von Armen und Behinderten und das zur Finanzierung benötigte Steuersystem ( Buti et al. 1998).

D. Begrenzte Problemlösungskapazitäten

Institutionen sind „Problemlösungsfähigkeitsverstärker“ ( S. 191). Indem sie die Handlungsmöglichkeiten der Akteure auf wenige zu erwartende Alternativen vermindern, steigern die Institutionen das Potential für eine kollektive Lösung der Probleme. Allerdings kann diese Verbesserung der Problemlösungsfähigkeit nicht generalisiert werden, sondern muss immer im Zusammenhang mit dem jeweiligen Problem beurteilt werden ( Genschel 2000). Problemlösungskapazität kann man deshalb nur relational definieren. Dieselbe Institution die sich in einer bestimmten Problem- Konstellation bewährt, kann die Bewältigung anderer Typen von Problemen blockieren ( Scharpf 2002)[3].

D.1. Problemformen

Die Differenzierung von Entscheidungskompetenzen und entsprechenden Handlungsfähigkeiten innerhalb eines politischen Systems muss, solange jede Teileinheit selber handlungsfähig ist, für die Problemlösungskapazität des Gesamtsystems nicht zwangsläufig nachteilig sein. Mit entsprechender Problemsensibilität und Reaktionsfähigkeit können lokal auftretende Probleme auch lokal gelöst werden. Sobald es jedoch zur Asymmetrie zwischen Problemzusammenhängen und Handlungsräumen kommt, resultieren Konflikte für das Gesamtsystem (Scharpf et al. 1976).

Dies ist meiner Ansicht nach im Bereich der europäischen Sozialpolitik in besonderem Maße gegeben. Den vorhandenen wohlfahrtsstaatlichen Problemen stehen sowohl auf nationaler wie supranationaler Ebene nur begrenzte Handlungsräume gegenüber.

Zunächst muss man sich fragen, was überhaupt ein Problem ist. Hierbei wird zwischen objektiv existierenden und gesellschaftlich konstruierten Problemen unterschieden. Erstgenanntes kann als Maßstab für die Realität genutzt werden, der eben nicht im politischen Prozess ausgearbeitet und somit dessen Regeln und eventuellen Pathologien ausgesetzt ist.

Innerhalb der konstruktivistischen Sicht resultiert eine entsprechende Handlung erst dann wenn ein Problem gesellschaftlich thematisiert wird. Die Thematisierung hängt dabei von sozialen Strukturen aber auch von verschiedenen Lösungsstrategien ab. Da gesellschaftliche Probleme mit Sanktionen belegt sind, sind sie unmittelbar handlungsrelevant ( Jachtenfuchs 2000).

Dezentrale Entscheidungssysteme wie die BRD und die Union neigen dazu, systematisch Probleme zu erzeugen. Es kommt zu Externalitäten, wenn der Zuständigkeitsbereich einer Entscheidungseinheit enger begrenzt ist als das von der Entscheidung positiv oder negativ betroffene Kollektiv. Fällt nicht der gesamte Nutzen der aus einer Entscheidung resultiert in der Entscheidungseinheit an, so spricht man von positiven externen Effekten. Trägt hingegen die Entscheidungseinheit nicht die gesamten Kosten ihrer Aktivitäten entstehen negative externe Effekte. Bezogen auf ein rationales Entscheidungsverhalten wurde im erstgenannten Fall zu viel und im letztgenannten zu wenig von einer öffentlichen Leistung erbracht. Ein fragmentiertes System wird folglich weniger sozialen Nutzen und stattdessen mehr soziale Kosten erzeugen als für das Kollektiv, und oft auch für ein Individuum, optimal wäre.

Vier Typen von Problemen, die in einem fragmentierten politischen System auftreten können, seien im folgenden genannt.

Niveauprobleme entstehen, wenn von einer bestimmten Aktivität zu viel oder zu wenig produziert wird, wohingegen Niveaufixierungsproblemen dann auftreten wenn ein bestimmtes Aktivitätsniveau unter- oder überschritten wird. Von Verteilungsproblemen ( Struktur-problemen) spricht man dann, wenn nicht nur das aggregierte Leistungsniveau aus Sicht des übergeordneten Kollektivs der Korrektur bedarf, sondern auch die geographische, sektorale, personale oder zeitliche Verteilung dezentraler Aktivitäten. Schließlich liegen Interaktionsprobleme immer dann vor, wenn sich Externalitäten dezentraler Aktivitäten nicht zu einem common pool aggregieren sondern in komplexen Interdependenzmustern aufeinander bezogen sind (Wachendorf- Schmidt 2003).

D.2. Negative und positive Integration

Supranationale Zentralisierung ermöglichte die Erreichung eines hohen Grades der Marktintegration obwohl gemäß der intergouvernementalen Verhandlungen gemeinsame Entscheidungen meist blockiert werden. Der Grund hierfür sind bestimmte Kompetenzen die völlig auf die supranationale Ebene verlagert wurden und dort von den jeweiligen Akteuren- dem Europäischen Gerichtshof und der Kommission- ohne Beteiligung der nationalen Regierungen ausgeübt werden. Hinsichtlich der Politikinhalte waren und sind supranational- zentralisierte Kompetenzen am stärksten auf dem Gebiet der negativen Integration ( Scharpf 2000).

Die Unterscheidung von negativer und positiver Integration bietet die Möglichkeit, Gründe für unterschiedlich stark ausgeprägte Problemlösungsfähigkeit oder eben die Unfähigkeit zu einer Lösung zu demonstrieren ( Genschel 2000). Geprägt wurde dieses Begriffspaar von Jan Tinbergen (Tinbergen 1965) wobei negative Integration die Beseitigung von Marktzugangsbarrieren sowohl tarifärer wie nicht- tarifärer Art bezeichnet. Positive Integration hingegen meint die Probleme die aus der politischen Kontrolle und Korrektur von Marktprozessen resultieren, wie zum Beispiel der Aufbau neuer Institutionen. Joseph Weiler hat schließlich auf die Parallele zwischen der wirtschaftspolitischen Definition von Integration und dem von ihm entdeckten Dualismus zwischen supranationalem europäischen Recht und einer intergouvernementalen europäischen Politik hingewiesen ( Weiler 1981).

Genanntes supranationales Recht ist ein starker Promotor der negativen Integration. Schon in den Römischen Verträgen wurde die Schaffung des Gemeinsamen Marktes als das Hauptziel der Integrationsbemühungen verankert. Aufbauend auf den Grundsätzen der Verträge wurde die Marktintegration in der Folgezeit relativ leicht durch die Europäische Kommission unter Mitwirkung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vorangetrieben. Dies liegt natürlich auch daran, dass die Errichtung des Gemeinsamen Marktes von allen beteiligten Mitgliedsstaaten immer gewünscht war.

Die Befugnisse des EuGH und somit seine Reichweite im Bereich der Marktschaffung sind umfangreich. Gemäß den Bestimmungen des EG- Vertrages kann er unter anderem rechtsverbindliche Urteile fällen und Sanktionen verhängen wenn Mitgliedsstaaten vertragsbrüchig werden.

[...]


[1] Von der EU als einem Gebilde „ sui generis“ zu sprechen zeigt die Schwierigkeiten verschiedener Forschungsrichtungen, einen angemessenen konzeptionellen Zugriff auf die Europäische Union zu finden ( Kohler- Koch/ Jachtenfuchs 1996).

[2] Vgl. auch Musgraves Theorie des multiplen Budgets ( Musgrave 1976).

[3] In manchen Bereichen wie etwa der Umwelt- oder Verbraucherpolitik besitzt die EG eine hohe Problemlösungsfähigkeit. In der Sozialpolitik gibt es hingegen Kritik an der systematischen Unzulänglichkeit und Unfähigkeit ( Genschel 2000).

Fin de l'extrait de 30 pages

Résumé des informations

Titre
Politikverflechtung im Mehrebenensystem als Hindernis auf dem Weg zum supranationalen Wohlfahrtsstaat
Université
University of Bamberg
Cours
Die Entwicklung des Sozialen Europa
Note
1,7
Auteur
Année
2004
Pages
30
N° de catalogue
V52767
ISBN (ebook)
9783638483896
ISBN (Livre)
9783638662376
Taille d'un fichier
527 KB
Langue
allemand
Mots clés
Politikverflechtung, Mehrebenensystem, Hindernis, Wohlfahrtsstaat, Entwicklung, Sozialen, Europa
Citation du texte
Silvana Domke (Auteur), 2004, Politikverflechtung im Mehrebenensystem als Hindernis auf dem Weg zum supranationalen Wohlfahrtsstaat, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52767

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