Die vorliegende Arbeit möchte einen Einblick in die literarischen Ästhetiken Theo-dor W. Adornos und Ingeborg Bachmanns gewähren. Der vergleichende Blick auf das Oeuvre beider Autoren bietet sich insofern an, als eine theoretische Nähe beider in der Sekundärliteratur nicht selten unterstellt wird. Auffallend ist, daß sich in der Sekundärliteratur zu Adorno kaum Hinweise auf seine Bekanntschaft mit Ingeborg Bachmann finden (wohl unausgesprochen der Annahme folgend, daß seine Philosophie auf sie Einfluß ausgeübt haben könnte, ihre Arbeit als Theoretikerin aber sicher keinerlei Einfluß auf ihn), umgekehrt aber in den zahlreichen Texten zu Bachmanns literarischem Schaffen die Hinweise auf Adornos Einfluß sich häufen. Berechtigt scheint dieser einseitige Verweis auf Adornos Einfluß insofern, als dieser den philosophischen, gesellschaftskritischen und literaturwissenschaftlichen Diskurs der Nachkriegszeit wesentlich geprägt hat. Das philosophische Werk Adornos ist nicht nur quantitativ sehr umfangreich und inhaltlich von großer Komplexität, sondern darüber hinaus auch von einer rhetorischen Dichte, die immer wieder massive Kritik provozierte. Nicht selten erging an Adorno der Vorwurf, mit seinem hermetischen Duktus bewußt Unverständnis herauszufordern, über Schwächen in der Theorie hinwegtäuschen zu wollen, oder gar Erkenntnis mit dieser Form des Schreibens und Denkens völlig obsolet zu machen. Ingeborg Bachmann muß man attestieren, nicht wirklich eine Theoretikerin gewesen zu sein, und dies auch mehrmals selbst betont zu haben. Nicht zuletzt deshalb ist sie auch in diversen Interviews und Gesprächen als verschlossene, wortkarge, sogar kommunikationsverweigernde Person in Erscheinung getreten, die lieber der Dichtung als der Theorie das Wort überließ.
Inhalt
1. Einleitung
2. Adornos Ästhetik
2.1 Grundlagen der 'Dialektik der Aufklärung' - Aufklärung und Mythos
2.1.1 Mimesis
2.1.2 Der Odysseus-Mythos
2.1.3 Identitätszwang
2.1.4 Dialektik der Aufklärung
2.1.5 Natur und Individuum
2.1.6 Der universale "Verblendungszusammenhang"
2.2 Kunst
2.2.1 Der Doppelcharakter der Kunst
2.2.2 Kunst als Wahrheitsinstanz
2.2.3 Das Naturschöne - Rekurs auf Kant, Schiller und Hegel
2.2.4 Das Formgesetz
3. Bachmanns Ästhetik zwischen Autonomie und Litterature Engagée
3.1. Historische Bedingungen
3.2 Die Frankfurter Vorlesungen - Die Frage nach der
Legitimation der Kunst
4. Die "Höllenmaschine" Geschichte:
Kunst nach Auschwitz
4.1 Adorno
4.1.1 Der Tod des Individuums
4.1.2 Verlust von Erfahrung
4.1.3 Erinnerung als ästhetische Kategorie
4.2 Bachmann
4.2.1 Der Mangel an Erfahrung
4.2.2 "Jugend in einer österreichischen Stadt"
5. "Scharf von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht":
Erweckende Kunst
5.1 Adorno
5.1.1 Eine Theorie der Gesellschaft
5.1.2 Die Möglichkeit von Erkenntnis
5.1.3 Exkurs - Musikphilosophie
5.1.2.1 Diskursive oder ästhetische Erkenntnis?
5.1.3 Die Kategorie des Scheins
5.1.4 Versus Einfühlungsästhetik und Nominalismus
5.2 Bachmann
5.2.1 "Der Schweißer"
6. Das Idolatrieverbot in der Kunst: Die negative Utopie.
6.1 Adorno
6.2 Bachmann
6.2.1 "Undine geht"
7. Theologische Aspekte
7.1 Adorno
7.1.1 Die Leidensästhetik Adornos
7.1.2 Der Antisemitismus des Christentums
7.1.3 Die strukturelle Negativität jüdischen Glaubens
7.1.4 Der Begriff der Versöhnung
7.1.5 Der "Standpunkt der Erlösung"
7.2 Bachmann
7.2.1 "Alles"
8. Schluß
9. Literaturverzeichnis, Zitierweise, Siglen
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit möchte einen Einblick in die literarischen Ästhetiken Theodor W. Adornos und Ingeborg Bachmanns gewähren. Der vergleichende Blick auf das Oeuvre beider Autoren bietet sich insofern an, als eine theoretische Nähe beider in der Sekundärliteratur nicht selten unterstellt wird.[1] Auffallend ist, daß sich in der Sekundärliteratur zu Adorno kaum Hinweise auf seine Bekanntschaft mit Ingeborg Bachmann finden (wohl unausgesprochen der Annahme folgend, daß seine Philosophie auf sie Einfluß ausgeübt haben könnte, ihre Arbeit als Theoretikerin aber sicher keinerlei Einfluß auf ihn), umgekehrt aber in den zahlreichen Texten zu Bachmanns literarischem Schaffen die Hinweise auf Adornos Einfluß sich häufen. Berechtigt scheint dieser einseitige Verweis auf Adornos Einfluß insofern, als dieser den philosophischen, gesellschaftskritischen und literaturwissenschaftlichen Diskurs der Nachkriegszeit wesentlich geprägt hat. Das philosophische Werk Adornos ist nicht nur quantitativ sehr umfangreich und inhaltlich von großer Komplexität, sondern darüber hinaus auch von einer rhetorischen Dichte, die immer wieder massive Kritik provozierte. Nicht selten erging an Adorno der Vorwurf, mit seinem hermetischen Duktus bewußt Unverständnis herauszufordern, über Schwächen in der Theorie hinwegtäuschen zu wollen, oder gar Erkenntnis mit dieser Form des Schreibens und Denkens völlig obsolet zu machen.[2] Ingeborg Bachmann muß man attestieren, nicht wirklich eine Theoretikerin gewesen zu sein, und dies auch mehrmals selbst betont zu haben.[3] Nicht zuletzt deshalb ist sie auch in diversen Interviews und Gesprächen als verschlossene, wortkarge, sogar kommunikationsverweigernde Person in Erscheinung getreten[4], die lieber der Dichtung als der Theorie das Wort überließ. Es scheint jedoch so, als versuchten manche Forscher, ihre Hochachtung vor Bachmanns literarischem Vermächtnis auf ein vermeintliches philosophisches Erbe und ein poetologisches Konzept zu projizieren, das von ihr in dieser Form gar nicht hinterlassen wurde. Auf solche Weise Verehrung zu artikulieren, die sich wohl mehr dem literarischen Schaffen, nicht aber etwa einem hohen Reflexionsniveau Bachmanns verdankt, ist unzulässig. Ebenso ist es wenig hilfreich, in der Sekundärliteratur anekdotisch auf Begegnungen, Beinahe-Begegnungen oder liebevolle Umgangstöne[5] zwischen Adorno und Bachmann hinzuweisen, denn diese Bonmots suggerieren nur eine weltanschauliche, ästhetische oder sonstige theoretische Übereinstimmung zwischen beiden, deren profunder Beweis noch zu erbringen wäre.[6] Die vorliegende Arbeit bemüht sich um eine sachliche und präzise Erarbeitung der literarischen Ästhetik Adornos und der Parallelen im literarischen sowie theoretischen Schaffen Bachmanns. Im Rahmen einer solchen Arbeit kann freilich nur unter einem sehr selektiven Blick geforscht werden, weswegen es vier wesentliche Punkte sind, die hier zur Sprache kommen sollen: Den ersten Punkt, die „Kunst nach Auschwitz“ (Kapitel Vier) zu untersuchen, ist unabdingbar, weil Adorno sich die Frage nach der Legitimation der Kunst gerade nach der Massenvernichtung stellt, die für ihn katastrophale Konsequenz einer sich selbst zerstörenden Aufklärung darstellt. Auch Bachmann stellt sich am Ende der ersten Frankfurter Vorlesung eben diese Frage nach der Berechtigung und der moralischen Besetzung der Kunst.[7] Gegenstand des fünften Kapitels ist die als Erweckung gedachte Kunst. Sowohl Adorno als auch Bachmann haben die Kunst oftmals als erweckende, schockhafte Erkenntnisinstanz bezeichnet, die gerade angesichts realer Unfreiheit ihre große Bedeutung erlangt. Da ferner die Frage nach der Utopie sowohl in der Adorno- als auch in der Bachmannforschung von zentraler Bedeutung ist, muß auch dieser Aspekt in dieser Arbeit berücksichtigt werden. In Kapitel Sechs wird daher zu fragen sein, ob die von Adorno als negativ gedachte Utopie mit dem Utopiekonzept Bachmanns konvergiert. Und schließlich wird die Frage nach theologischen Einflüssen gestellt werden, die gerade im Hinblick auf die Ästhetik Adornos, in dessen philosophischen Schriften sich nicht selten Auseinandersetzungen mit Theologoumena und Theologen[8] finden, nachweislich von Bedeutung sind. Auch in der Sekundärliteratur zu Bachmann finden sich spätestens nach „Der Fall Franza“ Hinweise auf theologische Motive, die für eine angemessene Einschätzung bachmannscher Ästhetik zu untersuchen wären. Es ist noch hinzuzufügen, daß Adorno mit der „Ästhetische[n] Theorie“, die unvollendet blieb, keine in sich geschlossene Ästhetik hinterließ. Im Falle Bachmanns kann man sogar davon ausgehen, daß sie keine Ästhetik verfaßt hat und dies auch nicht beabsichtigte. Um Bachmanns literaturästhetisches Gedankengut zu rekonstruieren, ist es unerläßlich, ihre Frankfurter Vorlesungen, Essays, Reden, Gespräche und Interviews zu untersuchen, und darüber hinaus zu prüfen, inwieweit sich ihre theoretischen Äußerungen mit ihrem Schaffen als Dichterin decken. Daß dort diverse Widersprüche auftauchen, wird diese Arbeit belegen. Mein methodisches Vorgehen folgt der Einsicht, daß es ertragreicher ist, Bachmann auf Adornos Einfluß hin zu lesen, als es etwa umgekehrt zu versuchen. Dennoch ist diese Arbeit kein Versuch, zu erarbeiten, inwieweit Bachmann Ästhetikkonzepte adornoscher Provenienz realisiert. Vielmehr geht es darum, zu erschließen, inwieweit aus Bachmanns Schaffen ein ästhetisches Konzept zu deduzieren ist, das sich als (für diese Untersuchung) gleichwertige Ästhetik mit der Adornos vergleichen läßt. Übereinstimmungen soll in dieser Arbeit der Vorzug vor Abweichungen gewährt werden, jedoch wird auf letztere auch hinreichend hingewiesen werden. Die Hauptschriften Adornos, auf die ich mich im Rahmen dieser Arbeit berufe, sind „Ästhetische Theorie“, „Minima Moralia“, „Negative Dialektik“, „Dialektik der Aufklärung“, „Kulturkritik und Gesellschaft 1-2“ sowie „Musikalische Schriften“ der von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz herausgegebenen Werkausgabe. Um ein angemessenes Verständnis der Ästhetik Bachmanns bemühe ich mich an dieser Stelle u.a. mit der vierbändigen Werkausgabe und amalgamiere hier bewußt theoretische Schriften mit Erzählungen Bachmanns, um gleichermaßen ihre Theorie wie ihre Praxis zu berücksichtigen. Aufgrund des hier vorgegebenen Untersuchungsschwerpunkts wird diese Arbeit jedoch die Lyrik Bachmanns ausblenden müssen. Einige ausgesuchte Erzählungen dienen der Erarbeitung des von Bachmann realisierten poetologischen Konzepts. Einer Einführung in den Themenkomplex des jeweiligen Kapitels wird daher eine Untersuchung einer exemplarischen Erzählung folgen, wobei die Interpretationsmethode als hermeneutisch gelten darf.[9] Dies scheint mir angemessen, weil so zu der Analyse der theoretischen Aussagen noch dezidiert literaturwissenschaftliches Arbeiten hinzukommt, um vorschnelle Urteile über literaturästhetische Ansätze Bachmanns zu verhindern. Dabei sollen narrative Inhalt ebenso diskutiert werden wie die kompositorischen Ansätze, die gerade angesichts eines dichterischen Selbstverständnisses, das die immanente Ästhetik einer ausformulierten überordnet, an Bedeutung gewinnen. Auf die Unterbewertung der Kompositionsmethode Bachmanns wurde in den letzten Jahren hingewiesen[10], und so bemüht sich auch die vorliegende Arbeit um eine ausreichende Beachtung dieser formalen Aspekte. Eine weitere methodische Vorgehensweise in der vorliegenden Arbeit ist die historisierende Reflexion als Möglichkeit, die Tragweite der Schriften Adornos als auch Bachmanns zu erschließen. In der Sekundärliteratur zu beiden Autoren sind immer wieder extreme Positionen bezogen worden, die sich vehement gegen oder für die Gültigkeit der theoretischen Systeme aussprechen. Diese Arbeit will die Gültigkeit des ein oder anderen Systems nicht diskutieren, sondern der Frage nachgehen, welche historischen und weltanschaulichen Bedingungen für die von Adorno und Bachmann gedachten Eigenschaften der Kunst auslösend sind. Zur besseren Übersicht soll jedem Kapitel über Adorno eines über Bachmann folgen, nachdem für beide Autoren eine angemessene Einleitung erfolgt ist. Am Ende dann wird ein abschließender Vergleich die Frage klären, ob und inwiefern es berechtigt ist, die Ästhetiken Adornos und Bachmann inhaltlich in Beziehung zueinander zu setzen.[11]
2. Adornos Ästhetik
2.1 Grundlagen der DA - Aufklärung und Mythos
Die Ästhetische Theorie Adornos entfaltet sich im wesentlichen aus der Gesellschaftskritik in der „Dialektik der Aufklärung“ und der Musikphilosophie.[12] Nur aufgrund der Schlußfolgerungen, die Adorno und Horkheimer aus den gesellschaftlichen Zuständen nach dem Faschismus ziehen, sind die ÄT und ihre Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Kunst zu verstehen. Historische Grundlagen des in der DA konstruierten pessimistischen Gesellschaftsbildes sind der Faschismus in Deutschland, die Massenkultur in den Vereinigten Staaten, das Scheitern des Kommunismus in der Sowjetunion[13] sowie das Versagen der Sozialwissenschaften, die sich etablierenden faschistischen Herrschaftssysteme zu prognostizieren.[14] Für Adorno und Horkheimer stellt sich die Frage nach den Ursachen und bisher unberücksichtigten Strukturen eines sich bis zum Holocaust perpetuierenden Herrschaftssystems. Dieses gründet sich auf Aufklärung, die, von Adorno als anthropologische Konstante gedacht[15], bereits dort beginnt, wo das werdende denkende Subjekt sich die Natur als Objekt gegenüberstellt. Dem auf dem Prinzip Selbsterhaltung basierenden Vernunftakt folgt die Totalisierung der Herrschaft, denn Naturbeherrschung, die auch immer schon die Beherrschung des Mitmenschen mit einschließt, beinhaltet bereits einen pathologischen Totalitätsanspruch, den Adorno in Anlehnung an Freud auf eine Art zwanghafter Störung der Spezies Mensch begründet.[16] Selbsterhaltung, zum obersten Prinzip erhoben, muß alles „Inkommensurable“[17] ausschließen, d.h. alles was die Sicherheit des Individuums in Frage stellt, kalkulierbar machen.[18] Insofern dieses Prinzip der Aufklärung bereits als mythisches Element innewohnt und Todesangst[19] eine anthropologische Konstante ist, kann das Scheitern der Aufklärung, also das nicht eingelöste Versprechen von der Freiheit des Menschen, nicht als Konsequenz falscher Praxis gedeutet werden, die eine vollkommene Idee pervertierte. Aufklärung ist immer schon dialektisch, weil sie als Befreiung von Naturübermacht und Angst Herrschaftssysteme etabliert, die das Subjekt wiederum unterwerfen. Eine weitere freudsche Kategorie, die Wiederkehr des Verdrängten[20], dient Adorno als Analysemuster der Aufklärung. Da das Ausgrenzen des Inkommensurablen eine Ausblendung des Gesamtzusammenhanges des Lebens bedeutet, ist Rationalität immer schon partikular. Diese als instrumentelle Vernunft bezeichnete Rationalität kann nur weiterhin Herrschaft perpetuieren, insofern sie das „Andere“ immer schon unterdrückt. Das hat zur Folge, daß Adorno die Vernunftkategorie, die von der Aufklärung als autonome gedacht wird, obgleich sie nur eine technische ist, in Frage stellt. Adornos Geschichtskonzept legt die kritische Vermutung nahe, es besitze kein Äquivalent in der Realität:[21] Der diffusen naturhaften Phase folgt eine magische, der wiederum eine mythische, schließlich folgen die feudale und bürgerliche Phase, die von monotheistischen Religionen, Metaphysik und logischem Positivismus[22] bestimmt sind. Allen Phasen liegt Adorno zufolge der stets evolvierende Herrschaftsdrang zugrunde.
2.1.1 Mimesis
Das undefinierbare Chaos des Urzustandes der Gattung Mensch, in dem sich das Subjekt noch nicht aus der Natur herausgebildet hat, ist als präanimistische Phase zu verstehen, die das mimetische Verhalten des Menschen begründet. In dem sich bildenden Subjekt manifestieren sich schon lange vor der Etablierung systematischen Denkens Verhaltensmuster, die darauf abzielen, den Schrecken der übermächtigen Natur zu mindern. Der Schamanismus als Exempel mimetischen Verhaltens[23] macht deutlich, daß Adornos Definition des Begriffes eine andere ist als die von der Philosophie tradierte.[24] Mimesis ist hier ein anthropologisches Verhaltensmuster, das aus dem natürlichen Überlebensinstinkt resultiert. Der Impuls der Selbstbehauptung ist zwar per se gegen die Natur gerichtet, ist jedoch von einer Objektnähe gekennzeichnet, die später durch die Intention abgelöst wird.[25] Beide Formen der Mimesis werden von Adorno kritisiert: Die erste, weil sie eine Angleichung ans Tote darstellt[26], die zweite, weil sie als Herrschaftsinstrument die innere wie äußere Natur des Menschen reglementiert und so zum „totalen Betrug der Massen“[27] wird. Für die Moderne gilt, daß hier alle mimetischen Elemente, d.h. die Erinnerung an die Naturhaftigkeit der Gattung Mensch, unterdrückt werden. Erst in der Kunst gelangt diese Naturhaftigkeit wieder zu ihrer Würdigung.
2.1.2 Der Odysseus-Mythos
Im Odysseusmythos liest Adorno den Weg des rationalen Selbst, das über die List zur Herrschaft gelangt. Odysseus domestiziert seinen Triebhaushalt, leistet Verzicht, und erreicht seine Selbsterhaltung durch Selbstverleugnung und das Opfern seiner Gefährten. Besonderes Augenmerk richtet Adorno hierbei auf den Umstand, daß Odysseus den mimetischen Gestus nicht mehr als differenzlose Unio mit der Natur vollzieht, wie Menschen der vormagischen Zeit, sondern als intentionalen Akt.[28] Odysseus ist somit Prototyp des bürgerlichen Subjekts[29], d.h. der Naturbeherrschung des Subjekts wohnt bereits ein Betrug inne: Die Partikularisierung der eigenen Natur als Garant des Überlebens.[30]
2.1.3 Identitätszwang
Adorno diagnostiziert noch in den tradierten philosophischen Kategorien den Identitätszwang, der nichts anderes ist als die Eliminierung all dessen, was sich nicht unter den Begriff subsumieren lässt.[31] In der bürgerlichen Gesellschaft tritt dieser Identitätszwang vielgestaltig in Erscheinung: Etwa im Warentausch, in dem Dinge ungeachtet ihrer Spezifika mit einem normierten abstrakten Wert identifiziert werden.[32] Auf der diskursiven Ebene kulminiert das identifizierende Denken im logischen Positivismus, als dessen vehementer Kritiker Adorno sich begreift. Soziale Konsequenz der Identifikation ist die Kultivierung von Normen, deren Exekutoren autoritäre Charaktere sind.[33] Wie sich noch erweisen wird, bedeutet dies für die Kunst, der Gefahr ausgesetzt zu sein, Opfer und Komplize der vielzitierten „Kulturindustrie“[34] zu werden, in der Stil und Individualität zugunsten affirmativer Unterhaltungsprodukte geopfert werden. Als Kritiker dieses Identitätszwanges nimmt Adorno die Position des Fürsprechers all dessen ein, das der Identifikation durch den Begriff entgeht. Dieses „Nichtidentische“[35] darf positiv nicht auf den Begriff gebracht werden, da es somit wieder subsumiert wäre. Insofern eine positive Formulierung nicht statthaft ist, bleibt dieser Begriff diffus; er bezeichnet grundsätzlich alles, was dem irrational gewordenen Selbsterhaltungstrieb des Individuums zum Opfer fällt.
2.1.4 Dialektik der Aufklärung
Das dialektische Moment der Aufklärung besteht darin, daß Vernunft, sobald sie sich als instrumentelle verabsolutiert, regrediert.[36] Wird alles eliminiert, was sich nicht auf den Begriff bringen läßt, so ist damit auch die Naturhaftigkeit des Subjekts verleugnet.[37] Zweckrationalität, ursprünglich zur Befreiung des Subjekts von der Beherrschung gedacht, erhebt sich zum Selbstzweck, Aufklärung zerstört sich selbst.[38] Insofern Aufklärung ihre ursprüngliche Befreiungsgeste gegenüber der übermächtigen Natur nicht reflektiert, kehrt deren Gewalt in anderer Erscheinung wieder und bewahrt das Individuum in einem Herrschaftszustand.[39] Dialektik ist so als Pendelbewegung zwischen Aufklärung und Mythologie zu verstehen. In der Einleitung zur DA weist Adorno darauf hin, daß das werdende denkende Subjekt keine andere Möglichkeit als Naturbeherrschung hat, insofern es sein Überleben und seine Freiheit sichern will.[40] Von diversen Kritikern Adornos ist dieses Zugeständnis übersehen bzw. nicht ausreichend beachtet worden[41], was dazu führte, daß Adorno eine generelle Ablehnung aufklärerischer Ratio unterstellt oder der Bann regressiver Aufklärung als unentrinnbar betrachtet wurde. Adorno geht es nicht um eine prinzipielle Ablehung diskursiven Denkens, sondern um die Anwendung der Dialektik als Methode, das „Begrifflose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen.“[42] Vernunft „muß ihres eigenen naturhaften Wesens innewerden.“[43]
2.1.5 Natur und Individuum
Adornos versteht den Faschismus als Ausbruch unterdrückter und feindlich wiederkehrender Natur.[44] Wie die Odysseus- und die Lotophagenepisode exemplifizieren, befindet sich das mit dem Naturzwang konfrontierte Individuum schon seit jeher permanent in der Gefahr der Liquidierung. Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine Rückkehr zum Naturzustand versöhntes Leben herstellen kann.[45] Adorno vollzieht keine regressive Bewegung, wenn er, wie noch auszuführen sein wird, die negative Versöhnungsutopie schafft. Insofern seine Darstellung des vorzivilisatorischen Zeitalters diffus bleibt, kann dieses auch nicht als Ausgangspunkt einer Verbesserung gelten. Die theoretische Referenz des von Adorno konstatierten Schuldzusammenhanges ist die unterdrückte Natur. Sofern es überhaupt einen Ausweg aus der Selbstzerstörung der Aufklärung gibt, muß dieser eben jene Natur in besonderem Maße berücksichtigen, da sie Ausgangspunkt einer nichtdialektischen Aufklärung sein kann.[46] Im Abschnitt über Adornos Kunstkonzept wird sich erweisen, daß aus diesem Grund die Kategorie des Naturschönen restauriert wird.
2.1.6 Der universale „Verblendungszusammenhang“
Das Abschneiden des Nichtidentischen steigert sich zur totalen Ideologie. Äquivalenzdenken, ökonomisch realisiert im Warentausch des Kapitalismus, diskursiv realisiert im Immanenzdenken positivistischer Wissenschaft, verursacht eine Mentalität, in der auch das Individuum auf seinen Gebrauchswert reduziert wird. Über die Bedienung einer manipulierten Bedürfnisstruktur[48] legitimiert die „Kulturindustrie“[49], d.h. die organisierte Massenkultur, deren Signum die „falsche Identität von Allgemeinem und Besonderem“[50] ist, Produkte, die permanent die Individualität des Subjekts untergraben. Scheinbare Stilkategorien der Kunst dienen nur noch der Kundengruppenklassifizierung, der Mensch wird zum statistischen Material. Dieses System der Unwahrheit führt zur Liquidierung des Individuums. Angesichts des Zustandes totaler Verblendung ist der Erkenntnishorizont auf eine minimale Freiheit des kritisch Denkenden reduziert[51], von der aus das Diktat der Kulturindustrie als solches erkannt werden kann. Kritisches Denken ist gefordert, das sich in letzter Konsequenz gegen sich selbst wenden muß.[52] Für Adornos Kunstkonzept hat das zweierlei Konsequenz: Kunst kann nur insofern von elementarer Wichtigkeit sein, insofern sie von jenem Erkenntnishorizont aus spricht, der die totale Verstrickung diagnostiziert, anderenfalls ist sie Ideologie. Desweiteren muß der Anspruch an den Rezipienten angesichts allgegenwärtiger Ideologie ein elitärer sein, denn Erkenntnis kann nur dort entstehen, wo der Rezipient sich sowohl gegen seine intellektuelle Verstrickung als auch gegen seine manipulierte Bedürfnisstruktur[53] wendet, die ihm gerade dort Kunstgenuß suggeriert, wo die Unterhaltungsindustrie mit verharmlosenden Produkten die omnipräsente Ideologie affirmiert.[47]
2.2 Kunst
Die Ästhetische Theorie Adornos entfaltet sich an der Frage nach der Legitimation der Kunst schlechthin.[54] Daß diese überhaupt hinterfragt werden muß, verdankt sich der Tatsache, daß die Autonomie der Kunst eine Freiheit darstellt, die in „Widerspruch zum perennierenden Stande von Unfreiheit im Ganzen“[55] steht. Eine klare Kunstdefinition findet man bei Adorno nicht, da sie sich jedem Begriff sperrt.[56] Vielmehr konzentriert sich Adorno auf eine generelle Bewegung der Kunst in der Geschichte, die grob als eine von der Trostfunktion zur Schaffung eines Bewußtseins des Leidens gekennzeichnet wird. Allein dieses Bewegungsgesetz macht Kunst deutbar.[57] Mit der Fokussierung dieses Bewegungsgesetzes blendet Adorno ganze Gattungen und historische Prozesse aus. Nicht selten wird vormoderne Kunst als Exempel affirmativer, einen „Herrendienst“[58] verrichtender Kunst, zitiert. Einen Rekurs auf klassische Ästhetik vollzieht Adorno insofern, als er den Scheincharakter der Kunst übernimmt[59], und kantische sowie hegelianische Ästhetikkategorien restauriert, wohlgemerkt in einer Form, die eine kritische Veränderung, polemische Übersteigerung[60] oder eine „vollständige Umkehrung“[61] bedeutet.
2.2.1 Der Doppelcharakter der Kunst
Wesentliches Hauptmerkmal der Kunst ist laut Adorno ihr Doppelcharakter als „autonom und als fait social“.[62] Dieser kennzeichnet die Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft. Einerseits muß Kunst autonom sein, um sich der ideologischen Verstrickung der Gesellschaft zu verweigern. Ihre Emanzipierung von der Gesellschaft darf jedoch nicht bedeuten, daß sie, zu einem harmlosen Beobachter gesellschaftlicher Realität degeneriert, affirmativ wird. Andererseits kann sie nicht nur Bestandteil gesellschaftlicher Realität, fait social sein, weil sie, in solcher Form integriert, zur Ware wird und auf diese Weise ebenso Affirmation betreibt.[63] Kunstwerke sind Produkte menschlichen Schaffens, dürfen jedoch nicht Resultate instrumenteller Vernunft sein. Die Beziehung der Kunst zur Gesellschaft resultiert nicht aus einer Kommunikationsfunktion, sondern aus dem Umstand, daß sie sich als Widerstand gegenüber der Gesellschaft konstituiert.[64] Gerade deshalb muß sie sich der Kommunikation verweigern. Nachdem sich Kunst von feudalen und kultischen Zwecken emanzipiert hat, besteht die Möglichkeit authentischer Werke, d.h. solcher, die sich nicht mehr ideologischen Zwecken unterordnen lassen. Garant dieser Authentizität ist der Autonomiestatus, auf dem Adorno zufolge gerade in der Moderne zu insistieren sei. Die autonom gewordene Struktur des Ästhetischen ist vom Austragen der ihr innewohnenden Spannung gezeichnet: Ist Kunst stets von der Gefahr bedroht, ideologisch oder affirmativ zu sein, so ist Kunstautonomie aporetisch, weil in ihrer Praxisferne bereits eine Verstrickung in den allgemeinen Schuldzusammenhang liegt.[65] Adorno denkt den Autonomiestatus der Kunst nicht als Selbstzweck, sondern als Fundament einer kritischen Haltung, die sich durch den Gestus der Verweigerung gegen jede Form der Affirmation absetzen will. Dies unterscheidet Adornos Konzept deutlich von zeitgenössischen Autonomieästhetiken und kennzeichnet seine Nähe zur Heteronomieästhetik[66], will man davon ausgehen, daß ein konsequentes autonomieästhetisches Programm die Befreiung von Referentialität bezüglich Bedeutung, Inhalt und Wirkungsabsicht realisieren müßte.
2.2.2 Kunst als Wahrheitsinstanz
Wie oben erwähnt, erhält die Kunst bei Adorno insofern ihre elementare Bedeutung, als sie Wahrheit transportiert. Indem Kunst der Gesellschaft gegenüber Schein bleibt, wird sie zur Wahrheitsinstanz, die dem unterdrückten Nichtidentischen, dem Unversöhnten, zum Ausdruck verhilft. Kunst ist, da sie den „Gebilden dorthin“ folgt, „wohin sie wollen“[67] Instanz von Mimesis, und somit Fürsprecher der zum Schweigen gebrachten Natur. Kunst als „durch Rationalität gefilterte, objektivierte Mimesis“[68] bringt die Unversöhntheit von Subjekt und Natur zur Sprache. Als Ausdruck des Unversöhnten und des objektiven Leidens der Menschheit ist sie Trägerin der Wahrheit und darüber hinaus eines utopischen Gestus, der auf die Sehnsucht nach einem herrschaftsfreien Zustand verweist. Die Sprache der Kunst bleibt dabei rätselhaft[69], und ihre Utopie eine bilderlose. Der Rätselcharakter der Kunst konstituiert sich aus der „Konfiguration von Mimesis und Rationalität“[70]. Was sie ihrem Rezipienten abverlangt, ist, ihre Wahrheit durch philosophische Reflexion herauszudestillieren.[71] Dabei geht es nicht darum, eine Botschaft der Kunst zu übersetzen und das ihr innewohnende Rätsel aufzulösen, denn Sprache, von Adorno als Herrschaftsinstrument gedacht, kann, indem sie Kunst begrifflich macht, nur wieder den usurpatorischen Gestus zweckrationalen Denkens vollziehen. Vielmehr kommt der Philosophie „die Aufgabe zu, die der Kunst immanente Aporie zwischen Gebilde- und Rätselcharakter, Verheißung und Zweifel, Opazität und sprachlicher Identität nicht aufzulösen, sondern lediglich bewußt zu halten“ .[72]
2.2.3 Das Naturschöne – Rekurs auf Kant, Schiller und Hegel
Wie herausgearbeitet wurde, besteht die Irrationalität der Aufklärung darin, ihr naturhaftes Moment zu unterdrücken, was zu einem Rückfall in mythische Repression führt. Da allein die Berücksichtigung des Nichtidentischen der Garant von Wahrheit ist, richtet sich Adornos Interesse insbesondere auf das Naturschöne. Kant räumt dem Naturschönen in der „Kritik der Urteilskraft“ aufgrund seiner sittlichen Komponente noch den Primat vor dem Kunstschönen ein. Dabei unterscheidet er Naturschönes und Kunstschönes wie folgt: „Eine Naturschönheit ist ein schönes Ding; die Kunstschönheit ist eine schöne Vorstellung von einem Dinge.“[73] Der Geniebegriff Kants entfaltet sich dann um das Subjekt, das nicht intentional Kunst schafft, sondern „Talent“[74] besitzt, die Schönheit der Natur intentionslos aus sich sprechen zu lassen. Leitet aber Kant aus der Erfahrung der Erhabenen des Naturschönen die Überlegenheit des Subjekts ab[75], so will Adorno im Naturschönen einen Ruf hören, der das Subjekt an seine Naturhaftigkeit erinnert und mehr „Offenheit als schützende Abwehr“[76] provoziert. Bei Schiller findet eine Abwertung des Naturschönen statt, indem er den Mensch als einer doppelten Gesetzlichkeit von Natur und Vernunft unterstellt versteht. Der Harmonie mit der Natur entrissen, muß er seine Einheit auf dem Weg der Vergeistigung im Kunstschönen, dem Vernunft und Sinnlichkeit innewohnen, wiederfinden.[77] Hegel schließlich ordnet das Naturschöne dann gänzlich dem Kunstschönen unter, weil die „Dürftigkeit“[78] der Natur dem zur „freier Selbständigkeit“[79] strebenden Geist ein Hindernis ist. Das Naturschöne begreift er als Teil eines Naturprozesses, der in sich mangelhaft ist, weil das Einzelne seinem „Begriff nicht entspricht“[80] und dadurch „Endlichkeit bekundet“.[81] Was für Hegel der Begriff ist, ist die „Idee“[82], die das „Unendliche und Freie“[83] bedeutet, das allem Partikularen, Endlichen und Abhängigen in der Natur fehlt. Für Hegel ist der Übergang vom Naturschönen ins Kunstschöne daher ein notwendiger, denn erst im Kunstschönen kann alles Partikulare der Natur in Objektivität übergeführt werden:
„Dies ist der Grund, weshalb der Geist auch in der Endlichkeit des Daseins und dessen Beschränktheit und äußerlichen Notwendigkeit den unmittelbaren Aunblick und Genuß seiner wahren Freiheit nicht wiederzufinden vermag und das Bedürfnis dieser Freiheit daher auf einem anderen, höheren Boden zu realisieren genötigt ist. Dieser Boden ist die Kunst, und ihre Wirklichkeit das Ideal.“[84]
Adorno richtet sich gegen Hegel, weil es ihm um eine Bewahrung des Naturschönen geht, wohingegen Hegel eine Überwindung der Kategorie des Naturschönen anstrebt.[85]
Adorno diagnostiziert an der Naturbeherrschung des Subjekts unüberwundene Angst. Im aufklärerischen Akt der Naturunterwerfung wird Natur zu einer Einheit, deren Korrelat die Identität des Subjekts ist.[86] Adornos Kritik am oben erwähnten Identitätszwang weist auf eine Möglichkeit der Herrschaftsfreiheit hin, die sich realisieren könnte, wenn das Subjekt von seiner wahnhaften Angst vor der Natur abließe. Insofern das ungeachtet relativer ökonomischer Sicherheit jedoch nicht der Fall ist, bleibt Natur das Nichtidentische, dem gegenüber der Mensch Herrschaft ausübt. Natur ist hier ein diffuser Begriff, der sich nicht positiv einer Bestimmung öffnet, sondern negativ auf all das hinweist, was unbestimmbar ist und sich begrifflichem Denken entzieht.[87] Hier wird deutlich, warum das Naturschöne als Kategorie zitiert wird: Natur und Kunst sind gemein, sich nicht begrifflich erfassen zu lassen, sie sind Statthalter des Nichtidentischen. Das Schöne an der Natur ist laut Adorno eben das, was mehr ist als es selbst. Das Naturschöne ist nur als historisch vermitteltes erfahrbar, und nur ein von zwanghafter Selbsterhaltung befreiter Blick erlaubt die Erfahrung des Schönen.[88] Ist für Kant also das Naturschöne noch Instanz an der die Vernunft sich bestätigt, so stellt sie für Adorno das Moment dar, an dem Vernunft über den Schuldzusammenhang ihrer Instrumentalisierung hinauswächst, denn im Naturschönen leuchtet all das auf, was sich dem Herrschaftsgestus zweckrationalen Denkens entzieht. Die Zeigegeste der Kunst wie des Naturschönen weist auf einen herrschaftsfreien Zustand, allerdings kann das Naturschöne nur ein regressives Versöhnungsangebot machen, weil es das Gedächtnis des vorzivilisatorischen Zustandes ohne Subjekt-Objekt-Trennung ist. Daher ist es Aufgabe der Kunst, das kritische Potential des Naturschönen, die Möglichkeit von Versöhnung, zu entbinden. In der Rätselhaftigkeit der Kunst manifestiert sich die Verwandtschaft mit dem Naturschönen: So wie das Naturschöne als transitorisches kurz aufblitzt, um sich sogleich wieder dem Begriff zu entziehen, so ist auch die Kunst, mit dem flüchtigen Feuerwerk verglichen, „Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift“.[89] Während bei Hegel Kunst letztendlich subjektiv und partikular bleibt und deshalb kein Träger von Wahrheit sein kann, gewinnt sie bei Adorno den Status von Objektivität.[90] Bedingung für diese Verbindlichkeit ist jedoch die innere rationale Durchformung des künstlerischen Materials.
2.2.4 Formgesetz
„Kunst hat soviel Chance wie die Form, und nicht mehr“[91] heißt es in der ÄT, und damit zeichnet sich ab, welche eminente Bedeutung der Formkategorie innerhalb der Ästhetik Adornos zukommt. Damit ist jedoch keine normatives Formkonzept gemeint, dem sich die Inhalte der Kunst zu unterwerfen hätte, vielmehr begreift Adorno die Form eines Kunstwerks als Akt rationaler Organisierung, die dem Mimetischen zum Ausdruck verhilft[92], dieses aber vergeistigt, d.h. seiner Subjektivität entreißt und zum Objektiven erhöht. Die einzig legitime „Gestalt rationalen Denkens im Kunstwerk“ ist für Adorno die „Konstruktion“.[93] Da Kunst ihr Material der gesellschaftlichen Realität entnimmt, ist sie fait social, und von der Empirie kann sich Kunst nur absetzen, indem sie das Material durch eine rationale Ordnungsleistung verwandelt. Das durch die „immanente Dialektik von Rationalität und Mimesis“[94] bestimmte Formgesetz wird somit Gegeninstanz zur instrumentellen Vernunft. Indem Kunst Natur vergeistigt und den Geist seiner Naturhaftigkeit erinnert, findet eine formales Versöhnungsangebot statt, das als Opposition zur realen Unversöhntheit von Geist und Natur betrachtet werden kann.[95] Kunst kann dennoch nicht als geglückte Versöhnung verstanden werden, denn das zwangsläufige Scheitern ist ihr immanent: Da Kunst die Unversöhntheit in der Empirie ausspricht, und zugleich ihrer Genese nach Teil derselben ist, ist sie aporetisch. „Sie kann ihrem Begriff nicht genügen“[96], denn das Formgesetz bedeutet Beherrschung des Materials, was ein Äquivalent zur schuldhaften Naturbeherrschung darstellt.[97] Insofern wird das Formgesetz zur „Amoralität“[98] der Kunst, jedoch kehrt Adorno diese scheinbare Schwäche zur ihrer Stärke um und macht das unüberwindliche Scheitern zum Konstitutivum ihrer Qualität:
„Nur weil emphatisch kein Kunstwerk gelingen kann, werden ihre Kräfte frei; nur dadurch blickt sie auf Versöhnung.“[99]
Die der Kunst inhärente Dialektik muß ausgetragen und zugunsten keiner Seite entschieden werden, will Kunst sich der Verdinglichung entziehen. Damit wendet sich Adorno gegen rationale (engagierte) und irrationale (poésie pure) Kunstkonzepte. Der „banausische[n] Teilung der Kunst in Form und Inhalt“[100] entzieht sich Adorno, indem er auf deren Einheit besteht. Form ist selbst „sedimentierter Inhalt“[101], das geschichtliche Gewordensein des Kunstwerkes findet seinen Ausdruck in der Konstruktion des Materials, das das Geschichtsbewußtsein der Kunst als „Gedächtnis akkumulierten Leidens“[102] ausmacht. Normativ ist am Formgesetz die Notwendigkeit des Fortschritts. Nur das neueste, avancierte Material garantiert den Autonomiestatus der Kunst, denn Orientierung an Tradition kann von Adorno nur als regressiver Akt verstanden werden:„Das Rimbaudsche il faut être absolument moderne, modern seinerseits, bleibt normativ.“[103] Damit artikuliert Adorno auch eine Absage an die harmonische Werkstruktur – Dissonanz und Fragmentcharakter werden zu zentralen Charakteristika moderner Kunst.
3. Bachmanns Ästhetik zwischen Autonomie und Litterature engagée
3.1 Historische Bedingungen
Einem angemessenen Verständnis der ästhetischen und poetologischen Grundlagen Bachmanns muß eine Beleuchtung der historischen Bedingungen vorausgehen, die seit den Siebziger Jahren zunehmend in der Sekundärliteratur berücksichtigt wurden. Sind für Bachmann „Zeitmotivik und Geschichtsthematik“[104] von großer Bedeutung, und ist darüber hinaus ihre österreichische Nationalität in der Sekundärliteratur vieldiskutiert[105], so deutet sich hier bereits an, daß dieser Verweisungshorizont ein umfassenderes Verständnis bachmannscher Prosa ermöglicht und darüber hinaus stellenweise eine Relativierung allgemeingültig scheinender Topoi.[106] Die historischen Gegebenheiten, auf die Bachmann reagiert, sind von ihr weder mit einer Art Exklusivanspruch in ihre Arbeit integriert worden, noch läßt sich behaupten, daß Bachmann den Fragen der Zeit mit inhaltlich oder formal völlig neuartigen Konzepten begegnet. Den überschwenglichen Verfechtern bachmannscher Originalität[107] wäre entgegenzuhalten, daß ihr unter anderem weltanschauliche Anleihen bei Adorno, Wittgenstein, Heidegger, Bloch und Benjamin und methodische Anleihen etwa bei Brecht nachzuweisen sind, die gleichwohl nicht überwertet werden sollten.[108] Gegen die strengen Kritiker ihrer vermeintlichen Trivialität[109] wäre darüber hinaus geltend zu machen, daß Bachmanns formale Konstruktion und ihr inhaltliches Festhalten am Individuum gegen das Interesse am Kollektiv gewisse Originalität beanspruchen darf. Als historisches Zentrum der Biographie und des dichterischen Schaffens Bachmanns darf die Erfahrung des Faschismus gelten. Der Einmarsch der Truppen in Kärnten ist vielfach als Manifestation der „ersten Todesangst“[110] und eines darauf basierenden Traumas zitiert worden[111], unter anderem auch als Ereignishorizont, von dem aus sich Bachmanns Schaffen erklärt. Neben diesen biographischen Details, die sicher unbestrittenen Einfluß auf Bachmann als Individuum und als Dichterhin ausübten, ist das Faktum der Schuld und der mangelnden Aufarbeitung zentral in Bachmanns Topos eines innerhalb des Friedens währenden Krieges. Die schon in der Prosa der fünfziger Jahre auftauchende Rückbesinnung auf die historischen Voraussetzungen der bis zum Ende ihres Schaffens regelmäßig auftauchenden zerstörten Identitäten fokussiert vor allem die Folgen von Verdrängung und Vergessen des Kriegs- und Schuldtraumas sowohl der deutschen als auch der österreichischen Bevölkerung nach dem Nationalsozialismus. Hinzu kommt, daß sich für Bachmann die Realität des Krieges (etwa Vietnam 1946, Korea 1950, Algerien 1954, Kubakrise 1962, Pakistan 1971) zu einem dauernden Zustand kriegerischer Auseinandersetzung verdichtet, der sich auch in Zeiten und an Orten relativen Friedens nicht leugnen läßt.[112] Davon zeugt ihre verwunderte Frage an Gerda Bödefeld, wenn diese sich nach dem Topos des Mordschauplatzes erkundigt:
„Ja, haben Sie denn da einen Zweifel? Daß in dieser angeblich zivilen Welt, zwischen Menschen, die sich scheinbar gut benehmen, im Verborgenen ein permanenter Kriegszustand herrscht? Daß die Menschen einander umbringen, ganz langsam? Es gibt Momente, in denen das jedem deutlich wird, dann gibt es lange Strecken, wo man wieder einigermaßen beruhigt dahinlebt, mit seinen kleinen Verwundungen [...]“[113]
Daß Bachmann diese Theorie des permanenten Krieges aufgreift[114], verdankt sich dem Umstand, daß Bachmann sowohl Zeugin der mißglückten politischen Entnazifizierung als auch Zeitgenössin jener Individuen ist, an denen nach dem Ende des Nationalsozialismus vorwiegend Apathie, Verdrängung, sowie narzißtische Kränkung zu diagnostizieren sind. Vielfach dokumentiert, zeigt sich die deutsche sowie österreichische „Volksseele“ beschädigt und auf dem Weg einer konsequenzenreichen Strategie der Entlastung:
„In keinem Lande, das von 1914-1918 Krieg geführt hatte, wurde der Krieg nach 1918 so rasch vergessen wie in Deutschland. [...] Man kann mit einem Deutschen reden hintereinander über Existenzphilosophie, über die Zuckergewinnung aus Holz, über Menschenvergasung, über den Maler Paolo Uccello, - aber man kann nur darum so hintereinander mit ihm reden, weil er mit keiner Sache verbunden ist, [...]. Nicht einmal mit seinen Vergasungen hängt der Vergasende zusammen, [...]. Man verlangt von den Deutschen, daß sie bereuen. Aber dieser deutsche Mensch kann sich an nichts erinnern [...].“[115]
So wie hier der von Picard beschriebene „Mensch ohne Erinnerung“[116] nach der totalen Katastrophe der Massenvernichtung ungeachtet seiner Schuld zum Alltag übergeht, als sei nichts geschehen, so gehen auch Staat und Politik ihrem Geschäft nach, ohne einen gravierenden Einschnitt zu signalisieren:
„Das ist das Furchtbare, daß man den Mörder in seinen bürgerlichen Beruf zurückbringen kann, so als ob kein Mord und nie eine Vergasung durch ihn geschehen wäre. [...] Wenn er Briefmarken verkauft oder Zigarren, so ist nichts anderes in ihm als diese Handlung, aber nicht nur dies: es ist sogar so, als ob er vorher überhaupt nie etwas anderes getan hätte [...].“[117]
Es ist das zweifache Skandalon, daß nicht nur das Individuum seine eigene Schuld vergißt, sondern daß auch von staatlicher Seite eine Wiedereingliederung ehemaliger Kriegsverbrecher stattfindet, die in keinem Verhältnis zur Realität des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen steht. Der Einzelne, der seine Schuld vergißt und eine neue Normalität schafft, wird nach dem Ende des Krieges vieldiskutiertes Objekt psychoanalytischer Bemühungen, Ursachen und Folgen der Ergebenheit dem Führer gegenüber zu verstehen. Mitscherlich etwa arbeitet heraus, daß eine Strategie des Vergessens und das Fehlen psychischer Beeinträchtigung nach dem Nationalsozialismus weitaus häufiger zu beobachten sind als etwa naheliegendere Reaktionsformen wie Depressionen[118] und Verzweiflung:
[...]
[1] Kurt Bartsch, Sigrid Weigel und Helgard Mahrdt, um nur einige zu nennen, stellen einen Zusammenhang in ihren Arbeiten her.
[2] Den Gebrauch stereotyper Vokabeln und konstruierter Zusammenhänge kritisiert Heißenbüttel, Helmut: Kritische Theorie im Rückblick, in: Zur Tradition der Moderne. Aufsätze und Anmerkungen 1964-1971, Neuwied 1972, S. 191-194. Heißenbüttel behauptet, daß gerade das Vokabular, die konstruierte Dialektik und die teleologische Struktur der Schriften Adornos selbständiges Denken verhindern. Einen ähnlichen Vorwurf erhebt auch Bubner, Rüdiger: Kann Theorie ästhetisch werden? Zum Hauptmotiv der Philosophie Adornos, in: Lindner, Burkhard / Luedke, Martin W. (Hrsgg.): Materialien zur Ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos, Frankfurt a.M. 1980, S. 108-137, hier S. 128 f. Bubner bezeichnet die Ästhetische Theorie als unsicher und selbstgenügsam.
[3] Vgl. Ingeborg Bachmann: Wir müssen wahre Sätze finden. Gespräche und Interviews, herausgegeben von Christine Koschel und Inge von Weidenbaum, München, Zürich 1994, S. 11 (im folgenden zitiert als Bachmann: GuI, S.X). Bachmann stellt hier heraus, daß es nicht notwendig für den Dichter sei, eine Ästhetik auszusprechen. Sie könne durchaus den Werken „immanent“ bleiben. Auch dieser Aussage wegen soll in dieser Arbeit sowohl nach einer ausgesprochenen als auch nach einer immanenten Ästhetik Bachmanns gefragt werden.
[4] Vgl. Gehle, Holger: NS-Zeit und literarische Gegenwart bei Ingeborg Bachmann, Wiesbaden 1995, S. 222-224. Hier wird, unter Hinzunahme diverser Zeitdokumente aus der Presse, Bachmanns Reaktion auf die Anfeindungen der Studenten in Frankfurt geschildert. Der Konflikt, der sich an den Differenzen zwischen Dichtung und Literaturwissenschaft entzündete, wurde von Bachmann mal mit Polemik, mal mit Unwillen, und nicht selten mit Schweigen beantwortet.
[5] Vgl. Weigel, Sigrid: Ingeborg Bachmann. Hinterlassenschaften unter Wahrung des Briefgeheimnisses, Wien 1999, S. 473. Weigel veröffentlicht dankenswerterweise Auszüge aus brieflichen Korrespondenzen zwischen Adorno und Bachmann und weist auch auf die nicht zu verifizierende Aussage Bartschs hin, Bachmann habe sich im Hause Adornos auf ihre Vorlesungen vorbereitet. Jedoch wird auch durch diese, sicher aufwendig recherchierten Details nicht klar, warum Weigel diese Umstände für erwähnenswert hält. Sollen sie auf eine theoretische Nähe Adornos und Bachmanns hinweisen, so bleibt die Untersuchung Weigels dem Leser doch den Beweis dafür in großen Teilen schuldig.
[6] Einen engagierten Versuch, den Einfluß der Faschismustheorien Adornos auf Bachmann nachzuweisen, unternimmt beispielsweise Mahrdt, Helgard: Öffentlichkeit, Gender und Moral. Von der Aufklärung zu Ingeborg Bachmann, Göttingen 1998, zugl. Diss., Tromso 1995.
[7] Vgl. Bachmann, Ingeborg: Werke, Bd. 4, herausgegeben von Christine Koschel, Inge von Wiedenbaum und Clemens Münster, München, Zürich 1978, S. 198f. (im folgenden zitiert als: Bachmann, Ingeborg: IV, S.X).
[8] Zu nennen wäre unter anderem Adornos Auseinandersetzung mit dem Theologen Kirkegaard in Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften herausgegeben von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1997 (im folgenden zitiert als: Adorno: GS X, S. X).
[9] Vgl. Metzler Literaturlexikon. Stichwörter zur Weltliteratur, hrsgg. von Günther und Irmgard Schweikle, Stuttgart 1984, S. 189 f.
[10] Vgl. Schneider, Jost: Die Kompositionsmethode Ingeborg Bachmanns. Erzählstil und Engagement in Das dreißigste Jahr, Malina und Simultan. Bielefeld 1999.
[11] Als formaler Aspekt dieser Arbeit wäre noch hinzuzufügen, daß sie nach den Regeln der alten Orthographie verfaßt ist.
[12] Da letztere aufgrund des Umfangs dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden kann, werden die Grundlagen der Ästhetik Adornos hier aus der Gesellschaftskritik erschlossen. Auf die Musikphilosophie als Grundlage der Ästhetik Adornos macht u.a. Werckmeister, O.K.: Ende der Ästhetik, Frankfurt a. M. 1971, S. 14, aufmerksam.
[13] Vgl. Plumpe, Gerhard: Ästhetische Kommunikation der Moderne, Bd. 2: Von Nietzsche bis zur Gegenwart, Opladen 1993, S. 203-247, hier S. 206.
[14] Vgl. Puder, Martin: Adornos Philosophie und die gegenwärtige Erfahrung, in: Neue Deutsche Hefte 1 (1976), S. 3-20, hier S. 9 ff. Puder hebt hier die Bedeutung der Innervation hervor, der Adorno als Instanz unreglementierter Erfahrung insbesondere nach dem Scheitern einer sozialwissenschaftlichen Faschismusprognose Erkenntnischarakter zuschreibt.
[15] Vgl. Adorno: GS 3, S. 19-60. Das erste Kapitel der DA kennzeichnet Aufklärung als Prozeß evolvierenden Denkens schlechthin. Auch in der Vorrede stellen Horkheimer und Adorno fest, daß „nicht bloß die ideelle, auch die praktische Tendenz zur Selbstvernichtung“ der „Rationalität seit Anfang“ zugehört. Ebd., S. 17.
[16] Baumeister, Thomas / Kulenkampff, Jens: Geschichtsphilosophie und philosophische Ästhetik. Zu Adornos ‚Ästhetischer Theorie’. In: neue hefte für philosophie Nr. 5 (Ist eine philosophische Ästhetik möglich?), Göttingen 1973, S. 74-104, hier S. 80.
[17] Adorno: GS 3, S. 29.
[18] Vgl. Adorno, GS 3, S. 22.
[19] Auch hier ist wieder die Anlehnung an Freudsche Kategorien zu bemerken. Zur Todesangst und zum Ich als „Angststätte“ z.B. Freud, Sigmund: Studienausgabe Bd. 3, Frankfurt a. M. 2000, S. 323 ff.
[20] Lypp, Bernhard: Selbsterhaltung und ästhetische Erfahrung. Zur Geschichtsphilosophie und ästhetischen Theorie Adornos, in: Lindner / Luedke (Hrsgg.): a.a.O., S. 187-218, hier S. 189.
[21] Vgl. u.a. Werckmeister, O. K. : a.a.O., S. 9. Werckmeister unterstellt Adorno, geschichtliche Veränderungen begrifflich unpräzise zusammenzufassen, sodaß sich daraus dialektische Strukturen konstruieren lassen. Vgl. auch Plumpe, a.a.O., S. 224. Hier wird auf die Synonymie des Begriffs „Geschichte“ und der anthropologischen Konstante evolvierender Vernunft hingewiesen. Zur Kritik des problematischen Geschichtsbegriffs Adornos bezieht auch Mensching Stellung. Vgl. Mensching, Günther: Zu den historischen Voraussetzungen der „Dialektik der Aufklärung“, in: Löbig, M. / Schweppenhäuser, G. (Hrsgg.): Hamburger Adorno-Symposion, Lüneburg 1984, S. 25-46, v.a. S. 30 f. Mensching erklärt, daß das immer wiederkehrende Verhaltensmuster rationaler Herrschaft in den verschiedenen Phasen der Gattung keineswegs aus der Realität zu deduzieren sei, wie Adornos es tut.
[22] Vgl. Adorno: GS 3, S. 19-60. Im ersten Kapitel der DA entfalten Horkheimer und Adorno ihr Modell der Entwicklung vom Präanimismus zum Positivismus, ohne jedoch dieses Geschichtsbild systematisch darzustellen. Es ergibt sich vielmehr aus den zahlreichen Rekursen auf Schamanismus, Mythos, Judentum und logische Wissenschaften.
[23] Vgl. Adorno: GS 3, S. 25.
[24] Vgl. Kager, Reinhard: Herrschaft und Versöhnung. Einführung in das Denken Theodor W. Adornos, Frankfurt a. M., New York 1988, S.30
[25] Vgl. Adorno, GS 3, u.a. S. 26 f. und S. 33. Hier wird der mimetische Gestus des Schamanen und Magiers als Wiederholung gekennzeichnet. Auf den Seiten 66 ff. u. 78 f. zeigt sich dann Mimesis in der Gestalt intentionaler List.
[26] Vgl. Adorno: GS 3, S. 79.
[27] Ebd., S. 60.
[28] Vgl. Kager, S. 30.
[29] Vgl. Adorno: a.a.O., S. 80. Adorno bezeichnet Odysseus hier als „homo oeconomicus“.
[30] Vgl. Ebd., S. 81.
[31] Vgl. Lindner, Burkhardt: Il faut être absolument moderne. Adornos Ästhetik: Ihr Konstruktionsprinzip und ihre Historizität, in: Lindner /Luedke (Hrsgg.): a.a.O., S. 261-309, hier S. 283.
[32] Vgl. Adorno: GS 3, S. 23 f. Signum der in der bürgerlichen Gesellschaft praktizierten Herrschaft ist das Äquivalent, die Reduktion aller Dinge auf einen abstrakten Wert. Kulminiert dieser Herrschaftsgestus für Adorno in der Zahl (Vgl. Ebd.), so wird hier schon deutlich, wieso die Massenvernichtung unter faschistischer Herrschaft als letzte Konsequenz aufklärerischen Äquivalenzdenkens gelten muss. In den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten wurden die Häftlinge mit Nummern versehen, die den Eigennamen im Alltagsleben ersetzten. Dies schildert u.a. Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München 2001, S. 96, 102. Vgl. auch Améry, Jean: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten, München 1966, S. 148. Améry, der die Konzentrationslagerhaft überlebte, schildert hier eindrücklich, daß die Auschwitznummer Ausdruck eines neuen, furchtbaren Lebensgefühls sei: „Ich trage auf meinem linken Unterarm die Auschwitz-Nummer; die liest sich kürzer als der Pentateuch oder der Talmud und gibt doch gründlicher Auskunft. Sie ist auch verbindlicher als Grundformel der jüdischen Existenz.“
[33] Vgl. auch Plumpe, a.a.O., S. 216.
[34] Adorno: GS 3, S. 141.
[35] Vgl. Adorno: GS 7, u.a. S. 14, 41, 114, 202, 430.
[36] Ich übernehme hier eine Formulierung von Schiller, Hans-Ernst: Selbstkritik der Vernunft. Zu einigen Motiven der Dialektik bei Adorno, in: Löbig / Schweppenhäuser: a.a.O., S. 99-120, hier S. 114.
[37] Vgl. Adorno: GS 3, S. 57 f.
[38] Vgl. Ebd., S. 13.
[39] Vgl. Adorno: GS 3., S. 15.
[40] Vgl. Ebd., S. 141.
[41] Vgl. u.a. Schwarz, Ulrich: Entfesselung der Produktivkräfte und ästhetische Utopie. Zu Adornos geschichtsphilosophischer Fundierung der ästhetischen Theorie, in: Lindner / Lüdke, a.a.O., S. 447-466. Zu korrigieren versucht dies u.a. Grohotolsky, Ernst: Ästhetik der Negation – Tendenzen des deutschen Gegenwartsdramas. Versuch über die Aktualität der „Ästhetischen Theorie“ Theodor W. Adornos, Hain, Hanstein 1984, S. 7 f. Als unbestritten kann gelten, daß der Aufklärung wie Adorno sie denkt, ein Antagonismus innewohnt. Zu bestreiten wäre allerdings, daß Adorno das Bewußtsein des offenen Widerspruchs zwischen Selbstzerstörung der Aufklärung und der Option der Rettung fehlt. Einen engagierten Versuch, auf diese Rettung hinzuweisen, unternimmt auch Soung-Suk Nho: Die Selbstkritik und ‚Rettung’ der Aufklärung. Untersuchungen zum Begriff der Aufklärung in der Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer, Frankfurt a. M. 2000, wenn sie Adorno zugesteht, Aufklärung als mythologisch und regressiv, jedoch auch als einen geschichtlich produzierten, d.h. nicht per se unveränderlichen Prozeß begriffen zu haben.
[42] Adorno: GS 6, S. 21.
[43] Adorno: GS 10-2, S. 611.
[44] Vgl. Adorno: GS 3, S. 29.
[45] Vgl. Lypp: a.a.O., S. 193.
[46] Vgl. Baumeister / Kulenkampff: a.a.O., S. 84. Die Autoren machen darauf aufmerksam, daß Adornos Naturbegriff keine positive Bestimmung erhält. ‚Natur’ bezeichnet vielmehr schlechthin alles, was aus der „Sphäre von Vernunft und Theorie ausgeschlossen und verdrängt wurde.“ (Ebd.)
[47] Adorno: GS 3, S. 59 u.GS 10-2, S. 567.
[48] Vgl. Adorno: GS 3, S. 142.
[49] Ebd., S. 141.
[50] Adorno: GS 3, S. 142.
[51] Daß es Adorno mit diesem Appell an die Freiheit des kritisch Reflektierenden um nichts geringeres geht als um die Rehabilitation der Philosophie als verbindliche Wahrheitsinstanz, arbeitet u.a. Massing, Otwin: Adorno und die Folgen. Über das ‚hermetische Prinzip’ der Kritischen Theorie, Neuwied, Berlin 1970, v.a. S. 20, heraus. Vgl. auch Tiedemann, Rolf: Begriff, Bild, Name. Über Adornos Utopie von Erkenntnis, in: Löbig / Schweppenhäuser (Hrsgg.), a.a.O., S. 67-78, hier S. 69. Vgl. auch Kipfer, Daniel: Individualität nach Adorno, Tübingen, Basel 1999, S. 149.
[52] Adorno: GS 6, S. 144.
[53] Vgl. Adorno: GS 6, S. 99.
[54] Adorno: GS 7, S. 9.
[55] Ebd.
[56] Vgl. Ebd., S. 11.
[57] Vgl. Adorno: GS 7, S. 12.
[58] Ebd.
[59] Vgl. Ebd., S. 292.
[60] Vgl. Aguado, Maria. I. P.: Ästhetik des Erhabenen. Burke, Kant, Adorno, Lyotard, Wien 1994, S. 75.
[61] Tomberg, Friedrich: Politische Ästhetik, Vorträge und Aufsätze, Darmstadt 1973, S. 30.
[62] Adorno: GS 7, S. 16.
[63] Vgl. Ebd., S. 352-353.
[64] Vgl. Adorno: GS 7, S. 336.
[65] Vgl. Lindner, Burkhardt: a.a.O., S. 291.
[66] Vgl. Schneider, Jost: a.a.O., S. 421.
[67] Adorno: GS 7, S. 142.
[68] Kager, Reinhard: Herrschaft und Versöhnung. Einführung in das Denken Theodor W. Adornos. Frankfurt a. M., New York 1988. S. 207.
[69] Vgl. Adorno: GS 7, S. 192.
[70] Ebd.
[71] Vgl. Adorno: GS 7, S 193, 198.
[72] Baumeister / Kulenkampff : a.a.O., S. 96.
[73] Kant, Immanuel : Kritik der Urteilskraft und Schriften zur Naturphilosophie, Wiesbaden 1957, S. 410.
[74] Ebd.
[75] Vgl. Aguado, Maria I. P.: a.a.O., S. 77.
[76] Aguado, Maria I. P.: a.a.O., S. 77.
[77] Vgl. Plumpe: a.a.O., S. 219.
[78] Hegel, G. W. Friedrich: Ästhetik, Bd. 1. Frankfurt a. M. 1955, S. 155.
[79] Ebd.
[80] Ebd., S. 154.
[81] Hegel, G. W. Friedrich: a.a.O., S. 154.
[82] Ebd.
[83] Ebd.
[84] Ebd.
[85] Vgl. Baumeister /Kulenkampff : a.a.O., S. 87.
[86] Adorno: GS 3, S. 26.
[87] Vgl. Baumeister / Kulenkampff: a.a.O., S. 83 f. Vgl. auch Anm. 46.
[88] Vgl. Adorno: GS 7, S. 103.
[89] Ebd., S. 125.
[90] Vgl. Grohotolsky, Ernst: a.a.O., S. 38.
[91] Adorno: GS 7, S. 213.
[92] Vgl. Ebd., S. 86.
[93] Ebd., S. 91.
[94] Adorno: GS 7, S. 86.
[95] Grohotolsky, Ernst: a.a.O., S. 21-24.
[96] Adorno: GS 7, S. 87.
[97] Zur Problematik der strukturellen Gleichheit von Natur- und Materialbeherrschung Vgl. auch Lindner: a.a.O., S. 298. Lindner übergeht bei seiner Kritik die Tatsache, daß Adorno sich dieser Problematik bewußt ist und sie als „Amoralität“ der Kunst auch auf den Begriff bringt. Berichtigt wird er u.a. durch Grohotolsky, Ernst: a.a.O., S. 40, der sich u.a. auf Sauerland beruft, wobei darauf hinzuweisen wäre, daß auch Sauerland, nachdem er Adorno gegen den Vorwurf des Materialfetischismus verteidigt, Adornos Glauben an den Zwang und die Kraft des Materials erneut in Beziehung zu Materialfetischismus setzt. Vgl. Sauerland, Karol: Einführung in die Ästhetik Adornos, Berlin, New York 1979, S. 127 ff.
[98] Adorno: GS 7, S. 217.
[99] Ebd., S. 87.
[100] Ebd., S. 221.
[101] Ebd., S. 217.
[102] Adorno: GS 7, S. 387.
[103] Ebd., S. 286.
[104] Göttsche, Dirk: Zeit, Geschichte und Sozialität in Ingeborg Bachmanns „Todesarten“-Projekt, in: Heidelberger-Leonard, Irene (Hrsg.): Text-Tollhaus für Bachmann-Süchtige? Lesarten zur Kritischen Ausgabe von Ingeborg Bachmans Todesarten-Projekt. Mit einer Dokumentation zur Rezeption in Zeitschriften und Zeitungen, Opladen 1998, S. 48-66, hier S. 48.
[105] Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit Bachmanns ist insofern von Interesse, als ihre Beachtung auf dem deutschen Markt von Anbeginn groß und von Deutschland aus fast schon eine Einverleibung Bachmanns zu beobachten war. Darüber hinaus ist das Österreichbild Bachmanns umstritten. Es fällt bisweilen der Vorwurf, Bachmann habe in ihrer Faschismuserinnerung zu lange am Opferstatus Österreichs fesgehalten. Das behaupten u.a. Thamer, Ulrich: Nationalsozialismus und Nachkriegsgesellschaft. Geschichtliche Erfahrung bei Ingeborg Bachmann und der öffentliche Umgang mit der NS-Zeit in Deutschland, in: Göttsche, Dirk / Ohl, Hubert (Hrsgg.): Neue Beiträge zu ihrem Werk. Internationales Symposion Münster 1991, Würzburg 1992, S. 215-224, hier S. 217. Eine differenziertere Position vertritt u.a. Botz, Gerhard: Historische Brüche und Kontinuitäten als Herausforderung. Ingeborg Bachmann und post-katastrophische Geschichtsmentalitäten in Österreich, in: Göttsche / Ohl (Hrsgg.): a.a.O., S. 200, 212. Hier wird deutlich, daß Bachmann durchaus ein widersprüchliches Österreichbild vertrat, keinesfalls aber eines, das den Opferstatus absolut setzt. Als Mißverständnis entlarvt Bartsch, Kurt: Ingeborg Bachmann, Stuttgart 1988, S. 53, die Annahme, Bachmann hinge einer „Geschichtslüge“ Österreich betreffend an. Die Tatsache, daß bei Bachmann gerade Österreich in diversen Erzählungen als Schauplatz des Mordes in Erscheinung tritt, findet Erwähnung bei Schneider, Jost: a.a.O., S. 85.
[106] Vor allem wäre hier festzuhalten, daß eine generalisierende, vorwiegend klagende Auseinandersetzung mit dem Leiden und der Liquidierung des Menschen in ihrer Prosa nicht auszumachen ist, sondern vielmehr eine Anklage diverser Leiderfahrungen, die unmittelbar aus dem Faschismus und einer mangelnden Aufarbeitung resultieren. Eine subjektivistische, identifizierende Haltung zum Leidenstopos in Bachmanns Prosa muß man vor allem der feministischen Rezeption vorhalten. Auf die Historizität des Leidens bei Bachmann macht vor allem Bartsch, Kurt: a.a.O., in seiner gesamten Schrift aufmerksam.
[107] Beispielsweise Bienek, der Bachmanns Erzählband „Das dreißigste Jahr“ für unvergleichlich innovativ hält. Vgl. Bienek, Horst: Lieblingskind der deutschen Publizistik,in: Rheinische Post, Düsseldorf, Nr. 168, 22.7.1961.
[108] Bachmann selbst betont, daß jene Einflüsse eine Rolle spielen, jedoch nicht in dem Sinne, daß man ihr Schaffen ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt betrachten dürfe, denn „Der Zusammenhang, den Sie herstellen wollen zwischen dem, was ich schreibe oder damals auch schon geschrieben gehabt habe, und meinem Philosophiestudium, der besteht für mich nicht so sehr [...]“ (GuI, S. 82).
[109] Als „bewußt und zynisch angestrebte Trivialliteratur“ bezeichnet Reich-Ranicki Bachmanns Simultan-Band. Reich-Ranicki, Marcel: Die Dichterin wechselt das Repertoire, in: Koschel, Christine / von Weidenbaum, Inge (Hrsgg.): Kein objektives Urteil - nur ein lebendiges. Texte zum Werk von Ingeborg Bachmann, München 1989, S. 188-192, hier S. 192.
[110] Interview mit Ingeborg Bachmann, geführt von Gerda Bödefeld, in: Bachmann, Ingeborg: GuI, S. 111.
[111] Daß das Verständnis Bachmanns unter Berücksichtigung dieser ersten Todesangst zu erfolgen habe, betonen Höller, Hans: Ingeborg Bachmann. Das Werk. Von den frühesten Gedichten bis zum „Todesarten“-Zyklus, Frankfurt a.M. 1987, S. 156; Bartsch, Kurt: Geschichtliche Erfahrung in der Prosa von Bachmann, in: Höller, Hans (Hrsg.): Der dunkle Schatten, dem ich schon seit Anfang folge. Ingeborg Bachmann – Vorschläge zu einer neuen Lektüre des Werks, Wien 1982, S. 111-124, hier S. 115; Botz, Gerhard: a.a.O., S. 199.
[112] Insgesamt stellt sich das 20. Jahrhundert als ein Jahrhundert des Krieges dar. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung herrschten seit 1945 weltweit bis zum Jahr 2000 mindestens hundertfünfzig Kriege, in den Fünfziger Jahren waren es zwölf. Es läßt sich hier schon erahnen, um wieviel mehr sich heute die Frage nach dem permanenten Krieg stellt, besonders angesichts der Fiktion humaner Kriegsführung.
[113] Bachmann, Ingeborg: GuI, S. 111.
[114] Daß diese Theorie keineswegs ein Novum ist, sondern schon bei etwa Levinas, Peter Weiss oder Maria Montessori auftaucht, erwähnt Schneider, Jost: a.a.O., S. 56.
[115] Picard, Max: Hitler in uns selbst, Zürich 1946, S. 34 f.
[116] Picard, Max: Hitler in uns selbst, Zürich 1946, S. 31.
[117] Ebd., S. 31 f.
[118] Vgl. Mitscherlich, Alexander u. Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern, München 1979, S. 30. Hier wird besonders auf Eichmann hingewiesen.
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