Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Mobbing am Arbeitsplatz – Rechtsansprüche des Opfers
A) Einleitung
I. Begriffserklärung
II. Definition
III. Ursachen
IV. Folgen
V. „Mobbinghandlung“ – „Mobbingprozeß“
B) IndividualvertraglicheAnsprüche gegen den Arbeitskollegen?
I. Vorteile vertraglicher Haftung
II. Anspruch aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD)?
1. Allgemeine Voraussetzungen der VSD
2. Anwendbarkeit auf die Beziehung zwischen den AN?
C) Individualvertragliche Ansprüche gegen den Arbeitgeber (AG)
I. Die allgemeine Fürsorgepflicht als Haftungsgrund
1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR) als Schutzgut
2. Beschäftigungspflicht
3. Schutzgut der psychischen Gesundheit
4. Grenzen der Fürsorgepflicht
II. § 618 BGB i.V.m. öffentlich-rechtlichen Schutznormen
1. Schutzbereich
2. Wesentliche öffentlich-rechtliche Schutznormen
3. Insbesondere § 4, Nr. 4 ArbSchG
4. Melderecht, § 17 II ArbSchG
III. Rechtsfolgen
1. Grundsatz: Erfüllungsanspruch/Unterlassungsanspruch
a) Anspruch auf Disziplinierung
b) Zurückbehaltungsrecht
2. Schadensersatzanspruch aus pVV
3. Erfüllungsgehilfen, § 278 BGB
IV. Anspruch aus § 628 II i.V.m. § 626 I BGB
1. Voraussetzung: außerordentliche Kündigung
2. Rechtsfolgen
V. Beweisproblematik
D) Ansprüche aus kollektivem Arbeitsrecht
I. Rechtsanspruch auf Schutz und Förderung der Persönlichkeit,
§ 75 II BetrVG?
II. Kollektivrechtlicher Anspruch gegen den Arbeitgeber, § 84 BetrVG
1. Inhalt
2. Anspruch auf Abhilfe, § 84 II BetrVG
3. Sanktionen nach betrieblicher Bußordnung?
4. Probleme bei der praktischen Durchsetzung
III. Kollektivrechtliche Ansprüche gegen den Betriebsrat (BR)
1. Anspruch aus § 85 I BetrVG i.V.m. § 104 S. 1 BetrVG
2. Probleme der praktischen Durchsetzung
E) Deliktische Ansprüche
I. Anspruch aus §§ 823 ff. BGB gegen den Mitarbeiter
1. § 823 I BGB
a) Rechtsgut Gesundheit
aa) Handlungsbegriff
bb) Sorgfaltspflichtverletzung?
cc) Gesamtbetrachtung?
dd) Strukturwiderspruch
b) APR als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 I BGB
c) Verschulden
d) Rechtsfolgen
2. § 826 BGB
a) Sittenwidrigkeit
b) Vorsatz
3. § 823 II BGB i.V.m. Schutzgesetzen
a) Strafrechtlicher Ehrschutz
aa) Tatbestände
bb) Berechtigtes Interesse
c) Fahrlässige Körperverletzung
d) Unterlassene Hilfeleistung
e) Problem der Durchsetzung
4. § 1004 BGB analog
a) Tatbestand
b) Rechtsfolge
5. § 830 BGB Mittäterschaft
II. Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB gegen den AG
1. Weitere Voraussetzungen i. R. d. § 823 I BGB
a) Recht am Arbeitsplatz als „sonstiges Recht i.S.d. § 823 I BGB?
b) Organisationsverschulden
2. Anspruch auf Schmerzensgeld, § 847 BGB
3. § 823 II i.V.m. Schutzgesetzen
a) § 2 BeschG
b) § 75 II BetrVG
c) Strafrechtstatbestand i.V.m. § 13 StGB
4. § 831 BGB
III. Beweiserschwernisse bei deliktischen Ansprüchen
F) Alternative Lösungsmöglichkeiten
G) Zusammenfassung / Fazit
Mobbing am Arbeitsplatz – Rechtsansprüche des Opfers
A) Einleitung
Mobbing, der sogn. Psychoterror am Arbeitsplatz[1], ist in den letzten Jahren als arbeitsrechtliches Phänomen immer häufiger in Erscheinung getreten. Diese Arbeit soll sich den wichtigsten Rechtsansprüchen des Individualarbeits-, Kollektivarbeits- und des Deliktsrechts widmen, die dem Opfer zustehen können und dabei insbesondere auf die Probleme ihrer Durchsetzung eingehen.
I. Begriffserklärung
„Mobbing“ leitet sich vom englischen Verb „to mob“ ab und bedeutet soviel, wie „sich zusammenrotten, um gemeinsam gegen einen anderen vorzugehen; um über ihn herzufallen“.[2] Oft wird synonym von „systematischer Schikane“[3] gesprochen. Die Fachliteratur versteht darunter einen eskalationsgeneigten Prozeß mit dem Ziel, eine Person oder Personengruppe aus dem Arbeitsverhältnis zu verdrängen.[4] Am Anfang des Prozesses steht ein Konflikt, wie er im zwischenmenschlichen Miteinander üblich ist. Jedoch wird beim Mobbing nicht nach einer sachlichen Lösung des Problems gesucht. Vielmehr wird das Problem „personifiziert“.[5] Dies geschieht nach Leymann in 4 Phasen.[6] Ausgehend von abschätzigen Bemerkungen und Gesten, die gegen Arbeitsleistung, zunehmend aber gegen die Person selbst gerichtet sind, wird das Opfer isoliert, geschnitten, ignoriert. Am Ende stehen häufig offene Angriffe in Form von Beleidigungen oder gar Tätlichkeiten. Die Handlungsformen sind so vielfältig wie unüberschaubar.[7] In der Regel zielen jedoch alle auf die Versagung des normal üblichen zwischenmenschlichen Respekts, auf Untergrabung der sozialen Beziehungen und stellen die persönliche, soziale und berufliche Integration des oder der Opfer in Frage.[8] Als Täter treten häufig Arbeitskollegen, sehr oft aber auch der Vorgesetze oder gar der AG selbst auf. Andererseits kann sich de facto jeder in der Opferrolle finden. Persönliche Prädispositonen konnten nicht festgestellt werden.[9]
II. Definition:
Mobbing kann daher in etwa wie folgt definiert werden: Mobbing ist eine konfliktbelastete (Nicht-) Kommunikation am Arbeitsplatz unter Arbeitskollegen oder zwischen Vorgesetzen und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder mehreren Personen systematisch, oft und während längerer Zeit (mind. sechs Monate lang, 1 x pro Woche)[10] mit dem Ziel/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird.[11]
III. Ursachen:
Es gibt vielfältige Gründe, warum ein Konflikt unter Mitarbeitern nicht beigelegt wird, sondern sich zum Mobbing verschärft. Weshalb Mobbing verstärkt in den letzten Jahren in Deutschland in Erscheinung trat könnte wohl allgemein mit hoher Arbeitslosigkeit, härterem Wettbewerb und Rationalisierungsdruck, gleichzeitig mit karrierebewußteren Mitarbeitern zusammenhängen.[12] Es wird eine „Entsolidarisierung“ der Arbeitnehmer festgestellt.[13] Als weitere Ursachen führt insbesondere Leymann die Arbeitsorganisation an.[14] So komme Mobbing häufig in Betrieben vor, wo strenge Hierarchien zwischen Angestellten, Vorgesetzen und Arbeitgebern herrschen. Ferner, bei besonders monotonen, aber zeitlich und physisch sehr belastenden Arbeitsabläufen. Angefacht wird der Prozeß oftmals durch mit der Konfliktbewältigung überforderte Vorgesetzte.[15]
IV. Folgen:
Negative betriebswirtschaftliche Folgen entstehen dem Arbeitgeber durch steigende Fehlzeiten, sinkende Arbeitsmotivation der Opfer bis hin zum Fachkraftverlust durch Kündigung des Opfers. Schätzungsweise 30 Mrd. DM (z.B. in Form von Krankengeld und Lohnfortzahlung) kostet dies jährlich die deutschen Arbeitgeber.[16]
Doch sind die Auswirkungen für die Opfern weit verheerender. Der Mobbingprozeß führt zu einer dauernden Streßreaktion. Daraus resultieren Gesundheitsschäden: Beginnend mit Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Magengeschwüren bis hin zu Angstzuständen, Nervenzusammenbrüchen und schweren Depressionen.[17] Dabei wird von etwa 1,3 Mio. Opfern in Deutschland ausgegangen.[18]
V. „Mobbinghandlung“ – „Mobbingprozeß“
Im folgenden sind Mobbinghandlungen, als einzelne temporäre Vorgehensweisen vom sogn. „Mobbingprozeß“[19] zu unterscheiden. Letzterer umschreibt den zeitlichen Gesamtprozeß, in dem Mobbinghandlungen vorgenommen werden und in dem das Opfer langsam seelisch zermürbt wird.
B) Individualvertragliche Ansprüche gegen den Arbeitskollegen?:
Wie gesagt ist jeder, folglich auch der AG als Opfer vorstellbar. In über 80% aller Fälle[20] ist jedoch der einfache Arbeitnehmer das Opfer, weshalb im Folgenden die möglichen Ansprüche dieser Gruppe behandelt werden sollen. Mobbing findet bis zu 44% auf derselben Ebene unter Kollegen statt.[21] Es wäre daher wünschenswert, wenn gegen diese vertragliche Ansprüche bestünden, da diese diverse Vorteile gegenüber rein deliktischen Ansprüchen bieten:
I. Vorteile vertraglicher Haftung:
Ansprüche aus Vertrag bieten dem Berechtigten erhebliche Vorteile gegenüber rein deliktischen Ansprüchen: So besteht hier die Verjährungsfrist von 30 J. (§ 195 BGB) gegenüber 3 J. beim Delikt (§ 852 BGB). Auch wäre nach § 278 I BGB dem Anspruchsgegner das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen zuzurechnen, wohingegen bei den § 831 I 2 BGB die Möglichkeit der Exkulpation besteht. Wie sich später zeigen wird, bietet § 282 BGB den sehr wichtigen Vorteil der Beweislastumkehr, wohingegen bei den § 823 ff BGB der Anspruchsinhaber die volle Beweislast zu tragen hat.[22]
Eine besondere Problematik stellt der sukzessive Verletzungserfolg i.R. d. § 823 ff dar. Dies wird eingehend unter E), I., 1. behandelt werden.
II. Anspruch aus Vetrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD):
Grundsätzlich besteht ein vertragliches Verhältnis nur zwischen AN und AG, nicht aber zwischen den ANern untereinander.[23] Fraglich ist jedoch, ob sich aus der besonderen Situation des (üblicherweise) täglichen Miteinanders der Kollegen unter Anwendung bestehender Rechtsfiguren ein vertraglicher Anspruch herleiten läßt. Diesbezüglich gibt es diverse Ansätze, die jedoch entweder dogmatisch unsauber oder praxisfern sind.[24]
Allein der Versuch, Vertragspflichten aus einem in Anlehnung an § 328 I BGB entwickelten VSD herzuleiten, erscheint durchaus diskussionswürdig:
1. Allgemeine Voraussetzungen des VSD:
Nach einhelliger Meinung[25] ist anerkannt, daß am einem Vertrag nicht beteiligte Dritte zwar keinen Anspruch auf die Hauptleistung, jedoch einen Schadensersatzanspruch für die Verletzung von Sorgfalts- und Schutzpflichten gegen den Schuldner haben soll, wenn dieser wie der Gläubiger den aus dem Vertrag resultierenden Gefahren ausgesetzt ist. Grund hierfür ist u.a. eine Billigkeitserwägung[26]: Hat der Dritte keine schuldrechtliche Beziehung zum Schädiger, kann sich dieser gem. § 831 I S. 2 BGB für das Verschulden seines Verrichtungsgehilfen exkulpieren. Nimmt man mit dem VSD ein Schuldverhältnis an, hat sich der Schuldner das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB zuzurechnen. Diese Besserstellung müsse aber auch einem Dritten zugute kommen, der wie der Gläubiger in den Kontakt mit der Leistung des Schuldners kommt.
Im Interesse des Gläubigers und zur Abgrenzung von der Deliktshaftung erfordert der VSD eine Eingrenzung durch strenge Kriterien.[27]
2. Anwendbarkeit auf die Beziehung zwischen den AN?
Zweifelhaft ist, ob die von Rspr. und Lit. entwickelten Kriterien auch auf das Verhältnis AG – AN - Kollege anwendbar sind. Nimmt man an, daß der AG der Gläubiger, der mobbende AN der Schuldner und der gemobbte AN der Dritte i.S.d. VSD ist, liegt die Bejahung des VSD nahe. Schließlich käme der gemobbte AN in einem Betrieb typischerweise und bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung des mobbenden AN in Berührung und ist daher denselben Gefahren ausgesetzt wie der AG.[28] Der mobbende AN hat aus seiner Treuepflicht aus Arbeitsvertrag, §§ 611, 242 BGB die schutzwürdigen Interessen des AG zu wahren.[29] Diese Sorgfaltspflicht würde ihm i. R. d. folglich auch gegenüber dem Mobbingopfer obliegen.
a) Pro: Zwar wird vertreten, daß der AG nur ein Interesse an der Wahrung des Betriebsfriedens und an der Erbringung der Arbeitsleistung , folglich kein ausreichendes Interesse am Schutz des Dritten habe.[30] Jedoch bestehen für den AG gegenüber dem AN Fürsorgepflichten aus dem Arbeitsvertrag , §§ 611, 242 BGB.[31] Diese bedingen auch den Schutz der Persönlichkeit des AN.[32] Der AG muß also ein Interesse am Schutz des gemobbten AN haben, will er seine eigenen Vertragspflichten nicht verletzten.[33] Ferner sei dem mobbenden AN bei Eintritt in den Betrieb der Kreis der Kollegen erkennbar. Schließlich sei der gemobbte AN schutzwürdig, da ihm i.d.R. nur weniger „starke“ (s.o. I.) deliktische Ansprüche gegen den Kollegen zustehen.[34]
b) Contra: Dagegen richten sich Bedenken. Zwar genügt laut BGH die objektive Erkennbarkeit des Kreises der Dritten.[35] Dies scheint aber in der Praxis großer Betriebe den Begriff der Erkennbarkeit bis zur Unbrauchbarkeit auszuweiten.[36] Bei mehreren 100 Angestellten wäre der Kreis unüberschaubar. Hinzu kommt noch die ständige Fluktuation der AN. Das Kriterium soll schließlich dem Schuldner die Möglichkeit bieten, Haftungsrisiken abzuschätzen.[37] In der Praxis ist der AN jedoch bei angespannter Arbeitsmarktlage meist gezwungen den angebotenen Arbeitsplatz anzunehmen. Risikokalkulationen unterblieben in der Regel.[38] Folglich würde das Kriterium der Erkennbarkeit seinen Zweck einbüßen.
Das Kriterium ließe sich m.E. jedoch durch eine Differenzierung eingrenzen. Soll der AN laut Vertrag in einem Team eingesetzt werden, so ist der Kreis der Dritten überschaubar und der AN kann sehr wohl das Haftungsrisiko abschätzen. Ferner könnte das Kriterium z. B. auf bestimmte Betriebsabteilungen beschränkt werden.
c) Mangelndes Bedürfnis: Der VSD im Arbeitsverhältnis ist nach Spamer aber aus grundsätzlichen Aspekten abzulehnen:
Wie gesagt, wurde der VSD aus der Überlegung heraus entwickelt, unbillige Ergebnisse zu verhindern, wenn an sich schutzwürdige Personen aufgrund deliktsrechtlicher Besonderheiten ein Anspruch gegen den Schädiger zu versagen ist. Diese Überlegungen heben maßgeblich auf die Nachteile des § 831 BGB gegenüber dem § 278 BGB ab. Nun erfüllt der AN aber seine Vertragspflicht selbständig und bedient sich nicht eines Erfüllungs-/Verrichtungsgehilfens. Die dem VSD zugrunde liegende Überlegung kommt also gar nicht zum Tragen. Dies läßt die Heranziehung des VSD in vorliegenden Konstellationen als unnötig erscheinen.[39]
Schließlich muß die Haftungserweiterung dem Schuldner nach Treu & Glauben auch zumutbar sein.[40] Berücksichtigt man, daß der AN dem AG - also seinem Vertragspartner gegenüber – zum Schutze seiner Liquidität nur beschränkt haftet,[41] so muß diese Beschränkung erst Recht für Dritte gelten, die nicht Vertragspartner sind.[42] Eine weitergehende Haftung erscheint also dem AN unzumutbar.
d) Ergebnis: Folglich läßt sich das Institut des VSD auf den Arbeitsvertrag nicht anwenden. Es lassen sich folglich keine schuldrechtlichen Ansprüche des AN gegen den mobbenden Kollegen herleiten.
C) Individualvertragliche Ansprüche gegen den Arbeitgeber (AG):
In 40% - 70% aller Fälle der AG oder die Vorgesetzten des Opfers selbst Täter[43], (Sogn. „Bossing“). Die Folgen für das Opfer sind hier besonders schwer, denn ihm wird die Arbeit als Identifikation und Lebensgrundlage durch den Vertrags- und Vertrauenspartner AG unerträglich gemacht. Ferner wird der AG eher über die notwendige Liquidität zur Schadensbegleichung verfügen. Daher erscheinen die folgenden Ansprüche als besonders wichtig.
I. Die allgemeine Fürsorgepflicht als Haftungsgrund:
Aus dem schuldrechtlichen Verhältnis zwischen AG und AN nach § 611 I BGB ergibt sich für den AG nicht lediglich die Pflicht zu Lohnzahlung. Es ist weithin anerkannt, das für den AG auch eine allgemeine Fürsorgepflicht als Nebenpflicht besteht.[44] Als arbeitsrechtliche Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 BGB, verpflichtet sie der AG, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie sie unter Berücksichtigung der Belange des Betriebs und des AG billigerweise verlangt werden können.[45] Es ergeben sich Schutzpflichten hinsichtlich der körperlichen Integrität des AN, seines Vermögens, seines eingebrachten Eigentums und Förderungspflichten hinsichtlich seiner Persönlichkeit.[46] Ferner besteht die Gleichbehandlungspflicht (abgeleitet aus Art. 3 I GG).[47] Im Folgenden sollen die im Mobbingprozeß erfahrungsgemäß am häufigsten betroffenen Rechtsgüter behandelt werden.
1. Allegmeines Persönlichkeitsrecht (APR) als Schutzgut:
a) Schutzbereich: Unter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird die Achtung der Menschenwürde und die Entfaltung der individuellen Persönlichkeit verstanden, Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 I GG. Der AG hat also die individuelle Persönlichkeit des AN zu schützen und zu fördern.[48] Zugrunde liegt also der Rechtsgedanke des unten ausführlich zu behandelnden § 75 II BetrVG.[49] Das APR umfaßt zumindest das Recht auf die persönliche Ehre, am eigenen Charakterbild und das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Intimssphäre.[50] Zur Letzteren gehört auch der Schutz vor sexueller Belästigung. Das APR ist diesbezgl. durch das BeschG einfachgesetzlich konkretisiert. Verletzungen sind z.B. durch ständige unsachliche, persönlich verletzende Kritik, Geringschätzung, Mißachtung oder durch Beleidigung denkbar. Grundsätzlich ist aber schon dem systematischen Schikanieren eines Menschen eine Persönlichkeitsverletzung immanent.[51] Da der AG schließlich aus der Schutz- und Fürsorgepflicht gehalten ist, sich bei Anfeindungen durch Kollegen schützend vor das Opfer zu stellen[52], muß das Gesagte auch gelten, wenn Kollegen derartige Mobbinghandlungen verüben.
b) Güterabwägung: Da der Tatbestand des APR „offen“ ist, wird die Verletzung durch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände ermittelt.[53] Dies hat im Mobbingprozeß den Vorteil, daß, anders als bei der deliktischen Haftung (dazu unten: E), I., 1. a), aa), nicht auf einzelne Verletzungshandlungen abgestellt werden muss. Vielmehr kann das gesamte schädigende Verhalten des oder der Täter, des Opfers bewertet werden.
Eine Verletzung des APR ist jedoch erst nach einer Güter- und Interessenabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich. Dem Recht auf Integrität der Individual-, Privat- und Intimssphäre ist insbesondere das Recht des Schädigers (AN o.Kollege) auf freie Meinungsäußerung gegenüberzustellen, Art. 5 I 1 GG.[54]
c) Berechtigte Interessen: Die Abwägung wird dort interessant, wo fortwährende Kritik an der Arbeitsleistung des Opfers als Mittel der Schikane eingesetzt wird. Solange es sachliche Kritik bleibt, die sich an Tatsachen festmacht, verfolgt der Kritiker berechtigte Interessen. Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen hat insofern zurückzutreten. Anders ist es, wenn die Kritik nicht mehr Auseinandersetzung in der Sache ist, sondern nur dem Zweck dient, das Opfer bis hin zur Formalbeleidigung persönlich herabzuwürdigen.[55] Hier hat das Schutzinteresse des Geschädigten Vorrang.
2. Beschäftigungspflicht:
Des Weiteren ist anerkannt, daß Arbeit der Persönlichkeitsverwirklichung des AN zu dienen hat. Der AG ist also i.S.d. der Förderungspflicht gehalten, dem AN eine vereinbarungsgemäße Tätigkeit anzubieten.[56] Die mobbingtypische Zuteilung entwürdigender, weil sinnloser oder besonders schmutziger Arbeitsaufträge stellen folglich eine Pflichtverletzung dar.[57]
3. Schutzgut der psychischen Gesundheit
Fraglich ist, ob auch das Schutzgut der Gesundheit als Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 I S. 2 GG unter die allgemeine Fürsorgepflicht gem. §§ 611, 242 BGB fällt. Zwar erfährt das Schutzgut besondere Ausprägung in § 618 BGB (s. u. II.). Jedoch besteht beim Mobbing hinsichtlich der psychischen Gesundheit ein erhöhtes Schutzbedürfnis, das m.E. durch § 618 BGB nur unzureichend abgedeckt ist. So muss eine Fürsorgepflicht für die psychische Gesundheit (Art. 2 II S. 1 GG) mittelbar drittwirkend über § 242 BGB[58] neben die Fürsorgepflicht hinsichtlich des APR treten.[59]
4. Grenzen der Fürsorgepflicht:
Die Fürsorgepflicht des AG besteht jedoch nur hinsichtlich schutzwürdiger Interessen, die für das Arbeitsverhältnis relevant sind.[60] Folglich unterfallen private Interessen nicht diesem Schutz. Oft wird es jedoch schwer sein zu unterscheiden, ob Depressionen und Nervenzusammenbrüche allein aus dem schädigenden Arbeitsklima resultieren, oder ob nicht auch persönliche Probleme des Opfers (Spannungen in der Familie, etc...) zur Schädigung beigetragen haben. Die Interdependenz sozialer Erfahrungen im Privaten wie im Beruflichen einerseits und die von außen schwer zu beurteilende seelische Verarbeitung dieser Eindrücke andererseits lassen schon eine strikte Trennung dieser Einflüsse auf matriell-rechtlicher Ebene sehr schwer erscheinen.[61] Zentrales Problem ist, daß einzelne Handlungen systematischer Schikane die Schwelle des erlaubtem Risikos noch nicht überschreiten, eine Sorgfaltspflichtverletzung also nicht ohne weiteres bejaht werden kann. Siehe dazu ausführlich unten: E), I., 1.; a), bb). Umso größere Probleme sind bei der Beweisbarkeit der Zusammenhänge zu erwarten.
II. § 618 I BGB i.V.m. öff.-rechtlichen Schutznormen:
1. Schutzbereich:
Ein Rückgriff auf allgemeine Fürsorgepflichten ist nicht möglich, soweit spezielle Pflichten bestehen.[62] § 618 I BGB ist eine gesetzliche Konkretisierung der Fürsorgepflicht des AG.[63] Sie findet in § 62 I HGB ihre Entsprechung für den Gewerbebetrieb. Die Pflicht zur Einhaltung gesunder Arbeitsverhältnisse wird durch öffentlich-rechtliche Schutzvorschriften konkretisiert, soweit diese zum Schutz des einzelnen AN bestimmt sind.[64] Letztere sind dort von Bedeutung, wo durch Schikanemaßnahmen Unfallgefahren geschaffen werden.[65]
Pflichtveretzungen sind z.B. durch Zuweisung besonders gefahrträchtiger Aufgaben, oder durch unterlassene Aufklärungspflichten bzgl. der spezifischen Gefahren einer Aufgabe denkbar. Vorstellbar ist auch die Auferlegung von umfangreichen Arbeitspensen, die üblicherweise mit einer Überschreitung der geregelten Arbeitszeit einhergehen. Überarbeitung und Stress müssen jedoch zu physischen Gesundheitsgefahren führen, da nur diese vom Schutzbereich des § 618 I BGB erfaßt sind.[66] Rein psychische Gefahren bleiben also unbeachtlich, was die Notwendigkeit von o. Nr. 3. unterstreicht.
[...]
[1] Spamer, S. 34; Skowronek, AiB-Gespräch 1998, 270, 271.
[2] Warschkow/Erdmann, AiB 1995, 509, 510; Schimmelpfennig, PersV 1998, 260.
[3] Vgl. nur: Warschkow/Erdmann, a.a.O; Dieter Zapf in: AiB-Gespräch 1998, 270, 271.
[4] Dieter Zapf, a.a.O.
[5] Hage/Heilmann, BB 1988, 742, 744.
[6] Vgl. Leymann, S. 57 - 68
[7] Leymann, S. 33; „Die 45 Mobbinghandlungen“
[8] Ebenda.
[9] Spamer, S. 42 f. m. w. Nachw.
[10] Leymann, S. 22.
[11] Esser/Wolmerath, a.a.O.; zu weiteren Definitionsansätzen vgl.: BAG, BB 1997, 1480, 1481; Spamer, S. 34f.
[12] Esser/Wolmerath, AiB 1996, 540; Däubler, BB 1995, 1347, 1351.
[13] Skoworonek, AiB-Gespräch 1998, 270.
[14] Vgl. Leymann, S. 129 – 139.
[15] Esser/Wolmerath, AiB 1996, 540, 543.
[16] Skowronek, AiB-Gespräch 1998, 270; Esser/Wolmerath, AiB 1996, 540 (vgl. Fn. 1).
[17] Dieter Zapf in AiB-Gespräch 1998, 270, 271; vgl. zur Streßforschung: Leymann, S. 107-111 ; Spamer, S. 45
[18] Vgl. Nachw. in Fn. 11.
[19] Esser/Wolmerath, AiB 1998, 540, 541.
[20] Leymann, S. 47.
[21] Leymann, S. 47.
[22] Palandt-Thomas, § 823, Rn. 167.
[23] Vgl. nur: Däubler, BB 1995, 1347, 1348.
[24] Siehe Nachw. Bei Spamer, S. 52 f.; Riesenhuber JZ 1999, 711, 712.
[25] Stellv. f. alle: Larenz SchR AT, § 17, II, 224ff, 227.
[26] Vgl. nur: BGHZ 66, 51, 57.
[27] Vgl. nur: Larenz, SchR II/1, § 17 II, S. 184f.; Die Kriterien werden im Folgenden als bekannt vorausgesetzt.
[28] Riesenhuber JZ 1999, 711, 713; Flory, S. 56
[29] Grunewald, NZA 1993, 1071; Haller/Koch, NZA 1995, 356, 359.
[30] Mayer-Maly, S. 59, 71f.
[31] BGHZ 26, 365, 371.
[32] Schaub, § 108, Rn. 54.
[33] Riesenhuber a.a.O, Fn. 23.
[34] Riesenhuber a.a.O.; Flory, S. 61.
[35] BGH NJW 1994, 392; ders. NJW 1987, 1758, 1760.
[36] Spamer, S. 63
[37] MüKo/Gottwald, § 328, Rn. 91.
[38] Flory, S. 62.
[39] Spamer, S. 64f.
[40] Staudinger/Jagmann, Vorbem. Zu §§ 328 ff, Rn. 107.
[41] BAG NZA 1990, 97, 98; ders. NJW 1970, 1206, 1207.
[42] Spamer, S. 66.
[43] Kollmer, Rn. 14
[44] siehe nur: BAG AP 1 zu § 103 BetrVG 1972; MünchArbR/Blomeyer, § 92, Rn. 11;
[45] BAG AP Nr. 83 zu § 611 „Fürsorgepflicht“; Schaub, § 108, Rn. 9.
[46] MünchArbR/Blomeyer, § 94, Rn. 15.
[47] Vgl. nur: RAG ARS 33, 172, 177; Schaub § 112, Rn. 7.
[48] MünchArbR/Blomeyer, § 94, Rn. 15.
[49] Däubler, BB 1995, 1347, 1349.
[50] Zum Inhalt des APR vgl. nur: Palandt-Thomas, § 823, Rn. 175 – 200.
[51] Im Ergebnis ebenso: Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 84, Rn. 8.
[52] Gralka, BB 1995, 2651, 2653; Schaub, § 108, Rn. 59.
[53] Palandt-Thomas, § 823, Rn. 184.
[54] Palandt-Thomas, § 823, Rn. 189.
[55] Palandt-Heinrichs, § 823, Rn. 189b.
[56] BAG AP Nr. 2, Nr. 14 zu § 611 „Beschäfigungspflicht“.
[57] Dieter Zapf in AiB Gespräch 1998, 270, 271.
[58] BVerfGE 7, 198, 205; Palandt-Heinrichs, § 242, Rn. 8.
[59] So wohl auch Haller/Koch, NZA 1995, 356, 358.
[60] MünchArbR/Blomeyer, § 94, Rn. 17.
[61] Vgl. Gralka, BB 1995, 2651, 2653.
[62] BAG, NZA 1996, 708, 710.
[63] Palandt-Putzo, § 618, Rn. 1
[64] Kollmer, Rn. 81; Schaub, § 108, Rn 12.
[65] Kollmer, Rn. 185; siehe zu den folgenden Überlegungen: Kollmer, Rn. 185ff.
[66] Erman-Belling, § 618, Rn. 9.