Situative und Dimissive Aspekte von Performanz


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Analyse
2.1 Begriffsklärung: Verwendungszusammenhänge „Performanz/performance/Performativität“
a. Performance vs. Competence: Der transformationsgrammatische Performanzbegriff
b. Performative vs. Constative Utterances: Der Performanzbegriff Austins
c. Performanz vs. Text: Performanztheorie des Theaters
2.2 Bewertung der Performanzbegriffe im Hinblick auf rhetorische Theoriebildung
2.2.1 Performanz als Präsenz: zum rhetorischen Performanzbegriff
2.2.2 Performanz in der Situation
2.2.3 Performanz unter dimissiven Bedingungen

5. Zusammenfassung und Ausblick

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die antike Rhetoriktheorie nach Cicero unterscheidet bekanntlich fünf partes artis, deren sich drei mit Fragen der Textproduktion beschäftigen (inventio, dispositio, elocutio), einer mit der Textspeicherung (memoria) und der letzte (actio) mit der Aufführung oder Sendung. Fast das vollständige Gewicht des rhetorischen Theoriegebäudes lastet dabei auf den ersten drei partes; Speicherung und Sendung von Texten werden eher spärlich abgehandelt. Dieser Umstand scheint im krassen Widerspruch zur Persuasionsrelevanz zumindest des letzten pars zu stehen:

Die römischen Rhetoriklehrer überlieferten die Anekdote, daß der berühmteste griechische Redner Demosthenes auf die Frage, was das wichtigste Element der Beredsamkeit sei, geantwortet habe: Erstens actio, zweitens actio, drittens actio![1]

Die bloße Möglichkeit der persuasiven Wechselerzeugung hat die Sendung des Redetextes notwendig zur Voraussetzung. Dass der theoretische Zugriff auf diesen Sektor trotzdem recht knapp ausfiel, mag damit zusammenhängen, „[...] daß man die rhetorisch-performative Kompetenz (Aufführungskompetenz) weitgehend für eine Naturgabe hielt, die sich der rhetorischen Kunstlehre entzog“[2]. In den letzten Jahrzehnten hat der Begriff der „Performanz“ und des „Performativen“ in verschiedenen theoretischen Diskursen große Beachtung erfahren. Eine steile Karriere war dem Performanzbegriff etwa in der englischsprachigen Linguistik beschieden. Nachdem sprachliche performance vorher von Chomsky aus dem Gegenstandsbereich der Linguistik kategorisch verbannt worden war, wurde sie im Zuge des pragmatic turn u. A. von D. H. Hymes und J. L. Austin unter verschiedenen Vorzeichen wieder ins Blickfeld gerückt. Unabhängig davon wird der Begriff der „Aufführung“ zentraler Gegenstand der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts konstituierenden Theaterwissenschaft. Schließlich treten seit den sechziger/siebziger Jahren die Begriffe der Performance/Happening/Aktionskunst als zunächst avantgardistische Gegenentwürfe zur bildenden Kunst auf.

Aus Sicht der Rhetoriktheorie stellt sich die Frage, ob die genannten Performanzbegriffe mit einer rhetorischen Sichtweise überhaupt kompatibel sind und inwieweit man die teils interdisziplinären Theorieansätze zur Performanz für eine Austheoretisierung der erwähnten rhetorischen „performativen Kompetenz“ nutzbar machen kann. Gesonderte Beachtung soll dabei den Medialisierungsbedingungen situativer, also klassisch-rhetorischer Settings einerseits, und den Herausforderungen dimissiver Kommunikation andererseits gelten. Zunächst bedarf es dazu einer Bestimmung des Performanzbegriffes in seinen verschiedenen Verwendungszusammenhängen. Diese können wir auf drei Begriffsoppositionen eindampfem. Schließlich wird zu klären sein, welcher theoretische Stellenwert dem Performanzbegriff dabei jeweils zukommt. Wir werden dann kurz summieren, was die klassische Rhetorik an Theorie zu bieten hat und wie sie zur Performanz steht. Schließlich werden wir drei Basissettings beleuchten und feststellen, ob und wie man unter deren Bedingungen von Performanz sprechen kann und wo sich Anschlussmöglichkeiten ergeben könnten.

2. Analyse

2.1 Begriffsklärung: Verwendungszusammenhänge „Performanz/performance/Performativität“

a. Performance vs. Competence: Der transformationsgrammatische Performanzbegriff

Aus Noam Chomskys Perspektive hat linguistische Theoriebildung zwei Seiten: linguistic competence und linguistic performance. D. H. Hymes bemerkt dazu später (natürlich mit kritischem Unterton):

Linguistic competence is understood as concerned

with the tacit knowledge of language structure, that is, knowledge that is

commonly not conscious or available for spontaneous report, but neces-

sarily implicit in what the (ideal) speaker-listener can say. […] Linguistic performance is most explicitly understood as con-

cerned with the processes often termed encoding and decoding.[3]

Den Untersuchungsgegenstand der Linguistik definiert Noam Chomsky also folgendermaßen:

Linguistic theory is concerned primarily with an ideal speaker-listener, in a

completely homogeneous speech community, who knows its language perfectly

and is unaffected by such grammatically irrelevant conditions as memory limita-

tions, distractions, shifts of attention and interest, and errors (random or charac-

teristic) in applying his knowledge of the language in actual performance[4].

Performanz, definiert als „die tatsächliche Verwendung von Sprache in konkreten Situationen“[5], liegt damit in Opposition zur linguistischen Kompetenz – und, nach Chomskys Verdikt, außerhalb jeglicher linguistischen Fragestellung. Performance ist lediglich die nachgeordnete, defiziente Aktualisierung von Kompetenz: “A record of natural speech will show numerous false starts, deviations from rules, changes of plan in mid-course, and so on.“ Untersuchungsmaterial, dass aus tatsächlicher Sprachverwendung stammt, hält Chomsky für „[...] fairly degenerate in quality [...]“[6]. Von Chomskys Performanzbegriff können wir uns wohl nicht viel erwarten, zumal er performance explizit aus seiner Theorie ausklammert. Chomskys Untersuchungsgegenstand und –perspektiven stehen außerdem im Gegensatz zu einer Rhetorik, die mit Aristoteles den Zuhörer für richtunggebend hält[7] und in deren Zentrum unter anderem projektive und antizipatorische Adressatenkalküle[8] zu stehen haben. H. G. Widdowson, bemerkt zu Chomsky:

Such an idealization [die Einschränkung auf linguistic competence ] leaves out of account what real speaker-listeners actually do with their language. In effect, it eliminates the variable of human agency altogether […] and does not allow for the variable ways [language] might be appropriated and modified by actual users.[9]

Eben diese „human agency“ – in Gestalt des handlungsmächtig eingestellten Orators[10] – ist aber gerade die Perspektive der Rhetorik. Aus Sicht der klassisch-rhetorischen Lehre von den virtutes besitzt Chomskys ideal speaker-listener lediglich die Fähigkeit zur latinitas. Allerdings hat D.H. Hymes später den Kompetenzbegriff vierstufig erweitert zur communicative competence, und damit die Dichotomie Performanz/Kompetenz erheblich aufgeweicht: seine kommunikative Kompetenz schließt Chomskys grammatischen Kompetenzbegriff ein, hypostasiert darüber hinaus jedoch noch sociolinguistic competence, discourse competence und strategic competence. Diese vier Teilkompetenzen sind hierarchisch angelegt, die competencies zweiter, dritter und vierter Ordnung modifizieren als Meta-Regeln die unter ihnen liegenden – so dass etwas, was Chomsky auf formal-grammatischer Ebene nur als „deviation from rules“ begreift, von der Warte soziolinguistischer Kompetenz aus möglicherweise als „[...] the artful accomplishment of a social act [...]“[11] erklärt werden kann. Rhetorisch interessant wird es auf der höchsten Stufe, der strategic competence, denn erst sie ermöglicht es dem Sprecher, erschwerten Kommunikationsbedingungen situativ Rechnung zu tragen: Canale & Swain, die Hymes Konzept in Richtung der Sprachdidaktik spezifiziert haben, denken etwa daran, dass Wortwahl und Syntax im laufenden Gespräch mit Nicht-Muttersprachlern im Hinblick auf maximale Verständigung angepasst wird[12]. Es braucht jedoch nicht viel Phantasie, um dieses Konzept mit dem Begriff der Interventionspräsenz in Verbindung zu bringen – womit wir eine genuin rhetorische performative Teilkompetenz spezifizieren könnten. Aus Sicht von Hymes’ integralem Konzept von „communicative competences“ beschränkt sich Chomskys Blickfeld also auf die erste von vier Stufen („Whether (and to what degree) something is formally possible“[13] ). Bei Hymes ist damit eine deutliche Anlehnung an das ebenfalls dynamische, vom übergreifenden aptum regierte virtus/vitia -Konzept der antiken Stillehre gegeben: Schließlich gilt es auch dort zu beachten, dass „[...] gewisse vitia [...] nur scheinbare vitia [sind], da der Künstler mit besonderer Absicht gehandelt hat“[14]. Eine wie immer geartete „performative Kompetenz“ jedenfalls, die wir innerhalb einer persuasiven Kompetenz[15] spezifizieren müssten, wäre unter Noam Chomskys Voraussetzungen eine contradictio in adjectio.

[...]


[1] Knape 2000b, S. 173

[2] Knape 2000b, S. 173

[3] Hymes 1972, S. 271

[4] Chomsky 1965, S. 3

[5] vgl. Chomsky 1965, S. 3f. „the actual use of language in concrete situations“

[6] Chomsky 1965, S. 31

[7] vgl. Aristoteles. Rhetorik. Übers. v. F. G. Sieveke. Fink: München, 1980. S. 20 (1358b; I, 3)

[8] vgl. Knape 1997, Sp. 887

[9] Widdowson 2003, S.57

[10] vgl. Knape 2000a, S. 33f.

[11] Hymes 1972, S. 272

[12] Canale/Swain 1980, S.30f.

[13] Hymes 1972, S. 284

[14] Lausberg, §8, s. 29

[15] vgl. Knape 1997, Sp. 887

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Situative und Dimissive Aspekte von Performanz
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Seminar für Allgemeine Rhetorik)
Veranstaltung
Performanz
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V53416
ISBN (eBook)
9783638488754
ISBN (Buch)
9783638773317
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Situative, Dimissive, Aspekte, Performanz
Arbeit zitieren
Andreas Glombitza (Autor:in), 2006, Situative und Dimissive Aspekte von Performanz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53416

Kommentare

  • Gast am 22.9.2007

    Situative und Dimissive Aspekte von Performanz.

    o.k.

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