Die progressive Genese einer Literatursprache am Beispiel Italiens - Von der scuola siciliana bis zu den tre corone


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. La scuola siciliana
2.1. La scuola siciliana - Der Dichterkreis
2.2. La scuola siciliana und die provenzalische Troubadourlyrik
2.2. La scuola siciliana und die provenzalische Troubadourlyrik - Gemeinsamkeiten in Form und Inhalt
2.3. La scuola siciliana und die provenzalische Troubadourlyrik - Neuerungen und Unterschiede auf sprachlicher, inhaltlicher und formaler Ebene

3. Die Sikulo-Toskaner
3.1. Die Poeten der scuola di transizione
3.2. Die Sikulo-Toskaner - Neuerungen auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene

4. Der dolce stil novo
4.1. Der Dichterkreis des dolce stil novo
4.2 Der dolce stil novo - Neuerungen auf sprachlicher, inhaltlicher und formaler Ebene

5. Dante Alighieri
5.1. Eckdaten zu Biographie und Werk
5.2. Dante als Stilnovist - La Vita nuova
5.3. Il Convivio
5.4. Dantes theoretische Auseinandersetzung mit dem volgare als gehobener Sprache der Literatur - De vulgari eloquentia
5.5. La Divina commedia - Neuerungen auf sprachlicher Ebene

6. Die Bedeutung Petrarcas und Boccaccios für die Herausbildung der italienischen Literatursprache
6.1. Petrarcas Canzoniere und dessen Bedeutung für die Herausbildung der italienischen Literatursprache
6.2. Boccaccios Decameron und dessen Bedeutung für die Herausbildung der italienischen Literatursprache

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Um die progressive Genese der italienischen Literatursprache näher zu beleuchten, werde ich mich von der Lyrik der scuola siciliana ausgehend bis hin zu den Hauptwerken der tre corone Dante, Petrarca und Boccaccio besonders auf die Veränderungen sprachlicher sowie inhaltlicher Natur und deren Ursachen konzentrieren, um anhand dessen die Entwicklung von einer der provenzalischen Troubadourlyrik relativ nahe stehenden Dichtkunst bis zu der, sowohl vom thematischen als auch vom linguistischen Standpunkt betrachtet, eigenständigen Lyrik Petrarcas und Prosa Boccaccios zu verdeutlichen. Im Zuge dessen werde ich jedoch auch die wichtigsten Aspekte benennen, die den soeben angeschnittenen Veränderungen nicht unterworfen sind und folglich von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe beibehalten wurden, wobei ich mich hierbei ebenfalls mit den Gründen der jeweiligen Tradierung befassen werde.

2. La scuola siciliana

Der Begriff scuola siciliana bezeichnet sowohl den ab dem 13. Jh. im Umkreis des Staufenkaisers Friedrich II. wirkenden Dichterkreis als auch die von dessen Mitgliedern verfaßte Liebeslyrik, die zwar thematisch sowie stilistisch sehr eng an der altfranzösischen und provenzalischen Troubadourlyrik orientiert, jedoch im volgare Siziliens abgefaßt ist.[1]

2.1. La scuola siciliana - Der Dichterkreis

Der Dichterkreis um Friedrich II (*1194-†1250), der sich nach seiner Krönung zum Kaiser 1220 auf Sizilien niederließ, und dessen Söhne Manfred (*1232-†1266) und Enzio (*1224-†1272)[2], der laut H. Friedrich im streng genommenen Sinne nicht als Dichterschule bezeichnet werden kann[3], bestand aus ca. 25 Beamten des Kaisers, über deren Werdegang im Einzelnen nur wenig in Erfahrung zu bringen ist, deren Vorbildung jedoch zumeist juristischer Natur zu sein scheint.[4] Dies ist insofern von beträchtlicher Bedeutung, als daß das Studium der Jurisprudenz seinerzeit das Studium der artes liberales beinhaltete, in dessen Rahmen das Trivium, bestehend aus grammatica, rhetorica und dialectica zu absolvieren war; die Rechtsgelehrten waren also bestens vertraut mit den Regeln der Lehre der Sprachkunst in Wort und Schrift sowohl das Latein als auch ihre Muttersprache betreffend.[5] Pier della Vigna (*nach 1190-†1249) beispielsweise, Dichter der scuola siciliana und Kanzler am Hofe Friedrichs II., hatte an der 1089 in Bologna gegründeten Universität studiert, die von jedem Juristen obligatorisch den Nachweis der Beherrschung der italienischen Sprachkunst forderte[6] und auch Kanzler Stefano Protonotaro, Notar Giacomo da Lentini († vor 1250) und die Richter Odo und Guido delle Colonne[7], um nur die geläufigsten Namen zu nennen, hatten offensichtlich die juristische Laufbahn eingeschlagen; der Bildungsweg der Falkner Jacopo Mostacci (†nach 1277)[8] und Rinaldo d´Aquino[9] erschließt sich beispielsweise nicht.

Ebensowenig läßt sich sicher belegen, ob der Kaiser selbst der dichterischen Tätigkeit nachging -wahrscheinlicher ist eine eher marginale Beschäftigung auf lyrischem Gebiet- sein großes Verdienst in Bezug auf die scuola siciliana besteht im Wesentlichen in der Einführung der italienischen Sprache als Verkehrssprache innerhalb seines Hofes sowie in der Förderung der Verskunst seiner Beamten im volgare siciliano durch verschiedenste Wettbewerbe.[10]

Als fruchtbarster und gleichermaßen als angesehenster all dieser Poeten kann Giacomo da Lentini bezeichnet werden[11]: von ihm sind allein 40 Gedichte überliefert, davon 25 Sonette, die eine absolute Neuschöpfung der Sizilianer darstellen.[12]

2.2. La scuola siciliana und die provenzalische Troubadourlyrik

Wie W. Coletti in seiner Storia dell´italiano letterario (1993) anmerkt, ist die Geschichte einer Literatursprache immer als ein Wechsel von “[...] continuità e tradizioni, soprattutto quando si tratta di lingua ai piú complessivi livelli di letterarietà, come quella poetica.“[13] zu betrachten. Insofern verwundert es kaum, daß auch die Poeten der scuola siciliana sich an einer bestehenden und überdies prestigereichen Tradition orientieren: der provenzalischen Troubadour- oder Minnelyrik[14], einer volkssprachlichen Dichtung, entstanden im Umkreis höfischer Feudalaristokratie.[15] Zwar wird im Italien des 11. und 12 Jh. noch immer in lateinischer Sprache geschrieben, die Rezeption altfranzösischer Literatur hat jedoch längst begonnen: Ab dem 12. Jh. erscheinen die Namen der Helden des höfischen Epos sowie des Heldenepos bereits als Eigennamen in italienischen Urkunden.[16] Die provenzalischen Troubadoure wiederum sind in Italien nicht nur über ihre Werke bekannt; mit Beginn der Albigenser-Kriege (1209-1229), die das höfische Leben in der Provence nahezu zum Erliegen bringen, ziehen zahlreiche trovatori nach Norditalien und transportieren auf diese Weise ihre Kunst an die dortigen Höfe.[17] Während sich nun hier Italiener, sowohl Adelige als auch Patrizier, der Minnelyrik in provenzalischer Sprache verschreiben[18], lassen sich die Dichter der scuola siciliana vom “[...] prestigio della lingua d´oc (e la mancanza d´una lingua poetica nazionale) [...]“[19] zu der ersten poesia d´arte in italienischer Sprache inspirieren[20], die sich jedoch stilistisch und thematisch stark an der provenzalischen Troubadourlyrik orientiert, wie ich im folgenden anhand diverser Gemeinsamkeiten aufzeigen werde.

2.3. La scuola siciliana und die provenzalische Troubadourlyrik – Gemeinsamkeiten in Form und Inhalt

Die Aspekte, die die scuola siciliana aus der provenzalischen Troubadourlyrik übernimmt, sind, wie ich im vorangegangenen Kapitel bereits angeschnitten habe, nicht nur inhaltlicher, sondern auch formaler Natur.

Die angesehenste und zugleich wichtigste Gattung der scuola siciliana ist unumstritten das Minnelied bzw. die Kanzone (it. canzone, prov. cansó)[21], die sich aus zwei Hauptteilen:

1) Aufgesang (it. fronte) bestehend aus zwei Stollen (it. piedi)
2) Abgesang (it. sirima) bestehend aus zwei Gegenstollen (it. volte) zusammensetzt, wobei ein meist freier Wechsel von Sieben- und Elfsilbern ohne festgelegte Strophen- oder Verszahlen erfolgt.

Darin wird das Liebesverlangen mittels der galanten Umdeutung von Rechtsbegriffen und Gepflogenheiten des Lehnswesens zum Ausdruck gebracht, d.h. die Terminologie des Lehnsdienstes avanciert zur verbindlichen Metaphorik der Lyrik.[22] Beispielsweise wird die Geliebte, zumeist eine verheiratete Frau höheren Standes, die somit für den Liebenden unerreichbar bleiben muß, stets als donna bezeichnet, der Liebende ist ihr uomo ligio, ihr servitore und wie bezogen auf das Lehnswesen sein Ansehen durch den Dienst an der Waffe gemehrt wird, mehrt sich hier sein Ruhm durch Treue und Ergebenheit seiner Herrin gegenüber.[23] Das Ziel all diesen Dienens bleibt die glückliche Vereinigung des Liebenden mit seiner Angebeteten, von der in seltenen Fällen auch berichtet wird; gewöhnlich jedoch wird weder Bitten noch Flehen erhört, die Herrin ist sanza merzé und dem leal amadore bleiben nur noia und pesanza.[24] Sowohl die Bilder als auch die Vergleiche, die die Poeten der scuola siciliana gebrauchen, sind nicht nur mit denen der Provenzalen identisch sondern ebenso konventionell wie das gesamte Minnezeremoniell, was sich laut T. Elwert allein als Ausdruck eines “[...] starken und selbstbewußten Stilwillens [...]“[25] interpretieren läßt. Die Kunst besteht hier ausschließlich in der Neuverwendung bekannter Bilder und dem Erfinden neuer Strophenformen,[26] also nicht nur in der imitatio, sondern der aemulatio des provenzalischen Vorbildes.[27]

Aufgrund dieser doch zahlreichen Übereinstimmungen wirft sich vielleicht die Frage auf, inwiefern sich die scuola siciliana, die als der Beginn der italienischen “[...] letteratura in maniera organizzata e sistematica [...]“[28] betrachtet wird, von der provenzalischen Troubadourlyrik unterscheidet bzw. worin demzufolge die Innovation besteht, die den siciliani zu einem derartigen Ruhm verholfen hat.

2.4. La scuola siciliana und die provenzalische Troubadourlyrik – Neuerungen und Unterschiede auf sprachlicher, inhaltlicher und formaler Ebene

Der augenfälligste Unterschied ist zunächst einmal die Verwendung der sizilianischen Mundart, wobei anzumerken ist, daß es sich hierbei einerseits nicht um das siciliano des gemeinen Volkes handelte[29] und daß es andererseits nicht durchgängig, sondern eher als Basis eines jeden Gedichtes fungierte, die um diverse provenzalische bzw. provenzalisierte und lateinische bzw. latinisierte Elemente ergänzt wurde, wobei Letzteres hauptsächlich für die Behandlung religiöser Themen gilt.[30] Die Verwendung der Provenzalismen läßt sich dabei zumindest für ein gewisses Quantum auf die Übernahme der Terminologie der höfischen Minne zurückführen[31], es finden jedoch aus Gründen des Prestiges und der daraus folgenden Wertsteigerung des entstehenden Textes auch zahlreiche provenzalische sowie pseudoprovenzalische Elemente Eingang in die Lyrik der scuola siciliana, die ohne weiteres durch italienische bzw. sizilianische Formen hätten ersetzt werden können[32]: So wird bevorzugt prov. donare statt it. dare verwendet[33], französische bzw. provenzalische Suffixe halten Einzug, z.B . –anza, -enza –mento, -agio [34], woraus sich der bevorzugte Gebrauch von Formen wie amanza statt amore, coragio statt cuore u.ä. ergibt[35], die zum Teil sogar pseudoprovenzalischer Natur sind, z.B. innamoranza, und folglich keine Entsprechung im Provenzalischen finden.[36] Um dem neuen sprachlichen Medium die Patina des als Ideal angesehenen Vorbilds zu verleihen, verwendete man die angesprochenen provenzalisch anmutenden Elemente besonders gern innerhalb des Reimes, also an der markantesten Stelle eines Gedichtes.[37] Aber auch der alternierende Gebrauch von italienischen und französisch-provenzalischen Formen ist bekannt, so findet man sowohl chiaro als auch clero, acqua als auch aigua vor.[38]

[...]


[1] W. T. Elwert, Die italienische Literatur des Mittelalters. Dante, Petrarca, Boccaccio, München, 1980, 11

[2] Elwert, 1980, 28

[3] H. Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M.,1964, 17

[4] Friedrich, 1964, 21

[5] Friedrich, 1964, 21

[6] Friedrich, 1964, 22

[7] Elwert, 1980, 28

[8] Elwert, 1980, 28

[9] Friedrich, 1964, 17

[10] Friedrich, 1964, 16

[11] A. Monteverdi, “I siciliani“, in: L. Caretti/G. Luti (Hg.), La letteratura italiana per saggi

storicamente disposti. Le origini, il Duecento e il Trecento, Mursia, 1972, 103-105, 103

[12] Friedrich, 1964, 31

[13] W. Coletti, Storia dell´italiano letterario, Torino, 1993, 5

[14] B Migliorini, Storia della lingua italiana, Firenze, 1987, 121

[15] Friedrich, 1964, 1

[16] Elwert, 1980, 11

[17] C. Marazzini, La lingua italiana. Profilo storico, Bologna, 1994, 173

[18] Elwert, 1980, 26

[19] Migliorini, 1987, 121

[20] Migliorini, 1987, 121

[21] Elwert, 1980, 29

[22] Elwert, 1980, 29

[23] Elwert, 1980, 29

[24] Elwert, 1980, 30

[25] Elwert, 1980, 31

[26] Elwert, 1980, 32

[27] S. Gensini, Elementi di storia linguistica italiana, Bergamo, 1988, 146

[28] Coletti, 1993, 5

[29] Gensini, 1988, 146

[30] Coletti, 1993, 7

[31] Elwert, 1980, 33

[32] Coletti, 1993, 8

[33] Elwert, 1980, 33

[34] Coletti, 1993, 7

[35] Marazzini, 1994, 175

[36] Elwert, 1980, 33

[37] Elwert, 1980, 33

[38] Marazzini, 1994, 175

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Die progressive Genese einer Literatursprache am Beispiel Italiens - Von der scuola siciliana bis zu den tre corone
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Textphilologie und Sprachgeschichte: Die ersten Schriftzeugnisse des Französischen, Italienischen und Spanischen
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
29
Katalognummer
V53447
ISBN (eBook)
9783638489027
ISBN (Buch)
9783638791960
Dateigröße
562 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Genese, Literatursprache, Beispiel, Italiens, Textphilologie, Sprachgeschichte, Schriftzeugnisse, Französischen, Italienischen, Spanischen
Arbeit zitieren
Nadin Meyer (Autor:in), 2005, Die progressive Genese einer Literatursprache am Beispiel Italiens - Von der scuola siciliana bis zu den tre corone, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53447

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