Verbale Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache - Überblick und Beispielanalyse


Term Paper, 2004

18 Pages, Grade: 1


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Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Die deutsche Wortbildung - ein Überblick
2.1. Grundlegende Prinzipien der deutschen Wortbildung
2.2. Elementare Wortbildungstypen
2.2.1. Komposition
2.2.2. Derivation
2.2.3. Konversion
2.2.4. Rückbildung

3. Verbale Wortbildung
3.1. Suffigierung
3.2. Präfigierung
3.2.1. Präfixverben
3.2.2. Partikelpräfixverben
3.3. Partikelverben
3.4. Konversion

4. Beispielanalyse ausgewählter Gedichte von Jörn Pfennig
4.1. Partikelverben
4.2. Suffigierung
4.3. Präfigierung
4.4. Konversion
4.5. Funktion der Ad-Hoc-Bildungen

5. Fazit und Ausblick

Bibliographie

1. Einführung

Auch und gerade in einer Sprachgemeinschaft, die Träger einer entwickelten Sprache ist, besteht ein ungeheurer Bedarf an Neuwörtern, da die geistig-sprachliche Auseinandersetzung mit der vielseitigen und veränderlichen Wirklichkeit weitergeht, und nach wie vor die kommunikative Notwendigkeit besteht, alles, was man kennen lernt oder lehrt, auch nennen zu müssen […].

(Erben 2000: 19)

Dieses Zitat lässt u.a. darauf schließen, dass die sprachliche Realität einer Sprachgemeinschaft aus ihrer Lebensumwelt resultiert. Beispielsweise stellen gesellschaftliche, politische oder technische Erneuerungen für Sprecher eine kommunikative Herausforderung dar, da der bestehende Wortschatz keine adäquaten sprachlichen Mittel vorsieht. Aus diesem Mangel resultiert laut Eisenberg die Wort(neu)bildung, deren Hauptfunktion die Lexikonerweiterung einer Sprache sei (vgl. 1994: 203).

Die vorliegende Arbeit greift die Thematik der deutschen Wortbildung auf, wobei das Hauptaugenmerk auf verbalen Wortbildungsmustern liegt. Es ist davon auszugehen, dass verbale Wortbildungsmuster relativ unproduktiv sind, jedoch deren Häufigkeit und Verwendung von der jeweiligen Textsorte abhängig sind. Ausgehend von der Annahme, dass nominale und adjektivische Ad-Hoc-Bildungen in lyrischen Texten vergleichsweise verbreitet sind und dies möglicherweise ebenfalls für verbale Okkasionalismen gilt, wurden drei Gedichtbände von Jörn Pfennig ausgewählt. Es ist zu erwarten, dass diese Gedichte eine vergleichsweise gute Textgrundlage bieten, da sich dieser Schriftsteller durch eine besondere Kreativität in der Wortbildung auszeichnet.

Im Folgenden werden in einem Überblick generelle Prinzipien der deutschen Wortbildung vorgestellt, wobei diese weitgehend auf die verbale Wortbildung übertragbar sind. Spezifische Erkenntnisse zur verbalen Wortbildung folgen im dritten Kapitel. Abschließend wird der Wortschatz der ausgewählten Gedichte exemplarisch analysiert, indem verbale Ad-Hoc-Bildungen in inventarisierte Muster zugeordnet werden.

2. Die deutsche Wortbildung - ein Überblick

Die zentrale Aufgabe der Wortbildungslehre des Deutschen ist die Enthüllung und Beschreibung von Wortbildungsmustern, anhand derer der Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache ausgebaut wird. Diese Teildisziplin der Linguistik verfolgt synchrone sowie diachrone Ansätze, indem einerseits Wortbildungen in verschiedenen Bereichen der deutschen Gegenwartssprache untersucht und andererseits „die grammatischen Regularitäten des Wortschatzaufbaus im Verlauf der Sprachgeschichte“ dargestellt werden (Erben 1973: 7).

Die Analyse von Wortbildungen erweist sich als relativ komplex, da morphologische, syntaktische und semantische Aspekte heranzuziehen sind.

2.1. Grundlegende Prinzipien der deutschen Wortbildung

In der Terminologie der Wortbildungslehre gilt es zunächst, die ‚Wortbildung’ von ‚Wortformenbildung’ und ‚Wortschöpfung’ abzugrenzen. Die Wortformenbildung oder Flexion umfasst die „Bildung grammatischer Formen eines Wortes“, nämlich Deklination, Konjugation und Komparation (Lewandowski 1984: 297). Der Begriff Wortschöpfung bezeichnet den Vorgang, bei dem „auf der Basis des bestehenden Phoneminventars neue Wörter mit neuen Morphemen“ entstehen (Simmler 1998: 356). Wortneuschöpfungen sind laut Einschätzung des Autors in einer weit entwickelten Kultursprache wie dem Deutschen eher selten, abgesehen von Lautmalereien (Onomatopoetica) und Schöpfungen der Kindersprache. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird ausschließlich die Wortbildung betrachtet, die Lewandowski als regelhafte „Verbindung von Wurzel- bzw. Stammmorphemen mit anderen Wortstämmen oder mit Affixmorphemen“ definiert (1984: 1193).

Das Resultat des Bildungsprozesses bezeichnet man als Wortbildungsprodukt, welches der Sprecher (meist unbewusst) anhand von sprachlichen Normen (Restriktionsregeln, s.u.) bildet. In der Wortbildungslehre werden zu Grunde liegende Muster formelartig notiert und inventarisiert. Das gebildete Morphemgefüge besteht aus zwei oder mehreren Konstituenten, die Eisenberg in vier morphologische Kategorien einordnet (vgl. 1994: 209): (1) Stammformen bzw. freie Morpheme bilden den Grundstock einer Wortbildung, an den (2) Affixe (Präfixe und Suffixe, In- und Zirkumfixe), (3) Konfixe und/oder (4) ein morphologischer Rest gebunden werden. Manche Morpheme sind dahingehend ambivalent, dass sie als Stammform oder als Affix fungieren (mäßig/ -mäßig). Konfixe bestehen meist aus fremdsprachlichen Elementen, die weder freie Morpheme, noch Affixe, sondern eine Mischform sind (Mikro + phon). Als morphologischen Rest werden in die Stammform nahezu integrierte Segmente bezeichnet, beispielsweise nicht mehr produktive Affixe (Fahr + t) oder Pseudoaffixe (Trepp + e).

Das Inventar von Wortbildungsmorphemen ist im Gegensatz zu Flexionsmorphemen unbeschränkt. Für die Vermehrung des Morpheminventars nennen Fleischer Barz drei grundsätzliche Möglichkeiten (vgl. Fleischer/ Barz 1992: 35): (1) Entlehnung aus fremden Sprachen, (2) Bedeutungs- bzw. Funktionswandel von Morphemen (Tagwerktags) und (3) Distributionsverschiebungen. Ein Beispiel dafür sei, dass manche adjektivische Suffixe nicht nur mit nominalen, sondern mittlerweile auch mit verbalen Basen kombinierbar seien.

Wortneubildungen müssen sich in einer Sprachgemeinschaft zunächst etablieren; es werden bei weitem nicht alle in den Wortschatz zwangsläufig übernommen, d.h. lexikalisiert. Als einschränkendes Kriterium ist beispielsweise die mangelnde semantische Dekodierbarkeit zu nennen. Die Aufgabe des Rezipienten ist, das vom Nominator gebildete Wort zu dekodieren, meist mit Hilfe des vorliegenden Kontexts. Der Begriff ‚morphosemantische Motivation’ bezeichnet die „Erschließbarkeit der Bedeutung einer WBK [Wortbildungskonstruktion] aus der Bedeutung ihrer Bestandteile“ (Fleischer/ Barz 1992: 15, 58). Bei der Wortbildung liege eine ‚semantische Transparenz’ vor, falls die Bedeutung der einzelnen Konstituenten und die morphologische Struktur eindeutig erkennbar seien (vgl. Eisenberg 1994: 203). Um die intendierte Bedeutung zu erschließen, müsse der Rezipient nicht nur über sprachliches Wissen, sondern ebenfalls über Sachwissen verfügen.

Die Anzahl an Okkasionalismen sei in der Regel textsortenspezifisch. Fleischer/ Barz nennen die Bereiche der Belletristik, Publizistik sowie die (ebenfalls verbale) Alltagskommunikation, zusätzlich möchte ich auf die Texte aus der Werbung verweisen.

Ausgehend von dem Motivationsbegriff spricht man von ‚Demotivation’, sobald die kompositionale Ableitbarkeit nicht mehr vorliegt, d.h. falls die Bedeutung der einzelnen Bestandteile einer Wortkonstruktion hinter der Gesamtbedeutung zurücktritt bzw. dessen semantische Transparenz gänzlich verloren geht. In diesem Falle handle es sich oftmals um lexikalisierte bzw. bereits idiomatisierte Wortbildungen, da das Wortbildungsprodukt intersubjektiv gebraucht werde (vgl. ‚Speicherung’ Fleischer/ Barz 1992: 16). Das bedeutet, dass die semantische Bedeutung dieser Wortbildungen zuerst gelernt werden muss, bevor sie in den kommunikativen Haushalt übernommen wird.

Aus der Beschreibung von Wortbildungsprozessen resultieren u.a. Regeln, die „die Bedingungen für Bildungsbeschränkungen“ angeben und gleichzeitig die unterschiedlich motivierten Gesetzmäßigkeiten veranschaulichen (vgl. Fleischer/ Barz 1992: 56).

Morphophonologische Regeln beziehen sich auf die Wahl von Interfixen oder auch Präfixvarianten (de- + Konsonant: dekomprimieren bzw. des - + Vokal: desillusionieren).

Morphologische Regeln bestimmen die Reihenfolge von morphologischen Einheiten (z.B. Tilgung des ersten Grundmorphems: Zuckerrohr + ZuckerRohrzucker). Syntaktisch-semantische Regeln schränken die Distribution der Morpheme ein, z.B. können Präpositionen, die nicht als Adverb gebraucht werden können, nicht als verbales Präfix fungieren (* inschreiben). Semantische Regeln blockieren u.a. Synonyme zu substantivischen Determinativkomposita (* Liftfahrstuhl). Diese Restriktionsregeln können im vorgegebenen Rahmen nicht ausführlicher behandelt werden, sodass an dieser Stelle nur auf deren spezielle Rolle bei literarischen Wortbildungen verwiesen werden kann. Laut Fleischer/ B. seien diese Regeln auf Wortbildungen in der Lyrik kaum anwendbar (vgl. 1992: 56).

In der Wortbildungslehre bewertet man Wortbildungsmuster anhand ihrer Produktivität, Akzeptabilität und Aktivität. Als produktiv bezeichnet man Wortbildungsmuster, die in der Gegenwartssprache neue Bildungen ermöglichen. So ist das Suffix – er (Surfer) im Gegensatz zu – nis (* Sterbnis) noch produktiv. Manch regelgerechte Wortbildung gilt als inakzeptabel, da sie durch bereits vorhandene Synonyme blockiert wird. So verhindert der Begriff Dieb das Wort * Stehler. Als aktiv bezeichnet man Lexeme, die vergleichsweise eine größere Fähigkeit besitzen, als Derivationsbasis oder Konstituenten von Komposita zu fungieren. Die vermehrte Aktivität eines Lexems erkennt man an ‚Wortbildungsnestern’. Fleischer/ Barz weisen darauf hin, dass die Wortbildungsaktivität im Deutschen „umgekehrt proportional zu deren Komplexitätsgrad“ verlaufe, d.h. je größer die Anzahl der Konstituenten, desto weniger Wortbildungen (vgl. 1992: 40).

2.2. Elementare Wortbildungstypen

Die folgende Auflistung von Wortbildungstypen des Deutschen orientiert sich hauptsächlich an den bewährten Darstellungen in Fleischer/ Barz (1992) und Eisenberg (1994), wobei ich mich aufgrund des vorgegebenen Rahmens auf die wichtigsten Wortbildungstypen beschränken muss.

2.2.1. Komposition

Bei diesem Wortbildungsprozess entsteht das Produkt, das Kompositum, aus zwei oder (selten) mehr freien Morphemen. Die Konstituenten sind größtenteils Nomen, da bei adjektivischen oder verbalen Bestimmungswörtern zahlreiche Restriktionen vorliegen. Zu unterscheiden sind hauptsächlich drei Arten von Komposita (vgl. Fleischer/ Barz 1992: 45f.): Determinativ-, Kopulativ und Possesivkomposita.

Bei Determinativkomposita liegt eine Subordination vor, d.h. das Bestimmungswort ist dem Grundwort semantisch untergeordnet. So ist beispielsweise bei dem Begriff Tischdecke das Determinans Decke dem Determinatum Tisch untergeordnet, da es eine spezielle Art von Decke näher bestimmt. Das rechts lokalisierte Grundwort ist gleichzeitig Kopf und Kern eines Determinativkompositums: der Kopf legt die grammatische Kategorie fest, der Kern beinhaltet das semantische Zentrum. Bei zahlreichen Komposita gilt zu beachten, dass sich deren Gesamtbedeutung nicht eindeutig bzw. gar nicht von der Bedeutung der einzelnen Konstituenten ableiten lässt. Benennt beispielsweise Schweineschnitzel ein Schnitzel vom Schwein, so lässt sich dieses Erklärungsmuster wohl kaum auf Leichenschmaus übertragen. Die Bedeutung von diesen semantisch nicht-transparenten Komposita muss von den Sprechern und Rezipienten gelernt werden.

Im Gegensatz zu den Determinativkomposita sind bei Kopulativkomposita die Konstituenten des Wortbildungsprodukts gleichgestellt. So handelt es sich bei einem Spielertrainer um eine Person, die gleichzeitig Spieler und Trainer ist.

Als Possessivkomposita werden Wortbildungen wie Hasenfuß oder Trotzkopf bezeichnet, die im übertragenden Sinn gebraucht werden, da deren Gesamtbedeutung über die des Grundwortes hinausgeht (oft als ‚pars pro toto’).

[...]

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Details

Title
Verbale Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache - Überblick und Beispielanalyse
College
University of Marburg
Grade
1
Author
Year
2004
Pages
18
Catalog Number
V53501
ISBN (eBook)
9783638489393
ISBN (Book)
9783656782506
File size
582 KB
Language
German
Keywords
Verbale, Wortbildung, Gegenwartssprache, Beispielanalyse
Quote paper
Sandra Metzger (Author), 2004, Verbale Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache - Überblick und Beispielanalyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53501

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