Die Eugenik-Debatte in den USA um 1915 und ihre ethische Begründung. Analyse des Romans "Lieber Feind" von Jean Webster


Hausarbeit, 2019

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Überblick über den Stand der eugenischen Debatte Anfang des 20. Jhdts

3. Wiederspiegelung der eugenischen Debatte im Roman „Lieber Feind“ von Jean Webster (USA 1915)

4. Begründung des Nutzens von Eugenik und Exklusion im Roman

5. Darstellung von Denk- und Wertevorstellungen der damaligen Zeit, die die eugenischen Argumente im Roman „Lieber Feind“ unterfüttern
5.1 Der religiöse Faktor in der Eugenik
5.2 Der „Geist“ des Kapitalismus, Utilitarismus und Eugenik

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang

1. Einleitung

Der 2018 in einer Neuübersetzung wieder aufgelegte Briefroman „Lieber Feind“ von Jean Webster aus dem Jahre 1915 ist auf den ersten Blick ein sehr unterhaltsames und charmantes Buch. Die neu eingestellte Waisenhausleiterin Sallie Mc Bride, hat sich das Ziel gesetzt hat ein Waisenhaus dieser Zeit mit jugendlichem Schwung zu reformieren (eine ausführlichere Inhaltsangabe des Romans findet sich im Anhang).

Der ungemein charmant/humorvolle Ton dieses Buches, das vor allem an junge Mädchen und Frauen adressiert ist, täuscht darüber hinweg, dass vor allem im Subtext des Romans „Lieber Feind“ ein intensiver, ernsthafter Diskurs über eugenische Fragestellungen und pädagogische Reformbestrebungen der Zeit um 1915 stattfindet.

Wichtige Bücher der damaligen Zeit zum Thema Vererbung/Eugenik werden im Text genannt und diskursiv verarbeitet. Der Begriff Eugenik kommt aus dem griechischen und bedeutet: eu, gut; und genos, Geschlecht – also das gute Geschlecht (Knippers 2012, p.37).

Warum sollte man sich heute ernsthaft damit auseinandersetzen?

Ein aktuell erhältlicher Roman, der eugenische Theorien unterhaltsam und vergnüglich in den jugendlichen Leser einfließen lässt, ist es meiner Meinung nach allemal wert, sich damit zu beschäftigen. Dazu kommt, das Eugenische Fragestellungen in Zeiten der modernen Genetik, der Präimplantationsdiagnostik und der Debatte um die relativ neue Epigenetik aktueller denn je sind. Obwohl man lange glaubte, dass nach der radikalen Umsetzung eugenischer Überlegungen durch die Euthanasie der Nationalsozialisten die Menschheit gegen solche Lösungen immunisiert wurde.

Wir neigen heute dazu historische Entwicklungen aus der Rückschau zu betrachten, mit all dem Wissen über die barbarische Zuspitzung und Radikalisierung während der Zeit des Nationalsozialismus. Wenn wir dann Begriffe wie Eugenik lesen, steht uns automatisch völlig klar vor Augen, was für eine unausweichliche Entwicklung diese damalige Forschungsrichtung nehmen musste. Für die damaligen Menschen war diese Logik so nicht zu erkennen, es bedurfte vieler Komponenten um eine so einschneidende Entwicklung wie im Deutschland der Jahre 1933 – 45 zu ermöglichen. Auch erklärt diese Logik nicht, warum diese radikale Entwicklung in andren Ländern so eben nicht stattfand.

Dieses Phänomen nennt man in der Psychologie den sogenannten Rückschaufehler (hindsight bias) „In der Rückschau überschätzen Menschen ständig, was vorhersehbar war. Nicht nur betrachten sie das, was geschehen ist, als unausweichlich, sondern sie meinen auch, dass es, bevor es geschehen ist, als „einigermassen unausweichlich“ erschien. Menschen meinen, dass andere den Ausgang eines Ereignisses viel besser hätten vorhersehen müssen, als dies tatsächlich der Fall war.“ (Schweizer, 2005, p.209)

Genau aus diesem Grund bietet sich als Grundlage einer solchen Untersuchung als frische, unverfälschte Stimme aus der Vergangenheit der Roman „Lieber Feind“ an. Er ermöglicht es uns einen relativ authentischen Blick auf den Stand der Eugenik Debatte des Jahres 1915 in den USA zu werfen.

„Webster took an active role in the social and political conversations of her day and distilles those arguments into books readily accessible by the young, helping to mold an new generation to participate in these same debates.” (Keely, 2004, p.364)

Zuerst wird ein kurzer Überblick über den Stand der eugenischen Debatte Ende des 19./Anfang des 20. Jhdts. entwickelt und dann herausgearbeitet wie sich das im Roman widerspiegelt und wie dort eugenische Maßnahmen begründet werden. Abschließend wird der Versuch gemacht, wie zentrale Denk- und Wertvorstellungen die eugenischen Argumente damals unterfütterten.

Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit ist, wie anhand des Romanes „Lieber Feind“ aus dem Zeitgeist Anfang des 20. Jahrhunderts heraus die Notwendigkeit eugenischer Maßnahmen begründet und ethisch untermauert wurde.

2. Überblick über den Stand der eugenischen Debatte Anfang des 20. Jhdts.

Das 19. Jhdt. war ein Zeitraum bahnbrechender Veränderungen mit ausgeprägten Transformationsprozessen. Industrielle Revolution, grundlegende Fortschritte in den Naturwissenschaften, Landflucht, das Abstreifen mittelalterlicher Denkstrukturen im Europa (Industrie statt Zunftwesen, Chemie statt Alchemie).

Diese neuen Erkenntnisse griffen tief in ein Gesellschaftsgefüge ein, dass die seit dem 18 Jhdt. sich anbahnenden revolutionären Veränderungen in seinen Konsequenzen begreifen lernen musste.

Ein besonders prägender Wissenschaftsbeitrag waren die Erkenntnisse im Bereich der Evolutionsforschung, aus der später die Eugenik hervorging.

Grundlagen legte hierzu der Augustinermönch Gregor Mendel (1822-1884) der die Prinzipien der Vererbung von Eigenschaften durch Studien an Erbsenpflanzen im Klostergarten untersucht hat und seine Erkenntnisse erstmals 1865 veröffentlichte. Zum damaligen Zeitpunkt wurde das bahnbrechende seiner Gedanken nicht erkannt, sein Werk geriet bis zur Jahrhundertwende in Vergessenheit, bis sie „Anfang des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt wurden.“ (vgl. Knoke 2008, p.8).

Aber der zentrale Grundlagenwissenschaftler der Eugenik war Charles Darwin mit seinem Werk „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ (1859). Er entwickelte hier ein Modell der Evolution, in dem die Organismen in einem Kampf ums Dasein selektiert werden und nur die am besten angepassten Arten überleben. (vgl. Hedwig/Petter, 2017, p. 15). Darwin verglich die natürliche Situation und ihre Konsequenzen ohne Zuchtwahl mit dem Zustand der Zuchtwahl in einer zivilisierten Gesellschaft. „Die daraus zu ziehende Schlussfolgerung war deutlich: die Zivilisation erschwert diese natürliche Zuchtwahl.“ (Knoke, 2008, p.8).

Der wirkliche Gründungsvater der Eugenik wiederum war Sir Francis Galton (1822 – 1911), ein Cousin von Charles Darwin. Er prägte den Begriff Eugenik und seine Lehre vom „guten Erbe“ baut auf der Vorstellung auf, dass Talent und Charakter überwiegend vererbt werden. Der Einfluss der Umwelt spiele nur eine zweitrangige Rolle. Damit stand Galton zum damaligen Zeitpunkt im Gegensatz zum sogenannten Lamarckismus - Jean-Baptist Lamarck hat am Anfang des 19. Jhdts. die Theorie entwickelt, das durch Umwelteinflüsse erworbene Eigenschaften vererbbar seien. Ein klassisches Beispiel für diese Theorie ist die Giraffe, die ihren Hals ausstreckt um an Baumblätter zu gelangen und dadurch über Generationen ihre charakteristische Gestalt bekam. Im Gegensatz dazu besagt der Darwinismus, dass die Giraffe nur durch Mutation und Selektion ihre heutige Gestalt bekam. (vgl. Vichel, 2017, p. 6).

Aus einer Untersuchung des „Dictionary of Men oft the Time“ (das Who is Who des 19. Jahrhunderts) stellte Galton fest, das ein “überwiegender Teil der bekannten britischen Wissenschaftler, Dichter, Schriftsteller, Juristen, Musiker, Politiker und Generäle blutsverwandt waren. Er folgerte, dass berühmte Familien im Durchschnitt mehr begabten Nachwuchs hervorbrächten als die normale britische Bevölkerung.“ (Kühl, 1997, p. 19) Galton beließ es nicht bei dieser Feststellung, sondern entwickelte den Gedanken dass man die menschliche Rasse verbessern müsse. Er verstand die Vorstellung einer eugenischen Verbesserung vor allem positiv, d.h. das man Anreize schaffen muss, dass sich geeignete Personen fortpflanzen. Im Gegensatz dazu steht die negative Eugenik, die die Vermehrung von Personen mit negativen erblichen Anlagen verhindern will - z.B. durch Sterilisation. (vgl. Knoke, 2008, p.9)

Lange Zeit fand Galtons eugenische Konzeption keine Beachtung, aber Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden fast gleichzeitig nationale eugenische Gesellschaften in Großbritannien, Deutschland und in den USA. Eine Ursache dafür war, das die krisenhaften Folgewirkungen des modernen Industriekapitalismus - wie Verarmung großer Teile der städtischen Bevölkerung, katastrophale Zustände bei Hygiene und Wohnverhältnissen zu wachsenden sozialen Spannungen führte. (vgl. Kühl, 1997, p.20) Bis dahin hatte man geglaubt, das das Darwinsche evolutionäre Selektionsprinzip mit seinem „Kampf ums Dasein“, dem „Survival of the Fittest“ (Herbert Spencer) die „negativen“ Elemente der Gesellschaft wie das Lumpenproletariat „austilgen“ würde. Aber nun wurde deutlich, das so nicht erfolgte. „Ein freies Spiel der Selektionskräfte führte in der Industriegesellschaft offenbar nicht zu einem biologischen Fortschritt“. (Kühl, 1997, p. 20) In dieser Situation passten Galtons Überlegungen plötzlich zum Zeitgeist: mit der Angst der imperialen Nationalstaaten vor einer Ausserkraftsetzung des Selektionsprinzips und einer überproportionalen Vermehrung vermeintlich „minderwertiger“ Bevölkerungsgruppen, die zu einer Degeneration der menschlichen Rasse führen würde. (vgl. Kühl, 1997, S21)

Hier bot Galton nun einen Lösungsweg an, wie man durch aktive Züchtung das Menschenmaterial verbessern kann. 1912 wurde von der britischen Eugenics Education Society der erste internationale eugenische Kongress in London veranstaltet. Begründet wurde die Notwendigkeit eines internationalen Kongresses damit, „daß in allen „Kulturvölkern“ eine Selektion zugunsten der Minderwertigen“ eingetreten sei, die eine „zunehmende Gefahr für die Zukunft der ganzen menschlichen Rasse“ darstelle. Angesichts der drohenden „Rassendegeneration“ sei Galtons Eugenik von äußerster Wichtigkeit“. (vgl. Kühl, 1997, p.27) Aber ebenso wurde auf dem Londoner Kongress deutlich, „wie sehr die Eugenik am Anfang des Jahrhunderts eine Mischung aus entstehender Wissenschaft, sozialreformerischer, politischer Bewegung und Lebensbund eugenisch motivierter Männer und Frauen war.“ (Kühl, 1997, p.27) Bei diesem Kongress waren neben der einladenden britischen eugenischen Gesellschaft die amerikanischen und deutschen Pendants stark vertreten.

In den USA war die Eugenikdebatte Anfang des 20. Jhdts schon weit fortgeschritten und führte auch früh zu realen gesetzlichen Maßnahmen, Sterilisierungen von „Fortpflanzungsunwürdigen“ wurden bereits praktiziert.

In den Jahren nach dem amerikanischen Bürgerkrieg 1865 bis zum Ende des 19. Jhdts. gingen ein starkes wirtschaftliches - und ein großes Bevölkerungswachstum mit all seinen „Nebenwirkungen“ Hand in Hand. Die großen Einwanderungswellen führten zu einem rapiden Anstieg der Einwohneranzahl in den Städten und einer Diversifizierung der Bevölkerung durch eine zunehmende Anzahl von Ethnien und Religionen. (vgl. Knoke, 2008, p. 11) „Zwischen 1880 und 1924 erreichen etwa 23,5 Millionen Einwanderer und Einwanderinnen zu einem großen Teil aus Süd- und Osteuropa – die new immigrants – die USA.“ (Lüthi, 2009, p.14) Vor diesem Hintergrund entstand seit den 1880er Jahren eine Anti-Immigrationskampagne innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, Forderungen nach einer strengeren medizinischen Kontrolle der Zuwanderer wurden laut – aus Angst vor der Einschleppung übertragbarer Krankheiten und vererbbarer mentaler und physischer Defekte. (vgl. Lüthi, 2009, p. 15)

Beim Londoner Kongress der eugenischen Gesellschaften 1912 warnte nun „Bleecker van Wagenen, Vorsitzender des Sterilisationskomitees der eugenischen Sektion der Amerikan Breeders Association, daß die Zahl der „Defekte“ in Amerika und Europa rapide wachse und das sich selbst in „normale“ Bevölkerungsgruppen „asoziale und defekte Charakterzüge“ einschleichen würden. Geistig Behinderte, Arme, Kriminelle, Epilektiker, Verrückte, Schwache, Deformierte, Blinde, Taube seien „sozial untauglich“, und ihr Nachwuchs müsse aus der menschlichen Rasse eliminiert werden. Wagenen unterrichtete in London seine europäischen Kollegen von der Einführung von Sterilisationsgesetzen in den Bundestaaten Indiana, Washington, Kalifornien und Connecticut.“ (Kühl, 1997, p. 32)

3. Wiederspiegelung der eugenischen Debatte im Roman „Lieber Feind“ von Jean Webster (USA 1915)

Die Figur, über die Jean Webster den eugenischen Diskurs in den Roman „Lieber Feind“ hineinträgt ist der Arzt des Waisenhauses, Dr. Robin McRae, der den Versuch unternimmt, die in seinen Augen unbedarfte junge Dame der Ostküstenoberschicht, Sallie McBride zu „professionalisieren“:

„Eine Person in meiner Stellung sollte sich [seiner Meinung nach] in Physiologie, Biologie, Psychologie, Soziologie und Vererbungslehre auskennen; sie sollte um die Erblichkeit von Geisteskrankheit, Schwachsinn und Alkoholismus wissen; sollte in der Lage sein den Binet-Simon-Test [erste Form eines Intelligenztestes] durchzuführen, sollte das Nervensystem eines Frosches verstehen. Zu diesem Zweck hat er mir seine eigene wissenschaftliche Bibliothek zu Verfügung gestellt. […] In der letzten Woche haben wir uns dem Leben und den Briefen der Familie Jukes gewidmet. Margaret Jukes, die „Verbrechermutter“, begründete vor sechs Generationen eine fruchtbare Abstammungslinie, und ihre Nachfahren, die größtenteils im Gefängnis sitzen, zählen inzwischen an die zwölfhundert. Und die Moral: Kinder mit schlechten Erbanlagen müssen sorgfältig beobachtet werden, damit sich ihnen kein Anlass bietet, als Erwachsene zu Jukes zu werden.“(Webster, 2018, p. 106-107)

Es handelt sich hier um die von Richard L. Dugdale zuerst 1877 veröffentlichte Studie „The Jukes: A Study in Crime, Pauperism, Disease and Heredity”. Dieses Buch war einer der ersten Versuche systematisch Daten zur Abstammung „krimineller Familien“ zu erheben und war eher eine Zufallserkenntnis. Dugdale hatte im Jahr 1874 im Auftrag der Prison Association of New York 13 Gefängnissen einen Inspektionsbesuch abgestattet und beobachtet das in verschiedenen Gefängnissen mehrere Personen einsaßen, die eine familiäre Verbindung hatten. (vgl. Knoke, 2008, p. 14)

In einem aufwendigen statistischen Verfahren versuchte er nun die Abstammungslinien dieser Familie zu erforschen. „He traced the family origins to a colonial frontiersman named Max and discovered among these descendants eighteen brothel-keepers, one hundred twentyeight prostitutes, more than two hundred relief recipients, two cases of “feeble mindedness” (whiche he attributes to syphilis), and more than seventy-six convicted criminals. […] In his 1874 report to the New York legislature, Dugdale estimated that the Juke family had cost the people of New York 1,308,000 Dollar. (Keely, 2004, p.370) Dieses Buch erregte in den USA und auch in Europa sehr viel Aufmerksamkeit. Interessant ist, dass Dugdale (der ein Lamarck Anhänger war) die Entwicklung dieser Familie noch nicht monokausal auf die Vererbung reduzierte, sondern auch deutlich die Ursache an den Umweltbedingungen und Einflüssen festmachte. (vgl. Knoke, 2008, p. 14) Richard L. Dugdale kam nämlich zu folgendem Schluss: „In the „Jukes“ it was shown that heredity depends upon the permanence of the environment, and that a change in the environment may produce an entire change in the career, which, in the course of greater or less length of time, according to varying circumstances, will produce an actual change in the character of the individual.” (Dugdale, 1877, p.112) Er wies weiter darauf hin, dass „public health and infant education […] are two legs upon which the general morality of the future must travel.” (Dugdale, 1877, p. 119)

Zwar argumentiert Dugdale in seinem Buch „The Jukes“ durchaus differenziert und fortschrittlich, sein zentrales Ziel sind Sozial- und Bildungsreformen – allerdings hatte sein Buch eine nicht unerhebliche Wirkung auf die Vererbungsdebatte und bewirkte eine Ausrichtung des Fokus auf die sogenannten „kriminellen Familien“:

„Für überzeugte Anhänger von Vererbungstheorien war dies jedoch ein Musterbeispiel: hätte man „Margaret“ [die Urmutter der Juke Familie] davon abgehalten sich fortzupflanzen, wäre der Gesellschaft viel Kriminalität erspart geblieben, ganz zu schweigen von den Kosten, die der Allgemeinheit von ihr und ihren Nachkommen aufgebürdet wurden.“ (Knoke, 2008, p. 14)

Auch Jean Websters Alter Ego Sallie McBride liest hier wie viele ihrer Zeit unter dem Einfluss des Dr. Mc Rae vor allem Vererbung als Ursache und Problem heraus. Wenige Seiten später hat Sallie ein weiteres prägendes Leseerlebnis aus der Bibliothek des Doktors und zwar: „The Kallikak Family: A Study of the Heredity of Feeble-Mindedness“ von Henry Herbert Goddard, USA 1912, auch dies die Untersuchung einer kriminellen Familie nach dem Vorbild der Jukes Family.

Sallie McBride schreibt unter diesem Eindruck an ihren Verlobten Gordon, den Kongressabgeordneten: „Hast du schon mal von den Kallikaks gehört? Besorg Dir das Buch und lies es nach. […] Es scheint, dass Geistesschwäche äußerst erblich ist und die Wissenschaft kein Mittel dagegen findet. Unsere Gefängnisse sind voller geistesschwacher Häftlinge. Die Gesellschaft sollte sie auf großen Bauernhöfen absondern, wo sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen können und keine Kinder bekommen dürfen. Dann könnten wir dieses Übel in zwei Generationen ausmerzen. Wusstest du das alles? Das sind doch für einen Politiker sehr wertvolle Informationen. […] Bitte kümmere dich sofort darum.“ (Webster, 2018, p.123ff)

In diesem Buch geht der Autor Henry H. Goddard den Schritt vom Einfluss der Umwelt hin zu einer reinen Vorstellung unwandelbarer vererbter Charaktereigenschaften (vgl. Knoke, 2004, p. 33), im selben Zeitraum, in dem auch Gregor Mendels Grundlagenforschung wiederentdeckt wurde – „popularized bei Henry Goddard […] whose family study oft he Kallikak fascinated the country.“ (vgl. Keely, 2004, p. 372)

Goddard empfiehlt zwei Methoden um die Fortpflanzung einer solchen Familie zu unterbrechen, einerseits “the segregation and colonisation of feeble minded persons“ (vgl. Goddard, 1912, p.105) Aber für Goddard ist die wirklich wirksame Methode “of solving the problem is to take away from these people the power of procreation.” (Goddard, 1912, p.106-107) Da kam damals nur die operative Sterilisation in Frage: „the operation itself is almost as simple in males as having a tooth pulled. In females it is not more serious.” (Goddard, 1912, p. 108). Dies ist eine eklatante Verharmlosung der Operationsrisiken der damaligen Zeit, gerade bei der weiblichen Sterilisation.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Eugenik-Debatte in den USA um 1915 und ihre ethische Begründung. Analyse des Romans "Lieber Feind" von Jean Webster
Hochschule
DIPLOMA Fachhochschule Nordhessen; Abt. Leipzig
Veranstaltung
Enführung in die Ethik Soziale Arbeit
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
21
Katalognummer
V535114
ISBN (eBook)
9783346117328
ISBN (Buch)
9783346117335
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eugenik, USA, Lieber Feind Jean Webster
Arbeit zitieren
Gregor Gebauer (Autor:in), 2019, Die Eugenik-Debatte in den USA um 1915 und ihre ethische Begründung. Analyse des Romans "Lieber Feind" von Jean Webster, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/535114

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