Die Problematik der Scheinselbständigkeit und deren Lösung durch § 7 Abs. 4 SGB IV


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2000

19 Pages, Note: gut


Extrait


GLIEDERUNG

I.Vorbemerkung

II.Begriff der Scheinselbständigkeit

III.Ursprung der Scheinselbständigkeit

IV.Ursachen der Scheinselbständigkeit

V.Probleme der Scheinselbständigkeit

VI.Sozialrechtliche Situation vom 01.07.1977 bis zum 31.12.1998

VII.„Reformbewegung“ bis zum 31.12.1998

VIII.Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998

IX.Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999

X.kritische Stellungnahme

I. Vorbemerkung

In meiner praktischen Tätigkeit bei einer höheren Gewerbebehörde wurde ich häufig durch Anfragen unterer Gewerbebehörden mit dem Problem der Scheinselbständigkeit konfrontiert. Dabei konnte ich feststellen, daß in den Gewerbebehörden teilweise große Unsicherheit im Umgang mit dem Thema Scheinselbständigkeit besteht. Andererseits sind den Gewerbebehörden bei der Bekämpfung der Scheinselbständigkeit ohnehin nahezu völlig die Hände gebunden.

Eine Möglichkeit, Scheinselbständigkeit zu erkennen und ihr entgegen zu wirken, sah der Gesetzgeber in der Einführung des § 14 Abs. 5 Nr. 7 GewO[1], wonach die untere Gewerbebehörde einen Durchschlag der Gewerbeanzeige dem Sozialversicherungsträger zuzuleiten hat. Der bloßen Gewerbeanzeige kann der Sozialversicherungsträger aber lediglich die Art der Gewerbetätigkeit, den Gewerbestandort, die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und persönliche Angaben des Gewerbetreibenden entnehmen (§ 14 Abs. 4 GewO) und hieraus wohl noch lange nicht auf eine Scheinselbständigkeit des Betroffenen schließen.[2]

Jedoch die Gemeinden und die unteren Gewerbebehörden erkennen oftmals bereits bei der Entgegennahme der Gewerbeanzeige nach § 14 GewO Indizien, die für eine Selbständigkeit nur zum Schein sprechen, so z. B. bei einem angeblich selbständigen Betreuer einer Spielhalle, der an die Weisungen des Betreibers hinsichtlich der Öffnungszeiten der Spielhalle fest gebunden ist und einen gleichbleibenden Monatslohn erhält. Da aber einerseits der Gewerbebehörde lediglich drei Werktage zur Prüfung der Gewerbeanzeige bleiben (dann hat sie die Gewerbeanzeige zu bestätigen („Gewerbeschein“))[3] und andererseits die Gewerbebehörde nach Nr. 6.2. GewAnzVwV lediglich den Empfang der mangelfreien Gewerbeanzeige zu bescheinigen hat, hat sie für eine Überprüfung des Gewerbetreibenden hinsichtlich dessen tatsächlicher Selbständigkeit zu wenig Zeit und ist hierfür auch personell, rechtlich und tatsächlich unzuständig.[4] Ungeachtet dessen wird aber von den Gewerbebehörden auch erwartet, daß sie klar feststellen können, ob eine gewerbliche Tätigkeit tatsächlich selbständig und nicht scheinselbständig ausgeübt wird, so z. B. bei der Prüfung, ob ein Erwerbstätiger, der selbständig Handwerksleistungen erbringt, über eine Eintragung in der Handwerksrolle verfügt.

Dies und und auch die vielen öffentlichen Diskussionen in der Vergangenheit und Gegenwart veranlaßten mich, das Thema und Problem Scheinselbständigkeit näher zu beleuchten und somit Licht in das von politischen Schlagwörtern zurückgelassene Dunkel zu bringen.

Die vorliegende Seminararbeit soll kurz und verständlich die Begrifflichkeit, die Problematik, den Ursprung sowie die Beregelung der Scheinselbständigkeit in der Vergangenheit und in der Gegenwart darstellen und sichtbar machen.

II. Begriff der Scheinselbständigkeit

Seit dem Beginn der 80er Jahre sehen sich Sozialversicherungsträger, Lehre sowie Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit zunehmend mit dem Problem der Scheinselbständigkeit konfrontiert.[5] Der Begriff Scheinselbständigkeit jedoch, anstelle dessen in der Literatur auch Formulierungen wie „neue Selbständigkeit“ oder „abhängige Selbständigkeit“ verwandt werden, wird im Gesetz selbst nicht erwähnt, geschweige denn definiert.[6] Dem Begriff Scheinselbständigkeit immanent ist, daß eine Selbständigkeit nur zum Schein gegeben ist, daß also eine Erwerbsperson gar nicht selbständig am Markt auftritt, sondern nur den Schein erzeugt, selbständig zu sein (so z. B. durch die Anzeige eines Gewerbes). Eine scheinselbständige Erwerbsperson erfüllt aber Dienst- bzw. Werkverträge regelmäßig unselbständig und ist daher als Arbeitnehmer einzustufen. Diese Einstufung bereitet aber Schwierigkeiten, da eine Definition des Arbeitnehmerbegriffs, worunter Scheinselbständige regelmäßig zu zählen sind, nicht existent ist.[7] Es findet sich lediglich in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB die Formulierung, daß „selbständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann...“. § 7 Abs. 1 SGB IV spricht davon, daß Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis ist. Schließlich findet man noch die Bezeichnung der „arbeitnehmerähnlichen Person“, die nach § 12 a TVG „wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig ist“. Auch die neueste Fassung des § 7 Abs. 1 SGB IV[8] durch die Anhängung des S. 2, demzufolge eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Organisation des Weisungsgebers Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind, kann nicht als Definition des Arbeitnehmer- geschweige denn des Scheinselbständigkeitsbegriffes aufgefaßt werden. Eine positive Definition des Arbeitnehmerbegriffes im Rahmen eines Arbeitsvertragsgesetzes, zu dessen Erlaß der Gesetzgeber durch den Einigungsvertrag beauftragt wurde, steht noch aus, da diesbezügliche Entwürfe noch in der parlamentarischen Beratung sind.[9]

Es wird sich deshalb in Fachkreisen damit beholfen, eigene Definitionen des Begriffes Scheinselbständigkeit zu finden. Dabei ist der jeweilige Wortlaut der entwickelten Defiitionen so unterschiedlich wie die große Anzahl der Verfasser. So werden „als Scheinselbständige Erwerbstätige bezeichnet, die in der Grauzone zwischen abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit angesiedelt werden, formal (auf Basis eines Werk- oder Dienstvertrages) als Selbständige gelten und vor diesem Hintergrund de facto auch nicht in den Genuß der meist nur für die abhängig Beschäftigten gültigen Schutzrechte, -vorschriften und -normen kommen, obwohl sie sich weitgehend in Erwerbsverhältnissen befinden, die sich durch spezifische Formen der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber Auftraggeber(n) auszeichnen, somit eigentlich der abhängigen Beschäftigung zuzurechnen wären und bei Anwendung der arbeits- und sozialrechtlichen Vorgaben auch so eingeordnet werden müßten“.[10]

Ein anderer Definitionsversuch „versteht unter Scheinselbständigen Erwerbstätige, die faktisch wie abhängig Beschäftigte arbeiten und auch entsprechenden vertraglichen Bedingungen unterworfen sind, jedoch nach der gewählten Vertragsform irreführenderweise wie Selbständige behandelt werden“.[11]

Beide Definitionsversuche sind zutreffend und bei der Erklärung des Begriffes Scheinselbständigkeit hilfreich. Eine allgemeingültige Definition schließlich kann aber nur mittels einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Legaldefinition erfolgen.

III. Ursprung der Scheinselbständigkeit

Die Frage, ob jemand selbständig tätig oder abhängig beschäftigt und somit möglicherweise scheinselbständig ist, existiert in ihrer Grundstruktur bereits seit mehr als 100 Jahren und stellt sich der Sozialgerichtsbarkeit seit Anbeginn ihrer Tätigkeit im Jahre 1954.[12] Vorrangiges Ziel des deutschen Arbeits- und Sozialrechts war und ist der Schutz abhängig Beschäftigter und somit von Arbeitnehmern. Es besteht deshalb Einigkeit darüber, daß die wesentliche Grenze des Schutzzweckes des Arbeits- und Sozialrechts entlang der Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen verläuft.[13] Die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen war und ist allerdings umstritten, seitdem es ein Arbeits- bzw. ein Sozialrecht gibt[14], (zumal es bis heute an einer klaren Definition des Arbeitnehmer- und des Selbständigenbegriffes in diesen Rechtsgebieten fehlt). Dabei ist zu beobachten, daß die Zahl der Fälle, in denen die Zurechnung zu Selbständigkeit oder abhängiger Beschäftigung Zweifel aufwirft, aufgrund einer immer größer werdenden Vielzahl von Modifikationen der klassischen Arbeitsbeziehungen stetig zunimmt.[15] In diesem Zusammenhang fallen oft Schlagworte wie „Outsourcing“ oder „Franchising“, die wiederum unter der Formulierung der „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ zusammengefaßt werden. Das Ergebnis dieses Prozesses ist eine immer breiter werdende Grauzone[16] zwischen Selbständigen und abhängig Beschäftigten. Diese Grauzone schließlich bildet den Rahmen für Scheinselbständigkeit und ist zugleich deren Ursprung.

IV. Ursachen der Scheinselbständigkeit

Die Ursache der Scheinselbständigkeit dürfte wohl genauso wie deren Ursprung im Sozialrecht und im Arbeitsrecht selbst liegen.

Nach dem geltenden Sozialversicherungsrecht als Bestandteil des Sozialrechts, welches aus dem aus Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG hergeleiteten Sozialstaatsprinzip fließt, sind die in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitnehmer im Gegensatz zu Selbständigen nach § 2 Abs. 1 Alt. 1 SGB IV in allen Zweigen sozialversicherungspflichtig.[17] Dies hat zur Folge, daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, an den Sozialversicherungsträger monatlich entsprechend der Höhe des Arbeitsentgelts einen Gesamtsozialversicherungsbeitrag abzuführen, der gemäß dem Grundsatz der paritätischen Finanzierung zur Hälfte vom Arbeitgeber und zur Hälfte vom Arbeitnehmer getragen wird. Schon hieraus lohnt es sich für den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer „in die Scheinselbständigkeit zu entlassen“, da die Pflicht zur Tragung des Arbeitgeberanteiles am Gesamtsozialversicherungsbeitrag für den Auftraggeber hinsichtlich des scheinselbständigen Auftragnehmers entfällt.[18]

[...]


[1] vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der GewO und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften, BT- Drucks. 12/5826

[2] so auch Steinmeyer in „Die Problematik der Scheinselbständigkeit“ ZfSR 6/1996 S. 380

[3] Landmann/Rohmer in Komm. zur GewO § 14 Rdnr. 42

[4] so Pinegger/Kraußer in „Aktuelle Fragen des Gewerberechts“ GewArch 1997, 467 und 66. Tagung des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht“ vom 08./09.11.1989

[5] Geisler in „Versicherungspflicht von Scheinselbständigen und arbeitnehmerähnlichen Selbständigen“ DAngVers 2/99 S. 68

[6] Zwischenbericht der Kommission „Scheinselbständigkeit“ Die Sozialversicherung 10/1999 S. 253

[7] Steinmeyer a.a.O. S. 350

[8] BGBl. I 2000 S. 2

[9] Sitte in „Zur Neuregelung der Versicherungspflicht von Scheinselbständigen und sogenannten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen“ Die Sozialversicherung 4/99 S. 92

[10] aus einem Papier zum Projekt des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit „Freie Mitarbeiter und selbständige Einzelunternehmer mit persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit“

[11] Zwischenbericht der Kommission „Scheinselbständigkeit“ Die Sozialversicherung 10/1999 S. 253

[12] Brand in „Die sozialrechtlichen Abgrenzungskriterien der Abhängigkeit/Selbständigkeit/Scheinselbständigkeit und die Folgen der Einstufung als Selbständiger bzw. abhängig Beschäftigter ZfSR 6/1996 S. 401 f.

[13] Steinmeyer a.a.O. S. 349

[14] Wank in „Die neue Selbständigkeit“ DB 2/92 S. 90

[15] Sitte a.a.O. S. 90

[16] vgl. Beschl. des BVerfG Az.: 1 BvR 21/96

[17] Ost/Mohr/Estelmann in „Grundzüge des Sozialrechts“ S. 65; Bley in „Sozialrecht“ S. 129

[18] Wank a.a.O. S. 90

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Die Problematik der Scheinselbständigkeit und deren Lösung durch § 7 Abs. 4 SGB IV
Université
University of Leipzig
Note
gut
Auteur
Année
2000
Pages
19
N° de catalogue
V53843
ISBN (ebook)
9783638491822
ISBN (Livre)
9783656774921
Taille d'un fichier
546 KB
Langue
allemand
Mots clés
Problematik, Scheinselbständigkeit, Lösung
Citation du texte
Thomas Gabriel (Auteur), 2000, Die Problematik der Scheinselbständigkeit und deren Lösung durch § 7 Abs. 4 SGB IV, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53843

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