Die fortschreitende Digitalisierung und Nutzung neuer Technologien und Medien gehören heutzutage wie selbstverständlich zum Alltag. Dabei bereichern sie nicht nur den Strukturwandel in großen Unternehmen, sondern beeinflussen auch private Haushalte, besonders Kinder und Jugendliche, maßgeblich. Und obwohl jüngere Generationen mit diesen neuen Technologien aufwachsen, benötigen sie beim Erlernen des verantwortungsvollen Umgangs mit diesen Medien die Unterstützung ihrer Eltern oder pädagogischer Fachkräfte.
Doch wie sieht die „richtige“ Medienerziehung aus? Welchen Wissensstand brauchen die Fachkräfte der Heimerziehung im Hinblick auf Neue Medien und Social Media? Wie viel Medienpädagogik braucht die Heimerziehung?
Jessica Johnsen erklärt, wie wichtig moderne Medien mittlerweile für Kinder und Jugendliche sind. Dabei weist sie auch auf Chancen und Risiken hin, die mit deren Benutzung einhergehen. Ein besonderes Augenmerk legt die Autorin auf die Bedeutung der Medienpädagogik in der Heimerziehung. Zudem erläutert sie mögliche Inhalte und Formen medienpädagogischer Angebote in der stationären Kinder- und Jugendhilfe.
Aus dem Inhalt:
- Medienkompetenz;
- Meinungsbildung;
- Identitätsbildung;
- Internet;
- Selbstdarstellung;
- Kommunikation
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1 Einleitung
2 Neue Medien und Social Media
2.1 Neue Medien im Überblick
2.2 Social Media im Überblick
3 Heimerziehung
3.1 Rahmenbedingungen, Inhalte und Ziele
3.2 Formen der Heimerziehung
3.3 Adressat/innen
3.4 Fachkräfte in der Heimerziehung
4 Medienpädagogik
5 Medien in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen
5.1 Medienausstattung und -nutzung
5.2 Chancen und Risiken
6 Neue Medien und Social Media in der Heimerziehung
6.1 Gründe für medienpädagogische Arbeit in der Heimerziehung
6.2 Notwendiges Wissen der Fachkräfte
6.3 Formen und Inhalte medienpädagogischer Arbeit
7 Fazit
Literaturverzeichnis
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Abstract
Neue Medien und Social Media sind ein aktuell gesellschaftlich relevantes Thema. Sie verändern unser Leben in so einer Geschwindigkeit und Größe, wie es bis jetzt noch mit keinen Medien war. Besonders die Kindheit und die Jugend ist von diesen medialen Veränderungen betroffen. Die Neuen Medien, besonders das Smartphone ist fester Bestanteil ihres Lebens und beeinflussen auch ihre Entwicklung, sowohl positiv als auch teilweise negativ. Welchen Einfluss sie auf das Leben der Heranwachsenden haben, hängt stark von der individuellen Persönlichkeit, dem sozialen Umfeld und äußeren Einflüssen ab. Eine wichtige Voraussetzung für die Mediennutzung in unserer heutigen Gesellschaft ist Medienkompetenz.
Ziel der vorliegenden Bachelorarbeit war es, zu klären, wieviel Medienpädagogik in der Heimerziehung notwendig ist, um die Kinder und Jugendlichen bei der Mediennutzung bestmöglich zu begleiten und zu beeinflussen. Dazu wurde zunächst geklärt, welche Relevanz Neue Medien und Social Media für die Heranwachsenden haben und welche Chancen aber auch Gefahren sie bergen, um anschließend auf medienpädagogische Ansätze für die Heimerziehung einzugehen.
Die Ergebnisse zeigen, dass es aktuell nur begrenzt medienpädagogische Inhalte in der Heimerziehung gibt. Dies hängt zum Teil auch mit dem mangelnden Fachwissen der pädagogisch Tätigen in diesem Bereich zusammen. Sie besitzen zudem größtenteils selbst zu wenig Medienkompetenz, um eben diese bei den Heranwachsenden fördern zu können. Doch es gibt genug Gründe, warum die Neuen Medien und Social Media in der Heimerziehung Einzug finden sollten. Medienpädagogik kann sowohl durch Projekte als auch durch alltägliche, kleine Interventionen in die Heimerziehung eingebracht werden. Zur Gestaltung der medienpädagogischen Inhalte gibt es einige pädagogische Ansätze, sowie online verfügbare Arbeitsmaterialen, an denen sich Fachkräfte orientieren und für die Planung der Medienarbeit in den Einrichtungen nutzen können. Derzeit basiert die Umsetzung noch sehr auf dem eigenen Interesse der Fachkräfte und ist zu wenig in den Konzepten der Einrichtungen integriert.
1 Einleitung
„Gegenwärtig ist unsere Gesellschaft mit einem kulturellen Umbruch konfrontiert, der entscheidend von den Neuen Medien bestimmt wird“ (Alfert 2018, S. 533). Die Fortschritte der Digitalisierung sind in allen Bereichen unseres Lebens zu bemerken. Egal ob im Beruf, in der Familie oder in der Freizeit, die Neuen Medien sind allgegenwärtig. Gerade das Smartphone nimmt einen hohen Stellenwert in unserem Leben ein. 2018 wurden in Deutschland innerhalb der Bevölkerung 58,5 Millionen Smartphones erfasst (vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis) 2019b). Der Besitz eines Smartphones ist schon fast selbstverständlich. Ebenso wichtig wie das Smartphone ist unserer Gesellschaft aber auch das Internet geworden. Dies hat sich jedoch in den letzten Jahren stark verändert. Es hat sich von einem Internet, welches primär als Informationsquelle und Möglichkeit zum Online-Einkauf genutzt wurde, zu einer Mitmachplattform gewandelt (vgl. Alfert 2015, S. 33). Vor allem die neuen Möglichkeiten der Kommunikation und Partizipation sind entscheidend für diesen Wandel (vgl. ebd., S. 28). Ein großer Teil der nutzerfreundlichen Internet-Anwendungen sind unter dem Begriff Social Media zu fassen. Social Media ermöglicht allen Nutzer/innen durch benutzerfreundliche Anwendungen mit Anderen in Kontakt zu treten, sich auszutauschen oder Beziehungen zu pflegen, sowie beliebige Inhalte öffentlich zu teilen oder jederzeit und überall, zu jedem Thema Informationen zu finden (vgl. Schmidt 2018, S. 10 ff.).
Im Unterschied zu den klassischen Massenmedien Fernsehen, Radio und Zeitung, bei denen keine Rückkopplung der Nutzer/innen möglich ist, sind die Neuen Medien, inkl. Social Media u.a. genau durch ihre Interaktivität gekennzeichnet (vgl. Sutter 2010, S. 48 f.). Vor allem auch die Multifunktionalität der Neuen Medien macht sie so attraktiv und führt zu deren steigender Akzeptanz und Verbreitung. Durch die zahlreichen neuen Möglichkeiten tragen sie zur Erleichterung des Alltages bei, sowohl beruflich als auch privat. „Längst steuern die Neuen Medien unser gesamtes Alltagsleben in erheblichen Maßen“ (Hüther 2005, S. 350 f.).
Auffallend ist dies besonders bei Kindern und Jugendlichen. Sie wachsen zu einem Großteil bereits von Geburt an mit den neuen Technologien auf. Sie wenden sich den Neuen Medien mit Begeisterung zu und es so scheint, als wäre für sie der Umgang mit ihnen selbstverständlich, weshalb sie auch häufig als „Digital Natives“ (engl. digitale Einheimische) bezeichnet werden (vgl. Gabriel/ Röhrs 2017, S. V). Junge Menschen gehen mit Veränderungen anders um als ältere, da sie die vorherige Welt nicht so sehr verinnerlicht haben wie die Erwachsenen (vgl. Tully 2018 S. 28). Die Faszination und Aufgeschlossenheit gegenüber den Neuen Medien seitens der jungen Menschen lässt sich eben darauf zurückführen. Im Gegensatz zu den Erwachsenen kennen sie ein Leben ohne die Neuen Medien nicht bzw. haben dies höchstens aus Erzählungen, etc. gehört. Sie haben sich bislang noch keinen routinierten Umgang mit Medien angeeignet, den sie nun durch die Neuen Medien verändern müssen und können diesen so ohne Vorurteile begegnen (vgl. Vollbrecht 2014, S. 122). So kommt es auch dazu, dass diese Lebensphase am stärksten von allen von den Neuen Medien und Social Media geprägt ist (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2013, S. 176). 2018 besaßen 97 % der 12-19-Jährigen ein Smartphone, 71 % zusätzlich auch einen Computer/ Laptop. Tablets besaßen hingegen lediglich 26 % (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) 2018, S. 8).
Der mediale Wandel, oft auch als Digitalisierung oft bekannt, beeinflusst nicht nur die alltäglichen Handlungen, sondern auch die Bereiche, die für Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung relevant sind (vgl. Tully 2018, S. 25). Gerade für die Persönlichkeitsentwicklung von Heranwachsenden stellen die Neuen Medien ein wichtiges Feld dar. Neben genug Freiräumen zum Ausprobieren, ist aber auch eine gezielte und altersgerechte Begleitung durch Erwachsene - seien es Eltern, Lehrer/innen oder Sozialpädagog/innen - für bestmögliche Ergebnisse notwendig (vgl. Gutknecht 2014, S. 82). Doch wie sieht die „richtige“ Medienerziehung aus? (vgl. Tillmann et. Al. 2014, S. 9).
Zunehmend wird auch die Kinder- und Jugendhilfe mit den gravierenden Veränderungen unserer Gesellschaft durch die Neuen Medien konfrontiert (vgl. BMFSFJ 2013, S. 393). Lange Zeit wurden die Neuen Medien aus pädagogischer Sicht hauptsächlich als Unterhaltungsfaktor für die Freizeit und evtl. als Unterrichtsmedium gesehen, fanden ansonsten aber recht wenig Beachtung in pädagogischen Bereichen (vgl. Hüther/Schorb 2005, S. 273). Eine moderne Pädagogik sollte jedoch „aktuelle Entwicklungen in den Blick nehmen und in ihrer Bedeutung für die eigenen Konzepte und das Handeln einschätzen“ (Demmler 2014, S. 194). Neue Medien erweitern allerdings nicht nur unsere Handlungsmöglichkeiten, sie können u.U. auch zu Problemen führen. Da diese Probleme nicht selten in Kombination mit sozialen Problemen stehen, ist es wichtig, die Medien auch aus sozialpädagogischer Sicht näher zu betrachten (vgl. Helbig 2014, S. 43). Aufgabe sozialpädagogischen Handelns in und mit den Neuen Medien sollte die Entwicklung einer kritisch-reflexiven Sicht der Adressat/innen sein, die es ermöglicht, die durch Medien entstehenden Probleme im Alltag zu bemerken, zu beurteilen und sich darauf einstellen zu können (vgl. Steiner 2013, S. 34). Denn um sich in unserer mediatisierten Gesellschaft uneingeschränkt zurechtzufinden, ist es notwendig, neuste Veränderungen, in diesem Falle die Neuen Medien, reflexiv kritisch betrachten zu können und selbstbestimmt zu gebrauchen. Diese Kompetenz wird in der Medienpädagogik als Medienkompetenz bezeichnet (vgl. Tillmann/Helbig 2016, S. 318) und stellt das zentrale Ziel aller medienpädagogischer Bemühungen dar (vgl. Hoffmann 2010, S. 55). Auch die Soziale Arbeit sollte die Förderung von Medienkompetenz sowie Medienbildung als eines ihrer Ziele bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sehen (vgl. Steiner 2013, S.35). Es gilt, die Rahmenbedingungen des Aufwachsens im Sinne der Kinder und Jugendlichen und unter Beachtung der heutigen medialen Veränderungen zu verbessern und gegebenenfalls neu zu schaffen (vgl. Alfert 2015, S. 165).
Folgt man dem Leitgedanken, dass Soziale Arbeit vor allem für die Benachteiligten unserer Gesellschaft zuständig ist, sollte besonders die Frage nach dem Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Medien bzw. wie diese auszugleichen ist in die sozialpädagogischen Überlegungen einfließen (vgl. Helbig 2014, S. 43). Gerade in benachteiligten Lebensbedingungen sind Medienrisiken vermehrt zu beobachten, welche nicht selten auf eine fehlende Medienkompetenz zurückzuführen ist (vgl. Hoffmann 2010, S. 61 f.). Unter anderem durch die Tatsache, dass rund die Hälfte der Adressat/innen in Heimeinrichtungen aus Familien stammen, die von Transferleistungen leben (vgl. Destatis 2018b, S. 39), kann man Kinder und Jugendliche, welche in Heimeinrichtungen untergebracht sind, zu der Bevölkerungsgruppe, welche sich in benachteiligten Lebensbedingungen befinden, zählen. Zusätzlich zu den finanziellen Einbußen wurden sie in der Vergangenheit entweder unzureichend versorgt und/oder gefördert, mit den Problemen der Eltern belastet oder waren familiären Konflikten ausgesetzt. Einige der Kinder und Jugendlichen weisen Auffälligkeiten in der Entwicklung und/oder schulischen Leistungen oder haben seelische Probleme (vgl. ebd. S. 45).
Die Wahl, Neue Medien und Social Media im Handlungsfeld der Heimerziehung zu betrachten, fiel jedoch nicht aus diesem Grunde. Ende 2017 befanden sich in Deutschland 96 506 Kinder und Jugendliche in einer Heimeinrichtung. Schenkt man der Erziehungsberatung keine Beachtung, stellt die Heimerziehung mit dieser Zahl die größte Hilfe zur Erziehung dar (vgl. Destatis 2018b, S. 59). Nach der Vollzeitpflege, wo Kinder und Jugendliche i.d.R. ca. 59 Monate leben, ist die Heimerziehung zudem die Hilfeart mit der längsten Aufenthaltsdauer. Kinder und Jugendliche verweilen im Durchschnitt 25 Monate in den Heimeinrichtungen (vgl. ebd., S. 49). Während dieser Aufenthaltsdauer werden sie Tag und Nacht durch Fachkräfte betreut. Die Heimerziehung gehört somit zu den Erziehungshilfen mit den höchsten pädagogischen Einflüssen, was auch dem stationären Charakter zu schulden ist. Lediglich die Vollzeitpflege kann hierbei mithalten. Die Vollzeitpflege wurde für diese Arbeit nicht gewählt, da sie zu sehr einer regulären Familie ähnelt und die Kinder und Jugendlichen in Pflegefamilien deutlich jünger sind als in der Heimerziehung. Über 50 % der Heranwachsenden in Pflegefamilien sind jünger als 12 Jahre, in Heimeinrichtungen sind hingegen über 50 % zwischen 12 und 18 Jahren alt (vgl. Destatis 2018b, S. 51). Dies ist für diese Arbeit von Bedeutung, da mit steigendem Alter der Heranwachsenden der Besitz eigener Medien zunimmt. Nach Angaben der aktuellsten KIM Studie besitzen 53 % der Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren ein eigenes Smartphone (vgl. mpfs 2016, S. 8 f.). Dagegen besaßen im gleichen Jahr 95 % der Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren ein eigenes Smartphone (vgl. mpfs 2017, S. 8). Mit dem steigenden Gerätebesitz steigt auch die Relevanz der Thematisierung der Mediennutzung bei den Kindern und Jugendlichen.
Das Medienhandeln der Kinder und Jugendlichen ist in der Zeit, in der sie noch in der Herkunftsfamilie leben, u.a. von den Medieneinstellungen und -verhalten der Eltern geprägt (vgl. Hoffmann 2014, S. 24). Diese Muster des Medienumganges gilt es in der Heimerziehung aufzuarbeiten und gegebenenfalls zu ändern. „Da sie in ihrem derzeitigen und künftigem Leben in vielerlei Hinsicht mit einer mediatisierten Welt konfrontiert sind, geht es darum, sie jeweils altersangemessen für einen kritischen und selbstbestimmten Umgang mit den medialen Erfahrungen sowie für autonome Handlungsmöglichkeiten in diesem Kontext zu befähigen“ (BMFSFJ 2013, S. 393). Gerade die Mobilen Medien offerieren reichlich Möglichkeiten der medienpädagogischen Arbeit in der Heimerziehung (vgl. Demmler 2014, S. 125).
In dieser Arbeit sollen die Neuen Medien sowie Social Media im Handlungsfeld Heimerziehung betrachtet werden. Das Ziel ist es, zu klären, wieviel Medienpädagogik die Heimerziehung braucht. Um dies beantworten zu können müssen auch die Fragen, welche Relevanz diese Medien für die Kinder und Jugendlichen haben und wo sich Chancen und Risiken verbergen, geklärt werden. Es stellt sich die Frage, wieviel Medienpädagogik seitens der Fachkräfte erforderlich ist, um die Mediennutzung der Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu begleiten und mitunter auch zu beeinflussen. Daraus ergibt sich ferner die Frage, welchen Wissensstand die Fachkräfte der Heimerziehung in Hinblick auf Neue Medien und Social Media brauchen. Wo reicht ein Grundlagenwissen und wo sind vertiefende Kenntnisse notwendig?
Dass Fachkräfte der Heimerziehung, die Kinder und Jugendlichen im Umgang mit den Neuen Medien und Social Media begleiten bzw. gegebenenfalls auch intervenieren, nicht unwissend sein sollten, liegt auf der Hand. Sie benötigen Wissen über den Gegenstandsbereich der Neuen Medien und Social Media, aber auch ein Wissen über das Mediennutzungsverhalten der Kinder und Jugendlichen, über die Chancen, die Medien den Heranwachsenden bieten und natürlich die möglichen Risiken.
Zum besseren Verständnis der Ausführungen in dieser Arbeit wird es zu Beginn eine allgemeine Klärung der grundlegenden Begriffe geben Neue Medien und Social Media geben. Denn auch wenn Neue Medien und Social Media zwar einen Platz im allgemeinen Sprachgebrauch gefunden haben, gibt es immer noch offene Fragen. Um gerade Social Media etwas anschaulicher zu erklären, werden einige bekannte Anwendungen kurz vorgestellt. Darauffolgend wird das Handlungsfeld der Heimerziehung skizziert. Innerhalb dieses Kapitels wird auch auf die Fachkräfte der Heimerziehung eingegangen.
Bevor dann näher auf die Kinder und Jugendlichen eingegangen wird, soll auch der Begriff der Medienpädagogik und dessen Gegenstandsbereich geklärt werden. Ein wichtiger Aspekt der Medienpädagogik ist die Medienkompetenz, welche besonders auch in der Lebensphase der Kindheit und Jugend von Bedeutung ist. Um im Folgenden Kapitel darauf eingehen zu können, bedarf es zunächst einer Erläuterung des Begriffes.
Anknüpfend daran soll geklärt werden, welche Relevanz die Neuen Medien und Social Media tatsächlich in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen haben. Dazu wird auf Grundlage aktueller Studien zunächst die Ausstattung der jungen Menschen mit den Neuen Medien, sowie das Nutzungsverhalten und die Motive dargestellt. Weitergehend wird dann erörtert, welche Chancen, aber auch welche Risiken sich für Kinder und Jugendliche durch die Nutzung der Neuen Medien und Social Media ergeben. Da dieses Thema sehr umfangreich ist und in einer ausführlichen Weise den Umfang dieser Bachelorarbeit überschreiten würde, wird sich hier nur auf das Nötigste beschränkt.
Schließlich folgt dann die Begründung weshalb die Heimerziehung die aktuellen Veränderungen hinsichtlich der Neuen Medien, inklusive ihrer Chancen und Risiken in ihre Arbeit einbeziehen sollte bzw. gegebenenfalls sogar muss. Zudem wird erörtert, welches Wissen die Fachkräfte für medienpädagogische Arbeit in den Heimeinrichtungen benötigen. In dem Unterkapitel über mögliche Inhalte und Formen medienpädagogischer Angebote in der Heimerziehung wurde eine Unterteilung in alltags- und projektorientierte Medienarbeit vorgenommen. Das abschließende Fazit dient der retrospektiven Betrachtung der Fragestellung und lässt Platz für eine Diskussion in Bezug auf die Notwendigkeit einer verbesserten Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte im Bereich der Medienpädagogik.
2 Neue Medien und Social Media
Der Hessische Rundfunk und das ZDF teilte im Oktober 2018 in einer Pressemitteilung bezüglich seiner jährlichen Onlinestudie mit, dass die Zahl der Internetnutzer/innen weiter gestiegen ist. Im Vergleich zum Vorjahr sind es eine Million mehr Menschen, die das Internet nutzen, sodass nun insgesamt 63,3 Millionen Deutsche zu den Internetnutzer/innen zählen. Dies entspricht 90,3 % der Bevölkerung ab 14 Jahren. Täglich wird das Internet in Deutschland von 77 % der Bevölkerung (ab 14 Jahren) genutzt. Mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 196 min (= über 3 Stunden) nimmt diese Beschäftigung einen nicht zu übersehenden Platz in einem Tag eines Deutschen ein.
Das Internet gehört zu den sogenannten Neuen Medien bzw. stellt teilweise sogar die Grundlage für sie dar. Ebenso basieren Social Media Anwendungen auf dem Internet. Da diese beiden Begriffe für den weiteren Verlauf der Arbeit sehr wichtig sind und sie häufig verwendet werden, soll im Folgenden erläutert werden, welche Medien überhaupt zu den Neuen Medien gehören und was sie kennzeichnet, sowie was unter Social Media gefasst wird und welche bekannten Anwendungen diesem Begriff zuzuordnen sind.
2.1 Neue Medien im Überblick
Medien gibt es schon lange. Schon seit derer Entstehung versuchten die Menschen sie weiterzuentwickeln und zu verbessern. Doch noch nie erfolgte ein technischer Fortschritt so schnell und war von so großer Bedeutung, wie es der Fall bei den Neuen Medien ist (vgl. Hüther 2005, S. 345). Die Neuen Medien haben mittlerweile alle Lebensbereiche eingenommen und sind fester Bestandteil des Privat- wie auch des Berufslebens (vgl. Alfert 2015, S. 17). Eine einheitliche Definition, um was es sich bei den Neuen Medien handelt, gibt es nicht. Ursprünglich stammt der Begriff aus den 1970er Jahren und diente als Oberbegriff für alle Verfahren und technischen Mitteln, die auf neuartigen Techniken basieren und in solcher Form zuvor noch nicht existierten. Es ist die „zweite Generation neuer Medien im Verlauf der jüngeren Mediengeschichte“ (Hüther 2005, S. 347). Die erste Generation der Neuen Medien war vor allem durch eine Erweiterung um neue Geräte, wie z.B. das Radio oder Videorecorder, gekennzeichnet, während die aktuelle Generation Neuer Medien vor allem durch neue Formen der Bedienungsweisen und Oberflächenstrukturen, neuen benutzerfreundlichen Funktionen, bessere Vernetzung und neuen Kommunikationsformen (Social Media) hervorstechen (vgl. Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) 2014, S. 13) Die Verbreitung der aktuellen Neuen Medien fing in den 1990er Jahren an und nahm ein immenses Tempo an (vgl. Alfert 2015, S. 17). Schon in den 1990er Jahren, als das Internet an Popularität gewann, war klar, dass das Internet bald ebenso beliebt werden würde wie die klassischen Medien (vgl. Schmidt 2018, S. 10). Während 2003 rund 46 % der deutschen Haushalte über einen Internetanschluss verfügten, waren es 10 Jahre später bereits rund 80 %. Mittlerweile können aufgrund des überall verfügbaren Internets die wirklichen Internetanschlüsse gar nicht mehr erfasst werden (vgl. Destatis 2019b). In der Alltagssprache werden oftmals Medien, die auf dem Internet basieren, als Neue Medien bezeichnet (vgl. Alfert 2018 S. 531). Besser ist es indessen zu sagen, dass Neue Medien alle die Medien sind, die auf digitalen Multimediatechnologien basieren (vgl. Hüther 2005, S. 346). Klassische Medien wie die Zeitung, das Radio oder der Fernseher basieren dagegen ursprünglicher Weise auf analogen Systemen. Mittlerweile findet man aber auch in ihnen digitale Anteile. So gibt es z.B. heutzutage auch Radios, welches über das Internet abgespielt werden oder man kann die Zeitung online abonnieren und dann auf dem Tablet oder Laptop lesen (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 19).
„Das Internet ist ein weltweites, offenes Netz, d. h. eine Verbindung zahlreicher Computer bzw. lokaler Netze. [Es] stellt somit ein weltweites, offenes computergestütztes Informationssystem […] dar, dass die Erfassung, Speicherung, Übertragung, Transformation und Bereitstellung von Information unterstützt“ (Gabriel/ Röhrs 2017, S. 13). Wichtige Funktionen wie das World Wide Web (WWW), das E-Mail-System oder verschiedene Suchmaschinen machen das derzeitige Internet für die Nutzer/innen attraktiv, da man für diese Funktionen kein großes Wissen über Computer braucht und das Internet somit für jedermann nutzbar ist. Das WWW, auch Web genannt, ist ein über das Internet abrufbare Hypertextsystem, welches digitale Publikationen (z.B. Homepages) ermöglicht (vgl. Ebersbach et. al. S. 19 f.) Das E-Mail-System ist im Grunde genommen einfach eine elektronische Post, jedoch schneller als eine normale Post und billiger als ein Ferngespräch. Gerade in der Zeit der Erfindung (1965) war dies noch von großer Bedeutung (vgl. ebd., S. 15). Suchmaschinen erleichtern den Nutzer/innen bestimmte Internetadressen schneller zu finden. Die bekannteste Suchmaschine ist Google. Sie wird in Deutschland für ca. 90 %, weltweilt für ca. 2/3 aller Suchanfragen genutzt. In der deutschen Sprache hat sich zudem das Wort „googlen“ für eine Suche im Internet festgesetzt (vgl. Gabriel/Röhrs, 2017, S. 37).
Auch wenn es das Internet schon recht lange gibt, richtig bekannt und beliebt wurde es jedoch erst Mitte der 1990er bzw. Anfang der 2000er Jahre, als es durch diverse Webanwendungen, wie z.B. Wikis oder Weblogs (werden im folgenden Kapitel näher erläutert) multimedial wurde (vgl. Ebersbach et. al. 2016, S. 21). Mitte der 2000er Jahre fiel im Rahmen einer Konferenz zum Thema Internetentwicklung durch Tim O`Reilly der Begriff Web 2.0. Ursprünglich war dieser Begriff nur zu Marketingzwecken gedacht, verbreitete sich allerdings so schnell, dass er nicht mehr zu ersetzen war. Mit dem Begriff Web 2.0 soll der Wandel des Internets verdeutlicht werden. Eine genaue Definition für den Begriff gibt es nicht (vgl. Alfert 2015, S. 28 f.). Das „2.0“ stammt ursprünglich aus der Softwareentwicklung und steht für eine neuere Version (vgl. Schmidt 2018, S. 16). Jedoch stellt das Web 2.0 keine technische Weiterentwicklung des WWWs dar, sondern vielmehr eine neue Form der Zusammensetzung bereits vorhandener Konzepte zur Nutzung des Webs, wobei die Grenzen zwischen den beiden Webs auch verschmelzen (vgl. Alfert 2015, S. 29). Zudem gab es keinen Zeitpunkt, wo man hätte sagen können, dass das Web „1.0“ nun vom Web 2.0 abgelöst wurde. Es war ein fließender Übergang und verbreitete sich auch innerhalb der unterschiedliche Nutzergruppen in einem anderen Tempo (vgl. Schmidt 2018, S. 16). Trotzdem lassen sich einige Aspekte benennen, anhand derer eine Unterscheidung von „altem“ und „neuem“ Web möglich ist. Das einfache Web (1.0) diente seiner Zeit vor allem der Informationssuche und gab den Menschen Raum, sich z.B. mit Hilfe von Homepages virtuell zu präsentieren oder Einkäufe online zu erledigen. Die Beteiligung der Nutzer/innen war gering, sie waren lediglich Konsument des Internets und die Websites waren hauptsächlich statischer Natur. Das Web 2.0 hingegen ist als eine Mitmachplattform anzusehen (vgl. Alfert 2015, S. 33). Es gibt Nutzer/innen viele Möglichkeiten sich zu beteiligen und das Web mitzugestalten. Wo der Mensch beim einfachen Web i.d.R. nur Konsument war und nur ausgewählte Leute Produzent waren, wird der/die Nutzer/in beim Web 2.0 zum „Prosumer“, also Konsument und Produzent in einem (vgl. Gabriel/Röhr 2017, S. 49). Es ermöglicht den Nutzer/innen zudem durch direkte Dialogfunktionen eine aktivere digitale Kommunikation als bislang (vgl. ebd. S. 13).
Gelegentlich fällt sogar der Begriff Web 3.0 oder Smart Web. Denn das Internet entwickelt sich allmählich zu einem „Internet der Dinge“. Objekte auf der ganzen Welt können miteinander über das Internet vernetzt werden. Das ermöglicht eine Kommunikation zwischen den Objekten und macht sie intelligent (smart things). Der Mensch kann diese Vernetzung und Kommunikation aus der Ferne kontrollieren und beeinflussen (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 13 f.).
Wie bereits erwähnt, nutzt mittlerweile so gut wie jeder Deutsche das Internet. Rund 66,5 Millionen Menschen ab 10 Jahren, das entspricht 90 %, nutzen das Internet. Bevorzugt für den Internetzugang wird das Smartphone, gefolgt von Laptop, Desktop-PC, Tablet und als letzte, sämtliche andere Endgeräte wie E-Book oder Smart Watch (vgl. Destatis 2018a).
Die immer leistungsfähigeren Breitbandverbindungen, Flatrate-Tarife und Wireless LAN (WLAN) sind Gründe dafür, dass man mittlerweile auch über mobile Geräte ständig mit dem Internet und somit auch mit dem Web in Verbindung steht (vgl. Ebersbach et. al. 2016, S. 22). Zu den mobilen Medien gehören der Laptop, das Tablet und das Smartphone. Auch wenn das Smartphone häufig als Handy bezeichnet wird und als Nachfolger des Mobiltelefons gesehen wird, ist es trotzdem genauso wie der Laptop und das Tablet ein mobiler Computer, nur in komprimierter Form (vgl. Bächle/Thimm 2014, S. 9). Das Smartphone (engl. intelligentes Telefon) hat das Mobiltelefon längst abgelöst. Auch wenn es wohl ein direkter Nachfolger des Mobiltelefons ist, überschreitet das Smartphone mit seinen zahlreichen Funktionen die Grenzen des Mobiltelefons um Längen (vgl. Krotz 2014, S. 19 ff.) 2018 besaßen lediglich 15,9 Millionen Deutsche ein Mobiltelefon. Ein Smartphone besaßen hingegen 58,5 Millionen Menschen (vgl. Destatis 2019a). Das Smartphone hat das soziale Leben und die Kommunikation längst weitreichend beeinflusst. Es ermöglicht neue Kommunikationswege, sorgt aber auch für neue Zwänge, wie z.B. immer und überall erreichbar zu sein. Nutzer/innen haben ständigen Zugriff auf jegliche Informationen und sind ununterbrochen mit ihrem sozialen Netzwerk verbunden (vgl. Bächle /Timm 2014, S. 10). Die Grenzen zwischen Online und Offline verschwimmen zunehmend. Früher war Online-Sein eine bewusste Ausführung, man war Online, wenn man den Rechner hochgefahren, eine Internet-Verbindung hergestellt und den Browser geöffnet hatte. Heute ist es schier unmöglich zu definieren, wann man Online ist, denn das Smartphone ist 24/7 mit dem Internet verbunden und verbindet sich mit anderen Geräten oder Netzwerken, ohne dass der/die Nutzer/in irgendetwas tut oder es gar merkt. Lediglich, wenn das Gerät ausgeschaltet ist, keine Netzverbindung besteht oder sowohl WLAN als auch die Funktion Mobile Daten ausgeschaltet sind, kann man sagen, man ist offline (vgl. DIVSI 2014, S. 14). Mit dem Smartphone kann man jedoch nicht nur das Internet und seine vielfältigen Anwendungen nutzen. Das Smartphone ist multifunktional. Es lässt sich u.a. als Notizblock, als Musikplayer, als Aufnahmegerät, als Kamera, als Bild- und Filmabspielgerät, als Datenspeicher und als Übertrager von Nachrichten nutzen. Es ist der persönliche Begleiter im Alltag und wird so getragen, dass es jederzeit griffbereit ist. Anders als das alte Mobiltelefon wird es i.d.R. nicht getauscht und verliehen. Mehr und mehr wird das Smartphone zum Teil des Menschen (vgl. Krotz 2014, S. 24 f). Es wird als „Nabelschnur zur Welt, als Lebensader und Tröster in allen Lebenslagen“ (Bächle/Thimm 2014, S. 9) gesehen.
Zusammenfassend lassen sich Neue Medien vor allem durch Digitalität, Vernetzung, Globalität, Mobilität, Konvergenz und Interaktivität definieren (vgl. Hüther, J. 2005, S. 346). Neue Medien basieren auf digitalen Technologien und Datenverarbeitung sowie -übertragung. Sie ermöglichen den Nutzer/innen sich mit Anderen zu vernetzten, gleichzeitig sind die Neuen Medien auch untereinander vernetzt. Neue Medien ermöglichen durch ihre Interaktivität z.B. neue Formen der Kommunikation. Außerdem werden Nutzer/innen durch die Neuen Medien aktiv an der Gestaltung von Medieninhalten beteiligt. Neue Medien fördern zudem die Mobilität unserer Gesellschaft, denn die Geräte sind i.d.R. überall und jederzeit nutzbar und die Vernetzung und Datenübertragung ist nicht ortgebunden, sie ist sogar global möglich. Viele der Neuen Medien verfügen über dieselben Funktionen und unterscheiden sich nur geringfügig (= Konvergenz). So ist das Internet z.B. heutzutage über fast alle Medien zugänglich.
Durch die großflächige Verbreitung und hohe Nutzungsdauer, aber auch durch die Ausführungen einzelner Autoren ist zu erkennen, dass das Smartphone ist unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert aufweist. Durch die dauerhafte Verbindung des Smartphones mit dem Internet, wird der Mensch zeitlich und örtlich flexibler, egal ob in der Kommunikation in der Informationsbeschaffung, in der Erledigung von Dingen oder vielem weiteren. Vieles davon wäre jedoch ohne das Internet nicht möglich, sodass auch dies in unserer Gesellschaft von ebenso so großer Bedeutung ist, wie das Smartphone. Letztendlich spielt bei der Nutzung des Smartphones in Verbindung mit dem Internet auch Social Media eine große Rolle. Auf diesen Teil des Internets wird nun näher eingegangen.
2.2 Social Media im Überblick
Seit Ende der 1990er Jahre ist ein wachsendes Interesse an Social Media zu beobachten (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 13). Social Media ermöglicht es den Nutzer/innen miteinander in Austausch zu kommen, zu kommunizieren, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, persönlich frei ausgewählte Inhalte aller Art zu veröffentlichen und zu bearbeiten (vgl. Schmidt 2018, S. 11). Die Nutzung von Social Media geschieht i.d.R. über die mobilen Medien und über sogenannte Applikation (Apps). Einige der Social Media Anwendungen sind heutzutage bereits beim erstmaligen Benutzen des Geräts vorinstalliert, andere müssen hingegen individuell nach Bedarf über den App-Store heruntergeladen und installiert werden (vgl. Gabriel/ Röhrs 2017, S. 17 f.). Oft wird Social Media mit dem Begriff Social Network gleichgesetzt, sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch in einigen Forschungs- und Wissensbereichen. Dabei steht Social Network nur für eine Gattung von Social Media, wenn wohl auch für eine der bekanntesten (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 12). Social Network ist ein „Portal im Internet, das Kontakte zwischen Menschen vermittelt und die Pflege von persönlichen Beziehungen über ein entsprechendes Netzwerk ermöglicht“ (Dudenredaktion o.J. b). Social Media hingegen ist die Gesamtheit aller digitalen Technologien, über die kommuniziert wird oder Inhalte ausgetauscht werden, Social Network eingeschlossen (vgl. Dudenredaktion o.J. a).
Unabhängig von der Nutzung digitaler Technologien, ist jeder Mensch in ein soziales Netzwerk eingebunden. Sowohl im Privat- wie auch Arbeitsbereichen wird innerhalb dessen kommuniziert und es werden Informationen ausgetauscht, um das Privat- und Arbeitsleben individuell zu gestalten (Gabriel/Röhrs 2017, S. 1). Ein soziales Netzwerk besteht immer aus mehreren einzelnen Menschen oder aus verschiedenen Gruppen. Sie sind durch soziale Beziehungen, welche gegebenenfalls auch auf Gemeinsamkeiten basieren können, verbunden. Kommuniziert wird in diesem Netzwerk über die verschiedensten Wege, u.a. auch über digitale Medien (vgl. ebd., S. 3). Spricht man heutzutage von einem sozialen Netzwerk, ist meist ein digitales gemeint, also die Social Media Gattung Social Network (vgl. ebd., S. 11). Seit einigen Jahren ist Facebook die populärste und auch meist verwendetet Plattform. Allein in Deutschland hat Facebook rund 30 Millionen aktive Nutzer. Die restlichen Netzwerke hingegen sind eher weniger weit verbreitet. Mitte/Ende der 2000er Jahre war dies jedoch noch anders. Zu der Zeit konkurrierten noch die Netzwerke MySpace, die VZ-Netzwerke (SchülerVZ, StudiVZ und MeinVZ) und weitere mit Facebook. „Sie alle mussten jedoch ihre Position um das Jahr 2010 abgeben und sind mittlerweile größtenteils vom Markt verschwunden“ (Schmidt 2018, S. 12). Für viele Nutzer/innen/Personen ist Facebook synonym zu Social Network (vgl. Alfert 2015, S. 17). Facebook ist vor allem durch den Like Button bekannt. Durch ihn können Nutzer/innen mit einem einzigen Klick der Community zeigen, was ihnen gefällt. Ebenso können sie dadurch sehen, was dem Rest der Community so gefällt (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 36). Soziale Netzwerke sind dadurch gekennzeichnet, dass die Nutzer/innen sich Profile anlegen, um so Teil der Community zu werden. Das „individuelle[.] Nutzerprofil und seine Verknüpfung mit anderen Profilen“ (Schmidt 2018, S 13) steht im Mittelpunkt der Nutzung von Social Network Anwendungen. Was im Profil von sich Preis gegeben wird, ist jedem selbst überlassen. Mindestangabe sind i.d.R. lediglich Name, Geschlecht und Alter. Optional können dann noch Informationen über Wohnort, Herkunft, Beziehungsstatus, Schulausbildung, Beruf, Hobbys u.v.m. angegeben werden. Nach erfolgreicher Anmeldung, also Anlegung eines Profils können die Nutzer/innen Kontakte hinzufügen und sich so ihr individuelles digitales soziales Netzwerk aufbauen. Die Verbindungen beruhen bei den meisten Plattformen auf Wechselseitigkeit, d.h. fügt jemand eine Person als Kontakt hinzu, muss dieser die Verbindung zunächst bestätigen. Zudem besitzen Soziale Netzwerke häufig über eine Menge Kommunikationstools und anderen Funktionalitäten, womit die Nutzer/innen in Kontakt kommen und sich austauschen können (vgl. Alfert 2015, S. 42 f.).
Ein Teil von Facebook ist der Facebook Messenger. Dieser gehört hingegen der Gattung Instant Messaging an und stellt eine Kombination von sozialen Netzwerken und dem SMS-System dar (vgl. Schmidt 2018, S. 14). Wie der Begriff bereits andeutet, handelt es sich hierbei um einen Nachrichtensofortversand und um eine Weiterentwicklung der SMS und E-Mail. Im Gegensatz zu der herkömmlichen SMS oder E-Mail kann der Empfänger schon bevor die Nachricht überhaupt vom Sender abgeschickt wurde erkennen, dass eine Nachricht verfasst wird, meist durch den Hinweis „schreibt…“, o.Ä. (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 31). Der Sprachstil bei Instant Messaging ist sehr eng an der mündlichen Kommunikation. Die Nutzer/innen reagieren i.d.R. sehr schnell auf die Nachrichten und sind teilweise in einem ständigen Austausch. Die Kommunikation basiert meist auf der informellen Sprache. Außerdem werden oft sogenannte Emoticons oder Emojis verwendet (vgl. Schmidt 2018, S. 15). „Ein Emoticon dient dazu, in der schriftlichen Kommunikation Stimmungs- und Gefühlszustände auszudrücken“ (Gabriel/Röhr 2017, S. 32). Die meist genutzten Emoticons sind die bekannten Smileys. Ein Emoji hingegen sind Ideogramme, d.h. die Emojis stehen für bestimmte Wörter, Begriffe oder Handlungen (vgl. ebd., S. 31). So gibt es z.B. Tier- oder Essens-Emojis, aber auch welche, die eine Sportart darstellen sollen. Außer Texten und Emoticons bzw. Emojis können über Instant Messaging Plattformen auch Fotos, Videos, Musik und/oder Sprachnotizen verschickt werden. Die wohl bekannteste Instant Messaging App ist WhatsApp. 2015 erreichte die App eine Benutzerzahl von 700 Millionen weltweit und hat mittlerweile die Milliardengrenze überschritten (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 31).
Ähnlich bekannt wie Facebook und WhatsApp ist die Social Media Anwendung Twitter. Diese gehört zu den sogenannten Weblogs (kurz: Blogs). Der Begriff stellt eine Zusammenfassung aus den Begriffen „Web“ und „Log(buch)“ (engl. Tagebuch) dar und ist zu vergleichen mit einem Online-Tagebuch. Blogs dienen der Dokumentation der Erlebnisse und Web-Fundstücke des Autors, auch Blogger genannt. Blogs enthalten einzelne Einträge, welche chronologisch sortiert sind, jedoch beginnend mit dem aktuellsten Beitrag. Der Inhalt ist dabei nicht vorgegeben. Blogs können persönliche Beiträge enthalten, als auch welche mit literarischen, kolumneartigen, politischen oder fachlich fundierten Inhalten. Bei manchen Blog Anwendungen, wie z.B. bei Twitter, ist die Länge der einzelnen Beiträge begrenzt. Diese nennt man dann Microblogs. Neben reinem Text ist es den Bloggern auch möglich Links, Fotos oder Videos in die Beiträge einzufügen. Diese zählen nicht zu den Zeichen, sind also ein Zusatz zu dem begrenzten Inhalt. Um die Nutzer/innen einander über Aktualisierungen auf dem Laufenden zu halten, erstellte Twitter die Funktion der Follower. Möchten Nutzer/innen alle neuen Beiträge (Tweets) eines Bloggers direkt erhalten, so können sie auf dem Profil des jeweiligen Bloggers dies mit einem Klick auf eine Schaltfläche beantragen. Die Follower erhalten dann immer alle Tweets der jeweiligen Blogger in ihrem Neuigkeiten-Kanal (vgl. Schmidt 2018, S. 13 f.). Blogs werden i.d.R. von Einzelpersonen geführt, eine Gemeinschaft entsteht jedoch trotzdem. Zum einen kann dies durch die letztgenannte Funktion geschehen, jedoch gibt es noch weitere Möglichkeit sich innerhalb der Plattform zu vernetzen (vgl. Alfert 2015, S. 37). Eine Verlinkung der Blogs erfolgt bei Twitter (und mittlerweile auch anderen Apps) durch ein „@“ und der Name des zu verlinkenden Blogs. Klicken Nutzer darauf, werden sie direkt zu dem jeweiligen Blog weitergeleitet (vgl. Schmidt 2018, S. 14). Twitter hat zudem als erste Social-Media Anwendung den „#“ („Hashtag“) eingeführt. Dieser dient dazu, Beiträge zur klassifizieren. Er ist mittlerweile in fast jeder anderen Social Media Anwendung zu finden und hat sich sogar im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt (vgl. Gabriel/ Röhrs 2017, S. 42). Der „Hashtag“ diente ursprünglich vor allem der Strukturierung des Informationsflusses der App. Der auf den „#“ folgenden Begriff wird automatisch einer Gruppe hinzugefügt, die von anderen Nutzern gesucht werden kann (vgl. Schmidt 2018, S. 14). Während noch vor ein paar Jahren die dargestellten Funktionen („Follower“, „#“ und „@“) typisch für Twitter waren, sind sie nun bei fast allen anderen Social Media Anwendungen ebenso zu finden, teilweise jedoch mit einer anderen Bezeichnung.
Zum Austausch von Texten, Videos oder Musik ist auch die Gattung der Multimediaplattformen geeignet. Diese ist sehr stark an den Inhalten orientiert und dient eher zweitrangig der Kommunikation. Bekannte Anwendungen sind hier Instagram, Snapchat und YouTube (vgl. Schmidt 2018, S. 13). „Instagram beruht auf dem Motto „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ und wird von inzwischen Millionen Nutzern zur Präsentation von häufig qualitativ hochwertigen Fotos […] genutzt“ (Gabriel/Röhrs 2017, S. 40). Diese App stellt eine Mischung aus Microblog und audiovisueller Plattform dar (vgl. ebd. S. 40). Instagram wird vor allem benutzt, um am Alltag, welcher durch Fotos oder Videos dokumentiert wird teilzuhaben. Vorrangig wird Menschen aus dem realen Umfeld gefolgt, Personen des öffentlichen Lebens sind weniger interessant. Regelmäßig aktiv sind nur wenige Nutzer/innen, einige posten lediglich ab und zu ein Foto oder Video und manche posten sogar nie etwas. Auch die noch neue Story-Funktion, welche an Snapchat angelehnt ist, wird noch nicht weitreichend genutzt (vgl. mpfs 2018, S. 40). Die App Snapchat ist vor allem bei jüngeren Nutzer/innen beliebt. Die App dient ebenso dem Austausch von Bildern und Videos. Die Besonderheit dabei ist jedoch, dass jeder Empfänger den Inhalt i.d.R. nur einmal, maximal zweimal sehen kann und dies auch nur für wenige Sekunden. Macht der/die Empfänger/in einen Screenshot des Snaps oder Chats, bekommt der Sender darüber eine Benachrichtigung. Anders als viele andere Social Media Anwendungen ist Snapchat ausschließlich fürs Smartphone geeignet (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 34). Ähnlich wie bei Instagram spielt hier die persönliche Bindung zu den anderen Nutzer/innen eine Rolle. Stars spielen hier eigentlich gar keine Rolle, die App hat einen sehr privaten Charakter. Jedoch verschicken auch hier nur wenige regelmäßig selbst Snaps, auch wenn dies im Vergleich zum Vorjahr zugenommen hat (vgl. mpfs 2018, S. 41). YouTube hingegen ist ausschließlich auf Videos ausgerichtet. Die Anwendung ermöglicht den Nutzer/innen eigene Videos zu veröffentlichen (vgl. Gabriel/Röhrs 2017, S. 39).
Eine weitere Gattung sind die sogenannten Wikis, welche durch die Anwendung Wikipedia bekannt wurde. Wikipedia ist eine Online-Enzyklopädie. Jedoch werden die Artikel von den Webnutzer/innen gemeinsam erstellt und können stetig verändert werden (vgl. Schmidt 2018, S. 15). Nach Google ist Wikipedia der zweitbeliebteste Ort für Recherchen (vgl. Ebersbach et. al. 2016, S. 22). Wikis werden aber auch in anderen Kontexten als der des Wissensmanagement eingesetzt (vgl. Schmidt 2018, S. 15). Im Grunde sind es lediglich „Hypertext-Systeme für Websites, die online erstellt, verteilt, gelesen und auch verändert werden können“ (Gabriel/Röhr 2017, S. 21). Wikis fördern die kollaborative Zusammenarbeit aller Webnutzer/innen. I.d.R. haben alle Nutzer/innen die gleichen Bearbeitungsrechte, gegebenenfalls haben ausgewählte Personen das Recht, Beiträge freizugeben (oder eben nicht) (z.B. bei Wikipedia). Das erste Wiki gab es bereits 1995 (vgl. Alfert 2015, S. 36) und ist somit die älteste Social Media Anwendung bzw. gehörte ebenfalls schon zu den Anwendungen des klassischen Web.
Es lässt sich zusammenfassen, dass Social Media ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Anwendungen des Web 2.0 ist. Diese werden i.d.R. in unterschiedliche Gattungen geteilt. So spricht man von Social Networks, Instant-Messaging, (Micro)Blogs, Wikis und Multimediaplattformen. Viele dieser Anwendungen sind als App wiederzufinden, welche wiederum zum Großteil über die mobilen Medien, vor allem dem Smartphone genutzt werden. Wichtiger Bestandteil von Social Media sind die Nutzer/innen selbst. Nur durch die zahlreiche Nutzung konnte Social Media sich in unserer Gesellschaft so etablieren und bleiben die Anwendungen erhalten.
Dennoch ist anzumerken, dass der Begriff Social Media ähnlich wie der Begriff Web 2.0 (s. Kapitel 1.1) kritisch zu betrachten ist. Es gibt zwar keine Non Social Media, dennoch werden Social Media Anwendungen eben auch nicht sozial verwendet, wie z.B. bei Cybermobbing oder beim Datenmissbrauch. Diese Themen werden im Laufe der Arbeit noch detaillierter betrachtet. Da sich der Begriff Social Media jedoch in der allgemeinen wie auch in der wissenschaftlichen Sprache eingebürgert hat, wird dieser Begriff in der Fachliteratur, wie auch im Alltag weitergeführt (vgl. Schmidt 2018, S. 17). Dem wird sich in dieser Arbeit angeschlossen.
3 Heimerziehung
Gegenwärtig nimmt die Kinder- und Jugendhilfe indirekt oder auch direkt Einfluss auf das Aufwachsen der meisten Kinder und Jugendlichen in Deutschland. Die Kinder- und Jugendhilfe ist sehr breit gefächert und begegnet Heranwachsenden in allen Altersgruppen. So spiegelt sich die Kinder- und Jugendhilfe in Angeboten in der Kita oder in Frühen Hilfen, in der Schule oder Jugendverbänden, in Beratungsangeboten oder Elternbildungsmaßnahmen wieder (vgl. Albus/Ziegler 2013, S. 74).
Einer der zentralsten Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe stellen die Hilfen zur Erziehung dar. Diese sozialpädagogischen Angebote unterstützten Kinder, Jugendliche und Familie bei den verschiedensten Problemen und Sozialisationsanforderungen. Nach der Kindertagesbetreuung sind die Hilfen zur Erziehung das größte Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe. Hilfen zur Erziehung sind jedoch nicht auf spezifische Hilfsangebote festgelegt, sie umfassen ein sehr breites Spektrum an unterschiedlichen Leistungen, um die Heranwachsenden und ihre Familie bestmöglich unterstützen zu können. Die Hilfen sind zu unterteilen in ambulant, teilstationär und stationär. Letzterem gehört u.a. die Heimerziehung an (vgl. Richter 2018, S. 82 f.).
Wenn von Heimerziehung gesprochen wird, fällt oft der Begriff der Fremdunterbringung. Nach Rätz et. al. (2014, S. 168) „spricht man von einer „Fremdunterbringung“, wenn Kinder und Jugendliche kurzfristig oder langfristig außerhalb der eigenen Familie wohnen, versorgt und dort erzogen werden“. Eine Fremdunterbringung kann somit sowohl Heimerziehung als auch Vollzeitpflege oder sonstige Betreuungsformen bedeuten. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Oft wird auch hierunter Heimerziehung verstanden, korrekterweise beinhaltet der Begriff jedoch ebenso die Vollzeitpflege. Neben der Heimerziehung und Vollzeitpflege existieren im stationären Bereich noch sogenannte Clearingstellen, Notschlafstellen, kurzfristige Krisenhilfen oder Inobhutnahmestellen (vgl. ebd. S. 169). Diese werden in der folgenden Arbeit jedoch außer Betracht gelassen und sind bei der Verwendung des Begriffes Fremdunterbringung oder stationäre Hilfe zur Erziehung nicht gemeint. 2017 lebten rund 96 500 Kinder und Jugendliche - davon 72 100 minderjährig - in einem Heim oder einer sonstigen betreuten Wohnform (vgl. Destatis 2018b, S. 17). Fünf Jahre zuvor (2012) waren es lediglich rund 66 700 Kinder und Jugendliche (vgl. ebd. S. 59).
3.1 Rahmenbedingungen, Inhalte und Ziele
Noch immer wissen nur die wenigsten deutschen Bürger/innen (Fachkräfte aus diesem Bereich und betroffenen Familien ausgeschlossen), was man unter Heimerziehung versteht. Die meisten denken bei Heimerziehung direkt an sehr schwierige Kinder, deren letzte Chance diese Heimerziehung ist, an eine standardisierte Erziehung ohne Platz für Individualität und eine unfreiwillige Unterbringung. Wird in einer (ruhigen) Wohngegend eine neue Wohngruppe untergebracht, sind die Bewohner/innen der umliegenden Wohnhäuser oft skeptisch und nicht gerade darüber erfreut. Sie denken, dass die Kinder Probleme bereiten werden und die Nachbarschaft aufmischen werden. Beachtlich hingegen ist, dass die meisten bei dem bloßen Begriff „Heim“ jedoch an etwas Positives denken. Das Heim ist der Ort, wo sie sich zu Hause fühlen, Menschen um sich haben, die sie lieben und sich rundum wohlfühlen, in ihrem kleinen oder großen, eigenen oder gemieteten Heim (vgl. Heidemann/Greving 2017, S. 34). „Heimerziehung wurde und wird von Außenstehenden häufig als Schicksalsschlag angesehen, als eine fremdbestimmte Maßnahme, die über Betroffene hineinbreche“ (Günder 2015 S. 65). Das ist sie jedoch ganz und gar nicht. Meist ist eine Heimunterbringung ein langer geplanter, abgesprochener Prozess (vgl. ebd. S. 65). Rechtliche Grundlage der Heimerziehung ist der § 34 SGB VIII. Heimerziehung ist eine der Hilfen zur Erziehung nach § 27 SGB VIII und wird demnach dann eingeleitet, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Sie wird ebenso wie alle anderen Erziehungshilfen dann eingeleitet, wenn sie notwendig ist und nicht wie oft gedacht wird, erst als DIE letzte Maßnahme oder nur bei besonders schwierigen Fällen (vgl. Heidemann/Greving 2017, S. 38).
Gemäß § 34 S. 1 SGB VIII ist Heimerziehung eine Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in einer sonstigen betreuten Wohnform. Sie soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Heimerziehung ist dementsprechend mit einer befristeten, unbekannt langen oder dauerhaften Trennung von der Familie verbunden, sodass diese Hilfe, ähnlich der Vollzeitpflege, eine familienersetzende Form der Erziehungshilfe darstellt (vgl. Fieseler 2017, S. 363).
Im Allgemeinen wird im Rahmen der Heimunterbringung zuerst versucht, die familiären Probleme mit Hilfe einer ambulanten Erziehungshilfe zu verbessern. Stellt sich dabei jedoch kein Erfolg ein, so wird entschieden, dass eine Erziehung in der Herkunftsfamilie derzeit nicht möglich ist und es kommt zur Unterbringung in einer Heimeinrichtung oder in einer Pflegefamilie. Eine Heimerziehung kann in manchen Fällen auch im Anschluss an ein gescheitertes Pflegeverhältnisse folgen oder die betroffenen Heranwachsenden, gerade Ältere, haben beim Jugendamt selbst darum gebeten, in einem Heim oder einer Wohngruppe untergebracht zu werden (vgl. Günder 2015 S. 40). Sind die Heranwachsenden schon älter als 18 Jahre, zählen nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII also zu den jungen Volljährigen, ist die Rechtsgrundlage für die Heimerziehung nicht mehr §§ 27 i.V.m. 34 SGB VIII, sondern §§ 41 i.V.m. 34 SGB VIII
Heimerziehung ist eine sehr kostenintensive Hilfe zur Erziehung. Pro Tag kostet ein Platz in der Heimerziehung je nach Träger und Einrichtungsart um die 150-170 Euro. Auf den Monat hochgerechnet sind das ca. 4.500-5.100 Euro, wozu gegebenenfalls noch weitere Kosten für Therapiestunden oder andere individuelle pädagogische Angebote hinzukommen (vgl. Günder 2015, S. 73). Finanziert wird die Heimerziehung gemäß § 85 SGB VIII vom örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also dem Jugendamt, in dessen Zuständigkeitsbereich der junge Mensch bislang seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. ebd., S. 53 f.). Jedoch kann die Familie oder in einigen Fällen auch der Jugendliche auf der Grundlage der §§ 90 bis 97 SGB VIII zur anteilsmäßigen Kostenübernahme herangezogen werden, wenn sie dazu in der Lage sind. Da jedoch ca. die Hälfte der Eltern der Betroffenen Transferleistungen bekommen (vgl. Destatis 2018b, S. 39), demnach also ein sehr geringes bis gar kein Einkommen haben, ist eine Kostenbeteiligung in der Praxis nur selten vorhanden. Befinden sich die Jugendlichen, welche sich noch in der Jugendhilfe befinden, in einer Ausbildung, in der sie genug Gehalt bekommen, kann es vorkommen, dass sie selber einen gewissen Beitrag zur Heimerziehung beitragen müssen (vgl. Günder 2015, S. 68 f.).
Grundlegende Ziele der Heimerziehung sind bereits in § 34 S. 2 SGB VIII festgelegt. So soll sie, entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen, sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie 1. eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder 2. die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder 3. eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten. Auch wenn Heimerziehung eine auf längere Zeit angelegte Hilfe ist, bedeutet dies nicht, dass die Kinder und Jugendlichen für den Rest ihrer Kindheit bzw. Jugend außerhalb der eigenen Familie erzogen werden. Oberstes Ziel ist es immer, so wie es auch im Gesetz verankert ist, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie zu verbessern, sodass in absehbarer Zeit eine Rückführung des jungen Menschen in seine Herkunftsfamilie möglich sein wird. Erst wenn definitiv fest steht, dass eine Rückführung aus unterschiedlichen Gründen keine Option mehr ist, ist das Ziel, die Heimbewohner/innen auf ein Leben in einer anderen Familie (z.B. Pflegefamilie nach §33 SGB VIII, Verwandtenpflege oder Kleinstheim) vorzubereiten oder die Erziehung dauerhaft zu übernehmen und sie langfristig gesehen in die Selbstständigkeit überführen (vgl. Rätz et. al. 2014, S. 174). Für die Festlegung des Ziels, ist jedoch in jedem Fall der individuellen Erziehungsbedarf und das Alter des Kindes oder Jugendlichen maßgeblich (vgl. Fieseler 2017, S. 364).
Insgesamt verbringen die Kinder und Jugendlichen durchschnittlich eine recht lange Zeit in den Heimeinrichtungen. Mit einer durchschnittlichen Dauer von 25 Monaten stellt Heimerziehung mit der Vollzeitpflege (59 Monate) eine der langfristigen Erziehungshilfen dar (vgl. Destatis 2018b, S. 49). Für die Heranwachsenden ist eine Einrichtung in einer „normalen“ Wohngegend durchaus förderlich, da so ein soziales Milieu hergestellt werden kann, wie sie es auch gegebenenfalls aus der Herkunftsfamilie kennen. Ebenso sollten nicht alle vertrauten Lebensweisen zerstört werden. Dies setzt voraus, dass die Kinder und Jugendlichen bereits von Beginn an wohnortnah untergebracht werden, damit sie z.B. den Kontakt zu ihren Freund/innen wahren oder noch die selbe Schule besuchen können, es sei denn dies ist ausdrücklich nicht angebracht. Allgemein sollte sowohl bei der Wahl der Einrichtung als auch die Einrichtung bei ihrer Gestaltung sich an den Lebenswelten der betroffenen Kinder und Jugendlichen orientieren (vgl. Mrozynski 2009, S. 413).
Des Weiteren sollten die Heranwachsenden am Alltagsgeschehen beteiligt werden. Denn nur wenn die Kinder und Jugendlichen sich wohlfühlen, kann die Heimerziehung erfolgreich sein. Dazu zählt nicht nur ob die Bewohner/innen Beteiligung erfahren oder nicht, sondern auch z.B. die Gestaltung des eigenen Zimmers oder die zusammengestellte Gruppe, aber eben auch die Gruppenregeln oder die Einrichtung der Gemeinschaftsräume (vgl. Ratz et. al. 2014 S, 175). Dennoch stellt Beteiligung ein grundlegendes Prinzip in der Heimerziehung dar. Dies ist zum Teil dadurch begründet, dass die Partizipation der Kinder und Jugendlichen in § 8 SGB VIII vorgeschrieben ist. Beteiligung sollte sowohl Ziel der allgemeinen Organisation als auch der pädagogischen Arbeit sein. Selbst wenn Bewohner/innen aus verschiedenen Gründen gegenüber einer Beteiligung verschlossen sind, sollte Raum für eine mögliche Beteiligung geschaffen werden. In welcher Form die Kinder und Jugendliche innerhalb der Heimerziehung die Möglichkeit haben sich zu beteiligen, ist, wie vieles andere, in jeder Einrichtung oder sogar jeder Wohngruppe verschieden. Es fängt mit einfachen Dingen, wie der Freiraum zur Gestaltung des eigenen Zimmers an und geht über die gemeinsame Planung und Gestaltung der Gruppenräume oder die Beteiligung an der Entscheidung, was es in der kommenden Woche zu Essen gibt, weiter. Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass die Bewohner/innen Ausflüge oder sogar Freizeiten gemeinschaftlich organisieren und durchführen, zu einem besonderen Anlass ein Fest im Heim organisieren oder die Gruppenregeln gemeinsam aufstellen und diese zu gegebener Zeit überarbeiten. Manche Einrichtungen beteiligen ihre Kinder und Jugendliche sogar an den Vorbereitungen für das nächste anstehende Hilfeplangespräch oder bei der Entscheidung, welche/r Bewerber/in die aktuell freie Stelle bekommt (vgl. Rätz et. al. 2014 S. 178 f.).
3.2 Formen der Heimerziehung
Die Vielfältigkeit der Heimerziehung lässt sich bereits aus der Überschrift des § 34 SGB VIII „Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform“ erschließen. Es gibt nicht DIE Heimerziehung. In Folge der Reformen der Heimerziehung in den 1970er und 1980er Jahren entwickelten sich zunehmend neue Formen der Heimerziehung und die bestehende Heimerziehung veränderte sich (vgl. Günder 2015, S. 75). „Die Vielfältigkeit heutiger Konzepte, nach denen in der Heimerziehung gearbeitet wird, entspricht der Vielfalt familiärer Formen der Lebensführung und der unterschiedlichen Anlässe für eine Heimerziehungsmaßnahme“ (Jordan et. al. 2015, S. 270). Im Gegensatz zu früher verfügen Heime heute i.d.R. über mehrere Heimformen, sodass ein Wechsel des Heimes i.d.R. nicht von Nöten ist, wenn nur ein Wechsel der Wohngruppe (vgl. Heidemann/Greving 2017, S. 44 f.). Alle Formen der Heimerziehung im Ganzen darzustellen, ist aufgrund der hohen Vielfalt und ständigen Weiterentwicklung von Konzepten nicht möglich und auch für die Bearbeitung der Fragestellung nicht relevant. Es sollen jedoch trotzdem einige der gängigen Formen vorgestellt werden.
Immer mehr Heimeinrichtungen haben meistens ein sogenanntes Zentralheim bzw. Haupthaus, das ursprüngliche Heim. Dort befindet sich oft nur noch die Verwaltung, sowie therapeutische und gegebenenfalls individuelle pädagogische Angebote. Manchmal befinden sich auf diesem Gelände noch zusätzlich Wohngruppen (vgl. Heidemann/Greving 2017, S. 49 f.). Eine Wohngruppe besteht meist aus fünf bis acht Kindern und/oder Jugendlichen, welche von ca. vier Pädagogen im Schichtdienst betreut werden. „Durch kleinere Lebenseinheiten (Wohngruppen) soll der Anonymität eines fremdbestimmten (zentralverwalteten) Alltags entgegengewirkt und der Individualität der betreuten Kinder und Jugendlichen entsprochen werden“ (Jordan et. al. 2015, S. 270). Die Wohngruppen sind meistens gemischten Alters und Geschlechtes. Die meisten Gruppen versorgen sich heute selbst, d.h. sie kochen, putzen und kaufen gemeinsam bzw. in Absprache ein. Die Bewohner/innen leben dort in Ein- oder Zwei-Bettzimmern. Ein Bett, Schrank und Schreibtisch werden vom Heim gestellt, die restliche Gestaltung des Zimmers ist den Bewohner/innen überlassen (vgl. Heidemann/ Greving 2017, S. 49 f.). Zusätzlich zu den eigenen Zimmern gibt es mindestens noch eine Küche und ein Wohnzimmer, sowie ein oder mehrere Bäder, die gemeinschaftlich, wie in einer Familie genutzt werden. Manche Einrichtungen verfügen darüber hinaus noch über weitere Räume, die unterschiedlich genutzt werden können, z.B. ein Zimmer für Gespräche oder Termine (vgl. Rätz et. al. 2014, S. 174 f.)
Ähnlich sind auch die sogenannten Außenwohngruppen oder dezentralen Wohngruppen strukturiert. Diese befinden sich jedoch nicht auf dem Gelände des Zentralhauses, sondern unauffällig in einer normalen Wohngegend, in einem Einfamilienhaus oder einer großen Etagenwohnung. Auch hier wohnen fünf bis acht Kinder und/oder Jugendliche, die von ca. vier Pädagogen im Schichtdienst betreut werden und sich gemeinsam selbst versorgen. Verwaltungsanliegen oder therapeutische Leistungen können trotz der Auslagerung von der zentralen Heimeinrichtung in Anspruch genommen werden (vgl. Günder 2015, S. 76). Die Anbindung an das soziale Umfeld ist im Vergleich zu den zentralen Wohngruppen meist besser, da sie sich in einem normalen Wohnumfeld befinden und auch die einzige Wohngruppe in der Nachbarschaft sind und nicht wie im Zentralheim eine von mehreren. Zudem ist durch die Entfernung zum Zentralheim auch die Autonomie der Gruppe größer und es ist eine familienanaloge Erziehung möglich. Manche Heimeinrichtungen haben daher ausschließlich nur noch Außenwohngruppen und haben im Haupthaus lediglich die Verwaltung und die therapeutischen Angebote (vgl. Heidemann/ Greving 2017, S. 50 f.).
Zu den „sonstigen betreuten Wohnformen“ kann man vor allem die sogenannten Verselbständigungsgruppen und das betreute Wohnen zählen (vgl. Mrozynski 2017, S. 226). Sie sind für Jugendliche gedacht, die bereits sehr selbstständig und eigenverantwortlich sind. Entsprechend des Alters und der Entwicklung werden in diesen Wohnformen die Autonomie der Heranwachsenden gefördert, mit dem Ziel, die Heranwachsenden in die Selbstständigkeit überzuführen (vgl. Rätz et. al. 2014, S. 171 ff.). Die Verselbständigungsgruppen ähneln etwas der Außenwohngruppen. Hier leben ebenfalls mehrere Jugendliche gemeinsam in einer Wohnung und versorgen sich selbst. Anders als bei den beiden zuvor vorgestellten Formengibt es hier jedoch keine dauerhafte pädagogische Betreuung. Je nach Bedarf der Gruppe ist der/die pädagogische Betreuer/in nur stundenweise in der Wohnung und bespricht mit den Jugendlichen einzeln oder in der Gruppe anliegende Themen. Der pädagogische Bedarf kann dabei von Woche zu Woche variieren. Den Alltag, die Freizeitaktivitäten und die Versorgung organisieren die Jugendlichen selbst (vgl. Heidemann/ Greving 2017 S. 53 f.). Beim Betreuten Wohnen, welches i.d.R. eine Steigerung der Verselbständigungsgruppen bezüglich der Selbständigkeit darstellt, leben die Jugendlichen alleine (selten auch zu zweit) in einer von der Heimeinrichtung angemieteten Wohnung und werden ebenso je nach individuellen Bedarf einige Stunden in der Woche von einer pädagogischen Fachkraft besucht und bei Fragen und/oder Problemen unterstützt (vgl. ebd. S. 53 f.). Betreutes Wohnen kann allerdings nicht nur im Anschluss an eine „Regelgruppe“ oder Verselbständigungsgruppe erfolgen. Wenn der Jugendliche zu Beginn der Hilfe alt und selbständig genug ist, kann diese Hilfe auch direkt, ohne eine vorherige Unterbringung in einer Wohngruppe eingeleitet werden (vgl. Jordan et. al. 2015, S. 271). Ab und zu gibt es auch Jugendliche, die das Zusammenleben in einer Gruppe aus verschiedenen Gruppen ablehnen und dadurch auch eine Belastung für die restlichen Bewohner darstellen. Um diese Kinder/Jugendliche nicht „aufzugeben“ wird hier auch auf die Form des Betreuten Wohnens zurückgegriffen, meist jedoch mit einer höheren pädagogischen Betreuung, als bei Jugendlichen, die auf dem Weg der Verselbständigung sind (vgl. Günder 2015, S. 77).
Darüber hinaus gibt es noch familienähnliche Formen der Heimerziehung. Hier sind die Grenzen zwischen §§ 34 und 33 SGB VIII oftmals fließend und nicht klar definiert (vgl. Jordan at. Al. 2015, S. 271). Dazu gehören z.B. die Kinderdörfer. Bekannt ist diese Form durch die SOS-Kinderdörfer. Hier sind viele einzelne Häuser auf einem Gelände zu finden. In jedem Haus wohnt eine Gruppe, unabhängig von den anderen. Die Kinder leben gemeinsam mit einer/m „Gruppenmutter/-Vater“ oder einem „Gruppenehepaar“ dauerhaft in einer Lebensgemeinschaft. Die Gruppenbetreuungen sind wie in den Wohngruppen eines Heimes pädagogische Fachkräfte. Diese Form ähnelt stark einer „normalen“ Familie. Nicht selten werden hier auch Geschwister gemeinsam untergebracht. Ähnlich aufgebaut sind die Kleinstheime. Jedoch existiert hier nur ein Haus mit einer solchen Gruppe und nicht mehrere. Auch dieses liegt in einem normalen Wohnumfeld. Ein Kleinstheim ist eine eigene Institution und im Unterschied zu den Außenwohngruppen nicht an eine Einrichtung gebunden, selbstverständlich aber an die gesetzlichen Vorgaben (vgl. Heidemann/Greving 2017, S. 46 f.). In Erziehungsstellen leben ein bis zwei Kinder, welche einen besonders intensiv pädagogischen Bedarf haben und mit den Betreuer/innen und gegebenenfalls eigenen Kindern wie eine Familie zusammen leben. Oft sind es langfristig freigestellte Mitarbeiter/innen, die weiterhin von der Einrichtung bezahlt werden, oder pädagogisch ausgebildete Ehepaare, die auf Basis von Honorarverträgen bezahlt werden (vgl. Günder 2015, S. 78). Unterstützt werden sie von pädagogischen Ergänzungskräften, die das Ehepaar in Urlaubszeiten oder in Abwesenheitszeiten im Alltag unterstützt (vgl. Jordan et. al. 2015, S. 271).
Alle diese Formen der Heimerziehung gibt es auch für spezifische Zielgruppen. So gibt es z.B. (Außen-)Wohngruppen lediglich für Mädchen oder Jungen, die in der Vergangenheit Opfer sexuellen Missbrauchs waren, Wohngruppen für straffällig gewordenen Jugendliche (vgl. Jordan et. al. 2015, S. 270 f.) oder Gruppen für kleine Kinder, die noch zu klein für eine Regelgruppe sind, da sie noch einen erhöhten pädagogischen Bedarf haben (vgl. Heidemann/Greving 2017, S. 52 ff.).
3.3 Adressat/innen
Die Kinder und Jugendlichen bringen alle ihre eigene, ganz individuelle Lebensgeschichte mit. Manches ist bereits auf den ersten Blick zu bemerken, andere Erfahrungen und gegebenenfalls dadurch entstandenen Defizite werden erst im Laufe der Heimerziehung sichtbar (vgl. Günder 2015, S. 39). Kinder und Jugendliche, die auf kurze oder lange Sicht im Heim erzogen werden, „sind solche mit besonderen Problemlagen, die gesellschaftlich, individuell und/oder familiär begründet sein können“ (ebd., S. 44). Ende 2017 befanden sich rund 96 500 Kinder und Jugendliche in einer Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII. Davon waren rund 72 000 minderjährig (75%) und rund 24 400 (25 %) volljährig (vgl. Destatis 2018b, S. 17). Die meisten Kinder und Jugendlichen (ca. 54 %) waren zwischen 12 und 18 Jahren alt, gefolgt von den 6-12-Jährigen (16 %). Nur 4 % der Kinder waren unter sechs Jahre alt (vgl. ebd., S. 49).
Kinder und Jugendliche, welche Hilfe nach § 34 SGB VIII bekommen, stammen i.d.R. aus den unteren Bevölkerungsschichten (vgl. Günder 2015, S. 39). Mehr als die Hälfte der Familien der jungen Menschen, welche im Heim leben, leben von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II, Grundsicherung oder Sozialhilfe. Dabei ist auffällig, dass rund 36 % der Eltern alleinerziehend ist (vgl. Destatis 2018b, S. 39). Zudem besitzen die Eltern oft nur eine geringe Bildung und einen geringen beruflichen Status (vgl. Günder 2015, S. 39).
Früher waren die Adressat/innen der Heimerziehung sehr oft „Waisenkinder“, also Kinder, welche von ihrer Familie ausgesetzt wurden oder (z.B. durch Kriege) ihre Eltern verloren haben (vgl. Günder 2015, S. 39). Heutzutage sind die Gründe für eine Fremdunterbringung vielfältiger. Lediglich ca. 2 % der Kinder und Jugendliche, welche in einem Heim leben, sind elternlos (vgl. Destatis 2018b, S. 39). Der häufigste Grund für die Einleitung einer Hilfe nach § 34 SGB VIII hingegen ist die Unversorgtheit des jungen Menschen, gefolgt von einer eingeschränkten Erziehungskompetenz der Eltern. Außerdem werden viele Kinder und Jugendliche von ihrer Herkunftsfamilie unzureichend gefördert und/oder betreut oder leiden unter Belastungen aufgrund von Problemen der Eltern oder Familie, wie z.B. Substanzmissbrauche oder tragische Schicksalsschläge. Nicht immer liegt die Ursache bei der Herkunftsfamilie. Auch Entwicklungsauffälligkeiten, seelische Probleme oder dissoziales Verhalten der Kinder und Jugendlichen können zu einer Heimerziehung führen (vgl. Destatis 2018b, S. 49). Manche der Adressat/innen von Heimerziehung weisen sehr erschütternde Lebenserfahrungen auf, nicht selten spielten in der Herkunftsfamilie Probleme mit Alkohol oder anderen Suchtmitteln eine Rolle. Einige der jungen Erwachsenen mussten Erfahrungen mit Gewalt innerhalb der Familie machen oder wurden Opfer sexuellen Missbrauches (vgl. Günder 2015, S. 39 f.). Oft liegt jedoch nicht nur ein Grund vor, sondern es handelt sich um eine Ansammlung von Problemen der Familie und/oder des Heranwachsenden, die nicht selten auch durch äußere Einflüsse wie z.B. Armut, Arbeitslosigkeit oder beengende Wohnungssituationen bedingt sind (vgl. Zeller 2016, S. 799).
Insgesamt rund 14 000 Hilfen, das entspricht ca. 27 % der 2017 begonnen Hilfen nach § 34 SGB VIII, wurden aufgrund einer vorangegangenen Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII eingeleitet (vgl. Destatis 2018b, S. 49), d.h. hier stellten Fachkräfte des Jugendamtes fest, dass eine Gefährdung des Kindeswohles vorliegt. Eine Unterbringung kann jedoch nur mit dem Einverständnis der Personensorgeberechtigten erfolgen (vgl. Rätz et. al. 2014, S. 172). Sind jedoch die Eltern bei einer Kindeswohlgefährdung (KWG) nicht gewillt oder in der Lage, die Gefahr abzuwenden, kann den Eltern nach § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) das Sorgerecht teilweise oder ganz entzogen werden und so auch eine Unterbringung gegen den Willen der Eltern erfolgen. Dies ist jedoch in lediglich ca. 10 % der Heimunterbringungen von Kindern und Jugendlichen der Fall. Folglich stimmen die Eltern einer Heimunterbringung meistens zu oder beantragen diese sogar selbst (vgl. Zeller 2016, S. 799)
3.4 Fachkräfte in der Heimerziehung
„Die Rollenerwartung an das Berufsbild der Heimerzieher(innen) hat sich mit dem inhaltlichen Wandel des Praxisfeldes erheblich geändert und ist sicherlich im Zuge dieser Veränderungen qualitätsorientierter geworden, damit aber zugleich schwieriger in der Erfüllung von Erwartungshaltungen“ (Günder 2015, S. 106).
Früher bestand das Berufsbild aus der Pflege, Beaufsichtigung und Versorgung elternloser Kinder bzw. später Kindern und Jugendlichen mit schwierigen familiären Vorgeschichten. Die damals vorherrschende Gruppenpädagogik wurde zunehmend abgelöst von der Individualpädagogik. Heute stellt der Beruf des/der Heimerzieher/in ein sehr breit gefächertes Berufsbild dar (vgl. ebd. S. 106 f.). Die Tätigkeiten der Fachkräfte in der Heimerziehung ähneln zum Teil sehr denen von Eltern mit mehreren Kindern, mit dem Unterschied, dass sich im Heim auch viele Kinder und Jugendliche befinden, die aufgrund ihrer Vorgeschichte einen höheren erzieherischen Bedarf aufweisen (vgl. Heidemann/Greving 2017, S. 59). In keinem anderen pädagogischen Beruf steht die Bewältigung von Alltagsherausforderungen so im Mittelpunkt wie bei dem Berufsbild der Heimerzieher/innen (vgl. ebd. S. 65). Aufgabe der Fachkräfte ist es, die Kinder und Jugendlichen im gemeinsamen Wohnen und Erleben innerhalb einer kleinen, oft familienähnlichen Gruppe zu begleiten, unterstützen und zu fördern (vgl. Günder 2015, S. 106). Da die Kinder und Jugendlichen, welche im Heim oder einer sonstigen betreuten Wohnform untergebracht sind, oftmals in der Vergangenheit keine belastbaren oder interaktiven Beziehungen erfahren haben, gilt es den Bewohner/innen solche innerhalb der Hilfe aufzuzeigen. Dafür ist eine intensive Beziehungsarbeit seitens der Heimerzieher/innen notwendig. Jedoch gilt dabei, dass Gleichaltrigenbeziehungen wichtiger und mehr zu fördern sind als Erwachsenenbeziehung. Dennoch sollte auch zwischen den Fachkräften und Bewohner/innen im gesunden Maße eine starke Beziehung bestehen, die gerade auch in kritische Phasen stand hält (vgl. ebd., S. 101 f.). Ebenso sind sie zuständig für die Beziehungsarbeit zu den verschiedenen anderen Institutionen der Bildung und Gesundheit sowie der Netzwerkarbeit. Dazu gehören z.B. Schule, Beratungsstellen, Kinder- und Jugendpsychiatrien und/oder Therapieeinrichtungen (vgl. Rätz. et. al. 2014, S. 174).
Fachkräfte der Heimerziehung sind jedoch nicht nur Erzieher/innen. Ebenso stark vertreten sind Sozialpädagog/innen bzw. Sozialarbeiter/innen (vgl. Günder 2015, S. 167). Heimmitarbeiter/innen müssen ihre gesamte Persönlichkeit in ihr Berufsleben mit einbringen. Denn für die Erledigung der Tätigkeiten im Heimalltag sind nicht nur berufliche, pädagogisch basierende Kompetenzen erforderlich, sondern auch viele personelle (vgl. Heidemann/Greving 2017, S. 59). So dienen die Fachkräfte z.B. auch als Vorbilder und sind wesentlich für die Sozialisation der Heimbewohner/innen maßgeblich. „Heimerziehung muss inhaltlich mehr ausmachen, als die gute pädagogische Gestaltung von Rahmenbedingungen. Alltagshandlungen und persönliche Pädagogik bilden im Idealfall eine Einheit“ (Günder 2015, S. 103).
Kurz gefasst: Aufgabe der Heimerzieher/innen ist eine günstige individuelle pädagogische Förderung der untergebrachten Kinder und Jugendliche (vgl. Günder 2015, S. 107). Generell lässt sich zur Heimerziehung sagen: „Die Heimerziehung hat viel Spielraum erhalten, um den Anforderungen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in den heutigen Lebenslagen gerecht zu werden“ (Heidemann/Greving 2017 S. 39). Heimerziehung ist keinesfalls die Ultima Ratio der Hilfen zur Erziehung. Es gibt vielfältige Formen dieser Erziehungshilfe, um den individuellen Bedürfnissen der betroffenen Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden. Nur wenn sich die Bewohner/innen in der Einrichtung wohl fühlen, kann die Hilfe auch erfolgreich sein. Dazu tragen u.a. Freiräume in der Gestaltung des eigenen Zimmer, eine bestmögliche Wahrung des alten sozialen Umfeldes sowie die Beteiligung an der Strukturierung des Alltages oder anderen das Leben im Heim betreffenden Angelegenheiten. Die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen soll während der i.d.R. recht langen Unterbringung von de Fachkräften durch eine Verbindung von Alltagserleben und pädagogischen sowie therapeutischen Angeboten gefördert werden. Dabei sollten sie darauf achten, dass ihre Handlungen sich stets an der Lebenswelt der Adressat/innen orientieren.
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