Entwicklungschancen und Risiken von Kindern in der Auflösungsphase der Ehe- bzw. Partnerbeziehung aus sozialwissenschaftlicher Sicht


Diplomarbeit, 2008

125 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problembeschreibung: Die elterliche Trennung bzw. Scheidung - Bruch oder Fortbestand des Familiensystems?
1.2 Aufbau und Ziel der Untersuchung

2. Die Trennungs- und Scheidungsentwicklung in Deutschland —
2.1 Partnergemeinschaften und ihre Auflösung im Wandel der Zeit-
2.2 Exkurs: Das Scheidungsrecht im Wandel
2.2.1 Vom Schuldprinzip zum Zerrüttungsprinzip
2.2.2 Die elterliche Sorge
2.3 Daten und Fakten zur Trennungs- bzw. Scheidungsentwicklung -
2.4 Ursachen für den Scheidungsanstieg bzw. für das Trennungsrisi­ko nichtehelicher Lebensgemeinschaften
2.4.1 Der Prozess der Modernisierung
2.4.2 Das veränderte Rollenverständnis der Frau
2.4.3 Soziodemographische Einflüsse
2.4.4 Rechtliche Rahmenbedingungen
2.4.5 Die Scheidungsspirale
2.5 Theoretische Erklärungsansätze zur Instabilität von Partner­schaft bzw. Ehe
2.5.1 Der rollentheoretische Erklärungsansatz
2.5.2 Der austausch- und entscheidungstheoretische Erklä­rungsansatz
2.5.3 Der mikroökonomische Erklärungsansatz
2.5.4 Die Theorie der Frame Selection
2.5.5 Die intergenerationale Scheidungstransmission

3. Die elterliche Trennung bzw. Scheidung als kritisches Lebenser­ eignis
3.1 Die Situation der Kinder im Trennungs- bzw. Scheidungs­prozess
3.1.1 Die Vortrennungsphase
3.1.2 Die Trennungsphase
3.1.3 Die Scheidungsphase
3.1.4 Die Nachtrennungs- bzw. Nachscheidungsphase
3.2 Die Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf die Kinder
3.2.1 Kindliche Reaktionsmuster auf die elterliche Trennung bzw. Scheidung
3.2.1.1 Reaktionen der Kinder als Folgevariable des familialen Settings
3.2.1.2 Geschlechtsspezifische Reaktionen der Kinder ---
3.2.1.3 Altersspezifische Reaktionen der Kinder
3.2.1.3.1 Kinder im Kleinkindalter
3.2.1.3.2 Kinder im Vorschulalter
3.2.1.3.3 Kinder im Schulalter
3.2.1.3.4 Heranwachsende
3.2.1.4 Weitere Einflussfaktoren auf die kindlichen Re­aktionen
3.2.2 Die Langzeitfolgen: Das Trennungs- bzw. Scheidungskind als Erwachsener
3.2.2.1 Psychische Erkrankungen
3.2.2.2 Die Delinquenz
3.2.2.3 Die Gestaltung von Partnerschaften
3.2.2.4 Intergenerative Transmission trennungs- bzw. scheidungsspezifischer Reaktionen
3.3 Die kindliche Neudefinition der Familiensituation nach der elterli­chen Trennung bzw. Scheidung
3.3.1 Die kindliche Übergangssituation in die binukleare Familie
3.3.2 Die Ein-Eltern-Familie als neuer Familienstatus aus der Perspektive des Kindes
3.3.3 Die Stieffamilie: Eine weitere Herausforderung für das Kind
3.4 Die elterliche Trennung bzw. Scheidung - Trauma oder Chance?
3.5 Exkurs: Triple P - Ein Präventivprogramm zur Steigerung der Elternkompetenzen

4. Kinder in der Trennungs- bzw. Scheidungsberatung
4.1 Schwerpunkte der Trennungs- und Scheidungsberatung mit Kindern
4.1.1 Beratung vor der Trennung
4.1.2 Beratung während der Trennung
4.1.3 Beratung während der Scheidung
4.1.4 Beratung nach der Trennung bzw. Scheidung
4.2 Familienmediation
4.3 Die Grenzen der Beratung und Mediation

5. Fazit

Literaturverzeichnis und Quellenangaben

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Anteil der Ehescheidungen an allen Eheauflösungen in Deutschland 1950 - 2005

Abbildung 2: Eheschließungen und Ehescheidungen 1990 - 2006

Abbildung 3: Ehedauerspezifische Scheidungsziffern 2006

Abbildung 4: Ehescheidungen und Ehescheidungen mit minderjährigen Kindern (in Tausend)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Durchschnittliches Erstheiratsalter nach Jahren

Tabelle 2: Ehescheidungen insgesamt und Zahl der von Scheidung betroffenen Kinder 1996 - 2000

Tabelle 3: Erzieherische Hilfen in Deutschland 1991 und 2006

1. Einleitung

In Deutschland wird inzwischen mehr als jede dritte Ehe von einem Scheidungsrich­ter beendet. Die dramatische Entwicklung der Scheidungsrate ist sowohl in den Me­dien als auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen ein immer wiederkehrendes Thema. Einerseits zeigt ein Perspektivenwechsel ein scheinbar ernüchterndes Bild: Die meisten Ehen (etwa zwei Drittel) werden nicht geschieden! Andererseits lässt sich daraus nicht ableiten, dass diese Ehen bestehen bleiben, da verheiratete Paare nicht selten getrennte Wege gehen, ohne sich jemals gerichtlich scheiden zu lassen.

In etwa der Hälfte der Scheidungsfälle sind minderjährige Kinder betroffen. Hinzu kommen die Kinder, deren verheiratete Eltern den Trennungsentschluss ohne Ehe­scheidung fassen und die Kinder, die im Rahmen einer nichtehelichen Lebensge­meinschaft die schmerzhafte Trennung der leiblichen Eltern erleben. All diese Kinder bleiben von „Scheidungsfolgen“ nicht unberührt. Darüber hinaus kann ein Kind durch die Gründung von Stieffamilien mehr als einmal den Verlust einer nahe stehenden Person durch Trennung oder Scheidung erfahren.

Im Rahmen meiner Abschlussarbeit für den Studiengang Diplom Sozialwissenschaf­ten setze ich mich mit dem Thema Entwicklungschancen und Risiken von Kindern in der Auflösungsphase der Ehe- bzw. Partnerbeziehung aus sozialwissenschaftlicher Sicht auseinander. Dazu dienen mir elementare Forschungsergebnisse insbesonde­re von NAVE-HERZ, FTHENAKIS und FIGDOR als Grundlage für die vorliegende Arbeit. Ferner werden eigene empirische Erkenntnisse, die ich während einer zweijährigen Arbeit in der Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt (AWO) für Kinder, Jugendliche und Eltern als Co-Beraterin mit verschiedenen Klientengruppen sammeln konnte, in die Untersuchung einfliesen. Schwerpunkte meiner Beratungsarbeit waren u.a. Er­Ziehungsprobleme, AD(H)S1 betroffene Kinder, Haus- und Schulbesuche - aber vor allem Ehe- bzw. Paarberatungen von Eltern mit verhaltensauffälligen Kindern meist vor dem Hintergrund einer Trennung oder Scheidung. Aus diesem Grund orientierte sich mein Interesse bei der Themenauswahl stets an dieser Gruppe von Familien, deren Kinder aufgrund von Problemen in der horizontalen Familienebene2 als „Sym­ptomträger“ bzw. „Problemkinder“ der Beratungsstelle vorgestellt wurden. Dabei ha­ben die Eltern nur selten vermutet, selbst eine wesentliche Ursache der kindlichen Verhaltensauffälligkeit zu sein. Da die meisten Erstgespräche erst nach einer vollzo­genen Trennung stattfanden, entstand bei mir das Interesse, die Situation der Kinder im gesamten Trennungs- und Scheidungsprozess genauer zu analysieren. Daher wird in der vorliegenden Arbeit ausschließlich die Kindperspektive in den Vorder­grund gerückt, ohne damit die Situation der Erwachsenen verharmlosen zu wollen.

1.1 Problembeschreibung: Die elterliche Trennung bzw. Scheidung - Bruch oder Fortbestand des Familiensystems?

Die Beratungspraxis hat deutlich gezeigt: Je jünger ein Kind ist, umso weniger kann es die elterliche Trennung nachvollziehen und umso mehr leidet es. Um zu verste­hen, warum ein Kind derart von Konflikten betroffen sein kann, die sich im Grunde ausschließlich auf der Erwachsenenebene abspielen, bedarf die Familie einer ge­naueren Betrachtung.

Nach NAVE-HERZ definiert sich Familie 3 wie folgt: Sie ist eine Lebensform, die aus zwei Generationen besteht und von einer Reproduktions- und Sozialisationsfunktion geprägt ist. Ferner beinhaltet die Familie ein besonderes Kooperations- und Solidari­tätsverhältnis, das sich aus ihrer spezifischen Rollenstruktur ergibt: Nur die Familie besitzt Rollenbezeichnungen wie Mutter, Vater, Sohn, Schwester usw. mit genau de­finierten Verhaltenserwartungen, Pflichten und Aufgaben (vgl. Nave-Herz 2002, S.15). Aus den Rollendefinitionen ergibt sich ein konstantes und relativ stabiles Be­ziehungsnetz (Struktur), das eine Familie zu einem System macht (vgl. a.a.O., S.11). Ein Familienmitglied steht folglich mit jedem anderen Systemangehörigen in Zu­sammenhang, beeinflusst die Interaktion der jeweiligen Subsysteme und erfüllt eine bestimmte Funktion. Löst sich die Partnerschaft der Eltern durch Trennung oder Scheidung auf, verändert sich damit nicht nur die Erwachsenenebene, sondern die gesamte Familienstruktur: Das Mutter- und Vater-Kind-Subsystem erfährt Verände­rungen in den Interaktions- und Kommunikationsstrukturen, was mit einer veränder­ten Sozialisation des Kindes verbunden ist. Der Trennungsentschluss bezieht sich zwar ausschließlich auf den Partner, jedoch wird mit dem Auszug eines Elternteils zwangsläufig auch das Kind verlassen. Damit erfolgt ein Bruch im Familien- und Le­bensalltag des Kindes. Doch bezieht sich der Bruch auch auf das Familiensystem im Sinne einer Systemverkleinerung? - Nein. Denn weder eine Trennung noch eine Scheidung löst das Eltern-Kind-Verhältnis auf! Lediglich das Partnerschaftsverhältnis wird dadurch aufgelöst (vgl. Nave-Herz 2002, S.124). Hierbei offenbart sich jedoch das größte Problem einer Trennung, wenn Kinder vorhanden sind: Eltern können sich als Partner trennen, doch Mutter und Vater bleiben sie ein Leben lang. Das be­deutet, dass sie zwar als Partner nicht mehr kooperieren müssen, aber nach wie vor als Elternpaar, um sich weiterhin über die Erziehung ihrer Kinder zu verständigen. Durch die „unablegbare“ Elternrolle bleiben folglich auch die Eltern-Kind­Beziehungen bestehen. Damit wird deutlich, dass die Familienstrukturen durch Trennung oder Scheidung keinen Bruch erleiden, sondern lediglich in veränderter Form fortbestehen. Selbst bei Elternteilen ohne Sorgerecht zeigt sich die Aufrechter­haltung der Elternrolle im Umgangsrecht.4

Wenn folglich nach einer Partnerschaftsauflösung ein (wenn auch verändertes) Fa­miliensystem weiter besteht, die Familienbeziehungen keinen Abbruch erleiden und sowohl Mutter als auch Vater für das Kind weiterhin verfügbar sind, drängen sich förmlich folgende Fragen auf: Ergibt sich für ein Kind mit der elterlichen Trennung (unabhängig davon ob eine formelle Ehescheidung folgt oder nicht) wirklich zwangs­läufig eine andere Familiensituation mit spezifischen Bedingungen, die negative Auswirkungen auf seine Entwicklung haben? Oder können sich aus der Erfahrung der elterlichen Trennung heraus gar neue Wege bzw. positive Bedingungen erge­ben, die ein Kind in seiner Persönlichkeitsentwicklung weiterbringen? Kann nicht ebenso davon ausgegangen werden, dass das Kind vom Trennungsereignis gänz­lich unberührt bleibt und mit einer ungestörten Entwicklung fortfahren kann? - Zu­mindest Letzteres ist unwahrscheinlich. Denn gerade die trennungsbedingten Ver­änderungen in den Interaktions- und Kommunikationsmustern und im Alltag des Kin­des sowie die Bedingungen, die zu einer Trennung führen, fordern die Anpassungs­fähigkeit und somit die Bewältigungskraft des Kindes heraus. Diese Herausforderung führt wiederum zu dem Gedanken, dass ein misslungener Bewältigungsversuch zu Sozialisations- bzw. Entwicklungsstörungen führen kann, während eine erfolgreiche Bewältigung eine stabile Persönlichkeit nach sich ziehen kann. Dieser Gedanke imp­liziert jedoch gleichzeitig das Vorhandensein von Bedingungen, die entweder eine funktionale Bewältigung begünstigen oder verhindern - was die übrigen Fragen zu­nächst zu beantworten scheint. Das soll in der vorliegenden Arbeit überprüft werden. Die Ausgangsthese der anstehenden Untersuchung lautet demnach: Kinder, die die Erfahrung einer elterlichen Trennung oder Scheidung machen, sind spezifischen Be­dingungen ausgesetzt, die sich sowohl negativ als auch positiv auf ihre psychische und soziale Entwicklung auswirken können.

1.2 Aufbau und Ziel der Untersuchung

Bevor die einzelnen Kapitel kurz dargestellt werden, soll zunächst der Hinweis erfol­gen, dass sämtliche Zitate eine Korrektur nach der neuen deutschen Rechtschrei­bung erfahren haben, d.h. Begriffe, die nach alter Schreibweise ein „ß“ beinhalten, jedoch aktuell mit „ss“ geschrieben werden, werden entsprechend in veränderter Form wiedergegeben. Um einen ungestörten Lesefluss zu sichern, wurde zudem die Methode der unmarkierten Berufs- und Personenbezeichnung gewählt, d.h. alle ge­nannten maskulinen Berufs- oder Personenbezeichnungen beziehen sich sowohl auf Männer als auch auf Frauen.

Kapitel 1 stellt eine Einführung in das Thema dar. Darüber hinaus soll es einen kur­zen Überblick über den Aufbau der Arbeit verschaffen. Anschließend beginnt der Hauptteil, der sich wiederum in drei Teile aufgliedert.

Der erste Teil (Kapitel 2) beschreibt zunächst die Entwicklung von Ehen und nicht­ehelichen Lebensgemeinschaften im historischen Zeitverlauf und ihre Auflösungs­möglichkeiten in Form von Trennung oder Scheidung. Der Exkurs in das Schei­dungsrecht macht die Auswirkungen von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen auf ehe- bzw. familienrechtlicher und persönlicher Ebene deutlich. Dem folgen theo­retische Ansätze, die vor dem Hintergrund des sozialen Wandels die Entwicklungen auf der Makro-, anschließend auf der Mikroebene erklären. Gleichzeitig werden tren- nungs- bzw. scheidungsverursachende Bedingungen identifiziert und beschrieben.

Im zweiten Teil (Kapitel 3) geht es um Kinder, die von einer instabil5 gewordenen Partnerschaft der leiblichen Eltern betroffen sind. Nachdem ihre Situation im gesam­ten Trennungs- bzw. Scheidungsprozess phasenweise in vor der Trennung, während der Trennung, während der Scheidung und nach der Trennung/Scheidung beschrie­ben worden ist, erfolgt eine Darstellung kindlicher Reaktionsmuster auf die elterliche Trennung unter besonderer Berücksichtigung bestimmter Einflussfaktoren wie bei­spielsweise Geschlecht und Alter des Kindes. Im Anschluss werden nicht nur die unmittelbaren und kurz- bis mittelfristigen Reaktionen, sondern gleichermaßen Lang­zeitfolgen thematisiert. Ferner werden Entwicklungsmöglichkeiten der Nachtren- nungs- bzw. Nachscheidungsfamilie erläutert, die mit weiteren Veränderungen im Leben eines Kindes verknüpft sind. Anschließend geht es um die Klärung der Frage, ob das Trennungserlebnis ausschließlich negative Auswirkungen auf die Kindesent­wicklung hat, oder ob nicht ebenso von positiven Scheidungsfolgen bzw. Entwick­lungschancen gesprochen werden kann. Da nach eigener Erfahrung eine frühe In­tervention professioneller Hilfen negativen Trennungsfolgen entgegenwirken und entwicklungsfördernde Bedingungen begünstigen kann, erfolgt in Kapitel 4 ein Ein­blick in die Beratungsarbeit mit Kindern. Doch zuvor findet ein Exkurs in ein relativ neues Präventivprogramm (Triple P) für Eltern statt, das Familienbeziehungen im Vorfeld stärken und familiäre Stressoren verringern kann.

Der letzte Teil (Kapitel 4) stellt schließlich die psychosoziale Beratungsarbeit mit trennungs- bzw. scheidungsbetroffenen Kindern vor. Obwohl das elterliche Wohlbe­finden für die kindliche Anpassungsfähigkeit an die veränderte Familiensituation eine signifikante Rolle spielt und eine familienorientierte Beratung die Eltern mit ein­schließt, erfolgt hier ebenfalls eine Fokussierung des Kindeswohls. Dadurch erschei­nen die Erwachsenen eher als Randfiguren. Eine tiefergehende Betrachtung der Er­wachsenensituation würde jedoch den Rahmen der Arbeit weit überziehen. Da die Trennungs- und Scheidungsberatung eine phasenspezifische Hilfestellung vorsieht, wurde erneut eine Unterteilung in vier Phasen vorgenommen. Außerdem erfolgt ein kurzer Einblick in die Familienmediation, weil sie als neumodische Art der Konfliktlö­sung inzwischen in vielen Beratungsstellen zusätzlich angeboten wird bzw. mediati­ve Maßnahmen einen Einzug in die Beratungspraxis erfahren haben (vgl. Bastine et al. 2005, S.4). Zuletzt erfolgt eine kritische Betrachtung der beraterischen und me- diativen Arbeit, bevor im abschließenden Teil (Kapitel 5) ein Fazit zum behandelten Thema gezogen wird.

Die vorliegende Arbeit soll keinen Appell an trennungswillige Eltern darstellen, ihre Entscheidung erneut zu überdenken. Die vorliegende Untersuchung wird das Ge­genteil zeigen: Ist die Beziehung tatsächlich misslungen, stellt die Trennung eine notwendige Maßnahme dar, um Kinder einem unvermeidlichen Spannungsfeld nicht (weiter) auszusetzen. Ziel der Arbeit ist vielmehr auf die labile und kritische Situation der Kinder zu verweisen und Eltern für die kindlichen Bedürfnisse insbesondere im Trennungsgeschehen zu sensibilisieren. Ferner sollen Eltern dazu ermutigt werden, (Über)Belastungen durch Trennung/Scheidung nicht als etwas Beschämendes zu sehen. Selbst ein kurzzeitig beeinträchtigtes Erziehungsverhalten ist zunächst nichts Verwerfliches, sondern eine menschliche und nachvollziehbare Folge von emotiona­ler Involviertheit in Krisensituationen. Die Arbeit wird zeigen, dass erst durch das An­dauern eines wenig kindorientierten Elternverhaltens, vor allem verbunden mit einem hohen Konfliktniveau, für die kindliche Persönlichkeits- und Sozialentwicklung eine ungünstige Weichenstellung gelegt wird. Deshalb stellt die Inanspruchnahme von sozialen Ressourcen (z.B. einer Beratungsstelle) in dieser Lebensphase einen wich­tigen und verantwortungsvollen Schritt in Richtung eines entwicklungsfördernden Familienlebens dar. Denn notwendig oder nicht, für ein Kind ist eine elterliche Tren­nung immer ein einschneidendes Erlebnis und stellt somit ein kritisches Lebenser­eignis dar, für dessen Bewältigung es die elterliche Stütze braucht. Um zu verdeutli­chen, dass der kindliche Entwicklungsrahmen - die Familie, in der die primäre Sozia­lisation des Kindes stattfindet - durch die zunehmende Häufigkeit von Elterntren­nungen mehr denn je bedroht ist, soll im Folgenden erst einmal die Entwicklung von Ehen, nichtehelichen Lebensgemeinschaften und ihre Auflösungsmöglichkeiten in Form von Trennung bzw. Scheidung thematisiert werden.

2. Die Trennungs- und Scheidungsentwicklung in Deutschland

Nach dem Verständnis der christlichen Religion und dem deutschen Recht ist die Ehe eine lebenslange Institution - gewöhnlich zu dem Zweck, eine Familie zu grün­den. Deshalb ist ihre Auflösung ausschließlich unter besonderen Umständen möglich und mit einem gesetzlichen Verfahren verbunden (s. Kap.2.2.1). Durch die Ehe wird eine partnerschaftliche Bindung zwischen zwei verschieden geschlechtlichen Perso­nen rechtlich legitimiert und staatlich durch Art. 6 des Grundgesetzes (GG) vor will­kürlicher Auflösung geschützt (vgl. Schäfers 1995, S.40). Sie beginnt mit der Ehe­schließung nach den Eheschließungsregelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) unter Berücksichtigung der Eheverbote (Doppelehe, Verwandtschaftsehe) und kann nur durch den Tod, eine Aufhebung6 oder durch Scheidung aufgelöst werden (vgl. §§1303 bis 1588 BGB). „In allen Kulturen gibt es die Möglichkeit der Eheauflösung. (...) Nur Form und Art der Auflösung sind sozialhistorisch und kulturell unterschied­lich“ (Nave-Herz 1990c, S.45). Die Ehescheidung als juristische Beendigung des Eheverhältnisses ist damit nur eine Art der Eheauflösung unter mehreren und soll in der vorliegenden Arbeit als einzige Form Aufmerksamkeit finden.

Die Scheidung ist die formelle Beendigung eines Eheverhältnisses und gleichzeitig ein Prozess, der an bestimmte öffentliche Vorschriften gebunden ist, d.h. sie erfolgt ausschließlich durch ein gerichtliches Urteil. Der damit verbundene Statuswechsel vom „Verheiratet-“ zum „Geschiedensein“ verursacht für die Betroffenen viele „.Veränderungen im psychischen, sozialen, finanziellen und beruflichen Bereich. Lebensweise, Gewohnheiten, Rollen, Selbstbild ändern sich; die interpersonale Um­welt verhält sich ihnen gegenüber anders“ (Textor 2006b, o.S.). Darüber hinaus gel­ten für sie nun auch andere rechtliche Normen wie beispielsweise das Recht auf ei­ne Wiederheirat oder der Verlust an rechtlicher Verantwortung gegenüber dem Ex­Ehepartner (vgl. Nave-Herz 2004, S.167; Nave-Herz 1990c, S.46).

Dagegen können sich Paare, die ohne eine eheliche Basis in einem gemeinsamen Haushalt leben (nichteheliche Lebensgemeinschaften), jederzeit ohne formelle Fris­ten, Formen, Folgen oder Verpflichtungen trennen, da sie rechtlich keine Verantwor­tung füreinander tragen (vgl. Added Life Value 2008a, o.S.). Entsprechend entfällt ein formeller Statuswechsel in der oben beschriebenen Form. Dadurch erfahren die getrennten Partner zwar keine rechtlichen Veränderungen, jedoch können Verände­rungen in den anderen Bereichen auftreten.

Ferner existieren verheiratete Paare, die sich mehr oder weniger einvernehmlich trennen, die formelle Scheidung aber nie vollziehen. Hier bleiben die ehemaligen Ehepartner ebenfalls von scheidungsspezifischen Formalitäten unberührt, dennoch besteht Klärungsbedarf bezüglich Unterhaltszahlungen, Rentenansprüche, Haus­ratsaufteilung usw. Sind Kinder von der Trennung betroffen, müssen insbesondere Sorgerechtsregelungen vereinbart werden.

Trotz der negativen Assoziationen, die mit einem Trennungs- bzw. Scheidungsge­schehen verbunden sind (z.B. persönliches Scheitern, Sorgen um das Kindeswohl), geht mit der Partnerschaftsauflösung etwas Positives einher. Aus soziologischer Sicht stellt der Trennungs- bzw. Scheidungsakt „.eine „Ventilinstitution“ dar, um un­erträgliche Spannungen in einer Partnerbeziehung, die bis zur gegenseitigen Zerstö­rung beider führen könnten, zu eliminieren“ (Nave-Herz 1990c, S.45). Der Tren­nungsprozess selbst (ob mit oder ohne formelle Ehescheidung) stellt zwar für alle Betroffenen eine große Belastung dar, jedoch äußert NAVE-HERZ, dass auf lange Sicht etwas zurück gewonnen werden könne, was die dauernde Konfrontation bis zur Scheidung genommen hätte, etwa Selbstbewusstsein, Ruhe und Zuversicht (vgl. Nave-Herz 2002, S.106).

Die Auflösung von ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften galt aller­dings nicht immer als konstruktive Möglichkeit, sich aus einer misslungenen Bezie­hung zu lösen oder gar als „.eine weitgehend unbestrittene gesellschaftliche Errun­genschaft“ (Figdor 2003, S.101). Sowohl der Trennungs- bzw. Scheidungsakt als auch das Eheverständnis haben in Deutschland einen Wandel erfahren, und nicht­eheliche Lebensgemeinschaften waren nicht immer als selbstverständliche, alterna­tive Lebensform verbreitet. Erst ein allgemeiner, gesellschaftlicher Einstellungswan­del insbesondere in den 60er und 70er Jahren hat dazu geführt, dass sich Ehe­scheidungen und nichteheliche Lebensgemeinschaften schichtunabhängig verbrei­ten konnten, Geschiedene nicht mehr diskriminiert und betroffene Kinder nicht mehr bemitleidet werden, wenn Eltern sich trennen oder scheiden lassen (vgl. Nave-Herz 2002). Welche Veränderungen genau mit dem sozialen Wandel einhergingen, soll Inhalt des nächsten Abschnitts sein.

2.1 Partnergemeinschaften und ihre Auflösung im Wandel der Zeit

Grundsätzlich gilt für die moderne Ehe der Bundesrepublik das Leitbild der Gleichbe­rechtigung (vgl. Art.3 Abs.2 GG). Die Ehe entstand jedoch zu einer Zeit als noch Un­terordnung die Struktur zwischenmenschlicher Beziehungen prägte; allerdings gelten diese sozialen Verhältnisse heute nicht mehr (vgl. Schwarz-Schilling 2004, o.S.). Damit verbunden hat sich auch der ursprünglich am Mann orientierte Ehecharakter im Laufe der Zeit aufgelöst. Im BGB wurde diese Entwicklung insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar. In der WIKIPEDIA-Darstellung von Ehe werden einige wesentliche Punkte genannt: Beispielsweise ist der Mann nicht mehr im Besitz der alleinigen Entscheidungsmacht über alle Angelegenheiten, die die ehe­liche Lebensgemeinschaft betreffen (z.B. Wohnung und Wohnort). Ebenfalls aufge­geben wurde die Einwilligung des Mannes als Voraussetzung für die Erwerbstätigkeit der Frau sowie das Leitbild der Hausfrauenehe. Die 1998 umgesetzte Gesetzesre­form im Familienrecht (vgl. Baumann 2001, S.119ff.), nach der Eltern nun auch nach einer Ehescheidung die gemeinsame elterliche Sorge behalten und ledigen Vätern ein Umgangsrecht eingeräumt wurde (s. Kap.2.2.2), basiert nicht ausschließlich auf dem Kindeswohl und dem Recht des Kindes auf beide Elternteile, sondern auch auf dem Leitbild der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.

„Hundertausenden »[sic!]« Vätern sind ... elementare Menschenrechte bezüglich ihrer Kinder versagt worden. Nur in kleinen Schritten, teils gegen zähen Widerstand der Bun­desregierung, der Familiengerichtsbarkeit und der Lobby der VäterausgrenzerInnen wur­de, man kann sagen in Millimeterschritten, das Recht in Richtung reale Gleichberechti­gung von Vätern und Müttern verändert, wenngleich die Bundesregierung von der Gleichberechtigung insbesondere nichtverheirateter Väter noch immer Lichtjahre entfernt scheint“ (Väternotruf o.J., o.S.).

Die veränderten Rechte und Pflichten der Ehepartner weisen auf ein verändertes Eheverständnis hin. 1950 sah die Ehe folgendermaßen aus: Die Ehe war die „.öf­fentlich dokumentierte freie Entscheidung in die geschlechtliche Vereinigung der Parteien.“ (Wikipedia: „Ehe“) und wurde als ein lebenslanger Vertrag angesehen, der vorschrieb wie der Umgang mit dem Partner auszusehen hatte. Nur wenn sich ein Partner vertragswidrig verhielt, konnte der andere auf die Auflösung der Ehe be­stehen, vorausgesetzt, die Ehe wurde nicht durch die Ausübung des Geschlechts­akts wiederhergestellt. Ferner erlebte die Ehe ihren Schutz darin, dass Ehebruch strafrechtlich sanktioniert wurde; zivilrechtlich brachte Ehebruch, trotz einer vollzo­genen Scheidung, ein Eheverbot zum Geliebten mit sich. Außerdem wurde derzeit zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern insofern unterschieden, dass aus­schließlich leibliche und eheliche Kinder erbberechtigt waren. Ein unverheirateter Va­ter hingegen war zwar verpflichtet mit finanziellen Mitteln für den Lebensunterhalt der nichtehelichen Nachkommen zu sorgen, allerdings stand ihm weder ein Recht auf Umgang noch ein Besuchsrecht zu (vgl. ebenda).

Verglichen dazu hat sich die Ehe inzwischen dahingehend verändert, dass heute das Verhalten der Ehepartner für den Vollzug und für die Folgen einer Scheidung keine Rolle mehr spielt, solange kein Rechtsbruch im Sinne einer Härtefallscheidung vor­liegt (s. Kap.2.2.1). Außerdem ist Ehebruch kein negativ sanktionierter Straftatbe­stand mehr, und das Eheverbot bezüglich des Ehebrechers wurde aufgehoben. 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Dadurch war die Ehe keine generelle Einwilligung in den Geschlechtsverkehr mehr (vgl. ebenda). Darüber hinaus haben alle Kinder, unabhängig davon ob ehelich geboren oder nicht, das Recht auf beide Elternteile (s. Kap. 2.2.2) und im Erbrecht die gleiche Stellung.

Allerdings hat der Wandel des Eheverständnisses damit noch kein Ende gefunden. Zu erkennen ist diese Tatsache an den Diskussionen über gleichgeschlechtliche Le­bensgemeinschaften. Ursprünglich wurde Ehe generell definiert als ein Bund zwi­schen zwei verschieden geschlechtlichen Personen. Doch in vielen Ländern (z.B. Niederlanden, Spanien, Belgien) ist dies keine Voraussetzung mehr. Das deutsche Recht setzt für die Ehe nach wie vor Verschiedengeschlechtlichkeit voraus. Doch mit dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) am 01. August 2001 hat auch Deutschland die Kenntnisnahme einer vorhandenen Lebensgemeinschaft offenkundig und den ersten Schritt zur Integration einer bestenfalls aus der Distanz tolerierten Gruppe mit Minoritätenstellung gemacht (vgl. Nave-Herz 2002, S.116; Rauchfleisch 1997, S.41ff.). Somit kann angenommen werden, dass nicht nur die Entwicklung des Eheverständnisses weiter voranschreitet, sondern auch die des Familienverständnisses. Denn seit den 90er Jahren genießen die so genannten Re- genbogenfamilien7 auch in der Familienforschung eine besondere Aufmerksamkeit (vgl. Wikipedia: „Regenbogenfamilie“). Gleichgeschlechtliche dürfen zwar nach wie vor nicht in Deutschland heiraten, doch laut dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) wurde ihre Lebensgemeinschaft mit dem LPartG bis auf gering­fügige Unterschiede „.inzwischen völlig an die Ehe angeglichen“ (LSVD 2008, o.S.). Diese Tatsache lässt den Verdacht zu, dass die Einführung des LPartGes le­diglich eine Übergangsregelung darstellt, bis auch homosexuell orientierte Paare in Deutschland den Bund der Ehe eingehen können. Sollte es dazu kommen, wird es sich vermutlich auf das Scheidungsrecht reformierend auswirken und zu weiteren Veränderungen führen, insbesondere bezüglich der Sorgerechtsregelungen.

Ferner hat sich die Ehe insofern verändert, dass sie seit den 70er Jahren nicht mehr das einzig öffentlich anerkannte Partnersystem darstellt. Aufgrund sozialstruktureller Veränderungen, dem Verlust der Ehe an Versorgungsfunktion und dem zugenom­menen Wunsch nach individueller Selbstentfaltung (s. Kap.2.4.1.) haben sich zu der Ehe nichteheliche Lebensgemeinschaften als eigenständiges System platzieren können (vgl. Nave-Herz 2002, S.19). NAVE-HERZ definiert sie als heterosexuelle Partnerschaften in einem gemeinsamen Haushalt, jedoch ohne eine eheliche Basis (vgl. Nave-Herz 2004, S.103). Historisch betrachtet habe es diese Partnerform in un­serem Kulturbereich schon immer gegeben, allerdings in geringem Umfang:

„Sie war nur in bestimmten Schichten (z.B. unter Künstlern und Literaten) verbreitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wählten manche Paare diese Lebensform, damit die der Partnerin zustehende Kriegswitwenrente staatlicherseits nicht gestrichen wurde“ (Nave- Herz 2006, o.S.).

Die nichteheliche Lebensgemeinschaft sei inzwischen zu einem Massenphänomen geworden - nicht nur in Deutschland, sondern fast überall in Europa (vgl. ebenda).

Die sozialen Faktoren, die sowohl den Wandel des Eheverständnisses als auch die quantitative Veränderung von Ehe, Scheidung und nichtehelichen Lebensgemein­schaften angetrieben haben, sollen in den Kapiteln 2.3 und 2.4 behandelt werden.

2.2 Exkurs: Das Scheidungsrecht im Wandel

Das Scheidungsrecht regelt den Ablauf und die rechtlichen Folgen einer Eheschei­dung. Die Scheidungsfolgen wiederum betreffen nicht nur materielle Angelegenhei­ten wie die Aufteilung des Familienvermögens, den Rentenanspruch und den Kinder- und Ehegattenunterhalt, sondern auch die Beziehungen zwischen Kind und Eltern­teilen. Besteht zwischen den ehemaligen Ehepartnern kein Konsens bezüglich der Kinder, regelt ein Familiengericht das Sorge- und Umgangsrecht (vgl. Baumann 2001, S.18).

Allerdings unterliegt auch das Scheidungsrecht dem gesellschaftlichen Wandel. Erst vor kurzem (am 01. Januar 2008) wurde das Unterhaltsrecht an die veränderten ge­sellschaftlichen Verhältnisse angepasst. Ehegatten und Kinder gelten bei Unterhalts­zahlungen nicht mehr als gleichrangig, sondern Kinder stehen seither an erster Stel­le. Gleichzeitig soll damit die nacheheliche Eigenverantwortung gestärkt werden, an­statt auf Kosten des Ex-Partners zu leben (vgl. Bundesministerium der Justiz 2008).

„Angesichts der hohen Scheidungsquote - insbesondere von kurzen Ehen - müssen Ge­schiedene eine zweite Chance haben, eine Familie zu gründen und damit auch zu finan­zieren. Schließlich zeigen die vielen „Patchwork-Familien“, dass sich die Lebenswirk­lichkeit geändert hat“ (ebenda).

Bleibt zu hoffen, dass auch die Arbeitswelt mit dem Wandel geht und insbesondere für Alleinerziehende familienorientierte Arbeitsbedingungen schafft.

2.2.1 Vom Schuldprinzip zum Zerrüttungsprinzip

Das Scheidungsrecht findet seine Regelungen in den §§1564 bis 1587p BGB. Bis zur Scheidungsreform im Jahre 1977 konnte sich nur der Ehepartner scheiden las­sen, der dem anderen ein Verschulden an der Zerstörung der ehelichen Gemein­schaft nachweisen konnte. Der Schuldiggesprochene wurde anschließend entspre­chend rechtlich-materiell benachteiligt und bestraft. Durch die Gesetzesänderung wurde das so genannte Schuldprinzip abgeschafft und durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt (vgl. Väter-Aktuell 2006, o.S.; Baumann 2001, S.23).

Das Schuldprinzip setzte für eine Scheidung eine klare Schuldzuweisung voraus. Da laut NAVE-HERZ eine solche Schuldzuweisung selten einfach war, aber zuweilen ein­fach gehandhabt wurde, sei es keine Seltenheit gewesen, dass aus Unschuldigen Schuldige gemacht wurden, die all die damit verbundenen Konsequenzen zu tragen hatten. Nicht selten habe das Schuldprinzip viele Opfer bis hin zum Suizid ge­führt (vgl. Nave-Herz 2002, S.105). Ferner hätten sich Ehepartner oft gegenseitig in der übelsten Art in aller Öffentlichkeit und vor Gericht denunziert (vgl. Baumann 2001, S.23).

Heute gilt das sachlichere Zerrüttungsprinzip ohne Schuldzuweisung, d.h. eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie als zerrüttet bzw. gescheitert angesehen wird und eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft nicht erwartet werden kann (vgl. §1565 BGB). Das Verschulden am Scheitern der Ehe spielt nur noch in Härte­fallscheidungen eine Rolle (vgl. Baumann 2001, S.24).

Das Scheitern bzw. die Zerrüttung der Ehe wird nach einer bestimmten Zeit des Ge­trenntlebens vermutet. Reichen beide Ehepartner den Scheidungsantrag ein oder stimmt der Antragsgegner zu (einvernehmliche Scheidung), kann die Ehe nach ei­nem Trennungsjahr geschieden werden, da der Tatbestand der Zerrüttung als erfüllt gilt. Beantragt nur ein Ehepartner die Scheidung, kann die Ehe auch gegen den Wil­len des anderen Ehepartners (streitige Scheidung) nach drei Jahren Trennung ge­schieden werden (vgl. §1566 BGB). Mit anderen Worten: Die Ehe ist ein unbefriste­ter Vertrag mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr (wenn der Partner der Schei­dung zustimmt) bzw. drei Jahren (wenn der Partner der Scheidung nicht zustimmt). Ehepartner sind nach dem BGB getrennt lebend, „...wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie er­kennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Die häus­liche Gemeinschaft besteht auch dann nicht mehr, wenn die Ehegatten innerhalb der ehe­lichen Wohnung getrennt leben“ (§1567 BGB).

Die Trennung innerhalb der ehelichen Wohnung bezieht sich dann auf mensa et toro (lateinisch für Tisch und Bett). Einer Scheidung geht demzufolge stets eine Trennung voraus. Es gibt jedoch eine Ausnahme:

„Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, so kann die Ehe nur geschieden wer­den, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde“ (§1565 BGB).

Eine solche Härtefallscheidung setzt eine schwere Eheverfehlung im Sinne eines ehrlosen und unsittlichen Verhaltens des Partners, das zur Zerrüttung der Ehe ge­führt hat, voraus, wie z.B. körperliche Gewalt, seelisches Leid oder Verwahrlosung (vgl. Wikipedia: „Scheidung“). Die Härteregelungen des Scheidungsrechts können folglich dazu führen, dass die Zerrüttung der Ehe nachgewiesen werden kann, ohne dass die Ehepartner die vorgegebene Trennungszeit einhalten müssen.

2.2.2 Die elterliche Sorge

Die elterliche Sorge8, auch Sorgerecht genannt, findet seine Beschreibung in den §§1626 bis 1698b BGB. Unter anderem findet sich dort folgender Inhalt:

„Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elter- liehe Sorge). (...) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbe­wusstem Handeln. (.) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit bei­den Elternteilen“ (§1626 BGB).

Das Sorgerecht umfasst somit nicht nur die Rechte und Pflichten der Eltern bzw. Sorgeberechtigten gegenüber ihren Kindern, sondern auch das Kindeswohl wird als Orientierungspunkt elterlicher Handlungen in den Mittelpunkt gerückt.

Eltern ehelicher Kinder sind beide sorgeberechtigt. Das Gesetz geht davon aus, dass Kinder für ihre gesunde Entwicklung beide Elternteile brauchen - auch nach ei­ner elterlichen Scheidung. Kinder seien in der Lage dieses traumatische Erlebnis leichter zu verarbeiten, wenn ein regelmäßiger Kontakt zu beiden Elternteilen be­steht. Um dies zu unterstützen, „...hat der Gesetzgeber mit Erlass des Kindschafts­reformgesetzes im Jahre 1998 das gemeinsame Sorgerecht beider Elternteile als Regelfall festgelegt“ (Added Life Value 2008b, o.S.). Die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil erfolgt seitdem ausschließlich über einen Antrag. Sieht ein Gericht darin für das Kindeswohl etwas Förderliches und widerspricht ein mindestens 14 Jahre altes Kind nicht9 oder zeigt sich der andere Elternteil mit dem Antrag einverstanden, stimmt es dem zu. Der Vorteil dabei ist, dass bei einer einver­nehmlichen Scheidung (was auf die Mehrheit der Scheidungen zutrifft)10 keine weite­ren gesetzlichen Regelungen notwendig werden. Laut NAVE-HERZ argumentieren Befürworter des gemeinsamen Sorgerechts auch damit, „.dass Elternschaft nicht einfach abgebbar sei und dass die Beziehung zum Kind mit dem aus dem Familien­bereich ausscheidenden Elternteil intensiver bliebe“ (Nave-Herz 2002, S.105). Gleichzeitig erläutert NAVE-HERZ allerdings, dass in der sozialen Realität letztendlich immer noch die Mütter überwiegend allein die Verantwortung und die damit verbun­dene Arbeit für die Kinder tragen würden (vgl. ebenda). Eine Entlastung erfahren diese Mütter durch das gemeinsame Sorgerecht also nicht.

Scheidungsspezifische Probleme und die Sorge um das Kindeswohl haben folglich zu rechtlichen Veränderungen bezüglich der elterlichen Sorge geführt, so dass zu Recht die Aussage getroffen werden kann: Gesellschaftliche Probleme spiegeln sich in der Rechtsprechung wieder. Dieser Sachverhalt lässt sich auch in den veränder­ten Rechten nichtehelicher Väter erkennen. Mit Inkrafttreten des neuen Kindschafts­rechts erhielten ledige Väter ein Recht auf Umgang bezüglich ihrer nichtehelichen Kinder (vgl. Baumann 2001, S.129). Bis dahin fungierten unverheiratete Väter aus­schließlich als Unterhaltszahler. Heute haben sie weitaus mehr Rechte und Pflichten. Ein lediger Vater wird zwar nach wie vor durch die Geburt des Kindes nicht sorgebe­rechtigt, doch ist sein Umgangsrecht unanfechtbar, soweit eine Gefährdung des Kin­deswohls ausgeschlossen werden kann (vgl. §1684 BGB). Somit ist er - genauso wie ein verheiratet, aber getrennt lebender oder geschiedener Elternteil - befugt in diesem Rahmen über die Angelegenheiten des Alltags zu entscheiden, wenn sich das Kind rechtmäßig bei ihm aufhält (vgl. §1687a BGB).

Bei einem Kind mit Eltern ohne Trauschein fällt demnach zunächst der Mutter das al­leinige Sorgerecht zu, es sei denn, der nicht sorgeberechtigte Vater geht mit der Kindesmutter nachträglich den Bund der Ehe ein oder die sorgeberechtigte Mutter willigt in die gemeinsame elterliche Sorge ein (vgl. §1626a BGB). Diese Tatsache sei - so der WIKIPEDIA-Darstellung von elterliche Sorge zu entnehmen - Gegenstand heftiger, rechtspolitischer Auseinandersetzungen. Ferner sei die Regelung des §1626a Abs. 2 BGB noch von der herkömmlichen Vorstellung geprägt, dass Ehe und Familie sich möglichst decken mögen.

„Nichteheliche Kinder entstammen nach diesem Leitbild z. B. einem „Seitensprung“, ei­nem „Ausrutscher“ oder einer „flüchtigen Beziehung“, für dessen „Ergebnis“ sich der Vater nicht interessiert, so dass sich die Frage eines Sorgerechts in solchen Fällen nicht wirklich stellt“ (Wikipedia: „Elterliche Sorge“).

Andernfalls „...erfolgt, um der kompromittierenden Situation zu entgehen, eine Hei­rat, durch die auch der Vater am Sorgerecht beteiligt wird“ (ebenda). Davon abwei­chende Fälle seien, durch die Zustimmung der Kindesmutter in die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater oder in das gemeinsame Sorgerecht, abgedeckt.

Diese Idee, ledigen Müttern die volle Entscheidungsmacht bezüglich des Sorge­rechts zu geben11, kann jedoch angesichts der gegenwärtig herrschenden sozialen Realität kaum als zeitgemäß betrachtet werden. Gänzlich unabhängig vom Kinder­wunsch binden sich heutzutage viele Paare bewusst ohne Trauschein. Deshalb kann nicht pauschal angenommen werden, dass bei der Geburt eines gemeinsamen Kin­des, die wenigsten Väter Interesse am gemeinsamen Sorgerecht haben. Ganz im Gegenteil, NAVE-HERZ spricht davon, dass sich immer mehr Väter um die Übertra­gung des Sorgerechts bemühen würden (vgl. Nave-Herz 2002, S.108). Bestätigende Untersuchungsergebnisse von NAVE-HERZ zur eigenen Theorie einer „kindorientier­ten Ehegründung“, nach der Eheschließungen überwiegend wegen Schwanger­schaft, Kinderwunsch oder wegen vorhandener Kinder vollzogen werden (vgl. a.a.O., S.18f.), weisen darauf hin, dass Eltern (also auch Väter) für sich und ihre Kinder ei­nen rechtlich sicheren Hafen schaffen wollen. Denn sollte sich eine nichteheliche Lebensgemeinschaft auflösen, ohne dass eine gemeinsame Sorgeerklärung erfolgt ist, kann ein leiblicher aber lediger Vater völlig chancenlos im Kampf um das Sorge­recht stehen.

Das Bundesverfassungsgericht hält diese Regelung, trotz großer Kritiken, immer noch für gerechtfertigt:

„Trotz entgegenstehender Einzelfälle könne der Gesetzgeber in der heutigen Zeit noch nicht davon ausgehen, dass nichteheliche Kinder in eine eheähnliche Situation hineinge­boren werden oder eine hinreichende Fürsorge mit dem Ziel des seelischen und leiblichen Wohls garantiert werden könne. Vielmehr müsse auch von dem wohl noch häufiger auf­tretenden Fall ausgegangen werden, dass der Kindesvater sich nicht für sein Kind interes­siere“ (Wikipedia: „Elterliche Sorge“).

Aber vielleicht ist es letztendlich diese Regelung, die die traditionelle Familienform weiterhin als die quantitativ dominanteste Familienform bestehen lässt: „Bezogen auf alle Familienformen mit Kindern unter 18 Jahren sind 82% Eltern-Familien mit forma­ler Eheschließung“12 (vgl. Nave-Herz 2002, S.23). Bezogen auf alle minderjährigen Kinder leben laut NAVE-HERZ in Deutschland etwa 86% mit ihren leiblichen Elterntei­len zusammen. Neun von zehn dieser Eltern seien miteinander verheiratet (vgl. a.a.O., S.24), d.h. etwa 77,4% aller minderjährigen Kinder leben mit ihren leiblichen Eltern in einer ehelichen Lebensgemeinschaft zusammen.13 Lediglich 8,6% aller Kin­der haben zu Hause eine sorgeberechtigte Mutter und einen nicht sorgeberechtigten Vater sofern kein Antrag auf gemeinsame elterliche Sorge gestellt und genehmigt wurde.14

2.3 Daten und Fakten zur Trennungs- bzw. Scheidungsentwicklung

Seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt es statistische Zahlen zu gerichtlich erfolgten Eheauflösungen (vgl. Nave-Herz 1990b, S.13). Sowohl in der Fachliteratur als auch in öffentlichen Diskussionen wird immer wieder die dramatische Zunahme der Scheidungshäufigkeit insbesondere seit den 70er Jahren (s. Abbildung 1) betont. Hinzu kommt die Anzahl der Paare, die eine nichteheliche Lebensgemeinschaft auf­lösen. Allerdings gibt es laut WALPER & SCHWARZ zu dieser Partnerschaftsform keine verlässlichen Statistiken, die Aufschluss über Trennungen und den Anteil oder die Zahl der hiervon betroffenen Kinder geben (vgl. Walper & Schwarz 2002, S.9). Ein wesentlicher Grund hierfür liegt vermutlich darin, dass (im Gegensatz zu einer Ehe) die Gründung als auch die Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht mit formellen Schritten verbunden ist, wodurch die statistische Erfassung erschwert wird. Ferner ist bei Umfragen des Statistischen Bundesamtes die Frage nach einer Lebenspartnerschaft zur Haushaltsbezugsperson freiwillig zu beantworten (vgl. Destatis 2004, o.S.). Deswegen können nichteheliche und gleichgeschlechtliche Le­bensgemeinschaften nicht getrennt erfasst werden. Hinzu bleibt oft unklar, ob nicht­eheliche Lebensgemeinschaften intimer Natur sind oder im Sinne einer Wohnge­meinschaft bestehen. MÜLLER bestätigt, dass nichteheliche Lebensgemeinschaften bisher nur wenig untersucht worden wären. Dies beziehe sich nicht nur auf das Trennungsverhalten, sondern auch auf Partnerschaftsentscheidungen (vgl. Müller 2006, S.1). Daher soll im Folgenden zunächst ausschließlich die Entwicklung der Scheidungsrate behandelt werden.

Statistiker unterscheiden zur Erfassung der Familienstände in der Bevölkerung fol­gende Arten der Eheauflösung: die gerichtliche Ehescheidung, die gerichtliche Ent­scheidung auf Aufhebung der Ehe15 und der Tod des Partners (vgl. Emmerling 2007, S.159f.). Für die vorliegende Arbeit genügt jedoch eine Darstellung der gerichtlichen Ehescheidungen.

Abbildung 1: Anteil der Ehescheidungen an allen Eheauflösungen in Deutschland 1950 - 2005

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

15 Bis zum 01. Juli 1998 wurde noch zwischen der Aufhebung und der Nichtigkeitserklärung unterschieden. Seitdem gibt es nur noch die gerichtliche Entscheidung auf Aufhebung der Ehe (vgl. Emmerling 2007, S.160).

Abbildung 1 zeigt deutlich, dass die Entwicklung der Scheidungsrate in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts tendenziell steigend war - wenn auch nicht ganz gradlinig: Nach Kriegsende waren die Scheidungsziffern aufgrund vieler erfolgloser Versuche der Reintegration von Kriegsheimkehrern in den Familienalltag zunächst sehr hoch. 1950 ermittelte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden 84.740 Ehe­scheidungen im früheren Bundesgebiet. In den 50er Jahren nahm die Scheidungs­quote wieder kontinuierlich ab, so dass zehn Jahre später (zur Blütezeit der bürgerli­chen Kleinfamilie) in den alten Bundesländern nur noch 48.878 (-42,33%) Eheschei­dungen zu verzeichnen waren (vgl. Destatis 2008a, o.S.).

In den 60ern stiegen die Scheidungsziffern erneut an und erlitten in der zweiten Hälf­te der 70er Jahre nur deswegen einen Einbruch, weil 1977 die Eherechtsreform in Kraft trat, in dem das Schuldprinzip des Scheidungsrechts vom Zerrüttungsprinzip abgelöst wurde (s. Kap. 2.2.1). Abbildung 1 zeigt den zweiten Einbruch Anfang der 90er Jahre, den Statistiker mit der Wiedervereinigung Deutschlands erklären.

„Nach der Wiedervereinigung kam es zu einem drastischen Rückgang der Scheidungs­zahlen. Dieser wurde zum Teil durch die Übernahme des bundesdeutschen Eherechts verursacht, das schnellen Scheidungen entgegenwirkt“ (Engstler 1997, S. 75f.).

Die Wiedervereinigung habe aufgrund der krisenhaften Begleitumstände das Fest­halten an der Ehe begünstigt, die dadurch wieder einen größeren Stellenwert für die soziale Absicherung und die Alltagsbewältigung bekommen hätte (vgl. a.a.O., S.76). Dadurch kam es zu einer drastischen Abnahme der Scheidungshäufigkeit. Anschlie­ßend setzte sich der Anstieg der Scheidungsrate fast durchgehend fort. 2003 er­reichte die Scheidungszahl einen Rekordwert: 213.975 Ehen endeten vor dem Scheidungsrichter (vgl. Destatis 2007a, o.S.). Die Entwicklung wird aus folgender Perspektive deutlicher: während 1965 von 100 bestehenden Ehen 12 geschieden wurden, waren es 2003 bereits 42 von 100 Ehen (vgl. Leibnitz-Rechenzentrum o.J., S.11).

2004 ging die Zahl mit 213.691 Scheidungen zwar nur um 0,14% zurück, doch wur­den im darauf folgenden Jahr laut dem Statistischen Bundesamt mit 201.693 Ehe­scheidungen schon 5,6% weniger Ehen geschieden. 2006 wurde ein weiterer Rück­gang um 5,3% (190.928 Scheidungen) zum Vorjahr registriert (vgl. ebenda). Ob dies der Trend für die nächsten Jahre oder nur eine vorübergehende Erscheinung sein wird, lässt sich zurzeit noch nicht sagen.

Laut einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) warnen Statistiker vor voreiligen Schlüssen. Diese Zahlen mögen erfreulich erscheinen, jedoch sei die Be­trachtung der Zahl der Scheidungen vor dem Hintergrund der Eheschließungen in den vergangenen letzten 15 Jahren, ernüchternd (s. Abbildung 2): „Von 1990 bis 2005 sank die Zahl der Eheschließungen kontinuierlich“ (FAZ 2006, o.S.). Laut dem zitierten Artikel spricht das Statistische Bundesamt die Vermutung aus, dass die rückläufige Zahl der Ehescheidungen „.auf das geringere Potential möglicherweise zu beendender Ehen zurückzuführen sei“ (ebenda). Erst wenn dieser Trend weiter anhalten würde, müssten andere Erklärungen herangezogen werden.

Eine statistische Gegenüberstellung von Eheschließungen und Ehescheidungen soll die ausgesprochene Vermutung des Statistischen Bundesamtes überprüfen.

Abbildung 2: Eheschließungen und Ehescheidungen 1990 - 2006

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Zusammengestellt aus den Angaben des Statistischen Bundesamtes

Abbildung 2 zeigt, dass die Trendlinie der Eheschließungen (rot) und die Trendlinie der Ehescheidungen (blau) bisher zueinander verlaufen, obwohl seit 2004 ein quanti­tativer Rückgang der Ehescheidungen zu erkennen ist. Demnach nehmen die Ehe­schließungen ab, während die Ehescheidungen tendenziell zunehmen.

Abbildung 3: Ehedauerspezifische Scheidungsziffern 2006

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Abbildung 3 ist zu entnehmen, dass gerichtliche Ehescheidungen selten in den ersten Ehejahren erfolgen, sondern häufig im sechsten Ehejahr vollzogen werden. Dementsprechend wäre ein Absinken der Ehescheidungszahlen nicht gleichzeitig mit dem Rückgang der Eheschließungszahlen zu erwarten, sondern zeitverzögert. Folg­lich wird der Anteil der geschiedenen Ehen - aller im Jahre 2008 geschlossenen Ehen - voraussichtlich erst im Jahre 2013 statistisch sichtbar werden. Daher ist es durchaus denkbar, dass die kontinuierlich sinkende Heiratsziffer nun einen Punkt er­reicht hat, der sich auch in den Scheidungsziffern bemerkbar macht (und zwar seit 2004). Somit wäre die geäußerte Vermutung des Statistischen Bundesamtes, die rückläufige Zahl der Ehescheidungen könnten auf das geringe Potential zu been­dender Ehen zurückzuführen sein, nicht auszuschließen, sollte sich der Trend der sinkenden Scheidungsrate weiter fortsetzen.

Abschließend sei noch ein Hinweis zu Abbildung 1 gegeben: Wird der tiefste Punkt der Rate (zweite Hälfte der 50er Jahre) mit dem höchsten Punkt (2003) verglichen, so ist deutlich zu erkennen, dass sich in dem Zeitraum von weniger als 50 Jahren die Scheidungshäufigkeit mehr als verdoppelt hat (von knapp 16% auf ca. 39%), was in der Tat als eine dramatische Entwicklung bezeichnet werden kann. Andererseits zeigt Abbildung 1 nur einen Vergleich quantitativer Verteilungen. Der Anstieg der Scheidungsrate bedeutet nicht zwangsläufig, dass es gegenwärtig mehr konfliktrei­che Ehen gibt als beispielsweise vor 100 Jahren. Es stellt sich lediglich die Frage, ob nicht schon in der vorindustriellen Zeit oder zu Zeiten der bürgerlichen Kleinfamilie um 1960 ähnlich viele Ehen konfliktbehaftet waren - mit dem Unterschied, dass im Zuge gesamtgesellschaftlicher Veränderungen und individueller Selbstentfaltungs­bestrebungen das formelle Scheidungsverfahren an sich häufiger in Anspruch ge­nommen wird als in der Vergangenheit.

„Aus diesem Grund ist ... die in der Literatur anzutreffende Behauptung, dass die stei­gende Scheidungsquote ein Symptom für die heutige höhere Krisenhaftigkeit der Ehe sei, mit Vorsicht zu behandeln“ (Scheller 1992, S.19).

Nun stellt sich die Frage, inwiefern sich die dargestellte Entwicklung der Scheidungs­rate auf die Trennungsrate nichtehelicher Lebensgemeinschaften übertragen lässt. Sicherlich können Krisenzeiten ebenso nichteheliche Partnerschaften stärken bzw. für einen größeren Zusammenhalt sorgen und auf diese Weise einer steigenden Trennungsrate entgegenwirken. Doch weisen Ehen und nichteheliche Lebensge­meinschaften zu große Unterschiede auf, als dass die Annahme einer ähnlich ver­laufenden Entwicklung beider Raten nahe liegen könnte. Nur einige wesentliche Punkte sollen an dieser Stelle erwähnt werden.

Laut einem Beitrag von NAVE-HERZ zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften gilt (im Gegensatz zu verheirateten Paaren) für eine weit überwiegende Mehrheit der nicht­ehelichen Lebensgemeinschaften Kinderlosigkeit und eine berufliche oder schulische Tätigkeit beider Partner (vgl. Nave-Herz 2006, o.S.). Beide Tatsachen bergen ein er­höhtes Trennungsrisiko in sich (s. Kap. 2.4.1 und Kap. 2.4.2). Ferner würde eine nichteheliche Lebensgemeinschaft zumeist nicht mit der Absicht eingegangen wer­den, eine Dauerbeziehung zu begründen, wenn diese auch hieraus entstehen kön­ne. Außerdem fehle es an einer Zeremonie, wie sie mit der Eheschließung verbun­den ist (vgl. ebenda). Das heißt sämtliche Rituale (z.B. Hochzeitstage), die eine dau­erhaft angelegte Beziehung öffentlich bekunden würden, sind nicht vorhanden.

„Rituale dürfen für die Verfestigung von Beziehungen insofern nicht unterschätzt wer­den, da ihr Sinn gerade auch darin liegt, dem neuen System innerhalb des gesamten Sozi­alsystems seine Position zuzuweisen und damit Grenzen symbolisch neu zu ziehen. (...) Das Zusammenziehen ist lediglich eine Konsequenz der bisherigen Beziehung; Abspra­chen über zukünftige Gestaltung der Partnerschaften werden nur vage und selten getrof­fen“ (ebenda).

Tatsächlich weisen nicht verheiratete, aber zusammenlebende Paare ein erhöhtes Maß an Trennungsrisiko auf als verheiratete Paare:

„Nach 6 Jahren ist die Hälfte der Nichtehelichen Lebensgemeinschaften wieder gelöst ... Dagegen endet (nur) jede 3. Ehe in der Bundesrepublik durch Scheidung. (...) Eine über 10 Jahre dauernde Nichteheliche Lebensgemeinschaft ist sehr selten anzutreffen“ (eben­da).

NAVE-HERZ erklärt das höhere Trennungsrisiko mit der Annahme, dass Paare aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften eine weniger traditionelle Einstellung zur Ehe haben könnten als Paare, die sich für eine Ehe entscheiden. Damit würden sie gleichzeitig den Institutionscharakter von Ehen stärker betonen, der eine Auflösung psychisch erschwert (vgl. ebenda).

Aufgrund dieser Unterschiede zwischen Ehen und nichtehelichen Lebensgemein­schaften lässt sich die Entwicklung der Scheidungsrate nicht ohne weiteres auf die Trennungsrate übertragen. Fakt ist, dass unverheiratete Paare ein höheres Tren­nungsrisiko aufweisen als Ehepaare. Welche gesellschaftlichen Faktoren dieses Ri­siko bedingen bzw. die Scheidungsrate ansteigen lassen, werden im Folgenden er­läutert.

2.4 Ursachen für den Scheidungsanstieg bzw. für das Trennungsrisiko nicht­ehelicher Lebensgemeinschaften

Seitdem die Zunahme der Scheidungshäufigkeit statistisch sichtbar wurde, beschäf­tigt sich die Forschung mit der Frage nach den Ursachen (vgl. Nave-Herz 1990a, S.9). Eine Durchsicht der Fachliteratur zeigt den gestiegenen Anspruch an die Ehe bzw. an die Qualität der Partnerbeziehung (Forderungen nach Kommunikation, Zu­sammenhalt, Verständnis, Achtung bzw. Respekt usw.) als eine häufig genannte und betonte Ursache des Scheidungsanstiegs. Zurückzuführen ist der Anspruchsanstieg auf sozialstrukturelle Veränderungen und veränderte Normen und Wertvorstellungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Der institutionelle Charakter der Ehe (Schutz- und Ordnungsfunktion) ist im Verlauf der Zeit in den Hintergrund gerückt. Stattdessen traten die emotionale Beziehungsebene sowie subjektive Empfindungen in den Vordergrund, so dass mehr Potential für Frust und Enttäuschungen hinsicht­lich des Partners entstanden ist, die „.die Auflösung der Ehe begünstigen, da keine weiteren wesentlichen Funktionen der Ehe die aufgetretene Deprivation kompensie­ren können“ (Nave-Herz 2002, S.125). Die Zunahme der Scheidungsziffern sei je­doch kein Zeichen für einen Bedeutungsverlust oder die Sinnlosigkeit von Ehe, son­dern - so NAVE-HERZ - gerade weil der Mensch der Ehe heute eine weitaus größere psychische Bedeutung zuschreiben würde, würden Scheidungen zunehmen. Denn wenn eine moderne Ehe konfliktbehaftet ist, sei sie unerträglicher und frustrierender als in der Vergangenheit als die Ehe bzw. Familie noch ausschließlich einen ökono- misch-utilitaristischen15 Charakter hatte. Ehen würden dadurch heute eher geschie­den in der Hoffnung auf eine neue und bessere Partnerschaft (vgl. Nave-Herz 2002, S.124f.; Scheller 1992, S.12).

Der gestiegene Anspruch an die Beziehungsqualität trifft ebenso auf Paare aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu. Da gerade in dieser Partnerschaftsform ein Mangel an gesellschaftlichen und ökonomischen Sinnzuschreibungen herrscht, findet sich insbesondere in nichtehelichen Lebensgemeinschaften eine emotionale Partnerorientierung. Somit finden Unzufriedenheit und Enttäuschungen hier ebenfalls einen Nährboden, die eine Trennung begünstigen. Allerdings war es die Verbreitung dieser Lebensform, die einen großen Beitrag zu einer veränderten Sinnzuschreibung der Ehe und zu einem veränderten Phasenablauf bis zur Ehegründung geleistet hat. Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen wie die ökonomische Wohlstandsteige­rung, längere Ausbildungszeiten oder der allgemeine Wertewandel konnten sich nichteheliche Lebensgemeinschaften seit den 70er Jahren gerade bei jungen Men­schen als „voreheliches Zusammenleben“ an großer Beliebtheit erfreuen. Dadurch schob sich das durchschnittliche Heiratsalter nach hinten, die Ledigenquote nahm zu und die Heirats- und Geburtenziffern ab, da sich mit dieser Entwicklung auch die Familiengründung im Lebenslauf eines Menschen zeitlich nach hinten verschob. Die Loslösung von der Herkunftsfamilie erfolgt somit nicht mehr zeitgleich mit dem Gang zum Altar zur Sicherung des ökonomischen und sozialen Status sowie der Nach­kommenschaft. Stattdessen haben sich neben nichtehelichen Lebensgemeinschaf­ten weitere, zur traditionellen Familie alternative Lebensformen wie Single­Haushalte, Wohngemeinschaften und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften herausgebildet. Die Zunahme von Ehescheidungen ließ Ein-Eltern-Familien, Wieder­verheiratungen, Stief- und Regenbogenfamilien ebenso quantitativ ansteigen. Mit der Verbreitung dieser Lebensformen nahm auch die gesellschaftliche Akzeptanz zu - genauso gegenüber vorehelicher, sexueller Beziehungen (vgl. Nave-Herz 2002, S.18f.; Vaskovics et al. 1997, S.15). Mit dieser Entwicklung verlor auch die Ehe an institutionellen Charakter.

„Dieser Wandel in der subjektiven Sinnzuschreibung der Ehe ist in Zusammenhang zu sehen mit gesamtgesellschaftlichen ökonomischen und normativen Veränderungen, vor allem im Hinblick auf den allgemeinen Wertewandel, nämlich von Pflicht- und Akzep­tanzwertorientierungen zu Selbstwertorientierungen“ (Nave-Herz 2002, S.125).

Was mit gesamtgesellschaftlichen Veränderungen gemeint ist und in welchem Zu­sammenhang sie mit den Scheidungsziffern bzw. dem Trennungsrisiko stehen, wird in den nächsten Abschnitten erläutert.

2.4.1 Der Prozess der Modernisierung

„Da der statistische Trend der Ehescheidungsquoten zeitlich parallel zum allgemeinen Modernisierungsprozess verläuft, könnte die statistische Zunahme an Ehescheidungen Folge dieses Modernisierungsprozesses sein“ (Nave-Herz 1990c, S.36).

Mit dieser These beschäftigt sich die „Theorie der Modernität“. Doch laut NAVE-HERZ besteht diese Theorie nur aus unverbundenen Theoriestücken. Denn schon allein der Begriff „Modernität“ würde von verschiedenen Autoren unterschiedlich definiert und für unterschiedliche Zeiträume genutzt werden, was die Aufstellung einer allge­mein anerkannten Modernisierungstheorie erschweren würde. Allerdings herrsche in der Fachliteratur Konsens darüber, was allgemein anerkannte Merkmale des Moder­nisierungsprozesses seien: Optionssteigerung, Individualisierung des Lebenslaufs, Erleichterung der Revisionsmöglichkeit von individuellen Entscheidungen (vgl. Nave- Herz 1990c, S.36f.).

Zusammenhängend beschreiben diese Begriffe als Ergebnis des sozialen Wandels, den Übergang von der traditionellen Gemeinschaftsform hin zur modernen individua­lisierten Industriegesellschaft und den damit verbundenen Wandel gesellschaftlicher und individueller Normen und Wertvorstellungen.

Im Zuge der Industrialisierung, die in Deutschland im 19. Jahrhundert einsetzte, er­fuhr die Gesellschaft als System eine „Modernisierung“ ihrer Strukturen in sämtlichen Bereichen: die Steigerung des ökonomischen Wohlstands, die wachsende geogra­phische Mobilität, die Einführung des sozialstaatlichen Absicherungssystems, ein verändertes Bildungssystem usw. Die Industrialisierung sorgte durch die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte für die Auflösung der ständischen Agrargesellschaft und für einen starken Zuwachs der urbanen Zentren. Damit zerfielen die dörflichen Gemeinschaften, und Großfamilien gingen quantitativ zurück, was die Abnahme tra­ditioneller Bindungen zur Folge hatte. Sippen und Kirchen gaben Aufgaben und Funktionen an spezialisierte Sozialgebilde ab. Beispielsweise übernahmen techni­sierte Betriebe die Produktion (was die Selbstversorgung ablöste), Schulen konzent­rierten sich auf Erziehung, Einrichtungen der Versicherung, Versorgung und Fürsor­ge fokussierten die soziale Sicherheit des einzelnen, Vereine sorgten für Freizeitges­taltungsmöglichkeiten usw. (vgl. Neidhardt 1975, S.28ff.).

So erfuhr auch das Familiensystem strukturelle Veränderungen und entwickelte sich von der Großfamilie hin zur bürgerlichen Kleinfamilie. Der Mensch, der bis in die 60er Jahre überwiegend in sozialen und familiären Traditionen und Verbindlichkeiten eingebettet war, erfuhr nun mit deren Auflösung den Übergang von der Fremd- zur Selbstbestimmung - vor allem die Frau (s. Kap.2.4.2). Damit war der Individualisie­rungsprozess im vollen Gange. Mit dem Trend zur Selbstbestimmung nahm die so­ziale Akzeptanz gegenüber bestimmter individueller Handlungen und Entscheidun­gen zu16 und die negative Sanktionierung ab. Das führte zu einem Normen- bzw. Wertewandel und zu einem größeren Handlungsspielraum des Menschen. Daraus resultierten Handlungsoptionen und Rollenfreisetzungen; sowohl die Entwicklung des Konzepts der romantischen Liebe als auch eine größere Entscheidungsfreiheit im Leben eines Individuums entstanden und dadurch auch die Möglichkeit der indivi­duellen Gestaltung der eigenen Biographie. Die Familie verlor an Bestimmungs­macht bezüglich Partner- und Berufswahl der Nachkommen, und die Wahlmöglich­keit zwischen verschiedenen Lebens- und Familienformen entstand. Doch reichte die neu erworbene Entscheidungsfreiheit noch weit über die freie Gestaltung des indivi­duellen Lebenslaufs hinaus; die veränderten Normen und Werte bzw. die Auflösung traditioneller und fester Verbindlichkeiten erlaubte nun auch eine einfachere Revision längst gefällter Entscheidungen - wie die Entscheidung für die Ehe und erst recht die Entscheidung für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Die Folge ist der in Kapitel

2.3 beschriebene Anstieg der Scheidungsrate und ein hohes Trennungsrisiko unver­heirateter Paare (vgl. Nave-Herz 2002, S.13f.; Müller 2006, S.15f.).

Doch nicht nur der Entschluss für eine (eheliche) Partnerschaft ist revidierbar gewor­den, sondern auch die Trennung selbst, d.h. eine Trennungsentscheidung muss nicht zwangsläufig zu einer Auflösung der (nicht)ehelichen Lebensgemeinschaft füh­ren. HAUSER ist der Frage nachgegangen, ob der Prozess „zunächst Trennung, dann Scheidung“ linear verläuft oder „...ob er im Zuge des Modernisierungsprozesses mit der zugenommenen Revision vornehmlich wellenförmig verläuft“ (Hauser 1990, S.112). Dabei fand sie heraus, dass Ehen ohne Kinder nicht nur am scheidungsan­fälligsten sind, kinderlose Paare würden außerdem ihren Trennungsentschluss viel eher revidieren. Anders formuliert: Ehen von Eltern wären stabiler, allerdings würden diese Paare seltener die Entscheidung zur Trennung revidieren (vgl. a.a.O., S.113).

Ein Grund für die häufigere Revision eines Trennungsentschlusses bei kinderlosen Ehepaaren liegt vermutlich darin, dass sie auf niemanden, außer auf sich, Rücksicht nehmen müssen. Dagegen würden Eltern mit mehrmaligen Trennungsversuchen den Nachwuchs unnötigen Belastungen aussetzen. Deswegen kann davon ausge­gangen werden, dass ein Trennungsentschluss bei Eltern besser bedacht ist als bei kinderlosen Ehepaaren.

HAUSER äußert sich zwar nicht explizit zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften, doch kann davon ausgegangen werden, dass Kinder bei Eltern ohne Trauschein den gleichen Effekt haben, so dass bei den wenigen nichtehelichen Lebensgemeinschaf­ten mit Kindern17 ein Trennungsentschluss ebenso wohl überlegt ist und eine Revisi­on der Entscheidung seltener vorkommt als bei nicht verheirateten, kinderlosen Paa­ren.

2.4.2 Das veränderte Rollenverständnis der Frau

Der Prozess der Industrialisierung stellte hohe Ansprüche an die Anpassungsfähig­keit der Menschen. Aufgrund von sozialen Differenzierungen und Spezifizierungen entstanden neue Arbeitsfelder, so dass die Bürger in der Maximierung ihrer Fähig­keiten die Möglichkeit sahen, einen bestimmten sozialen Status zu erreichen (vgl. Neidhardt 1975, S.31). Damit wurde gleichzeitig der Prozess der Individualisierung ins Rollen gebracht. Die Selbstwertorientierung bzw. Selbstentfaltung rückte in den Mittelpunkt der Lebensgestaltung und übertrug sich mit der Zeit auch auf die Frau. NAVE-HERZ weist auf die gern betonte Tatsache hin, dass aus historischer Sicht, die entstandene Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen biographischen Verläufen - vor allem für die Frau ein neuartiges Phänomen darstellt (vgl. Nave-Herz 1990c, S.36). Der Individualisierungsprozess brachte der Frau zudem erstmals die Möglich­keit, eigene Wünsche und (Rollen-)Ansprüche zu äußern sowie Entscheidungsspiel­räume und alternative Lebensgestaltungsmöglichkeiten zu nutzen: Zu Zeiten des Bürgertums hatte sich die Frau dem Mann unterzuordnen, was für klar definierte Rol­len sorgte (die Frau war für hauswirtschaftliche Tätigkeiten und die Kinder zuständig, der Mann für die ökonomische Absicherung der Familie) und Meinungsverschieden­heiten vermied. Heute fehlt es an klaren Rollenzuschreibungen. Stattdessen ist die Meinung der Frau der des Mannes gleichwertig, was das Konfliktpotential innerhalb der Zweierbeziehung erhöht.

Die „moderne“ Rolle erlaubt seitdem der Frau die Teilnahme am Bildungssystem, maximiert so ihre Fähigkeiten und ermöglicht ihr damit (unabhängig von einer Mut­terschaft) die Eingliederung in die Arbeitswelt. Dadurch verlor die Hausfrauen- bzw. Mutterrolle für die Zufriedenheit der Frau an Exklusivität. Zu dem Wunsch der Frauen sich selbst zu verwirklichen, kamen weitere Faktoren wie die Liberalisierung der Se­xualität, die Erfindung der Antibaby-Pille, das soziale Auffangnetz sowie die Verbrei­tung alternativer Partnerschafts- und Familienformen hinzu, die die Unabhängigkeit der Frau zusätzlich förderten. Gleichzeitig hatte diese Entwicklung jedoch negative Auswirkungen auf die eheliche Lebensgemeinschaft, da es seitdem für die erwerbs­tätige Frau keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr gibt, in einer unbefriedigenden Beziehung zu bleiben. Mit dem Prozess der Industrialisierung, Individualisierung und dem veränderten Rollenverständnis der Frau kam es zu einer De-Institutionalisierung von Ehe und Familie18 und damit zum Vorstoß nichtehelicher Lebensgemeinschaften und Ehescheidungen; d.h. in der vorindustriellen Zeit wurde nicht (wie heutzutage) aus Liebe geheiratet, sondern primär um den gemeinsamen Lebensunterhalt zu er­wirtschaften und um Nachkommen zu zeugen. Gleichzeitig haben externe Barrie- ren19 zum Erhalt der Ehestabilität beigetragen. Aufgrund der sozialstrukturellen Ver­änderungen und der ökonomischen Unabhängigkeit der Frau, ist heute weder der Lebensunterhalt noch die Nachkommenschaft an die Ehe gekoppelt. Somit hat eine Heirat bzw. Ehe in der Biographie der Frau an Notwendigkeit verloren. Der Verzicht auf Ehe und/oder Familie und die Revision von Eheentscheidungen sind die Folgen (vgl. Nave-Herz 2002).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gegenwärtig Eheschließungen und Fami­liengründungen zugunsten der Bildung und Arbeit aufgeschoben werden; schlimms­tenfalls bis es „zu spät“ ist und Paare letztendlich unverheiratet und/oder kinderlos bleiben. Denn gerade Kleinkinder brauchen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Versorgung20, was wiederum für Frauen, insbesondere mit hohem Bildungsniveau mit hohen Opportunitätskosten, wie den Verlust an Humankapital (bei einer Erzie­hungspause) oder einer Doppelbelastung (durch Arbeit und Familie), verbunden ist. Die Erwerbstätigkeit der Frau ist folglich mit der Familiengründung in Konkurrenz ge­treten und zum festen Bestandteil der weiblichen Lebensgestaltung geworden. Mit der Zunahme der Unabhängigkeit erwerbstätiger Frauen ist gleichzeitig auch die weibliche Hemmschwelle, aus der Ehe auszusteigen, gesunken.21 Soziodemogra­phische Daten bestätigen, dass Ehen berufstätiger Frauen scheidungsanfälliger sind als Hausfrauenehen (vgl. Nave-Herz 2002, S.123). Ferner macht HAUSERs Erkennt­nis, dass eher Frauen die Initiative zur ersten räumlichen Trennung ergreifen (vgl. Hauser 1990, S.114), die weibliche Unabhängigkeit und das veränderte Rollenver­ständnis deutlich.

Das veränderte Rollenverständnis der Frau hat zu vielen Vorwürfen und Diskussio­nen bezüglich Ehestabilität, Kindeswohl und des sozialen Stellenwerts der Familie geführt. Selbst die Forderung nach Kinderkrippen sei den kleinen Kindern, als die schwächste und wehrloseste Minderheit in der Gesellschaft, gegenüber verantwor­tungslos - so Pechstein, der von Nave-Herz zitiert wird. Nave-Herz hält jedoch wenig später dagegen, dass inzwischen zahlreiche Untersuchungen vorliegen wür­den, nach denen die pauschale Abwertung gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müt­tern als auch gegenüber der institutionellen Kleinkindbetreuung, nicht haltbar seien (vgl. Nave-Herz 2002, S.43ff.).

Da eine vollständige „Entrechtlichung“ der Frauen zur Erhaltung der Kleinfamilie au­ßer Frage steht (vgl. Müller 2006, S.16f.), gilt es im zuge des Modernisierungspro­zesses entsprechende familienpolitische Maßnahmen zu ergreifen, die Frauen die Doppelbelastung nehmen und den zweigleisigen Weg über Familie und Arbeit attrak­tiver machen. Nur so kann die Gesellschaft zu einer Stärkung und Erhaltung der Stabilität in Ehen, Partnerschaften und Familien sowie zu einem geringeren Anstieg der Scheidungsrate und des Trennungsrisikos beitragen.

2.4.3 Soziodemographische Einflüsse

Scheidungen werden häufig in zusammenhang mit bestimmten soziodemographi­schen Merkmalen untersucht. vor allem in Deutschland wurden demographische Analysen durchgeführt, um trennungs- bzw. scheidungsfördernde Bedingungen zu identifizieren. Untersucht werden insbesondere Faktoren wie Heiratsalter, Ehedauer, Haushaltsgröße, Kinderzahl, Konfession, Schichtzugehörigkeit, Bildungsgrad, Fami­lienstand, Frauenerwerbstätigkeit, Wohnort und Wohneigentum (vgl. Nave-Herz 2002, S.122f.). Die Untersuchungen konzentrieren sich jedoch ausschließlich auf die Trennungswahrscheinlichkeit verheirateter Paare und nicht auf die der nichteheli­chen Lebensgemeinschaften. Da sich die statistische Erfassung von Ehescheidun­gen aufgrund ihrer formalisierten Durchführung einfacher gestalten lässt, werden diese Daten vorzugsweise in zusammenhang mit soziodemographischen Daten un­tersucht. Trotzdem erlauben die Forschungsergebnisse (unter Berücksichtigung be­stimmter Merkmale)22 Rückschlüsse auf die Trennungswahrscheinlichkeit von Paar­gemeinschaften ohne Trauschein.

[...]


1 A ufmerksamkeits- D efizit- S yndrom (mit H yperaktivität) ist eine neurologische Störung. Impulsives Verhalten und eine ausgeprägte Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche - manchmal verbun­den mit motorischer Unruhe (Hyperaktivität) - sind kennzeichnende Manifestationen der Störung.

2 In der gesamten Untersuchung wird sich die Bezeichnung horizontale Familienebene ausschließlich auf das Eltern-Subsystem eines Familiensystems beziehen, d.h. das Geschwister-Subsystem wird in diesem Fall (aufgrund der Thematik) ausgeschlossen. Dagegen bezeichnet die vertikale Familienebene das Eltern-, Mutter- oder Vater-Kind-Subsystem.

3 Aufgrund der Themenstellung wird hier von einer Kernfamilie, d.h. Eltern-/ Mutter- bzw. Vater­Kind-Einheit ausgegangen und nicht von einer Mehr-Generationen-Familie, die (Ur-)Großeltern mit einbeziehen würde (vgl. Nave-Herz 2002, S.15f.).

4 Da der Fall des vollständigen Kontaktabbruchs zwischen Kind und dem getrennt lebenden Elternteil in der Regel eine Familienentwicklung in der Zeit nach der Trennung oder Scheidung darstellt (s. Kap.3.3) und kaum mit der tatsächlichen Trennung oder der formellen Ehescheidung einhergeht, wird er in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen.

5 Eine instabile Partnerschaft wird in diesem Zusammenhang definiert als eine aufgelöste Paarbezie­hung, während eine stabile Partnerschaft - unabhängig von der Beziehungsqualität - weiter aufrecht erhaltene Beziehungen beschreibt; d.h. auch unzufrieden stellende Partnerschaften, die keine Trennung erfahren, gelten als stabil.

6 Die Eheaufhebung ist eine gerichtlich verfügte Beendigung einer Ehe aufgrund fehlerhafter Ehe­schließung und ist von einer Scheidung zu unterscheiden. Aufhebungsgründe sind im §1314 BGB auf­geführt.

7 Bezeichnung für gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern in einem Haushalt; die Kinder stammen meist aus vorausgegangenen heterosexuellen (Ehe-)Beziehungen.

8 Bis 1980 war im BGB die Bezeichnung Elterliche Gewalt zu finden. Um klarzustellen, dass damit kein Herrschaftsrecht, sondern lediglich die Fürsorgefunktion der Eltern betont werden sollte, wurde stattdessen die Bezeichnung Elterliche Sorge eingeführt (vgl. Schleicher 2004, o.S.).

9 Kinder über 14 Jahren haben bei Sorgerechtsfragen ein besonderes Mitspracherecht (vgl. Lederle von Eckardstein et al. o.J., S.17).

10 Laut dem Statistischen Bundesamt betrug der Anteil an einvernehmlich geschiedenen Ehen für 2001 72,6%. Nicht hinzugezählt ist die Zahl der nicht einvernehmlich, aber nach einem Trennungsjahr ge­schiedenen Ehen (16,1%); d.h. die formelle Einwilligung erfolgte nur aus dem Grund, „.dass das Festhalten an der Ehe gegen den Widerstand des Partners als aussichtslos angesehen wurde und die Verweigerung des Einverständnisses nur unnötige Kosten verursacht hätte“ (Emmerling 2002, S.1059). Zusammengefasst wurden knapp 90% der getrennten Ehepartner (mehr oder weniger) im gegenseitigen Einverständnis geschieden.

11 Um dem ledigen Kindesvater das Sorgerecht vorzuenthalten, kann eine Mutter sowohl eine gemein­same Sorgerechtserklärung als auch einen Heiratsantrag ablehnen.

12 Die hohen Scheidungszahlen ergeben sich aus der Tatsache, dass überwiegend kinderlose Ehen und Ehen in der nachelterlichen Phase geschieden werden (vgl. Nave-Herz 2002, S.24).

13 Da quantitative Datenerhebungen stets eine Momentaufnahme darstellen, sind in diesen Zahlen auch Kinder eingeschlossen, deren Eltern eine Trennung bzw. Scheidung unmittelbar bevorsteht.

14 Auch hier werden Kinder erfasst, deren Väter zum Zeitpunkt der Erhebung noch kein Sorgerecht be­sitzen.

15 Utilitarismus ist die Lehre, die Handlungen und sittliche Werte nur nach ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit bewertet (vgl. Duden 2005: „Utilitarismus“).

16 Beispielsweise gewann vorehelicher Geschlechtsverkehr, die Auflösung der Lebensgemeinschaft, die Entscheidung für oder gegen ein Kind, die Zuwendung zur Doppelverdiener-Ehe usw. an sozialer Akzeptanz.

17 Laut NAVE-HERZ sind die meisten nichtehelichen Lebensgemeinschaften kinderlos oder gehen zur Familiengründung in eine Ehe über; lediglich in jedem fünften Haushalt nicht verheirateter Paare wür­de mindestens ein Kind leben (vgl. Nave-Herz 2002, S.18f.).

18 NAVE-HERZ beschreibt mit De-Institutionalisierung die gestiegene Eheinstabilität, die Abgabe be­stimmter Funktionen an spezialisierte soziale Einrichtungen und die gesunkene Verbindlichkeit von Ehe und Familie (vgl. Nave-Herz 2002, S.13).

19 Externe Barrieren bezeichnen rechtliche, soziale und ökonomische Faktoren, die die Revision von Entscheidungen erschweren, z.B. Traditionen, finanzielle Einbußen, spezifische Gesetzesregelungen usw.

20 Trotz veränderter Rollezuschreibungen, Leitsatz der Gleichberechtigung oder Gesetzesreformen (z.B. gemeinsames Sorgerecht) fallen diese Aufgaben nach wie vor überwiegend der Mutter zu.

21 Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die meisten Scheidungsanträge von Frauen gestellt werden (vgl. Emmerling 2007, S.163).

22 Kurz zusammengefasst sind typische Merkmale nichtehelicher Lebensgemeinschaften Kinderlosig­keit, das junge Erwachsenenalter, eine unbestimmte Beziehungsdauer, Ausbildungs- oder Berufstätig-

Ende der Leseprobe aus 125 Seiten

Details

Titel
Entwicklungschancen und Risiken von Kindern in der Auflösungsphase der Ehe- bzw. Partnerbeziehung aus sozialwissenschaftlicher Sicht
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,2
Autor
Jahr
2008
Seiten
125
Katalognummer
V539119
ISBN (eBook)
9783346156068
ISBN (Buch)
9783346156075
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Trennung, Scheidung, Lebensgemeinschaft, Kindeswohl, Soziologie
Arbeit zitieren
Charisma Capuno (Autor:in), 2008, Entwicklungschancen und Risiken von Kindern in der Auflösungsphase der Ehe- bzw. Partnerbeziehung aus sozialwissenschaftlicher Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/539119

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