Persönliche Kontrollüberzeugungen und die Bewältigung von Arbeitslosigkeit und Armut


Studienarbeit, 2017

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhalt

1 Einleitung: Die Verfestigung der Armut in Deutschland

2 Stand der wissenschaftlichen Diskussion
2.1 Armut im Alltag der Betroffenen
2.2 Erklärungsansätze zur Verfestigung der Armut
2.3 Das Konzept des Locus of Control
2.3.1 Die internale Kontrollüberzeugung
2.3.2 Die externale Kontrollüberzeugung

3 Kontrollüberzeugungen und Armut
3.1 Internale Kontrollüberzeugung und Armut
3.2 Externale Kontrollüberzeugung und Armut

4 Diskussion
4.1 Einordnung der Ergebnisse in die Forschung
4.2 Konsequenzen für die Betroffenen
4.3 Konsequenzen bei fehlender Mitwirkung
4.4 Konsequenzen für die Gesellschaft

5 Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1 Kontrollüberzeugungen und die Bewältigung der Armut

Abbildung 3.1 Internale Kontrollüberzeugung und Armut

Abbildung 3.2 Externale Kontrollüberzeugung und Armut

Abkürzungsverzeichnis

ALG II Arbeitslosengeld II (Grundsicherung für Arbeitsuchende/ Hartz IV)

SGB II Zweites Sozialgesetzbuch

1 Einleitung: Die Verfestigung der Armut in Deutschland

Arm zu sein bedeutet, 60 % oder weniger des durchschnittlichen Einkommens zu erzielen (vgl. Straus 2010, S. 81). Von dieser relativen Armut sind besonders Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Erwerbslose, Menschen mit niedrigem Qualifikationsniveau und Menschen mit Migrationshintergrund betroffen (vgl. Schneider, Stilling & Woltering 2016, S. 23). Die Armut droht sich in ihren individuellen Lebensläufen zu verfestigen. Die Armutsphasen dauern immer länger an, es entstehen multiple Problemlagen. Dabei verstärken sich individuelle und soziale Kontexte gegenseitig (vgl. Groh-Samberg 2014, S. 308). Im Jahr 2012 erzielten 11 % der deutschen Bevölkerung nur ein prekäres Einkommen und waren von einer Verfestigung der Armut bedroht. Der Anteil der Personen, die bereits in verfestigter Armut leben, hat in den letzten 20 Jahren fast stetig zugenommen. Im Osten lebten im Jahr 2012 2 %, im Westen 10 % in verfestigter Armut (vgl. Groh-Samberg 2014, S. 310f). Im Fokus dieser Studienarbeit steht die Verfestigung der Armut unter Erwerbslosen. Zwei Drittel der Arbeitsuchenden beziehen Grundsicherung (ALG II/ Hartz IV) und sind besonders stark armutsgefährdet. Ihre Armutsquote liegt bei 84 % (vgl. Hofmann 2016, S. 42). Das Gros der Erwerbslosen bleibt langfristig vom Leistungsbezug abhängig, anstatt schnell wieder in Arbeit vermittelt zu werden (vgl. Schneider 2016, S. 4). Im Gegensatz dazu betont die dynamische Armutsforschung die soziale Mobilität und Handlungsfähigkeit der erwerbsfähigen Armen. Armut ist demnach nur eine vorübergehende Episode in ihrem Lebenslauf. Vielen gelingt es nach kurzer Zeit, sich aus der Armut zu befreien (vgl. Leisering 2008, S. 118f).

Wie kommt es zu diesen widersprüchlichen Aussagen? Warum verfestigt sich die Armut bei manchen Betroffenen und bei anderen nicht? Lassen sich die Differenzen auf individuelle Unterschiede bei der Bewältigung von Armut zurückführen? Welche Rolle spielen persönliche Überzeugungen bei der Bewältigung von Armut? Um diese Fragen zu beantworten, wird untersucht, welche praktischen und psychologischen Auswirkungen Armut hat. Danach wird das Konzept des Locus of Control eingeführt, da ein Zusammenhang zwischen der Bewältigung von Armut und persönlichen Kontrollüberzeugungen vermutet wird. Zur Überprüfung dieser Vermutung wird eine Literaturrecherche durchgeführt. Die Ergebnisse der Recherche werden vorgestellt und diskutiert. Abschließend werden Handlungsempfehlungen für die Arbeitsmarktpolitik abgeleitet.

2 Stand der wissenschaftlichen Diskussion

Die Aufnahme einer Beschäftigung könnte die Einkommensarmut der Erwerbslosen beenden. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, warum die Reintegration misslingt und sich die Armut verfestigt. Bevor sie vorgestellt werden, wird zum besseren Verständnis kurz zusammengefasst, was Armut für die Betroffenen bedeutet.

2.1 Armut im Alltag der Betroffenen

Armut ist geprägt durch einen niedrigen sozioökonomischen Status, ein geringes Einkommen und finanzielle Einschränkung. Die Betroffenen können sich nicht ausreichend mit Kleidung und Essen versorgen und verzichten auf zuzahlungspflichtige medizinische Behandlungen. Viele Leistungsempfänger leben in prekären Wohnverhältnissen, da die Höhe der Mietkostenerstattung schlecht an die Preise auf dem Wohnungsmarkt angepasst ist (vgl. Hofmann 2016, S. 42f). Leistungskürzungen können zu Sperren der Energieversorgung, zum Wohnungsverlust und zur Verschuldung führen (vgl. Schreyer, Zahradnik & Götz 2012, S. 217f). Der Verlust des Arbeitsplatzes geht einher mit dem Verlust sozialer Beziehungen (vgl. Hofmann 2016, S. 43). Die ökonomische Deprivation belastet soziale Beziehungen zusätzlich (vgl. Belle 1990, S. 386f). Diese scheinbar ausweglose Situation kann zu sozialem Rückzug führen (vgl. Winkler 2004, S. 22). So wird die ohnehin geringe soziale Unterstützung in Armut lebender Personen weiter reduziert (vgl. Lampert & Kroll 2010, S. 5). Armut und Arbeitslosigkeit beschränken also die soziale und kulturelle Teilhabe.

2.2 Erklärungsansätze zur Verfestigung der Armut

Angesichts der geschilderten Lebensumstände erscheint es widersinnig, dass sich Betroffene bewusst für ein Leben am soziokulturellen Existenzminimum entscheiden. Dennoch wird den Leistungsempfängern eine rationale Nutzenkalkulation unterstellt: Sie wollen nicht arbeiten, wenn es keinen ökonomischen Vorteil bringt (vgl. Althammer & Lampert 2014, S. 323). Dies entspricht auch der Welfarization-These, nach der sich Leistungsempfänger bewusst in der sozialen Hängematte ausruhen und deshalb zwangsweise zur Arbeit aktiviert werden müssen (vgl. Buhr 1995, S. 40f).

Konträr dazu verweisen strukturelle Ansätze auf soziale Ungerechtigkeit und mangelnde Teilhabechancen als Armutsursache. Die soziale Mobilität hängt stark von arbeitsmarktspezifischen Faktoren ab (vgl. Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung 2015, S. 123).

Die Chancen Langzeitarbeitsloser, in den regulären Arbeitsmarkt reintegriert zu werden, sind gering. Trotz Teilnahme an diversen Qualifizierungs-, Beschäftigungs- und Integrationsprojekten gelingt es vielen nicht, dauerhaft von staatlicher Hilfe unabhängig zu werden. Insbesondere Geringqualifizierten – dem Gros der Arbeitslosen – bietet der erste Arbeitsmarkt kaum geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten (vgl. Straus 2010, S. 90f). Dem Aktivierungsansatz fehle daher die theoretische Grundlage, denn Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug seien „eher ein Struktur- als ein Motivationsproblem“ (vgl. Promberger & Ramos Lobato 2016, S. 328).

Aus Angst vor Abwertung suchen die von der Teilhabe ausgeschlossenen Erwerbslosen unter ihresgleichen soziale Unterstützung (vgl. Röhrle 2010, S. 123). In diesem Umfeld erwerben sie Einstellungen, die sie an der Bewältigung der Armut hindern und in dauerhafter Armut halten (vgl. Buhr 1995, S. 75f). Hier setzt der Subkulturansatz der Armut an und „geht von der Annahme aus, daß die Armen eine eigene Kultur, einen besonderen Lebensstil entwickelten, der zudem intergenerationell „weitervererbt“ würde. Nach diesem Ansatz ist (Langzeit-) Armut insbesondere ein Problem des Verhaltens und der Einstellung“ (Buhr 1995, S. 75f). Tatsächlich belegen etliche Studien Zusammenhänge zwischen Einstellungen und dem Umgang mit Armut. Deshalb soll erörtert werden, welche Rolle Kontrollüberzeugungen bei der Verfestigung von Armut spielen.

2.3 Das Konzept des Locus of Control

Das Konzept wurde 1966 von Julian Rotter entwickelt. Locus of Control bedeutet Ort der Kontrolle. Die Kontrolle über das eigene Schicksal wird entweder innerhalb der eigenen Person (internale Kontrollüberzeugung) oder außerhalb der eigenen Person (externale Kontrollüberzeugung) gesehen. Zur Bildung der persönlichen Kontrollüberzeugung werden Erfolgs- bzw. Misserfolgserfahrungen verallgemeinert und auf ähnliche Situationen übertragen. Erfolge stärken die Erwartung, dass ein bestimmtes Verhalten auch zukünftig zum Erfolg führt. Bleibt der Erfolg aus, obwohl das Verhalten gezeigt wurde, dann sinkt die Kontrollerwartung. Die verallgemeinerte Überzeugung zur Wirkung des eigenen Verhaltens beeinflusst die Wahl des zukünftigen Verhaltens (vgl. Rotter 1966, S. 1f). Kontrollüberzeugungen können für einzelne Lebensbereiche gebildet werden und bereichsspezifisch variieren. Sie sind subjektive Annahmen einer Person, „über Reaktionen zu verfügen, mit deren Hilfe Ereignisse beeinflusst werden können“ (Winkler 2004, S. 75).

2.3.1 Die internale Kontrollüberzeugung

Die internale Kontrollüberzeugung ist „die Wahrnehmung, dass man seine eigenen Geschicke steuern kann“ (Myers 2008, S. 621). Sie wird durch die Erfahrung gewonnen, dass man persönlich Einfluss nehmen und die gewünschten Ergebnisse erzielen kann. Internale schreiben Erfolge eigenen Entscheidungen und dem eigenen Verhalten zu (vgl. Caliendo, Cobb-Clark & Uhlendorff 2010, S. 2). Sie begegnen Herausforderungen deshalb eher aktiv. Leistungsempfänger mit einer stärkeren internalen Kontrollüberzeugung glauben, ihre Armut eigeninitiativ bewältigen zu können - indem sie bspw. eine passende Arbeitsstelle finden - und sind dementsprechend hoch motiviert, selbständig nach Stellen zu suchen.

2.3.2 Die externale Kontrollüberzeugung

Die externale Kontrollüberzeugung ist „die Wahrnehmung, dass das eigene Schicksal vom Zufall oder von äußeren Kräften bestimmt wird, die sich der eigenen Kontrolle entziehen“ (Myers 2008, S. 621). Diese Überzeugung geringer persönlicher Kontrolle wird durch Misserfolge und negatives Feedback erworben. Anstatt aktiv zu werden, wartet ein Externaler passiv auf die Steuerung von außen (vgl. Myers 2008, S. 621). Ein von Armut Betroffener mit externaler Kontrollüberzeugung glaubt nicht, sein Schicksal selbst kontrollieren zu können und aus eigener Kraft gesellschaftlich aufzusteigen. Eine eher externale Kontrollüberzeugung könnte also Handlungsmuster stärken, die die Abhängigkeit von Sozialleistungen, den sozialen Rückzug und den Verbleib in der Armut fördern. Abbildung 2.1 fasst diese Vermutungen zusammen.

Abbildung 2.1 Kontrollüberzeugungen und die Bewältigung der Armut (eigene Darstellung 2017)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3 Kontrollüberzeugungen und Armut

Nachfolgend werden Belege für beide Pole des Locus of Control vorgestellt.

3.1 Internale Kontrollüberzeugung und Armut

Personen mit höherer Bildung glauben eher daran, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können. Ihre Qualifikation ermöglicht die Aufnahme einer Tätigkeit mit größeren Kontrollmöglichkeiten. Eine höhere Vergütung eröffnet ihnen finanzielle Spielräume (vgl. Winkler 2004, S. 84). Diese positiven Kontrollerfahrungen fördern die Entstehung einer internalen Kontrollüberzeugung. Lefcourt & Ladwig bestätigten 1965, dass ein höherer sozioökonomischer Status mit einer höheren internalen Kontrollüberzeugung verbunden ist (zit. nach Wang, Kick, Fraser & Burns 1999, S. 284f). Internale sind vor der Arbeitslosigkeit länger als Externale beschäftigt und beziehen höhere Gehälter (vgl. Caliendo et al. 2010, S. 11). Hier deutet sich ihr geringeres Armutsrisiko an. Der Arbeitsplatzverlust schmälert die wahrgenommene Kontrolle kaum (vgl. Gallo, Endrass, Bradley, Hell & Kasl 2003, S. 14f). Internale begegnen Problemen - wie dem Stellenverlust - aktiv und neigen daher seltener zu Depressionen (vgl. Ross & Mirowsky 1989, S. 215). Da sie stärker an ihren Erfolg glauben, engagieren sie sich mehr bei der Stellensuche (vgl. Caliendo et al. 2010, S. 14).

Unter diesen Voraussetzungen ist es wahrscheinlich, dass Internale einfacher in das Erwerbsleben reintegriert werden können. Tatsächlich ist eine internale Kontrollüberzeugung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Wiederbeschäftigung verbunden (vgl. Gallo et al. 2003, S. 14) und korreliert in Westdeutschland mit kürzeren Phasen der Erwerbslosigkeit (vgl. Uhlendorff 2003, S. 19). Internale setzen sich zudem einen höheren Schwellenlohn1 als Externale. Daher nehmen sie seltener schlecht bezahlte Tätigkeiten an (vgl. Caliendo et al. 2010, S. 11).

Diese Befunde sprechen für ein geringeres Armutsrisiko der Personen mit internaler Kontrollüberzeugung, wie Abbildung 3.1 zeigt.2

Abbildung 3.1 Internale Kontrollüberzeugung und Armut (eigene Darstellung 2017)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.2 Externale Kontrollüberzeugung und Armut

Lefcourt und Ladwig belegten 1965, dass ein niedriger Status oft mit einer externalen Kontrollüberzeugung verbunden ist (zit. nach Wang et al. 1999, S. 284f). Ein niedriger sozioökonomischer Status ist außerdem häufig mit einem niedrigen Bildungsniveau und niedrigem Einkommen gekoppelt. Beide korrelieren ebenfalls mit der externalen Kontrollüberzeugung (vgl. Ross & Mirowsky 1989, S. 207). Die Kriterien niedriges Einkommen, niedriger Status und geringe Bildung treffen auf viele Langzeitarbeitslose zu. Mangelnde Ressourcen schränken ihre Kontrollmöglichkeiten ein und reduzieren die persönliche Kontrollerwartung (vgl. Winkler 2004, S. 30). Die Einschränkungen ergeben sich bspw. aus der anhaltenden finanziellen Deprivation: In einer Längsschnittstudie wurde gezeigt, dass Erwerbslosigkeit zunächst zu finanziellen Engpässen führt, diese wiederum zu einer depressiven Symptomatik3 und zu geringerer Kontrollerwartung. Die externale Kontrollüberzeugung könnte dabei sowohl Ursache als auch Folge der Depression sein (vgl. Price, Choi & Vinokur 2002, S. 307ff).

[...]


1 Der Schwellenlohn (reservation wage) bezeichnet die Schwelle, die überschritten werden muss, damit ein Stellenangebot als lukrativ angesehen und angenommen wird (vgl. Caliendo et al. 2010, S. 5).

2 Die dargestellten Zusammenhänge dürfen keinesfalls pauschalisiert werden: Sie belegen nicht, dass Internale stets über eine höhere Bildung und ein höheres Einkommen verfügen oder dass Arme generell eine externale Kontrollüberzeugung haben.

3 Eine depressive Symptomatik ist gekennzeichnet durch folgende Motivationslage: “Mißerfolgsorientierung, Rückzugs-, Flucht- und Vermeidungstendenzen, von der Überzeugung der Hilflosigkeit und mangelnden Kontrollierbarkeit der eigenen Situation, von Interessenverlust, Antriebslosigkeit, von der Überzeugung, überfordert zu werden und abhängig zu sein“ (Fröhlich 2010, S. 133).

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Persönliche Kontrollüberzeugungen und die Bewältigung von Arbeitslosigkeit und Armut
Hochschule
Hochschule München
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
20
Katalognummer
V539242
ISBN (eBook)
9783346156389
ISBN (Buch)
9783346156396
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kontrollüberzeugung, Einstellung, Sozialpolitik, Armut, Hartz IV, ALG II, Sanktion, Arbeitsmarktpolitik, Fördern und Fordern, Aktivierung, Selbstwirksamkeit, Verfestigung der Armut
Arbeit zitieren
Carina Franz (Autor:in), 2017, Persönliche Kontrollüberzeugungen und die Bewältigung von Arbeitslosigkeit und Armut, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/539242

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