Homeoffice und die Entgrenzung von Arbeit. Welche Auswirkungen hat die alternierende Teleheimarbeit?


Tesis (Bachelor), 2019

91 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Fordismus: Grenzen – Geschichte –Krise
2.1 Fordistisch-tayloristische Arbeitswelt
2.2 Krise des Fordismus

3 Entgrenzung von Arbeit: Definition – Dimensionierung – Anwendung
3.1 Die begriffliche Dimension
3.2 Sozialdimensionen der Entgrenzung nach Voß
3.3 Die Erosion fordistisch-tayloristischer Normalarbeitsverhältnisse nach Kratzer
3.4 Weiterführende Forschung und interdisziplinäre Anwendung

4 Die Geschichte der alternierenden Teleheimarbeit: Realitätsferner Trend oder Arbeitsform der Zukunft?
4.1 Ein Definitionsversuch
4.2 Entwicklungen der Teleheimarbeit
4.3 Teleheimarbeit heute

5 Auswirkungen der Teleheimarbeit auf die Entgrenzung von Arbeit: Das Forschungsprojekt
5.1 Begründung des methodischen Vorgehens
5.2 Qualitative Datenerhebung durch leitfadenorientierte Interviews
5.3 Das Auswertungsverfahren

6 Entgrenzungsprozesse in der Teleheimarbeit – Ergebnisse und Analysen
6.1 Kurzübersicht des Samples
6.2 Vorstellung und fallimmanenter Vergleich
6.3 Fallübergreifende Analyse und Interpretation
6.4 Teleheimarbeit: Eine neue Rationalisierungsstrategie?

7 Fazit und Ausblick

8 Literaturverzeichnis

9 Abbildungsverzeichnis

10 Anhang
Transkript 1
Transkript 2
Transkript 3
Transkript 4

1 Einführung

[…] also was ich jetzt quasi noch im Home Office mache ist so ein bisschen Quality time. Nur für Arbeit […](vgl. Transkript 3, Z. 183-184)

Das war die Antwort einer Befragten im Rahmen dieser Forschungsarbeit, auf die Frage, wann sie Teleheimarbeit praktiziert, trotz ihrer 50 Stunden Woche im Betrieb. Da per Definition der Begriff Quality Time und Arbeit nicht weiter voneinander entfernt liegen können, klingt dieses Zitat zunächst paradox. Dabei ist es die Bedeutung so eines Zitats, diese Ambivalenz zwischen zwei Sphären, mit der sich die heutige Gesellschaft konfrontiert sieht. Wo ist noch der Unterschied zwischen Arbeit und Privatleben, wenn es Arbeit gibt die man abseits seiner regulären Arbeitszeit freiwillig und offensichtlich auch gerne erledigt? Dieses Phänomen wird versucht durch die Entgrenzungstheorie zu erklären, welche spätestens seit dem Freiburger Kongress für Soziologie 1998 den Eingang in die arbeitssoziologische Forschung fand. In den mittlerweile über 20 Jahren bildeten sich verschiedene Schwerpunkte innerhalb der Thematik heraus, sowie weiterführende Forschungen und neue Diskurse. Allerdings bevor man überhaupt von einer Entgrenzung spricht, muss die Frage geklärt werden, welche Grenzen denn eigentlich gemeint sind. Aus diesem Grund werden zunächst die für die Entgrenzung genutzte „Referenzfolie“ (vgl. Kratzer/Sauer 2005: 94): vorgestellt und darauffolgend ein Einblick in den Strukturwandel der Arbeitswelt gegeben. Anschließend werden aus den verschiedenen Schwerpunkten Beschreibungen des Konzepts Entgrenzung beispielhaft dargestellt damit zunächst eine möglich allgemeine Herleitung des Begriffs möglich ist, bevor dann auf die einzelnen Aspekte explizit eingegangen werden kann. Die Vorstellung und der Vergleich der verschiedenen Aspekte, aus letztlich zwei verschiedenen Strömungen der Entgrenzungsdebatte, ist für die spätere Interpretation der erhobenen Daten von großer Bedeutung.

Wie bereits aus dem Zitat hervorgegangen, soll durch die empirischen Befunde eine Brücke geschlagen werden zwischen dem Konzept der Entgrenzung und dem Phänomen der Teleheimarbeit, welche in der arbeitssoziologischen Forschung bislang fehlte. Hierfür wurden Interviews mit alternierenden Teleheimarbeitern geführt in Hinblick auf die Entgrenzungsprozesse während aber auch abseits ihrer Arbeit von zuhause. Die Herausforderung der Forschungsarbeit ist in dem Fall, die vielbeschriebenen und umfangreichen Entgrenzungsprozesse von Arbeit und Leben greifbar zu machen und Auswirkungen dieser Prozesse anhand von qualitativ erhobenen Daten zu beschreiben.

2 Fordismus: Grenzen – Geschichte –Krise

2.1 Fordistisch-tayloristische Arbeitswelt

Bei den folgenden Ausführungen handelt es sich um arbeitsorganisatorische Konzepte der Industrialisierung im 20. Jahrhundert mit dem Ziel der Optimierung der Arbeitsbedingungen und Maximierung der Arbeitsleistung (Jürgens 2006: 7, Schmidt 2013a: 143ff.). Zusätzlich sollte noch erwähnt werden, dass es sich hierbei lediglich um einen Idealtypus handelt und nicht eine jede Industrieproduktion diese Form annahm. Darüber hinaus gilt es überwiegend für die Industrie in den Vereinigten Staaten, zwar wurden diese Konzepte zeitverzögert auch in Deutschland angewandt aber mit geringerer Verbreitung. Namensgebend für das Konzept des Fordismus war Henry Ford (1863-1947), der die standardisierte Massenproduktion unter anderem durch die Einführung des Fließbandprinzips in seinen Automobilwerken in den U.S.A. weiterentwickelte. Durch die enorme Standardisierung des kompletten Produktionsprozesses und durch zwangsverkettete Montageprozesse ließ sich hinsichtlich der Massenproduktion die Produktivität enorm steigern. Dementsprechend war das Konzept allerdings nicht auf Marktschwankungen ausgelegt und nicht in der Lage flexibel auf die sich verändernde Nachfrage zu reagieren. Eng mit den Methoden des Fordismus verbunden ist der Taylorismus, benannt nach Frederick W. Taylor (1856-1915), worunter vor allem die hoch arbeitsteilige Arbeitsverrichtung verstanden wird. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass wie auch das Fließbandprinzip nicht von Ford erfunden wurde, die hoch arbeitsteilige Arbeitsverrichtung nicht von Taylor erfunden wurde. Dennoch popularisierten und entwickelten sie diese Methoden weiter. Charakterisierend war im Taylorismus nicht nur die Aufgliederung des Arbeitsprozesses in der Produktion, sondern auch die strikte Arbeitsteilung zwischen der Produktion und der Koordination, zwischen Hand- und Kopfarbeit (Schmidt 2013b: 293f.).

Beide Konzepte waren eine Antwort auf den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und die hohe Nachfrage nach standardisierten Massengütern wie beispielsweise in der Automobilbranche. Aus diesem Grund wurde versucht den „Störfaktor Arbeiter“ (vgl. Bergmann 1987: 129) durch klare Arbeitszeitregelungen, standardisierte und hoch arbeitsteilige Arbeitsprozesse zu minimieren und damit die Arbeitskraft so weit wie möglich zu objektivieren. Daraus ergeben sich charakteristische Aspekte der damaligen Erwerbsarbeit für die Erwerbspersonen, die in den folgenden Ausführungen als Fordistisch-tayloristische Normalarbeit oder schlichtweg als Eigenschaften des Fordismus zusammengefasst werden:

- eine institutionell abgesicherte Vollzeitbeschäftigung als Norm
- durch die klare räumliche Trennung standardisierte Grenzen zwischen den Sphären Arbeit und Leben
- eine Normierung der Leistungsbewertung als Normalleistung
- Strikte Kontrolle durch klare hierarchische Strukturen, Lohnanreize etc.
- Individuelle Interessenkonflikte werden durch die Standardisierung auf das Kollektiv umgelagert, beispielsweise in Form von Gewerkschaften
- Abschottung und Schutz der Arbeitskräfte von der Marktökonomie
- Klare Regelungen durch arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen
- Idealtypische Annahme der Arbeitsorganisation

(vgl. Kratzer/Sauer 2003: 93ff., Kratzer et al. 2004: 334f.)

2.2 Krise des Fordismus

„Der kurze Traum immerwährender Prosperität“ (vgl. Lutz 1989: 29) zerbrach in den 1970er Jahren so langsam. Zwei wesentliche Aspekte für die Krise des Fordismus waren die zunehmende Dynamik der Wirtschaft und die Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Ölkrisen 1973 und 1978 sorgten für eine Stagnation in der sonst so prosperierenden Wirtschaft und verknappten die essentielle Ressource Öl im Industriesektor. Durch hinzukommende Inflation und wachsende Arbeitslosenzahlen bröckelte das Konzept des Fordismus und es wurde nach alternativen Lösungswegen gesucht. Während die starren standardisierten Produktionsmethoden des Fordismus eher ein Rationalisierungshindernis darstellten kam es an anderer Stelle zu vielseitigen Flexibilisierungsprozessen. In erster Linie erzeugte der Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologie eine Öffnung des Wirtschaftsmarkts auf globaler Ebene. Dadurch stieg der Konkurrenzdruck, da die rigiden Produktionsstätten, die bisher in den U.S.A beheimatet waren, in Schwellenländer verlagert wurden und in den Staaten der Fokus auf spezialisierte und flexible Produktionsbereiche wechselte. Eng damit verbunden war die Tertiarisierung der Industriestaaten, durch die sich die betroffenen Länder zunehmend in Richtung des Dienstleistungssektors ausrichteten. Auch abseits des Industriesektors und der dort produzierten Güter differenzierten und individualisierten sich die Interessen der Bevölkerung, wodurch die Nachfrage nach Dienstleistungen erheblich anstieg.

Was nun in aller Kürze einen Abriss über die Referenzfolie der Entgrenzung darstellen soll lässt sich als ein vielschichtiger Umbruch fassen. Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, der kontinuierliche Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologien, die Flexibilisierungsprozesse in der Marktwirtschaft sind alles Tendenzen für eine heterogener werdende Gesellschaft, sowohl im Bereich der Erwerbsarbeit als auch in der Sphäre des Privatlebens der einzelnen Individuen. Diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu fassen ist eine Herausforderung, die sich die arbeitssoziologische Forschung in den vergangenen Jahrzehnten gestellt hat und in dem folgenden Kapiteln als das Konzept der Entgrenzung vorgestellt wird (vgl. Schimank: 2012 1ff.).

3 Entgrenzung von Arbeit: Definition – Dimensionierung – Anwendung

3.1 Die begriffliche Dimension

Gottschall und Voß beschreiben die Entgrenzung von Arbeit und Leben in ihrem gleichnamigen Werk durch die Differenzierung des Begriffs Entgrenzung und der Sphären Arbeit und Leben. Die Entgrenzung beschreibt die „[…] Brüchigkeit, Ausdünnung, Auflösung, Virtualisierung usw. bis dahin sicherer (oder für sicher gehaltener) Abgrenzungen von und zwischen Sphären […]“ (Gottschall/Voß 2003: 11). Die Sphären auf die die Autoren Bezug nehmen sind ausdifferenziert: die Geschlechts- und Rollenidentitäten, Alters- und Generationslagen, starre berufliche Arbeitsteilung- und Berufsordnung, die feste Verteilung von Funktionen in Organisationen, Abgrenzung von Organisationen gegenüber ihrer Umwelten, arbeits- und sozialrechtliche Regulierungen, Abgrenzungen Schichten, Klassen und Milieus. Diese bewusst sehr allgemein gehaltene Beschreibung wird im Anschluss noch in Relation gesetzt und betont, dass es sich nicht in allen der diskutierten Bereiche um ein soziales Phänomen handeln muss, es aber durchaus Ausgangspunkte sein können, aus denen heraus man eine Entgrenzung diagnostizieren könne (vgl. Gottschall / Voß 2003: 11f.)

Nur auf die Sphäre der Arbeit bezugnehmend beschreibt Moldaschl Entgrenzung als eine Ausdehnung von Gestaltungsspielräumen, die mit einem Verlust von entlastenden Begrenzungen im Bereich der Verantwortlichkeit und den Gestaltungszwängen einhergeht (vgl. Moldaschl 2001: 140f.). In dieser Beschreibung werden zwei wichtige Aspekte angeschnitten, die es im Laufe der Thesis aufzuarbeiten gilt. Zum einen wird hier ein Zugewinn an Freiheit für das Subjekt beschrieben, welches zunächst einmal eine positive Konnotation innehält. Wohingegen der Gegenpart, die wegfallenden Entlastungen, ergo die zunehmende Belastung eher negativ konnotiert ist. Das zeigt bereits die ambivalenten Auswirkungen, die die Entgrenzung mit sich bringt und sich wie ein roter Faden durch die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen zieht (vgl. etwa: Kratzer/Sauer 2003: 116f; Jürgens 2003: 41ff., Voß/Pongratz 2003: 231ff.). Der zweite wichtige Aspekt den Moldaschl andeutet ist die enge Verknüpfung der Entgrenzung mit der Subjektivierung und der Flexibilisierung, da mehr Verantwortung häufig mit erhöhter Subjektivierung einhergeht und mehr Gestaltungsspielräume mit flexibleren Handeln. Da sowohl Subjektivierung als auch Flexibilisierung selbst schon Thema von zahlreichen Diskursen in der Arbeitssoziologie wurden, würde es das Ziel der Forschungsarbeit verfehlen diese auch noch in ihrer Gänze zu erörtern. Dennoch bedarf es zu einem späteren Zeitpunkt einer kurzen Exkurs in beide Themenfelder, da diese sich in Bezug auf die Entgrenzung von Arbeit in einem reziproken Verhältnis befinden (vgl. Jürgens 2003: 53).

Im Lexikon der Industrie- und Arbeitssoziologie definiert Kratzer den Begriff Entgrenzung als „[…] das gemeinsame Merkmal verschiedener Entwicklungsprozesse von Arbeit im Übergang von der ‚fordistischen‘ in die ‚postfordistische‘ oder ‚postindustrielle‘ Arbeitswelt.“ (Kratzer 2013: 116). Die bereits erläuterte fordistisch-tayloristische Normalarbeit wird als Ausgangspunkt verwendet, um die verschiedenen Entgrenzungsprozesse zu definieren und als Folge von betrieblichen Rationalisierungsstrategien beschrieben wird, die sich auf das Verhältnis von Erwerbsarbeit und privaten Lebenswelten auswirken. Darunter gefasst sind die verschiedenen Ebenen der Organisation von Arbeit, die daraus resultierenden Veränderungen und Ambivalenzen wie auch die steigenden Anforderungen an das Subjekt, welches nun mehr Selbstorganisation leisten muss, um die Sphären Arbeit und Leben zu strukturieren. Kratzer bringt damit wesentliche Aspekte der vorangegangenen Konzeptbeschreibungen zusammen und ergänzt diese mit einem historischen Fundament: Die fordistisch-tayloristische Normalarbeit. Durch diese drei Definitionen wurde zunächst der Umfang aber auch die Schwerpunkte der Entgrenzungsdebatte angeschnitten und geben in ihrer Gesamtheit bereits einen Ausblick auf die weitreichenden Themenfelder, welche erläutert werden müssen.

3.2 Sozialdimensionen der Entgrenzung nach Voß

Wie sich im vorangegangenen Kapitel bereits abgezeichnet hat, gibt es mehrere Schwerpunkte im Konzept der Entgrenzung, die sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben. Geprägt unter anderem durch G. Günter Voß ist die Entgrenzung von Arbeit und Leben, der versucht primär die Entgrenzungsprozesse gesamtgesellschaftlich zu erklären. Wohingegen, wie im vorherigen Kapitel ersichtlich, Kratzers Entgrenzung von Arbeit weniger in die lebensweltlichen Aspekte des Subjekts eintaucht, sondern eher die Verbindung zwischen Organisation und Subjekt analysiert. Im den folgenden Ausführungen sollen zunächst beide Schwerpunkte erläutert werden, damit sich schließlich ein geeignetes Theoriekonzept abbilden lässt, welches für die Untersuchung der Leitfrage in der Empirie verwendet werden kann.

Voß zeigt exemplarisch anhand sechs Sozialdimensionen die Mehrdimensionalität der Entgrenzungsprozesse und unterteilt diese noch in die Kategorie Entgren­zungen in der Erwerbsarbeit und Entgrenzungen in Arbeit und Leben. Da der Fokus dieser Forschungsarbeit auf der Entgrenzung von Arbeit liegt und dadurch eine höhere Vergleichbarkeit zu Kratzers Dimensionen gegeben ist werden im folgenden Abschnitt nur Entgrenzungsdimensionen hinsichtlich der Erwerbsarbeit geschildert.

- Die zeitliche Entgrenzung äußert sich vor allem durch die weitreichende Flexibilisierung und Individualisierung der Arbeitszeit. In Form von Gleitzeit, Zeitkonten und Vertrauensarbeitszeit hat der Erwerbstätige zum einen die Möglichkeit seine Arbeitszeiten freier nach seinen Wünschen zu gestalten, zum anderen neben der dadurch neu erforderten Selbststrukturierung auch die Formen wie unregelmäßige Mehrarbeit und Arbeit auf Abruf massiv in das Zeitmanagement des Subjekts einwirken.
- Die räumliche Entgrenzung bezieht sich auf die Grenzziehung des Arbeitsortes und des Wohnortes. Durch die Neuerungen der letzten Jahrzehnte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien wurde die Arbeit abseits des betrieblichen Umfelds deutlich erleichtert. So hat sich die Mobilität des Arbeitsplatzes unter anderem in Form von Telearbeit gewandelt und bedarf nun nicht mehr der Grenzziehung von Wohn- und Arbeitsort.
- Durch die zunehmenden Gestaltungs- und Steuerungsspielräume der Erwerbstätigen steigen auch die Anforderungen durch eine inhaltliche Entgrenzung. Die Entwicklung zu einer eher indirekten Steuerung durch das Management wie mit Zielvereinbarungen o. Ä. erfordert nicht mehr nur die Qualifikation in einem Fachgebiet vom Subjekt. Überfachliche Anforderungen die ein erhöhtes Maß an Selbstmanagement, Belastungsresistenz und Selbstorganisation voraussetzen sind nun deutlich mehr gefragt als nur die Expertise in einem Fachgebiet.
- Die indirekte Steuerung durch das Management, wie bereits im vorherigen Punkt beschrieben, ist auch ein Entgrenzungsprozess auf sozialer Ebene. Abgeflachte Hierarchien oder Arbeitsformen wie Gruppen- oder Teamarbeit sind ein passendes Beispiel für die sich verändernden Sozialnormen während der Erwerbsarbeit, sowohl horizontal als auch vertikal.
- Die bloße Arbeitskraft die der Erwerbstätige dem Unternehmen zur Verfügung stellt reicht nicht mehr aus. Vielmehr wird nun auch die sinnhafte Entgrenzung von vielen Unternehmen gefordert, aber auch von vielen Erwerbstätigen verlangt. Die Arbeit soll sinnstiftend sein, es wird Selbstmotivation aber auch Selbstdisziplinierung verlangt.
- Als letzte relevante Sozialdimension gilt es die technische Entgrenzung zu nennen, in der sich die Vermischung von Arbeits- / Hilfsmitteln manifestiert. Aufgrund von wachsender Selbstorganisation ist auch die Erosion zwischen privaten und Firmeneigentum erodiert, das zeigt sich unter anderem am Beispiel von Mobiltelefonen und Kraftfahrzeugen, die Firmeneigentum sind aber auch privat genutzt werden (dürfen)

(vgl. Voß 1998: 480)

Auch wenn sich der Bezug der Dimensionen primär auf die Erwerbsarbeit gerichtet hat, bedarf es keiner ausführlichen Interpretation, um auf Konsequenzen auf die Lebenswelt des Subjekts daraus zu erschließen. Anhand des Beispiels der inhaltlichen Entgrenzung soll diese These veranschaulicht werden: Die oben genannte Dynamisierung der Qualifikationsanforderungen sorgen auf der Ebene der Erwerbsarbeit für mehr Bedarf an Selbstmanagement, Belastbarkeit etc. Auf der Ebene von Arbeit und Leben hingegen werden eher die daraus resultierenden Folgen beschrieben: Die „[z]unehmende Bedeutung unklarer Tätigkeiten und Kompetenzen zwischen Privatheit und Arbeit […]“(Voß 1998: 481). Dies misst der Sphäre des Privatlebens keine geringere Wichtigkeit zu, unterstreicht allerdings den Kern der Entgrenzung von Arbeit und Leben: die Veränderung der Erwerbsarbeit.

Zusammenfassend mit dem Blick auf das Subjekt und der Erwerbsarbeit lässt sich sagen, dass das Individuum dazu angehalten ist neue Handlungsparameter für sich zu finden. Eine eigene Strukturierung, Spezialisierung und Differenzierung treten nun an die Stelle, an der das Normalarbeitsverhältnis einst war. Wie bereits in der Beschreibung und den Dimensionen verdeutlicht ist das Selbst von entscheidender Bedeutung. Das Subjekt, welches im Fordismus eher als Störfaktor angesehen wurde steht hier im Mittelpunkt der Entgrenzung. Daraus resultierend beschreiben Voß und Pongratz den Arbeitskraftunternehmer, der letztlich eine Weiterentwicklung des Arbeitsnehmers sein soll. Da diese These auf viel Kritik gestoßen ist und letztlich auch von Voß und Pongratz teilweise revidiert wurde ist es nicht nötig diese in ihrer Gänze zu erläutern. Jedoch werden in der These relevante Eigen­schaften des Subjekts genannt, welche in den Sozialdimensionen angeschnitten wurden und für die spätere Untersuchung von Interesse sind.

Der Arbeitskraftunternehmer wurde zunächst als gesellschaftlicher Leittypus angeführt, der den Arbeitnehmer ablösen sollte basierend auf dem sozialen Phänomen der Entgrenzung. Durch verschiedene Untersuchungen stellte sich allerdings heraus, dass sich so eine berufsbiografische Orientierung nicht abzeichnet. Es gibt nach wie vor einen großen Teil an „klassischen“ Arbeitnehmern, die die Sicherheit eines Normalarbeitsverhältnisses genießen. Daher ist nicht ein neuer beruflicher Leittypus die Folge der Entgrenzungsprozesse sondern möglicherweise eine berufsbiografische Pluralität. Zwar bildete sich ein neuer Typus aus einem alten heraus (wie zuvor der Arbeitnehmer aus dem Lohnarbeiter nun der Arbeitskraftunternehmer aus dem Arbeitnehmer) sorgt aber eher für eine Heterogenität der Arbeitsformen in der Erwerbsarbeit. Als zentrale Dimensionen eines Arbeitskraftunternehmers, oder eben eines entgrenzten Arbeitnehmers, sind die Selbst-Kontrolle, Selbst-Ökonomisierung und die Selbst-Rationalisierung. Die Selbst-Kontrolle bezieht sich in erster Linie auf die verstärkte Selbststeuerung, durch die abnehmenden Handlungsvorgaben des Unternehmens, wie es bereits in den verschiedenen Sozialdimensionen beschrieben wurde. Die Selbst-Ökonomisierung hingegen bezieht sich auf den Rollenwechsel des Arbeitnehmers von einem passiven zu einem aktiven Akteur in Bezug auf Rationalisierungsstrategien seitens des Unternehmens. Es wird ein strategisch handelndes Subjekt erwartet, welches seine eigenen entgrenzten Fähigkeiten kennt und diese gezielt verwertet, um einen Profit daraus zu erzeugen. Als letzte Dimension des Arbeitskrafttypus entspricht die Selbst-Rationalisierung einer Verbetrieblichung der eigenen Lebensführung. Mit anderen Worten ist der lebensweltliche Fokus die steigende Qualität der Erwerbsarbeit durch Anpassungen die im Privatleben getroffen werden, um mehr Leistung bei der Arbeit zu erbringen (vgl. Pongratz/Voß 1998: 2ff.; Pongratz/Voß 2003: 230).

Von diesem etwas allgemeineren Standpunkt innerhalb des Konzepts der Entgrenzung soll nun durch Kratzers Auffassung der Entgrenzung ins Spezielle geschlossen werden, woraus letztlich Entgrenzungsdimensionen für die empirische Untersuchung erarbeitet werden sollen.

3.3 Die Erosion fordistisch-tayloristischer Normalarbeitsverhältnisse nach Kratzer

Wie bereits bei der Herleitung in Kapitel 3.1 beschrieben, gibt es neben dem Theorieansatz der Entgrenzung von Arbeit und Leben nach Voß und Moldaschl auch eine für diese Forschungsarbeit passendere und pointiertere, da sich Kratzer vor allem mit den Grenzen zwischen der Organisation und dem Subjekt auseinandersetzte. Darüber hinaus kritisiert Kratzer an der Entgrenzungsdebatte, dass es an inhaltlicher Bestimmung fehle. Daher unterteilt er die verschiedenen Entwicklungsprozesse in die Themenfelder der Flexibilisierung, Subjektivierung und Vermarktlichung und kommt zu dem Schluss, dass die Entgrenzung von Arbeit unter anderem eine Folge von betrieblichen Rationalisierungsstrategien ist (Kratzer/Sauer 2003: 90f.).

Vermarktlichung beschreibt er als das Verhältnis zwischen Organisation und Markt in der postfordistischen Gesellschaft. Während es im Fordismus zu einer strikten Abschottung der organisationsinternen Produktion gegenüber der Marktökonomie gegeben hat, wird nun die Dynamik des Marktes als Strukturierungsmittel für eine permanente Reorganisation verstanden. Dies wurde möglich durch zweierlei Entwicklungen: Einerseits durch eine unmittelbare Marktanbindung von Organisationseinheiten, welche zuvor noch vom Markt abgeschottet war und andererseits die Integration von Markt- und Konkurrenzmechanismen in die Organisation. Die unmittelbare Marktanbindung wird durch eine Dezentralisierung oder kompletter Ausgliederungen von einzelnen Einheiten der Organisation angestrebt. Damit gibt die Organisation als institutionelle kontrollierende Instanz bewusst Teile seiner Steuerungs- und Strukturierungseigenschaften ab und überträgt den Druck des Markts direkter an die Arbeitskräfte. Die zweite Ausprägung, die Integration der Markt- und Konkurrenzmechanismen, wird als Internalisierung des Marktes bezeichnet und kann als Simulation von Marktbeziehungen verstanden werden. Mit anderen Worten steht nicht mehr allein die gesamtheitliche Organisation mit anderen gesamtheitlichen Organisationen auf dem Wirtschaftsmarkt im Wettkampf, sondern auch die dezentralisierten Organisationeinheiten untereinander. Beispielsweise durch marktorientierte Kennziffern die nicht mehr Herrschaftswissen des Managements sind, sondern für alle zugänglich gemacht werden den Leistungsruck auf die einzelnen Organisationseinheiten und damit auch auf das Subjekt erhöhen. So steigen nicht nur der Leistungsdruck und die Wettkampforientierung durch die Neuschaffung der Schnittstellen zum Markt durch die Dezentralisierung, sondern auch zu organisationsinternen Einheiten mit dem Wissen, dass unwirtschaftliche Organisationszweige outgesourct oder ausgegliedert werden können (vgl. Kratzer 2003: 38ff.).

Vergleicht man den Entgrenzungsprozess der Vermarktlichung mit den bereits erläuterten Sozialdimensionen zeigt sich, dass vor allem die inhaltliche und die sozialorganisatorische Entgrenzung unter der Vermarktlichung gefasst werden können. Die dynamischen Anforderungen des Markts, welche nun teilweise struktur- und steuerungsgebend sind werden unkontrollierter auf das Subjekt übertragen und bilden dadurch die Anforderungen des Selbstmanagements, der Belastungsresistenz aber auch die Dynamisierung der Qualifikationsanforderungen. Der Trend zu kleineren Organisationseinheiten die autonom agieren im Rahmen der Dezentralisierung äußern sich in Form von Team- und Gruppenarbeiten, sowie flacheren Hierarchien und korrelieren somit mit der sozialorganisatorischen Entgrenzung. Dort sind Team- und Gruppenarbeiten ein Lösungsweg, um sich in kleineren Einheiten zu organisieren. Darüber hinaus sind zum flachere Hierarchien ein Anzeichen für die indirekte Steuerung seitens der Führung, aber auch ein Anzeichen für eine stärkere Steuerung durch die Marktökonomie (vgl. Kratzer 2003: 192ff.).

Der Entgrenzungsprozess der Flexibilisierung beschreibt die Grenzerosion zwischen den Dimensionen Erwerbsarbeit und privater Lebenswelt auf sozialer, zeitlicher und räumlicher Ebene. Die Flexibilisierung auf sozialorganisatorischer Ebene äußert sich durch die Zunahme an atypischen Beschäftigungsverhältnissen (z.B.: Selbstständige, freie Mitarbeiter, Leiharbeitnehmer, befristete Beschäftigte, geringfügig Beschäftigte), welche auch untereinander stark an Vergütung und Qualifikation indifferent sind (vgl. Kratzer et al. 2004: 338).

Während Wochenend- und Schichtarbeit bereits im Fordismus eine Flexibilisierung der Arbeitszeit gezeigt haben kam der Trend der zunehmenden Unmittelbarkeit der Arbeitszeitgestaltung auf die Marktanforderungen hinzu: Die Arbeitskraft wird solange genutzt, wie sie benötigt wird (vgl. Lehndorff 1997: 110). Das heißt für den beschäftigten Mitarbeiter flexible Mehrarbeit durch den Druck der Marktökonomie, die in Zeiten von konjunktureller Rezession wieder „abgebummelt“ werden können und beispielsweise innerhalb eines Arbeitszeitkontos festgehalten werden

Die zeitliche und räumliche Flexibilisierung zeigt sich kollektiv vor allem durch die Zunahme an mobilen und alternierenden Telearbeiten, bei denen durch „Vertrauensarbeitszeit“ nur noch durch Kennzahlen, Benchmarks, KPIs o. Ä. das Arbeitsvolumen begrenzt wird. Zwar können Telearbeiten auch im Außendienst von den Beschäftigten absolviert werden und entgrenzen somit nur den Arbeitsort, bei Teleheimarbeiten hingegen könnte es zu einer vollständigen Durchmischung der privaten Lebenswelt und der Erwerbsarbeit kommen (Jürgens 2003: 39f.).

Als letzten übergeordneten Entgrenzungsprozess gilt es die Subjektivierung von Arbeit zu erwähnen, welches das Verhältnis zwischen Person und Arbeitskraft erklären soll. Die Merkmale des Prozess sind die Aktivierung der individuellen Potentiale der Arbeitskraft hinsichtlich Leistung, persönlicher Qualifikationen und Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten mit dem Ziel der Effizienzsteigerung. Mit anderen Worten greift das Subjekt in der Rolle der menschlichen Arbeitskraft auf Ressourcen zurück, die ihm als Privatperson zur Verfügung stehen. Weitere Merkmale der Subjektivierung von Arbeit sind ähnlich der Dimensionen des Arbeitskraftunternehmers wie Selbstmanagement, Selbstorganisation oder Selbstkontrolle (vgl. etwa Gottschall/Voß 2003: 12f; Kratzer 2003: 52f.).

3.4 Weiterführende Forschung und interdisziplinäre Anwendung

Nachdem nun die Kernthesen der Entgrenzungstheorie und die zentralen Schwerpunktthesen aufgegriffen wurden, bedarf es eines Ausblicks auf den aktuellen Forschungsstand. Die bisher erläuterten Theorien basieren auf arbeitssoziologischen Untersuchungen, während aktuellere Studien, allen voran der Fehlzeiten Report aus 2012, eher interdisziplinär angelegt sind. Somit lässt sich zunächst sagen, dass für die Herleitung des Phänomens durchgeführte Studien wie die von Kratzer 2003, Voß und Pongratz 2003 und Jürgens 2003 zentrale Wegbereiter waren nicht nur für die Debatte der Entgrenzung, sondern auch für weiterführende Forschungen wie zur Subjektivierung, Flexibilisierung, Vermarktlichung, Dezentralisierung, Work-Life-Balance etc..

Wie eben bereits erwähnt, ist der Fehlzeiten Report 2012 aus vielerlei Hinsicht besonders hervorzuheben. Zunächst einmal weil die stattfindenden Entgrenzungsprozesse nunmehr Konsens der Autoren sind und als Fundament der Untersuchungen genutzt werden. Daraus lässt sich das Phänomen als Trenderscheinung negieren und zeigt eben auch welch hohe Relevanz das Thema abseits der Arbeitssoziologie innehat. Darüber hinaus zeigen Untersuchungen wie die von Flüter-Hoffmann, Paridon, Rexroth et al. und Hofmann die Wichtigkeit der Teleheimarbeit im Bereich der flexiblen Arbeitswelt. Während die Entgrenzungs- /Flexibilisierungsrelevanten Studien bereits in die vorherigen Kapitel mit einbezogen wurden diese, die sich auf Teleheimarbeit bezogen bisher ausgeklammert. Daher soll im folgenden Abschnitt eine Darstellung der Teleheimarbeit erfolgen und die Relevanz der Leitfrage untermauert werden (Badura et al. 2012).

4 Die Geschichte der alternierenden Teleheimarbeit: Realitätsferner Trend oder Arbeitsform der Zukunft?

4.1 Ein Definitionsversuch

Teleheimarbeit oder auch Home Office genannt ist eine Unterkategorie der Telearbeit. Diese wird als Sammelbegriff für informations- und kommunikationstechnisch gestützte Arbeitstätigkeit verstanden, die räumlich entfernt vom Auftraggeber verrichtet wird. Dementsprechend dient der Begriff Teleheimarbeit einer etwas genaueren Spezifizierung, da man die angesprochene räumliche Entfernung in den häuslichen Bereich der Person ersetzen kann. Mario Seger arbeitet an dieser Stelle mit den vier Dimensionen Raum, Zeit, Technik und Vertragsform, welche es ermöglichen alle Formen von Telearbeit klar zu unterscheiden. Die bereits angesprochene räumliche Entfernung vom Auftraggeber in der Telearbeit ist nicht zwingend die Teleheimarbeit, sondern kann auch die zentrierte Telearbeit oder die mobile Telearbeit bedeuten. Eine Zentrierung wird häufig durch Gemeinschaftsbüros ermöglicht, die sich näher am Wohnort der Beschäftigten befinden, sogenannte Satellitenunternehmen. Die Mobilität der Telearbeit ergibt sich beispielsweise durch geschäftliches Reisen des Beschäftigten, oder die Absolvierung der Arbeit beim Kunden. Die zeitliche Dimension unterscheidet lediglich die permanente und alternierende Telearbeit, am Beispiel der alternierenden Teleheimarbeit bedeutet es, dass die Person alternierend im Betrieb und im häuslichen Bereich arbeitet. Basierend auf der Definition verschiedener Bundesministerien ist alternierende Teleheimarbeit gegeben, wenn die Erwerbstätigen nicht regelmäßig mehr als drei Wochentage in einer Vollzeitanstellung von Zuhause aus arbeiten. Empirica spricht in einer maßgebenden explorativen Studie auf diesem Gebiet über alternierende Teleheimarbeit, wenn diese weniger als 90% am häuslichen Arbeitsplatz ausgeübt wird (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1997: 9; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001: Abschnitt 2.1)

Bezüglich der technischen Dimension variieren die Meinungen der Experten bei der Anwendung von Kommunikations- und Informationstechnologien. Die Definition zu Beginn des Kapitels von Kleemann nimmt diese Technologien als Ausgangslage für Telearbeit, wohingegen Seger, der sich wiederrum auf Büssing bezieht auch eine Möglichkeit der „offline“ Telearbeit beschreibt. Zwar werden zumeist Mischformen verwendet, aber eine Differenzierung ist an dieser Stelle sinnig, um die Definition limitiert zu halten. Daher sollten mobile Arbeiter, die in Außendiensttätigkeiten o. Ä. „offline“ agieren nicht inkludiert werden. Dies ergründet sich daraus, dass neben Außendiensttätigkeiten von mobilen Arbeitern auch Lehrer, Richter etc. nach der Argumentation von Seger unter Teleheimarbeitern verstanden werden können, da diese in häuslicher Umgebung Teile ihrer Arbeit absolvieren. Für die Leitfrage ist die Exklusion dieser Beschäftigtengruppen dienlich, zumal die Informations- und Kommunikationstechnologien einen immensen Einfluss auf die Entgrenzung von Arbeit besitzen (Büssing 1996: 10ff.; Seger 2006: 5f.).

4.2 Entwicklungen der Teleheimarbeit

Wie bereits in Kapitel 3.2 angesprochen, war die Ölpreiskrise für die Vereinigten Staaten ein erheblicher wirtschaftlicher Rückschlag. Vor allem die Automobilbranche und die dazugehörigen Zulieferer waren auf eine Massenproduktion aufgrund hoher Nachfrage ausgelegt. Als die hohe Nachfrage Ausblieb und die Unternehmen aufgrund von fehlender Flexibilität durch die Massenanfertigungen beinahe reaktionsunfähig waren, wurde nach langfristigen Lösungen gesucht. Allerdings war dies nicht der Anfang der Krise für das fordistische Arbeitsmodell, sondern auch nur ein wesentlicher Faktor für den Vormarsch der Telearbeit. Eine der ersten bekannteren Studien zu diesem Thema ist von Jack Nilles und prägte den Begriff „Telecommuting“. Wie schon der Titel beschreibt: „The Telecommunications-transportation Tradeoff“ war die eigentliche Ursache für die Telearbeit eine Rationalisierungsstrategie zur Effizienzsteigerung. Gründe dafür waren der geringere Energiebedarf und geringere Kosten, da der Transfer mit dem PKW durch Telearbeit wegfiel (vgl. Kleemann 2003: 59f.; Kleemann 2005: 29ff.; Nilles 1976).

Darüber hinaus gab es im ganzen Land Ballungszentren von Pendlerströmen, in denen das stetig ansteigende PKW Aufkommen infrastrukturell nicht mehr kompensiert werden konnte. Von staatlicher Seite war Telearbeit ebenfalls eine sehr willkommene Alternative aus zweierlei Hinsicht. Zum einen vereinfachte es die Integration aus benachteiligten Gruppen, beispielweise Menschen mit Handicaps die ausschließlich von zuhause aus arbeiten können. Zum anderen können strukturschwache Regionen gefördert werden durch den Bau von Telearbeitszentren und die damit einhergehende Möglichkeit von neuen Arbeitsplätzen. So profitierten die Unternehmen und der Fiskus durch Kosteneinsparungen deutlich aus diesen Neuerungen, aber auch die Beschäftigten, die sich dadurch auch eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben erhofften. Daher fand dieses Arbeitsmodell von Beginn an viel Zuspruch, anders als in Deutschland.

Hierzulande war die Teleheimarbeitsdiskussion welche sich Anfang der 1980er Jahre begann zunächst negativ besetzt, da es Teile der Bevölkerung an die klassi­schen prekär beschäftigten Heimarbeiter erinnerte. Darüber hinaus zeigten Modellversuche, die mit Frauen durchgeführt wurden, dass Teleheimarbeit zu einer erheblichen Mehrbelastung bei den Teilnehmern führte. Durch familiäre Pflichten, die zu dem Zeitpunkt noch größtenteils dem weiblichen Geschlecht angelastet wurden, kam es durch eine Doppelbelastung statt zu einer Entlastung. Des Weiteren fehlte auch das Verständnis Teleheimarbeit als „richtige Arbeit“ anzuerkennen, welche eben nur nicht mehr im Betrieb verübt wird, sondern zuhause (vgl. Will 2002: 15). Dies in Zusammenspiel mit dem Gegenwind der Gewerkschaften, welche eine Untergrabung sozialrechtlicher und arbeitsrechtlicher Regelungen befürchteten, führten dazu, dass das öffentliche Interesse dazu im Laufe der 80er Jahre abnahm. Die institutionelle Forschung hingegen beschäftigte sich intensiv mit der Teleheimarbeit in verschiedensten Modellprojekten. Als allgemein geteilte Erkenntnis ging hervor, dass vollständige Teleheimarbeit nicht praktikabel sei. Durch die Isolation des Individuums und die zumeist dadurch vernachlässigte persönliche und berufliche Entwicklung wurde dieses Arbeitsmodell schnell verworfen. Da sich die Nachteile durch ein alternierendes Modell beheben ließen, rückte dieses Ende der 80er Jahre in den Vordergrund. Hervorzuheben ist an dieser Stelle das Projekt der IBM Deutschland, welches 1988 durch eine klar reglementierte Betriebsvereinbarung die positiven Facetten der alternierenden Teleheimarbeit präsentierte. Durch die detaillierte Planung von Finanzierung und häuslicher Struktur über Aufwandserstattung, Arbeitszeit, Haftung, Versicherung und Datenschutz entstanden eine deutlich definierte Erwartungshaltung des Unternehmens und auch eine Absicherung für die Beschäftigten. 1991 wurde IBM für dieses Modellprojekt der Innovationspreis der deutschen Wirtschaft verliehen und 1998 etablierte die Telekom AG alternierende Teleheimarbeit erstmalig als mögliche Arbeitszeitorganisation auf der Basis eines Tarifvertrags (vgl. Seger 2006: vgl. 17).

Der zunächst erfolgreichere zweite Anlauf der Teleheimarbeit in Deutschland schien vielversprechend, stieß allerdings auch auf Gegenstimmen. So kritisiert Kleemann in seinem Werk „Die Wirklichkeit der Teleheimarbeit“ allen voran die Studie von Empirica im Jahr 2002, welche als eine der ersten und auch eine sehr umfangreiche Untersuchung zu diesem Thema im deutschen Raum gilt. Ein Kritikpunkt an den Erhebungsmethoden ist beispielsweise der Wechsel des Befragungsobjekts. Dieses änderte sich von Heimarbeit auf außerbetriebliche Telearbeit. Wie im vorherigen Kapitel bereits erläutert bestehen zwischen den beiden Begriffen gravierende Unterschiede, welches sich dementsprechend auf die Schlussfolgerungen durch die Untersuchungsergebnisse auswirkte. Besonders hervorzuheben an dieser Stelle ist, dass der rasante Anstieg an Telearbeitern nicht zwingend einen ähnlichen Anstieg an Teleheimarbeitern prognostiziert. Durch andere Megatrends wie die Digitalisierung und die massiven Fortschritte in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie war ein Anstieg an Telearbeitern ohnehin zu erwarten. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Angabe von 2 Millionen Telearbeitern, wohingegen vergleichsweise das Stuttgarter Fraunhofer Institut 1997 erst 22.000 reine und 348.000 alternierende Teleheimarbeiter ermittelt hat. Diese beiden Erhebungen widersprechen zwar nicht einander, aber eine massive Diskrepanz ist deutlich zu erkennen. Vor allem der Umgang mit der Studie seitens des Staats kritisiert Kleemann, da bewusst versucht worden sei die als „Arbeitsform der Zukunft“ deklarierte Teleheimarbeit in die Gunst der Öffentlichkeit zu bringen, unabhängig von der tatsächlichen praktischen Anwendung und Studienlage. Abseits von dem etwas erzwungenen Erfolgsweg dieser Arbeitsmethode, zeigen aktuelle Studien durchaus allerlei positive Aspekte sowohl für die Unternehmen als auch die Beschäftigten (vgl. Freudenreich et al. 1997; Kordey 2002: 10ff.; Kleemann: 11ff.).

4.3 Teleheimarbeit heute

Teleheimarbeit ist nach wie vor hoch im Kurs. Mittlerweile zeigen repräsentative Befragungen, dass circa jeder dritte Beschäftigte zumindest die Möglichkeit auf Teleheimarbeit hat, Tendenz steigend. Wiederum ist es auch jedes dritte Unternehmen, welches in 2017 seinen Beschäftigten Home Office gewährt. Einer der Gründe dafür ist die, bereits angesprochene, staatliche Förderung. Sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission sind seit Jahren Befürworter für dieses Arbeitszeitmodell und unterstützen Unternehmen, die dieses praktizieren oder damit beginnen wollen. Ein weiterer Aspekt ist das zurzeit prominente Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, welches unmittelbar mit der Teleheimarbeit zu verknüpfen ist. Denn bereits ohne sich mit dem Thema vertieft beschäftigt zu haben, mag es naheliegen, dass die Verschiebung des Arbeitsplatzes in das familiäre Umfeld zu einer besseren Vereinbarkeit führen könnte. Auch wenn die Modellprojekte in den 1980er Jahren weniger erfolgreich waren kommen aktuellere Untersuchungen auf überwiegend positive Ergebnisse. Allerdings muss an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass es zur alternierenden Teleheimarbeit erst wenige aussagekräftige Studien durchgeführt wurden. Generell gibt es bis dato erst drei Studien, die sich in Deutschland mit dem Thema beschäftigt haben und ein Sample von mehr als 50 Personen umfassten. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle die Dissertation von Mario Seger, welche sowohl durch qualitative als auch quantitative Erhebungsmethoden und einem Sample von 141 alternierenden Teleheimarbeitern und deren Vorgesetzten zu aussagekräftigen Ergebnissen gekommen ist (vgl. Seger 2006: 28ff. ;Suhr 2019: 1).

Aus der Sicht der Beschäftigten wurde als Motivation für die Wahl der alternierenden Teleheimarbeit mehr Zeit für die Familie am häufigsten genannt. Direkt gefolgt von dem Wunsch nach effektiveren oder ungestörteren Arbeiten und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten sind das die drei Motive welche sich bei den meisten Befragten herauskristallisierten. Diese Motive wurden dann auch im Verlauf der Studie bestätigt: Die Vereinbarkeit zwischen den verschiedenen Sphären ist in einem hohen Maße positiv. Über 50 % der Befragten sprachen von einer positiven Veränderung, obwohl sie einer subjektiv höher empfundenen Belastung ausgesetzt waren. Allerdings waren auch 63,4 % der Befragten der Auffassung, dass die Grenzen zwischen dem Privatleben und der Arbeit verschwimmen. Bemerkenswert sind zudem auch die signifikant positiven Entwicklungstendenzen im Bereich der Produktivität, Qualität der Arbeit und der Arbeitsmotivation, welche nicht nur von den Beschäftigten, sondern auch von Ihren Vorgesetzten so bestätigt wurden. So lässt sich generell festhalten, dass es bei den Teilnehmern dieses Modellprojekts zu einer besseren Vereinbarkeit zwischen den Sphären Beruf und Familie gekommen ist. Darüber hinaus lassen sich auch basierend auf anderen Untersuchungen drei herausstehend positive Aspekte für den Beschäftigten generalisieren. Neben den zwei bereits genannten ist die Kosten- beziehungsweise Zeitersparnis der dritte Grund weshalb viele Erwerbstätige Home Office praktizieren (vgl. Seger 2006: 28ff.)

Weswegen sich Unternehmen dafür entscheiden diese Art der Arbeitsflexibilität anzubieten ist nicht nur die nachgewiesene Produktivitätssteigerung der Beschäftigten, sondern auch die Möglichkeit der Personalbindung und der höheren Attraktivität als Arbeitgeber. Der Fachkräftemangel der in alle Munde ist wirkt sich natürlich in erster Linie auf den Wettbewerb von Unternehmen aus, die versuchen ihre Arbeitskräfte besser an das Unternehmen zu binden und darüber hinaus noch neue einstellen zu können. Auch wenn das Problem bisher in kaum einer Branche so massiv ist, dass die Unternehmen sich auf die Erwerbstätigen bewerben müssen so wie es von Experten prognostiziert wird, besteht dennoch meist akuter Bedarf an Personal. Ein gutes Gehalt, ein nettes Arbeitsklima und Entwicklungsmöglichkeiten sind schon länger nicht die einzigen ausschlaggebenden Punkte, die eine Rolle bei der Arbeitgeberwahl spielen. Familienbewusste Arbeitsbedingungen, flexible Arbeitszeiten, Teleheimarbeit und eine allgemein bessere Vereinbarkeit vom Berufsleben mit dem Privatleben stehen bei vielen Erwerbstätigen hoch im Kurs (vgl. Seger 2006: 28ff.).

Wie auch in der Entgrenzungsthematik lässt sich hier eine Ambivalenz der Forschungsergebnisse feststellen. Zu den eben erläuterten Chancen der Teleheimarbeit gibt es auch Risiken, die diese Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsorts zu Folge haben. Das zentrale Risiko, welches bereits viele Parallelen zur Entgrenzungsthese aufweist ist die Mehrbelastung, beziehungsweise die ständige Erreichbarkeit durch die verschwimmenden Grenzen. Diese konnte zwar in der Dissertation von Seger nicht festgestellt werden, wurde aber beispielsweise in Untersuchungen von Flüter-Hoffmann, Zok und Dammasch, Jannsen und Nachreiner vielfach beschrieben und plausibel dargelegt. Darüber hinaus könnte sich die Diskrepanz der Ergebnisse durch die Rahmenbedingungen in Segers Studie erklären. Trotz des großen Samples und den validen Erhebungsmethoden waren die Befragten Beamte in einer Landesverwaltung, welche dieses Modellprojekt in Auftrag gab. So sollte unter Bewertung der Resultate zum einen die mögliche Diskrepanz zwischen Beamten und Beschäftigten in der freien Wirtschaft berücksichtigt werden und der positiv-gestimmten Meinung des Staats zur Teleheimarbeit (vgl. Flüter-Hoffmann: 71f.; Jannsen/ Nachreiner 2004: 15f.; Zok/Dammasch 2012: 39f.).

Als weiteres mögliches Risiko wird in einigen Studien die freiwillige Selbstausbeutung angeführt, welche häufig in Verbindung mit mangelnder Selbstorganisation in Verbindung gebracht wird. Der Unterschied zwischen der freiwilligen Selbstausbeutung und der Überbelastung ist letztendlich der Ursprung von dem die steigende Belastung ausgeht. Denn unabhängig des Arbeitsaufwands oder den allgemeinen Rahmenbedingungen der alternierenden Teleheimarbeit ist eine allgemein höhere Belastung sowohl von Arbeit als auch vom Privatleben festzustellen. Der Grund dafür kann schlichtweg die höhere Souveränität von Ort und Zeit sein, die nun freier wählbar ist und somit auch eigenen Strukturierungsprozessen unterliegt für die es vor allem zu Beginn ein hohes Maß an Selbstorganisation bedarf. Bei der freiwilligen Selbstausbeutung hingegen sind die Beschäftigten unabhängig der hinzukommenden Strukturierungsprozesse bereit Mehrarbeit zu leisten, welche in einem Arbeitszeitmodell ohne Teleheimarbeit noch nicht geleistet wurde. Ursachen dafür können beispielsweise der Druck sein, seinen Kollegen und Vorgesetzten zeigen zu wollen, dass man auch betriebsfern produktiv arbeiten kann oder auch der freiwillige Verzicht auf Pausenzeiten oder den pünktlichen Feierabend, weil man denkt man habe während der Arbeitszeit zu viel privates gemacht (vgl Seger 2006: 122f.).

[...]

Final del extracto de 91 páginas

Detalles

Título
Homeoffice und die Entgrenzung von Arbeit. Welche Auswirkungen hat die alternierende Teleheimarbeit?
Universidad
University of Hannover  (Philosophische Fakultät)
Calificación
1,3
Autor
Año
2019
Páginas
91
No. de catálogo
V539469
ISBN (Ebook)
9783960958444
ISBN (Libro)
9783960958451
Idioma
Alemán
Palabras clave
Home Office, Teleheimarbeit, Entgrenzung, Sozialforschung, Voß, Kratzer, Work-Life-Balance, Fordismus, Taylorismus, Berufsleben, Arbeitssoziologie, Digitalisierung
Citar trabajo
David Gehrke (Autor), 2019, Homeoffice und die Entgrenzung von Arbeit. Welche Auswirkungen hat die alternierende Teleheimarbeit?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/539469

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