Managementtheorien zu Führung und Leitung. Ein besonderer Anspruch christlicher Führungskultur?


Bachelorarbeit, 2019

72 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Exposé

1. Theorien zu F ührung und Leitung
1.1 Begriffskl ärung
1.1.1 Was verstehen wir unter Führung?
1.1.2 Historische Entwicklung von Führungsmodellen
1.2 Grundlagen der F ührungsmodelle
1.2.1 Führungsstil nach Max Weber
1.2.2 Führungsstil nach Kurt Lewin
1.2.3 Vom Eigenschaftsmodell (Oswald Neuberger) zum 13 Attributionsmodell der Führung

2. Führungsmodelle im systemischen Kontext
2.1 säkulare Führungsmodelle
2.1.1 Transaktionale und Transformationale Führung (James MacGregor 16 Burns),
2.1.2 Das neue Sangt Gallener Führungsmodell
2.2 Führungsmodell des Benedict von Nursia
2.2.1 Kerngedanken der Regula Benedicti
2.2.1 Hierarchie und Teamgedanke in der Regula Benedicti
2.2.3 Ökonomische Arbeit in spiritueller Haltung

3. Dimensionen und Gestaltungsebenen diakonischer und caritativer Praxis
3.1 Vor welchen Herausforderungen stehen konfessionelle Unternehmen?
3.2 Identität vs. Diversität konfessioneller Unternehmen 30 3.3. Schwerpunktthemen aus der Praxis
3.3.2 Leitbild
3.3.3 Führung
3.3.4 Entscheidungsmanagement

4. Validierung des St. Gallener Managementmodells auf die christl. Führungskultur
4.1 Umweltsphären
4.2 Anspruchsgruppen
4.2.1 Strategisches Anspruchsgruppenkonzept
4.2.2 Theologisches Anspruchsgruppenkonzept
4.3 Managementebenen als reflexive Gestaltungspraxis
4.3.1 Prozesse (Managementprozesse, Geschäftsprozesse, 51 Unterstützungsprozesse)
4.3.2 Ordnungsmomente (Strategie, Strukturen, Kultur)
4.3.3 Entwicklungsmodi (Erneuerung, Optimierung)

5. Zusammenfassung der Ergebnisse, Fazit der Erkenntnisse

Exposé

In Deutschland ist mit den Wohlfahrtsverbänden ein soziales Netz gewachsen, das bislang einzigartig auf der Welt ist. Mit über 1,4 Millionen Arbeitnehmern und über 2 Millionen ehrenamtlichen Mitarbeitern sind diese einer der größten privaten Arbeitgeberverbände. Ihre Wurzeln liegen meist in der christlichen Kultur des Alten und Neuen Testamentes, in dem Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Gal. 5,14 Revidierte Elberfelder Bibel 2008) begründet. Die Moderne hingegen ist geprägt von Pluralisierung und Säkularisierung. Diese Strömungen können als konträr zu den Werten konfessionsorientierter Unternehmen erlebt werden. Für diese wird es daher zunehmend wichtiger, ihr eigenes Profil zu stärken und ihre Inhalte, Satzungen, Konzepte, Grundsatzprogramme et al. mit neuem Leben zu füllen. Dazu äußern Hofmann und Büscher: „Auf diesem unübersichtlicher werdenden Markt sehen sich die Anbieter genötigt, ihre spezifischen Kompetenzen zu reflektieren, nach innen zu fördern und nach außen als Markenidentität deutlich zu machen.“ (Hofmann, B., & Büscher, M., 2017, S. 11) Dies ist besonders in Zeiten von demografischem Wandel, Multikulturalismus und Fachkräftemangel ein umso relevanterer Aspekt. Es stellt sich daher nicht mehr nur die Frage nach qualifizierten Mitarbeitern. „Für konfessionsorientierte Unternehmen drängt sich stattdessen vielmehr die Frage auf: „Welche Überzeugungen prägen unsere Unternehmen und wie realisieren wir sie in einem veränderten Personalmarkt?“ (Haas, H. S., & Starnitzke, D., 2015, S. 13). Es ist die Frage, ob „Konfessionsorientierung als Merkmal und Gestaltungsaufgabe der christlichen Unternehmen […] zu sehen sind“ (ebd., S. 9) und welchen Einfluss diese identitätsstiftenden Organisationsmerkmale auf die Mitarbeiter haben. Hofmann und Büscher fragen deshalb: „Inwieweit ist Diakonie als ‚Lebensäußerung der Kirche‘ (Satzung des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Deutschland, §1 (2), Satz 1) identifizierbar – insbesondere angesichts des Umstandes, dass die Motivationslagen diakonischer Mitarbeitender sich differenzieren und jedenfalls oft nicht mehr ‚eindeutig christlich’ sind?“ (Hofmann, B., & Büscher, M., 2017, S. 11).

„Alles in allem trägt der wirtschaftliche Handlungsdruck dazu bei, dass die Verhaltensweisen von privat-gewerblichen Unternehmen und freigemeinnützigen und damit auch der kirchlichen Unternehmen sich einander annähern.“ (Hofmann, B., & Büscher, M., 2017, S. 54). So sehen Haas und Krolzik eine zentrale Frage der Managementwissenschaften darin, sich mit „der Bewältigung von Ungewissheit und Ambiguität im Kontext organisationaler Entscheidungs- und Handlungsprozesse“ (Haas, H. S., & Krolzik, U., 2007, S. 174) zu befassen. Im Zusammenhang dazu sehen sie die „Frage nach einem gelingenden Leben im Kontext der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens“ (ebd., S. 174) als vordergründig an. Sie erhoffen sich durch dieses In-Beziehung-Setzen neue Impulse und praktische Formen der Bewältigung alltäglicher Organisationsprobleme (vgl. ebd., S. 174). „Der Konformitätsdruck in der Leistungserstellung hat seine Wurzeln allerdings nicht nur in Ökonomisierungsprozessen, auch wenn diese möglicherweise besonders wirkmächtig sind. Normierungen der Strukturen und des Verhaltens während der Leistungserstellung erfolgen auch über die Professionalisierung von Berufsgruppen und der Verwissenschaftlichung der Arbeit.“ (Hofmann, B., & Büscher, M., 2017, S. 54). Es soll in dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, inwieweit die diakonische Unternehmenskultur als Managementkonzept den Versuch darstellt, spirituelle Traditionen durch Elemente organisationalen Handelns in den Einrichtungen zu verorten (vgl. ebd., S. 95).

Diese These und die damit aufgeworfenen Fragen sollen anhand der Untersuchung von Managementtheorien zu Führung und Leitung, in der vorliegenden Arbeit wie nachfolgend erläutert, erörtert werden. In diesem Sinne handelt es sich bei der Arbeit um die Grundlegung eines partnerschaftlichen Diskurses von Ökonomie und Theologie jenseits von Dominanzmodellen oder einer Vermischung der jeweiligen Fachlichkeiten. Der Fokus liegt dabei auf der Bewältigung komplexer Managementaufgaben innerhalb diakonischer bzw. caritativer Einrichtungen.

Es wird sich dazu zunächst mit dem Begriff der Führung und Leitung befasst und dieser in den Kontext konfessionsgebundener Unternehmen gesetzt. Um die Liste der konfessionsorientierten Unternehmen einzugrenzen und Inhalte spezifischer zu analysieren, bezieht sich diese Arbeit in ihren Ausführungen auf die Unternehmen Diakonie (evang.) und Caritas (kath.) als deren jeweils größte Vertreter. Im Anschluss daran werden drei Grundlagenmodelle von Führung und Leitung erörtert, um darauf aufbauend säkulare Führungsmodelle, allen voran das St. Gallener Modell, zu beschreiben. Im Kontrast zu dieser Entwicklung steht das Führungsmodell des heiligen Benedict von Nursia, das auf Kohärenz zu den beschriebenen Modellen überprüft wird. Diese Überprüfung erfolgt durch die Untersuchung von praxisrelevanten Fragen in Bezug zu den Dimensionen und Gestaltungsebenen diakonischer und caritativer Unternehmen. Die gewonnenen theoretischen Erkenntnisse und die praktischen Erfahrungen der Unternehmen werden auf das St. Gallener-Managementmodell übertragen und validiert. Diese Ergebnisse sowie die vorher gewonnenen Erkenntnisse werden im letzten Punkt zusammengefasst und die Arbeit mit einem Fazit abgeschlossen.

Da zahlreiche Veröffentlichungen zu den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen vorliegen, bedient sich diese Arbeit einer rein literaturbezogenen Forschungsperspektive.

1. Theorien zu F ührung und Leitung

„Führung hat Konjunktur!“ (Lang, R., & Rybnikova, I., 2014, S. 5). Auch wenn der Begriff in Deutschland durch die Geschichte des Landes gelitten hat, spielt er doch zunehmend eine Rolle. Es kann der Eindruck entstehen, dass die Sehnsucht nach Führung, gerade in einer von Diversity (‚Vielfalt‘) geprägten Zeit, immer größer wird. „Dabei beschränkt sich Führung längst nicht mehr auf die angestammten Bereiche von Wirtschaft und Politik“ (ebd., S. 5). Vielmehr lässt sich mit den Worten von Lang und Rybnikova festhalten: „Führung ist überall“. (ebd., S. 5). Die Ökonomisierung des Lebens scheint sich nicht mehr aufhalten zu lassen. In jedem, selbst den privatesten Lebensbereichen, gilt der Grundsatz: schneller -besser - weiter! Nur kein Stillstand. Dieser wird als Tod betrachtet. (vgl. ERFOLG Magazin, 2017). Wenn selbst geistliche Unternehmen wie die Diakonie oder selbst Bruderschaften wie die Benediktiner diesem Streben nach vorn unausweichlich folgen, so stellt sich die Frage nach dem Ziel.

„Der Führungsbedarf ergibt sich daraus, dass das Handeln der Personen nach Koordination im Hinblick auf angestrebte Ziele verlangt“ (Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 35), so beschreiben es Macharzina und Wolf in ihrem Buch über Unternehmensführung. Damit stellen sich weitere Fragen? Laufen beide ‚Gemeinschaften‘ in dieselbe Richtung? Und nutzen beide dieselben Motivationsgrundlagen?

Aus dieser kurzen Bedarfsanalyse lassen sich nun weitere Fragen ableiten, die das Thema der Arbeit berühren. Zum einen die Frage nach den Zielen. Welche Ziele sind es, die verfolgt werden? Und wird diesen freiwillig gefolgt oder findet eine Instrumentalisierung statt? „Wird von Letzterem ausgegangen, so verdeutlicht dies die immer stärker werdende Relevanz der Führungsethik und damit wiederum den besonderen Anspruch christlicher Führungskultur. Diese scheint ihre ganz eigenen Koordinierungsmechanismen zu haben, um Ziele zu erreichen, die oft über Wertschöpfungsprozesse, Sachmittel, immaterielle Güter, Informationen, Werte, Rechte und Pflichten (vgl. Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 35) hinausgehen. Zur Annäherung an die Theorien von Führung und Leitung und den besonderen Anspruch christlicher Führungskultur wird zunächst der allgemeine Begriff der Führung erläutert und zu einer christlich geprägten Definition erweitert.

1.1 Begriffskl ärung

1.1.1 Führung?

Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind Organisationen, die sich unterschiedlichen Disziplinen widmen. Um dem Begriff der Führung näher zu kommen, wird Führung in dieser Arbeit daher organisationswissenschaftlich und interdisziplinär betrachtet (vgl. Lang, R., & Rybnikova, I., 2014, S. 6). Diese Variationsbreite spiegelt sich nicht nur in der bereits gewonnenen Erkenntnis wider, dass Führung unseren Alltag bestimmt und allgegenwärtig erscheint. Vielmehr ist Führung ein „soziales und daher nur bedingt messbares Phänomen“ (Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 35). Es scheint „ein eher unrealistisches Unterfangen, die Personalführung insgesamt und aus allen Blickwinkeln und in allen Kontexten darzustellen. […] Das Sammeln und Indexieren immer neuer adjektivistisch qualifizierter Führungsvorstellungen“ (Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 5) folgt daher einem verbreiteten Ansatz in der Führungsliteratur. „Das aktuelle Sortiment ist groß, noch wachsend und inflationär: ‚authentische Führung‘, ‚ethische Führung‘, ‚emotionale Führung‘, ‚ambidextre Führung‘, ‚dienende Führung‘, ‚begeisternde Führung‘, ‚spirituelle Führung‘ etc. pp. Sie alle bieten monothematische Perspektiven auf Führung und beleuchten damit bestimmte, höchstwahrscheinlich durchaus relevante Aspekte, während andere im Dunkel bleiben.” (ebd., S. 5). All diese Vorstellungen spiegeln jedoch den etymologischen Kern des Wortes Führung wider, der Führung mit ‚in Bewegung bringen‘ (vgl. ebd., S. 24) in Beziehung setzt und die Führungskraft entsprechend als ‚den Beweger‘ verstehen lässt. Dieser nutzt seine Führungsposition um Einfluss (Macht) zu nehmen auf „Einstellungen, Werte Überzeugungen und Verhaltensweisen“ (Weinert, A. B., 2004, S. 458) von Mitarbeitern.

Neben diesen institutionellen und persönlichen Merkmalen, deren Blickrichtungen, wie beschrieben, sehr unterschiedlich sein können, fasst die Funktion von Führung viele Definitionsversuche wieder näher zusammen.

„Funktionale Merkmale beschreiben die Aufgaben- und Tätigkeitsinhalte der Unternehmensführung, wobei Zielbestimmung, Strategieformulierung, Planung, Organisation und Controlling zentrale Unternehmensführungsfunktionen sind.“ (Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 37). All diese Koordinierungsmechanismen werden als Prozess verstanden und damit als „Folge von Vorgängen aufgefasst […], die sich zwischen Individuen oder Gruppen im Zeitablauf durch deren Handeln ergeben“ (ebd., S. 37). Führung schafft damit Veränderung (innerhalb und außerhalb der Organisation). Die Unternehmens-Umwelt-Koordination ist damit eine der wichtigsten Grundlagen des Führungsverständnisses. Moderne Unternehmen besitzen damit eine Vielzahl an operationalisierbaren Führungsvorstellungen, die sie ihren speziellen Bedürfnissen anpassen können.

Rolf Wunderer versucht diese Führungsvorstellungen übergeordnet in einer Definition zusammenzufassen. Er versteht Führung entsprechend als „wert-, ziel-und ergebnisorientierte, aktivierende und wechselseitige, soziale Beeinflussung zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in und mit einer strukturierten Arbeitssituation“ (Wunderer, R., 2011, S. 4). Dabei betont Wunderer in seinem Werk ‚Führung und Zusammenarbeit‘ insbesondere die Wechselseitigkeit der Beziehung zwischen Führendem und Geführten und stellt diese in einen systemischen Zusammenhang.

Noch einen Schritt weiter geht das christliche Führungsverständnis. Es erweitert das von Wunderer um eine transzendente Perspektive und stellt Gottes Einfluss auf alle (!) Ebenen des Führungsgeschehens dar. Gott wird in der Bibel zu großen Teilen als Herrscher und König beschrieben. Damit steht er in der Hierarchie ganz oben, als allumfassendes Wesen. Entsprechend gibt es eine Beziehungslinie zu allen Systemen, also auch zu allen Menschen. Wie sieht diese Beziehung aus? In Anknüpfung an die indexierten und adjektivistischen Eigenschaften von Führung greift das christliche Führungsverständnis hier auf die Werte der Bibel zurück. Diese werden zusammengefasst in dem Doppelgebot der Liebe: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften“ (Dtn. 6,4-5). Das andere ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev. 19,18), wobei es heißt: „Es ist kein anderes Gebot größer als dieses.“ (Mk. 12,29-30). Damit stehen die Gebote im bemerkenswerten Gegensatz zu menschlichen Metaphern von Führungskräften, die Gott als ‚weit über normalen‘ Organisationsmitgliedern stehend sehen (vgl. Lang, R., & Rybnikova, I., 2014, S. 295). Viel stärker soll hier die dienende Grundhaltung hervorgehoben werden, auf die sich schließlich Diakonie und Caritas berufen und die in der Betrachtung der Regula Benedicti noch besonders hervorgehoben werden wird.

1.1.2 Historische Entwicklung von F ührungsmodellen

„Führung ist historisch eng verknüpft mit der Entstehung und Entwicklung arbeitsteiliger und damit koordinationsbedürftiger (Arbeits-) Prozesse sowie mit der Entwicklung von Privateigentum, der Herausbildung von Staaten und der Führung von militärischen Einheiten sowie später mit der Entwicklung von (großen) Organisationen und Industriebetrieben.“ (Lang, R., & Rybnikova, I., 2014, S. 224). Entsprechend können erste historische Belege von Führungsmodellen bereits früh in der Geschichte verorten werden, ob es nun die Landnahmen in der Bibel sind oder der spätere Aufstieg Roms. Cäsar: „Ich habe immer probiert, ihnen (den Unterführern und Mannschaften) irgendwie den Sinn für das Ganze beizubringen, so daß sie auch im Sinne des Vorgesetzten haben handeln können. Das hat sich bewährt“ (ebd., S. 226, nach Bellum Gallicum, Kap. 3, S. 35). Über Jahrhunderte definierte sich Führung über Eigenschaften (vgl. Bartscher, T., & Nissen, R., 2018), Verhalten und die jeweilige Situation (Kontext). Es waren die Grundlagen des später erforschten Great Man- Konzeptes, das, kurz gefasst, davon ausgeht, dass nicht der Kontext den Führertypus bestimmt, sondern der Führer den Kontext (vgl. Maria, S., & Dörffer, T., 2011, S. 2). Erst mit der Industrialisierung wurde Führung zunehmend auf den Bereich der Wirtschaft übertragen. Dies hat seine Ursache darin, dass sich bis dahin Ingenieure und Verantwortliche vorwiegend mit fertigungsorientierten Problemen auseinandersetzten und sie das Thema Führung zunächst nur nachlässig behandelten. „So wird im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch erstmals 1886 von dem Ingenieur und Mitbegründer der Yale Lock Co., Herny R. Towne, über ‚Management‘, und zwar im Hinblick auf die Bedeutung des ‚management of works‘ berichtet. Im Gegensatz hierzu hatte Fayol erkannt, dass neben den in anderen Schriften seiner Zeit bereits aufgegriffenen Funktionsbereichen Produktion, Einkauf , Verkauf, Finanzwirtschaft, Rechnungswesen sowie Werk- und Spionageschutz insbesondere die Unternehmensführung von entscheidender Bedeutung für den Unternehmenserfolg ist. Dabei war er der Auffassung, dass Unternehmensführung aus einer Sequenz von Planungs-, Organisations-, Mitarbeiterführungs-, Koordinations- und Kontrolltätigkeiten besteht und somit als Prozess zu begreifen ist, der in seinen Grundstrukturen unabhängig vom Unternehmenstyp und -größe sowie Branche abläuft.“ (Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 345 f.).

Als Führungsaufgabe wurde nun vorwiegend die Disziplinierung des Arbeiters betrachtet. Unter der militärisch-preußischen Disziplin entwickelten sich Konzepte wie der Taylorismus auch in Deutschland weiter, der letzten Endes ein Nährboden für das Führertum im Deutschland der frühen 30er Jahre und der Zeit des Nationalsozialismus war. Erst mit der Jahrtausendwende hat die Ethik wieder verstärkt den Menschen als Geschöpf in den Blick von Führung und Führungstheorien genommen. Zunehmend tritt der Begriff Ethik daher in wirtschaftlichen Zusammenhängen auf. „Ethische Theorien liefern nach Northouse (2013) ein System von Regeln oder Prinzipien, die uns in spezifischen Situationen bei Entscheidungen über falsch oder richtig, gut oder schlecht anleiten können. Bezogen auf die Führung sieht er eine explizite oder implizite Verankerung solcher Prinzipien in den Eigenschaften und Verhaltensweisen von Führungskräften, etwa in Entscheidungssituationen“ (Lang, R., & Rybnikova, I., 2014, S. 318, zitiert nach Northouse, 2013, S. 424). Es kann davon ausgegangen werden, dass Mitarbeiter bereits in den jungen Jahren ihrer Berufs- und Entwicklungslaufbahn entscheidende Werte und ethische Richtlinien für sich übernehmen und diese später auf ihren Führungsstil übertragen. „Ethische Führung ist dabei jedoch überwiegend Aspekt, Facette oder Teil des Führungsverhaltens allgemein oder von spezifischen normativen Führungsmodellen wie Sozial-charismatischer Führung (Howell / Avolio 1992), transformationaler (Kanungo / Mendonca) bzw. Authentisch-transformationaler Führung (Bass/Steidlmeier), dienender Führung (Greenleaf), authentischer Führung (Luthand/Avolio) oder spiritueller Führung“ (Lang, R., & Rybnikova, I., 2014, S. 321).

1.2 Grundlagen der F ührungsmodelle

Als Grundannahme aller Führungsmodelle kann angenommen werden, dass verschiedene Modelle zu verschiedenen Ergebnissen führen. Stehen zwei Führungsstile als Pole eines Kontinuums gegenüber, findet sich dazwischen ein Kontinuum des Übergangs. Es bleibt nun, die Unterschiede der Pole (Führungsstile und Modelle) zu betrachten und deren Auswirkungen auf den Führungserfolg zu bewerten (vgl. Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 102).

Diese eindimensionale Betrachtung bleibt aber oft zu kurz, sodass zunehmend mehrdimensionale Führungsstile Einzug in das Management halten. Nachfolgend soll ein Überblick über drei grundlegende Führungsstile gegeben werden, die von Bedeutung für die heutigen Modelle sind.

1.2.1 Führungsstil nach Max Weber

Mit der Frage, warum sich Menschen beherrschen lassen, legte Max Weber (1864-1920) einen Grundstein für zukünftige Führungsmodelle. Sein Modell baut dabei auf drei Grundannahmen von Herrschaft (Machtverhältnissen) auf. Diese wären:

- Der rationale Charakter, der Herrschaft auf „dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen ruhen“ (Max Weber: Drei reine Typen legitimer Herrschaft, o.D.) lässt.
- Der traditionale Charakter , der Herrschaft „auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen ruhen (traditionale Herrschaft)“ (ebd.) lässt.
- Der charismatische Charakter , dessen Herrschaft „auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen (charismatische Herrschaft)“ (ebd.) beruht.

Anhand dieser Grundformen von Herrschaft entwickelt Max Weber drei Führungsstile und definiert diese wie folgt (vgl. Max Weber: Legale Herrschaft: Grundkategorien der rationalen Herrschaft, o.D.):Im bürokratischen Führungsstil gibt es einen kontinuierlichen, regelgebundenen Betrieb von Amtsgeschäften (Beamtentum). Innerhalb dessen existiert eine Kompetenzzuschreibung auf sachlich abgegrenzte Bereiche sowie entsprechende Befehlsgewalten (Amtshierarchie). Dabei gilt u. a. das Prinzip der Aktenmäßigkeit, das Prinzip der Trennung von Privat und Verwaltungsmitteln, und das Prinzip der Fachschulung.

Über den autokratischen/patriarchalischen Führungsstil schreibt Weber: „Traditional soll eine Herrschaft heißen, wenn ihre Legitimität sich stützt und geglaubt wird auf Grund der Heiligkeit altüberkommener (‚von jeher bestehender‘) Ordnungen und Herrengewalten. Der Herr (oder: die mehreren Herren) sind kraft traditional überkommener Regel bestimmt. Gehorcht wird ihnen kraft der durch die Tradition ihnen zugewiesenen Eigenwürde. Der Herrschaftsverband ist, im einfachsten Fall, primär ein durch Erziehungsgemeinsamkeit bestimmter Pietätsverband. Der Herrschende ist nicht ‚Vorgesetzter‘, sondern persönlicher Herr, sein Verwaltungsstab primär nicht ‚Beamten‘, sondern persönlichen ‚Dienern‘, die Beherrschten nicht ‚Mitglieder‘ des Verbandes, sondern entweder: 1. ‚traditionale Genossen‘ (§ 7 a) oder 2. ‚Untertanen‘.“ (Max Weber: Legale Herrschaft: Grundkategorien der rationalen Herrschaft, o.D.). In der Definition dieses Führungsstiles zeichnet sich die Beschreibung einer unumschränkten Alleinherrschaft ab. Allein durch die Wortwahl „Diener“ oder „Untertanen“ wird deutlich, dass Mitarbeiter nicht an Entscheidungen beteiligt werden und streng hierarchisch organisiert sind. Unbedingter Gehorsam und Disziplin werden obligatorisch vorausgesetzt.

Zum charismatischen Führungsstil heißt es bei Weber: „Charisma soll eine als außeralltäglich […] geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‚Führer‘ gewertet wird.“ (Max Weber: Legale Herrschaft: Grundkategorien der rationalen Herrschaft, o.D.). Mit dieser Definition von Charisma stellt Max Weber den charismatischen Führer als einen übernatürlichen, gottgesandten dar. Damit führt dieser nicht nur durch seine ‚göttliche Ausstrahlung‘ , sondern vermittelt durch diese auch Motivation und Vision. Da diese Ausstrahlung weniger auf Inhalte setzt, kann sie bei Ausbleiben von Erfolgen schwinden: „Bleibt die Bewährung dauernd aus, zeigt sich der charismatische Begnadete von seinem Gott oder seiner magischen oder Heldenkraft verlassen, bleibt ihm der Erfolg dauernd versagt, vor allem: bringt seine Führung kein Wohlergehen für die Beherrschten, so hat seine charismatische Autorität die Chance, zu schwinden. Dies ist der genuine charismatische Sinn des ‚Gottesgnadentums‘.“ (ebd.).

Das Führungsmodell von Max Weber hat in der Vergangenheit wichtige Grundlagen gelegt. Für die heutige Unternehmensführung spielt sein Modell lediglich eine historische Rolle und ist damit für die weitere Betrachtung von geringer Bedeutung.

1.2.2 Führungsstil nach Kurt Lewin

Kurt Lewin (1890-1947), Begründer der modernen Sozialpsychologie, legte mit seiner Typologie des Führungsverhaltens wesentliche Grundlagen der Führungsforschung. Zunächst (und bis heute) von der Sozialpsychologie gewürdigt, fand sein Modell auch Einzug in das Management von Organisationen. So beziehen sich seine Untersuchungen von Beginn an nicht nur auf das Verhalten von Führungspersonen, sondern betrachten auch dessen Auswirkungen auf die Produktivität von Mitarbeitern (vgl. Lück, H. E., 1996, S. 98). Dabei unterscheidet er drei Verhaltenstypologien (vgl. Dincher, R., 2015, S. 16; Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 105): den autoritären, den demokratischen und den Laissez-faire-Führer.

Der autoritäre Führer bestimmt allein den Weg. Mitarbeiter werden nicht in Entscheidungsprozesse einbezogen. Es herrscht dabei eine klare Trennung zwischen Entscheider (Vorgesetzter) und ausführender Kraft (Mitarbeiter). Die Führungskraft lenkt „die Ziele und Handlungen der Individuen oder der Gruppe. Dabei werden die zu erfüllenden Aufgaben den Gruppenmitgliedern von der Führungskraft ohne nähere Erklärung zugeteilt. Autokratisch agierende Führungskräfte lassen nicht erkennen, nach welchen Maßstäben sie die Handlungen der Gruppenmitglieder bewerten. In der Gruppe herrscht eine extrem asymmetrische Informationsbeziehung insofern, als die Führungskraft Weisungen erteilt und die Gruppenmitglieder gehorchen, Autokratische Führungskräfte neigen dazu, in die Arbeitsprozesse der Gruppenmitglieder einzugreifen. In Fällen, in denen das autokratische Handlungsmuster mit einem hohen Maß an Fürsorge einhergeht, wird auch von einem patriarchalischen Führungsstil gesprochen.“ (Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 577).

Der demokratische Führer dagegen bezieht seine Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse mit ein. Als Gruppe werden Entscheidungen getroffen und umgesetzt. Dieser Führungsstil ist damit der Gegenpol zum autoritären Führungsstil. „Hier werden die Gruppenmitglieder von der Führungskraft dazu ermutigt, ihre Ziele und Handlungen zum Gegenstand von Gruppendiskussionen und -entscheidungen zu machen. Bei der Bewertung der Handlungen der Gruppenmitglieder wird versucht, die zu Grunde gelegten Kriterien offen zu diskutieren. Die Informationsbeziehungen zwischen der Führungskraft und den übrigen Gruppenmitgliedern sind weitgehend ausgeglichen; es wird beraten und nicht angewiesen. Der kooperative Führungsstil ist schließlich durch das Bemühen der Führungskraft gekennzeichnet, die Ziele der Gruppenmitglieder zu fördern.“ (ebd., S. 577).

Der Laissez-faire-Führer lässt die Mitarbeiter allein arbeiten und wird nur auf Anfrage tätig. Er interveniert (‚ Management by Exception‘) nur in Ausnahmefällen, wenn er den Eindruck gewinnt, dass die Mitarbeiter aus eigenen Kräften und Fähigkeiten mit den gestellten Problemen nicht fertig werden. In der Regel zieht ersich aus dem Gruppengeschehen zurück. „Beim Laissez-faire-Führungsstil ist das interpersonelle Beeinflussungsverhalten weitegehend reduziert, sodass die Gruppenmitglieder ein hohes Maß an Handlungsfreiheit besitzen. Die Informationsbeziehungen zwischen Führungskraft und Gruppenmitgliedern sind auf ein Mindestmaß beschränkt; lediglich bei der Artikulation von Informationswünschen werden diese befriedigt. In gleicher Weise vermeidet es die Führungskraft, das Verhalten der Gruppenmitglieder in irgendeiner Weise zu bewerten. Ob allerdings in diesem Zusammenhang überhaupt noch von Führung gesprochen werden kann, erscheint fraglich.“ (ebd., S. 577).

Die nachfolgende Grafik symbolisiert die Beziehungen der drei Führungsstile zur Person des Führers.

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Abb. 1 Beziehungen der drei Führungsstile zur Person des Führers.

Der Kern von Lewins Untersuchungen war einfach und nachvollziehbar. Seine These, dass sich der kooperative Führungsstil als der am Erfolgreichsten zeigen würde, traf letztendlich zu. Nachweisbar war die Zufriedenheit, die Leistung und die Qualität am höchsten beim kooperativen Führungsstil (vgl. Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 102). Dabei betrachtete Lewin nicht zufällig die Bereiche Leistung und Zufriedenheit, sondern setzte damit die betroffene Person in den direkten Zusammenhang zwischen dem Führenden (Führungsstil), ihrer selbst (Zufriedenheit) und dem Ergebnis (Leistung). Mit dieser Aufteilung und nicht zuletzt durch den dritten Führungsstil (laissez-fair) gab Lewin et al. im Jahr 1939 „den Anstoß zu mehrdimensionalen Konzeptionen“ (Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 105). Dieses Modell wurde von Tannenbaum und Schmidt weiterentwickelt, dies wird hier aber nicht näher erörtert.

1.2.3 Vom Eigenschaftsmodell (Oswald Neuberger) zum Attributionsmodell der F ührung

Im Eigenschaftsmodell wird der Mensch in Hinblick auf seine Eigenschaften betrachtet. Der Mensch ist darin die Summe seiner Persönlichkeitsmerkmale. Entsprechend gilt es, positive Eigenschaften herauszukristallisieren und für diese eine hohe Resilienz-Fähigkeit aufzubauen. Stangl schreibt dazu: „Nach dem Eigenschaftsmodell der Persönlichkeitspsychologie lässt sich das Verhalten und Erleben von Menschen in Form von Eigenschaften (trait) beschreiben, die relativ breite und zeitlich stabile Dispositionen zu bestimmten Verhaltensweisen darstellen, die konsistent in verschiedenen Situationen auftreten können. Eigenschaften sind dabei hypothetische, gedankliche, konstruierte Gebilde (Konstrukte), die nicht direkt beobachtbar sind und somit aus direkt beobachteten Verhaltensweisen nur erschlossen werden können.“ (Stangl, Stichwort: ‚Eigenschaftsmodell‘, 2019).

Mit Anfang des 20. Jhd. wurde dieses Modell auf Führungskräfte übertragen. Es wurde untersucht, welche spezifischen Eigenschaften gute Führungskräfte auszeichnen. Dabei wurde festgestellt, dass die Eigenschaften kontextabhängig sind, sodass es nicht die eine Eigenschaft des Führers gibt.

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Abb. 2 Attributionsmodell ist die Fragestellung der Attributionstheorien als ein Teilgebiet der sog. kognitiven Sozialpsychologie. Fritz Heider, der „Vater der Attributions-theorie“ (Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 173), gab den Anstoß „Handlungsanalysen ‚naiv‘ zu rekonstruieren […]. Er nimmt an, dass Menschen (in seiner Diktion ‚der Laie‘) Handlungen als Ko-produktion von Bemühen (try) und Können (can) interpretieren. Das Bemühen kann unterschiedlich ausgeprägt sein, je nachdem wie sich die Person anstrengt und welche Absichten sie hat. Aber alles Wollen hilfts nichts, wenn die Person nicht kann. Vorbedingungen für Können sind zum einen entsprechende Fähigkeiten, zum anderen günstige Bedingungen: Die Aufgabe darf einerseits nicht zu schwer sein und andererseits können unerwartete externe Bedingungen die Möglichkeit des Handelns fördern oder vereiteln. Erst wenn ‚can‘ und ‚try‘ zusammenwirken, resultiert eine Handlung.“ (ebd., S. 173 f.).

Die zentrale Fragestellung der Theorie ist die Untersuchung der Prozesse sozialer Wahrnehmung unter dem Gesichtspunkt der Ursachenzuschreibung (Kausalattribution): „Jeder Mensch ist darauf angewiesen, sich in seiner Umwelt zurechtzufinden. Zu diesem Zweck sucht und sieht er – als eine Voraussetzung für die eigene Handlungsplanung und die Beherrschung der Umwelt – Ordnung, Struktur, Regelmäßigkeit. Besondere Bedeutung kommt dabei der sozialen Umwelt zu, insbesondere, wenn es um das Verständnis und die Kontrolle der Handlungen anderer Personen geht.“ (ebd. S. 173).

Harold Kelley (1921–2003) hat dieses grundlegende Modell aufgegriffen und weiterentwickelt. Er differenziert die beeinflussende Person (internale Attribution), die beeinflusste Person (externale Attribution) und die Umstände, in denen eine Situation stattfindet. Diese drei Beobachtungsmerkmale setzt er in Verbindung mit dem Distinkt, der Konsistenz und dem Konsens.

So fragt sich der Beobachter einer Handlung, ob das beobachtete Verhalten spezifisch für diese Situation ist (Distinktheit), ob dieses Verhalten unter gleichen Bedingungen wiederholt auftritt (Konsistenz) und ob sich andere Menschen in dieser Situation gleich verhalten (Konsens). Endsprechend der Antworten bewertet der Beobachter das Verhalten und stimmt sein eigenes Verhalten darauf ab (vgl. Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 174). Mit diesem Modell werden bereits erste systemische Überlegungen (hier als Kontext beschrieben) deutlich, auf die später Nicklas Luhmann (1964) in seiner Systemtheorie aufbauen wird (vgl. Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 174). Damit wird auch der Übergang von den hier eindimensionalen, klassischen Führungsmodellen hin zu komplexeren, mehrdimensionalen Modellen beschrieben.

2. Führungsmodelle und -theorien

„Theorien sind übergeordnete, grundsätzliche, in sich konsistente Aussagensystem, in denen die wichtigsten Erkenntnisse der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin zusammengefasst sind.“ (Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 35). Für „wissenschaftliche Disziplin“ kann an dieser Stelle „Führung oder Management“ eingesetzt werden. Die nachfolgend erörterten Modelle und Theorien können infolge der Fülle vorhandener Ansätze nur exemplarisch dargelegt werden. Zur Auswahl kamen das transaktionale und transformationale Führungsmodell nach Burns sowie das St. Gallener Führungsmodell. Beide sind noch recht junge bzw. immer wieder aktualisiert werdende Ansätze, die das Thema dieser Arbeit unterstützen. „Wie in anderen von zwischenmenschlichen Beziehungen geprägten Erkenntnisbereichen wird auch [ ... ] durch die Wahl der Theorie bzw. des Ansatzes bereits eine inhaltsbestimmte Vorselektion vollzogen. Insofern gilt Einsteins Hinweis, dass ,letztendlich erst die Theorie darüber entscheidet, was man beobachten kann‘“ (Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 45). Betrachtet werden soll an dieser Stelle die Motivlage als auch das den geführten Mitarbeiter umgebende System. Der Ansatz von Burns hinterfragt die Motivation (intrinsisch bzw. extrinsisch) von Mitarbeitern und kann helfen christliche Führungsmodelle näher zu beleuchten, da hier, so die These, eine andere Motivlage zugrunde liegt. Entsprechend häufig bauen diakonische und caritative Unternehmen auf diesem Modell auf. Das St. Gallener Modell, das regelmäßig aktualisiert wird, greift nicht nur Managementtheorien auf, sondern setzt diese in Verbindung sowohl zur Organisation als auch zur Umwelt. Dies geschieht sehr differenziert. Christliche Führungskultur, so die These, hat entsprechend viele Anknüpfungs- und Gestaltungsmöglichkeiten.

2.1 Säkulare Führungsmodelle

2.1.1 Transaktionale und Transformationale F ührung (James MacGregor Burns)

Burns hat auf die vorliegenden Führungsstile zwei Typen von Führungsmodellen aufgebaut, die transaktionale und die transformierende Führung.

Die Transaktionale Führung baut auf die Anreiz-Beitragstheorie nach Barnard, March und Simon auf. Entsprechend ist es ihr Ansatz, Mitarbeitenden für ihre erbrachte Leistung eine Gegenleistung zu bieten und so einen motivierenden Ausgleich herzustellen (vgl. Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 570). Nach Wick und Neuberger geschieht dies, wenn Personen miteinander in Beziehung treten und dabei einen Austauschprozess anstoßen. Damit dies gelingt, sind sich die Vertragspartner über die bereitgestellten Ressourcen des jeweils anderen bewusst. Über diese hinaus gibt es nach Wick und Neuberger jedoch keinen gemeinschaftsstabilisierenden Zweck. Entsprechend können beide Vertragspartner nach dem Austausch getrennte Wege gehen. Der Führungsstil ist damit wenig Visionär bindend (vgl. Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 115). Damit baut die transaktionale Führung auf die Führungsstile ‚bedingte Belohnung‘, Management by Exception‘ (passiv; aktiv) und dem Laissez-faire-Stil auf. Umsetzen lässt sich dieses Führungsmodell durch „konkrete Interaktionen der Führungskräfte gegenüber einzelnen Mitarbeitenden, […] Zielvorgaben und Zielvereinbarungen und die entsprechenden Sanktionierungen“ (Haas, H. S., 2010, S. 361). Führende können diese Prozesse erleichtern, blockieren oder verstärken. „Bass orientiert sich mit dieser Deutung transaktionaler Führung an der sogenannten Weg-Ziel-Theorie der Führung, die dem Modell des rational kalkulierenden homo oeconomicus verpflichtet ist.“ (Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 116). Um dieses Modell gut umzusetzen, bedarf die Führungskraft jedoch nicht nur eines geübten Blicks auf das Potenzial von Mitarbeitern, sondern vor allem einer guten Kenntnis der Motivationslagen dieser, die mit den Unternehmenszielen in Einklang gebracht werden müssen (vgl. Haas, H. S., 2010, S. 361). Nur so können Tauschprozesse gewinnbringend initiiert werden.

„Transformationale Führung überwindet diesen Prozess. Sie setzt beim Normalniveau der ‚erwarteten Anstrengung‘ an, die zu einer ‚Extra-Anstrengung‘ erhöht wird, indem mittels vier Techniken interveniert wird, die zusammengenommen transformationale Führung ausmachen:

- Idealisierter Einfluss: Geführte identifizieren sich mit diesen FührerInnen und eifern ihnen nach, weil sie ihnen vertrauen und weil diese ihnen eine erreichbare Mission und Vision bieten
- Inspirierende Motivierung: Sorgt für Symbole und vereinfachte emotionale Appelle, die Bewusstsein und Verständnis für gegenseitig angestrebte Ziele steigern
- Intellektuelle Stimulation: Wird eingesetzt, um die Geführten zu ermutigen, ihre alten Praktiken in Frage zu stellen oder mit der Vergangenheit zu brechen. Geführte werden unterstützt bei der Infragestellung sowohl ihrer eigenen Werte, Überzeugungen und Erwartungen, wie auch jener der Führerinnen und der Organisation
- Individualisierte Fürsorge: Geführte werden verschieden, aber gerecht auf 1-zu-1 Basis behandelt. Es werden einerseits ihre Bedürfnisse in Rechnung gestellt und ihre Aussichten verbessert, andererseits kümmert man sich um ihre Möglichkeiten, Ziele, effektiv anzugehen und Herausforderungen zu bewältigen“ (Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 119, nach Bass und Avolio, 1990, S. 19).

Transaktionale Führung steigert damit die Leistung, ohne unternehmenseigene Ressourcen zu erhöhen. Dies erreicht sie durch Sinnstiftung, charismatische Visionsvermittlung und kulturelle Steuerung (vgl. Macharzina, K., & Wolf, J., 2012, S. 570). Exakt aus diesem Grund ist dieses Modell für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit so relevant. Denn hier können Diakonie und Caritas im Vergleich zu den meisten profitorientierten Unternehmen ihre Stärke ausspielen. Auch wenn aus theologischer Perspektive ein „völlig abweichendes Charismenverständnis zugrunde liegt. Das Charisma ist hier eben nicht der anthropologische Normalfall, sondern die führungslegitimierende Sonderausstattung. In einem theologisch allein vertretbaren charismenorientierten Führungsverständnis ist gerade das Achthaben auf die Charismen der Anderen die besondere Aufgabe der Führung. Im Rahmen dieser Aufgabe ist sowohl die Berechtigung des engeren transaktionalen wie des in die Werteeinstellung eingreifenden transformationalen Führungsstils daran zu messen, ob er der Charismenentfaltung dienen kann“ (Haas, H. S., 2010, S. 361). Nach Neuberger et al. führt dieses Führungsverständnis zu einer erhöhten Motivation wie auch zu einer erhöhten Moralität. Machtverhältnisse stehen hier nicht mehr als Gegengewichte einander gegenüber, sondern unterstützen den gemeinsam fusionierten Zweck. Ethische Ansprüche werden auf beiden Seiten (sofern man durch die Fusion noch von zwei Seiten sprechen kann) angehoben und üben eine firmenübergreifende Wirkung aus (vgl. Blessin, B., Wick, A., & Neuberger, O., 2014, S. 115). Dies wird sich auch in der Außenwirkung bemerkbar machen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 Transformationale Führung

2.1.2 Das neue St. Gallener Führungsmodell

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 SGMM

Management, Umwelt und Organisation. Für ihn ist es kein „klar definiertes Gestaltungs- und Handlungsmodell mit normativem Vorbild- und Instruktionscharakter“ (ebd., S. 155), sondern vor allem „eine reflexionsmotivierende Denk- und Handlungsform im Umgang mit komplexen, arbeitsteiligen, zweckorientierten soziotechnischen Systemen.“ (ebd., S. 155). Durch gezielte ‚Zooming-in‘- und ‚Zooming-out‘-Reflexionen (vgl. Rüegg-Stürm, J., & Grand, 2017, S. 51 f.) werden alle drei Bereiche einer Tiefenprüfung unterzogen.

So wird die Umwelt eines Unternehmens als existenzrelevanter Möglichkeitsspielraum abgegrenzt und näher untersucht. „Der Begriff existenzrelevant soll verdeutlichen, dass sich zwischen einer Organisation und deren Umwelt im Verlaufe der Zeit in einem Ausmaß Abhängigkeiten herausbilden können, die für das Überleben dieser Organisation kritisch sind. Was existenzrelevant ist, kann und wird sich dabei über die Zeit verändern. […] Umwelt muss durch eine Organisation als relevanter Handlungsraum immer wieder neu erschlossen und abgegrenzt werden.“ (Rüegg-Stürm, J., & Grand, S., 2017, S. 66).

Die gleiche Betrachtungsweise erfährt die Organisation an sich, die als Wertschöpfungssystem verstanden wird und durch Ressourcenkonfigurationen Wertschöpfungen für die bereits beschriebene Umwelt erbringt. „Im Zentrum stehen dabei aus Sicht des St. Galler Management-Modells verteilte Kommunikations- und Entscheidungsprozesse“ (Rüegg-Stürm, J., & Grand, S., 2017, S. 118), die in einem „organisationsspezifischen Referenzrahmen ständig weiterentwickelt und verankert werden“ (ebd., S. 118) müssen. Dies geschieht auf den drei Organisationsebenen ‚strategisch‘‚ ‚operativ‘ und ‚normativ‘. Letztere ist dem strategischen und operativen Management vorgelagert und definiert, was in der Praxis als Werte bezeichnet wird. Diese Ebene ist für die Beantwortung der in dieser Arbeit gestellten Fragestellung daher von hoher Bedeutung (vgl. Haas, H. S., & Krolzik, U., 2007, S. 159).

Nicht zuletzt wird die organisationale Einheit des Managements tiefergehend betrachtet. Das SGMM versteht Management als „reflexive Gestaltungspraxis.“ (Rüegg-Stürm, J., & Grand, S., 2017, S. 192). Das Zusammenspiel von Wertschöpfung und Umwelt wird dabei aus der Metaperspektive kritisch betrachtet und kann so gestaltet werden beziehungsweise reflexiv eingreifen. Die Sicherstellung einer wirksamen Management-Praxis mit Bezug zu ganz unterschiedlichen Aufgaben und Herausforderungen ist eine Voraussetzung dafür, dass systematisch unternehmerische Möglichkeiten kreiert, reflektiert und auf breiter Basis ausgewertet werden können.

Eines der zentralen Forschungsfelder dieses Ansatzes waren die dynamischen Systeme und deren Einfluss auf gesellschaftliche Systeme, zu dessen Merkmalen Ulrich unter anderem Ganzheit, Vernetztheit, Umwelt, Komplexität, Ordnung, Lenkung und Entwicklung zählt (vgl. Ulrich, H., & Probst, G. J. B., 1991, S. 114 ff). Mit dieser Verknüpfung hat Ulrich der Betriebswirtschaftslehre zu seiner Zeit und bis heute eine bedeutende Neuorientierung gegeben. Diese lässt sich vor allem an drei Punkten festmachen (vgl. Haas, H. S., 2010, S. 35):

- Ulrich erweitert das Verständnis von Organisationen. Er begreift sie nicht nur als Erfüllungsgehilfen eines wirtschaftlichen Zweckes, sondern sieht in ihnen ein komplexes soziales System, das wiederum in die Systeme ‚Umwelt‘ und ‚Gesellschaft‘ eingebunden ist. „In der Tat beschäftigt sich die Ökonomie als wissenschaftliche Disziplin mit der effizienten Allokation knapper Ressourcen in Kontexten arbeitsteiliger Wertschöpfung. Die ökonomische Theorie versucht, die Bedingungen wirtschaftlichen Handelns und deren Wirkungen im Mikrokontext individueller Entscheidungen und im Makrokontext der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erklären zu können, um daraus wirtschaftspolitische Empfehlungen abzuleiten. Dabei operiert die ökonomische Theorie mit einer Reihe folgenreicher axiomatischer Prämissen, die in dieser Form von einem systemischen Managementverständnis [wie das nach Ulrich, A.d.V.] gerade nicht geteilt werden.“ (Haas, H. S., & Krolzik, U, 2007, S. 154).
- Durch diese Einbindung kann die Betriebswirtschaft nicht nur auf sich selbst und ihre Organisation blicken, sondern muss auch die gesellschaftlichen und ökologischen Dimensionen im Blick haben. Ulrichs Ansatz ist damit prädestiniert für ethische Implikationen und bietet so systemtheoretische Reflexionsmöglichkeiten.
- Sein Ansatz geht noch tiefer in die Systeme hinein, wenn er die Führung und Leitung als menschliches Handeln betrachtet und eben nicht als statische Größenordnung. Dabei wird dieses Handeln als kommunikatives Handeln verstanden. „Soziale Systeme werden als Kommunikationssysteme begriffen, die aus Beziehungs- und Kommunikationsprozessen gefertigt werden, in denen Sinn konstituiert und prozessiert wird.“ (Haas, H. S., & Krolzik, U., 2007, S. 155 f.).

In allen drei Punkten wird deutlich, das ‚dynamisch‘ nicht nur für Veränderung und Bewegung steht, sondern auch für Lebendigkeit, für Leben und damit eingeschlossen alle Entwicklungsprozesse dessen. Dieser Ansatz und seine ethisch-reflexive Komponente sind auch der Grund dafür, weshalb das SGMM sich so gut in karitativen Organisationen wie Diakonie und Caritas einbinden lässt. Er ist eben nicht, wie oft vorgeworfen, amoralisch und ethisch beliebig (vgl. Haas, H. S., & Krolzik, U., 2007, S. 163). Dem ist zu widersprechen. „Lern und Entwicklungsprozesse - systemisch verstanden als Prozesse der kritischen Selbstbeobachtung und Selbstreflexion - können bei einem System, sei dies eine Person, ein Team, eine Familie oder eine Organisation, wohl angestoßen und unterstützt, ihr Ziel und ihre Form aber nie quasi per Instruktion von außen gesteuert werden. Bei diesen Überlegungen klingt das Gleichnis vom Wachsen der Saat an (Mk 4, 26-28)“ (Haas, H. S., & Krolzik, U., 2007, S. 162 f).

Das SGMM, das aus den siebziger Jahren stammt, wurde weiterentwickelt und den aktuellen Systemen angepasst. Heute ist von dem neuen St. Gallener Management-Modell (nSGMM) die Rede. Diese Weiterentwicklung wird vor allem in vier Punkten deutlich:

a) „in der systematischen Auseinandersetzung mit den normativen Grundlagen der Unternehmensführung,
b) im Bewusstsein für unternehmerische Anspruchsgruppen,

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6 neues Sangt Galler Managementmodell

[...]

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Managementtheorien zu Führung und Leitung. Ein besonderer Anspruch christlicher Führungskultur?
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule
Note
1,1
Autor
Jahr
2019
Seiten
72
Katalognummer
V540728
ISBN (eBook)
9783346196859
ISBN (Buch)
9783346196866
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kleinteilige Abbildungen finden sich am Ende der Arbeit in vergrößerter Darstellung.
Schlagworte
Diakonie, Management, Führung
Arbeit zitieren
Jörg Weise (Autor:in), 2019, Managementtheorien zu Führung und Leitung. Ein besonderer Anspruch christlicher Führungskultur?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/540728

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