Der gesellschaftliche Doping-Diskurs. Analysen zum Dopingproblem und mögliche Lösungsstrategien


Examination Thesis, 2005

90 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

Struktureller Überblick

2. Doping
2.1. Begriffsbestimmung „Doping“
2.2. Definitionsansätze
2.3. Dopingsubstanzen – Eine physiologische Analyse

3. Der gesellschaftlichen Doping
Diskurs – Ein Rückblick
3.1. Die Olympische Idee Coubertins und die
Sportethik
3.2. Historischer Hintergrund
3.3. Die aktuelle Situation

4. Doping – Interaktion verschiedener sozialer
Subsysteme? Eine soziologische Analyse
4.1. Die Athleten
4.2. Das System Hochleistungssport
4.3. Die Funktionäre
4.4. Das Publikum
4.5. Die Gesellschaft
4.5.1 Wirkung des Dopings auf die Gesellschaft

5. Institutionen des Konstellationsprodukts
´Doping`
5.1. Die Macht der Massenmedien
5.2. Recht
5.3. Sportmedizin
5.4. Dopinganalytik

6. Der Anti- Doping- Kampf
6.1. Die Aufgaben des IOC
6.2. Aufgabenbereiche der WADA und NADA
6.3. Das Doping- Kontrollsystem
6.4. Möglichkeiten der Dopingbekämpfung
seitens des Staates

7. Lösungsansätze zum Dopingproblem

8. Zusammenfassung

9. Ausblick

10. Literaturverzeichnis

11. Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„Der große Sport beginnt dort, wo die Gesundheit endet.“[1] (Berthold Brecht)

In den letzen zwei bis drei Jahrzehnten hatte die multiple Instrumentalisierung des Sports, durch die zunehmende Kommerzialisierung, Politisierung und Medialisierung sowie die damit zusammenhängende Anspruchsinflationierung[2] gravierende Auswirkungen für den Umgang mit Doping und den gesellschaftlichen Doping-Diskurs[3]. Verfolgt man in letzter Zeit die Pressemitteilungen, wird deutlich, dass Doping in vielen Sportarten flächendeckend angewendet wird (z.B. „Doping-Skandal im US-Sport: Dutzende Spitzensportler haben mit Designer-Drogen ihrem Muskelwachstum nachgeholfen.“[4] ). Sowohl die Verdächtigung vieler Spitzensportler, die sich einen unfairen Wettbewerbsvorteil durch Doping verschafft haben sollen, als auch die Überführung von Dopingsündern sowie deren Geständnisse[5] deuten darauf hin, dass die Berücksichtigung der Regeln und der „Olympischen Werte“ vor allem im Spitzensport kaum noch zu erkennen ist. Da die sich häufenden Doping-Skandale und Korruptionsaffären die Glaubwürdigkeit der Sportkultur ernsthaft gefährden, scheint das Sportsystem als auch die damit in Verbindung stehenden Institutionen aus verschiedenen Gründen ein Interesse daran zu haben, den gesellschaftlichen Doping- Diskurs zu wahren. Laut Gamper[6] wird somit auf der Vorderbühne der sportlichen und außersportlichen Öffentlichkeit der saubere Athlet präsentiert, auf der Hinterbühne werden jedoch in den Tiefen des Körpers unterstützende Maßnahmen eingesetzt. Aber überraschen uns Dopingmeldungen überhaupt noch? Kann man zur Ehrlichkeit überhaupt zwingen?

In unserer Gesellschaft ist sowohl die Beeinflussung des körperlichen und geistigen Allgemeinzustandes bereits salonfähig als auch in deren Arbeitswelt die von den „Halbgöttern in Weiß“ verordneten Mittel zur Leistungssteigerung zur Normalität geworden. Kann es dann überhaupt noch verwundern, dass Leistungssportler, deren Karrieren insbesondere von ihrer Leistung abhängen, von medizinischer Hilfe „jeder“ Art Gebrauch machen? Genau hier setzt die vorliegende Arbeit an. Angeregt durch die zahlreichen Doping-Fälle der vergangenen Jahre (wie z.B. Ben Johnson, Johann Mühlegg und Marion Jones), soll diese Arbeit die Logik und Mechanismen der bestehenden Dopingproblematik beleuchten als auch eine soziologische Analyse aufzeigen. Weiter gilt es zu prüfen, wie wirksam die aktuelle Dopingbekämpfung tatsächlich ist und es sollen seriöse Lösungsstrategien aufgezeigt werden.

Darüber hinaus stellt die vorliegende Arbeit den Versuch dar, eine Alternative zum bestehenden Denkschema im Problem Doping darzulegen. Die Frage ob wirklich der Athlet die alleinige Schuld für sein Vergehen trägt, oder ob Doping in der Summe verschiedenster beeinflussender Umweltfaktoren für eine bestimmte Sparte von Menschen unserer Gesellschaft einen Zwang darstellt, bestärkte das Interesse an einer Untersuchung.

1.1. Struktureller Überblick

Immer dann, wenn es wieder einmal an der Zeit zu sein scheint, neue Wege in der Dopingbekämpfung einzuschlagen, wird früher oder später über Reformen von Kontrollmethoden und Verschärfungen der Bestrafungsverfahren nachgedacht. Selten allerdings kommen wirklich strukturelle Veränderungen ins Kalkül.

Zu Beginn der Arbeit soll eine kurze Begriffsbestimmung vorgenommen werden, wie sich das Wort „Doping“ entwickelt hat. Hierbei werden auch die verschiedenen Definitionsansätze bis zur aktuellen Definition berücksichtigt. Um einen physiologischen Einblick in die Dopingproblematik zu gewährleisten, werden kurz die Eigenschaften und Folgeschäden von bestimmten Dopingsubstanzen dargestellt. Voraussetzung für die Analyse und Interpretation des Themas ist ein (historisches) Verständnis. Daher wird ein Überblick über die Geschichte des gesellschaftlichen Doping-Diskurses gegeben.

Dieser geht auf die Ideen Pierre de Coubertins zurück und wird, wie erläutert wird, in der heutigen Zeit vom IOC und den damit verbundenen Institutionen instrumentalisiert. Gleichsam wird das damit eng verknüpfte Thema der (Sport-) Ethik angesprochen, weil Doping gegen die Ethik des Sports verstößt und somit der moralische Zustand der Gesellschaft widergespiegelt werden kann.

Das strukturelle Fundament der Arbeit bildet die Analyse der verschiedenen sozialen Subsysteme sowie die Untersuchung der Einflussgrößen bzw. Institutionen des Konstellationsprodukts[7] „Doping“. Nach Ansicht des Verfassers sind diese für das Entstehen von Doping verantwortlich bzw. an der Behinderung einer Problemlösung maßgeblich beteiligt. Zum einen ist dies das im System Hochleistungssport agierende soziale Gefüge aus Athlet, Funktionär und der Sport konsumierenden Gesellschaft. Zum anderen sind es die Institutionen des Dopings wie z.B. die Massenmedien, deren Position zum Thema Doping zwiespältig zu sein scheint. Ferner werden Einfluss und Positionen des Rechts, der Sportmedizin und der Dopinganalytik untersucht. Hierbei soll ein Einblick in die verschiedenen Machtkonstellationen gegeben werden; weiter soll geprüft werden, welche Vorgehensweisen dazu eingesetzt werden, um die Einhaltung des offiziellen Doping- und Sportdiskurs vorzutäuschen.

Dass diese sozialen Subsysteme und das massenmediale Selbstverständnis einen idealen Nährboden für betrügerisches Vorgehen bieten, soll in dem ebenso bedeutenden Aspekt der Dopingbekämpfung verdeutlicht werden. Welche Anstrengungen werden unternommen um das Dopingphänomen einzudämmen und einen möglichst fairen Leistungssport zu gewährleisten? Anschließend wird versucht, den Stand des aktuellen deutschen Kontrollsystems im Kampf gegen Doping zu skizzieren. Es soll ein Überblick über die Maßnahmen des Olympischen Komitees und der Anti-Doping-Agenturen sowie die Möglichkeiten seitens des Staates zur Bekämpfung der Dopingsituation gegeben werden.

Gleichwohl angesichts der Reichweite und Komplexität des Dopingproblems keine absehbare Lösung zu erwarten ist, sollen abschließend Lösungsstrategien zum verbesserten Kampf gegen Doping aufgezeigt werden.

Die Arbeit schließt nach der Zusammenfassung mit einem Ausblick ab, in dem eine Dopingfreigabe diskutiert wird und eine Zukunft des Dopings im Sport aufgezeigt werden soll.

2. Doping

2.1. Begriffsbestimmung „Doping“

Über die Entstehung und Bedeutung des Dopingbegriffs existiert keine Einheitlichkeit. Bis heute gibt es noch keine Definition, die alle Probleme umfaßt. Daher gibt es eine große Auswahl verschiedener Definitionsansätze.

„Doping hat sich im Sport historisch durchgesetzt wie andere Formen der Leistungssteigerung in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch. Mit stimulierenden Stoffen wie Koffein, Alkohol und Giften begann es.“[8]

Der Begriff `Doping` ist noch nicht alt. „1869 taucht in einem englischen Wörterbuch zum ersten Mal das Wort `Doping` auf, womit eine Mischung von Opium und narkotisierenden Drogen bezeichnet wird, die für das Dopen von Pferden Verwendung finden soll. Die Wurzeln des heute so gebräuchlichen Wortes lassen sich auf einen von eingeborenen „Kaffern“ im südöstlichen Afrika gesprochenen Dialekt zurückführen, der dann in die Burensprache übernommen wurde. Unter dem Wort `Dop` verstand man damals einen landesüblichen schweren Schnaps, der bei Kulthandlungen der „Kaffer“ als `Stimulans` verwendet wurde. Der Begriff wurde dann erst später auch auf andere allgemein stimulierende Getränke ausgedehnt“[9] und „[..] von den Engländern in den Turfsport eingeführt. Wahrscheinlich hat das Pferdedoping wie auch das Doping der Hunde entscheidend bei der Verbreitung im Sport mitgewirkt.

Dabei waren Manipulationen an Pferden immer schon verboten und wurden sehr streng, zum Teil mit dem Tode bestraft.“[10] In der darauf folgenden Zeit wurde der Begriff `Doping` zum Synonym für eine manipulierte betrügerische Leistungssteigerung. Eine nähere Betrachtung der Definition von Doping findet im folgenden Abschnitt statt.

2.2. Definitionsansätze

Vorab stellt sich die Frage: Was ist Doping? Ein Dopingverstoß liegt vor, wenn eine der verbotenen Substanzen im Körper des Athleten gefunden wird, der Athlet eine verbotene Technik benutzt oder der Sportler eine Dopingkontrolle verweigert.

Bislang wurden zahlreiche Versuche unternommen, Doping zu definieren, wobei sich immer wieder Probleme bei der juristischen Eingrenzung und einer verständlichen Formulierung ergaben. Auch die Übersetzungsschwierigkeiten auf internationaler Ebene, die unter Umständen weitere unerwünschte Interpretationsmöglichkeiten zuließen, tragen zu der außerordentlichen Komplexität des Sachverhalts bei. Die ersten Doping-Definitionen[11], die primär einen ethischen Anspruch verfolgten, litten daher in erster Linie an mangelnder Praktikabilität. Ein Beispiel für eine Definition mit hohem ethisch-moralischen Anspruch ist die Definition des Europarats von 1963 (Komitee für außerschulische Erziehung):

„Doping ist die Verabreichung oder der Gebrauch körperfremder Substanzen in jeder Form und physiologischer Substanzen in abnormaler Form oder auf abnormalem Weg an gesunde Personen mit dem einzigen Ziel der künstlichen und unfairen Steigerung der Leistung für den Wettkampf. Außerdem müssen verschiedene psychologische Maßnahmen zur Leistungssteigerung des Sportlers als Doping angesehen werden.“[12]

Diese Definition bleibt für eine Dopingregel und ihre Kontrolle jedoch uneffektiv, da sie Sachverhalte, die einen kontrollierbaren Regelverstoß darstellen, nicht eindeutig und klar definiert.[13]

Die ersten Listen[14] wurden 1967 von internationalen Fachverbänden aufgestellt. Die Substanzen Amphetamin und Anabolika beherrschen seit Ende der fünfziger und sechziger Jahre die Dopingdefinition.

Durch die im Laufe der Zeit immer fortschreitende Entwicklung neuer Substanzen und Methoden wie z.B. der Einsatz von Testosteron, Wachstumshormonen (wie z.B. Tetrahydrogestrinon (THG)), Erythropoietin (EPO) und Gendoping führte zu einer umfassenderen Problematik.

Eine zunehmende Praxisorientierung wird deutlich in den vom Hauptausschuss des DSB konzipierten Rahmenrichtlinien von 1970, die bis heute etliche Male aktualisiert wurden. Wesentliches Merkmal des Dopings ist demnach:

..[...] der Versuch der Leistungssteigerung durch die Anwendung (Einnahme, Injektion oder Verabreichung) von Substanzen der verbotenen Wirkstoffgruppen oder durch die Anwendung verbotener Methoden.[15]

Die pragmatische Definition des Dopings, verabschiedet von der Medizinischen Kommission des IOC galt bis Ende 2003 und lautete:

Doping ist die Verwendung von Substanzen aus den verbotenen Wirkstoffgruppen und die Anwendung verbotener Methoden.[16]

Diese Regeln hatten fast alle internationalen Sportfachverbände in ihre Dopingbestimmungen einfließen lassen bzw. vollständig übernommen.

Als Folge der Weltkonferenz gegen das Doping 1999 wurde ein unabhängiges Anti-Doping-Regelwerk (Welt- Anti- Doping Code) geschaffen und eine Welt-Anti-Doping Agentur (WADA) eingerichtet.

Die WADA hat versucht, die Doping-Definition neu zu formulieren und gibt dabei erstmals ein relativ umfangreiches Regelwerk ab. Seit dem 01.01.2004 gilt die Doping-Definition der WADA, womit das bisherige Reglement des IOC erweitert wurde. Die verschiedenen Abschnitte der Definition sind im Artikel 1 und 2 des WADC festgehalten[17].

Mit der Übernahme des Dopingkontrollsystems durch die WADA wurde ebenfalls die Verbotsliste neu gestaltet. Bestandteil dieses Übereinkommens ist als Anhang A die Liste der verbotenen Wirkstoffe und Methoden. Zur Aufnahme in die Liste muss ein Wirkstoff oder eine Methode zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen:

1) Die sportliche Leistung kann gesteigert werden
2) Es besteht ein gesundheitliches Risiko
3) Es liegt ein Verbot gegen den Geist des Sports vor.
(Vgl. http:// www.bisp.de/aktuelles/ Dopingbekaempfung/verbotene_stoffe.htm).

Auf diese Liste nimmt das Arzneimittelgesetz (siehe Kap.6.4.) im § 6a Bezug, das ein Dopingvergehen strafrechtlich verfolgt.

Die Regel der WADA ähnelt von der Grundaussage der bisherigen Regel des IOC (siehe S. 10).

Die seit dem 26.03.2004 in Kraft getretene aktuelle Liste der verbotenen Wirkstoffgruppen und Methoden soll nun anhand einiger Beispiele erläutert werden. Es wird auch ein kurzer Überblick über die eingeschränkt zugelassenen Substanzen gegeben.[18]

I. Verbotene Wirkstoffgruppen[19]:

S1) Stimulantien

S2) Narkotika

S3) Cannabinoide

S4) Anabole Wirkstoffe

S5) Peptidhormone

S6) Beta-2-Agonisten * (s. S.13)

S7) Substanzen mit anti-estrogener Wirkung

S8) Maskierende Substanzen**

S9) Corticosteroide

**unter dieser Gruppe werden u.a. nun alle Diuretika aufgelistet

II. Verbotene Methoden

M1) Verbesserung des Sauerstofftransports

M2) Pharmakologische, chemische und physikalische

Manipulationen

M3) Gendoping

III. Verbotene Substanzen in speziellen Sportarten

P1) Alkohol

P2) Beta-Blocker

P3) Diuretika***

***grundsätzlich sind alle Diuretika unter S8 als maskierende Substanzen verboten. Für spezielle Sportarten mit Gewichtsklassen gelten weitere Regeln.

IV. Spezifizierte Substanzen

Substanzen unter diesem Punkt können aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit und weiten Verbreitung in medizinischen Produkten unter Umständen unbeabsichtigt verwendet werden. Ein Dopingverstoß kann in diesem Fall zu einer reduzierten Sanktion führen.

Stimulanzien: Ephedrin, L-Methylamphetamin, Methylephedrin

Cannabinoide

Inhalierte ß2-Agonisten (Ausnahme Clenbuterol)

Diuretika (nicht für Sportarten unter P3)

Maskierende Substanzen: Probenezid

Beta-Blocker

Alkohol

Die Definition der WADA wird in Verbindung mit den verbotenen Wirkstoffen und Methoden als richtungsweisend betrachtet. Geringfügige Abweichungen von dieser Regel gibt es bei den einzelnen Fachverbänden wie z.B. bei der IAAF

(International Amateur Athletic Federation).

Aus medizinischen Gründen müssen demnach Stimulanzien und Narkotika während der Trainingsphase zur Therapie erlaubt, aber vor dem Wettkampf früh genug abgesetzt werden. Für Ärzte, Trainer und Sportler ist es jedoch oft schwierig zu überprüfen, ob das jeweilige Medikament einen verbotenen Wirkstoff enthält; daher hat die ADK des Deutschen Sportbundes eine „Positivliste“ erstellt. In dieser werden Medikamente angegeben, die Sportler benutzen dürfen, ohne mit den Dopingbestimmungen in Konflikt zu geraten.[20]

Zusammenfassend ist festzustellen, dass trotz allen Änderungen das Dilemma bestehen bleibt, das Arthur Porrit bereits 1965 erkannte: „Doping zu definieren ist sehr schwierig, wenn gar unmöglich, und dennoch weiß jeder, der Leistungssport betreibt oder der Dopingmittel verabreicht, genau was es bedeutet“[21].

Ferner stehen die Dopingdefinitionen und –listen, die sich gerne objektiv und naturwissenschaftlich begründen, für eine Norm, die nur im gesellschaftlichen Diskurs entsteht und durch den Diskurs ständig verändert wird.[22]

Um die Dopingproblematik und deren Auswirkungen deutlich zu machen und um vorab auf die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Dopingbekämpfung aufmerksam zu machen, wird im Folgenden auf die physiologischen Eigenschaften von Dopingsubstanzen eingegangen.

2.3. Dopingsubstanzen - Eine physiologische Analyse

Immer häufiger stellen Dopingsubstanzen für Sportler eine Handlungsstrategie dar, die die eigenen Erfolgschancen zu erhöhen und das Verletzungsrisiko zu reduzieren verspricht[23]. Durch die Anwendung von Dopingmitteln und –methoden wird jedoch nicht immer eine Leistungssteigerung erzeugt, sondern nicht selten gesundheitliche Risiken, die unter Umständen ernst zu nehmende Gesundheitsschäden beim Sportler hervorrufen können.

Laut Voy[24] muss jedem, der im oder für den Sport tätig ist, klar sein, dass es keine Medikamente gibt, die als Doping nutzbar und frei von schädlichen, unerwünschten Nebenwirkungen sind.

Um aufzuzeigen, dass die Gesundheit tatsächlich dort „endet“ wo der Sport beginnt[25] und mit welchen enormen gesundheitlichen und sozialen Risiken die Einnahme von Dopingsubstanzen verbunden ist, sollen die nachfolgenden, auf der Dopingliste der WADA stehenden, verbotenen Wirkstoffgruppen kurz hinsichtlich ihrer Wirkungen und Nebenwirkungen dargestellt werden. Die Gruppe der anabolen Wirkstoffe werden aufgrund ihrer gravierenden Nebenwirkungen detaillierter betrachtet.

1. Stimulanzien

Amphetamin, Ephedrin, Kokain und Koffein gehören zu den bekanntesten Stimulanzien. Von ihrer Struktur her leiten sie sich von den Catecholaminen Adrenalin und Noradrenalin ab und werden aufgrund ihrer aufputschenden Wirkung als klassisches Dopingmittel bezeichnet.[26] Die Wirkungen und Nebenwirkungen von Stimulanzien werden im Folgenden exemplarisch anhand des Wirkstoffs Amphetamin dargestellt.

Wirkungen des Amphetamins

Die Stimulanzien vom Amphetamintyp versetzen, ähnlich wie die Catecholamine Adrenalin und Noradrenalin, den Körper in die Lage, eine höhere Leistung zu vollbringen. Es kommt zu einer verbesserten Atmung und Sauerstoffaufnahme durch die Erweiterung der Bronchien und zu einem verbesserten Sauerstofftransport durch die Erhöhung der Herzkraft sowie der Herzfrequenz. In der Leber und Muskulatur werden Glycogen verstärkt zu Glucose abgebaut und in der Fettzelle Fette zu Fettsäuren gespalten. In der Muskelzelle liefern sowohl Glucose als auch Fettsäuren die nötige Energie zur Aufrechterhaltung der körperlichen Arbeit. Die Wirksamkeiten vom Amphetamintyp ist wissenschaftlich nachgewiesen. Sie zeigen positive Effekte auf die körperliche Leistungsfähigkeit, insbesondere im ermüdeten Zustand.[27]

Nebenwirkungen

In hoher Dosierung können Psychosen, Halluzinationen und schwere psychische Abhängigkeit auftreten. Diese Nebenwirkungen ähneln stark den Wirkungen des Noradrenalins, d.h. es kommt zum Blutdruckanstieg durch eine Verengung der Blutgefäße in der Peripherie. Der Körper kann diesen Zustand nicht gegenregulieren und wird daher überhitzt. So besteht aufgrund des Anstiegs von Blutdruck und Herzfrequenz bei gleichzeitig verringerter Durchblutung der Haut ein überhöhtes Hitzschlag-Risiko, wobei sich das Hinzutreten von Hitze oder Höhe lebensbedrohlich auswirken kann.[28] Zudem wird bei sportlicher Leistung die Ermüdungsschwelle angehoben, wodurch die sog. „geschützte Reserve“ angegriffen wird. Es waren die legendären „Radrennfahrer-Dopes„ (Amphetamin, Fenetyllin, Methylphenidat u.a.), aus denen zahlreiche Todesfälle resultierten.[29]

2. Peptidhormone

Peptidhormone werden seit den 80er Jahren im Sport zu Dopingzwecken verwendet und wurden 1989 erstmals auf die Dopingliste-Liste gesetzt. Zu den Peptidhormonen und seinen analog wirkenden Substanzen zählen u.a. das menschliche Wachstumshormon HGH und das Erythropoetin (EPO). Bei den Peptidhormonen handelt es sich um körperidentische Hormone, d.h. sie werden auch vom menschlichen Organismus produziert.[30] Im Folgenden werden die Wirkungen und Nebenwirkungen der Peptidhormone exemplarisch anhand des Wirkstoffs EPO dargestellt.

Wirkung von EPO

Erythropoetin ist ein Glykoproteidhormon, das in der Niere (-ca. 90% in der Niere, -ca. 10% in der Leber) gebildet wird und in den Knochenmark-Stammzellen die Ausreifung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) stimuliert.[31]

Dieses führt zu einer Erhöhung der Bildungsrate an Erythrozyten. Athleten, v.a. Ausdauersportler, erhoffen durch EPO eine Zunahme der Erythrozytenzahl im Blut, woraus ein verbesserter Sauerstofftransport und damit verbunden eine erhöhte Ausdauerleistung resultieren kann.

Nebenwirkungen

Insbesondere bei hoher Dosierung über längere Zeit können bei unkontrollierter Anwendung von EPO erhebliche Nebenwirkungen auftreten. Der ständige Anstieg der Erythrozytenanzahl (Hämatokrit) führt zu einer Verschlechterung der Blutviskosität, Erhöhung des Blutdruckes und der Thrombosegefahr.[32] Sowohl das Gehirn (Schlaganfall) als auch der Herzmuskel (Infarkt) können hiervon betroffen sein, was die Anwendung von EPO lebensgefährlich macht.[33]

3. Anabol androgene Steroidhormone (Anabolika)[34]

Der Zusatz anabol verweist auf die aufbauende Wirkung (Eiweißstoffwechsel) und androgen auf die Zuständigkeit für die Ausbildung der sekundären männlichen Geschlechtsmerkmale, was einer anabolen Wirkung auf die Sexualorgane entspricht. Die androgene und die anabole Wirkung ist daher nur dem Ort nach aber nicht im Wesen von einander zu trennen.[35]

„Die Anabolika gehören zu den beliebtesten Dopingmitteln im Sport.“[36]

Physiologische Wirkungen

Durch die Anwendung von Anabolika wird die Konzentration der Fetteiweiße mit hoher Dichte (HDL = high density lipoprotein) im Blutplasma erniedrigt, während die Fetteiweiße mit geringer Dichte (LDL = low density lipoprotein) sich erhöhen. Damit erhöht sich der Quotient aus LDH zu HDL, was als Risikofaktor zur Entstehung von Arteriosklerose bis hin zum Herzinfarkt angesehen wird.

Wirkungen exemplarisch für das Testosteron

Anabolika sind Abkömmlinge und „Verwandte“ des Testosterons[37]. Demzufolge besitzt dieses wichtigste männliche Sexualhormon, ebenso androgene als auch anabole Wirkungen.

Einige dieser beobachteten androgenen Wirkungen sind:

- Peniswachstum
- Wachstum und Entwicklung der Prostata
- Vertiefung der Stimme
- Zunahme der Talgbildung der Talgdrüsen

Zu den anabolen Wirkungen zählen u.a.:

Zunahme der Skelettmuskelmasse

Zunahme der Hämoglobinkonzentration

prozentuale Abnahme des Körperfetts

verstärkte Calciumaufnahme der Knochen

Es ist über die Wirksamkeit der anabol androgenen Steroide bei Leistungssportlern kontrovers diskutiert worden. Aus ethischen Gründen sind gezielte wissenschaftliche Studien nicht durchführbar. Dennoch zeigten einige durchgeführte Studien bei den Männern leistungssteigernde Effekte. Bei den Frauen ist die Wirkung von Anabolika jedoch höchst umstritten.[38]

Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen des Anabolikadopings sind so weitreichend und von existentieller Bedeutung, dass es im Fall eines verordneten Dopings vor dem Gesetz als Körperverletzung geahndet wird. Die gesundheitlichen Folgen der Einnahme von Anabolika sind ausgesprochen vielfältig und in hohem Maße von der Dauer und Häufigkeit der Anwendung abhängig. Typische körperliche Begleiterscheinungen sind die Verminderung des HDL- Cholesterins mit der Gefahr der Gefäßverkalkung,[39] die Verminderung der Spermienbildung bis hin zur Unfruchtbarkeit, Gynäkomastie (Brustwachstum beim Mann),[40] Auflösungserscheinungen der Muskeln und Sehnen, Prostata- und Leberschäden, Akne, erhöhte Aggressivität sowie Persönlichkeitsstörungen, Depressionen und Störungen der Libido.

Erheblich gravierender sind die Folgen der Anabolikaanwendung bei Frauen. Neben den bereits erwähnten Folgen kann bei ihnen eine Vermännlichung (Virilisierung) auftreten.

Typisch hierfür ist eine übermäßige Gesichts- und Körperbehaarung, tiefere Stimmlage, androgener Haarausfall, Klitorishypertrophie sowie Menstruationsstörungen.[41] Bei Personen mit noch nicht ausgereiftem Skelettsystem, d.h. bei Kindern und Jugendlichen, können sich die Wachstumsfugen vorzeitig schließen und es kann zu einem irreversiblen Wachstumsstillstand kommen.[42]

Folglich sind die Schädigungen bei Frauen, Kindern und Jugendlichen weitaus gravierender als bei Männern.

Im Hinblick auf den Konsum von Dopingsubstanzen erscheint aufgrund der dargestellten schwerwiegenden Nebenwirkungen besorgniserregend, dass selbst die extremsten Negativbeispiele nicht beachtet werden, und dass viele Sportler diese gesundheitlichen und sozialen Risiken sowohl verdrängen als auch in einer Art Kamikaze-Mentalität in Kauf nehmen.[43] Gerade aus diesen Gründen muss eine Verabreichung dieser Substanzen, selbst unter ärztlicher Kontrolle, unterbunden werden. Viele schrecken jedoch nicht davor zurück, Medikamente einzunehmen, die noch nicht mal als solche zugelassen sind und deren Wirkungen und Nebenwirkungen noch nicht hinreichend erforscht und überprüft worden sind. Darüber hinaus werden meistens mehrere Medikamente zusammen eingenommen oder verabreicht (Polymedikation), deren Wechselwirkungen untereinander häufig unbekannt und/ oder unvorhersehbar sind.[44] Dadurch dass in einzelnen Sportarten die Dosierungen weit über den therapeutisch vertretbaren Dosen liegen, gefährden die Athleten in einem noch höheren Maße ihre eigene Gesundheit.

Um Rückschlüsse auf die heutige Entwicklung des Dopings und die Dopingpraxis ziehen zu können, wird im Weiteren ein historischer Rückblick gegeben.

3. Der gesellschaftliche Doping- Diskurs

Ein Rückblick

Das antike Wettkampfwesen war schon von fragwürdigen sportlichen und medizinischen Praktiken geprägt und die Sportler der Antike verzichteten ebenso wenig wie die heutigen Athleten auf die Anwendung von Mitteln und Methoden zur Leistungssteigerung im Sport. Auch der Sieg durch Manipulation am Wettkampf oder seinen Bedingungen ist nicht erst eine Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Schon in der „Ilias“ ließ Homer seinen Helden Odysseus im Lauf Ajax besiegen, indem die Göttin Athena auf Bitten Odysseus´ seine Glieder leicht machte und seinen Gegner zu Fall brachte. Seiner Zeit wurde jedoch die Einmischung der Götter als selbstverständlich akzeptiert. Laut Guttmann[45] finden sich in der griechischen Mythologie viele Athleten, deren Siege auf List und Betrug basieren. Es wäre dennoch irreführend, die Praktiken der antiken Athleten einfach mit den Dopingpraktiken im 21. Jahrhundert gleichzusetzen. „Doping“ ist ein Phänomen, das erst im Zusammenhang mit der beginnenden Etablierung des modernen, professionellen Sports um 1900 und durch eine neuartige, damit einhergehende Verflechtung medizinischer, juristischer und sportethischer Diskursstränge zustande gekommen ist. Oder provokativer formuliert: „Das Faktum „Doping“ ist erst im Zuge spezifischer diskursiver und institutioneller Veränderungen im 20. Jahrhundert entstanden“.[46] Doping verstößt gegen das Prinzip des Fair Play, stellt eine Gesundheitsgefährdung dar (siehe Kapitel 2.3.) und verletzt die Würde des Menschen. Aus diesem Grund ist Doping verboten.[47]

3.1. Die Olympische Idee Coubertins und die Sportethik

Befunde zur gegenwärtigen Situation des Sports kommen selten ohne den Begriff der Krise aus:

„Die vermutlich wichtigste Institution des Weltsports, das Internationale Olympische Komitee (IOC), das sich immer mehr als Verein idealistischer Ehrenmänner definierte, offenbarte sich in den vergangenen Jahrzehnten als korrupte Clique, womit zum einen die vom IOC gepflegte Ideologie des Olympismus, der „religio athletae“, wie es ihr Begründer Pierre de Coubertin (1863-1937) nannte, ad absurdum geführt wurde.“[48]

In den Gründerjahren des Industriezeitalters sah der Pädagoge Coubertin sein traditionelles Weltbild aufs Tiefste erschüttert. Bei der Erforschung der neuen Machtverhältnisse kritisierte er hauptsächlich die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts etablierende Diskursformation, den zunehmenden Einfluss der Naturwissenschaften sowie die damit verbundenen Phänomene gesellschaftlicher Rationalisierung und Technologisierung, die zunehmend wissenschaftlich geprägt waren. Aus Bauern wurden Fabrikarbeiter, aus Bürgern Angestellte. Profitstreben und Egoismus, war Coubertin überzeugt, würden gegenüber familiären Bindungen und überkommenen Werterhaltungen triumphieren. Der Aristokrat empfand die Dynamik der Veränderung als geradezu krankhaft und nahm in einer sich zunehmend ausdifferenzierten Welt einen allgemeinen moralischen Niedergang war. Gegen die allgemeine Verrohung, gegen Dekadenz und Trägheit wollte Coubertin eine umfassende Therapie setzen. Coubertin´s Idee bestand darin, eine Bewegung zu schaffen, deren öffentlicher Höhepunkt die alle vier Jahre stattfindenden Olympischen Spiele darstellen, in Anlehnung an die Olympischen Spiele der Antike.[49] Diese sog. „Olympische Bewegung“ brauchte eine „Olympische Philosophie“ (Olympismus), d.h. eine inhaltliche, geistige Ausrichtung und konnte seiner Meinung nach nicht nur aus einem organisatorischen, institutionellen Rahmen, wie z.B. die des IOC´s, NOK´s etc., bestehen.

Der Olympismus, auch „religio athletae“ genannt, besteht aus einer Zusammensetzung verschiedener Werte wie z.B. „Fairness“, „Chancengleichheit“, „Natürlichkeit“ oder „Konkurrenz“.[50] Coubertin´s Idee des Sports basiert auf einer humanistischen Ethik. Die Ethik versucht die letzten Begründungsprinzipien des moralisch Richtigen zu ermitteln; sie fragt nach den Möglichkeiten, die der Mensch hat, um moralische Fragen zu lösen und dient in diesem Sinne als „philosophische Reflexion auf Moral“.[51] Aus der Perspektive dieser Ethik des „fairen Sports“ sollte Coubertins Jugend der Welt über Rassenschranken und Staatsgrenzen hinweg in einen sportlichen Wettstreit treten, in dem Fairness[52] als das oberste Prinzip galt.[53] Der ethische Imperativ Coubertins: „citius, altius, fortius“ (schneller, höher, stärker) sowie seine ethischen Ambitionen entfernen sich jedoch von seiner christlichen Überzeugung und werden zusehends vom sozialdarwinistischen Denken beeinflusst.[54] Im Folgenden zeigt sich, dass sich die WADA und das IOC das Sportverständnis Coubertins zu eigen machen. Sie beziehen sich hier auf die im Sport verankerten ethischen Fairness- und Gerechtigkeitsprinzipien, die durch das Regelwerk mitsamt den Anti-Doping- Bestimmungen instrumentalisiert werden. Um die Olympische Idee besser zu verstehen und den damit verbundenen Ursprung des aktuellen Dopingphänomens nachzuvollziehen, ist es notwendig die Geschichte mit einzubeziehen.

Die Hauptgrundsätze seines Sportbegriffs sind das Prinzip des Verdienstes als auf individueller Leistung beruhende Gerechtigkeit, die formale Chancengleichheit, die Affektkontrolle, das Konkurrenzprinzip, das Moment von Risiko und Zufall, das Prinzip der Überwindung von Widerstand und das Prinzip der Leistungsprogressivität und –maximierung.[55]

Dies sollte Coubertin zufolge der physisch, psychisch und moralisch degenerierten Gesellschaft Heilung verschaffen. Darüber hinaus begründe er das Fairnessprinzip als ethische Rückkopplung für sein kapitalistisch-darwinistisch geprägtes Sportkonzept. Dies auch als „Fairplay“[56] bezeichnet, hatte einerseits seine Funktion im Rahmen einer auf Übersichtlichkeit, Chancengleichheit und Transparenz beruhenden besseren (Sport-)Welt, wo das (Schein-)Handeln durch Rücksichtnahme auf die anderen geprägt ist. Andererseits sollte es aber auch den jungen Männern helfen, durch die Tugenden der Mäßigung und der Disziplin die Lebensbedingungen in der veränderten Berufswelt zu meistern.

Die in den 20er Jahren bedingten gesellschaftlichen Veränderungen beeinflussten auch die Bedeutung des Sports. Zunehmend begannen sich v.a. die Wirtschaft und die Politik für den Sport zu interessieren. Das auf Leistungsmaximierung und Rekordstreben basierende Sportverständnis Coubertins, sowie seine ins Leben gerufenen „Olympischen Werte“ stehen ab sofort im krassen Gegensatz zu ungleichen gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen und allgemeinen Phänomenen von Rationalisierung, Technologisierung und Kommerzialisierung.

Laut Gamper[57] verhält sich der Dopingdiskurs in seiner heutigen Ausrichtung so ähnlich zweideutig zu den Problemen des modernen Profisports wie Coubertins Sportphilosophie zu den gesellschaftlichen seiner Zeit: „Er postuliert eine Welt des Sports, in der Ehrlichkeit, Rücksichtsnahme und Chancengleichheit triumphieren können, und deckt zugleich mit dem Schein dieses (nicht durchsetzbaren) Ideals eine Praxis, die dank dieser Bemäntelung um so unverfrorener agieren kann.“ Unfreiwillig bereitet Coubertin daher den Weg für den fast unausweichlichen Professionalismus und die damit einhergehende systematischen Ausweitung von Dopingpraktiken.

Die olympische Losung Coubertins „Dabeisein ist alles!“ hat daher angesichts der ökonomischen Potenzen des Sports längst einen Hintersinn, der die ursprüngliche Absicht ins Gegenteil verkehrt.[58]

3.2. Historischer Hintergrund

Bei der Betrachtung der Geschichte des Dopings muss beachtet werden, dass eine Definition (siehe Kap. 2.2.) in Verbindung mit dem Status des Vergehens, eine notwendige Voraussetzung darstellt, um von einem Dopingvergehen reden zu können. Was damals noch als „legale Leistungssteigerung“ bezeichnet wurde (z.B. die Verwendung von Anabolen Steroiden (AS) vor 1974)) gilt heute als Doping. Diese damals wie heute ethisch verwerfliche Art der Leistungssteigerung (siehe Kap. 2.2.) war jedoch nicht durch Auflagen der Sportverbände verboten. Ebenso Maßnahmen wie z.B. Trainingslager in großen Höhen abzuhalten oder ähnliche Möglichkeiten zur optimalen Wettkampfvorbereitung zu nutzen schafft `Klassenunterschiede` unter den Athleten, die im sportlichen Ergebnis denen mancher Dopingmittel gleichen. Doch der medizinische Aspekt der Gesundheitsschädigung durch Doping (siehe Kap. 2.3.) fügt der Verwerflichkeit aus ethischen Gründen einen weiteren Aspekt hinzu.

Im Bezug zu den von Coubertin postulierten Grundsätzen (s.o.), bei denen Fairness als oberstes Prinzip galt, zeigt die moderne Sportgeschichte jedoch eine ganz andere Richtung, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

Der erste spektakuläre Dopingfall ereignete sich 1904 bei den Olympischen Spielen der Neuzeit in San Louis. Der Amerikaner Thomas Hicks gewinnt den Marathonlauf und bricht im Ziel zusammen. Er hatte vor dem Rennen einen Cocktail aus Strychnin, rohen Eiern und Brandy zu sich genommen. Er blieb trotz Proteste im Besitz der Goldmedaille, wodurch zum ersten Mal das Dopingproblem in die Öffentlichkeit gerät. 1908 ist es der italienische Marathonläufer Dorando Pietri, der mit Atropin[59] und Strychnin gedopt bei den Olympischen Spielen in London vor dem Ziel zusammenbricht, jedoch wegen dieser Unterstützung disqualifiziert wird.[60] Insbesondere im 2.Weltkrieg wurden die sog. `Weckamine` d.h. Amphetamin und Metamphetamin wegen ihrer euphorisierenden und stimulierenden Wirkung eingesetzt und kamen nach dem 2. Weltkrieg auch als Dopingmittel zum Einsatz.[61] „Von 1950 an häuften sich die Dopingfälle“.[62]

Laut Krüger[63] werden ab 1952, ausgelöst durch den kalten Krieg, vermehrt staatlich geförderte Maßnahmen zur Leistungssteigerung einschließlich Doping im internationalen Sport angewandt. Da zu dieser Zeit die Anwendung von Doping noch nicht verboten war, wurden experimentierfreudigen Trainern, Medizinern und Athleten keine Grenzen gesetzt. In den 50er Jahren tauchten zum ersten Mal anabol- androgene Steroide (AAS) in der Sportszene auf. Diese kamen zunächst Anfang der 60er Jahre verstärkt in den USA zum Einsatz und später, ca. Mitte der 60er Jahre, auch in Europa. Zu dieser Zeit wird bereits in vielen Maximal- u. Schnellkraft abhängigen Sportarten wie z.B. im Skilanglauf oder im Radsport geradezu systematisch gedopt. Dennoch wurde Doping im Humansport erst Anfang der 60er Jahre bekämpft. Es wurden daraufhin Dopingkommissionen in Frankreich (1960), in Österreich (1963) und in Italien (1963) gegründet.[64] Ein trauriger Höhepunkt und wichtiger Schub in der Dopingproblematik löste der Todesfall des britischen Radrennfahrers Tom Simpson bei der Tour de France 1967 aus. Bei der Obduktion finden sich Alkohol und das Amphetamin „Onedrine“ im Blut.[65]

Es wurde höchste Zeit, etwas gegen das wachsende Problem zu unternehmen. So beschlossen die, von der Dopingproblematik besonders betroffenen, Radsportländer Frankreich und Belgien 1965 die ersten Anti-Doping-Gesetze. In der Folge beginnt eine verschärfte Debatte um härtere Kontrollen und Bestrafungen der Dopingsünder. Das IOC gründet eine medizinische Kommission und verpflichtet die Athleten zu einer Erklärung, dass sie keine körperfremden, ausschließlich der Leistungssteigerung dienenden Mittel, zu sich nehmen.[66] Erst 1974 setzte die Medizinische Kommission des IOC die androgen anabolen Steroide (AAS) auf die Verbotsliste. Es war nicht möglich Dopingmittel zu verbieten, zu denen Nachweismethoden noch nicht ausgereift oder zumindest bekannt waren.[67]

[...]


[1] Vgl. Hobermann, J., 1994, S.9.

[2] Vgl. Bette, K.-H./ Schimank, U., 1995, S. 37 f.

[3] Der Begriff „gesellschaftlicher bzw. offizieller Doping-Diskurs“ beinhaltet die (Anti-) Dopingpolitik des IOCs unter der Berücksichtigung der Sportidee Coubertins. Daher werden auch alle Vorkommnisse, die mit der Charakterisierung des Dopingproblems des IOCs übereinstimmen, unter dieser Bezeichnung zusammengefasst.

[4] Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 13.05.2004, Artikel v. Kistner, T., S. 10.

[5] Die deutsche Triathletin Nina Kraft gesteht das Dopingmittel EPO eingenommen zu haben, als sie, nachdem sie den legendären „Ironman“ auf Hawaii gewonnen hatte, positiv getestet wurde. -Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 12.11.2004, Artikel v. Bühler, K., S. 36.

[6] Vgl. Gamper, M./ Mühlethaler, J./ Reidhaar, F., 2003, S. 101.

[7] Die „dopingerzeugende Konstellation“ bilden v.a. Athleten, Trainer, Funktionäre, Sportärzte, Sponsoren, Journalisten und Zuschauer.-Vgl. Gamper, M./ Mühlethaler, J./ Reidhaar, F., 2003, S. 108.

[8] Wörtlich zitiert aus Krauß, M., 2000, S.18

[9] Fast wörtlich zitiert aus Donike, M., 1986, S. 5.

[10] Fast wörtlich zitiert aus Prokop, L., 1992, S. 144.

[11] Diese werden auch als Wesensdefinitionen bezeichnet, da durch deren abstrakten Begrifflichkeiten, keine Trennlinie zwischen legitimen bzw. illegitimen Verhalten gezogen werden kann. Sie zielt auf die allgemeine intakte Sportmoral ab. –Vgl. Bette, K.-H./ Schimank, U., 1995, S. 155.

[12] Wörtlich zitiert aus Donike, M., 1996, S.1.

[13] Vgl. http://www.dshs-koeln.de/biochemie/rubriken/01_main.html Zugriff: 10.09.2004.

[14] Diese sog. enumerativen Definitionen lösten die Wesensdefinitionen ab. Die Listung aller verbotenen Substanzen, eingeteilt in Wirkstoffgruppen und Methoden, sollte die rechtliche Markierung eines allgemeinen Moralkonsensus ersetzen. –Vgl. Bette, K.-H./ Schimank, U., 1995, S. 158.

[15] Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG (2004).

[16] Donike, M./ Rauth, S., 1996, S.2.

[17] Siehe Anhang Abb. 1.; wörtlich zitiert aus Schänzer, W., 2004, S. 3.

[18] Inzwischen wurde von der WADA eine neue Verbotsliste verabschiedet, die am 01.01.2005 in Kraft treten soll. Gegenüber der Liste von 2004, wird u.a. die Verwendung von kortisonhaltigen Cremes oder Tropfen zur lokalen Anwendung nicht mehr anzeigepflichtig sein. Dafür muss die Behandlung von Medikamenten mit Beta-2-Antagonisten, die gegen Asthma eingesetzt werden, angemeldet werden. Verboten wird zudem die Benutzung des Maskierungsmittels Finasterid. –Vgl. http://www.sportrechturteile.de/News/news3874.html. Für die genaue Listung siehe Anhang Abb. 2.

[19] Das Verbot für die unter I. genannten Wirkstoffgruppen gilt generell für die Wettkämpfe, während für die Trainingsphasen nur die Substanzen aus den Gruppen S4 – S8 verboten sind. Bei der Gruppe S6* gilt dies jedoch nur für Clenbuterol und Salbutamol bzw. für Salbutamol nur, wenn die Konzentration im Urin > 1000ng/ml ist.

[20] Vgl. Schänzer, W., 2004, S.5.

[21] Vgl. Krauß, M., 2000, S. 19.; Darüber hinaus wurde durch die enumerativen Listen zwar eine Erleichterung bei der strafrechtlichen Verfolgung, sowie die Sicherheit und Rechenschaftsgrundlage bei Verurteilungen und Sanktionen geschaffen; dennoch unterstützen sie gerade durch das Aufstellen der verbotenen Wirkstoffgruppen, die Suche nach Schlupflöchern u. damit nach „erlaubten“ Dopingsubstanzen. –Vgl. Bette, K.-H./ Schimank, U., 1995, S. 163.

[22] Vgl. Artikel: „Reine Vernunft und gedopte Körper“ v. Krauß, M. in Jungle World v. 03.09.2003

–Vgl. http://www.extrem-bodybuilding.de, Zugriff: 13.11.2004.

[23] Vgl. Gamper, M./ Mühlethaler, J./ Reidhaar, F., 2003, S. 99.

[24] Vgl. Voy, R., 1991, S. 9.

[25] Vgl. Satz v. Berthold Brecht in der Einleitung, Kap.1.

[26] Vgl. Clasing, D., 1999, S.49f.; ferner Hollmann, W./ Hettinger, T., 1990, S. 539.

[27] Vgl. Schänzer, W., 2004, S. 8.

[28] Vgl. Clasing, D., 1992, S. 49.

[29] Vgl. Schänzer, W., 2004, S. 8.

[30] Vgl Schänzer, W. in Gamper, M./ Mühlethaler, J./ Reidhaar, F., 2003, S. 191ff.

[31] Vgl. Clasing, D./Müller, R., K., 2001, S. 38.

[32] Vgl. http://www.dshs-koeln.de/biochemie/rubriken/02_main.html; Zugriff : 19.09.2004.

[33] Vgl. Hollmann, W./ Hettinger, T., 1990, S. 539.

[34] Seit 1993 ist die Gruppe der anabolen Wirkstoffe unterteilt in a) anabol androgene Steroidhormone (z.B.: Metandienon, Testosteron) und in b) ß2-Agonisten (z.B. Clenbuterol)-Vgl. Schänzer, W. in Gamper, M./ Mühlethaler, J./ Reidhaar, F., 2003, S. 191ff.

[35] Vgl. Clasing, D., 1992, S. 42.

[36] Vgl. die Anabolika Übersicht bei Zittlau, D., S.74 ff.

[37] Vgl. Butz, K./ Icheln, D., 2002, S. 69.

[38] Vgl. Schänzer, W., 2004, S. 20.

[39] Vgl. Kutscher, E./ Lund, B./ Perry, P., 2002, S. 285-S. 291f.

[41] Vgl. Clasing, D., 1992, S. 58ff.

[42] Vgl. Hollmann, W./ Hettinger, T., 1990 , S. 538.

[43] Vgl. Gamper, M./ Mühlethaler, J./ Reidhaar, F., 2003, S. 100.. Laut Umfragen der Zeitschrift Sports Illustrated, sind sogar 15 Prozent der Athleten bereit, 5-10 Jahre ihres Lebens für eine Olympische Medaille zu opfern, trotz enormer körperlicher Risiken –Vgl. hierzu: http://www.sasi.co.za; Zugriff: 19.10.2004.

[44] Vgl. Clasing, D., 1992, S. 70.

[45] Vgl. Guttmann, A., 1987, S. 12.

[46] Vgl. Schnyder, P.: Neue Zürcher Zeitung SPORT , 30.08.2000 in http://www.svl.ch/presse/nzz000830.html; Zugriff: 19.10.2004.

[47] Vgl. Digel, M., 2002, S. 3.

[48] Vgl. Krauß, M.: Die Ost-West Wochenzeitung, 31.08. 2001 in http://www.freitag.de/2001/31/01311301.php; Zugriff: 20.09.2004.

[49] Vgl. Brumme, A. in: Chrismon v. 08/2004, S. 30-31.

[50] Vgl. http://www.nok.de. Zugriff: 05.06.04.; Auch heute noch sind das Prinzip der Konkurrenz, das Fairplayprinzip und das Prinzip der Unversehrtheit des Athleten die Grundregeln für die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen. Als weiteres zentrales Prinzip muss das der Chancengleichheit ergänzt werden. -Vgl. dazu Netzle in Gamper, M. / Mühlethaler, J./ Reidhaar, F., 2003, S. 263.

[51] Vgl. Koch, A., 1995, S. 7.

[52]Fairness ist die ethische Grundhaltung des Sportlers, die im Einzelnen dazu führt, Sieg und Niederlage sachlich zu verarbeiten, nicht um jeden Preis gewinnen zu wollen, Spielregeln einzuhalten, im Partner nur den sportlichen Gegner, nicht den Feind zu sehen, sowie möglichst gleiche Chancen und Bedingungen für den sportlichen Wettkampf zu schaffen.“ -Vgl. Meyers kleines Lexikon Sport, 1998, S. 234.

[53] Vgl. Mittelbayrische Zeitung Artikel von Retzer, B. v. 25./26.07.1992.

[54] Vgl. Koch, A., 1995, S. 22.

[55] Vgl. Alkemeyer, T., 1996, S. 73.

[56] „Der Begriff Fairplay entstammt dem 19.Jahrhundert und spiegelt das damalige Sportverständnis. Die heutige durchkapitalisierte Sportrealität ist jedoch mit dem moralischen Postulat von Fairplay nicht mehr zu regulieren.“-Vgl. Krauß, M., 2000, S. 61.

[57] Fast wörtlich zitiert: Gamper, M. in Artikel: „100 Jahre Doping“ in: http://www.nzz.ch/dossiers2000/doping/, Zugriff: 15.09.2004.

[58] Vgl. Grosser, A., 1990, S. 44.

[59] Heute ein noch teilw. eingesetzes Spasmolytikum.

[60] Vgl. Voy, R., 1991, S. 6.

[61] Vgl. Donike, M., 1986, S. 7 und 1993, S. 32.

[62] Vgl. Prokop, L., 1992, S. 146.

[63] Vgl. Krüger, A., 1998, S. 15.

[64] Vgl. Prokop, L., 1992, S. 147.

[65] Vgl. Kölner Stadtanzeiger Artikel v. 08./09. 07. 2000 (ausgehändigte Kopie von Prof. Dr. W. Schänzer im WS 2001/2)

[66] Vgl. Krüger, A., 1998, S.12; und Prokop, L., in: Acker, H., 1972, S. 147f.

[67] Eine Ausnahme stellt jedoch das Verbot des Blutdopings dar, da es hierfür auch noch keine Nachweismethoden gab.

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Details

Title
Der gesellschaftliche Doping-Diskurs. Analysen zum Dopingproblem und mögliche Lösungsstrategien
College
Sport Academy Cologne  (Biochemisches Institut)
Grade
1,0
Author
Year
2005
Pages
90
Catalog Number
V54094
ISBN (eBook)
9783638493666
ISBN (Book)
9783638000154
File size
3105 KB
Language
German
Keywords
Doping-Diskurs, Analysen, Dopingproblem, Lösungsstrategien
Quote paper
Elisabeth Uta Meyer (Author), 2005, Der gesellschaftliche Doping-Diskurs. Analysen zum Dopingproblem und mögliche Lösungsstrategien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54094

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