Deutschrap und Schwarzes Selbstbewusstsein. Kommunikative Verhandlungen der Identitäten von PoC-Künstlerinnen in der Gattung des Hip-Hops

Eine Einzelfallanalyse mit der Künstlerin Leila Akinyi


Masterarbeit, 2018

168 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Hinführung zum Thema
1.1. Forschungsstand
1.2. Methodisches Vorgehen

2. Theoretische Überlegungen
2.1. Begriffserklärung
2.1.1. Identität
2.1.2. Afrodeutsche, Schwarze Deutsche, People of Color
2.2. Drei Konzepte der Identität nach Stuart Hall
2.2.1. Kulturelle Repräsentation
2.2.2. Nation und kulturelle Nation
2.3. Die Identitätskonstruktion „Schwarz"
2.4. Wir (und) die Anderen: Schwarzsein und Deutschsein
2.5. Critical Whiteness und Identitätskonstruktion

3. Hip-Hop
3.1. Geschichte des Hip-Hops
3.2. Hip-Hop, Identität und Identitätskonstruktionen
3.3. Performative Identifikationsmöglichkeiten
3.4. Konzepte als Werkzeuge zur Identitätsbildung
3.5. Repräsentation
3.6. Differenzierung

4. Hip-Hop in Deutschland
4.1. Geschichte des Hip-Hops in Deutschland– 1980 bis
4.2. Das sozial-politisches Klima und die Bedeutung des Hip-Hops für PoCs in Deutschland
4.3. Advanced Chemistry „Fremd im eigenem Land“
4.4. Brothers- und Sisters Keepers

5. Women of Color - Identitäten in der deutschen Medienkultur
5.1. Women of Color - Identitäten und Frauenbewegung in Deutschland
5.2. Schwarze (WoC-)Identitäten in der Popmusik
5.3. Die Musikgruppe „Tic Tac Toe“
5.4. Die postmoderne Entertainment Medienkultur

6. Empirischer Teil
6.1. Die „Qualitative Inhaltsanalyse“ nach Philip Mayring
6.2. Die „Kritische Diskursanalyse“ nach Siegfried Jäger
6.3. Die Feinanalyse

7. Durchführung: Qualitative Inhaltsanalyse
7.1. Methodisches Vorgehen
7.2. Biografie „Leila Akinyi“
7.3. Biografie „Sisters Keepers“
7.4. Darstellung der Ergebnisse: Das Kategoriensystems
7.5. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
7.5.1. Afro Spartana (weil ich schwarz bin)
7.5.2. Mit Liebe und Verstand Sisters Keepers
7.6. Gegenüberstellung und Interpretation der Ergebnisse

8. Die Einzelfallanalyse
8.1. Falldefinition und Fragestellung
8.2. Materialaufbereitung
8.3. Festlegung der Methoden und konkrete Vorgehensweise
8.4. Vorstellung des Kategoriensystems
8.5. Interpretation der Ergebnisse

9. Fazit und weiterführende Überlegungen

10. Abbildungsverzeichnis

„If any female feels she need anything beyond herself to legitimate and validate her existence, she is already giving away her power to be self-defining, her agency.“

bell hooks

1. Hinführung zum Thema

Den Mauerfall 1990 feiern viele Menschen in Deutschland. Nur People of Color1 haben keinen Grund zu feiern. Warum? Rassistische Hetzen steigen an, in Deutschland geborene PoCs verortet man außerhalb von Deutschland und man nimmt sie als Ausländer wahr (Kelly, 2017).

Die afrodeutsche Pädagogin und Aktivistin May Ayim ist die prominenteste Figur der Schwarzen Community in Deutschland, durch die eine zweite Welle der afrodeutschen Bewegung, nach einer ersten, welche die antikolonialen Bewegung zur Zeit des deutschen Kolonialismus umfasste, in Gang gebracht wird. Das Besondere an der zweiten Welle der afrodeutschen Bewegung ist, dass sie aus der Frauenbewegung heraus entsteht. Im Zuge dessen benennen und definieren sich Schwarze Frauen selbst und treten aus der Unsichtbarkeit heraus (ebd.).

Anfang der 1990er Jahre und nach Deutschlands 41-jährigen Teilung gab der Song „Fremd im eigenem Land“ (1995) der Band „Advanced Chemistry“ insbesondere denjenigen eine Stimme, die in der Nachwendezeit Opfer rassistischer Gewalt und der Diskriminierung wurden und deren Akzeptanz als deutsche Bürger seitens der Gesellschaft verweigert wurde.

Erstmals rückte das Thema Rassismus und Diskriminierung in die deutsche Öffentlichkeit. Es liegen sechs Jahre zwischen der ersten kommerziell relevanten Veröffentlichung der Gruppe „Advanced Chemistry“ und dem im Jahr 2001 veröffentlichten Song „Adriano (Letze Warnung)“ der Band „Brothers Keepers“, deren Song die Ermordung des Mosambikaners Alberto Adriano durch Neonazis zum Gegenstand hatte. Das weibliche Pendant, die „Sisters Keepers“, eine der ersten afrodeutschen weiblichen Bands, veröffentlichten im selben Jahr den Song „Mit Liebe und Verstand“, der ebenfalls die Ermordung Alberto Adrianos zum Gegenstand hatte, sich allerdings durch seine eher freundliche und zurückhaltende Art zum aggressiven Song „Alberto Adriano (Letzte Warnung)“, deutlich unterschied.

Trotz der wichtigen Rolle von WoC2 im Hinblick auf den Identitätsdiskurs in Deutschland, und wenngleich Frauen von Beginn an Teil der Hip-Hop-Kultur waren, scheint Deutschrap eine Männerdomäne zu sein, wobei Frauen in der Hip-Hop-Kultur nur wenig Beachtung geschenkt wird. Vor allem Schwarze WoCs scheinen dabei nur langsam ihren Platz im deutschen Hip-Hop zu finden.

Ein Zeitsprung in die Gegenwart zeigt: Es vergehen weitere neun Jahre, ehe beispielsweise in Berlin im Jahre 2010 das Groebenufer, das nach einem Kolonialverbrecher benannt worden war, in May-Ayim-Ufer umbenannt wird. Es vergehen weitere sechs Jahre, ehe neue erfolgreiche PoC-KünstlerInnen mit politischer Message in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit rücken.

Die Fortführung des Kampfes und der Widerstandes von PoCs führte zu einer Entwicklung in Deutschland, die zeigt, dass sich eine Bewusstseinsveränderung in der Mehrheitsgesellschaft innerhalb der letzten 15 Jahre, seit Veröffentlichung des Songs „Fremd im eigenen Land“ vollzogen haben muss.

So erschienen im Jahr 2016 gleich drei Songs, die das Thema „Schwarzsein“ zum Inhalt hatten. Die afrodeutsche Gruppe „SXTN“ und der Rapper „AH Nice“ veröffentlichten 2016 Songs, die beide den Titel „Ich bin schwarz“ trugen. Im selben Jahr veröffentlichte Leila Akinyi den Song „Afro Spartana (weil ich schwarz bin)“ (Stern, 2016). Insbesondere Leila Akinyi gilt als eine der größten Nachwuchshoffnungen im deutschen Hip-Hop. Sie wagte sich mit ihrem Song „Afro Spartana (weil ich Schwarz bin)“ in ein Territorium von überwiegend weißen Männern einzutreten (Withoutfield, 2016). Das weist darauf hin, dass die Zeit des ausschließlich weißen, männlichen Hip-Hops in Deutschland vorbei zu sein scheint.

Was die drei Songs der KünstlerInnen „SXTN“, „AH Nice“ und „Leila Akinyi“ gemein haben, ist, dass sie im Unterschied zu den Songs von „Advanced Chemistry“, den „Brothers Keepers“ und „Sisters Keepers“, die konkrete rassistische Überfälle, Rassismus und Diskriminierung allgemein und über ihre verschiedenen Identitäten und die Akzeptanz als Deutsche thematisierten, offensiv, ironisch und viel provokanter mit ihren Identitäten und dem Thema Rassismus und Diskriminierung im öffentlichen Diskurs umgehen.

Was dieses Thema im Hinblick auf heute wichtig macht, ist, dass PoC-Identitäten im Hip-Hop durch ihre Präsentation und Performance auf ihre unterschiedliche Art und Weise thematisieren, wodurch ein neuer Blick auf Identitäten, soziale Veränderungen und Entwicklungen in Deutschland gegeben werden kann. Durch eine Analyse der kommunikativen Verhandlung von WoC-Künstlerinnen in der Gattung des Hip-Hops soll ein Beitrag geleistet werden, durch die tradierte Vorstellungen über WoC, die ausschließliche Verortung der WoC außerhalb des europäischen oder deutschen Kontextes und in spezifischen Bereichen der postmodernen Entertainment-Kultur, sowie die Reduktion von WoC auf bestimmte Attribute abgelöst werden. Die bewusste Verortung von WoCs in Deutschland steht somit im Vordergrund.

Unter Einbezug von historischen, politischen, soziologischen und kulturellen Aspekten soll daher der Fokus auf die Identitätskonstruktion durch Hip-Hop von ausschließlich WoC-Rapperinnen in Deutschland liegen.

So besteht eine Zielsetzung in der Erforschung, wie WoC-Künstlerinnen in Deutschland ihre eigene Identität erschaffen, und inwiefern Hip-Hop-Musik dabei ein Ausdrucksmittel ist, das dabei hilft Selbstbewusstsein zu stärken und ein eigenes, positives Selbstbild zu kreieren. Es soll ebenso ergründet werden, wie WoC-Rapperinnen mit Unterdrückungs-oder Diskriminierungsprozessen in einer Mehrheitsgesellschaft umgehen.

Mein Interesse gilt der Erforschung der Konstruktion musikbezogener Identität, der künstlerische Umgang mit Rassismus und Diskriminierung. So wird versucht die Frage zu beantworten, inwiefern sich die Inhalte und die Sprache neuer Texte, wie „Afro Spartana (weil ich schwarz bin)“ der Künstlerin Leila Akinyi, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen soll, im Vergleich zu den Texten der Gruppe Sisters Keepers und ihrem Song „Mit Liebe und Verstand“ verändert haben.

Die zentralen Forschungsfragen dieser Arbeit lauten:

Qualitative Inhaltsanalyse Songtextvergleich:

a) Inwiefern hat sich der Inhalt und die Sprache des Textes „Afro Spartana (weil ich schwarz bin)“ von Leila Akinyi im Vergleich zum Song „Mit Liebe & Verstand“ der Gruppe Sisters Keepers verändert?
b) Wie konstruieren die WoC-Künstlerinnen Leila Akinyi und Sisters Keepers durch Hip-Hop ihre Identität?

Einzelfallanalyse Leila Akinyi:

c) Wie nimmt Leila Akinyi Diskriminierung auf Grund ihrer Hautfarbe oder Geschlechts wahr?
d) Inwiefern bietet Hip-Hop für Leila Akinyi Identifikationsmöglichkeiten?

Die vorliegende Arbeit versucht sich in 8 Abschnitten einer Beantwortung dieser Fragen zu nähern.

Das nachfolgende zweite Kapitel beinhaltet den theoretischen Teil dieser Arbeit und setzt sich zunächst mit Begriffserklärungen und den grundlegenden Aspekten von Identität nach Stuart Hall auseinander.

Ausgehend von einer Annäherung an die Begriffe „Identität“, „Afrodeutsche“, „Schwarze Deutsche“ und „People of Color“ wird der analytisch-theoretische Rahmen meiner Arbeit entwickelt, indem zuerst die „Drei Konzepte von Identität“ nach Stuart Hall dargestellt werden. Anschließend wird ein Teil seines wegweisenden Essays „The work of representation: Cultural Representation and signifying process“ (1997) vorgestellt, wobei hier „Kulturelle Repräsentationen“ im Fokus stehen.

Stuart Hall zeichnet dabei die Logik der Repräsentation, anhand der Mechanismen von Bedeutungsproduktion durch Sprache und linguistischer Theorie nach Charles S. Pierce, Ferdinand de Saussure und Barthes nach. Beim Begriff „Repräsentation“ spielt insbesondere die Doppeldeutigkeit in der postkolonialen Theorie eine wichtige Rolle, da „Repräsentationen“ repräsentativ sind und an die Stelle treten, dessen was sie beschreiben, das heißt, wer die Darstellungsmacht besitzt, hat ebenfalls Bedeutungshoheit und Gewalt über Wissensproduktion (Assmann, 2015).

Erst durch „Repräsentationen“ werden „Nationalen Identitäten“ gebildet, die sich im Verhältnis zu und mit ihnen verändern.

Wenn über nationale, bzw. kulturelle Identitäten gesprochen wird, so basiert dies auf dem Grundverständnis von „Nation“, bzw. „kulturelle Nation“ als Quelle des „Wir-Gefühls“ (Mančić, 2012). Daher soll auch Stuart Halls Verständnis von „Nation“ und „Kulturelle Nation“ in dieser Arbeit erläutert werden.

Ein weiterer Aspekt, der im Zuge des theoretischen Teil kurz erläutert werden soll, sind die sozialen und historischen Identitätskonstruktionen „Schwarz“ und „ weiß “. Dabei soll auf das Konzept des „othering“ Bezug genommen werden, das ein besseres Verständnis der Konstruktion von „Andersheit“ durch Differenzierungsstrategien erlaubt.

Das dritte Kapitel hat neben der allgemeinen Entstehungsgeschichte des Hip-Hops, die Performativität von Identitäten im Hip-Hop zum zentralen Gegenstand. Dabei stützt sich das Kapitel auf Stefanie Menraths Werk „Represent what: Performativität von Identitäten im Hip-Hop“ (2002) und geht der Frage nach, welche Möglichkeiten von Identitätsbildung in der Hip-Hop-Kultur geboten sind.

Kapitel vier setzt sich mit der Hip-Hop-Kultur in Deutschland auseinander und zeichnet den Grundgedanken der ersten PoC-RapperInnen nach. Im Zuge dessen werden die deutschen PoC-Hip-Hop-Pioniere „Advanced Chemistry“, die „Brothers Keepers, die „Sisters Keepers“ sowie ihr musikalischer Umgang mit den Themen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, insbesondere zu Beginn der 1990er Jahre, kurz nach der Wiedervereinigung dargestellt.

Die meisten weißen Deutschen haben, trotz der nachweislich jahrhundertlangen Präsenz Schwarzer Menschen, nur wenig Wissen über die Anwesenheit und ihren Einfluss in Deutschland. Selbst in Schwarzen Communities in Deutschland sind die bekanntesten Beispiele für Schwarze deutsche Selbstbestimmung und Widerstand gegen Rassismus vor den Mit-1980ern üblicherweise männlich (Sharon Dodua Otoo , 2015).

Da WoC-Rapperinnen im Fokus der Arbeit stehen, soll daher das fünfte Kapitel die Selbstbestimmung, den Widerstand und den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung von ausschließlich WoC grob skizzieren. In diesem Rahmen werden WoC-Identitäten - und Frauenbewegung, sowie ihre Rollen, Darstellung und der Umgang mit ihren Identitäten in der Gesellschaft, in der deutschen Popmusik und der postmodernen Entertainment Medienkultur dargestellt. Infolgedessen wird die diskursive Verhandlung über die WoC-Band „Tic Tac Toe“ und der unterschiedliche Umgang mit ihren Identitäten in Deutschland dargestellt.

Für die Beantwortung der Forschungsfragen soll in dieser Arbeit eine Songtextanalyse, mittels der „Qualitative Inhaltsanalyse“ nach Philip Mayring durchgeführt werden, in dem der Song „Afro Spartana (weil ich schwarz bin)“ der Künstlerin Leila Akinyi mit dem Song „Mit Liebe und Verstand“ der Band Sisters Keepers verglichen wird. Des Weiteren soll eine Einzelfallanalyse als Ergänzung mit Leila Akinyi, und anhand eines mit ihr durchgeführten Interviews angewendet werden, wobei sich ebenfalls auf Philip Mayrings Forschungsmethode der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ bezogen wird.

So stellt Kapitel 6 den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit dar. Für die Analyse kommt neben der Forschungsmethode der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ nach Mayring auch die Diskursanalyse nach Siegfried Jäger, die nur grob beschrieben wird, zum Einsatz, da nur die Feinanalyse als zentrales Mittel für die Auswertung der Ergebnisse in diesem Kontext von Bedeutung sind.

In Kapitel 7 und 8 erfolgt die Durchführung der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ und der ergänzende Einzelfallanalyse.

Kapitel 9, das Fazit, schließt meine Arbeit ab, in dem die aus Kapitel 7 und 8 gewonnenen Ergebnisse, unter Einbezug der theoretischen Grundlagen, ein zusammenfassender Überblick gegeben wird und die Forschungsfragen mit den Forschungsergebnissen verbunden werden.

In dieser Arbeit geht es darum wer für wen spricht und um das Verhältnis zwischen Repräsentierenden und Repräsentierten. Es geht auch um Mit-und Selbstbestimmung von Women of Color in Deutschland. Es geht auch um die Frage, warum WoC-Rapperinnen einen Politikansatz verfolgen, der die rassifizierte Differenzsetzung in Deutschland als konstitutives Element der Gesellschaft benennt und diese auch heute noch zum Gegenstand ihrer Musik machen.

1.1. Forschungsstand

Während es grundlegende Monografien zur Thematik Hip-Hop und Rap im deutschen Raum gibt, welche auch die Darstellung und Rolle der Frau im Hip-Hop allgemein thematisieren, ist der Forschungsstand zum Thema Hip-Hop von afrodeutschen oder Schwarzen WoC-Künstlerinnen3, unter Einbezug des identitätskonstruierenden Aspekts, sehr gering.

Meinen Recherchen zufolge gibt es keine Literatur, die sich mit der Identitätsbildung durch Hip-Hop von insbesondere WoC-Rapperinnen in Deutschland beschäftigt, wodurch sich auch die relativ geringe Untersuchungseinheit begründet.

Dieser geringe Forschungsstand über die Identitätsbildung durch Hip-Hop von WoC- Rapperinnen begründet sich möglicherweise durch die ungleiche Schwerpunktsetzung, Entwicklung und Erforschung von WoC-Rapperinnen im amerikanischen und deutschen Raum. Dabei liegt der Zusammenhang möglicherweise darin, dass beispielsweise viele afroamerikanische Phänomene, wie die feministische Schwarze Bewegungen, die in den USA bereits in den 1960 und 1970 stattfanden, in Deutschland erst knapp 20 Jahre später in Erscheinung getreten sind. Ein weiteres Beispiel sind Konzepte, wie der Afrozentrismus, Panafrikanismus, Kwanzaa und Hip-Hop allgemein, die in Deutschland erst beeinflusst von afroamerikanischen Persönlichkeiten und Bewegungen nach und nach, und mit Verzug importiert und adaptiert werden.

So muss „Wissen“ und viele wissenschaftliche Beiträge in Deutschland, die die hier angesprochenen Themen zum Gegenstand haben, erst noch produziert werden. Was allerdings verdeutlicht werden kann, ist die starke und enge Verbindung zum afroamerikanischen Raum, sowie dem afroamerikanischen Einfluss auf PoCs in Deutschland, wobei diese Aussagen auf eigene Einschätzungen basieren.

Durch die hier in der Arbeit durchgeführten Analysen und Vergleiche von zeitgenössischen, bzw. aktuellen und „älteren“ (musikalischen) Phänomenen und Identitäten, soll ein Beitrag geleistet werden, durch die versucht wird, bestehende Forschungslücken zu minimieren und neue Forschungen anzuregen.

1.2. Methodisches Vorgehen

In der vorliegenden Arbeit soll ein Mehr-Methoden-Ansatz verfolgt werden, bei dem neben der qualitativen Inhaltsanalyse, die in angepasster und abgewandelter Form angewendet wird, eine ergänzende Einzelfallanalyse durchgeführt wird. Durch die Anwendung mehrerer methodischer Zugänge soll zu einer höheren Validität beigetragen und systematische Fehler minimiert werden.

Bei der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring wird eine zusammenfassende Analyse durchgeführt, im Zuge dessen die induktive Vorgehensweise erläutert wird.

Dabei werden die zu vergleichenden Texte von Leila Akinyi „Afro Spartana (weil ich schwarz bin)“ und der Songtext „Mit Liebe und Verstand“ der Sisters Keepers systematisch strukturiert, kategorisiert, zusammengefasst und textnah interpretiert. Eine Analyse die über rein lexikalisch-semantische Aspekte hinausgeht, wird in dieser Arbeit nicht durchgeführt, d.h. es werden keine musikalischen Elemente (zum Beispiel Takte, Harmonie) behandelt.

Die Auswertung der zusammenfassenden Inhaltsanalyse soll mit Hilfe der Feinanalyse, die ein Bestandteil der wissenschaftlichen Methode der „Kritischen Diskursanalyse“ nach Siegfried Jäger ist, durchgeführt werden. Das einzelne Element der „Kritischen Diskursanalyse“, die Feinanalyse, wurde dabei als für die Auswertung der Ergebnisse adäquates, wie sinnvolles Werkzeug erachtet, um eine detailliertere Interpretation der Songtexte zu erlauben, wodurch die Ergebnisse spezifiziert werden sollen. Im Sinne einer hermeneutischen Herangehensweise erlaubt sie das Offenlegen von Bedeutungen und die Sichtbarmachung von in einzelnen Textstellen getätigten Aussagen.

In der Regel stehen unter dem Begriff der „Kritischen Diskursanalyse“ nach Siegfried Jäger Erkenntnisse über den gesamtgesellschaftlichen Diskurs im Vordergrund. Gleichzeitig wird dabei im Detail auf inhaltsanalytische Methoden zurückgegriffen, was diese wissenschaftliche Forschungsmethode für die Arbeit besonders macht, da die „Qualitative Inhaltsanalyse“ nach Philip Mayring nicht ausreicht, um eine präzise Aussage über die Ergebnisse der zusammenfassende Inhaltsanalyse zu bestimmen.

In dieser Arbeit wird keine „Kritische Diskursanalyse“ durchgeführt. Es wurde dennoch das Ziel verfolgt, einen möglichst guten Überblick zur diskursiven Landschaft, hinsichtlich Deutschlands Geschichte über Rassismus nach dem Mauerfall, sowie rassistische Kontinuitäten und „Ausgrenzungs-und Inklusionspraktiken in Deutschland“, zu geben. Es ging mir primär um die Perspektive von WoC-Rapperinnen. Diese Analysemethode und Interpretation berücksichtigt dabei auch den Adressaten, bzw. die weiße Mehrheitsgesellschaft.

Bei der ergänzende Einzelfallanalyse, die auch auf den Forschungsansatz der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ nach Mayring basiert, liegt die subjektive Perspektive der Künstlerin Leila Akinyi über Identität, Hip-Hop und Diskriminierung im Vordergrund. Basierend auf eine „Strukturierende Inhaltsanalyse“ wird hier die deduktive Vorgehensweise erläutert. Die Ergebnisse der Einzelfallanalyse sollen des Weiteren eine „Aussagen-Erprobung“ über den Songtext „Afro Spartana (weil ich schwarz bin)“ erlauben.

In den von mir untersuchten Analysen kommen Erfahrungen, Deutungen, Meinungen und Erkenntnisse von als „anders“ oder „fremd“ markierten Personen zum Ausdruck. Dabei gehöre ich selbst zu den als „anders“ und „fremd“ kategorisierten Akteurinnen. Die damit verbundene Sensibilisierung und Selbstreflexivität kann ein Vorteil darstellen. An dieser Stelle muss allerdings betont werden, dass die Subjektivität in dieser Arbeit, trotz hohen Objektivitätsanspruchs, nicht gewährleistet werden kann.

Da die hier thematisierten Konzepte wie „othering“ oder Identitätskonstruktionen „Schwarz“ , „ weiß “ oder „Frau“ miteinander verflochten sind, und sie wiederum in einzelnen Wissenschaften zugeordnet werden könnten, stellt dies einen weiteren Kritikpunkt der Arbeit dar. Die vorliegende Arbeit versucht daher nicht eine umfassende Analyse des Identität- oder Rassismusdiskurses in Deutschland darzustellen und auch nicht den komplexen Begriff der Identität ins Letzte zu entschlüsseln.

Vielmehr soll versucht werden WoC und ihre Identitätskonstruktion exemplarisch, anhand der hier genannten Künstlerinnen und ihrer Texte, nach den Theorien und Konzepten der Wissenschaftler Stuart Hall und Stefanie Menrath zu untersuchen.

Durch die explizite Untersuchung der dargestellten Songtexte und Künstlerinnen soll eine Pauschalisierung und Generalisierung von WoC vermieden werden.

2. Theoretische Überlegungen

Da die zwei Themenkomplexe „Schwarzes Selbstbewusstsein“ und Identität im Mittelpunkt der theoretischen Überlegungen dieser Arbeit stehen, sollen nachfolgend zentrale Begriffe dieser Thematiken erörtert werden.

2.1. Begriffserklärung

2.1.1. Identität

Der Begriff Identität ist in vielen Disziplinen vertreten, wodurch nicht nur die Komplexität ersichtlich wird, sondern eine kurze und einheitliche Definition auf Grund seiner unterschiedlichen Dimensionen kaum gelingen kann. So soll zunächst der Versuch unternommen werden eine allgemeine Definition des Begriffs zu erläutern.

Der Begriff Identität stammt von dem lateinischen Wort „idem“ ab und bedeutet übersetzt „dasselbe“, Dieselbigkeit oder Einerleiheit. In der Regel betrachtet man Identität als Beziehungszusammenhang, was bedeutet, dass etwas mit etwas anderem identisch ist. Im allgemeinen und philosophischen Sinne bedeutet Identität die „Selbigkeit“ oder das „Gleichbleibende“ von einem Ding oder einer Person mit sich selbst oder etwas anderem (Soric).

2.1.2. Afrodeutsche, Schwarze Deutsche, People of Color

Bis spät in die 80er Jahre war die Bezeichnung, die für Schwarze4 Menschen oder Afrodeutsche verwendet wurde, von der weißen Mehrheitsbevölkerung fremdbestimmt. Es gab keinen Begriff, der von marginalisierten Menschen als neutral angesehen wurde.

Im Austausch mit der afroamerikanischen Aktivistin, Schriftstellerin und Feministin Audre Lord, die 1984 als Gastprofessorin in Berlin war, entstand der Begriff „afrodeutsch“ in Anlehnung an den US-amerikanischen Terminus „afroamerikanisch“. Der Begriff sollte die kulturelle Herkunft von Schwarzen Menschen zum Ausdruck bringen. Die wesentliche Gemeinsamkeit war kein biologisches, sondern das soziales Kriterium in einer weißen deutschen Gesellschaft zu leben. Darüber hinaus sollte der selbstgewählte Begriff für eine positive Entwicklung des Selbstbildes und eines „Schwarzen Selbstbewusstseins“ fördern (Oguntoye, Opitz, & Schultz, 1986, S. 10) & (Mbombi, 2010).

Die Autorin, Psychologin, Theoretikerin und interdisziplinäre Künstlerin Grada Kilomba erklärt, dass man sich als Schwarzer Mensch häufig mit der Frage konfrontiert sieht, wer weiß sei und wo ihr Platz in der Gesellschaft als weißer Mensch ist und ebenso wer Schwarz sei und wo ihr Platz als Schwarzer Mensch in der Gesellschaft sei. Dabei verweist sie darauf, dass man in einem öffentlichen europäischen Raum voller Bilder umgeben ist, die Schwarze Menschen in machtlosen, abhängigen Positionen, als kriminell oder ungebildet repräsentieren, und verdeutlicht dabei die Wichtigkeit eines positiven Selbstbildes (Grada, 2011).

Was über die Sprache des herrschenden Diskurses nicht gesagt wird, ist in Wirklichkeit unsichtbar und prägt die Erfahrung und Lebenswelten von Schwarzen Menschen in Deutschland. Wenn Schwarze Menschen präsent sind, dann überwiegend in stereotyper Darstellungsweise, während eine „normale“ gesellschaftliche Existenz jenseits der Klischees eine große Ausnahme bleibt (Johnson, 2007).

Die selbstgewählten Bezeichnungen von Schwarzen Menschen oder Afrodeutschen ist daher insofern ein wichtiger Aspekt, da er die Bedeutung der Gruppenzugehörigkeit widerspiegelt, die in Verbindung mit einer aus der Gruppenzugehörigkeit resultierenden Gruppenidentität steht. Mit dem Begriff „afrodeutsch“ setzte man sich beleidigenden Bezeichnungen, die eine hohe historische und politische Bürde mit sich brachten, entgegen. (Mbombi, 2010)

Organisierte Afrodeutsche benutzen auch den Begriff „Schwarze Deutsche“. „Schwarz“ wird in diesem Kontext für alle diskriminierten Menschen gebraucht und bezieht sich nicht auf die Hautfarbe (Massingue, 2005). Das großgeschriebene „Schwarz“ soll verdeutlichen, dass es sich um eine politische Selbstdefinition und um eine soziale Konstruktion handelt (Hagen-Jeske, 2016).

Der von Asante verwendete Begriff „Afrikanische Deutsche“ wird ebenso als eine selbstermächtigte Bezeichnung für die Gruppe deutscher Menschen mit afrikanischem Ursprung verwendet (Mbombi, 2010).

Bei dem Begriff „People of Color“ handelt es sich ebenso um eine selbstbestimmte Bezeichnung für Menschen, die nicht weiß sind. Man setzt damit voraus, dass Menschen die nicht weiß sind über einen gemeinsamen Erfahrungshorizont verfügen. Der Begriff beschreibt in erster Linie „people“, also Menschen. Er ist im akademischen Umfeld, sowie in vielen englischsprachigen Ländern, eine gängige Bezeichnung. In Deutschland hat sich der Begriff noch nicht durchsetzen können (Sow, 2009).

2.2. Drei Konzepte der Identität nach Stuart Hall

Nachfolgend beziehe ich mich auf den Sozialwissenschaftler Stuart Hall (Hall, 1994), der sich in seinem Buch „Rassismus und kulturelle Identität“ mit Identitätskonstruktionen und Subjektkonzepten befasste.

Ausgangspunkt seiner Analyse war, dass moderne Gesellschaften im späten zwanzigsten Jahrhundert durch einen besonderen Typ des strukturellen Wandels transformiert und die kulturelle Landschaft von Klasse, Geschlecht, Sexualität, Ethnizität, „Rasse“ und Nationalität, in der wir als gesellschaftliche Individuen fest verortet sind, fragmentiert werden. Den Wandlungsprozess, bei der das Individuum dezentriert, zerstreut, fragmentiert und traditionelle Identitäten ablöst werden, bezeichnet Hall als „Krise der Identität“. Dabei bezieht sich Hall zum einen auf die Verortung in der sozialen und kulturellen Welt, und zum anderen geht es um das Verhältnis des Individuums zu sich selbst. Als ein Faktor, der eine große Rolle hinsichtlich der kulturellen Identität spielt, benennt Hall die Globalisierung (Hall, 1994, S. 187).

Hall stellt drei Identitätskonzepte vor. Das Konzept des Subjekts der Aufklärung, das auf der Auffassung der menschlichen Person als vollkommen zentriertes und als vereinheitlichtes Individuum basiert, welches mit Vernunft, Bewusstsein und Handlungsfähigkeit ausgestattet ist. Das essenzielle Zentrum, das mit der Geburt des Subjekts entsteht und sich entfaltet, bleibt dasselbe und ist die Identität einer Person. Es handelt sich dabei um ein „individualistisches Konzept“ (ebd.).

Das Konzept des sozialen Subjekts entwickelte sich auf Grund der wachsenden Komplexität der modernen Welt und basiert auf der Annahme, dass der innere Kern des Subjekts im Verhältnis zu „bedeutenden anderen“ geformt wurde, die dem Subjekt Werte, Bedeutungen und Symbole vermittelte - die Kultur, in der er/sie lebt. Gegenstand des klassisch soziologischen Konzepts war, dass sich Identität im Zuge der Interaktion zwischen einem „Ich“ und der „Gesellschaft“ bildet. Dieses Konzept besagt, dass sich der innere Kern modifiziert und sich in einem kontinuierlichen Dialog mit kulturellen Welten außerhalb und in Abhängigkeit mit anderen Identitäten befindet. Die Identität kann sich dabei aus mehreren unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Identitäten zusammensetzen. Dadurch entstand das postmoderne Subjekt, das ohne eine gesicherte wesentliche und anhaltende Identität konzipiert ist. Es wird im Verhältnis zu unterschiedlichen Arten wachgerufen, kontinuierlich gebildet und verändert. Das Subjekt ist historisch definiert und nimmt zu verschiedenen Zeiten verschiedene Identitäten an, sodass sich unsere Identifikationen ständig ändern. Der Glaube an die Existenz einer völlig einheitlichen, sicheren und kohärenten Identität ist laut Hall eine Illusion (ebd.).

2.2.1. Kulturelle Repräsentation

Stuart Hall ging in seiner Arbeit „The works of representation“ der Fragestellung nach, wie bestimmte Darstellungen zur Bedeutungsproduktion und dabei insbesondere zur Schaffung von Stereotypen führt.

Repräsentation wird von Hall als die Verwendung von Sprache verstanden, um etwas bedeutungsvolles über einen Gegenstand auszudrücken, oder um etwas zu „repräsentieren“. Repräsentation ist dabei ein wichtiger Prozess im Hinblick darauf, wie Bedeutungen produziert und mit Mitgliedern einer Kultur ausgetauscht werden. Dabei geht es Hall um ein semiotisch inspiriertes Verständnis, das den Gebrauch von Sprache, Zeichen und Bildern, die für bestimmte Dinge stehen, umfasst (Hall, 1997, S. 17).

Den Begriff Repräsentationen begreift Hall als „System“. Dabei geht es um ein System, das alle Formen von Menschen, Ereignissen oder Objekte, die in unseren Gedanken entstehen, und die er als „conceptual maps“, z. Dt. „mentale Konzepte“ oder „Landkarten“, beschreibt, in Verbindung stehen. Die Bedeutungen entstehen in Abhängigkeit zu und mit den eigens gebildeten Gedanken und Bildern, die sowohl für die Außenwelt, als auch für die Innenwelt eines Menschen stehen und dem Menschen erlauben die Welt in ähnlicher Weise zu interpretieren. Dadurch wird ebenso die Konstruktion einer „gemeinsamen Kultur“ ermöglicht (Hall, 1997)& (Hall, 1997, S. 17-18).

Bei der Auseinandersetzung mit kultureller Bedeutungsproduktion stützt sich Hall auf die sprachwissenschaftlichen Theorien von unteranderem Charles S. Pierce, Ferdinand de Saussure und Roland Barthes.

De Saussure stellte fest, dass Bedeutung erst durch Differenz entsteht. De Saussures Theorie hatte einen großen Einfluss auf Halls spätere Auseinandersetzung mit der Interpretation kultureller Zeichensysteme. So war Hall der Ansicht, dass die Verwendung gleicher kultureller oder sprachlicher Zeichen innerhalb einer Gruppe, die sich von anderen Gruppen unterscheiden wollen, ein Gefühl der Identität vermittle. Hall entwickelte das Konzept weiter, in dem er weitere Aspekte kultureller Ausdrucksformen wie Bilder, Fotos oder konkrete Gegenstände, sowie den Aspekt der Macht durch Sprache, in seine theoretischen Überlegungen mit einbezog (Hall, 1997, S. 30).

„Even if language, in some sense, ‘spoke us’ (as Saussure tended to argue), it was also important that in certain historical moments, some people had more power to speak about some subjects than others (male doctors about mad female patients in the late nineteenth century, for example, to take one of the key examples developed in the work of Michel Foucault) (Hall, 1997, S. 27).

Auf den deutschen Kontext bezogen, bestimmt das System von Repräsentationen letztendlich auch, wer oder was „deutsch“ ist und was nicht. Spricht man von einer Fragmentierung eines Individuums, bedeutet dies, dass Individuen in unterschiedlichen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten andere Identitäten annehmen können.

Mit der Idee der Nation soll ein Vorhaben geschaffen worden sein, das einzelne Identitäten zu einer kollektiven Identität zusammenführte, worauf im folgenden Kapitel näher eingegangen werden soll (Scheer, 2013, S. 256).

2.2.2. Nation und kulturelle Nation

Auf den Nationsbegriff geht Timothy Brennan genauer ein und gibt an, dass der Begriff „Nation“ sich sowohl auf den modernen Nationalstaat, als auch auf etwas Älteres und Nebulöses beziehen kann. Er beschreibt „Nation“ darüber hinaus als eine lokale Gemeinschaft, Wohnort, Familie oder das Verhältnis der Zugehörigkeit (Hall, 1994).

Eine Nationalkultur strebt danach verschiedene Mitglieder eines Staates unter eine kulturelle Identität, unabhängig von Geschlecht, „Rasse“, oder Klasse zu vereinen. Neben der nationalen Kultur als symbolische Identifikation ist sie auch als Struktur kultureller Macht zu erfassen, die nachfolgend dargestellt wird:

1. Viele moderne Nationen Europas bestehen aus disparaten Kulturen. Erst durch einen langen Prozess gewaltvoller Eroberung, sowie durch die Unterdrückung kultureller Differenzen, konnten Kulturen unter einer Nation „vereinigt“ werden.
2. Nationen setzen sich aus verschiedenen sozialen Klassen, Geschlechtern und ethnischen Gruppen zusammen.
3. Moderne westliche Nationen waren zentrale Imperien, die eine kulturelle Hegemonie über Kulturen der Kolonialisierten ausübten.

Nationale Kulturen sollten als diskursive Entwürfe betrachtet werden, die Differenzen entweder als Einheit oder als Identität darstellen. Nur durch die Ausübung kultureller Macht konnten sich Nationen, für die große und tiefe Spaltungen und Differenzen charakteristisch waren, vereinigen.

Eine Art der Vereinheitlichung der Identitäten besteht darin, sich als Ausdruck einer ihr zugrunde liegenden Kultur, also eines Volkes darzustellen.

Der Glaube an die Existenz einer Nation in der modernen Welt sei Hall zufolge ein Mythos, da West-Europa keine nur aus einem Volk, einer Kultur oder einer Ethnizität bestehende Nationen hat. (Hall, 1994)

2.3. Die Identitätskonstruktion „Schwarz"

Die Unmöglichkeit, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, zwang viele Schwarze Menschen dazu eine andere Identität als deine „deutsche Identität“ zu suchen: eine „Schwarze Identität“, obwohl dieser Begriff keinen klaren Inhalt hat.

Bei den Signifikanten, „Schwarzsein“ oder „Weiblichkeit“, handelt es sich laut der Erziehungswissenschaftlerin, Sozialpädagogin und Autorin Maureen Maisha Eggers, um soziale Konstruktionen (Eggers, Maureen Maisha, 2007).

Auch Stuart Hall beschrieb, dass die Identitätskonstruktion „Schwarz“ schon immer psychologisch, kulturell und politisch, eine bewegliche, bzw. „instabile Identität“ war. Sie wurde, wie auch andere Identitätskonstruktionen durch Geschichte im Sinne von sprachlichen Überlieferungen konstruiert. Heute spricht man von einer „black society“. Hall legt am Beispiel Jamaica dar, wo der Begriff erst in den siebziger Jahren der afrokaribischen Gemeinschaft in Jamaika neue Identifikationspunkte lieferte, dass „Schwarz“ eine Identität war, die erst erlernt werden musste. Tatsächlich lebten in Jamaika über mehrere Jahrhunderte „black“ und „brown“ Jamaikaner, ohne jemals über sich selbst als „Schwarz“ zu sprechen. Sich als „Schwarzer“ zu bezeichnen und definieren, lernte Hall erst als Einwanderer in England, da die Diskriminierung durch die weiße Dominanzkultur einen einheitlichen, politischen und schlagkräftigen Begriff erforderte vgl. (Hall, 1996, S. 116).

Was viele der in den 60-er Jahren entstandenen „neuen Identitäten“ gemein hatten, war, dass sie von der dominanten Kultur als „dasselbe“, „nicht- weiße Andere“, bzw. als „fremd“ angesehen und auch so behandelt wurden (Hall, 1994, S. 217).

Die gemeinsame Vorstellung eines afrikanischen Ursprungs wurde erst in Folge der Bürgerrechtsbewegung und Rastafarianismus in Jamaika populär. Die Geschichte werde Kastner zufolge nicht ausgegraben, sondern permanent durch Erinnerung, Phantasie und Mythen konstruiert (Kastner-Petz, 2006).

Kastner, der sich auf den Schriftsteller, Arzt und Vordenker der Entkolonialisierung Frantz Fanon stützt, geht es bei der Konstitution emanzipatorisch-gedachter Identität um „Suche“, „Ausgrabungen“ und die „(Wieder-)Aneignung“, die sich ihm zufolge zu einer essentialistischen Identitätspolitik entwickelte. Die Ausformung vieler Identitäten lag laut Kastner zeitlich in den 60-er Jahren, die soziologisch in neuen, sozialen Bewegungen auszumachen war. Schwarze Menschen versuchten zum einen negative Zuschreibungen umzudeuten und zum anderen verbindende Merkmale, die zuvor als soziale Fakten beschrieben wurden, zu naturalisieren. In der Black Power Bewegung, zu Beginn der 1960-er Jahre, trat an Stelle einer Anpassung an die weiße Dominanzgesellschaft eine Identitätspolitik, bei der man an die eigene Kraft („power“) appellierte, um die eigenen Interessen vertreten zu können. Dazu musste das Eigene besonders betont, herausgehoben oder gar erst hergestellt werden (ebd.).

Als Beispiel sei hier die im Oktober 1966 gegründete Black Panther-Partei genannt, die eine Schwarze Bürgerrechts und Schutzbewegung in den USA war und ein kommunistisches Parteiprogramm durchzusetzen versuchte (Zips, 2003).

2.4. Wir (und) die Anderen: Schwarzsein und Deutschsein

Viele Schwarze Menschen müssen ihre Zugehörigkeit zum Heimatland verteidigen, in dem sie ihren Aufenthalt oder ihr Dasein ständig erklären oder begründen müssen.

In Deutschland galt bis zum Jahr 2000 das Prinzip „ius sanguinis5 “, demzufolge für alle eingewanderte, sowie auch in Deutschland geborene Menschen der 2. und 3. Genration den Ausländerstatus hatten. Das bedeutet, dass bis zum Jahre 2000 „Deutschsein“ hieß, „ weiße deutsche“ Eltern zu haben (El-Tayeb, 2003).

Die für Schwarze Menschen präsente Frage nach der „eigentlichen Herkunft“ sei laut Kilomba eine fortgesetzte Praxis, um dominante Fantasien von „Rasse“ und Territorialität zu bestätigen, die dazu bestimmt sind, die Schwarze Person an ihren Platz zu verweisen. Dabei sehen sich Schwarze Menschen nicht nur mit der Verweigerung der Akzeptanz der Zugehörigkeit von Schwarz und Deutsch, sondern auch mit ihrer Sichtbarkeit als handelnde Subjekte in herrschenden Diskursen konfrontiert (Johnson, 2007).

Die Selbstwahrnehmung als „Andere“ führt häufig zu einer sehr frühen Auseinandersetzung mit der eigenen Identität.

Während sich der Begriff „Deutschsein“ nicht eindeutig definieren lässt, gibt es über die Bedeutung des Begriffes „Nicht-Deutschsein“ keine Unstimmigkeiten(ebd.).

Der Widerstand Schwarzer Menschen äußert sich durch ihre politische Partizipation oder durch kulturelles Schaffen, wie zum Beispiel mittels Musik (Johnson, 2007)

„Um sich aus einer unterdrückten Position befreien und Widerstand leisten zu können, muss sich das unterdrückte, unsichtbare oder stereotypisierte Individuum als Subjekt mit einer eigenen Geschichte und eigenen Erfahrungen sichtbar machen. Dies kann nur über Wiederaneignung und Artikulation der aus den herrschenden Diskursen verdrängten und ausgeschlossenen Erfahrungen geschehen.“ (Johnson, 2007, S. 6)

2.5. Critical Whiteness und Identitätskonstruktion

Versucht man „Schwarzsein“, „ Weiß sein“ oder „Deutschsein“ zu definieren, ist es wichtig den historischen, räumlichen und begrifflichen Entstehungskontext zu berücksichtigen. Dadurch soll die Bedeutung der Identitätskonstruktionen „ weiß “ und „Schwarz“ und Handlungspraxen in Form von sozial wirksamen Differenzierungen, wie zum Beispiel das „othering“, nachvollziehbarer werden.

Arndt beschreibt das moderne Europa, das sie eine jahrhundertealte Utopie nennt, als ein Produkt des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Grenzen Europas waren nach außen bereits im Mittelalter konstruiert. Wenn auch in den inneren Grenzen Europas heftige Kämpfe geführt wurden, war es vor allem die Abwehr der Hegemonieansprüche des Osmanischen Reichs in Wien, das Europa zusammengeschweißt hat. Die europäischen Staaten verbündeten sich hinsichtlich der Abwehr ihres gemeinsamen Gegners und vertraten in diesem Zusammenhang ein gleichgerichtetes Interesse (Eggers, Kilomba, Piesche, & Arndt, 2005).

Walgenbach zeigt in ihrem Artikel „Weiße Identität und Geschlecht“, dass „ Weiß sein“ keine biologische Kategorie ist, sondern eine soziale Position markiert. Bedeutsame Erkenntnisse liefert das transdisziplinäre Studienfeld „Critical Whiteness“, welches sich mit der Dekonstruktion der Norm weißer Gesellschaften auseinandersetzt. Es steht für ein Gesamtkonzept von Konnotationen, Subjektpositionen, sozialer Ordnung, Kategorienbildung, Wahrnehmungsmuster, sozialer Erfahrung und vor allem Macht und Dominanz.

Darüber hinaus geht es darum, wie „ Weiß sein“ definiert werden kann. Die Kategorien „Schwarz“ und „ weiß “ stehen in einem relationalen Verhältnis zueinander, wobei „ Weiß sein das „Andere“ braucht, um sich selbst zu definieren (Walgenbach, 2006).

„Critical Whiteness“ bezieht sich nicht ausschließlich auf die Beziehung zwischen „ weißen “ und „Schwarzen“, sondern auch auf die Beziehung zu sämtlichen Minderheiten (Tißberger, 2017).

Die Wandelbarkeit der Definition von „ Weiß sein“ zeigt sich anhand der Geschichte der Iren, Juden und Mexikanern in den USA. Sie wurden zunächst als Nicht- Weiße definiert, um sie von gesetzlichen Rechten und damit einhergehenden Privilegien auszuschließen, die allein für „ weiße Amerikaner“ galten (Bednarz-Braun & Heß-Meining, 2004).

Neben der Frage, wie „ Weiß sein“ definiert werden kann, richtet sich die „Critical Whiteness“ grundsätzlich an diejenigen, die Rassismus perpetuieren (Tißberger, 2017).

Rassismus galt lange Zeit als ein Problem, das man hauptsächlich am Rande der Gesellschaft verortet, mit TäterInnen aus rechtsradikalen Kreisen und Opfern, die als AusländerInnen markiert wurden.

Die Tabuisierung des Wortes „Rasse“ und „Rassismus“ nach dem Nationalsozialismus, welche das Ziel verfolgte den Glauben an die Existenz von „Rassen“ abzuschaffen, scheiterte. Der Rassismus blieb omnipräsent.

Oftmals sind es PoCs und „nicht- weiße “ SchwedInnen oder KanadierInnen, die zur Zielscheibe von gewaltvollen Angriffen und Alltagsrassismus werden. Die Ausgrenzung und Feindseligkeit basiert nicht auf vermeintlicher Fremdheit oder ausländischer Nationalität, sondern auf der Imagination einer gefährlichen Differenz.

Die Differenz, bzw. die Herstellung von sozial wirksamen Differenzierungen, bezeichnet man auch als „othering“.

Der Begriff wurde im Rahmen postkolonialer Ansätze insbesondere von Gayatri Spivak geprägt, die drei Dimensionen des „othering“ nennt:

1. Bewusstmachung, wer die Macht hat.
2. Konstruktionen des anderen als pathologisch und moralisch minderwertig.
3. Wissen und Technologie sind das Eigentum der Mächtigen, nicht der anderen.

So handelt es sich um diskursive Prozesse, die von den „Mächtigen“ geführt werden, um untergeordnete Gruppen zu definieren. Dies geschieht in der Regel durch Zuschreibungen von problematischen oder minderwertigen Charakteristiken (Feichtinger, 2015).

3. Hip-Hop

Das folgenden Kapitel skizziert die grobe Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Hip-Hops im Allgemeinen und befasst sich darüberhinaus mit der Performativität und Identitätskonstruktionen im Genre Hip-Hop.

3.1. Geschichte des Hip-Hops

Oftmals wird Hip-Hop als Musikgenre verkannt. Allerdings ist Hip-Hop ein soziokultureller Begriff, der für einige Menschen ein Lebensstil ist und für andere eine Musikrichtung darstellt (Schröer, 2013) & (Holstein, 2016).

Als eigenständige Jugendbewegung entwickelte sich die Hip-Hop-Kultur erst in den frühen 70-er Jahren, deren Ausdrucksformen Rap, DJing, Graffiti und Breakdance sind, und welche durch die sozialen Spannungen, den Mangel an Infrastruktur, Bildung und wenigen Arbeitsplätzen geprägt ist. Durch das Fehlmanagement von Stadtplanern, Demographen und Politikern wurden AfroamerikanerInnen in den Ghettos von New York marginalisiert, so dass sich bald ein jugendliches Protestpotential gegen das weiße Amerika bildete.

Diese angespannte Situation wird von Schwarzen Menschen in etwas Neues verwandelt. Afroamerikanische Ausdrucksformen sind im Zuge des Urbanisierungsprozesses in den nordamerikanischen Städten präsent, und afrokaribische performative Traditionen der Einwanderer aus Puerto Rico verbinden sich in New York zur Ausdruckspraxis des Hip-Hops (Stemmler, 2006).

DJs und MCs begannen nun Rap als Darstellungsform für die brutale Ghetto-Realität zu nutzen, mit dem Ziel, die sinnlose, selbstzerstörerische Gewalt und Drogenflut einzudämmen und kreativ umzulenken. So motivierten sich Gangs gegenseitig ihre Rivalitäten in Verbal-Contests und DJ-Battles auszutragen, sprühten ihre erfahrungsgesättigten Warnungen vor exzessivem Drogenkonsum an die Wände und verkehrten das verächtliche N-Wort im Rap zum selbstbewussten „Schwarz und Selbstbewusst“ (ebd.).

Rap bedeutete vor allem die Lust an Kommunikation. Er spiegelte den Alltag der Schwarzen Unterschicht Nordamerikas wider, der die Rapper selbst angehörten. Rap verknüpfte so in modernem Gewand zum Teil jahrhundertealte Traditionen Schwarzer Geschichtsschreibung, die zumeist eine illegale und damit mündlich überlieferte Praxis war. Mit der Kreativität als Waffe, war Rap-Musik und Aufklärung aus dem Ghetto für das Ghetto (Farin, 2010).

3.2. Hip-Hop, Identität und Identitätskonstruktionen

Stefanie Menrath analysierte in ihrer Studie „Represent what“, die Performativität von Identitäten im Hip-Hop.

Für die Identitätskonstruktionen von Jugendlichen6 stellt Popmusik7 einen sehr wichtigen Bezugspunkt dar. Seit den 50-er Jahren schaffen Jugendliche über Popmusik eigene soziale und kulturelle Werte.

Die Konstruktion von Identitäten, verläuft in der Popmusikkultur stark über Waren, die von der Kulturindustrie bereitgehalten werden. In den 80-er Jahren erkannte man, dass Momente des Widerstands nicht nur im grundlegenden „Anderssein“ von Subkulturen zu suchen sind, sondern die gesamte Populärkultur und der populäre Diskurs als Ort der Auseinandersetzung und des möglichen Widerstands zu betrachten ist.

Des Weiteren sind für die Popmusik der Gegenwart insbesondere „Schwarze“ Musikstile wie Blues, Jazz und Gospel als wichtige ästhetische Quellen zu betrachten. Menrath, die für die Entstehung der populären Musik die Interaktion von Schwarzen und weißen Künstlern, bzw. die „Nachahmung“ oder „Performativität“ von Schwarzen Formen des Musizierens als ausschlaggebend bezeichnet, räumt ein, dass hierbei das Machtgefälle zu berücksichtigen sei, im Hinblick auf die musikalische Aneignungskultur von weißen KünstlerInnen, die sich durch die gesamte populäre Musik zieht.

In diesem Zusammenhang zeige sich, dass die Formen des Zusammenfließens von Popmusikkulturen sehr unterschiedlich verlaufen. Bei marginalisierten Personen und Kulturen sei die Metapher des Hybriden8 schneller zur Hand als bei der dominanten Kultur. Marginalisierte Kulturen werden bei ihrem Einschluss durch die Dominante „exotisch“, die vorherrschende Kultur aber nicht als „hybrid“ bezeichnet (Menrath, ... represent what: Performativität von Identitäten im HipHop, 2001).

3.3. Performative Identifikationsmöglichkeiten

Identitäten sind in der Popmusik performativ, weil sie die Grenze zwischen Publikum und PerformerIn, Körper und Diskurs sprengen. Der Körper spielt bei der Realisierung von musikkulturellen Identitäten eine entscheidende Rolle. Mit Hilfe von bestimmten Kleidungsstilen oder Bühnenperformance, gelangt Popmusik erst zu ihren Hörern (Menrath, ... represent what: Performativität von Identitäten im HipHop, 2001).

Im Umfeld der „Cultural Studies“ entwickelte sich der Ansatz, Musik als Modell für Identität zu begreifen. Zwar weisen die musikalischen Modelle von und für Identitäten verschiedene Abweichungen auf, allerdings verfolgen alle die politische Idee Essentialismen einzustürzen zu lassen und die Vorstellung von Musik, die allein auf ihre soziale Funktion reduziert ist, zu überwinden (ebd.).

Die Dekonstruktion essentialistischer Modelle geschieht teilweise durch die Strategie der parodischen Verwirrungen. Ein besonderes Merkmal liegt in der oralen Tradition als Grundlage des Hip-Hops. Die konkrete Handlung des Sprechens und Musizieren ist daher wichtiger als die Sprache oder die Musik selbst. Als wichtiges rhetorisches Ritual soll an dieser Stelle das „signifying“9 erläutert werden (ebd.).

Es geht dabei um eine indirekte Benennungspraxis in der Schwarzen Literatur.

Bei diesem rhetorischen Spiel, der Ambiguität, werden die Elemente der Parodie und der Pastiche sichtbar. In der Wiederholung werden Wörter, oder die Wörter umgebenden Strukturen leicht verändert. Die dadurch ausgestellte Differenz erzeugt ein Hinterfragen der angenommenen Identität, der Wörter und ihrer Strukturen (ebd.).

Die Musik beruft sich nicht auf bestimmte kulturelle Identitäten, sondern produziert sie performativ. Der Prozess der Identitätsbildung verläuft in popmusikkulturellen Modellen über Performanz. Performanz beinhaltet sowohl die soziale Aufführung von Identität, als auch sehr persönliche, individuelle und körperliche Versionen von Identität. Identität wird hierbei als ein schon immer in irgendeiner Form existentes Ideal betrachtet, nach dessen Realisierung zu streben ist. Die musikalische Praxis biete reale Erfahrungen der Identität (ebd.).

Hip-Hopper grenzen ihre Lebensweise von anderen Lebensweisen, unter dem Aspekt, der Kultur ab. Diese Art der Ausgrenzungspraxis wird auch als Kulturalisierung bezeichnet. Die Kulturalisierung dient nicht nur zur Eingrenzung von Kulturen, sondern wird auch eingesetzt, um Kulturen auszugrenzen. Das Konzept „Kultur“, welches „the essential tool for making other“ ist, wird eingesetzt, um ein Selbst/Innen durch die Konstruktion eines Anderen/Außen zu bestätigen. So erschaffen Hip-Hopper für sich eine bestimmte Identität, die sie allerdings nach innen und außen beweglich halten. Nach Außen wird Authentizität benutzt um Identität zu verteidigen. Die Identität des Hip-Hoppers versteht sich nicht nur als das „Andere“ des Dominanten, sondern ist auch mit der Außenwelt verzahnt (ebd.). Die Hip-Hopper schließen sich nicht als Subkultur ab, sie stellen sich nicht als das „Andere“ gegen das „Selbst“ der Dominanzkultur dar. Stattdessen setzen sie sich in das „Herz“ der dominanten Kultur (Menrath, 2001, S. 107).

Auch Anja Käckenmeister verdeutlicht in ihrer Arbeit „Warum so wenig Frauen rappen“ die Bedeutung von Performance im Hip-Hop. Erst durch die Performanz werde die theatrale Darbietung vom Publikum als authentisch begriffen. Die Reaktionen der Gemeinschaft bestätigen dem Einzelnen „realness“ (Käckenmeister, 2008).

Hierbei ist zu erwähnen, dass es im Hip-Hop zentrale Prinzipien gibt, auf die im nächsten Kapitel näher eingegangen werden.

3.4. Konzepte als Werkzeuge zur Identitätsbildung

In der Hip-Hop-Kultur sind „realness“ und „Authentizität“ wichtige Schlüsselbegriffe und sind von großer Bedeutung für die Identität des Hip-Hoppers. „Real“ ist hierbei, wie auch die Normwerte „skills“, „style“ und „Repräsentation“, eine zentrale Qualitäts- und Bewertungskategorie für echten, authentischen Hip-Hop (Käckenmeister, 2008).

Hip-Hop baut auf unterschiedliche Inszenierungstechniken auf. Dabei erfolgt die Respektsbekundung durch das Publikum. Wer also „real“ sein will, muss sich aktiv und kreativ in die Hip-Hop-Kultur einbringen. „Authentizität“ und „realness“ funktionieren als parallele Strategien. „Keeping it real“ ist die Forderung nach einer strategischen Ausrichtung, bei der das kulturelle Identitätsgefühl bewahrt bleiben soll. Im Rap spielt neben der Inszenierung von „Authentizität“ auch die Konstruktion einer wandelbaren Identität eine wichtige Rolle. So wird in Rap-Texten häufig über die Wichtigkeit des „being“ und „staying real“ gesprochen (ebd.).

Laut Menrath bedeutet „realness“ wer über die eigene Identität reflektiert und keine Stereotypen übernimmt vgl. (Menrath, 2001, S. 99)

Weitere Konzepte, die als Werkzeug der Identitätsbildung dienen, sind „style“, der sich durch Innovativität und Individualität kennzeichnet, „skills“ also die habituelle auf körperlicher Ebene erlernten Fähigkeiten, die es permanent weiterzuentwickeln gilt, sowie „Repräsentation“, als eine zentrale Kulturtechnik im Hip-Hop (Menrath, ... represent what: Performativität von Identitäten im HipHop, 2001) & (Menrath, 2003).

„Style“ ist das Modell zum Erlangen von Identität auf einer ästhetischen Ebene und bildet das Mittel zur bewussten Selbstinszenierung als Person (Menrath, 2001).

Dabei bietet Selbstbewusstsein die Möglichkeit für viele Mitglieder der Gruppen sich von der Selbstverständlichkeit der eigenen Identität zu distanzieren, da für sie der Übergang zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Feldern und unterschiedlichen Machtfeldern, die dabei erlebte Unsicherheit und Spannung zur Normalität geworden ist (ebd.).

3.5. Repräsentation

Die Repräsentationsverhandlung selbst ist die Enstehungsbedingung des Hip-Hop-Künstlers. Hip-Hop-Akteure benutzen „skills“ und Geschichtsbewusstsein, die sie in ihrer Performanz darstellen und repräsentieren dort alte und neue „styles“ (Menrath, 2003).

Es verbinden sich hier die künstlerische Praxis und der dem Hip-Hop eigene kritische Blick auf Identitätsprozesse. In der Denktradition wird ein „Selbst“ durch ein kulturell geschlechtlich, oder sexuelles „Anderes“ repräsentiert. Repräsentationshandlungen sind außerdem in einem Netz von Machtinteressen eingebunden. So geht es bei der Repräsentation nicht nur um die reine Darstellung und Wiederauflage im ästhetischen Sinne, sondern auch um politische Repräsentation (ebd.).

Der kritische Repräsentationsbegriff der Hip-Hopper wird mit dem Begriff „represent“ verdeutlicht, was so viel heißt, wie etwas „verkörpern“ oder „vertreten“. Es stellt sich allerdings die Frage wer und was genau vertreten und repräsentiert wird. Durch hegemoniale Repräsentationen werden Kategorien wie „Frau“ oder „Ethnie“ geschaffen, die mit einem Universalitätsanspruch auftreten (ebd.).

Insbesondere tradierte Repräsentationsmuster ethnischer Identitäten stehen im Fadenkreuz der Politik. Hip-Hopper, die sich als Erben der Schwarzen Kultur verstehen, verhandeln seit mehr als drei Jahrzehnten die Themen Ethnizität und kulturelle Identität. Viele Akteure des Hip-Hops konnten durch Hip-Hop einen kulturellen Raum erschaffen, der eigene und hip-hop-interne Identitätspolitiken erlaubte und der unpopulären Inhalten eine Öffentlichkeit gab (ebd.).

Dabei geht es um die umfassende Kritik am hegemonialen Diskurs, der marginalisierten Menschen eine Subjektposition absprach und positiv besetzte Identitäten für sie undenkbar machte. Im Zuge dessen eigneten sich Hip-Hopper die Mechanismen der Identifikation an und begriffen Repräsentation als Strategie zur Erstellung neuer Identitäten und als eine Strategie um die Logik von Identität zu brechen (ebd.).

3.6. Differenzierung

Im Hip-Hop spricht man, laut Menrath, nicht von einer grundsätzlichen „Gegensätzlichkeit und Exklusivität von Lebensweisen und Kulturen“. Aus einem Interview mit dem Hip-Hop- Künstler Torch („Advanced Chemistry“) geht hervor, dass der eigenwillige Umgang mit Differenz Folgen für die Konzeption von Hip-Hop habe. Es werden „Zwischenpositionen“ möglich, die er im Gespräch über Identifikationen und Differenz zwischen Deutschen und Türken10 durch seine Positionierung als „Dazwischen“ verdeutlicht (Menrath, 2003).

Die Mehrfachidentität wird von außen als „Halfie-Identität“ problematisiert und ist mit einem negativen Verständnis behaftet, wie Torch nachfolgend beschreibt:

„Wir sind hier so aufgewachsen, dass die Gesellschaft uns nicht versteht. So sind wir hier aufgewachsen, also mit diesem Verständnis… Ich bin diskutierend aufgewachsen, ich musste immer erklären, wer ich bin, warum, wieso, weshalb nicht. Das kannte ich, das war normal – das war nicht schlimm, im Gegenteil: Da hab ich gelernt zu labern einfach labern, das kann ich. (Menrath, 2003, S. 10)

Dabei wird deutlich, dass die von Torch als Bereicherung empfundene Identität von außen als Defizit verhandelt wird, die er als mangelnde Kompetenz der Gesellschaft im Bezug auf den Umgang mit „nicht-eindeutigen“ Identitäten kritisiert. Torch, der eine anti-essentialistische11 Politik im Hinblick auf die nationale Identität vertritt, merkt zudem an, dass das Lenken in die ethnische Nische zu einer defizitären Identifikation führe. Er nennt dabei als Beispiel die Weigerung türkischer Mitbürger sich selbst als Teil der deutschen Gesellschaft, oder als „deutsche Türken“ zu definieren, wodurch sie die Drängung in eine spezifisch ethnische Nische selbst zu verantworten haben.

Für Torch selbst war die Weigerung, auf Grund seines deutschen Vaters und seiner Oma, keine Option, auf Grund dessen er sich nicht ausschließlich auf das „Schwarzsein“ zu reduzieren vermochte. Durch die Identifikation mit Hip-Hop ist eine positiv erlebte Identität, die sich aus mehrfachen Verortungen entwickeln kann, möglich. Was Torch als „Identität im Widerspruch“ (Hybridisierung) bezeichnet, wird von einigen Akteuren kritisiert.

Das nächste Kapitel setzt sich mit Hip-Hop, im Zuge seiner historischen Entwicklung in Deutschland auseinander. Dabei soll Rap insbesondere im politisch-historischen Kontext näher untersucht werden (ebd.).

4. Hip-Hop in Deutschland

Hip-Hop kam sowohl in der BRD, als auch in DDR über Breakdance-Filme Mitte der 80-er Jahre nach Deutschland. Während die soziale Thematik des Hip-Hops bei seiner Rezeption in der DDR eine geringe Rolle spielte, bzw. Sozialkritik gefährlich war, wurde er in Westdeutschland hauptsächlich von politisierten Minderheitengruppen aufgenommen.

Insbesondere der wiedereinkehrende Rassismus nach der Wiedervereinigung bildete für Hip-Hopper einen gemeinsamen zu bekämpfenden Gegner, so dass sich die Hip-Hop-Szenen von Ost-und Westdeutschland, wenn auch nicht zeitgleich, verbanden.

4.1. Geschichte des Hip-Hops in Deutschland– 1980 bis 1990

Die Ursprünge des Hip-Hops in Deutschland sind unweigerlich mit der Geschichte des Hip-Hops in den USA verbunden. In den 80-er Jahren galten Hip-Hop und Rap, die vor allem durch Filme wie „Wild Style“ und „Beat Street“ verbreitet wurden, zunächst als medienvermittelte US-Importe.

Die ersten Hip-Hop Künstler orientierten sich an amerikanische Vorbilder und rappten in englischer Sprache (Wolbring, 2015). Auf Deutsch zu rappen galt als Tabu und veraltet. Anfang der 1980-er Jahre wurde Hip-Hop in Deutschland maßgeblich von jugendlichen PoCs geprägt; so waren weit mehr als die Hälfte der Hip-Hopper junge Türken, Kurden, Jugoslawen, Griechen oder Italiener (Anderson, 2015).

Viele Hip-Hop-Bands, wie „Fresh Familee“, „Islamic Force“ oder „Da Crime Posse“, rappten in unterschiedlichen Sprachen, mit dem Ziel von ihrem Publikum verstanden zu werden (ebd.).

Auch Künstler, wie das Mitglied der Hip-Hop-Band „Advanced Chemistry“, Torch, sprachen bei Hip-Hop-Jams zwischen den Songs vorerst auf Deutsch. Erst später „freestylte“ (englisch für frei improvisierter Sprechgesang) er auf Deutsch, was vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen wurde (Wilsinki, o.J).

Dem Autor Pablo Dominguez Andersen zufolge markierte der Song „Ahmet Gündüz“ der Gruppe „Fresh Family“ 1989 die Geburtsstunde des deutschsprachigen Raps. Der Song, der in gebrochenem Deutsch vorgetragen wird, erzählt die Geschichte des Gastarbeiters Ahmet und seiner Auswanderung nach Deutschland, sowie von der Marginalisierung „migrantischer Männlichkeit“. So beruft sich der Autor auf die Historikerin Fatima El-Tayeb, die in ihrem Werk „European others“ betont, dass der europäische Hip-Hop als zentraler Teil eines politisch-kulturellen Aktivismus europäischer Minderheiten, entscheidend zur Herausbildung einer widerständigen postethnischen europäischen Identität beigetragen hat. Der Song „Ahmet Gündüz“ verdeutliche ebenso die diasporische und postnationale Form des antirassistischen Kampfes in Deutschland (Anderson, 2015).

1992 verzeichnete allerdings die Stuttgarter Band „Die fantastischen Vier“ den ersten deutschsprachigen Hit mit ihrem Song „Die da“. Der Song erzählt von der Begegnung zweier Männer mit einer Frau, welcher beide verfallen sind und die sich von ihnen aushalten lässt. In der Hip-Hop-Community fand diese Art der Unterhaltungsmusik allerdings keinen Anklang. Der Hip-Hop-Forscher Hannes Loh bezeichnete die Entwicklungsphase des Hip-Hops hin zur Kommerzialisierung als „deutschen Sonderweg“, durch die der Hip-Hop sowohl musikalisch als auch politisch bis in die bürgerliche Mitte gelangte (Wolbring, 2015).

„Advanced Chemistry“, die ebenfalls 1992 den Song „Fremd im eigenen Land12 “ veröffentlichten, in dem sie über den alltäglichen Rassismus und die Identitätsfindung von in der Gesellschaft benachteiligten Migranten sprachen, hatten eine deutliche politische Position. Auf den Hintergrund des Songs „Fremd im eigenen Land“ wird in Kapitel 4.3 genauer eingegangen.

Die auf Unterhaltung gerichtete Musik der Band „Die Fantastischen Vier“, und auch Gruppen wie „Fettes Brot“ und „Der Tobi und das Bo“, erwiesen sich als stilbildend für die „Neue Schule“ des deutschsprachigen Raps und genossen ab Mitte der 90-er Jahre den größten kommerzielleren Erfolg, wohingegen weniger kommerziell gerichtete Hip-Hop-Bands im Untergrund Popularität genossen. Die Hip-Hop-Bands der „Neuen Schule“ wurden scharf wegen ihres unpolitischen Stils kritisiert und wegen ihres fehlenden „Ghetto-Bezugs“, die „realness“ und „Authentizität“ abgesprochen (Wolbring, 2015).

Obwohl PoC-KünstlerInnen die Hip-Hop-Szene entscheidend geprägt hatten, zogen sie sich im Zuge der Kommerzialisierung zurück, da sie sich nicht mehr repräsentiert fühlten (Burkhard, 2013).

Den großen Einfluss von Hip-Hop-Künstlern mit Migrationsvordergrund13 betont auch der Hip-Hop-Forscher Hannes Loh. Ihm zufolge tragen Massenmedien eine Mitschuld an der einseitigen Wiedergabe der Geschichte des Hip-Hops in Deutschland. Des Weiteren versuchte man insbesondere die sozialen Brennpunkte, die es in Deutschland gab, und die Realitäten von jugendlichen PoCs, welche die soziale Benachteiligung und prekären Lebensumständen umfassten, auszublenden und den deutschen Hip-Hop als Produkt des weißen Mittelstandes zu bezeichnen. Man bestand ebenso darauf, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des deutschen Hip-Hops und der Entstehung des Genres in den USA gäbe. Hip-Hop-Bands wie die „Fantastischen Vier“ verhielten sich passiv im Hinblick auf die Erzählungen von Feuilletons (Gültekin, 2017).

4.2. Das sozial-politisches Klima und die Bedeutung des Hip-Hops für PoCs in Deutschland

Vor allem in den 1990-er Jahren spielte politisch-motivierte Musik eine große Rolle. Der schon im Vorwort erwähnten Gruppe „Advanced Chemistry“ gelang es mit ihrem Song „Fremd im eigenen Land“ den Diskurs über Rassismus maßgeblich zu prägen. Er war eine unmittelbare Antwort auf die Anschläge auf Asylheime, die zu jener Zeit in Deutschland verübt wurden (Kienmandl, 2016).

Die Bedeutung von Rap-Musik für PoCs wird anhand einer groben Skizzierung über das sozial-politische Klima der letzten 30 Jahren veranschaulicht. Nach dem Mauerfall im November 1989 befand sich Deutschland in einer tiefen Krise, da sich zum ersten Mal in der Nachkriegszeit mehr als 3 Millionen Menschen in der Arbeitslosigkeit befanden (YPA, 2008).

Der erste Wahlkampf nach dem Mauerfall war geprägt durch einen Kampf um die Verschärfung des Asylrechts, bei der der Begriff „Asylantenstrom“ als gutes Wahlkampfthema und Strategie genutzt wurde. Begriffe wie „Asylmissbrauch“ waren im Wahlkampf der 90-er Jahre zentral. Es hieß: Asylsuchende fliehen, um in Deutschland von Sozialleistungen zu leben. So wurde der Nährboden für gewalttätige Ausschreitungen gegen Asylsuchende und Ausländer geschaffen (Peşmen , 2017).

Der Hass der Bevölkerung richtete sich gegen alle, die nicht dem deutsch-völkischen Ideal entsprachen. Laut ZDF-Politbarometer fanden es im Juni 1992 60 Prozent der Ostdeutschen nicht in Ordnung, dass so viele AusländerInnen in Deutschland lebten. Eine weitere Untersuchung des Berliner Instituts für sozialwissenschaftliche Studien, ergab das 85 Prozent der Ostdeutschen keine TürkInnen mehr ins Land lassen wollten und 82 Prozent Aversionen gegen Schwarze oder AsiatInnen hegten (Gensing, 2015).

Eine Expertengruppe der UN, die 2017 die Situation Schwarzer Menschen in Deutschland untersuchte, zeigte sich äußerst besorgt über den aktuellen „institutionellen Rassismus14 “ in Deutschland. Trotz des im Grundgesetz festgeschriebenen „Gleichheitsgarants“, was rassistische Diskriminierung verbietet, stellte man fest, dass keine Umsetzung in die Praxis erfolgte und vor allem Schwarze Männer an einigen Orten große Angst hatten angegriffen zu werden (Zeit Online, 2017).

Laut Chefberichterstatter Ricardo Sunga III werden Schwarze Menschen in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit mit negativen Stereotypen und Rassismus konfrontiert. Auch Straßennamen oder U-Bahn-Stationen wie „Mohrenstraße“ seien Formen von Rassismus. Schwarze Menschen werden außerdem in Deutschland nicht als besondere Minderheit anerkannt und es gäbe weder besondere Förderung noch ausreichend Daten über ihre Lage, kritisierte Sunga. So bleiben Schwarze Menschen in Deutschland „unsichtbar“. Mit wachsender Sorge vor islamistischem Terror und der daraus resultierenden Islamophobie, gäbe es dabei auch eine Zunahme an rassistischen Haltungen und Diskriminierungen gegenüber Schwarzen Menschen. „Es ist gut, dass heute zumindest nicht mehr generell negiert wird, dass es hierzulande Rassismus gibt“, so der ISD-Vorstandsmitglied Tahir Della (ebd.).

4.3. Advanced Chemistry „Fremd im eigenem Land“

Im August 1992 kam es in Deutschland zum schwersten rassistischen Anschlag jener Zeit. Hunderte Rechtsextreme griffen unter dem Beifall von 2000 Anwohnern über mehrere Tage die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern an. Nur weil sich die Eingesperrten selbst befreien konnten, wurde niemand getötet. In Mecklenburg-Vorpommern, wie auch in anderen Teilen Deutschlands, überließen die Polizei, die Stadt, das Land und die Bundesregierung Rechtsextremisten die Straßen (YPA, 2008).

Bei einem Brandanschlag, zwei Monate nach den Anschlägen in Rostock, töteten Neonazis in Mölln ein zehn- und ein vierzehnjähriges Mädchen, sowie ihre Großmutter. Am 6. Dezember 1992 beschloss der Deutsche Bundestag mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD, trotz der Proteste von 200.000 Menschen, die Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl (ebd.).

In dem Song „Fremd im eigenen Land“, stehen die Erfahrungen mit Rassismus, Armut, Arbeitslosigkeit, Polizeibrutalität, sowie die einseitige Berichterstattung der Medien im Fokus (Kienmandl, 2016).

Was die PoC-RapperInnen zu jener Zeit gemein hatten, war die Erfahrung der Exklusion aus der deutschen Gesellschaft. Viele der KünstlerInnen konnten sich auf Grund der Diskrepanzen zwischen formaler Staatsbürgerschaft und deren Akzeptanz weder als Deutsch noch als Ausländer definieren (Peschke, 2010)

Textauszug aus „Fremd im eigenem Land15 “:

„Gehst du mal später zurück in deine Heimat?

Wohin? nach Heidelberg? wo ich ein Heim hab?

Nein du weisst, was ich mein...

Komm lass es sein, ich kenn diese Fragen seit dem ich klein bin

in diesem Land vor zwei Jahrzehnten geborn'

doch frag' ich mich manchmal, was hab' ich hier verloren!

Ignorantes Geschwätz, ohne End dumme Sprüche, die man bereits alle kennt

"Eh, bist du Amerikaner oder kommste aus Afrika?"

[...]


1 Nachfolgend wird ausschließlich der Begriff PoC (People of Color) verwendet. Dieser Begriff umfasst alle in Deutschland lebenden Menschen, die nicht weiß sind.

2 Women of Color

3 Seit dem 1. Januar 2000 gilt es in Deutschland neben dem Abstammungsprinzip.

4 In meiner Arbeit werde ich folglich den Ausdruck „Schwarz“ groß und „weiß“ kursiv schreiben, um die politisch korrekte Form anzuwenden. Zudem soll die rassenkonstruktivistische Bedeutung ausgedrückt werden, um die Bedeutungsdimension kenntlich zu machen. Die Unterteilung in „Schwarz“ und „weiß“ verfolgt nicht das Ziel, die Einteilung von Menschen in „Rassen“ weiter fortzuschreiben. Die Unterscheidung verweist auf den politischen Konstruktionscharakter beider Kategorien und ist eine Strategie, um die Machtverhältnisse zu verdeutlichen und dekonstruieren (Hagen-Jeske, 2016).

5 Das „ius soli“ (wörtlich: Recht des Bodens) verknüpft im Gegensatz zum „ius sanguini“ den Erwerb der Staatsangehörigkeit mit dem Geburtsort. Seit dem 1. Januar 2000 gilt es in Deutschland neben dem Abstammungsprinzip. Die Voraussetzung des „ius soli“ ist die Geburt des Kindes in Deutschland, und dass ein Elternteil sich seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhält und freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, oder gleichgestellter Staatsangehöriger eines EWR-Staates ist, oder eine Aufenthaltserlaubnis-EU, oder Niederlassungserlaubnis besitzt (Die Bundesregierung, 2018).

6 Menrath betrachtet Jugendliche nicht als „incomplete adults“. Ebenfalls bezieht sie sich mit dem Begriff „Jugendliche“ nicht auf eine biologische Lebensphase, sondern betrachtet Jugendliche als Konstrukteure sozialer und kultureller Welten.

7 Bei dem Begriff „Popmusik“ schließt Menrath Musikrichtungen wie z.B. Volksmusik, Schlager und Klassik aus, da sie anders als Hip-Hop nicht im Umfeld von Jugendkulturen entstanden sind.

8 Hybride Identität bedeutet, dass sich ein Mensch zwei oder mehreren kulturellen Räumen gleichermaßen zugehörig fühlt (Schäfer & Naika, 2009).

9 Diese Praxis wird auch mit dem Brauch in der Schwarzen Kultur, die folklorische Fabel „The Signifiying Monkey“ genannt. Bei „ The Signifying Monkey“ geht es um eine ironische Umkehrung von uralten rassistischen westlichen Vorstellung über Schwarze Menschen (vgl. Menrath, 2001). Es kann als eine Kodierung von Aussagen beschrieben werden, um eine eigene Sprache innerhalb des Englischen zu finden, die von den Sklavenhaltern nicht verstanden wurde. Es war eine indirekte, misstrauische und parodische Sprechweise, welche die Rede der Sklavenhalter nachahmt und Bedeutungen auf verschiedenen Ebenen hervorbringt. Heute bezeichnet man mit „signifying“ Texte, die nicht wörtlich gemeint sind (Burkhard, 2013).

10 In einem Interview Torch: „Langsam hat sich so viel aufgestaut, weil ich meine deutschen Kollegen sehr gut kennen gelernt und auch sehr gut verstanden habe, und die türkischen Jungs auch. Aber ich hatte halt nochmal eine andere Rolle. Ich bin ja kein Türke, sondern ich bin ja auch ein Deutscher, der aber gehandelt wurde wie ein Türke.“ (Menrath, 2003).

11 Eine anti-essentialistische Haltung ist ganz allgemein gegen ein Denken gerichtet, das Identitäten als etwas Wesenhaftes und Feststehendes begreift – und nicht als Effekte von Prozess und Performanz, die immer erst innerhalb einer differenziellen Struktur Sinn bekommen (Züricher Hochschule der Künste, o.J).

12 Songtext von „Advanced Chemistry (Fremd im eigenen Land)“ Siehe Anhang S.94-96

13 An dieser Stelle wurde auf den Begriff „Migrationshintergrund“ verzichtet. Migrationsvordergrund zeichnet sich dadurch aus, dass viele PoCs auf Grund äußerer Erscheinungsmerkmale (z.B. Schwarze Menschen wegen ihres Phänotyps), nicht zur dominanten Gesellschaft angehören.

14 Institutioneller Rassismus ist eine Form der Ausgrenzung, die durch Institutionen wie der Polizei oder Verwaltung entsteht und die weitgehend unerkannt und somit unbearbeitet bleibt. Von Seiten der Institution besteht zumeist nicht die vorsätzliche Absicht, Personen oder Personengruppen auszugrenzen. Trotzdem werden im Ergebnis bestimmte Personengruppen anders und in den meisten Fällen schlechter behandelt als andere (Büro zur Umsetzung Gleichbehandlung e.V., 2011). Beispiele sind das staatliche Versagen im NSU-Komplex, sowie die aktuellen Ermittlungen im Fall des Oury Jallohs, der 2005 in seiner Gefängniszelle in Dessau unter bisher immer noch ungeklärten Umständen zu Tode kam.

15 Songtext „Fremd im eigenen Land“ Siehe Anhang S.94-96

Ende der Leseprobe aus 168 Seiten

Details

Titel
Deutschrap und Schwarzes Selbstbewusstsein. Kommunikative Verhandlungen der Identitäten von PoC-Künstlerinnen in der Gattung des Hip-Hops
Untertitel
Eine Einzelfallanalyse mit der Künstlerin Leila Akinyi
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Afrikanistik und Ägyptologie)
Note
1,8
Autor
Jahr
2018
Seiten
168
Katalognummer
V541374
ISBN (eBook)
9783346153135
ISBN (Buch)
9783346153142
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schwarzes Selbstbewusstsein, Hip Hop, Deutschrap, Sisters Keepers, Afrodeutsch, Leila Akinyi, Qualitative Inhaltsanalyse
Arbeit zitieren
Melane Nkounkolo (Autor:in), 2018, Deutschrap und Schwarzes Selbstbewusstsein. Kommunikative Verhandlungen der Identitäten von PoC-Künstlerinnen in der Gattung des Hip-Hops, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/541374

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