Die Wochenplanarbeit in der Grundschule zwischen Anspruch und Realität


Epreuve d'examen, 2001

111 Pages, Note: 1


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Wochenplan als Form des offenen Unterrichts
2.1. Die Öffnung von Schule und Unterricht
2.2. 2.2. Der pädagogische Auftrag der Grundschule
2.3. Die veränderte Lebenswelt der Kinder
2.4. Die Binnendifferenzierung als Reaktion auf die veränderte Kindheit

3. Die Ansätze der Reformpädagogik zur Öffnung von Schule und Unterricht
3.1. Einführung
3.2. Die Ansätze von Maria Montessori
3.3. Die Ansätze von Hugo Gaudig/Otto Scheibner
3.4. Die Ansätze von Helen Parkhurst
3.5. Die Ansätze von Peter Petersen
3.5. Die Ansätze von Celestin Freinet
3.7. Resümee über die Ansätze der Reformpädagogik

4. Der Wochenplan im offenem Unterricht
4.1. Das unterschiedliche Verständnis von Wochenplanunterricht
4.2. Der Wochenplan und seine verschiedenen Formen
4.3. Der offene Wochenplanunterricht
4.4. Die freie Arbeit im Rahmen des Wochenplans

5. Die Einführung des Wochenplans in der Grundschule
5.1. Einführung des Wochenplans im Anfangsunterricht
5.2. Einführung des Wochenplans als Quereinstieg

6. Der formaler Aufbau eines offenen Wochenplans

7. Aufgaben für den Wochenplan

8. Organisation des Wochenplanunterrichts
8.1. Einführung
8.2. Die Klassenraumgestaltung
8.3. Das Arbeitsmaterial
8.4. Das Schülerverhalten
8.4. Die Lehrerrolle
8.6. Differenzierung im Wochenplanunterricht
8.7. Differenzierte Lernhilfen
8.8. Ergebnissicherung und Kontrollmöglichkeiten
8.9. Probleme der Kinder beim Wochenplanunterricht

9. Der Wochenplanunterricht in der schulischen Praxis
9.1. Einführung
9.2. Ergebnisse und Interpretation der Umfrage

10. Bilanz

11. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Den Anstoß für die folgende Arbeit gaben die Erfahrungen während meines Blockpraktikums in einer Kasseler Grundschule.

Im Rahmen dieses Praktikums bot sich mir erstmalig die Möglichkeit, einen Einblick in einen durch Wochenplanunterricht geprägten Schulalltag zu bekommen.

Auch bei meiner Hospitation in einer weiteren Grundschule durch die Schulpraktischen Studien konnte ich den Einsatz des Wochenplans beobachten. In den beiden Klassen erlebte ich die Gestaltung eines rhythmisierten Vormittags, geprägt durch immer wiederkehrende Elemente wie das Klassengespräch im Morgenkreis, die selbsttätige Arbeit der Kinder und die Vorstellung verschiedener Arbeiten. Im gesamten Schulalltag fiel mir immer wieder ganz besonders die selbständige Arbeit der Kinder mit Hilfe ihrer Wochenpläne, aber auch während der Ausübung der freien Tätigkeiten auf. Die Lehrperson erlebte ich in einer helfenden und beratenden Funktion, in einer für mich zunächst ungewohnten Rolle.

Auch wenn die Praktika schon einige Zeit vergangen sind, hat mich dieser von Offenheit und Vielfalt geprägte Unterricht so sehr begeistert, dass ich den Wunsch verspürte, mich insbesondere mit dem Thema "Wochenplanunterricht" näher auseinander zusetzen.

Besonders der Vergleich mit anderen Hospitationen und auch mit meiner eigenen Grundschulzeit, welche geprägt waren durch einen gleichschrittigen und überwiegend frontal vom Lehrer geführten Unterricht, machten mich neugierig auf die Möglichkeiten, die der Wochenplanunterricht (vor allem für die Kinder) bieten kann. Darüber hinaus war und ist es für mich von großer Bedeutung, dass ich mich einem Thema widme, welches sich direkt auf die Arbeit in der Grundschule bezieht.

Aus diesen Gründen weckte die Theorie des Wochenplanunterrichts, aber auch die aktuelle Situation in den Grundschulen, im Hinblick darauf, ob und wie der Wochenplan eingesetzt wird, mein Interesse. Ich beschloss daher, meine wissenschaftliche Hausarbeit über diese Thematik zu verfassen.

Im Folgenden stelle ich mein methodisches Vorgehen dar:

Zu Beginn erläutere ich die Forderung nach Öffnung von Schule und Unterricht. Ausgehend davon stelle ich den Auftrag, den die Institution Grundschule heute erfüllen sollte vor. Im direkten Zusammenhang gehe ich dazu auf die Veränderungen der Lebenswelt der Kinder ein, nicht zu letzt um den Einsatz eines binnendifferenzierten Unterricht in der Grundschule zu begründen.

Um zu zeigen, dass die beschriebene Forderung nach Öffnung von Schule und Unterricht bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts deutlich formuliert wurde, führe ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit einen historischen Exkurs durch.

Dazu erläutere ich stellvertretend für die gesamten Ideen der Reformpädagogik die Ansätze von Maria Montessori, Hugo Gaudig und Otto Scheibner, Helen Parkhurst, Peter Petersen und Celestin Freinet.

Um das eigentliche Thema meiner Arbeit nicht zu vernachlässigen, analysiere ich diese pädagogischen Ansätze auch auf ihre Bedeutung für den heutigen offenen Unterricht, in welchen sich der Wochenplanunterricht eingliedern lässt. In einem abschließenden Resümee fasse ich die Gemeinsamkeiten der reform-pädagogischen Ideen zusammen und nehme dazu Stellung, inwieweit sie Vorläufer für den offenen Unterricht sind.

Im nächsten Teil befasse ich mich mit dem Wochenplan im offenen Unterricht indem ich zunächst aufzeige, dass ein unterschiedliches Verständnis über den Einsatz des Wochenplans existiert. Daraufhin formuliere ich die Grundform des Wochenplans und erläutere in dem Zusammenhang die Ausprägungen in denen dieser im Unterricht vorherrschen kann.

Ein besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf die Form des >offenen< Wochenplans und seine Verbindung zu der freien Arbeit.

Um einen weiteren Einblick in den Einsatz des Wochenplans in der Grundschule zu geben, schildere ich zwei Methoden, wie sich der Wochenplan unter verschiedenen Voraussetzungen einführen lässt. Außerdem gehe ich auf den formalen Aufbau sowie die möglichen Aufgaben im Wochenplan ein.

Im achten Kapitel behandele ich die einzelnen organisatorischen Elemente, welche mit dem Wochenplanunterricht verbunden sind.

Um neben dem beschriebenen Anspruch des Wochenplanunterrichts gemäß meines Themas auch auf die Realität, das heißt auf die Praxis des Wochenplanunterrichts in den Grundschulen zu sprechen zu kommen, nehme ich die Auswertung einer Umfrage vor.

In Kapitel 10 versuche ich schließlich, eine Bilanz meiner Ausarbeitung zu ziehen.

Zur Orientierung für den Leser möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass ich, um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen, diese Arbeit im generischen Maskulinum verfasst habe. Ich verwende daher in der Regel die männliche Form, dabei schließen aber alle Begriffe, die Personen umschreiben, beide Geschlechter mit ein. Wird im Text dennoch die weibliche Form verwendet, dann trifft diese auch zu.

2. Der Wochenplan als Form des offenen Unterricht

2.1. Die Öffnung von Schule und Unterricht

Die Forderung nach Offenheit von Schule und Unterricht lässt sich auf die kritische Auseinandersetzung mit den in der Zeit der Bildungsreform der sechziger und siebziger Jahre entwickelten geschlossenen Curricula zurückführen. In den geschlossenen Curricula waren für jede Unterrichtseinheit die angestrebten Lernziele, die zu vermittelnden Lerninhalte und ihre Bedeutung, die unterrichtlichen Verfahrensweisen einschließlich einer differenzierten Verlaufsplanung, die zu verwendenden Medien und die einzusetzenden Prüfverfahren präzise festgelegt. Die Starrheit und mangelnde Anpassungsfähigkeit dieser Curricula an die individuelle Lernausgangslage einzelner Kinder einer Klasse wurde schon bald als Nachteil erkannt. Auch der Vorteil, die Vereinheitlichung der Lernanforderungen und die vergleichbare Schülerleistung, konnten die Nachteile nicht aufwiegen. Man forderte, dass das Curriculum variierbar und die Offenheit der Lernsituation gewahrt werden müsse. Offenheit wurde für den Unterricht schlechthin gefordert (vgl. Claussen 1997, S.13).

Da der Terminus offener Unterricht sich mit Begriffen wie „handelndes Lernen“, „schülerorientierter Unterricht“, „informelles Lernen“, „entdeckendes Lernen“ u.a. überlappt, beschreibe ich nun charakteristische Merkmale des offenen Unterrichts, obwohl ich bei seinem Facettenreichtum nur die Kerngedanken erfassen kann.

Der „offene Unterricht an sich ist kein Unterrichtskonzept im üblichen Sinne, sondern ein dynamischer und vernetzter Prozess der Entfaltung einer neuen Unterrichtskultur“ (Wopp 1994, S. 323).

Charakteristisch für offenen Unterricht ist, dass die Kinder von der Lehrperson die Möglichkeit bekommen, selbstverantwortliches und selbständiges Lernen zu üben. Dies bedeutet allerdings mehr als ein vom Lehrer arrangierter schülerorientierter Unterricht. Der Unterrichtsinhalt und -verlauf sowie die Unterrichtsdurchführung muss sich ganz besonders an den Interessen, Wünschen und Fähigkeiten der Schüler orientieren. Ein Unterricht ist umso offener, je höher der Grad der Selbst- und Mitbestimmung des zu Lernenden durch die Kinder ist. Wichtig ist, dass den Kindern die Möglichkeit gegeben wird, mitzubestimmen, wann sie was und mit wem und wie sie lernen.

Bei der Öffnung von Unterricht müssen vor allem auch die unterschiedlichen Bedingungen einer veränderten Kindheit berücksichtigt werden. Kinder können dann in offenen Unterrichtsformen, in denen sie nicht lediglich in gute oder schlechte Schüler eingestuft werden, lernen, Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln und ihre Probleme selbst erkennen (vgl. Wallrabenstein 1998, S.44).

Von Bedeutung ist außerdem, auf welchen Gedanken die Kriterien des offenen Unterrichts basieren. Die Grundschule wird heute als demokratische und humane Kinderschule interpretiert,

„in der eine Erziehung zur Mündigkeit durch und in Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe angebahnt wird. In der Schule müssen demnach Formen des Bildungserwerbs realisiert werden, die das Erlernen der für eine Demokratie notwendigen Verhaltensweisen wie Selbständigkeit im Denken und Handeln, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit sowie Verantwortungsbewusstsein ermöglichen. Die Schule orientiert sich damit am Zielbild des mündigen Bürgers und seiner Verantwortung in der demokratischen Gesellschaft“ (Neuhaus-Siemon 1996, S. 19).

Der offene Unterricht kann darüber hinaus eher dem Anspruch gerecht werden, die individuelle Bildsamkeit der Kinder zu fördern als ein gleichschrittiger Frontalunterricht.

Aus diesen Gründen ist es so enorm wichtig, dass offene Unterrichtsformen den Schulalltag begleiten.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, offenen Unterricht zu realisieren:

- in Form der freien Arbeit, in der die Inhalte, Ziele, Vorgehensweisen und Materialien sehr frei von den Kindern gewählt werden können.
- in Form der Planarbeit, in der die Kinder nach einem Tages- oder Wochenplan arbeiten. Dabei werden dem Schüler vom Lehrer eine Reihe von Aufgaben vorgegeben, bei deren Lösung der Schüler die freie Wahl der zeitlichen Abfolge der Bearbeitung hat. Oftmals enthält der Plan für jedes Kind auch einen frei wählbaren Teil, der den Kindern die Gelegenheit eröffnet, sich mit nicht vorgeschriebenen Tätigkeiten zu beschäftigen:
- in Form von Projektarbeit, in der ein problemhaltiges, komplexes Thema aus dem Erfahrungsbereich der Schüler aufgegriffen wird. Damit öffnet sich die Schule der direkten Lebenswelt der Kinder. In gemeinsamer Gruppenarbeit (Lehrer und Schüler) werden nach Interessenlage der Kinder einzelne Sachaspekte aus dem Thema ausgewählt, vielfältige Lösungen für das Problem gesucht und handelnd angegangen. Dabei haben die Kinder durch die Fülle der praktischen Lösungsansätze die Möglichkeit, individuellen Neigungen und Interessen nachzugehen. Die Arbeit an Projekten muss sich nicht nur auf ein Unterrichtsfach und den Klassenraum beschränken. Es kann fächerübergreifend behandelt werden und außerschulische Institutionen und Personen mit einbeziehen. Das Ergebnis eines Projektes entsteht unter der Mitwirkung aller Beteiligten.
- in Form von Stationsarbeit, die sich wiederum in zwei Formen unterscheiden lässt. Beim gelenkten Stationsbetrieb erhalten die Schüler eine bestimmte Zeit, um an einer Station einen Lernauftrag zu erfüllen. Auf ein vereinbartes, vom Lehrer gegebenes Zeichen wechseln alle Schüler die Stationen. Der Nachteil dieser Art des Stationsbetriebes liegt darin, dass jeder Lernauftrag von allen Schülern in der gleichen Zeit bewältigt werden muss. Dieser Nachteil kann behoben werden, indem der Lehrer eine innere Differenzierung durch unterschiedlich schwierige Aufgabenstellungen an einer Station vornimmt und diese steuert. Beim freien Stationsbetrieb ist die innere Differenzierung dadurch gegeben, dass die Schüler nach individuellem Leistungsvermögen ihren Lernprozess gestalten können. Sie bearbeiten in einem vorgegebenen zeitlichen Rahmen in freier Wahl und beliebiger Reihenfolge die gegebenen Lernaufträge der einzelnen Stationen.

Die verschiedenen Formen unterscheiden sich in erster Linie durch den verschiedenen Grad der Selbst- und Mitbestimmung durch die Kinder. Allen Formen ist gemein, dass in ihnen selbstbestimmtes, kindorientiertes, experimentierendes, entdeckendes, erfahrungsentfaltendes und handlungs-orientiertes Lernen realisiert werden kann (vgl. Haarmann 1994, S. 34f).

Um die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Formen des offenen Unterrichts zu verdeutlichen, möchte ich nun die von Wulf Wallrabenstein (1998, S. 61-62) aufgelisteten Merkmale für offenen Unterricht aufzeigen:

Lernumwelt:

Die Klasse mit Werkstattcharakter, offene Lernflächen und Lernzonen, Leseecke, Karteienregale, Umweltregale, Forschertisch, Pflanzen, Spielecke, Klassendruckerei, Sammeltisch, Sammlungen, Bastelecke, Pinnwand, Fördermaterialien, Aquarium, ...

Lernorganisation:

Freie Arbeit und flexible Tages - Wochenpläne, Projekte, individuelle Zeiteinteilung, wenig Frontalphasen, Möglichkeiten zur Entwicklung spontaner Aktivitäten, Lernberatung, Morgenkreis, Abschlusskreis, Klassenrat, Berichte, ...

Lernmethoden:

Vielfältige Formen entdeckenden, praktischen Lernens, Freiheit bei individueller Arbeit, freie Entscheidungen für Zusammenarbeit und gegenseitiger Hilfe, Selbstkontrolle, Möglichkeiten für Experimente und sinnliche Erfahrungen mit Materialien, flexible Lerngruppen an unterschiedlichen Problemstellungen, Aufarbeitung von Erfahrung im Kreis mit Lerndokumentationen und Berichten, gemeinsame Auswertung, kreative Lernmethoden ...

Lernatmosphäre:

Deutliche Akzeptanz der Kinder als Lerner mit individuellen Lernvoraussetzungen, Förderungsorientierung, Atmosphäre des Vertrauens und gegenseitiger Offenheit, klare Abmachungen (Regeln, Verträge), Beratungen, Kinder verstehen sich als Gemeinschaft und finden Anerkennung und Unterstützung, keine Ausgrenzungen,...

Lerntätigkeiten:

Kinder arbeiten praktisch, stellen etwas her, untersuchen, entscheiden über Inhalte, stimmen über gemeinsame Vorhaben ab, experimentieren, beschaffen sich Informationen, schreiben freie Texte, setzen, drucken, stellen interessante Dinge in der Klasse vor, erzählen, dokumentieren, besprechen Konflikte, entwickeln eigene Fragestellungen, erarbeiten Regeln, tanzen, spielen, diskutieren, rechnen, machen Vorschläge, erfinden Spiele, sammeln und ordnen, pflegen Tiere, beobachten, malen, diktieren sich, stellen ein eigenes Buch zusammen...

Lernergebnisse (sichtbar):

Geschichten, Gedichte, Wandzeichnungen, Bilder, Spiele, Pläne, Tabellen und Übersichten, Ausstellungen, Sammlungen, Theaterstücke, Lieder, eigene Lernmittel, Karteien, Objekte, Gesprächsprotokolle, Berichte, eigene Sachbücher und Werkprodukte, Briefe...“

Die Öffnung von Unterricht kann also in unterschiedlichen Dimensionen, die sich untereinander nicht ausschließen, geschehen. Die verschiedenen Formen des offenen Unterrichts stehen in direktem Zusammenhang zu den von Wallrabenstein beschriebenen Merkmalen. Ob nun in einer Klasse Wochenplan, freie Arbeit, Stationsarbeit und/oder Projektarbeit praktiziert wird, jede dieser Varianten lässt sich mehr oder weniger anhand dieser Merkmale erkennen.

In meiner wissenschaftlichen Hausarbeit werde ich mich hauptsächlich mit der Öffnung von Unterricht durch den Wochenplanunterricht beschäftigen. Um diese Öffnung des Unterrichts durch den Einsatz von Wochenplänen zu begründen, werde ich zunächst einen Einblick in den pädagogischen Auftrag der Grundschule geben.

2.2. Der pädagogische Auftrag der Grundschule

In erster Linie ist der pädagogische Auftrag der Grundschule die Grundlegung der Bildung. Dies gilt für die Grundschule seit 1921. Die Grundschule (als familienergänzende Institution) soll die grundlegende Bildung vermitteln und für die Anfänge der Allgemeinbildung sorgen. Das Wissen sollte möglichst lebendig vermittelt werden, einen Eigenwert besitzen und sich auch an der Lebenswelt orientieren.

Für die Lehrperson bedeutet das, dass sie bei der Wissensvermittlung die Kinder in der Klasse und vor allem auch das, was in der Zukunft aus ihnen werden soll (bzw. kann) im Auge behalten und somit auch den Unterricht danach richten sollte. Vor allem sollte eine Erziehung zu Selbständigkeit und Mündigkeit gewährleistet werden. Selbstverwirklichung und Mündigkeit sind die Leitbilder einer demokratischen Schulbildung. Sie müssen vermittelt und bewusst gemacht werden, genauso aber auch, dass die erstrebte eigene Freiheit immer die Verantwortlichkeit für das eigene Tun und für die eigenen Entscheidungen mit sich zieht.

Der Auftrag lautet daher, die Kinder zum verantwortlichen Umgang mit individueller Freiheit zu führen. Auch wenn (bzw. gerade weil) die Grundschule mit am Anfang des Bildungsweges steht, darf dieses allgemeine Ziel nicht missachtet werden, sondern sollte für jedes Kind erfahrbar gemacht werden. Damit ist u.a. auch gemeint, dass selbständiges, eigenverantwortliches, bewusstes und auch zielorientiertes Lernen ermöglicht werden muss, da es entscheidende Schritte für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und der Ich- Identität sind (vgl. Claussen 1997, S.34).

„Dabei sollten Kinder jeweils so gesehen werden, wie sie sind und nicht so, wie man gerne hätte, dass sie eigentlich sein sollten [...]. Die Lehrer/-innen [...] sollten begreifen, dass sie die Kinder nur ein Teilstück ihres Lebensweges begleiten, indem sie das aufgreifen, was die Kinder jeweils mitbringen, dies zielstrebig und systematisch weiterführen und damit das Recht jedes Kindes auf eine Erziehung und Bildung erfüllen, die seinen Fähigkeiten und Voraussetzungen entspricht [...] die Lehrer/-innen [...] sollten systematisch das Ziel verfolgen, die individuelle Lern- und Leistungsfähigkeit jedes Kindes bestmöglich zu entwickeln [...] die Lehrer/-innen [...] sollen sich ständig bewusst sein, dass die Kinder in der Schule zwar kontinuierlich zum Lernen angeregt und zur Leistung herausgefordert werden sollen, dass sie andererseits aber auch aus eigenem Antrieb in ihrer Lebenswirklichkeit nach Orientierung suchen und dabei Unterstützung, Bestätigung und Ermutigung durch Erwachsene brauchen“ (Beck/Claussen 1989, S.116).

Wie aus diesem Zitat gut zu erkennen, ist der Auftrag der Schule und Lehrer auch, die Kinder dort „abzuholen“ wo sie sind, d.h. dies aufzugreifen, was die Kinder mitbringen und ihnen außerdem eine Orientierung in ihrer der Lebenswirklichkeit zu geben. Wenn die Schule also auf die Lebenswirklichkeit der Kinder eingehen möchte, muss sich erst einmal vor Augen geführt werden, was diese Lebenswelt der Kinder ausmacht und durch welche Veränderungen sie gekennzeichnet ist.

2.3. Die veränderte Lebenswelt der Kinder

Der offene Unterricht und somit auch der Wochenplan sollen im besonderen Maße auf den Wandel der Gesellschaft und die veränderte Kindheit reagieren. Aber was ist gemeint, wenn von der „veränderten Lebenswelt“ oder den „veränderten Kindern“ gesprochen wird?

In Anlehnung an Eiko Jürgens (1994, S. 27 ff) gibt es fünf wesentliche Aspekte, die die Veränderungen in der Sozialisation von Kindern beschreiben und erkennen lassen, warum der Offene Unterricht eine pädagogische Antwort darauf sein kann.

a) Kinder leben heute in einer veränderten familialen Lebenswirklichkeit

Immer mehr Kinder wachsen heute als Einzelkinder und / oder mit nur einem Elternteil auf. Proportional zum Geburtenrückgang steigt die Müttererwerbstätigkeit, so dass bei fast der Hälfte aller Kinder die Eltern von der ersten Klasse an berufstätig sind. Darüber hinaus steigt auch die Anzahl der geschiedenen Ehen. Diese „asozialen“ Entwicklungen nehmen einen entscheidenden Anteil an einer Veränderung der Lebenswelt der Kinder. Die Kinder müssen sich durch die Vereinzelung immer weniger die Zuwendung der Eltern teilen, wachsen jedoch durch zunehmende Isolation immer einsamer auf. Die Familie mit ihrer Funktion der Vermittlung von sozialen Erfahrungen leistet in dieser Hinsicht immer weniger. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass Kinder nicht nur an Entscheidungen teilhaben möchten, sondern ihren Willen ohne Rücksicht auf andere durchsetzen wollen und weniger kompromissbereiter sind.

Darüber hinaus besteht durch viele Alleinerziehende und Berufstätige das Problem der mangelnden Betreuung der Kinder. Dadurch muss die Schule immer mehr die Funktion einer sozialen Betreuungs- und Begegnungsstätte übernehmen (vgl. Jürgens 1994, S. 27).

b) Verändertes elterliches Erziehungsverhalten

Die heutige Erziehung ist durchaus liberaler geworden. Anstelle von Disziplin und Unterordnung treten Werte wie Selbständigkeit und Kreativität. Kinder werden früh dazu angehalten, für ihr Handeln Verantwortung zu tragen, vernünftig und aufgeweckt zu sein, die Dinge zu hinterfragen.

Die Schule sollte im Hinblick auf den durch Emanzipation und Demokratisierung veränderten Umgang der Kinder (untereinander und mit Erwachsenen) dem Anspruch gerecht werden, Entscheidungen und Beteiligungen der Kinder zuzulassen.

Darüber hinaus hat sich das elterliche Erziehungsverständnis verändert. Die Schule muss sich oft mit der Erwartungshaltung der Eltern auseinandersetzen, die sich aufgrund von Erziehungsunsicherheiten ihrerseits, von Lehrern professionelle Erziehungsentlastung erhoffen. Nicht selten sehen Eltern die Aufgabe der Schule auch darin, die Erziehung außerhalb des Familienhauses zu übernehmen und fehlgeleitete Sozialisationsprozesse auszugleichen (vgl. Jürgens 1994, S. 28).

c) Veränderte Lebenswirklichkeit durch Medien

Kinder stehen heute unter immensen Einfluss der Medien. Sie werden in ein sich stetig vergrößerndes Mediennetz hineingeboren und direkt in unsere Konsumgesellschaft miteinbezogen.

Das bedeutet, dass Film und Fernsehen, genauso aber auch auditive Medien, wie Computer und virtuelle Spiele den Alltag der Kinder beeinflussen und teilweise auch bestimmen.

Diese Medien ermöglichen den Kindern, sich dauerhaft isoliert zu beschäftigen, z.B. wenn sie sich langweilen und sich kein Spielpartner in der Nähe befindet. Das Problem dabei ist, dass keine Spielideen entwickelt werden müssen und dabei ganz und gar auf Mitmenschen verzichtet werden kann.

Außerdem erleben die Kinder die Wirklichkeit durch den Gebrauch der Medien mehr und mehr sekundär. Das bedeutet, dass die visuellen Medien ihnen die aktiv selbst erfahrenen Eindrücke der Umwelt abnehmen. Dadurch besteht die Gefahr,

dass Kinder Erfahrungen durch Medien (z.B. durch das Fernsehen) mit selbsterlebten Erfahrungen verwechseln oder diese verdrängen.

Die Medien können den Kindern leicht eine „Secondhand-Wirklichkeit“ (Jürgens 1994, S.33) vermitteln. Dies geschieht dadurch, dass die Kinder ihre Erfahrungen mit der Lebenswirklichkeit oft nicht mehr aktiv erleben (vgl. Jürgens 1994, S. 33).

Kinder werden durch Filme, Kassetten, Sticker, Figuren etc. so stark beeinflusst, dass sie sich ein „Expertenwissen“ außerhalb des Lehrplanes aneignen. Diese Situation kann die Schule nicht unbeachtet lassen, allerdings sollte der Unterricht dieses mediale Bewusstsein als sekundäre Erfahrung der Realität nicht weiterführen. Der Unterricht sollte daher großen Wert auf primäre Erfahrungen legen. Die Kinder sollten dazu ermutigt werden, ihre Eigentätigkeit zu entwickeln. Ein entdeckendes Lernen mit allen Sinnen, um Eindrücke und Erfahrungen aus erster Hand zu erhalten, sollte Gegenstand des Unterrichts sein. Dabei sollten Handeln und Denken in einem direkten, nachvollziehbaren Zusammenhang stehen, was sich ergeben kann, wenn der Zweck der Tätigkeit und der Lohn der Anstrengung in der Sache selbst liegen. Dieses ermutigende Lernen wiederum kann die von der Medien - und Konsumwelt immer mehr verdrängten Werte wie Ruhe, Ausdauer, Beharrlichkeit und Ordnung vermitteln und dafür sorgen, dass die Öffnung der Schule ein Stück Gegenkultur schafft. Die Schule muss sich der Herausforderung der Medienwelt annehmen, indem sie den bruchstückhaften Erkenntnissen, die sie vermittelt mit praktischem Lernen durch „Kopf, Herz und Hand“ entgegenwirkt, auch wenn dies durch den Mangel an „action“ (die die Kinder durch die Medien oft gewohnt sind) erschwert werden kann (vgl. Wallrabenstein 1998, S. 43). Darüber hinaus sollte die Schule versuchen, den Kindern zu vermitteln, dass die von den Medien aufgezeigte Wirklichkeit auf ihre Aussage hin überprüft und hinterfragt werden muss (vgl. Wallrabenstein 1998, S. 44).

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Wirtschaft, welche die Kinder als kaufkräftige Konsumenten entdeckt hat, sie durch die verschiedensten Medien erreichen und manipulieren kann. Während die Kinder immer stärker in ihre Konsumentenrolle hineingepresst werden, wird gleichzeitig die Zahl der Kinder größer, die „nicht mithalten“ können und in finanzieller Armut aufwachsen. Diese Kinder sind von der Teilhabe am Konsumleben aber auch am kulturellen Leben nahezu abgeschnitten. Nicht selten werden Kinder aus diesen Gründen verspottet und ausgegrenzt (vgl. Jürgens 1994, S. 40).

d) Verändertes Spiel- und Freizeitverhalten

Heutzutage werden den Kindern immer mehr lebensnotwendige Sozialräume entzogen, dies hat nicht selten die Konsequenz, dass Kinder auf dem Weg zu ihren Freizeitaktivitäten viel Zeit im Auto verbringen. Das Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen schreckt oft ab, sorgt für Langeweile. Kinder wohnen, vor allem wenn ihre Familien finanziell schwächer gestellt sind, in unattraktiven Gegenden, ohne Plätze, wo sie sich gerne aufhalten, wo es etwas zu entdecken und zu ergründen gibt. Die Veränderungen dieser Lebensumwelt hat häufig dazu geführt, dass viele Kinder lieber im Haus bzw. in der Wohnung ihre Freizeit verbringen. Diese Zeit verbringen sie entweder zu zweit oder allein. Anstatt sich mit einer Kindergruppe aus der Umgebung spontane Spiele zu überlegen, besteht die Gefahr, dass sie sich vor den Fernseher oder Computer setzen. Die Schule kann den Kindern ihre Umwelt näher bringen, indem sie das Lernen an außerschulischen Lernorten ermöglicht (vgl. Jürgens 1994, S. 36).

Darüber hinaus ist vielen Kindern die „freie Zeit“ nur noch selten bekannt, da sie in ihrer sogenannten „Freizeit“ mit Terminen (oft unter „Mithilfe“ der Eltern) für die verschiedensten Aktivitäten verplant sind.

Kinder lernen dadurch den rationellen Umgang mit ihrer Zeit schon sehr früh und müssen sich schnell daran gewöhnen, sich ständig an verschiedenen Orten und in verschiedenen sozialen Gruppen zu befinden. Dadurch kann es vorkommen, dass die Kinder ihr Spiel- und Freizeitverhalten als isoliert und zusammenhangslos erleben. Schon früh werden sie darauf getrimmt, ihre Termine einzuhalten und stehen nicht selten unter dem sogenannten Freizeitstress.

Durch privatisierte Freizeitaktivitäten, wie Sport und Musik findet eine soziale Auslese statt. Die Verplanung der Kinder führt durch das Fehlen der „freien Zeit“ zu einem anderen und neuem Spielverhalten, welches durch weniger Spontaneität einerseits und einem größeren Drang, dass etwas Aufregendes geboten wird andererseits gekennzeichnet ist. Die Kinder verlernen durch einen Überschuss an Angeboten und Attraktionen immer mehr, sich spontan (sinnvoll) selbst zu beschäftigen. Das Leben der Kinder bekommt schon früh etwas „Geschäftliches“, Kinder erfahren, dass man sich (käuflich) beschäftigen lassen kann.

Mit einer sinnvollen Beschäftigung ist nicht gemeint, dass sich das Kind den Tag lang vor dem Fernseher amüsiert. Die Erwartungshaltung der Kinder, dass ihnen etwas geboten wird, fließt natürlich auch in den Schulalltag ein. Dieses Verhalten sollte von der Schule nicht gefördert werden, sondern es sollte den Kindern beigebracht werden, das Lernen zu lernen und mit ihren Mitschülern zu kommunizieren. Dies bedeutet, dass in besonderem Maße auf die selbstbestimmte Interaktion mit Gleichaltrigen Wert gelegt werden sollte. Der offene Unterricht, in dem sich Kinder in Ruhe mit verschiedenen Angeboten beschäftigen können, kann daher ein Gegenpol zu der von Hektik und Konsum bestimmten Lebenswelt der Kinder sein (vgl. Wallrabenstein 1998, S 44 f).

e) Veränderte Situation durch Vielfalt der Kulturen

Die Schule wird, durch einen steigenden Ausländeranteil, immer mehr mit einer Kulturenvielfalt zutun haben. Die kulturelle Reichhaltigkeit kann für jeden einzelnen einerseits eine Bereicherung des alltäglichen Lebens bedeuten, andererseits aber auch für Unsicherheiten und Ängste sorgen. Besonders von den Kindern werden durch die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen Sozialisationsleistungen verlangt, die es in der Form früher eher weniger gab. Unterschiedliche Kulturen bedeuten unterschiedliche Wertvorstellungen, mit denen sie umgehen lernen müssen. Die Unterschiede (nicht zuletzt in der Sprache) stellen bereits in den Grundschulen hohe Anforderungen an das soziale Lernen der Kinder. Die Schule muss daher versuchen, eine Basis für eine Kommunikation zwischen diesen verschiedenen Kulturen und ein verständnisvolles Leben miteinander zu schaffen.

Die Lehrer müssen sich daher nicht nur mit pädagogischen, sondern auch mit kulturellen, psychischen und sozialen Problemen auseinander setzten.

Die sowieso schon große Unterschiedlichkeit der Lerngruppen, die Leistungsdifferenzen von bis zu drei Schuljahren beinhalten kann, wird durch die verschiedenen Kulturen nicht gerade verringert und erfordert eine sozial-erzieherische und individualisierende Arbeit des Lehrers. Die Lehrer sollten versuchen, Kindern bei ihrer Angst vor dem Fremden Orientierungshilfen zu geben, Akzeptanz und Toleranz zu schaffen, damit jedes Kind das Gefühl bekommt, einen sicheren Platz in unserer Gesellschaft zu besitzen (vgl. Jürgens 1994, S. 38 f). Für den Lehrer bedeutet dies, dass er den Unterricht auf die veränderte Situation zuschneiden sollte, damit die Lebenswirklichkeit der Kinder nicht an den Mauern der Schule abprallt (vgl. Krichbaum 1997, S.27).

Anstatt dessen sollten die genauen Kenntnisse über die Veränderungen zu einem entsprechendem Umgang mit Schulunlust, Konzentrationsschwächen, motorischen Störungen und psychosomatischen Erkrankungen führen, indem auf jedes Kind gezielt eingegangen und jedem Kind (so gut es geht) geholfen wird. So sollten, wie schon erwähnt, diese veränderten Bedingungen direkte Auswirkungen auf den Unterricht haben. Dies bedeutet unter anderem, dass die Aufgaben im Unterricht möglichst auf alle Kinder zugeschnitten sein sollten, damit sie „Lern- und Anstrengungsbereitschaft“ (Krichbaum 1997, S.27) entwickeln können und den Anforderungen der Schule genügen können. Damit in einer Klasse nicht permanent Kinder über – bzw. unterfordert sind, sondern alle erfolgreich sein können, muss der Vielfalt der individuellen Ausgangslagen durch Differenzierung entsprochen werden (vgl. Krichbaum 1997, S.27).

Die beschriebenen Veränderungen der Lebensumwelt der Kinder fordern daher einen offenen und vor allem auch binnendifferenzierten Unterricht.

2.4. Die Binnendifferenzierung als Reaktion auf eine veränderte Kindheit

Die Grundschule muss immer mehr den Anspruch erfüllen, den Unterricht binnendifferenziert zu gestalten. Dies basiert einerseits auf erziehungs-wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Qualität von Unterricht und andererseits auf den (im vorangegangenen Kapitel beschriebenen) aktuellen Verhältnissen und Veränderungen der Lebenswelt der Kinder. Die Grundschule versucht dies mit vielfältigen und variantenreichen Unterrichtsformen aufzufangen bzw. zumindest darauf zu reagieren. Der Unterricht muss neu strukturiert werden, um den aktuellen Sozialisationsbedingungen und den daraus resultierenden Bedürfnissen gerecht zu werden (vgl. Claussen 1997, S.54).

Claussen begründet die Öffnung und letztlich die Binnendifferenzierung des Unterrichts folgendermaßen:

„Der Druck der Realität im Klassenzimmer durch diese veränderten Bedingungen und die großen Unterschiede unter den Kindern machen ein gleichschrittiges Vorgehen im Unterricht nahezu unzulässig. Dadurch begründet sich die Forderung nach einem offenem und binnendifferenziertem Unterricht“ (Claussen 1997, S.9).

Da in den Klassen der Grundschulen Kinder mit sehr unterschiedlichen Lernausgangslagen und Lernvoraussetzungen sitzen, ist die Feststellung von Klafki und Stöcker gut nachzuvollziehen, dass „die sogenannte Jahrgangsklasse keine homogene Lerngruppe ist!“ (Klafki/Stöcker 1991, S.176). Dementsprechend muss nun auch der Unterricht organisiert werden. Es ist also wenig sinnvoll, alle Kinder „über einen Kamm zu scheren“ und an alle zur selben Zeit die gleichen Anforderungen zu stellen. Die Binnendifferenzierung kann für jedes Kind eine optimale Lernmöglichkeit erbringen, da individuell auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes eingegangen werden kann, um langsam Ungleichheiten abzubauen.

Für Kinder einer Klasse, die aus den verschiedensten Verhältnissen zu einer heterogenen Gruppe zusammengefasst werden, besteht durch Binnendifferenzierung also die Chance, wieder als Individuen behandelt zu werden.

Der Unterricht kann auch nur dann den anfangs erwähnten Auftrag der Schule, die Bildung jedes Schülers, erfüllen, wenn er differenziert ist. Denn nur ein differenzierter Unterricht in welchem jedes Kind als eigenständiges Individuum betrachtet wird, kann einen individuellen Lernprozess für jeden einzelnen Schüler ermöglichen. Genau an dieser Stelle kann der Wochenplanunterricht mit seiner Möglichkeit zur Binnendifferenzierung weiterhelfen.

Die Vermittlung von Grundwissen, als eine der wichtigsten Anforderungen an die Grundschule, stellt also eine Basis zur Verfügung. Wenn der Wochenplan individuelle Elemente für jedes Kind enthält, wie z.B. die freien Tätigkeiten, dann kann er eine optimale Binnendifferenzierung erreichen. Wie sich im weiteren Verlauf meiner Arbeit noch herausstellen wird, ist ein anweisungsgesteuerter Wochenplan nicht wesentlich binnendifferenzierter als der Frontalunterricht. Wochenpläne bieten im offenen Unterricht die Möglichkeit, Binnendifferenzierung zu praktizieren und können außerdem durch die verschiedenen Sozialformen wie Gruppen und Partnerarbeit auch einen weiteren Anspruch des offenen Unterrichts erfüllen, nämlich die soziale Kompetenz der Kinder zu fördern. Eiko Jürgens stellt dazu fest, dass Binnendifferenzierung durch den Wochenplanunterricht gelingen kann. An dieser Stelle wird auch bei Jürgens deutlich, dass sich die innere Differenzierung nicht nur auf die Menge der Aufgaben, sondern auch auf ihr Niveau beziehen muss. Diese Möglichkeit bietet vor allem auch eine große Chance für lernschwache Kinder, da eine Überforderung vermieden werden kann. Darüber hinaus kann auch die Integration behinderter Kindern erleichtert werden (vgl. Jürgens 1994, S.63).

Auch der Rahmenplan des Landes Hessen fordert eine innere Differenzierung, die wie schon erwähnt u.a. durch den Einsatz von Wochenplänen erreicht werden kann.

Die Richtlinien des Rahmenplanes legen fest: „Die Differenzierung soll zum einen die Erreichung grundlegender Lernziele für möglichst alle Kinder sichern (Fundamentum), zum anderen soll sie der Entfaltung der individuellen Möglichkeiten, der Entwicklung individueller Lernziele sowie dem Aufbau von Selbständigkeit und persönlichen Interessen dienen.“ (Hess. Kultusmin. 1995, S. 29). Um im weiteren Verlauf der Arbeit darauf zurückkommen zu können, wie ein Wochenplan konzipiert werden sollte, um dem Anspruch der inneren Differenzierung gerecht zu werden (siehe dazu Kapitel 8) betrachten wir die von Klafki und Stöcker aufgelisteten Merkmale zur Funktion der inneren Differenzierung.

Innere Differenzierung soll:

„- der Zielsetzung der optimalen Förderung aller Schüler bei der Aneignung von Erkenntnissen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten
dienen;
- die Entwicklung verschiedener Persönlichkeitsdimensionen und ihre wechselseitige Beziehung anregen und unterstützen;
- die Selbständigkeit jedes einzelnen Schülers fördern, ihn also >das Lernen lehren< oder besser: >das Lernen lernen lassen<;
- die Fähigkeiten zu bewusstem sozialem Lernen und in diesem Rahmen ihre Kooperationsfähigkeit entwickeln. (Während der herkömmliche, undifferenzierte Klassenunterricht den einzelnen Schüler/innen, ob gewollt oder ungewollt, weitgehend isoliert.)

Wenn Unterricht jeden einzelnen Schüler optimal fördern will, wenn er jedem zu einem möglichst hohen Grad von Selbsttätigkeit und Selbständigkeit

verhelfen und Schüler/innen zu sozialen Kontakt- und Kooperationsfähigkeit befähigen will, dann muss er im Sinne der Inneren Differenzierung durchdacht werden“.

(Klafki / Stöcker 1991, S. 183)

Die Forderung nach Offenheit im Unterricht (und somit ein Stück weit auch nach Möglichkeiten zur Differenzierung) spielte bereits in der Reformpädagogik eine große Rolle. Aus diesem Grund werde ich im nächsten Kapitel einige ausgewählte Ansätze verschiedener Pädagogen dieser Zeit vorstellen.

3. Die Ansätze der Reformpädagogik zur Öffnung von Schule und Unterricht

3.1. Einführung

Begriffe wie „Offener Unterricht“ , „Selbsttätigkeit“, „innere Differenzierung“ und „entdeckendes Lernen“ waren bereits Schlagwörter der Reformpädagogik im Jahr 1920 und sind daher keineswegs eine Erfindung unseres Jahrzehntes (vgl. Huschke / Mangelsdorf 1988, S.10).

Wenn Pädagogen heutzutage ihre Reformbemühungen begründen dann greifen sie oft auf die Ansätze der Schulreformbewegungen der 20er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts zurück.

Aus diesem Grund werde ich im weiteren Verlauf der Arbeit aus schulpädagogischer Sicht den wesentlichen Kern der Schulreformbewegung der 20er Jahre im Hinblick auf das eigentliche Thema analysieren.

Die Schulreformbewegung richtete sich hauptsächlich gegen die sogenannte „alte Schule“, gegen die reine Wissensschule. „Die Entdeckung einerseits der kindlichen Natur und andererseits des Prinzips der Eigentätigkeit (des Kindes) im Lernprozess“ war nach Flintner (1957, S.42) die Basis der Bewegung. Der Unterricht sollte den Kindern Raum für eigene Erfahrungen lassen und sich an den Interessen und der Lebenswelt der Kinder orientieren. Die „alte“ Schule wurde immer mehr als autoritär, lebensfern und kinderfeindlich kritisiert.

Im Wesentlichen kristallisierte sich das Motto „vom Kinde aus“ heraus. Heute geht die Argumentation aber darüber weit hinaus. Ging man früher „nur“ davon aus, dass die Kinder in ihrer eigenen Welt leben, und beschäftigte man sich weitest gehend ausschließlich mit der Gegenwart der Kinder, so ist man heute auf dem Stand, sich auch um die Zukunft zu kümmern und die Orientierung an der Erwachsenenwelt nicht aus den Augen zu verlieren (vgl. Claussen 1997, S.31).

Die Grundschule muss heute dem Anspruch der veränderten Welt gerecht werden (siehe Kapitel 1).

Das Ziel des erziehenden Unterrichts der Grundschule ist u.a. die Selbständigkeit der Kinder. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Selbständigkeit taucht auch der Wochenplanunterricht auf, dessen Wurzeln laut Hagstedt (1987, S.4 ff) teilweise in der Reformpädagogik zu finden sind:

„Zurückgeführt wird die Idee des Wochenplans auf diverse Modelle aus dem 1. Drittel unseres Jahrhunderts, die momentan eine Renaissance erleben. Jede Schule, die heute zur Begründung des eigenen Programms ihren Reformpädagogen hat, kann bei ihm schon nach kurzer Suche historische Wurzeln der Wochenplanerei ausgraben.“

Die Traditionslinien sind allerdings oftmals gebrochen und nur elementar auffindbar. Trotzdem möchte ich auf die Geschichte des offenen Unterrichts bzw. des Wochenplans genauer eingehen, um tiefere Einblicke zu ermöglichen.

Die Ansätze in der Reformpädagogik sind diesbezüglich sehr interessant, weil man untersuchen kann, inwieweit ihr Gedankengut den Kriterien für offenen Unterricht entsprechen und somit einen Vorbildcharakter besitzen.

3.2. Reformpädagogische Ansätze von Maria Montessori

Maria Montessori (1870 bis 1957) war eine italienische Ärztin und Pädagogin. In ihren Leitideen und ihren schulpraktischen Prinzipien findet man Ansätze, die sich (mehr oder weniger) auch in den heutigen Regelgrundschulen wiederfinden.

Die Montessori-Pädagogik basiert auf dem Bild eines neuen Kindes. Montessori betrachtete das Kind, wie alle menschlichen Wesen als eigenständige Persönlichkeit. „Es trägt die Schönheit und die Würde des schöpferischen Geistes die durch nichts verwischt werden können. Unter allen Bedürfnissen des Kindes vernachlässigt man das menschlichste: die Ansprüche seines Geistes, seiner Seele. Der Mensch im Kinde bleibt uns verborgen“ (Montessori 1928, S.45f). Sie sprach sich dafür aus, dass jedem Kind die Freiheit eingeräumt werden soll, sich gemäß seiner Entwicklungsgesetze zu entfalten. Denn nur dann kann das Ziel eines zu innerer Harmonie und Ausgewogenheit herangereiftes Kind erreicht werden. Dies basierte auf ihrer Einstellung, dass das Kind von Natur aus gut ist, und seine Kräfte ausreichen, sich ein Weltbild aufzubauen. Außerdem war sie der festen Überzeugung, dass sich die Entwicklung des Kindes nach einem immanenten individuellen Bauplan vollzieht und von einer inneren schöpferischen Kraft gesteuert wird.

Wenn man bei Montessori von Freiheit spricht, so ist stets die Entwicklungsfreiheit und nicht die Freiheit im politischen Sinne gemeint.

Montessori wird oft im Zusammenhang mit „freier Arbeit“ erwähnt. Dazu gehören natürlich auch Überlegungen zu Arbeitsmaterialien, Klassenraumgestaltung, differenzierendes und individualisierendes Arbeiten etc. Unter „freier Arbeit“ versteht Maria Montessori die freie Wahl aus den von ihr entwickelten Arbeitsmitteln. Das von Montessori entwickelte Programm der Bildung ist in sorgfältiger und methodischer Abstufung in diesen Arbeitsmitteln enthalten. Das Material sollte allerdings mehr sein als reines Betätigungsmaterial, es sollte zur Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit dienen. Montessori wollte die Lernumwelt des Kindes so gestalten, dass die Entwicklungsbedürftigkeit befriedigt und eine optimale Entfaltung gewährleistet werden kann. Die Befähigung des Kindes zum selbständigen Denken ganz unter dem Motto: „Hilf mir, es selbst zu tun!“ war ihr größtes Anliegen.

Die freie Arbeit bestand bei Montessori allerdings hauptsächlich nur aus der freien Wahl der Arbeitsmittel. Dies sollte man, wenn man das Ziel „Selbständigkeit“ im Auge behält wohl eher kritisch betrachten. Wenn in diesem Zusammenhang Begriffe wie „Klassenraum als Lernort und Erfahrungsraum“ oder „selbsttätiges Lernen“ gebraucht werden, so können sie lerntheoretisch etwas anderes bedeuten, als bei der Diskussion um die Merkmale des offenen Unterrichts bzw. des Wochenplanunterrichts.

Dennoch lassen sich die reformpädagogischen Konzepte mit den heutigen Unterrichtsmerkmalen wie „Individualisierung und Differenzierung“, „freie Arbeit“ oder „Arbeitsecken“ vergleichen, wenn teilweise auch nur oberflächlich, da sie auf unterschiedlichen Erziehungskonzepten basieren.

Laut Claussen (1997, S.63) war bei Montessori wie auch bei anderen Reformpädagogen die Regelung von schulischer Freiheit und (Schul-) Gesetz in ihrem Wechselspiel das Kernproblem. Die eingeräumten Freiheiten wurden durch feste Regeln und Gesetze beschränkt: Die Kinder konnten nicht frei mit dem Material experimentieren und machen, wozu sie Lust hatten, hätten sie dies doch getan, hätte sich ihnen umgehend die Lehrperson zugewandt und sie dazu angehalten, nur genau die Aufgabe zu erledigen „die dem Material innewohnt“ (Montessori 1928, S.68).

“Die freie Wahl unter vorhandenen Arbeitsmitteln kann zu einem intensiven Übungsunterricht [...] führen. Frei ist aber nur die Wahl zwischen den vorgegeben Mitteln und den in ihnen enthaltenen Aufgabenfolgen. Der Ertrag dieser Arbeit liegt in der individuellen Passung der Arbeit, der zeitlich individuellen Gestaltung von Sachwahl und Aufgabenfolge und ihrer hohen Intensität im Rahmen der gebotenen Arbeitsmöglichkeiten“ (Meier/Mayer-Behrens 1988 S.24 f).

Montessori ließ also nur eine bestimmte Tätigkeit mit dem Material zu und lehnte eine willkürliche und „freie“ Beschäftigung strikt ab. Sie wollte erreichen, dass sich das Kind in einer tiefen Konzentration mit dem Material beschäftigt, die ihrer Meinung nach, wenn es zu einer spielerischen Betätigung kommen würde, nicht gegeben wäre.

Betrachten wir nun die anfangs aufgestellte Frage, inwieweit Montessoris Ansätze einen Vorbildcharakter für den heutigen offenen Unterricht haben. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass ihre biologistische Entwicklungsauffassung auf jeden Fall als überholt gilt (vgl. Neuhaus-Siemon 1996, S. 21). Außerdem thematisiert der offene Unterricht heute auch den gesellschaftspolitischen Bereich, welchen Montessori außen vor ließ. Heute geht es in erster Linie darum, einen mündigen Bürger einer demokratischen Gesellschaft zu erziehen, während Montessori nur von einem freien und aus allen inneren Fesseln gelösten, selbständigen Menschen sprach. Der offene Unterricht allerdings ist mit seinem Anspruch auf ein „neues Bild der Schule“ (Montessori betrachtet ausschließlich „das neue Bild des Kindes“) mit diesem Erziehungsziel stark verknüpft.

Ein weiterer Unterschied zu der heutigen Auffassung von offenem Unterricht ist die schon erwähnte Einstellung Montessoris von Freiheit in der Schule. Die Freiheit bestand lediglich in der Wahl des Materials und im individuellen Lerntempo, nicht in der Arbeitsdurchführung bzw. im Lernweg. Die Kinder sind daher in der Montessori Grundschule in der freien Arbeit auf das Entfaltungsmaterial eingeschränkt, es ist ihnen nicht erlaubt, ihren eigenen individuellen Zugang zum Thema zu finden. Dagegen können die Kinder im offenen Unterricht durch die Vielseitigkeit der Themen und Materialien ihre Interessen, Vorlieben und Schwerpunkte in weit höherem Maße einbringen. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Unterricht in Beliebigkeit verfallen muss. Der offene Unterricht zielt u.a. darauf hinaus, das schulische Leben mit der Lebenssituation der Kinder zu verbinden, so dass die Kluft zwischen Schule und Leben verringert bzw. bestenfalls abgebaut wird.

Eine Parallele gibt es, wenn man die Rolle der Lehrperson betrachtet. In beiden Fällen tritt die Lehrperson zugunsten des Kindes zurück, nimmt eine helfende und beratende Funktion ein. Darüber hinaus bildet die Aufgabe der Lehrperson, eine kindgerechte, eine pädagogisch und didaktisch anregende Lernumgebung zu schaffen, einen weiteren Bezugspunkt zwischen dem offenen Unterricht und der Montessori Pädagogik. Auch die Erziehung zur Selbständigkeit, wenn sie auch unterschiedlich begründet ist, bildet eine weitere Parallele (vgl. Neuhaus-Siemon 1996, S. 21).

[...]

Fin de l'extrait de 111 pages

Résumé des informations

Titre
Die Wochenplanarbeit in der Grundschule zwischen Anspruch und Realität
Université
University of Kassel  (Pädagogik)
Cours
Offener Unterricht in der Grundschule
Note
1
Auteur
Année
2001
Pages
111
N° de catalogue
V5413
ISBN (ebook)
9783638132930
Taille d'un fichier
829 KB
Langue
allemand
Annotations
Es geht um &gt, Veränderte Kindheit &gt, Reformpädagogik &gt, Offenen Unterricht &gt, und besonders: Wochenplanarbeit.
Mots clés
Offener Unterricht, Reformpädagogik, Veränderte Kindheit, Wochenplan, Freie Arbeit
Citation du texte
Christina Damm (Auteur), 2001, Die Wochenplanarbeit in der Grundschule zwischen Anspruch und Realität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5413

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