Dem Horn des Einhorns hat man einst große Wunderkraft zugeschrieben. Es galt als Mittel, das Gift in Speisen und Getränken sichtbar machte, als Medizin gegen Biss und Stich sowie zur Erhaltung und Kräftigung der männlichen Potenz. Man meinte, wer Einhornblut trank, würde einerseits unsterblich, andererseits aber fortan unglücklich, Nur Menschen, die an Einhörner glaubten oder die Jungfrauen reinen Herzens waren, konnten ein Einhorn sehen, hieß es. In Wirklichkeit ist das legendäre Einhorn ein Tier, das nie gelebt hat. Mancher vermeintliche Fund, wie beispielsweise das 1663 entdeckte berühmte „Einhorn von Quedlinburg“ aus Mitteldeutschland, wurde aus Mammutknochen rekonstruiert. Der Wiesbadener Wissenschaftsautor Ernst Probst schildert in dem Taschenbuch „Das Einhorn“, wie die Sagen über dieses Fabelwesen entstanden sind, das lange Zeit die Phantasie der Menschen erregt hat.
Darstellung eines Einhorns auf einem Mosaik aus dem Jahre 1213
in der Basilika S. Giovanni Evangelista in Ravenna (Italien)
VORWORT
Ein Tier, das nie gelebt hat
Dem Horn des Einhorns hat man einst große Wunderkraft zugeschrieben. Es galt als Mittel, das Gift in Speisen und Getränken sichtbar machte, als Medizin gegen Biss und Stich sowie zur Erhaltung und Kräftigung der männlichen Potenz. Man meinte, wer Einhornblut trank, würde einerseits unsterb- lich, andererseits aber fortan unglücklich, Nur Menschen, die an Einhörner glaubten oder die Jungfrauen reinen Her- zens waren, konnten ein Einhorn sehen, hieß es.
In Wirklichkeit ist das legendäre Einhorn ein Tier, das nie gelebt hat. Mancher vermeintliche Fund, wie beispielsweise das 1663 entdeckte berühmte „Einhorn von Quedlinburg“ aus Mitteldeutschland, wurde aus Mammutknochen rekon- struiert. Der Wiesbadener Wissenschaftsautor Ernst Probst schildert in dem Taschenbuch „Das Einhorn“ , wie die Sa- gen über dieses Fabelwesen entstanden sind, das lange Zeit die Phantasie der Menschen erregt hat.
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Grab von Karl Georg von Raumer (1783–1865)
auf dem Neustädter Friedhof in Erlangen.
Raumer hielt Fossilien
für verunglückte Probeschöpfungen der Natur.
Es war nicht die Spur von Noahs Raben
Kuriose Irrtümer in der Geschichte der Paläontologie
Die Geschichte der Paläontologie, der Lehre vom Leben in der Urzeit, ist voller skurriler Irrtümer. Lange woll- te niemand glauben, dass die Reste von prähistorischen Pflan- zen und Tieren viele Millionen Jahre alt sind. Es vergingen etliche Jahrhunderte, bevor allerlei merkwürdige Erklärun- gen über die Entstehung von Fossilien als Unsinn erkannt wurden.
Eine der frühesten Fehldeutungen von Fossilien unterlief dem griechischen Philosophen Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. Er verkannte solche Urzeitfunde als „Figurensteine“, die durch schöpferische Kräfte im „Urschlamm“ entstanden seien.
Anhänger der Sintfluttheorie betrachteten im 17. Jahrhun- dert die Versteinerungen als bei dieser biblischen Naturka- tastrophe ertrunkene Lebewesen. Der Rechtsprofessor Phil- ipp Ernst Bertram (1726–1777) aus Halle/Saale meinte 1766, Gott habe Fossilien in den Boden gelegt – womöglich, um diejenigen zu prüfen, die an der göttlichen Schöpfung zwei- felten. Und der Breslauer Mineraloge Karl Georg von Rau- mer (1783–1865) war 1819 felsenfest davon überzeugt, dass Fossilien verunglückte Probeschöpfungen der Natur seien.
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Basilius Besler (1561–1628)
Alle diese frühen Forscher irrten. Aber das war kein Wunder, wenn man den kulturhistorischen Hintergund ihrer Zeit betrachtet. Noch anno 1650 war man sich allgemein einig, dass die Erde wenig mehr als 5500 Jahre alt sei. Der irische Erzbischof James Ussher (1581–1656) zum Beispiel hatte damals errechnet, die Schöpfung habe am 23. Oktober des Jahres 4004 vor Christi Geburt ex- akt um 9 Uhr begonnen.
Niemand zu Usshers Lebzeiten ahnte, dass die Reste von Pflanzen und Tieren in den Solnhofener Platten aus Bay- ern, die 1616 erstmals von dem Nürnberger Apotheker Basilius Besler (1561–1628) abgebildet wurden, etwa 150 Millionen Jahre alt sind. Die prächtigen Dendriten auf dem Solnhofener Kalkgestein wurden im 17. Jahr- hundert als Moos gedeutet. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um verästelte Kristallbildungen auf Schichtfugen und Kluftflächen, die aus eisen- und manganhaltigen Lö- sungen entstanden. Ihre Form ähnelte tatsächlich Moos, Sträuchern oder Bäumen. Außerdem beschrieb Besler eine „Spinne“, die hundert Jahre später als ein Meerestier ent- larvt wurde, das mit Seesternen und -igeln verwandt ist.
Als einer der berühmtesten Funde des 17. Jahrhunderts gilt das 1663 entdeckte „Einhorn von Quedlinburg“ . 1714 und 1749 veröffentlichte man Rekonstruktionen des vermeintli- chen Einhorns. Sie zeigten ein Tier, das auf dem Schädel ein langes Horn trägt, auf zwei Beinen steht und sich mit einem langen Schwanz abstützt. Man hatte die angeblichen Vor- derbeine des Einhorns aus vier Oberschenkelknochen vom Mammut konstruiert.
Völlig falsch beurteilt wurden auch Urweltfunde aus dem Rhein. Ein Wormser Bürger etwa meinte 1689: „Es ist
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Dendriten wurden früher als Pflanzen fehlgedeutet.
unleugbar, dass große und mehr als 20 oder 30 Schuh lang gewesene Riesen und Drachen an dieser Rhein- gegend sich nicht selten aufgehalten haben, indem ein dergleichen Riesenbein anno 1635 im Rhein gefunden, ich selbstens zu Wormbs gehabt, nach welches abgeteil- ter Proportion der Mensch mehr als 30 Schuh lang müsste gewesen sein.“ Ein Schuh oder ein Fuß galt damals als Längenmaß von etwa 30 Zentimeter. Demnach wäre der Wormser Riese etwa neun Meter groß gewesen. Heute weiß man, dass es sich vermutlich um einen Mammut- knochen handelte.
Mancher stolze Entdecker von Fos-silien (der Begriff stammt aus dem Lateinischen: fossilis = ausgegraben) erntete einst statt Anerkennung nur Hohn und Spott, wie beispielsweise der Londoner Apotheker Conyers, der 1715 nahe der briti- schen Hauptstadt im Kies eines längst ausgetrockneten Flus- ses einige Elefan-tenknochen und dicht daneben einen roh behauenen spitzen Stein fand. So etwas passte nicht in das damalige Weltbild. Deshalb wurde in den Kneipen viel über diesen Fall gewitzelt. Unter anderem wurde gemutmaßt, es handle sich um einen ausgerissenen Zirkuselefanten, der jäm- merlich umgekommen sei, weil ihm die britische Kost nicht bekam. Der Apotheker glaubte schließlich einem Freund, der die Elefantenknochen in die Zeit des römischen Kaisers Claudius (10 v. Chr.–54 n. Chr.) datierte, der Elefanten über den Kanal gebracht habe, um die Briten zu unterwerfen. Daraufhin wurden die Knochen und der Stein in ein Raritätenkabinett gebracht und als „Funde aus der Römerzeit“ bezeichnet.
Auch die Bedeutung der ersten dokumentarisch beleg- ten Entdeckung von Dinosaurierspuren in Nordamerika
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Im Herbst 1802 wurden
in South Hadley (Massachusetts)
die ersten Dinosaurierspuren Amerikas entdeckt, jedoch zunächst verkannt.
wurde zunächst nicht erkannt. Als dem zwölfjährigen Farmersohn Pliny Moody (1790–1868) im Herbst 1802 die- ser Fund glückte, war der Begriff Dinosaurier noch gar nicht bekannt, er wurde erst 1841 von dem Londoner Paläonto- logen Richard Owen (1804–1892) vorgeschlagen.
Pliny Moody hatte beim Pflügen eines Feldes unweit von South Hadley im US-Bundesstaat Massachusetts einen umgestoßenen Felsbrocken erblickt, auf dem der Abdruck von drei riesigen Zehen zu erkennen war. Sie ähnelten Spuren von Vögeln, die über Schlamm oder Sand gelaufen waren. Die Menschen von South Hadley redeten viel über diesen sonderbaren Fund, bis einer von ihnen auf die Idee kam, es könne sich um Fußspuren jenes Raben handeln, den Noah nach der Sintflut ausge- schickt hatte, um trockenes Land zu suchen.
Weit von der Wahrheit entfernt war auch der englische Antiquar Edward Lluyd (1660–1709), der 1689 den ersten Fund eines Fischsauriers als „Lithophylacii Britannici ichnographia“ bezeichnete. Lluyd hielt den Fischsaurier, der vom Aussehen her heutigen Delphinen ähnelte, für einen Fisch besonderer Art. Er meinte, wenn das Meerwasser ver- dunstet, dann gerieten auch Fischeier in die Wolken und würden später mit dem Regen auf das Festland fallen. In den trockenen Erdschichten, so erklärte er, würden sich aus ihnen keine normalen Fische entwickeln, sondern solche aus Stein. Alle Fossilien wären nach dieser Deutung keine Le- bewesen aus Fleisch und Blut, sondern seltene Naturspiele, zusammengebacken aus Rogen, Samenluft und von Meeres- dünsten imprägniertem Gestein.
Über diese Theorie lächelte einige Jahrzehnte später ein anderer Entdecker eines Fischsauriers, nämlich der Zürcher
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Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) hielt fossile Tierreste
für Knochen in der Sintflut ertrunkener Menschen.
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Johann Jacob Baier (1677–1735) hielt Ichthyosaurierknochen irrtümlich für Fischwirbel,
Porträt von Georg Martin Preißler (1700–1754)
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Bild auf Seite 21:
Flugblatt des Zürcher Stadtarztes und Chorherrn Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733)
um 1726 mit der ältesten Darstellung eines fossilen Riesensalamanders aus Öhningen am Bodensee.
Scheuchzer verkannte diesen Fund als Gebeine eines in der Sintflut
ertrunkenenen Menschen (Homo diluvii testis).
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Stadtarzt und Chorherr Johann Jakob Scheuchzer (1672– 1733) – doch heute schmunzelt man auch über ihn. Scheuchzer erklärte nämlich allen Ernstes, mehrere unter dem Galgenberg der fränkischen Stadt Altdorf geborgene Wirbel gehörten zum Beingerüst eines verruchten Menschen- kindes aus der Sintflut, um dessen Sünde willen das Un- glück über die Welt hereingebrochen sei. Ähnlich äußerte er sich 1726 über fossile Reste eines Riesensalamanders aus den tertiären Süßwasserablagerungen von Öhningen am Bodensee.
Um 1712 wies der Altdorfer Arzt und Mineraloge Johann Jacob Baier (1677–1735), der die Gesteinsbildungen und Fossilien der Jurazeit in Ober- und Mittelfranken untersuch- te, zu Scheuchzers großem Ärger nach, dass solche gehöhlten Wirbelpaare nie und nimmer den Körper eines Menschen getragen haben konnten. Baier bestimmte die Ichthyo- saurierkochen als Fischwirbel.
Allmählich zogen immer mehr Paläontologen die rich- tigen Schlüsse über die Fossilien. Sie verglichen die Kno- chen mit heute lebenden Tieren und kamen vielfach zu immer noch gültigen Erkenntnissen. Schließlich bot die Evolutionstheorie von Charles Darwin (1809–1882) gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts den theoreti- schen Hintergrund für die korrekte Interpretation der Fossilienfunde. Vor Irrtümern sind die Paläontologen frei- lich auch heute noch nicht völlig gefeit.
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Christian Morgenstern (1871–1914)
Das Einhorn
Von Christian Morgenstern (1871–1914)
Das Einhorn lebt von Ort zu Ort nur noch als Wirtshaus fort.
Man geht hinein zur Abendstund und sitzt den Stammtisch rund.
Wer weiß? Nach Jahr und Tag sind wir auch ganz wie jenes Tier.
Hotels nur noch, darin man speist – (so völlig wurden wir zu Geist).
Im „Goldenen Menschen“ sitzt man dann und sagt sein Solo an ...
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Darstellung des Einhorns (Monoceros) aus dem Werk „Historiae Animalium; liber primus,
qui est de quadrupedibus viviparis“ (1551) von Konrad Gesner (1516 – 1565)
Es war nie lebendig zu fangen
Die Mär vom sagenhaften Einhorn
Das Einhorn gleicht dem Pferde, ist nur ein wenig grö- ßer, weiß am Körper und rötlich am Kopf. Seine Au- gen sind blau und auf der Stirn trägt es ein einziges, mäch- tiges, eine Elle langes Horn. Das Horn ist unten zunächst weiß, dann schwarz und an der Spitze feuerfarben. So be- schrieb im Detail wahrscheinlich als erster der Leibarzt der Perserkönige Artaxerxes II. und Darios II., Ktesias von Knidos, um 400 vor Christus das Einhorn. Nachzulesen ist seine Beschreibung in „Indika“, einer fabelhaften Beschrei- bung Indiens und seiner Kreaturen.
Die Legenden von diesem merkwürdigen Fabeltier geister- ten mehr als 2000 Jahre lang durch die menschliche Phan- tasie, bis es endlich als nicht existent entlarvt wurde. Be- cher, die aus dem Horn eines Einhorns angefertigt werden, so sagte der erwähnte griechische Arzt, schützten den Trin- ker vor Gift und Epilepsie. Das auch als „indischer Esel“ bezeichnete Tier sei jedoch außerordentlich schwer zu ja- gen, da es „ungemein flüchtig“ wäre. Es sei daher nie le- bendig zu fangen. Später kam die Mär auf, das scheue Ge- schöpf lasse sich nur zu Füßen einer Jungfrau, von deren Unberührtheit es magisch angezogen werde, gefangen neh- men.
Beiläufig und trocken erwähnte der römische Feldherr Cäsar (100–44 v. Chr.) das Einhorn in seinem Bericht
„Der gallische Krieg“, in dem er seine Feldzüge gegen
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Indisches Panzer-Nashorn, Lithographie von
Karl Joseph Brodtmann (1787 – 1862) aus „Naturhistorische Bilder Gallerie aus dem Thierreiche“
um 1824
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