Drakons Gesetzgebung und ihre Stellung in der solonischen Rechtskodifikation


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die drakontischen Gesetze
2.1 Drakon als Gesetzgeber und sein Gesetz über die vorsätzliche
Tötung
2.2 Weitere Gesetze Drakons: Diebstahl und Müßiggang
2.3 Die vorsätzliche Tötung

3. Das drakontische Blutrecht in der Rechtskodifikation Solons
3.1 Diebstahl und Ehebruch in den solonischen Gesetzen
3.2 Die vorsätzliche Tötung bei Solon

4. Fazit

5. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Unbestritten ist in der Forschung die Bedeutung Solons für das Werden des athenischen Staates und seines Rechtswesens. Ziel von Solons umfangreicher Rechtskodifikation war es, die damals angespannte soziale und politische Lage in Athen zu entschärfen. Die Wirkung seiner Gesetze, die fast alle Lebensbereiche umfassten, war weitreichend, da sie die Grundlage für das griechische Recht in klassischer Zeit bildeten.

Jedoch war Solon nicht der Erste, der den Athenern geschriebenes Recht gab. Wenige Jahre vor dessen Wahl zum Archon und Diallaktes („Versöhner“) im Jahr 594/93 v. Chr. hatte bereits Drakon ein Gesetz über Tötungsdelikte erlassen. Bemerkenswert an seinem Gesetz war, dass es die Willensrichtung des Täters berücksichtigte und damit erstmals zwischen vorsätzlicher, unvorsätzlicher und gerechtfertigter Tötung unterschied. Mit diesem Gesetz schuf Drakon die Basis für die spätere Blutgerichtsbarkeit.

Von Drakons Gesetzeswerk ist allerdings nur noch ein Fragment mit der Satzung erhalten, welche die unvorsätzliche und die gerechtfertigte Tötung regelt. Deshalb ist in der Forschung umstritten, ob auch ein drakontisches Gesetz über die vorsätzliche Tötung, also den Mord, existiert hat.[1] Einige Äußerungen antiker Autoren legen zudem die Existenz weiterer Gesetze Drakons nahe, die sich durch besondere Härte ausgezeichnet haben sollen. So seien relativ geringfügige Vergehen wie Diebstahl und Untätigkeit unterschiedslos mit dem Tode bestraft worden.[2] Zudem findet sich in Plutarchs Solon-Biographie der Hinweis, Solon habe mit Ausnahme des Blutrechts alle anderen Gesetze Drakons aufgehoben und zwar wegen der besagten Härte der Strafen. Auch Aristoteles berichtet von einer Aufhebung der drakontischen Gesetze durch Solon.[3] Dementsprechend wird teilweise auch in der Forschungsliteratur die Ansicht vertreten, Drakon habe ein umfangreiches Gesetzeswerk erlassen, das von Solon weitestgehend aufgehoben wurde.[4]

Die vorliegende Arbeit möchte darum die Frage beantworten, ob tatsächlich eine umfangreiche Revision beziehungsweise Aufhebung der Gesetze Drakons durch Solon erfolgte und nur noch das drakontische Blutrecht erhalten blieb. Weiterhin soll untersucht werden, wie umfassend Drakons Gesetz über Tötungsdelikte war und ob darin auch der Mord geregelt wurde oder eine gesetzliche Regelung der vorsätzlichen Tötung erst aus späterer Zeit stammt, beispielsweise von Solon.

Einige Probleme für die Beantwortung dieser Fragen ergeben sich aus der bereits erwähnten dünnen Quellenlage, sowohl was das drakontische Gesetz über die Tötung als auch die Gesetze Solons angeht. Die Forschung ist hier zu einem großen Teil auf Rekonstruktionen angewiesen, die notwendig spekulative Elemente enthalten.[5] Diese lückenhafte Überlieferung bietet einen breiten Interpretationsspielraum. Dementsprechend breit gefächert sind die Ansichten in der Forschung und sichere Antworten schwierig. Ziel soll es dennoch sein, durch genaue Betrachtung und vorsichtiges Abwägen der Argumente und Ansichten zu möglichst plausiblen Antworten auf die formulierten Fragen zu kommen.

Hierzu ist es sinnvoll, zunächst knapp die äußeren Umstände von Drakons Tätigkeit als Gesetzgeber und die Überlieferung des erhaltenen Gesetzestextes darzustellen, worauf eine kurze Wiedergabe des Gesetzes über die unvorsätzliche Tötung und dessen Interpretation folgen. Anschließend soll untersucht werden, ob es tatsächlich Gesetze Drakons gab, die Diebstahl und Müßiggang mit der Todesstrafe ahndeten. Daran knüpfen sich Überlegungen, ob und wie von Drakon die vorsätzliche Tötung geregelt wurde. Im Anschluss daran kann überprüft werden, ob eine Revision der drakontischen Gesetze durch Solon tatsächlich stattfand, welche Gültigkeit Drakons Blutrecht in Solons Gesetzgebungswerk weiterhin hatte und ob und wie Solon das Blutrecht durch eigene Gesetze erweiterte.

2. Die drakontischen Gesetze

2.1 Drakon als Gesetzgeber und sein Gesetz über die unvorsätzliche Tötung

Über die Person Drakons ist in der Forschung nur wenig bekannt. Es ist unwahrscheinlich, dass er das Amt eines Thesmotheten bekleidete, da diese kein neues Recht schufen, Drakon aber mit der Berücksichtigung der Willensrichtung und der rückwirkenden Kraft seines Gesetzes genau das tat, auch wenn er in vielen Aspekten auf das Gewohnheitsrecht zurückgriff. Für seine Gesetzgebung hatte er deshalb vermutlich spezielle Vollmachten erhalten.[6] Die antiken Quellen datieren Drakons Gesetzgebung mit dem Amtsjahr des Aristaichmos, welches für das Jahr 621/20 v. Chr. vermutet wird.[7]

Ziel von Drakons Blutrecht war nicht die Ahndung des Tötungsdeliktes, sondern eine Kanalisierung und Einschränkung der traditionellen Blutrache und damit die Sicherung des inneren Friedens der Polis.[8] Notwendig wurde diese Einschränkung der Blutrache, nachdem - wahrscheinlich im Jahr 632 v. Chr. - die Verschwörung Kylons blutig niedergeschlagen worden war, was eine endlose Kette von Blutracheakten innerhalb des Adels nach sich zog. Drakons Gesetzgebung ist wohl auf dieses Ereignis zurückzuführen.[9]

Seine Gesetze schrieb Drakon auf sogenannte Axones, drehbare, auf allen vier Seiten beschriftete Holzblöcke mit eingefügten Achsen. Im Jahre 409/8 v. Chr. wurde der Gesetzestext aufgrund eines Volksbeschlusses in eine Marmorstele gemeisselt und auf der Agora aufgestellt. Der Text dieser Stele ist heute nur noch fragmentarisch erhalten, konnte jedoch aus überlieferten Prozessreden ergänzt werden und gilt als gut rekonstruiert. Erhalten ist nur der erste Axon des Gesetzes, der die unvorsätzliche und gerechtfertigte Tötung regelte. Diesem Axon folgt die Überschrift „Zweiter Axon“, dessen Text allerdings nicht mehr erhalten ist, und was in der Forschung zu den erwähnten Diskussionen über eine mögliche Regelungen der vorsätzlichen Tötung führte.[10]

Die erhaltene Satzung unterschied die unvorsätzliche und die gerechtfertigte Tötung, wobei als gerechtfertigte Tötung die Notwehr, die Tötung des bei der Tat ergriffenen Diebes und die Tötung des bei der Tat ergriffen Ehebrecher galten.[11] Als unvorsätzliche Tötung galt die fahrlässige Tat z. B. bei Wettkämpfen, im Krieg oder im Kampf.[12] Einzelne Studien gehen davon aus, dass auch Affekthandlungen als nichtvorsätzliche Tötung bewertet wurden.[13]

Das Gesetz legte zudem ein verbindliches Verfahren für die Blutrache fest. Eingeleitet wurde dieses durch die sogenannte Prorrhesis: Ein bestimmter Verwandtenkreis des Getöteten oder ersatzweise zehn Phratriegenossen, wenn von den Verwandten niemand mehr lebte, bezichtigten den mutmaßlichen Täter in der Volksversammlung oder auf der Agora der Blutschuld. Sodann erging an ihn die Aufforderung, künftig die Volksversammlung, die Agora und alle Heiligtümer zu meiden. Mit diesem Verfahren kündigten die Verwandten an, dass sie ihr traditionelles Recht auf Blutrache in Anspruch nahmen. Waren Blutfehden jedoch bis dahin eine Privatsache zwischen dem Täter und den Verwandten des Getöteten, wurden sie nun einem genau geregelten Racheverfahren unterworfen. Nach Drakons Satzung war der Täter bis zum Prozess vor der Blutrache geschützt, wenn er sich von den besagten Orten fernhielt. Das Gerichtsverfahren lief in zwei Schritten ab. Zunächst stellten die Basileis in einem formalen Verfahren die Täterschaft des Beschuldigten fest.[14] Anschließend entschieden die 51 Epheten über die Willensrichtung des Täters und damit darüber, ob vorsätzliche, unvorsätzliche oder gerechtfertigte Tötung vorlag.[15]

Bei einer gerechtfertigten Tötung erlosch der Anspruch der Verwandten auf Blutrache und der Totschläger blieb unbehelligt. Bei nichtvorsätzlicher Tötung musste der Täter Attika verlassen, wobei ihm für den Weg ins Exil Sicherheit garantiert wurde. Auch im Exil selbst genoss der Täter Schutz vor Blutracheakten, sofern er sich von grenznahen Plätzen und religiösen Festen fernhielt. Die gleiche Regelung galt auch für den Anstifter eines Tötungsdeliktes. Hielt sich der Täter an ihm verbotenen Stätten auf oder kehrte er unerlaubt nach Athen zurück, war seine straffreie Tötung durch jeden Athener oder seine Abführung zu den Elfmännern zur Hinrichtung möglich. Lediglich seine Misshandlung war untersagt. Hielt sich der Täter jedoch an die Vorschriften und wurde er dennoch getötet, galt diese Tat als die Tötung eines unbescholtenen Bürgers. In einem solchen Fall war wiederum das Ephetenkollegium für das Verfahren zuständig.[16]

[...]


[1] Ein Gesetz Drakons über die vorsätzliche Tötung vermuten u. a. Stroud, Ronald S., Drakon´s Law on

Homicide (=University of California Publications: Classical Studies 3), Berkeley u. a. 1968, S.

30-40 (nachf.: Stroud); Ruschenbusch, Eberhard, Phonos. Zum Recht Drakons und seiner Bedeu-

tung für das Werden des athenischen Staates, in: Historia 9 (1960), passim (nachf.: Ruschenbusch,

Phonos); Weilwei, Karl-Wilhelm, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Groß-

polis, Darmstadt 1992, S. 143-144 (nachf.: Welwei).

[2] Aristot. pol. II 12, 1274b 16-18; Plut. Sol. 17, 1-4.

[3] Plut. Sol. 17,1; Aristot. Ath. pol. 7,1.

[4] So hält Swoboda die Mitteilung über drakontische Gesetze zu Diebstahl und Müßiggang für glaub-

haft. – Busolt, Georg / Swoboda, Heinrich, Griechische Staatskunde. Zweite Hälfte: Darstellung

einzelner Staaten und der zwischenstaatlichen Beziehungen, München 1926, S. 815 (nachf.: Swo-

boda). Stroud, S. 77-82, vermutet zudem eine Regelungen des Verfahrens gegen Usurpatoren.

[5] Die maßgebliche Ausgabe von Drakons Gesetz über die Tötung stellt Stroud dar. Eine Rekonstruk-

tion von Solons Gesetzeswerk hat Ruschenbusch vorgenommen. – Ruschenbusch, Eberhard, Solon-

os nomoi. Die Fragmente des solonischen Gesetzgebungswerkes mit einer Text- und Überliefe-

rungsgeschichte (=Historia-Einzelschriften 9), Wiesbaden 1966 (nachf.: Ruschenbusch, SN).

[6] Welwei, S. 138.

[7] Aristot. Ath. pol. 4,1. Ausführlicher zur Datierungsfrage: Stroud, Drakon´s Law, S. 66-70.

[8] Ruschenbusch, Phonos, S. 152. Jedoch wird in einigen Studien auch die Ansicht vertreten, dass

Drakons Gesetz einen Strafanspruch der Polisgemeinschaft geltend gemacht hätte, wie das Kapitel

über die Regelung der vorsätzlichen Tötung noch verdeutlichen wird.

[9] Diese Ansicht ist in der Forschung weitestgehend akzeptiert, lediglich Ruschenbusch, Phonos,

S. 147, ist der Meinung, dieses Ereignis habe nichts mit Drakons Tätigkeit zu tun.

[10] Hölkeskamp, Karl-Joachim, Drakon, in: Grosse Gestalten der griechischen Antike, hg. v. Kai

Brodersen, München 1999, S. 79-84 (nachf.: Hölkeskamp).

[11] Aristot. Ath. pol. 57,3; Demosth. XXIII 53; Stroud, S. 6-7 u. 56-58. Schmitz, Winfried,

„Drakonische Strafen“. Die Revision der Gesetze Drakons durch Solon und die Blutrache in Athen,

in: KLIO. Beiträge zur Alten Geschichte 83,1 (2001), S. 12-13 (nachf.: Schmitz, „Drakonische Stra-

fen“), vermutet, dass Tötung eines ergriffenen Diebes nur bei nächtlichem Diebstahl straffrei war.

[12] Stroud, S. 56-58; Swoboda, S. 809; Schmitz, Winfried, Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft im

archaischen und klassischen Griechenland, Berlin 2004, S. 154 (nachf.: Schmitz, Nachbarschaft).

[13] Welwei, S. 139; Latte, Kurt, Der Rechtsgedanke im archaischen Griechentum, in: Antike und

Abendland 2 (1946), S. 92-93 (nachf.: Latte, Rechtsgedanke).

[14] In der Forschung ist umstritten, ob hiermit neben den Archon Basileis auch die Phylobasileis

gemeint sind. Hierzu z. B. Stroud, S. 45-47; Schmitz, „Drakonische Strafen“, S. 25-27; Gagarin,

Michael, Drakon an Early Athenian Homicide Law (=Yale Classical Monographs 3), New Haven

u. a. 1981, S. 46-47 (nachf.: Gagarin).

[15] Hölkeskamp, S. 83. Der gesamte noch erhaltene Teil des Gesetzestextes findet sich zudem in eng-

lischer Übersetzung bei Stroud, S. 6-7, hier spez. Z. 12-13, 20-26.

[16] Welwei, S. 139-141; Stroud, S. 6-7, Z. 11, 26-30.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Drakons Gesetzgebung und ihre Stellung in der solonischen Rechtskodifikation
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Friedrich-Meinecke-Institut)
Veranstaltung
PS: Solon und die älteste Demokratie der Weltgeschichte
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V54239
ISBN (eBook)
9783638494915
ISBN (Buch)
9783656779971
Dateigröße
421 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Drakons, Gesetzgebung, Stellung, Rechtskodifikation, Solon, Demokratie, Weltgeschichte
Arbeit zitieren
Tatjana Schäfer (Autor:in), 2004, Drakons Gesetzgebung und ihre Stellung in der solonischen Rechtskodifikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54239

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