Alkoholkonsum im Jugendalter - Besteht ein Unterschied im Trinkverhalten von italienischen und deutschen Jugendlichen?


Mémoire de Maîtrise, 2005

107 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Trinkkulturen
2.1 Typologien der Trinkkulturen
2.2 Verschiedene Trinkkulturen europäischer Länder
2.3. Die Rolle des Alkohols in Gesellschaft und Kultur
2.3.1 Die symbolischen Funktionen von Alkohol
2.3.2 Orte des Alkoholkonsums
2.4 Trinkverhalten in Italien und Deutschland
2.4.1 Die Rolle des Alkohols in der italienischen Kultur
2.4.2 Die Rolle des Alkohols in der deutschen Kultur

3. Alkoholkonsum im Jugendalter
3.1 Was heißt Jungsein in der heutigen Zeit?
3.2 Dimensionen des Alkoholkonsums
3.2.1 ‚Normaler’ Konsum
3.2.2 Schädlicher Konsum
3.2.3 Binge-Drinking
3.2.4 Alkoholabhängigkeit
3.3 Überblick über Einflussfaktoren auf den Alkoholkonsum im
Jugendalter
3.3.1 Die Arbeit von Sieber (1993)
3.3.1.1 Initiations- und Progressionsstudien
3.3.1.2 Das methodische Vorgehen von Sieber
3.3.1.3 Das Elternhaus
3.3.1.4 Beruflicher Status und Schulbildung der Eltern
3.3.1.5 Einstellungen der Eltern bezüglich des Konsums
3.3.1.6 Alkoholkonsum im familiären Umfeld (Eltern,
Verwandte)
3.3.1.7 Problemindikatoren der Schule
3.3.1.8 Beziehung zu Freunden
3.3.1.9 Unkonventionelle Lebenseinstellung und Lockerung der
sozialen Integration
3.3.1.10 Reiz- und Risikoorientierung, Extraversion und
Aggressivität
3.3.1.11 Indikatoren emotionaler Labilität und Insuffizienz
3.3.1.12 Persönliche Einstellung zum Konsum

4. Methodische Aspekte beim Ländervergleich des Alkohol­­konsums von Jugendlichen bei den Studien ESPAD und HBSC
4.1 Hintergrund der Studien
4.2 Zu beachtende methodische Aspekte
4.2.1 Interpretation von international vergleichenden Studien und
Entwicklungen
4.2.1.1 Repräsentativität
4.2.1.2 Reliabilität (Zuverlässigkeit)
4.2.1.3 Validität (Gültigkeit)
4.2.1.4 Vergleichende länderübergreifende Surveys
4.3 Spezifische methodische Aspekte der HBSC-Studie
4.3.1 Stichprobenauswahl
4.3.1.1 Italien
4.3.1.2 Deutschland
4.3.2 Instrumente der Datenerhebung
4.3.3 Reliabilität und Validität
4.4 Spezifische methodische Aspekte der ESPAD-Studie
4.4.1 Stichprobenauswahl
4.4.1.1 Italien
4.4.1.2 Deutschland
4.4.2 Instrumente der Datenerhebung
4.4.2.1 Italien
4.4.2.2 Deutschland
4.4.3 Reliabilität
4.4.3.1 Italien
4.4.3.2 Deutschland
4.4.4 Validität
4.4.4.1 Italien
4.4.4.2 Deutschland
4.5 Statistische Vergleiche der Ergebnisse aus HBSC und ESPAD für Italien und Deutschland
4.6 Zusammenfassung

5. Alkoholkonsum bei Jugendlichen in Italien und Deutschland:
Ergebnisse der Studien HBSC und ESPAD

5.1 Trinkverhalten der Jugendlichen
5.1.1 Häufigkeit des Alkoholkonsums
5.1.2 Trinkmengen
5.1.3 Trunkenheit
5.1.4 Alter beim ersten Konsums und der ersten Trunkenheit
5.1.5 Ort der letzten Trinkgelegenheit
5.1.6 Wirkerwartungen
5.1.7 Erfahrungen mit persönlichen alkoholbedingten Problemen
5.1.8 Risiko von Alkoholkonsum
5.1.9 Erhältlichkeit von Alkohol
5.2 Diskussion der Studienergebnisse
5.2.1 Erster Konsum und Regelmäßigkeit des Alkoholkonsums
5.2.2 Art der Getränke
5.2.3 Menge des konsumierten Alkohols
5.2.4 Trunkenheit
5.3.5 Alter bei erstem Konsum und erster Trunkenheit
5.2.6 Trinkorte
5.2.7 Einstellung zum Alkohol
5.2.8 Limitationen der Studien
5.3 Schlussfolgerung

6. Prävention
6.1 EAAP – der Präventionsplan der WHO und seine Ziele für die Jugend
6.1.1 Begründung
6.1.2 Ziele
6.1.3 Maßnahmen
6.2 Gibt es Optionen für eine effektivere Prävention?

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Schon für die frühen Hochkulturen ist der Gebrauch von Alkoholika belegt.[1] So bekunden zum Beispiel 6000 Jahre alte babylonische Keilschriften, dass Arbeiter und Beamte Anteile ihres Lohnes in Bier ausgezahlt bekamen.[2] Auch im antiken Griechenland und Rom war Wein schon ein beliebtes Getränk. Solange es den Alkoholkonsum gibt, solange sind auch die körperlichen, sozialen und seelischen Schäden die durch fehlerhaften Umgang mit Alkohol entstehen können, bekannt.[3] Dennoch ist Alkohol in den meisten der heutigen westlichen Gesellschaften eine legale Alltagsdroge[4], obwohl er mittlerweile als die gefährlichste psychoaktive Substanz gesehen wird.[5]

„Kinder erfahren in der Regel bereits in frühen Lebensjahren den Alkohol als sozial eingewobenes und akzeptiertes Genussmittel.“[6] Demzufolge sind auch schon Kinder und Jugendliche den Gefahren und Risiken ausgesetzt, welche der Umgang mit Alkohol mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass besonders in diesem Bereich eine wirksame Prävention notwendig ist, welche den Jüngsten unserer Gesellschaft einen verantwortungsvollen Umgang mit der Droge Alkohol ermöglicht. Nur so können die Risiken und negativen Konsequenzen, die sich dann vor allem im Erwachsenenalter bemerkbar machen, in größtmöglichem Maße zu begrenzen.

Der Kontinent mit dem heute weltweit höchsten Alkoholkonsum ist Europa.[7] Schätzungen besagen, dass in manchen europäischen Ländern 6% der Gesamtmortalität auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind.[8] Zwar ist der generelle Pro-Kopf-Konsum in Europa nach Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation in den letzten Jahren gesunken[9], der Alkoholkonsum der jugendlichen Europäer ist allerdings angestiegen.[10]

Da schon im Kindes- und Jugendalter der Grundstein für einen ungünstigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen und demzufolge auch mit Alkohol gelegt wird, wird diese Entwicklung als äußerst alarmierend angesehen.[11] Der Entwicklung präventiver Maßnahmen basierend auf den Kenntnissen von Daten hinsichtlich des Alkoholkonsums bei Jugendlichen wird heutzutage eine große Bedeutung zugeschrieben.[12] Um die Effektivität solcher Programme jedoch in Bezug auf die einzelnen europäischen Länder einschätzen zu können, ist es notwendig, sich mit den kultur- und länderspezifischen Konsummustern auseinander zu setzten. Denn auch innerhalb der europäischen Kulturen gibt es durchaus Unterschiede bezüglich des Konsums von Alkohol.[13][14]

Doch sind diese Unterschiede im Konsumverhalten der Jugend in den verschiedenen Ländern noch vorhanden? Und wenn ja, in welchem Maße? Hat sich in der jüngsten Generation durch die Globalisierung und die in vielen Bereichen vollzogene Vereinheitlichung und Angleichung an eine generelle europäische Norm möglicherweise auch eine Angleichung hinsichtlich des Trinkverhaltens und des Alkoholkonsums entwickelt?

Um diese Frage zu klären werde ich mich in meiner Arbeit mit dem Vergleich des Trinkverhaltens der Jugendlichen in Italien und Deutschland beschäftigen.

Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit einigen Theorien, die zur Bearbeitung dieser Frage nötig sind. Im zweiten Teil wende ich mich dann aktuellen sozial-epidemiologischen Studien und empirischen Daten zu, um die Frage nach einem unterschiedlichen Trinkverhalten italienischer und deutscher Jugendlicher zu beantworten.

In Kapitel 2 werde ich zunächst auf die unterschiedlichen Trinkkulturen eingehen, und den kulturellen Hintergrund für die Gegenüberstellung von Italien und Deutschland beleuchten. Insbesondere werde ich hier die Rolle und Funktion des Alkohols und kulturelle Einflüsse auf das Trinkverhalten der jeweiligen Bevölkerung beschreiben.

Im darauf folgenden Kapitel versuche ich, den Begriff ‚Jugend’ und seinen Gebrauch im Rahmen dieser Arbeit zu erklären. Außerdem gebe ich einen Überblick über mögliche Einflussfaktoren, welche den Alkoholkonsum Jugendlicher beeinflussen können, um eine Grundlage für die nachfolgende Auseinandersetzung mit dem Trinkverhalten Jugendlicher zu schaffen.

Das vierte Kapitel beschreibt die methodischen Aspekte der Studien HBSC und ESPAD, anhand deren Ergebnisse ich die aktuelle Situation hinsichtlich des Alkoholkonsums der deutschen und italienischen Jugendlichen darstellen werde. In diesem Zusammenhang setze ich mich insbesondere auch mit den möglichen methodischen Problemen dieser beiden Studien auseinander.

In Kapitel 5 beschreibe ich die Ergebnisse der Studien HBSC und ESPAD und versuche vor diesem Hintergrund die Frage nach einem bestehenden Unterschied im Trinkverhalten Jugendlicher in Italien und Deutschland zu beantworten.

Da basierend auf den Daten der früheren HBSC- und ESPAD-Studien der Europäische Aktionsplan Alkohol 2000-2005 entwickelt worden ist, werde ich im letzten Kapitel dieses Programm kurz vorstellen. Ich werde es dann in Zusammenhang mit den aktuellen Daten bringen und mich kritisch damit auseinandersetzen.

2. Trinkkulturen

2.1 Typologien der Trinkkulturen

Jede Kultur hat eine bestimmte Einstellung zum Konsum von Alkohol. Pittman hat Kulturen anhand ihrer unterschiedlichen Einstellungen zum Alkoholgenuss in ein Schema eingestuft, welches vier verschiedene Trinkkulturen definiert.[15]

1. Die kulturelle Einstellung gegenüber jeglichem Alkoholgenuss ist negativ und verbietet ihn teilweise sogar mit Androhung drastischer Sanktionierungen. Diese Art von Kultur kann als Abstinenzkultur bezeichnet werden.
2. Die kulturelle Einstellung in Bezug auf das Trinken von Alkohol zeigt einen Konflikt zwischen gleichzeitig nebeneinander existierenden Wertestrukturen. Dies kann man als Ambivalenzkultur bezeichnen. Es gibt hier keine eindeutige Einstellung, die alle Mitglieder der Gesellschaft vertreten, sondern es gibt Regeln bezüglich der Gesamtgesellschaft, denen Regeln in gewissen Teilgesellschaften oder Subkulturen widersprechen.
3. Die kulturelle Einstellung lässt Alkoholkonsum zwar zu, lehnt jedoch Trunkenheit und andere pathologische Erscheinungen vehement ab. Dies nennt Pittman Zulassungskultur oder Permissivkultur. Hier wird der Konsum zwar gewährt, es werden jedoch auch Grenzen festgelegt (z.B. Jugendschutzgesetz). Die Mittelmeerländer, unter anderem Italien, werden zu dieser Form der Trinkkultur gezählt.[16]
4. Nach der kulturellen Einstellung ist der Verzehr von Alkohol zulässig, sie lehnt auch Trunkenheit und sogar pathologisches Trinken nicht ab. Dieser Kulturtyp wird als Zulassend-Funktionsgestört bzw. als funktionsgestörte Permissivkultur bezeichnet. Doch in keiner heutigen Gesellschaft findet sich diese Trinkkultur vollständig ausgeprägt. Deutschland nimmt nach Schmidt[17] eine Zwischenstellung zwischen Permissivkultur und funktionsgestörter Permissivkultur mit Tendenz zu Letzterer ein.

Innerhalb dieser sozialkulturellen Kontexte werden verschiedene Trinkmotivationen verwirklicht, die Bales in drei Grundmuster basierend auf der jeweiligen Bedeutung des Alkohols einteilt:[18]

1. Gesellschaften, in denen der Konsum rituell begründet ist. Hier wird nur
im Rahmen bestimmter Zeremonien getrunken, wobei das Trinken einer starken sozialen Kontrolle unterliegt. Diese Form findet man zum Beispiel in der orthodoxen jüdischen Kultur.[19]
2. Wird der Alkoholkonsum ohne strikte zeremonielle Regelungen in den
Alltag eingebaut und folgt er tradierten Trinksitten, so spricht man von sozial-konvivialem Konsum. Bei dieser Konsumform ist eine gemäßigte soziale Kontrolle gegeben. Als Beispiel für diese Gesellschaften kann Italien genannt werden, wo ein hoher Weinkonsum vorliegt, der sich jedoch auf die Mahlzeiten beschränkt.[20] Ob diese Einschränkung wirklich noch immer zutrifft, das wird in den folgenden Kapiteln anhand aktueller Daten zu diskutieren sein.
3. Als dritte Form des Alkoholkonsums wird der utilitaristische Konsum
gesehen. Hierbei wird Alkohol mit Entspannung, Stimulation, Enthemmung oder Angstreduktion assoziiert. Der Konsum in diesen Gesellschaften, wie er zum Beispiel in den USA zu finden ist, ist ein eher persönlicher Vorgang und wird nicht so sehr mit gesellschaftlichen Ereignissen in Verbindung gebracht. Er unterliegt somit auch kaum einer sozialen Kontrolle.[21]

Es wird also deutlich, dass Alkoholkonsum stark durch soziokulturelle Einflüsse determiniert und modifiziert wird. Werte, Normen und Traditionen sind dabei keine unmittelbar wirkenden Faktoren, sondern sie bereiten als gesellschaftliche Rahmenbedingungen dem individuellen Konsumverhalten das Feld.

2.2 Verschiedene Trinkkulturen europäischer Länder

Wenn man versucht, sich mit der Thematik zu beschäftigen, welche Rolle der Alkohol in den europäischen Ländern - in diesem Falle insbesondere in Italien und Deutschland - einnimmt, so findet man sehr schnell heraus, dass die Zahl der Arbeiten, welche sich mit diesem Thema beschäftigen wider Erwarten sehr gering ist. Einen guten Überblick liefert hier der Report to the Amsterdam Group des Social Issues Research Centre in Oxford, welcher sich ausführlich mit den Social and Cultural Aspects of Drinking befasst.[22]

In Anbetracht der Tatsache, dass die europäischen Länder im internationalen Vergleich zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Alkoholkonsum zählen[23][24], sollte man eigentlich davon ausgehen, dass ein dementsprechend großes Interesse an sozialen und kulturellen Aspekten in Verbindung mit dem Alkoholkonsum besteht. Doch die Literatur zeigt, dass auf diesem Gebiet bisher sehr wenige wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt worden sind. So sind die meisten der nationalen und länderübergreifenden Studien über Trinkverhalten in Europa rein quantitativer, epidemiologischer Natur. Diese Studien liefern keinen oder nur minimale Einblicke in den sozialen Kontext bzw. die Rolle des Alkoholkonsums in den jeweiligen Kulturkreisen.[25]

Es ist nur eine sehr ungenaue und nicht repräsentative Darstellung des Trinkverhaltens bestimmter Bevölkerungen möglich. Bei den wenigen Alkoholstudien, die spezifisch soziokulturell orientiert waren, wurden in den meisten Fällen nur ethnografisch begrenzte Studiengruppen in bestimmten Regionen oder nicht-repräsentative Subkulturen untersucht, was Aussagen über die Hauptströmungen im kulturellen Kontext nicht ermöglicht.[26]

Die einzige aktuelle soziokulturell fokussierte Arbeit, die sich mit den in der Bevölkerung dominierenden Trinkkulturen in verschiedenen europäischen Ländern beschäftigt, ist das International Handbook on Alcohol and Culture von Heath.[27] Obwohl dieses bei weitem die momentan informativste Quelle darstellt, liefert auch diese nur Beiträge mit einer relativ geringen Seitenzahl zu den jeweiligen Ländern. Bezüglich des Trinkverhaltens in Deutschland ist diese Arbeit außerdem wenig nützlich, da sie ausschließlich die Kneipenkultur beschreibt, welche wiederum nicht mehr als die in der heutigen Bevölkerung dominierende Trinkkultur angesehen werden kann. Näher eingehen werde ich auf diese Thematik in Kapitel 2.4.2.

Der in der erwähnten Arbeit vorliegenden Untersuchungslage zufolge wäre eine umfassende systematische Untersuchung über die sozialen und kulturellen Aspekte des Alkoholkonsums in Europa äußerst wünschenswert. Des Weiteren wäre es wichtig, diese Untersuchung auch für anhaltende Beobachtungen von Verschiebungen und Veränderungen in den Trinkkulturen in den europäischen Ländern beizubehalten, wobei die Konzentration hierbei insbesondere auf die Auswirkungen kultureller Konvergenz gelegt werden müsste.[28]

Da der Fokus meiner Arbeit auf dem Vergleich von Italien und Deutschland liegt, werde ich im Folgenden versuchen, anhand der aktuell zur Verfügung stehenden Literatur, eine konzentrierte Darstellung der Trinkkulturen in Italien und in Deutschland zu liefern.

2.3 Die Rolle des Alkohols in Gesellschaft und Kultur

2.3.1 Die symbolischen Funktionen von Alkohol

In verschiedenen Kulturen genießen verschiedene alkoholische Getränke ein verschiedenes Ansehen. So wird ein bestimmtes Getränk häufig mit bestimmten Bedeutungen, Anlässen oder Situationen in Verbindung gebracht.[29]

Am bekanntesten ist hier vielleicht die Einstufung von Art und Bedeutung eines Anlasses anhand der Getränkeform. So ist zum Beispiel in den meisten westlichen Kulturen das Trinken von Champagner oder Sekt assoziiert mit besonderen Feierlichkeiten, die sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld stattfinden.

Eine spezielle Rolle spielt die Wahl des Getränkes, da sie häufig als Indikator des sozialen Status wahrgenommen wird. Besonders teure Getränke werden zum Beispiel mit einem elitären, hohen Status in Verbindung gebracht. Auch wird davon ausgegangen, dass fremde Getränke einen höheren Status verleihen, als lokale Getränkesorten.[30] So würde man zum Beispiel für Menschen mit höherem sozialem Status in Deutschland eher erwarten können, dass sie importierte Weine trinken, während Personen mit geringerem Sozialstatus eher Bier bzw. lokale Weine konsumieren würden. Untersuchungen ergaben in Europa einen generellen Trend, dass Leute mit höherem Bildungsniveau öfter die in ihrer Region ‚neuen’ Getränke konsumieren als die Leute mit geringerer Bildung, welche eher zu den traditionellen Landesgetränken tendieren. Für Europa bedeutet dies, dass im Norden in Kreisen mit höherer Bildung auf Wein zurückgegriffen wird, während es im Süden in dieser Schicht eher einen Trend zum Bierkonsum gibt.[31]

Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, Generation, Klasse, Subkultur oder Nation und die damit assoziierten Werte und Einstellungen können sich durch die Wahl eines bestimmten Getränkes manifestieren. Das Nationalgetränk eines Landes steht zum Beispiel oft symbolisch für positive, teilweise idealisierte Vorstellungen eines Landes, einer Bevölkerung oder einer Kultur.[32]

So repräsentiert zum Beispiel für schottische Hochländer ihr Whisky traditionelle Werte wie Gleichheit, Großzügigkeit und Männlichkeit. Wird so ein ‚dram’ abgelehnt, bedeutet dies gleichzeitig die Ablehnung dieser hoch geschätzten Werte.[33] Die Ablehnung aber auch gerade der Konsum eines landestypischen Getränkes ist somit oft ein symbolisches Handeln. Vor allem dann, wenn ‚neue’ Getränke mit modernem Lebensstil und Werten in Verbindung gebracht werden.

Aus Spanien gibt es Berichte, wonach viele Jugendliche neben der Art des Getränkes auch die fremden Trinkgewohnheiten übernommen zu haben scheinen.[34] So wird immer häufiger das dort früher unbekannte Binge-Drinking[35] beobachtet, welches mit Bierkonsums und mit der englischen Trinkkultur in Zusammenhang gebracht wird.[36] Auch in Italien werden die ersten Anzeichen dieser Entwicklung beobachtet. Dieses neue Verhalten ist dabei hauptsächlich durch den sozialen Kontext beschränkt, in dem getrunken wird. Das traditionelle Getränk Wein wird in der Familie konsumiert, während die neuen Getränke vorzugsweise in anderen Kontexten, das heißt, außerhalb der Familie getrunken werden.[37]

Auch Erhebungen der WHO ergaben, dass das Trinkverhalten junger Menschen in Europa sich in den letzten Jahren verändert und zunehmend vereinheitlicht hat.[38] So ist auch in Südeuropa der Bierkonsum auf dem Vormarsch, während der Konsum von Wein und Spirituosen zurückgeht.

Das Social Issues Research Centre der Oxford University sieht vor allem bezüglich der Veränderungen im Trinkverhalten der Europäer einen erheblichen Forschungs- und Beobachtungsbedarf.[39]

2.3.2 Orte des Alkoholkonsums

Wie erwähnt[40] kann der Konsum von Alkohol als eine Art sozialer Akt bezeichnet werden. Dieser findet in keiner Kultur einfach irgendwo statt. In den meisten Kulturen bestehen bestimmte Umfelder für gemeinschaftliches Trinken.[41]

Nach dem Report to the Amsterdam Group gibt es keine systematisch international vergleichende Untersuchung bezüglich der Orte des Alkoholkonsums, und das vorhandene Material ist dementsprechend gering. Trotz dieses Mangels ziehen die Autoren jedoch einige generelle Schlüsse aus dem bisher vorhandenen Material. Zunächst ist klar, dass meistens von den verschiedenen Kulturen unterschiedlich entwickelte Orte des Alkoholkonsums bestehen. Diese Trinkorte befinden sich gewöhnlich in einem speziellen Umfeld, welches eine Welt mit eigenen Werten, Normen und Regeln jenseits der alltäglichen Welt darstellt. Außerdem sind diese Trinkorte häufig sozial integrative, klassenlose Umgebungen. Die Hauptfunktion dieser Orte scheint in beinahe allen Kulturen die Simplifizierung von sozialer Interaktion und sozialem ‚bonding’ zu sein.[42]

Die oberflächlichen Unterschiede zwischen den Trinkorten in verschiedenen Kulturen sind enorm. Da diese Unterschiede häufig die verschiedene Auffassung und Einstellung zum Alkholkonsum reflektieren, sind sie ohne Zweifel wichtig. Auch wenn Untersuchungen zufolge diese oberflächlichen Unterschiede grundlegende funktionale Ähnlichkeiten überdecken.[43]

Gesellschaften wie die südeuropäischen Länder Spanien, Italien oder Frankreich, in denen Alkohol ein traditionell akzeptiertes und moralisch neutrales Element des alltäglichen Lebens ist, tendieren zu unversteckten, gut sichtbaren Orten des gemeinschaftlichen Alkoholkonsums[44]. Der Ort des Konsums geht über in das allgemeine Umfeld und überschneidet sich mit der alltäglichen Welt, so dass „the consumption of alcohol is [as] integrated into common behaviours as sleeping or eating.“[45]

Diese Merkmale sind natürlich Verallgemeinerungen. In jeder modernen komplexen Kultur gibt es viele unterschiedliche Trinkorte. Wie die Trinkgewohnheiten werden auch die Konzepte von Trinkorten inzwischen von anderen Kulturen übernommen. So gibt es zum Beispiel in Frankreich oder Italien ‚Irish Pubs’ und in England erfreut sich das 'Cafè-Bar-Konzept' immer größerer Beliebtheit bei den Barbesitzern.[46] Dennoch tendiert die Mehrheit der Trinkorte noch dazu, die jeweiligen in der Kultur vorherrschenden Einstellungen hinsichtlich des Alkoholkonsums zumindest in den Grundzügen widerzuspiegeln.[47]

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Trinkorte ist wie schon erwähnt die Funktion des Trinkortes als eine separate Ebene außerhalb des Alltagslebens. Wie erwartet, ist dies in ambivalenten Trinkkulturen offensichtlicher als in jenen Kulturen, in denen Alkoholkonsum in das alltägliche Leben integriert ist.[48]

Doch auch in nicht ambivalenten, permissiven Trinkkulturen ist die Begrenzung der Trinkorte von sozialer Signifikanz. So bieten auch in mediterranen Ländern die ‚Bar’, die 'Birreria' oder die ‚Taverna’ ein Umfeld, das sich qualitativ von dem Umfeld zu Hause oder der Arbeit unterscheidet.[49][50][51][52] Rooney[53] bemerkte in seiner Arbeit über das Trinkverhalten der Spanier, dass „in the hospitable orbit of the tavern, one can set aside one’s usual personality and construct another one to share with associates.“

Auch in Deutschland, welches nicht zu den ambivalenten Trinkkulturen zählt[54], bieten die Trinkorte diese eben erwähnte Abgrenzung zur Welt des Alltags. Die traditionelle Kneipenkultur, wie sie in Deutschland zu finden ist, ist eines der besten Beispiele hierfür. Der Alkoholkonsum findet in einer Lokalität statt, welche abgegrenzt ist von der Außenwelt. In besonders ausgeprägten Fällen findet sogar eine geschlechtliche Trennung statt. So ziehen sich die Männer in die Kneipe zurück, während Frauen hier nur selten zu finden sind.[55] Diese hier erwähnten primären Funktionen der Trinklokalität sind gleich derer, die dem Trinken von Alkohol an sich zugeschrieben werden.[56][57][58]

Des Weiteren dienen die Trinkorte wie schon erwähnt als Lokalitäten der sozialen Integration und zur Vereinfachung von sozialer Kontaktaufnahme. Dies bestätigt Rooney[59] mit seiner Aussage, Trinkorte in Spanien lieferten „…an atmosphere of openess and social access [in which] any adult male is free to participate in barroom activity. Everyone in the tavern is free to speak to anyone else.” Ähnlich kommentierte auch Gusfield[60], dass “in the drinking arena first names are required and organisational placements tabooed.”

Diese integrativen Qualitäten führen schließlich zur oben erwähnten Schlüsselfunktion des Trinkorte und des Alkoholkonsums an sich, nämlich der Simplifizierung von sozialem ‚bonding’.[61] Die Auffassung vom „value of alcohol for promoting relaxation and sociability“[62] ist wohl eine der signifikantesten Verallgemeinerungen, die sich aus ländervergleichenden Studien hinsichtlich des Alkoholkonsums ergibt.

Der Report to the Amsterdam Group zieht auf Grund dieser Darstellungen folgenden

Schluss: „The striking dregree of functional similarity between drinking-places, across such a wide

variety of very different cultures, cannot be disregarded. Despite significant differences – and indeed diametric opositions – in cultural perceptions of alcohol, the ethnographic evidence suggests that the drinking-place meets some deep-seated, universal human needs.”[63]

2.4 Trinkverhalten in Italien und Deutschland

2.4.1 Die Rolle des Alkohols in der italienischen Kultur

Es ist interessant, dass die Prävalenz von alkoholbedingten Problemen – seien sie sozialer, psychischer oder physischer Art – nicht in Beziehung zum Pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol in einem Land steht. So weisen die mediterranen Länder oft einen hohen Pro-Kopf-Konsum auf, und dennoch stehen sie hinsichtlich des problematischen Konsums eher hinter anderen Ländern, wie zum Beispiel Irland, die bei geringerem Durchschnittsverbrauch eine andere Art des Konsums aufweisen.[64]

Wie Eingangs dieses Kapitels erläutert, gehen Pittman und Bales davon aus, dass alkoholbedingte Probleme, aber auch der generelle Umgang mit Alkohol stark von kulturellen Faktoren abhängig sind, wie z. B. Glaube, Einstellung, Normen und Haltung gegenüber dem Trinken.[65][66]

Nach der Einteilung von Pittman kann die italienische Trinkkultur wohl am ehesten als eine Permissivkultur bezeichnet werden,[67] was bedeutet, dass sie dem gemäßigten Verzehr alkoholischer Getränke insgesamt positiv gegenüber steht. So beruft sich Pittman zum Beispiel ausdrücklich auf Lolli, welcher postulierte, dass in Italien praktisch in allen sozialen Kontexten der Gebrauch von alkoholischen Getränken üblich ist.[68]

In der Tat ist der Konsum von Alkohol Bestandteil der italienischen Kultur, da Wein einen festen Bestandteil der Mahlzeiten darstellt. Er wird somit regelmäßig vom Großteil der Bevölkerung in Zusammenhang mit der täglichen Nahrungsaufnahme konsumiert.[69] Auch Spirituosen wie Aperitif oder Digestiv gehören häufig zu den Mahlzeiten. Demzufolge stellt das Trinken von Alkohol eine wichtige und gewohnheitsmäßige Komponente im sozialen Leben dar. Alkohol ist nicht nur ‚Ehrengast’ bei bestimmten Anlässen wie Geburtstagen, Hochzeiten oder Ähnlichem, sondern er wird in Form von Wein und Spirituosen bei ganz alltäglichen Gelegenheiten getrunken.

Wie oben erwähnt, bezeichnet Pittman Italien als eine Permissivkultur, da hier Alkoholgenuss zwar erlaubt ist, Trunkenheit jedoch abgelehnt wird. In der aktuelleren Literatur, welche sich mit der Rolle des Alkohols in der italienischen Kultur befasst, wird jedoch darauf hingewiesen, dass bei bestimmten Anlässen auch Trunkenheit akzeptiert ist.[70] Das heißt allerdings nicht, dass die italienische Kultur negative Folgen von starkem Trinken inzwischen einfach übersieht oder toleriert. In gewissem Sinne haben die Italiener ihre eigenen Kontrollmechanismen in Bezug auf den Gebrauch von Alkohol entwickelt. So gibt es in Italien den so genannten ‚regulierten Missbrauch’. Dies bedeutet, dass es bestimmte Anlässe gibt, bei denen von den Anwesenden geradezu erwartet wird, sich zu betrinken.[71] Zu diesen Gelegenheiten zählen vor allem die ‚rites of passage’[72], bei welchen Heranwachsende ihren Eintritt ins Erwachsenenleben zelebrieren, wie zum Beispiel bei Hochzeiten oder beim Eintritt in den Wehrdienst.

Der schon erwähnte Konsum von Wein in Verbindung mit Essen ist ein weiterer bemerkenswerter Kontrollmechanismus des Alkoholgebrauchs in der italienischen Kultur. Dies wird besonders deutlich durch das weit verbreitete Sprichwort: „Never drink wine between meals.“[73] Dadurch wird das Trinken auf die Essenszeiten beschränkt und somit die Trinkmenge kontrolliert, da hier nur moderate Mengen konsumiert werden, die keine Trunkenheit zur Folge haben.

Die Sozialisation des Alkoholkonsums beginnt in Italien häufig damit, dass die Kinder schon in sehr frühem Alter am Weinglas der Eltern nippen dürfen. Während dieses Prozesses lernt das Kind, dass exzessiver Alkoholgenuss nicht akzeptiert und moralisch falsch ist. Diese Werte werden tief internalisiert, weil sie durch wichtige sozialisierende Einrichtungen, wie zum Beispiel die katholische Kirche, Bildungseinrichtungen und generalisierter, alle Lebensbereiche umfassende soziale Kontrolle, verstärkt werden.[74] Auch wenn Trunkenheit bei einigen bestimmten Anlässen toleriert wird, so verhindern sozialer Druck sowohl aus dem Elternhaus als auch aus der Peer-Gruppe wiederholte Episoden dieses Verhaltens.[75]

Untersuchungen in Italien fanden einen weiteren erwähnenswerten Faktor heraus, der wohl auch mit den oben erwähnten Trinkgewohnheiten in Verbindung zu bringen ist. Diesen Untersuchungen zufolge besteht in Italien – im Gegensatz zu anderen Ländern wie zum Beispiel England[76], Skandinavien, Amerika und Australien[77] – nahezu kein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Alkohol und aggressivem oder unsozialem Verhalten[78], sondern das Trinkverhalten ist friedlich und harmonisch.[79]

2.4.2 Die Rolle des Alkohols in der deutschen Kultur

Es ist auffällig und in gewisser Weise auch interessant, dass sich meine Suche nach einer Beschreibung einer deutschen Trinkkultur, ähnlich wie sie für Italien vorliegt, relativ schwer gestaltete. Grund hierfür ist wahrscheinlich, dass Alkohol in den meisten Teilen Deutschlands nicht als Bestandteil der Mahlzeiten gesehen wird. Der Konsum von Alkohol ist damit hierzulande kein in die Esskultur eingebettetes Verhalten und findet deshalb nicht im Rahmen eines alltäglichen, durch kulturelle Normen und Traditionen festgelegten Vorgehens statt. Alkoholkonsum in Deutschland ist also durch die täglich gelebte Kultur weniger festgelegt und definiert. Die Alkoholaufnahme ist entsprechend in Deutschland wesentlich seltener von Mahlzeiten begleitet, als dies in Italien der Fall ist.[80] Sie ist von diesem ja durchaus als Kontrollmechanismus[81] wirksamen Zusammenhang dissoziiert.

Auch in Deutschland sind viele Trinkanlässe gesellschaftlicher Art. Geburtstage, familiäre Feste und die schon erwähnten ‚rites of passage’[82] finden nur selten nicht in Verbindung mit Alkoholkonsum statt. Anders als in Italien wird jedoch in Deutschland relativ regelmäßig abends vor dem Fernseher oder nach Feierabend zur Entspannung Alkohol getrunken. Der Konsum findet generell in Deutschland bevorzugt abends statt[83], während er sich in Italien über den gesamten Tag verteilt, da er mit Mahlzeiten in Verbindung steht.

Wie auch in Italien ist bei festlichen, vor allem familiären Anlässen leichte Trunkenheit akzeptiert. Sie ist teilweise sogar die Regel. Dies weitet sich in jedoch in Deutschland auch auf generelle gesellschaftliche Anlässe aus, wie Betriebsfeste, Vereinstreffen und ähnliches. Auch an Feiertagen wie Sylvester oder an regionalen Festen wie dem Oktoberfest oder Karneval ist Trunkenheit ein gesellschaftlich akzeptiertes und häufig sogar gezielt angestrebtes Verhalten. Hierbei wird sogar ein gelegentliches ‚Über-die-Stränge-schlagen’ akzeptiert.[84]

Andererseits ist Toleranz gegenüber einem Rausch aber nur unter diesen relativ eng begrenzten Rahmenbedingungen vorhanden[85]. Diesen Trinkgewohnheiten zufolge ist es nicht leicht, einen nicht gesellschaftskonformen oder von diesen Normen abweichenden Konsum zu erkennen und zu differenzieren. Anders als in Italien ist in Deutschland der Konsum weniger durch gesellschaftliche Normen geregelt, er findet in weniger überschaubaren Mengen zu weniger überschaubaren Anlässen statt, wodurch Kontrollmechanismen, wie sie in Italien beschrieben wurden, deutlich schwächer wirksam sind.

In der Einteilung der Trinkkulturtypen nach Pittman und Bales wird Deutschland eine Zwischenstellung zwischen Permissivkultur und funktionsgestörter Permissivkultur zugesprochen.[86]

3. Alkoholkonsum im Jugendalter

Ich werde mich mit dem Thema des Alkoholkonsums bei Jugendlichen in Deutschland und Italien vor allem mit Blick auf den aktuellen, in Studien erhobenen Konsum auseinandersetzen. Für ein tiefer gehendes Verständnis der Thematik müssen jedoch auch die verschiedenen Faktoren, die einen Einfluss auf das Konsumverhalten haben, zumindest kurz betrachtet werden. Ein detailliertes Eingehen auf diese Faktoren wird im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich sein, da der Fokus auf dem Vergleich der – hypothetisch unterschiedlichen – Konsumgewohnheiten von Jugendlichen in Deutschland und Italien liegen soll. In den hierfür herangezogenen Studien werden jedoch praktisch nur Prävalenzen untersucht und berichtet. Den intrapersonellen Faktoren wird in diesen Querschnittstudien keine Beachtung geschenkt, und auch die Umweltvarianz[87] wird nur in geringem Maße in die Analysen mit einbezogen.

Diese Faktoren sind jedoch ohne Zweifel in der Auseinandersetzung mit jugendlichem Alkoholkonsum zu beachten. Daher werde ich in Kapitel 3.1 zunächst die Lebensphase Jugend mit den in ihr entstehenden Entwicklungsaufgaben definieren. In Kapitel 3.2 werden die unterschiedlichen Dimensionen des Alkoholkonsums dargestellt, woraufhin in 3.3 ein Überblick über die möglichen Einflussfaktoren auf den Alkoholkonsum im Jugendalter gegeben wird.

3.1 Was heißt Jungsein in der heutigen Zeit?

Um verstehen zu können, welchen Stellenwert der Konsum von Alkohol bei den Jugendlichen der heutigen Zeit hat, ist es sinnvoll, zunächst zu definieren, was Jungsein heute eigentlich bedeutet.

Auf den ersten Blick, scheint die Bezeichnung ‚Jugend’ ein eindeutiger Begriff zu sein. Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch fest, dass es für diese Lebensphase keine allgemein zutreffende und festgelegte Definition gibt. Wie auch alle anderen Phasen des Lebens ist die Jugend nicht allein durch biologische Faktoren definiert. Vielmehr spielen kulturelle, wirtschaftliche und generationsbezogene Rahmenbedingungen eine bedeutsame Rolle.[88]

Eine tiefergehende Diskussion der Definition der Lebensphase Jugend würde über den Rahmen meiner Arbeit hinausführen. Daher will ich versuchen, den Begriff ‚Jugend’ in Anlehnung an Hurrelmann[89] anhand der ihm zugeschriebenen Aufgaben zu klären.

Der Ausdruck ‚Jugend’ benennt relativ unbestimmt die Lebensphase innerhalb welcher der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein vollzogen wird.[90] Heute hat der Begriff jedoch nicht mehr in erster Linie den Charakter dieses Überganges vom Kind zum Erwachsenen, sondern er markiert eine eigenständige Lebensphase.[91]

Jugendliche sind zwar keine Kinder mehr, ihnen wird aber auch noch nicht der gleiche Status zugesprochen wie einem Erwachsenen. Es ändern sich die Rechte und Pflichten im gesellschaftlichen Umfeld.

Der Jugendliche bekommt dabei neue Rollen zugeordnet und er wird mit neuen Anforderungen konfrontiert. Diese Übernahme und Akzeptanz von neuen Rollen kann sich häufig als sehr problematisch erweisen, so dass ein ‚Rollenvakuum’ zwischen Kindheit und Erwachsenenstatus entsteht.[92]

Hurrelmann teilt die Entwicklungsaufgaben für die Lebensphase Jugend in vier Bereiche auf.[93]

1. Der Jugendliche muss eine intellektuelle und soziale Kompetenz entwickeln, damit er eigenständig schulischen und später beruflichen Anforderungen gerecht werden kann. Dazu müssen die individuellen Leistungskompetenzen anwachsen. Der Jugendliche muss- anders als im Kindesalter- unabhängig von den Eltern Lernleistungen erbringen. Das Niveau dieser erwarteten Lernleistung steigt stetig. Am Ende dieser Entwicklung soll der Jugendliche in der Lage sein, die eigene Leistungsfähigkeit selbstständig zu bestimmen und die Verantwortung für die eigene Laufbahn eigenständig zu übernehmen.[94]
2. Der Jugendliche muss ein inneres Bild von der Geschlechterzugehörigkeit entwickeln. Das heißt, er löst sich von der engen Bindung zum Elternhaus und lernt das Akzeptieren von körperlicher Veränderung, das Aufbauen sozialer Bindungen zu Gleichaltrigen sowohl des eigenen als auch des anderen Geschlechts und das Aufbauen einer hetero- oder homosexuellen Partnerbeziehung.
3. Der Jugendliche muss lernen, ein selbstständiges Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes zu entwickeln und ein verantwortungsbewusstes Verhältnis zu Geld zu bekommen. Dadurch erlangt er einen kontrollierten und bedürfnisorientierten Umgang mit dem Angebot des Konsummarktes, was auch den Umgang mit psychoaktiven Substanzen beinhaltet.
4. Der Jugendliche muss ein Werte- und Normsystem und ein ethisches und politisches Bewusstsein entwickeln, damit er in der Lage ist, die ihm von der Gesellschaft zugetragenen Rollen eigenverantwortlich zu übernehmen.

Jugend ist nach diesem Verständnis also die gesellschaftlich zugestandene Phase des Ausprobierens und Herausfindens. Diese Phase nimmt in der heutigen westlichen Gesellschaft jedoch eine extreme Ausdehnung an.

Auch in früheren Generationen hatte die Lebensphase Jugend zwar vergleichbare Aufgaben, doch wurde dieser Prozess durch gesellschaftliche Normen stärker geleitet und kontrolliert. Es gab weniger Optionen und Möglichkeiten der Auswahl, und somit häufig auch weniger Schwierigkeiten bezüglich der Entscheidungen. Auf der anderen Seite fehlte dementsprechend aber auch die enorme Handlungsfreiheit, welche für die Jugendphase der heutigen Zeit so kennzeichnend ist.

Früher war der Eintritt ins Erwachsenenalter im Allgemeinen klar definiert durch Heirat und Beruf. Heute fragt man sich hingegen, ob eine 21-jährige Studentin weniger erwachsen ist, als ein Schreinergeselle, der das erste Kind erwartet und in Kürze seine Meisterprüfung ablegt.[95]

Galten soziale Stellung und gesellschaftliche Rollenfunktion früher als wesentliche Merkmale des Erwachsenseins, so ist heute das wichtigste Kriterium wohl der persönliche Reifegrad des jungen Menschen, der ihn in die Lage versetzt, die Anforderungen, die an einen Erwachsenen in unserer heutigen Gesellschaft gestellt werden, zu bewältigen.

Die sich ändernden Ansprüche, Aufgaben und Herausforderungen können von den Jugendlichen als beängstigend erlebt werden oder zu einer Überforderung führen. Alkoholkonsum ist in manchen Fällen ein Mittel, um diese Unsicherheiten und Schwierigkeiten zu bewältigen, da seine potenziell spannungsreduzierende Wirkung willkommen ist.[96]

[...]


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[95] Stimmer, Müller-Teusler 1999; S. 37.

[96] Stimmer, Müller-Teusler 1999; S. 23.

Fin de l'extrait de 107 pages

Résumé des informations

Titre
Alkoholkonsum im Jugendalter - Besteht ein Unterschied im Trinkverhalten von italienischen und deutschen Jugendlichen?
Université
University of Münster
Note
1,3
Auteur
Année
2005
Pages
107
N° de catalogue
V54247
ISBN (ebook)
9783638494977
ISBN (Livre)
9783638693356
Taille d'un fichier
966 KB
Langue
allemand
Mots clés
Alkoholkonsum, Jugendalter, Besteht, Unterschied, Trinkverhalten, Jugendlichen
Citation du texte
Sabrina Hense (Auteur), 2005, Alkoholkonsum im Jugendalter - Besteht ein Unterschied im Trinkverhalten von italienischen und deutschen Jugendlichen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54247

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