Die Rolle der Firma Bosch im Zweiten Weltkrieg. Der Stuttgarter Boschkreis im Widerstand gegen Hitler


Bachelorarbeit, 2011

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Quellenlage

III. Die Rolle der Firma Bosch als Unternehmen für die Wirtschaft
1. Unternehmen in der NS-Forschung
2. Robert Bosch und die Entwicklung seiner Firma
3. Rüstungswirtschaft
4. Zwangsarbeiter bei Bosch

IV. Die Gr ündung des Stuttgarter Boschkreises
1. Der Widerstand des Boschkreises
2. Die Zusammensetzung
3. Mitgliedschaft in der NSDAP
4. Die Judenhilfe
5. Auslandsreisen des Boschkreises

V. Die Beziehungen Goerdelers zum Boschkreis
1. Goerdelers Biographie
2. Goerdelers Anstellung bei der Firma Bosch
3. Goerdelers Arbeit für Bosch
4. Der Boschkreis und das Attentat vom 20. Juli

VI. Schluss

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Im Jahr 2011 feiert die Firma Bosch aus Stuttgart ihr 125-jähriges Firmenjubiläum und gleichzeitig den 150sten Geburtstag des Firmengründers Robert Bosch. Erstaunlicherweise ist der von der Firma ausgehende Widerstand gegen den Nationalsozialismus ein weitgehend unbekanntes Phänomen. Um den Firmengründer Robert Bosch sammelte sich ein sogenannter Stuttgarter Boschkreis, der während des Dritten Reiches Pläne gegen Hitler und für eine Nachkriegsordnung schmiedete, Juden finanziell half und den Widerstand im Reich unterstützte. Im Gegensatz zu vielen anderen Verschwörern, die erst in einer ausweglosen Kriegssituation Widerstand zu leisten begannen, startete der Boschkreis seine konspirative Tätigkeit 1936/1937 schon vor dem Kriegsbeginn. Eine wichtige Rolle spielte die Anstellung des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeisters Carl Friedrich Goerdeler, der als getarnter Berater der Firma, Friedenskontakte ins Ausland knüpfte und eine Schlüsselrolle bei der Verschwörung des 20. Juli 1944 einnahm. Nach dem Sturz Hitlers sollte Goerdeler der neue Reichskanzler werden. Auch andere Mitglieder des Boschkreises waren in der neuen Regierung als Minister vorgesehen. Zum Stuttgarter Boschkreis selbst gibt es bisher nur ein Werk des Historikers Joachim Scholtyseck mit dem Titel „Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler“1. Dabei ist die Quellenlage für den Stuttgarter Boschkreis überraschend gut, da viele Akten aus dem Unternehmensarchiv trotz der Kriegszerstörungen erhalten geblieben sind. Besonders wertvoll bei der Ausarbeitung der vorliegenden Arbeit war deshalb das Buch Scholtysecks, da er umfangreiche Recherchen in den Unternehmensarchiven von Bosch betrieb und deswegen die Arbeit des Boschkreises detailgetreu wiedergeben konnte.

Das Thema des liberalen Widerstandes im Dritten Reich ist ein in der Forschung höchst umstrittenes Thema. Joachim Scholtyseck versucht in seinem Buch den liberalen Widerstand in der Firma Robert Boschs nachzuzeichnen. Sein Werk wird von Historikern häufig dahingehend kritisiert, dass er versucht den Boschkreis klar dem liberalen Widerstand zuzuordnen, obwohl er keinen ausreichenden Nachweis für eine größere liberale Prägung des Kreises liefert. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Historiker Horst R. Sassin.2 Die ältere Forschung ging grundsätzlich davon aus, dass parteipolitisch aktive Anhänger des Liberalismus im Dritten Reich keinen Widerstand geleistet haben. Auch die dem Liberalismus nahe stehenden sozialen Gruppen wurden von Historikern wie Hans Mommsen scharf kritisiert. Er ist der Ansicht, dass keine Repräsentanten von Handwerk, Gewerbe und Industrie Widerstand leisteten.3 Als Paradebeispiel für den liberalen Widerstand gilt hingegen in der neueren Forschung die Widerstandsgruppe um Hans Robinsohn und Ernst Strassmann, die aber nur als Einzelfall angesehen wird.4 Einige Historiker argumentieren seither, dass es im liberalen Widerstand noch mehr Gruppen gab. Jürgen Frölich sieht die deutschen Liberalen im Widerstand weder besonders effektiv oder prominent, aber dafür mit wichtigen Signalen, die sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten leisteten.5 In der vorliegenden Arbeit soll eine andere Perspektive gewählt werden. Das politische Denken und der Liberalismus im Boschkreis sollen keine zentrale Rolle spielen. Stattdessen wird die Firma Bosch als ein Beispiel für ein Unternehmen dargestellt, das trotz der NS-Diktatur Mittel und Wege fand, durch den Stuttgarter Boschkreis Widerstand zu leisten.

Da bei dieser Arbeit die Unternehmensbiographie nicht im Mittelpunkt stehen soll, werden die historischen Anfänge der Firma Bosch nur kurz betrachtet. Ein Schwerpunkt wird auf die Unternehmensgeschichte im Dritten Reich gelegt, denn diese weist einige Widersprüche auf: Die Firma Bosch wurde vom Regime als Nationalsozialistischer Musterbetrieb ausgezeichnet und Robert Bosch von Hitler zum Pionier der Arbeit ernannt. Auf der anderen Seite wurde der Betriebsführer Hans Walz von der israelischen Gedenkstätte für die jüdischen Opfer nationalsozialistischer Herrschaft in Europa Yad Vashem 1969 als ‘Gerechter unter den Völkern‘ geehrt. Einerseits half die Firma Bosch jüdischen Bürgern, andererseits beschäftigte sie Zwangsarbeiter in der Firma und beteiligte sich an der profitablen Rüstungswirtschaft. Diese Widersprüche gilt es mit der vorliegenden Arbeit zu untersuchen. Zunächst soll die Quellenlage zum Thema angesprochen werden. Anschließend werden der Unternehmensgründer Robert Bosch und die Produktion in seiner Firma vorgestellt. Im nächsten Schritt wird die Rolle der Firma Bosch in der Rüstungswirtschaft beleuchtet, sowie die Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Unternehmen. Danach soll auf die Entstehung des Stuttgarter Boschkreises und seine konkreten Aktionen im Widerstand eingegangen werden. Abschließend wird die Rolle Carl Goerdelers für das Unternehmen untersucht und die Verwicklungen des Boschkreises in das Attentat vom 20. Juli.

II. Die Quellenlage

Zum Stuttgarter Boschkreis gibt es bisher nur eine Arbeit von Joachim Scholtyseck, obwohl die Quellenlage erstaunlich gut ist. Auch die Firma Bosch, die als erfolgreiches Unternehmen mit einem umfangreichen Archiv genügend Ressourcen für eine Aufarbeitung der Geschichte des Widerstands in ihrer Firma hätte, veröffentlichte bisher keine Publikation zum Widerstand während der NS-Zeit. Wichtigste Quellen sind die von einigen den Krieg überlebenden Mitgliedern verfassten Nachkriegsberichte. Viel Aufschluss geben auch die sogenannten ‚Verfolgerakten‘, die die Gestapo nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli sammelte. Diese werden ergänzt durch einige erhaltene Verhörprotokolle von verhafteten Mitgliedern des Boschkreises. Sie müssen jedoch als Quellen sehr kritisch untersucht werden, da viele unter großem psychologischem Druck, teilweise sogar unter Folter entstanden sind.6 Des Weiteren muss man bedenken, dass Verschwörer und Widerständler nur in den seltensten Fällen ihre Pläne und Gedankengänge aufgeschrieben haben. Damit wollten sie die Herstellung von gefährlichem Material verhindern, das bei einer Verhaftung in die Hände der Nationalsozialisten gefallen wäre und so nicht nur sie, sondern auch andere belastet hätte. Dementsprechend fehlen dem Historiker oftmals wichtige Quellen zu Zusammenhängen und Beweggründen, wodurch er zu Vermutungen gezwungen ist. Mit den in den Boscharchiven lagernden Akten lassen sich jedoch zumindest teilweise Schlüsse zur Motivation der Personen ziehen.

Durch die verschiedenen Auslandsverbindungen des Boschkreises entstanden auch in anderen Ländern Dokumente über den Boschkreis, die heute in Archiven lagern. Die Forschung war darüber lange kaum in Kenntnis, ehe Joachim Scholtyseck diese Akten untersuchte. Laut ihm stützen die verschiedenen während des Krieges entstandenen Akten die Nachkriegsberichte und belegen so deren Korrektheit. Seiner Ansicht nach spricht für die Glaubwürdigkeit dieser Berichte auch, dass die Mitglieder des Boschkreises beim Verfassen gar nicht ahnen konnten, dass diese später einmal überprüft werden würden.7 Durch diese Quellen lässt sich zumindest teilweise ein Bild des Stuttgarter Boschkreises zeichnen, das durch Vermutungen ergänzt werden muss.

III. Die Rolle der Firma Bosch in der Kriegswirtschaft III.1. Unternehmen in der NS-Forschung

Das Hauptaugenmerk der NS-Forschung lag bis in die 80er Jahre hinein auf dem Handeln von Großgruppen wie den Kirchen und dem staatlichen Handeln. Historiker in der DDR legten ihren Schwerpunkt auf den Widerstand kommunistischer Arbeiter gegen den Nationalsozialismus und vernachlässigten dabei andere Widerstandsgruppierungen und Opfergruppen.8 Seitdem wurde jedoch zunehmend die Wirtschaft in die Forschung mit eingebunden. Durch das Entstehen von zahlreichen Unternehmensdarstellungen, wie zum Beispiel zur Firma Krupp9, der Deutschen Bank10 und Volkswagen11 wurden immer mehr Details aus dem Wirtschaftsalltag im Dritten Reich bekannt. Gründe für die plötzlich aufkommenden Darstellungen liegen teilweise in der Entscheidung der Unternehmen, nach Jahren der Ignoranz ihre Archive zu öffnen. Andererseits spielte auch der Druck, der durch die Entschädigungsforderungen ehemaliger Zwangsarbeiter ausgeübt wurde, eine große Rolle.12

Hauptpunkt der Auseinandersetzung ist die Frage, ob und wie weit deutsche Unternehmer den Hitlerstaat begünstigten und stabilisierten. Trotzdem sind in diesem Feld viele Punkte, wie alternative Handlungsoptionen der Unternehmen gerade im Hinblick auf Zwangsarbeiter, noch unbearbeitet.13 Die meisten Industriellen vermieden den politischen Widerstand und sahen in erster Linie den möglichen Profit, der durch die Rüstungswirtschaft zu verdienen war. Damit gehorchten sie den auf Krieg ausgelegten Anforderungen des NS-Staates und halfen dem System durch ihre stabile Produktion langfristig etabliert zu bleiben.14 Nur durch die den ganzen Krieg andauernde Rüstungsproduktion war ein jahrelanges Fortführen der Kämpfe möglich.

III.2. Robert Bosch und die Entwicklung seiner Firma

Robert Bosch wurde 1861 auf der schwäbischen Alb in Albeck bei Ulm geboren.15 Im Alter von 25 Jahren gründete er seine eigene Werkstatt für Feinmechanik und Elektrotechnik in Stuttgart, die er durch eigene Ersparnisse und mit dem Erbteil seines Vaters finanzierte. Jahrelang lag sein Schwerpunkt auf der Installation von elektrischen Schwachstromanlagen, wie Türkontakten und Telefonen.16 Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte sich Robert Bosch durch verlässliche und schnelle Arbeit einen guten Ruf erwerben und mit der Herstellung von Magnetzündern ein gutes Geschäft machen. Diese Magnetzünder wurden in der ab Anfang des 20. Jahrhunderts boomenden Automobilbranche benötigt und waren schon bald in Marken wie Daimler, Fiat und Peugeot zu finden.17 Damit trat Robert Bosch den Weg von einem handwerklichen Betrieb zur Fabrik an, die er 1900 in Stuttgart bezog. Bis 1904 hatte die Firma Auslandsvertretungen in Frankreich, Holland, Schweden, England, Österreich-Ungarn und Italien. Bald darauf ließ Robert Bosch revolutionäre soziale Reformen in seiner Fabrik durchführen. 1906 führte er den ‚Achtstundentag‘ ein, um den bestmöglichen Einsatz seiner Mitarbeiter für die Fabrik zu ermöglichen. Gleichzeitig kam er damit aber auch den Arbeitern entgegen.18 In den nächsten Jahren wuchs die Firma unaufhörlich weiter und bekam durch die Entwicklung von Flugmotorzündern ein neues Aufgabenfeld. Mit dem Bau eines neuen Werkes in Stuttgart-Feuerbach lieferte Bosch nun in die USA und nach Russland. Dabei lag dem fortschrittlichen Firmengründer immer daran, die Arbeitskraft seiner Arbeiter durch soziale Maßnahmen zu erhöhen. Aus diesem Grund führte er 1910 den freien Samstagnachmittag ein, da er sich durch erhöhte Arbeitsfreude einen besseren Ertrag erhoffte.19 Als Sozialpionier war er schon bald in ganz Deutschland für seine Sozialreformen bekannt. Boschs Streben nach sozialer Gerechtigkeit war aber nicht kirchlich geprägt, da die Kirchen seine Vorstellungen von Gerechtigkeit seiner Meinung nach nicht in ihrer Gemeindearbeit umsetzten. Er glaubte zwar an Gott, war jedoch schon 1908 aus der Kirche ausgetreten.20

Während des Ersten Weltkrieges zeigte sich, wie sehr die Firma Bosch vom Auslandshandel abhängig war. 88% der Produktion wurden 1914 in 25 verschiedene Länder exportiert.21 Bosch verlor nach dem Kriegseintritt Großbritanniens und der USA die Auslandsvertretungen in den jeweiligen Ländern, da sie von den Regierungen beschlagnahmt wurden. Nach einem Absatzeinbruch zog die Bilanz bei Bosch in Deutschland jedoch wieder an, als in den Materialschlachten klar wurde, wie dringend das Militär Motoren für Flugzeuge und Kraftfahrzeuge mit Zündapparaten von Bosch benötigte. Robert Bosch selbst fasste 1916 den Entschluss, seine Kriegsgewinne in Höhe von 13 Millionen Mark in einer Stiftung für die Erbauung des Neckarkanals zu verwenden. Weitere 7 Millionen Mark spendete er für karitative Zwecke.22 Hier zeigt sich schon, wie schwierig das Wirtschaften Boschs zu beurteilen ist: Einerseits verlor Bosch die Handelsverbindungen ins Ausland, profitierte aber durch die große Nachfrage nach motorisierten Fahrzeugen und einer schnellen Umstellung der Produktion doch vom Krieg. Die Kriegsgewinne spendete er wiederum in großer Höhe.

Nach dem Krieg musste die Firma ihre Produktion auf die Friedenswirtschaft umstellen und die unruhige Zeit der Inflation überstehen. Bis 1921 entstanden in vielen Ländern neue Auslandsvertretungen der Firma, da die Markenzeichen Qualität und Zuverlässigkeit nicht vergessen worden waren. So betrug der Exportanteil bis 1925 wieder 32 % am Umsatz.23 Als sich die wirtschaftliche Lage zu bessern begann, zog sich Robert Bosch 1926 allmählich von der Führung des Konzerns zurück. Nach außen hin vertrat er zwar noch weiterhin die Firma, faktisch übernahm aber Hans Walz mehr und mehr die Verantwortung.24 In der Folge knüpfte die Firma durch die Erfindung der Batteriezündung und der Diesel-Einspritzpumpe 1927 an die Erfolge vor dem Ersten Weltkrieg an. Robert Bosch war nun in der Firmenführung entlastet und konnte sich vermehrt um Politik kümmern. Eines seiner großen Ziele war die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich. Er glaubte lange daran, dass Hitler einen Ausgleich mit Frankreich anstreben würde. Im September 1933 traf er sich zum ersten Mal zu einer Unterredung mit Hitler, die aber ergebnislos blieb. „Das will ein Staatsmann sein und weiß nicht, was Gerechtigkeit ist“25, urteilte er über Hitler. Robert Bosch verfolgte die politische Entwicklung mit wachsender Sorge. Er verabscheute den Nationalsozialismus mit seiner wirtschaftlichen Abkapselungspolitik und der staatlichen Lenkung, die allen seinen Überzeugungen widersprach. 1935 begann die militärische Aufrüstung; allgemeine Wehrpflicht und eine Arbeitsdienstpflicht wurden eingeführt. 1936 versuchte er noch einmal, der Reichsregierung seine Verbesserungsvorschläge vorzustellen, jedoch brachte das Gespräch mit dem damaligen Reichskriegsminister General von Blomberg nichts ein.26 Enttäuscht von der Politik in seinem Heimatland erklärte er 1936 seinen Rückzug aus der Politik.

Der fünfzigjährigen Jubiläumsfeier der Firma blieb die Nazi-Prominenz fern. Im selben Jahr gab er den Bau des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart in Auftrag, der 1940 abgeschlossen wurde.

Schon allein aus wirtschaftlichen Interessen war die Firma Bosch gegen einen Krieg. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Nationalsozialisten halfen zwar die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu überwinden. Die Motorisierung wurde neu gefördert, was der Firma Bosch sehr entgegenkam. Durch den Verzicht auf die Kraftfahrzeugsteuer musste die Firma jedoch vor allem das Geschäft im Inland ausweiten. Daraufhin sank der starke Exportanteil des Unternehmens von 60 % im Jahr 1932 auf 23 % im Jahr 1934.27

III.3. Rüstungsproduktion in der Firma Bosch

Betrachtet man den Widerstand des Stuttgarter Boschkreises, so muss zuerst auch auf die negativen Aspekte der Unternehmensgeschichte Rücksicht genommen werden. Bei der Firma für Feinmechanik und Elektrotechnik waren, wie in allen Rüstungsbetrieben, eine Vielzahl von Zwangsarbeitern beschäftigt. Durch den Krieg waren dringend notwendige Arbeitskräfte als Soldaten an den Kriegsschauplätzen in Europa und fehlten so den Betrieben in der Heimat. Dies zwang die Betriebe in gewisser Hinsicht auf Zwangsarbeiter zurückzugreifen, um die hochgesteckten Rüstungsziele des NS-Regimes zu erreichen. Nach außen hin wollte die Firma Bosch den Schein einer gut laufenden Rüstungsschmiede wahren. Robert Boschs letzter Sekretär Willy Schloßstein begründete dies mit den Worten: „Was ist besser, sich erwischen zu lassen oder nach außen scheinbar mitzumachen, dafür unter der Decke immer mehr zu wirken?“28

Nachdem es Hitler 1933 gelungen war, die Rüstungsbestimmungen des Versailler Friedensvertrages zu revidieren, stand die öffentliche Meinung der Bevölkerung hinter jeglichem Aufrüstungsprogramm. Die Aufrüstung wurde hierbei als Signal für das Ende der demütigenden Bestimmungen des Versailler Vertrages gesehen, der von den Siegermächten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verfasst worden war. Selbst unter einer demokratischen Regierung hätte es wohl eine Aufrüstung gegeben, um sich von den Fesseln der Rüstungsbegrenzungen zu befreien.29 Bei Betriebsführung und Unternehmensgründer gab es jedoch nach 1933 starke Vorbehalte gegen die Aufrüstung.30 Die Firma Bosch war als erfolgreiches Exportunternehmen auf gute Beziehungen zu anderen Ländern angewiesen. Robert Bosch selbst bedauerte mit seinem Unternehmen der Kriegswirtschaft dienen zu müssen. Offener Widerstand gegen die Aufrüstungspolitik war jedoch aus seiner Sicht nicht möglich. Der Firmengründer konnte sich lediglich bei einigen konkreten Anlässen beschweren, beispielsweise als wichtige Arbeiter 1938 für den Bau des sogenannten ‚Westwalls‘ abgestellt werden mussten.31 Diese ökonomisch sinnlosen Maßnahmen mussten Arbeitgeber wie Bosch jedoch hinnehmen. Um sich an das Regime anzupassen, war er gezwungen viele Kompromisse einzugehen. Die Propagandaabteilung des Regimes konnte eine Persönlichkeit wie Bosch auch nicht völlig ignorieren, sodass Robert Bosch im November 1941 als ‚Pionier der Arbeit‘ geehrt wurde und es bei seinem Tod im März 1942 einen offiziellen Staatsakt gab.32

Seit dem Tag der Nationalen Arbeit am 1. Mai 1942 durfte sich das Stuttgarter Unternehmen auch noch Nationalsozialistischer Musterbetrieb nennen. Dies spräche auf den ersten Blick dagegen, bei der Firma Bosch Widerstand gegen das Regime zu suchen. Allerdings lohnt sich hier ein genaueres Hinsehen. Erst 1942 wurde dieser Titel verliehen, obwohl die Firma schon lange Jahre für den Krieg produzierte. Des Weiteren wurde sie erst als 21. württembergischer Betrieb ausgezeichnet, obwohl Bosch eine der wichtigsten Firmen im ganzen Reich für die Rüstungsproduktion war. Kein deutscher Panzer lief ohne elektrotechnische Teile von Bosch. Vermutungen liegen hier nahe, dass eine kritische Distanz zum NS-System bestanden haben muss. Aus Propagandagründen konnte das Regime nach dem Tod Robert Boschs die hohe Bedeutung der Firma nicht länger ignorieren und deshalb wurde der Betrieb ausgezeichnet.33 Joachim Scholtyseck kommt hier zu dem Urteil, dass die Firma Bosch kaum einen anderen Weg wählen konnte: „Das Mitmachen, das bewusste Nichtwissenwollen war gleichsam die Voraussetzung für den inneren Kampf gegen das Regime“34. Auch Manfred Overesch vertritt diese Ansicht, denn seiner Meinung nach hätte die Firma ohne eine Kooperation mit dem NS-Staat nicht überleben können.35

Die Ernennung Boschs zum ‚Pionier der Arbeit‘ lässt sich mit dieser Argumentation aber nicht erklären. Er war der fünfte Träger des erst 1940 von Adolf Hitler persönlich eingeführten Abzeichens. Vielleicht stellte die Ernennung einen Versuch dar, Bosch in der Öffentlichkeit als Sozialpionier näher an das Regime heranzurücken. Schwierig bleibt in diesem Zusammenhang das Urteil über Robert Bosch. Als wohltätiger Firmenpatriarch hatte er in der Öffentlichkeit einen überaus guten Ruf. Die Auszeichnung zum Pionier der Arbeit hätte er zurückweisen können und so ein deutliches Zeichen gesetzt. Es scheint fraglich, ob das NS-Regime so weit gegangen wäre, einen derart verdienten Unternehmer Repressalien auszusetzen. In diesem Fall wollte sich Robert Bosch der Kooperation aber nicht entziehen und entschied sich für den sicheren Weg.

Zur Meinung der Firmenleitung über die Kriegsproduktion gibt es keine schriftlichen Stellungnahmen, da wohl bewusst jeder Beweis für eine Widerstandstätigkeit vermieden wurde. Dementsprechend kann ein Urteil über die Einstellung der Werksleitung bei Bosch zur Rüstung nur spekulativ gefällt werden. Von Robert Bosch ist lediglich überliefert, dass er die Schwerindustrie scharf verurteilte, die von der Kriegsproduktion profitieren wollte. Die Firma Bosch stellte in jedem Fall ihre Produktion schnell auf den Krieg um. Die Fertigung wurde bereits kurz nach Kriegsende durch die Errichtung von Außenlagern und durch Produktionsverlagerungen dezentralisiert.36 Zum einen sollte damit der Arbeitsverknappung in ländlichen Gebieten entgegengewirkt werden, zum Anderen konnten so die Folgen einer flächendeckenden Bombardierung des Unternehmens bei einem Luftangriff verringert werden. Bosch lieferte neben der Produktion wissenschaftliche Forschungsarbeit für die Rüstungsindustrie. Im Zuge der gesteigerten Produktion mussten die Arbeitsleistungen der Angestellten rapide erhöht werden.

Ab dem Dezember 1942 und der sich abzeichnenden Niederlage bei Stalingrad zeigte sich ein Wandel in der Wirtschaftspolitik der NS-Führung. Durch eine Totalisierung der Rüstungswirtschaft sollte die Herstellung von Verbrauchsgütern eingeschränkt werden und die Produktion von Rüstungsmaterial die oberste Priorität haben.37 Das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, das Albrecht Speer unterstand, wollte in der Folge die Unternehmen noch weiter lenken und überwachen. Auch Bosch drohte unter die Aufsicht des Staatsapparates zu geraten, ein Punkt den die Werksleitung immer zu verhindern suchte. Die Firma hatte sich nach einem festen vom Heereswaffenamt verfügten Produktionsplan zu halten, der im Zuge der Kriegsentwicklung immer weiter angezogen wurde. Die dadurch entstehenden Konflikte mit dem NS-Staat sind allerdings nicht als Widerstand zu werten, da es lediglich um die Autonomie der Firmenleitung ging und nicht darum, die Produktion für den Krieg zu verlangsamen oder gar zu beenden.

[...]


1 Scholtyseck, Joachim (1999): Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler. 1933 bis 1945. München.

2 Sassin, Horst R. (2001): Rezension zu: Joachim Scholtyseck. Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler 1933-1945. In: Birgit Bublies-Goday u.a. (Hgg.): Jahrbuch zur Liberalismusforschung. Baden-Baden. S. 342.

3 Mommsen, Hans (1986): Der Widerstand gegen Hitler und die deutsche Gesellschaft. In: Jürgen Schmädeke und Peter Steinbach (Hg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. München. S. 14.

4 Sassin, Horst R. (1994): Liberalismus und Widerstand. In: Peter Steinbach und Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Bonn. S. 213.

5 Frölich, Jürgen (2004): Opposition und Widerstand auf liberaler Grundlage. In: Peter Steinbach und Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933-1945.

6 Bonn. S. 180.

7 Scholtyseck, Bosch. S. 19. Ebd. S. 20.

8 Eckert, Rainer (1995): Die Vergleichbarkeit des Unvergleichbaren. Die Widerstandsforschung über die NS-Zeit als methodisches Beispiel. In: Ulrike Poppe, Rainer Eckert und Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR. Berlin. S. 70.

9 Gall, Lothar (Hg.) (2002): Krupp im 20. Jahrhundert. Die Geschichte des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung. Berlin.

10 Gall, Lothar u.a. (Hgg.) (1995): Die Deutsche Bank 1870-1995. München.

11 Mommsen, Hans; Grieger, Manfred (1997): Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich 1933-1948. Düsseldorf.

12 Kißener, Michael (2005): Das Dritte Reich. Darmstadt. S. 60.

13 Scholtyseck, Bosch. S. 8.

14 Gehrig, Astrid (1996): Nationalsozialistische Rüstungspolitik und unternehmerischer Entscheidungsspielraum. Vergleichende Fallstudien zur württembergischen Maschinenbauindustrie. München. S. 324.

15 Lessing, Hans-Erhard (2007): Robert Bosch. Reinbek bei Hamburg. S. 9.

16 Küster, Götz (1961): 75 Jahre Bosch. 1886-1961. Ein geschichtlicher Rückblick. Stuttgart. S. 15.

17 Ebd. S. 26.

18 Ebd. S. 33.

19 Ebd. S. 38.

20 Scholtyseck, Bosch. S. 27.

21 Küster, 75 Jahre Bosch. S. 43.

22 Lessing, Robert Bosch. S. 119.

23 Küster, 75 Jahre Bosch. S. 56.

24 Lessing, Robert Bosch. S. 129.

25 Zitiert nach Herdt, Hans Konradin (1986): Bosch 1886-1986. Porträt eines Unternehmens. Stuttgart. S. 85.

26 Küster, 75 Jahre Bosch. S. 73.

27 Küster, 75 Jahre Bosch. S. 72.

28 Zitiert nach Lessing, Robert Bosch. S. 136.

29 Scholtyseck, Bosch. S. 355.

30 Ebd. S. 356.

31 Ebd. S. 357.

32 Küster, 75 Jahre Bosch. S. 85.

33 Overesch, Manfred (2008): Bosch in Hildesheim 1937-1945. Freies Unternehmertum und nationalsozialistische Rüstungspolitik. Göttingen. S. 21.

34 Scholtyseck, Bosch. S. 359.

35 Overesch, Bosch in Hildesheim. S. 25.

36 Küster, 75 Jahre Bosch. S. 84.

37 Scholtyseck, Bosch. S. 360.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Firma Bosch im Zweiten Weltkrieg. Der Stuttgarter Boschkreis im Widerstand gegen Hitler
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Seminar für Zeitgeschichte)
Veranstaltung
„Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ - Protestkultur, Widerstand und Gewalt im 20. Jahrhundert
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
35
Katalognummer
V542913
ISBN (eBook)
9783346206718
ISBN (Buch)
9783346206725
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Robert Bosch, Hitler, Widerstand, Firma Bosch, Stuttgarter Boschkreis, Judenhilfe, Zwangsarbeit, Rüstungswirtschaft, Carl Goerdeler, liberaler Wiederstand, Únternehmensgeschichte, 20. Juli, Stauffenberg, Hans Walz
Arbeit zitieren
Michael Hellstern (Autor:in), 2011, Die Rolle der Firma Bosch im Zweiten Weltkrieg. Der Stuttgarter Boschkreis im Widerstand gegen Hitler, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/542913

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