Sportliche Talentförderung als Kooperationsaufgabe von Schule und Verein. Eine vergleichende Analyse der Förderkonzepte zweier Fußballvereine


Examensarbeit, 2004

101 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Talentproblematik
2.1 Dimensionen von Talent
2.1.1 Der statische Talentbegriff
2.1.2 Der dynamische Talentbegriff
2.2 Die vollständige Definition von Talent

3. Ein wirksames Talentkonzept
3.1 Talenterkennung
3.1.1 Aspekte der Talenterkennung
3.1.2 Indetermination
3.2 Talentförderung
3.2.1 Strategien der Talentförderung
3.2.2 Trainingsprinzipien für junge Sportlerinnen und Sportler
3.2.3 Der langfristige Leistungsaufbau
3.2.4 Das soziale Umfeld
3.2.5 Talentprognose

4. Kooperation Schule - Verein
4.1 Entwicklung
4.2 Organisation
4.3 Ziele der Kooperation Schule / Verein - verdeutlicht am Kooperationsprogramm Baden - Württemberg
4.4 Allgemeinpädagogische Sichtweise
4.5 Aspekte der Sportpädagogik
4.6 Schule und Leistungssport
4.6.1 Entwicklung
4.6.2 Ansprüche an die Schule/Schulsport
4.7 Flankierende Maßnahmen juveniler Leistungssportlerinnen und -sportler
4.7.1 Organisationsmodelle
4.7.2 Partnerschulen des Leistungssports
4.7.3 Sportinternate
4.7.4 Sportbetonte Schulen
4.7.5 Sportmedizinische Betreuung
4.7.6 Pädagogische und soziale Betreuung
4.8 Kriterien zur Erfüllung eines Talentförderkonzepts

5. Talentsichtung und Talentförderung an der Freiburger Fußballschule

6. Das Förderkonzept der TSG Hoffenheim

7. Bewertung

8. Zusammenfassung

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Motivation für die Wahl dieses Themas resultiert aus zwei Gründen: Zum einen habe ich im Verlauf meines bisherigen Studiums an einem Seminar über Talentförderung im Sport teilgenommen, das mich dazu bewogen hat, mich mit dieser Thematik näher auseinanderzusetzen. Zum anderen habe ich - schon lange vor der Entstehung dieser Arbeit - großen Gefallen an der Philosophie der ortsansässigen Freiburger Fußballschule gefunden, die für ihre Talentschmiede bekannt ist.

Talentförderung verfolgt immer ein bestimmtes Ziel, auf das von der frühesten Jugend an der Schwerpunkt gelegt wird. Ziel ist es nämlich, den zu Fördernden durch langfristige Arbeit derart zu unterstützen, dass eines Tages Erfolge auf nationaler oder sogar internationaler Ebene erzielt werden können.

Talentförderung und Leistungssport sind also voneinander abhängig, wobei letzteres gleichzeitig seinen Ursprung im Alltagssport bzw. Schulsport findet.

Dieses Thema scheint mir sehr wichtig, da es Schülerinnen und Schüler, Eltern, Sportlehrkräfte und Lehrkräfte betrifft. Die Sportlehrkräfte übernehmen dabei die Funktion des Motivators, um talentierte Schülerinnen und Schüler zum Leistungssport anzuregen. Eine Sportlehrkraft sollte abschätzen können, ob ein Kind für eine bestimmte Sportart geeignet ist und es dementsprechend für den Spitzensport animieren. Sollte es bereits in der Klasse ein Kind geben, das Sport leistungsorientiert ausübt, so müsste die Lehrkraft sich über die zusätzlichen Belastungen, denen das Kind ausgesetzt ist, im Klaren sein und ihm Verständnis und Hilfe entgegenbringen.

Die Schule trägt also in Zusammenarbeit mit den Vereinen und Verbänden dazu bei, eine pädagogisch verantwortungsvolle Talentförderung sicherzustellen.

Ziel der Arbeit ist es, dem Leser die Möglichkeit aufzuzeigen, wie eine Talentförderung unter Berücksichtigung der Schule aussehen kann. Adressaten sollen dabei in erster Linie Lehrkräfte, Eltern, Trainerinnen und Trainer sein, die mit dem Sportler ständig in Kontakt stehen. Aus diesem Grund bedarf es genauester Informationen für diese verantwortungsvollen Personen.

Beginnen möchte ich die Arbeit mit dem theoretischen Teil der Talentproblematik, um den Leser mit dem Talentbegriff vertraut zu machen. Auf dieser Basis gehe ich über zu einem theoretischen Talentkonzept, das ich unter den Aspekten der Talenterkennung, Talentförderung und Talentprognose darstellen werde.

Die Kooperationsaufgabe von Schule und Verein soll einen zentralen Aspekt dieser Arbeit ausmachen. Wie bekommt man Leistungssportsport und Schule unter einen Hut ? Schulversäumnisse, Nachhilfeunterricht, Versetzungsprobleme usw. sind Problemfaktoren, mit denen der Sportler konfrontiert wird. Hierfür sind schulische Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung des Leistungssports von Nöten, die wohl am zweckdienlichsten mit Hilfe von leistungssportorientierten Einrichtungen in Form von Internaten erfüllt werden.

Einrichtungen dieser Art werde ich im praktischen Teil der Arbeit vorstellen. Dabei habe ich die Talentförderkonzepte der Freiburger Fußballschule und der TSG Hoffenheim ausgewählt, die ich anhand bestimmter Kriterien vergleichen und bewerten werde. Dabei wird klar, dass es unterschiedliche Modelle in der Talentförderung gibt.

Ich habe die beiden Förderkonzepte aus dem Fußballsport ausgewählt, da ich selbst aktiver Fußballer bin und mir vorstellen kann, die Rolle des Fußballtrainers einmal zu übernehmen. Als vereinserfahrener Spieler und potentieller Trainer bin ich mir auf der einen Seite den Interessen des Vereins bewusst. Als angehender und verantwortungsbewusster Pädagoge weiß ich auf der anderen Seite, dass mein Handeln von den zukünftigen Interessen der mir anvertrauten jungen Menschen bestimmt sein muss. Die dabei entstehende Nahtstelle könnte zu einer interessanten Aufgabe für mich persönlich werden.

2. Die Talentproblematik

Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Talentproblematik erfolgt in der Regel, um Talente rechtzeitig zu entdecken und sie in einem bestimmten Handlungsfeld zu fördern. Die Talentproblematik hat sich daher in den letzten Jahren zu einem sehr bedeutenden Thema in der Talentförderung des Hochleistungssports entwickelt. Dasselbe gilt auch für andere Bereiche, in denen Höchstleistungen erbracht werden, wie z.B. in der Musik oder in den Naturwissenschaften. Man meint damit Personen mit besonderen Veranlagungen oder Fähigkeiten, von denen man sich bei einer gezielten Förderung auf einem bestimmten Gebiet überdurchschnittliche Leistungen verspricht. Bei der Bearbeitung des Talentbegriffs stoßen wir allerdings auf Schwierigkeiten, da „es bisher keinen operrationalisierten Talentbegriff gibt und somit adäquate Messvorschriften , Beobachtungskategorien, leistungsdiagnostische Verfahren oder Normen der Talentbestimmung fehlen“ (Martin, Nicolaus, Ostrowski & Rost 1999, S. 157).

Der Begriff des Talents wird mit einem Phänomen gleichgesetzt, das uns jedoch relativ unbekannt ist. Trotzdem gibt es in der Praxis des Sports unzählbare solcher Talente. Bei der Annäherung des Talentbegriffs spielen die Begrifflichkeiten Talent, Begabung und Eignung eine zentrale Rolle.

Möchte man die Problematik des Talentbegriffs nun theoretisch lösen, so verursachen die Begriffe Talent, Begabung und Eignung Schwierigkeiten, da es Bedeutungsunterschiede zwischen ihnen gibt. Hahn (1982) sieht allgemeine Begabung als eine Art Voraussetzung, um eine Leistung im kognitiven, emotionalen, sozialen und motorischen Bereich zu erzielen. Spezielle Begabung betrachtet er als Fundament zur Entwicklung von überdurchschnittlichen Leistungen in der Motorik und im Sport. Die dritte Begabung, die sogenannte Spezialbegabung, verbindet er mit dem Faktor Talent, das in Martin et al. „als punktuelle Disposition für einen eng begrenzten Bereich psycho- physischer Bedingungen“ (Martin et al. 1999, S.158) definiert wird.

Carl (1988) dagegen bezeichnet Talent in einfacherer Form, nämlich als Person, die die Fähigkeit besitzt, auf einem bestimmten Gebiet bei gezielter Förderung herausragende Leistungen zu erzielen.

Folgt man diesen Beschreibungen, so steht der Begabungsbegriff für die enorme Entwicklung von allgemeinen Potentialen, wogegen der Talentbegriff eine gut auszuprägende Spezifik der Fähigkeit umfasst.

Wenn ein sportliches Talent besondere Fähigkeiten besitzt, dann ist es wichtig, den Willen und die Bereitschaft aufzubringen, um diese speziellen Voraussetzungen zu entwickeln und auszuprägen. Das Talent ist hierbei besonders auf andere angewiesen, die bereit sind, es zu fördern und auf seinem Weg zu begleiten. Eine wichtige Rolle spielen dabei natürlich die Eltern, die das Talent unterstützen sollten, genauso wie Trainerinnen und Trainer sowie Lehrerinnen und Lehrer, die absolute Kompetenz auf dem entsprechendem Gebiet besitzen sollten. Aber auch Faktoren wie Schule, Motivation und Interesse dürfen nicht unterschätzt werden.

Das sportliche Talent wird von Singer genauer umschrieben, und zwar als eine Person, deren „Struktur von anatomischen - physiologischen Merkmalen, Fähigkeiten und weiteren Persönlichkeitseigenschaften mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt, dass diese Person unter bestimmten Trainings- und Umweltbedingungen das Leistungsniveau der nationalen und internationalen Spitzenklasse“ (Singer 1981, S.16) realisieren kann. Dieser Definitionsversuch zeigt, wie groß die Einwirkung der Umweltfaktoren ist.

Wie ich schon erwähnt habe, gibt es Bedeutungsunterschiede zwischen den Begriffen Begabung und Talent. Daher werden diese Ausdrücke oftmals synonym verwendet.

Dorsch (1994) sieht Begabung in Verbindung mit intellektuellen Leistungen, die sich von normalen Leistungen deutlich unterscheiden. Abgesehen von intellektueller Begabung spricht man von Begabung im musischen Sinne, von Begabung der bildnerisch - darstellenden Art und von psychomotorisch - praktischer Begabung.

An diesem Punkt kann eine Unterscheidung der Begriffe Talent und Begabung vorgenommen werden. Nach Dorsch (1994) ist Begabung auf Fähigkeiten zurückzuführen, die über der durchschnittlichen Intelligenz liegen. Talent dagegen versteht er als Begabung, die über dem Durchschnitt liegt.

Wenn Begabung jedoch Leistungen beinhaltet, die sich vom Durchschnitt nach oben abheben, so wird das Ausgangsniveau bei überdurchschnittlicher Begabung noch höher angesetzt. Folglich wird der Begriff des Talents über dem Begriff der Begabung angesiedelt.

Nicht zu vergessen ist der Begriff der Eignung, der im Sport gesondert gesehen wird. Aufgrund der Tatsache, dass sportliche Talente nicht messbar sind, wird die Eignung als Merkmal für sportliche Talente wirksam. Da bei der Talentsuche nicht nur die Besten, sondern auch die Geeigneten ausgewählt werden sollen, lohnt es sich hier, den Begriff Eignung genauer unter die Lupe zu nehmen.

Dorsch (1994) versteht Eignung als ein Attribut zur Ausstattung eines Menschen, welches mit dem Talent verbunden ist. Demnach wird Talent auf das Qualitative bezogen, Eignung dagegen auf das Quantitative.

Das sportliche Talent ist also nicht messbar, aber Eignung kann quantitativ ermittelt werden. Schnabel & Theiß dehnen den Begriff der sportlichen Eignung aus:

„Sportliche Eignung ist an die Erfüllung von Anforderungen gebunden, die sich an Leistungen orientieren. Bewertet wird sie durch den Vergleich individueller Leistungsvoraussetzungen mit objektiven Anforderungen an die Leistungsfähigkeit“ (Schnabel & Thieß 1993, S.231).

2.1 Dimensionen von Talent

Wer sich mit dem Thema Talent auseinandersetzt, muss sich mit zahlreichen Definitionen von Talent befassen. Im Folgenden werden Kennzeichen und Voraussetzungen dargestellt, die das sportliche Talent beeinflussen. Hahn (1982) glaubt, man könne so Talent aus einer Reihe verschiedener Anlagen und Voraussetzungen aus unterschiedlichen Gebieten beschreiben, die Sportlerinnen und Sportler aufweisen.

„Anthropometrische Voraussetzungen wie Körpergröße, Körpergewicht, Verhältnis von Muskel- und Fettgewebe, Körperschwerpunkt, Harmonie der Proportionen u.a.;

physische Merkmale wie aerobe und anaerobe Ausdauer, Reaktions- und Aktionsschnelligkeit, Schnelligkeitsausdauer, statische und dynamische Kraft, Kraftausdauer, Gelenkigkeit und Feinstkoordination von Bewegungen u.a.;

techno - motorische Bedingungen wie Gleichgewichtsfähigkeit, Raum-, Distanz- und Tempogefühl, Ball-, Klingengefühl, Musikalität, Ausdrucksfähigkeit, rhythmische Fähigkeiten, Gleitvermögen u.a.;

Lernfähigkeit wie Auffassungsgabe, Beobachtungs- und Analysevermögen, Lerntempo;

Leistungsbereitschaft wie Trainingsfleiß, körperliche Anstrengungsbereitschaft, Beharrlichkeit, Frustrationstoleranz;

kognitive Steuerung wie Konzentration, motorische Intelligenz, Kreativität, taktisches Vermögen;

affektive Faktoren wie psychische Stabilität, Stressbewältigung, Wettkampfbereitschaft u.a.;

soziale Bedingungen wie Rollenübernahme, Mannschaftseinordnung u.a.“ (Hahn 1982, S. 85).

2.1.1 Der statische Talentbegriff

Um ein Talent bestimmen zu können, bedarf es laut Joch (1992) vier Begrifflichkeiten, die als Bedingungen für die Definition eines Talents in Frage kommen können:

„Dispositionen, die das Können betonen,

Bereitschaft, die das Wollen hervorhebt,

soziales Umfeld, das die Möglichkeiten bestimmt und

Resultate, die das wirklich erreichte (Leistungs-)Ergebnis dokumentieren“ (Joch 1992, S.90).

Diese Termini stellen die Verfassung des sportlichen Talents dar und somit die Komponenten des statischen Talentbegriffs.

2.1.1.1 Dispositionen

Das sportliche Talent wird durch die Disposition für sportliche Höchstleistungen bestimmt.

„Wenn man jemanden als ‚Talent’ bezeichnet, so meint man damit im allgemeinen, dass diese Person auf einem bestimmten Gebiet bzw. in einer bestimmten Tätigkeit hohe Leistungen erreichen kann, aber noch nicht (unbedingt) erreicht hat, d.h. dass diese Person eine besondere Begabung für das Erreichen hoher Leistungen auf einem bestimmten Gebiet hat. Der Begriff ‚Talent’ zielt demgemäß keineswegs ausschließlich, ja nicht einmal vordergründig auf jene Personen ab, die bereits die höchsten Leistungen in einem bestimmten Gebiet realisieren, sondern auf diejenigen, die eine ‚Perspektive’ haben, beinhaltet also immer auch einen prognostischen Aspekt“ (Singer 1981, S.14).

Der Versuch dieser Definition zeigt, dass sich ein Talent über Jahre entwickeln und entfalten kann, um irgendwann Höchstleistungen zu vollbringen. Dispositionen sind somit somatische, motorische und psychische Bedingungen individueller Art, die das Können unterstreichen.

2.1.1.2 Bereitschaft

Die Existenz der Disposition alleine reicht allerdings nicht aus, um ein Talent definieren zu können. Die vorhandenen Dispositionen müssen wirksam werden, indem das Talent Willenskraft entwickelt. Singer (1981) äußert sich dazu wie folgt:

„Eine Begabungsdefinition kann sich (...) nicht nur auf die Rüstungseigenschaften, d.h. die Fähigkeiten einer Person beziehen, sondern muss auch weitere Persönlichkeitseigenschaften (Fähigkeiten sind ja auch Eigenschaften) vor allem voluntiver Art wie Willenseigenschaften, Interessen, Motive usw. einschließen. Erst aus dem Zusammenwirken der verschiedenartigsten Leistungsvoraussetzungen eines Menschen ergeben sich qualitative Leistungsvollzüge. Wenn ein qualifizierter Leistungsvollzug Definitionsmerkmal von Begabung ist, gehört die Bereitschaft, diese zu erbringen, unabdingbar zur Begabung dazu“ (Singer 1981, S.15).

Wer also sportliche Höchstleistungen erzielen möchte, der muss neben der Disposition die absolute Bereitschaft besitzen, Leistungen dieser Art absolvieren zu wollen.

2.1.1.3 Soziale Umwelt

Das sportliche Talent ist in starkem Maße abhängig von seiner äußeren Umgebung, in der es sich entwickeln soll und von der Anerkennung, die das Talent braucht. In anderen Worten ausgedrückt, das Talent kann sich so weit entfalten, wie es die Gesellschaft zulässt. Joch geht dabei sogar noch weiter und drückt es auf eine provozierende Art und Weise aus: „Jede Gesellschaft hat die Talente, die es verdient, die sie sich leisten kann (oder will) und für die sie sich engagiert“ (Joch 1992, S. 92).

Jeder Mensch , der Teil dieser sozialen Umwelt ist, hat bestimmte Wertvorstellungen, welche das Talent beeinflusst, wenn sie sich mit den Anforderungen einer Leistungsportkarriere überschneiden. Dazu gehört gewissermaßen auch die „räumliche, klimatische und sachliche Umwelt“ (Joch 1992, S. 92), da sie ebenfalls soziale Fragen nach sich zieht.

Carl (1988) beschreibt diesen Zusammenhang folgendermaßen: „Als sportliches Talent kann man eine Person mit besonderer Veranlagung oder mit besonderen Fähigkeiten zum Vollzug sportlicher Leistungen bezeichnen, von der man begründet annimmt, dass sie in einer die sportliche Leistung als besonderen Wert akzeptierenden Umwelt aufwächst und dabei in den verschiedenen Entwicklungsabschnitten, die zum Erreichen eines angestrebten mindestens überdurchschnittlichen sportlichen Leistungszustandes notwendigen sportlichen Ausbildungs- und Trainingsreize erhält“ (Carl 1988, S. 6).

2.1.1.4 Leistungsresultate

Der Begriff der Leistungsresultate ist von ungemeiner Bedeutung und vervollständigt die Talentdefinition. Dabei geht es darum, den Nachweis für die Leistungsfähigkeit des Talents zu erbringen. Talent und Leistung bedingen einander, da eine Talentförderung ohne Leistungsnachweis unvorstellbar ist. Der statische Bestandteil der Talentdefinition lässt sich zusammenfassend wie folgt beschreiben:

„Als (sportliches) Talent kann eine Person bezeichnet werden, die über (vorwiegend genetisch bedingte) Dispositionen zum Erreichen von hohen sportlichen Leistungen verfügt, die Bereitschaft mitbringt, solche Leistungen auch zu vollbringen, die Möglichkeiten dafür in der sozialen Umwelt vorfindet und letztlich mit den erzielten Leistungsresultaten den Eignungsnachweis dokumentiert“ (Joch 1992, S.93).

2.1.2 Der dynamische Talentbegriff

Zielsetzung der Talentförderung ist die sogenannte Endleistung einer Sportlerin bzw. eines Sportlers. Daher wird der dynamische Aspekt der Talentproblematik besonders gewichtet. Es handelt sich hier um Talententwicklungsprozesse. Dabei wird dieser Vorgang immer wieder aufs Neue strukturiert, da sich nicht nur die Entwicklungsvorgänge bei Kindern und Jugendlichen von Zeit zu Zeit ändern. Gleichzeitig sind die Jungtalente nämlich laufend neuen Anforderungen ausgesetzt. Folglich ergibt sich, dass schützende Maßnahmen pädagogischer Art von immenser Wichtigkeit sind, um die Talente entwicklungsgemäß zu fördern. Der dynamische Talentbegriff wird somit unter dem Aspekt der Entwicklung von Joch wie folgt definiert:

„Talententwicklung ist ein aktiver, pädagogisch begleiteter Veränderungsprozess, der intentional durch Training gesteuert wird und das Fundament für ein später zu erreichendes hohes (sportliches) Leistungsniveau bildet“ (Joch 1992, S.94).

In den folgenden drei Unterkapiteln werden die Charakteristika beschrieben, welche zur Erläuterung des dynamischen Talentbegriffs von Bedeutung sind.

2.1.2.1 Aktiver Veränderungsprozess

Joch hat erkannt, dass Talentproblematik im Sinne des aktiven Veränderungsprozesses und motorische Entwicklung miteinander verbunden sind. Beide Maßnahmen werden als „aktiver Selbstausbildungsprozess“ dargestellt (Joch 1984, S.357).

Der Veränderungsprozess beinhaltet verschiedene Etappen des Entwicklungsfortschritts inklusive Retardation (= Verzögerung) und Stagnation (=Stillstand). Darüber hinaus enthält der Veränderungsprozess sämtliche Bereiche der Individualität, jedoch in differenziertem Umfang. Der Veränderungsprozess wird im Zusammenhang mit der Talentproblematik vor allem mit der Motorik und der Entwicklung der sportlichen Leistung gesehen. Letztendlich ist dieser Prozess ein zielgerichteter Ablauf, bei dem die verlangte Zielstrebigkeit im Antrieb wiederzufinden ist. Der Aspekt der Zielstrebigkeit weist aber auch auf die Wichtigkeit des Trainings hin.

2.1.2.2 Steuerung durch Training

Die Entwicklung von Talent wird zweckbestimmt durch Training gelenkt. Talententwicklung zielt hauptsächlich nicht nur auf die Entfaltung existierender Strukturen, „sondern ein auf die sportliche Leistungsprogression zielorientiert ausgerichteter Vorgang, der den anerkannten Prinzipien der Trainingslehre folgt: Ganzheitlichkeit, Spezialisierung, Allmählichkeit, Langfristigkeit, Systematik und angemessene Häufigkeit“ (Joch 1992, S.95).

Ein Talenttraining wird allerdings nicht durchgeführt, um sofortige Erfolge und ein hohes Niveau anzustreben. Es beinhaltet vielmehr eine vorbereitende Akzentuierung, wobei das Training aus drei Komponenten besteht: das motorische Basistraining, das Grundlagentraining und das Aufbautraining. Der Begriff des Anschlusstrainings wird verwendet, wenn sich Sportlerinnen und Sportler zwischen Talent- und Hochleistungstraining befinden.

2.1.2.3 Pädagogische Begleitung

Eine sehr wichtige Maßnahme in der Talentförderung ist die pädagogische Begleitung, die von so manchen Experten in Frage gestellt wird.

Haare (1970) argumentiert jedoch für die Pädagogik, da das Training und die Erziehung gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Er sieht das Training als einen „Prozess der physischen Vervollkommnung des Menschen, der auf der Grundlage von Erziehung und Bildung (...) in voller Übereinstimmung mit dem allgemeinen Erziehungsziel“ liegt (Haare 1970, S.14).

Da die Talentförderung häufig mit Kindern stattfindet, braucht sie eine Pädagogik. Laut Joch (1992) muss dabei ein „Pädagogikverständnis“ vorherrschen,

„Für das Wettkampf und Leistung im Sport positive Werte darstellen,

Anstrengungsbereitschaft, Zielstrebigkeit und Dauerhaftigkeit erstrebenswert sind,

individuelle Grenzerfahrungen, Erfolgsstreben, und Leistungsfähigkeit mit pädagogischen Ansprüchen vereinbar sind“ (Joch 1992, S. 96).

Dies ist ein erster Ansatz für Trainerinnen und Trainer, die ohne Pädagogik nicht auskommen.

2.2 Die vollständige Definition von Talent

Die komplette Definition von Talent besteht laut Joch (1992) aus einem statischen und aus einem dynamischen Element. Beide bilden eine Einheit und sind voneinander abhängig:

„ Talent besitzt, oder: ein Talent ist, wer auf der Grundlage von Dispositionen, Leistungsbereitschaft und den Möglichkeiten der realen Lebensumwelt über dem Altersdurchschnitt liegende (möglichst im Wettkampf nachgewiesene) entwicklungsfähige Leistungsresultate erzielt, die das Ergebnis eines aktiven, pädagogisch begleiteten und intentional durch Training gesteuerten Veränderungsprozesses darstellen, der auf ein später zu erreichendes hohes (sportliches) Leistungsniveau zielstrebig ausgerichtet ist“ (Joch 1992, S.97).

3. Ein wirksames Talentkonzept

3.1 Talenterkennung

Nachdem ich in Kapitel 2.2 die Komponenten des Talentbegriffs geklärt habe, möchte ich im folgenden Kapitel das Talentkonzept vorstellen, welches sich als praxiswirksam erwiesen hat.

Zuerst einmal müssen wir uns die Frage stellen, woran ein Sporttalent überhaupt zu erkennen ist. Auf diese Frage erhalten wir unterschiedliche Antworten. Dies liegt daran, dass es dafür keine klaren Kriterien gibt. Statt dessen stoßen wir auf zufällige Merkmale, „ die sich auf körperbauliche Voraussetzungen, das (vermeintlich) genetische Potential, auf Belastungsverträglichkeit, Trainingsfleiß, hohe juvenile Leistungen, leistungsfreundliche Lebensumwelt u.v.a.m. beziehen“ (Joch 1992, S.59). Dabei ist die Vielfalt der Kriterien sportartcharakteristisch und gleichzeitig an persönliche Erfahrungen gebunden. Nebenbei argumentiert die Wissenschaft mit einer Verknüpfung von Kriterien, die sich auf herausragende Leistungen im Kindesalter beziehen und ohne großen Einsatz verbessert werden.

Bei der Bestimmung von Talent werden die Aspekte „Neigung, besonderes Interesse, Anstrengungsbereitschaft und Förderung durch die Umwelt“ in den Vordergrund gestellt (Joch 1992, S.59), so wie es auch von Michel und Novak (1983) im Sinne von Begabung formuliert ist. Folgende Kennzeichen machen dabei Begabung aus:

Das Kind zeigt schon im Vorschulalter eine auffällige Neigung, bestimmte Aufgaben zu bewältigen.

Das Kind betont die Aufgaben mit einer gewissen lustbetonten Leichtigkeit und zeigt besonderes Interesse und Anstrengungsbereitschaft, noch bessere Leistungen zu erzielen.

Begabung wird in frühen Lebensjahren entwickelt, wobei es vor allem auf die Erziehung und Förderung durch die Umwelt ankommt...“ (Michel & Novak 1983, S.43 f.).

Unter den Theoretikern gibt es also einerseits diejenigen, welche von Talentprognosen Abstand nehmen, aber andererseits auch jene, die sich auf einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad berufen. Das Prinzip der frühen Leistungsauffälligkeit wird z.B. als relativ schwaches Indiz zur Talenterkennung gezählt. Es herrscht somit eine große Prognoseunsicherheit vor, hinzu kommt noch die schon erwähnte Kriterienvielfalt. Diese Tatsache findet sich auch in Ruoff (1980/1) wieder, der die Talentthematik aus sportwissenschaftlicher Sicht „noch weitgehend in den Anfängen“ sieht. (Ruoff 1/1980 , S.36).

Demzufolge sind laut Letzelter (1981) die Funktionäre bzw. die Trainerinnen und Trainer in Verbänden und Vereinen, die sich mit der Praxis der Talentförderung befassen, gefordert und auf eigene Entscheidungen und Erfahrungen angewiesen, da eine „Theorie des sportlichen Talents“ noch nicht entwickelt wurde (Letzelter 1981, S.38). In deren Augen hat derjenige Talent, welcher sich im Wettkampfprozess des Verbandes durch Erfolge bis in die höchste Leistungsklasse durchsetzt.

Auch von Seiten der Wissenschaft existiert eine gewisse Skepsis, prognostische Aussagen anzuerkennen. Ein Vertreter dieser Gruppe ist Wendland (1986), der gegen Voraussagungen bei der Talentauswahl ist: „ Verfahren zur (...) Talentbestimmung- gleich ob statisch oder intuitiv hergeleitet- eignen sich nicht zu einer frühzeitigen Talentauswahl mit niedrigen Selektionsquoten. Entscheidungstheoretische Gesichtspunkte verdeutlichen die Risiken der fälschlichen Ablehnung potentiell erfolgreicher Sportlerinnen und Sportler “ (Wendland 1986, S.133).

Die Tatsache , dass Talenterkennung - zumindest in der Bedeutung einer Talentdefinition - jedoch immer einen prognostischen Aspekt beinhaltet, darf die Talentfrage nicht nur theoretisch als Problem der Wissenschaft gesehen werden, sondern auch unter dem Aspekt praktischer Handlungsabläufe. Somit verbindet die Talentthematik die Wissenschaft mit der Praxis. Sie darf daher nicht als reine „Theorie des sportlichen Talents“ aufgefasst werden, sondern als die Schwierigkeit, die Theorie sinnvoll mit der Praxis zu verknüpfen (Joch 1992, S.61 f.).

3.1.1 Aspekte der Talenterkennung

3.1.1.1 Leistungsauffälligkeit

Wenn eine Person sich bereits im Kindesalter durch herausragende Leistungen von anderen Kindern deutlich abhebt, so wird sie als Talent gesehen. Dies gilt nicht nur für den Sport, sondern auch für andere Bereiche wie die Musik, der Kunst oder in den Wissenschaftsgebieten, in denen die sogenannten „Wunderkinder“ in frühem Alter mit großartigen Leistungen auffallen. Der russische Schachweltmeister Kasparow ist der Meinung „wer nicht bereits mit 10 Jahren schon sehr gut spielen könne, habe keine Chance, später in die Weltklasse vorzustoßen“ (Joch 1992, S.62). Feige (1973 und 1978) zweifelt jedoch an solchen Leistungsentwicklungen, die schon im frühen Kindesalter vorkommen. Der Ausdruck „frühe Spezialisierung“ im Sinne einer frühen auffälligen Leistungsspezifik im Sport wird in der Talentthematik ablehnend gewertet, obgleich sich die Gesellschaft durch derartige Leistungen von Kindern oft beeindrucken lässt.

In der Wissenschaft gibt es jedoch kritische Erkenntnisse, laut denen sehr wenige Jugendliche den Sprung an die Spitze schaffen, die schon in den Jugendklassen ganz gestanden haben. Daher werden überdurchschnittliche Leistungen im Kindesalter mit Skepsis betrachtet und gleichzeitig als Ursache für den Verlust von Talenten ausgemacht. Somit scheint es, als ob eine ausgesprochen hohe Leistungsauffälligkeit nicht ausreichend ist, um ein Talent zu bestimmen. Demzufolge ist die sportliche Anfangsleistung Gegenstand der Talentthematik. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf die mögliche Endleistung geworfen, wobei die Gewichtung auf dem Gesichtspunkt der Förderung sowie auf dem Veränderungs- und Steigerungsprozess der Anfangsleistung liegt. Dem Veränderungsprozess wird dabei die größte Bedeutung geschenkt. Dem Talentbegriff wird also „eine dynamische Komponente und (sein perspektivischer) Charakter“ zugeschrieben (Joch 1992, S.63).

3.1.1.2 Retrospektive

Der Begriff der Retrospektive wird verwendet, um rückblickend zu erkennen, wer ein Talent ist und wer nicht. Leistungsfähigkeit im Kindesalter ist dabei kein nötiges Merkmal, aber auch kein ausreichendes Merkmal für die Bestimmung eines Talents. Es gibt nämlich zahlreiche Sportlerinnen und Sportler, die eine späte Entwicklung vorweisen und den Sprung an die internationale Spitze noch schaffen. Diese Talenterkennungsstrategie ist schließlich sehr mangelhaft und für die Praxis von relativer Unwichtigkeit.

3.1.1.3 Talenterkennung als Prozess

Wer ein vermeintliches Talent beurteilen möchte, der sollte den Prozess der Entwicklung des Sporttalents nicht außer Acht lassen. Insbesondere die Merkmale der Leistungsauffälligkeit und der Wettbewerbsleistung spielen vielmehr eine statische Rolle. Die Diagnostik eines Talents stützt sich nämlich auf einen Sichtungspunkt und ein daraus resultierendes Ergebnis, das in Form einer Leistungskontrolle oder einer Wettkampfbeobachtung vorliegen kann. Dabei wird jedoch vergessen, dass ein Talent zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Fähigkeiten möglicherweise noch nicht vollends ausgeschöpft hat und sich daher noch im Entwicklungsprozess befindet. Bei diesem Prozess spielen motorische, psychische, physische und auch emotionale Elemente zusammen. Betrachtet man Talenterkennung nun aus dieser Perspektive, so steht sie eng in Verbindung mit dem Trainingsprozess. Thiess (1989) formuliert wie folgt:

„ Sportliches Talent und sportliches Training sind untrennbar miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Das sportliche Talent entfaltet sich nur im zielstrebigen und effektiven Training, also in der Tätigkeit. Und umgekehrt: Wer im Verlaufe des Trainings eine für ihn besonders anzustrebende sportliche Leistung(..) erzielen will, muß dafür die erforderlichen Fähigkeiten besitzen und diese ständig durch Tätigkeit entwickeln“ (Thiess 1989, S. 11).

Die Talentdiagnostik findet ihr Ergebnis somit nicht in einem bestimmten Ereignis , sondern verläuft in einer Entwicklung, die zielgerichtet in Form von Training erfolgt. Demnach gehören die Begriffe Talenterkennung und Talentförderung zusammen. Aufgrund dessen kann eine relative Prognoseklarheit erst dann erreicht werden, wenn Talenterkennung in ein langfristiges Konzept der Talentförderung integriert ist.

3.1.2 Indetermination

3.1.2.1 Entwicklung und Veränderung

Wie ich schon in Kapitel 3.1.1.3 dargestellt habe, stehen Talent und Entwicklung in enger Beziehung zueinander. Die Entwicklung junger Talente - sei es motorischer oder psychischer Art - ist noch nicht vollendet. Die Entwicklung ist dabei als Prozess der Veränderung zu sehen, „ der nicht einfach im Sinne linearer Extrapolation von Ist- Zuständen zu begreifen ist“ (Joch 1992, S. 66).

Die Entwicklungspsychologie vertritt eine ähnliche Ansicht. Der Entwicklungsverlauf kann nämlich als ein „ Geflecht von Ursache - Wirkungs - Zusammenhängen“ beschrieben werden (Oerter 1973, S.15).

Die Zweifel gegenüber den herausragenden Leistungen im Kindes- und Jugendalter liegen in der Auffassung, dass sportliche Leistungen, die als Entwicklungsprozess gesehen werden, „ nicht einfach auf die Endleistung hin extrapolieren“ (Joch 1992, S. 66). Angenommen das Talentproblem würde in dieser Form als Komponente einer Entwicklungstheorie erfasst, so könnte die Art der Veränderung folgerichtig für diese Theorie benutzt werden. Talententwicklung bedeutet nichts anderes als den Verlauf einer Veränderung, der außer der Motorik sämtliche Partien der Persönlichkeit des Menschen mit einbezieht und der als eine Methode mit vorwiegend unbestimmtem Charakter aufzufassen ist.

3.1.2.2 Komplexität

Bei der Betrachtung der Entwicklungstheorie spielt die Komplexität dieses Veränderungsprozesses eine besondere Rolle. Dabei ist Veränderung nicht nur im Zusammenhang mit Motorik zu verstehen, sondern mit all den Einwirkungsgrößen, die Einfluss auf den Verlauf der Entwicklung haben. Aus diesem Grund ist die Ansicht, „ Talent als ein eindimensionales Problem“ zu verstehen, laut Eberspächer (1982) nicht gerechtfertigt.

„Man hat Talent, ist ein Talent, ist talentiert oder nicht. Man geht bei diesem Verständnis von einer Eigenschaft, einem festen Merkmal, einer Person aus (...)“ (Eberspächer 1982, S.178).

Diese eingeschränkte Betrachtungsweise wird allerdings weder der Wissenschaft noch der Praxis gerecht, da wir es hier mit einer grundlegenden Komplexität zu tun haben. Cramer (1988) definiert diese Komplexität als eine Art „Netzwerksystem, bei dem jedes Teil auf das Ganze zurückwirkt, dazu auch noch ein dynamisches Netzwerksystem, welches sich in Raum und Zeit verändert, so dass unter den gleichen Bedingungen zum gleichen Zeitpunkt etwas räumlich Verschiedenes sich ereignet“ (Cramer 1988, S.50).

Diese Aussage verdeutlicht, dass es generell unmöglich ist, eine hohe Quote bezüglich der Bestimmung von Sporttalenten vorherzusagen. Talententwicklung ist demnach ein Prozess der Veränderung, der anhand unumkehrbarer Abläufe dargestellt wird und grundsätzlich nicht wiederholt werden kann.

3.1.2.3 Freiheitsgrade

Laut Oerter (1973) ist Entwicklung ein Vorgang mit „nahezu unendlich vielen Freiheitsgraden“ (Oerter 1973, S.15).

Für die Talententwicklung resultiert die Menge dieser Freiheitsgrade aus dem gegenseitigen Zusammenwirken von motorischen Eigenschaften, sportmotorischen Fertigkeiten und koordinativen Fähigkeiten, aber auch aus der Einbeziehung dieser motorischen Aspekte in den Kontext der anderen Persönlichkeitsfelder. Die motorische Entwicklung ist also immer in Verbindung mit Persönlichkeitsentwicklung zu sehen und bezieht die Talententwicklung mit ein. Die Erkenntnis, dass stabile Voraussetzungen wie z.B. Genetik und veränderbare Bedingungen wie z.B. Sozialisation sich gegenseitig bedingen und zusammenwirken und sich dadurch im Laufe der Jahre verschiedene Möglichkeiten von Veränderungen ergeben, berechtigt zu der Behauptung, dass „ sich der Vorgang der Talententwicklung als überwiegend indeterministischer Prozess darstellt“ (Joch 1992, S.68). Gleichzeitig wird der Wert der Freiheitsgrade, deren Variation und das Tempo der Entwicklung akzentuiert.

3.2 Talentförderung

3.2.1 Strategien der Talentförderung

3.2.1.1 Wachsenlassen

Bei der näheren Betrachtung von Talentförderung stoßen wir auf unterschiedliche Methoden. Eine dieser Vorgehensweisen, welche weniger auf den Prozess der Entwicklung Einfluss nimmt, dagegen aber die persönliche Entfaltung betont, bezeichnet man als „Wachsenlassen“ (Joch 1992, S.68). Der Begriff des Wachsenlassens ist schon in der Pädagogik verankert. Dabei soll sich das Kind auf seine bereits vorhandenen Kräfte stützen und diese durch eigene Antriebe entwickeln. Eine Parallele kann hier zur Natur gezogen werden, denn eine Pflanze beschafft sich diejenigen Nährstoffe, welche sie zum Leben braucht, aus ihrer Umwelt. Aufgabe des Pädagogen ist es nun, diesen Vorgang so wenig wie möglich zu intervenieren und nur schädigende Einflussgrößen fernzuhalten (vgl. Wilhelm 1963, S. 17 ff.).

Diese Vorstellung ist teilweise noch gegenwärtig auf die Talentförderung in der Schule zu übertragen: Viele Lehrerinnen und Lehrer vertrauen auf die Veranlagungen und Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler, indem sie versuchen, von außen möglichst wenig Einfluss zu nehmen.

Im Fußball z.B. liegt der Grundgedanke des Wachsenlassens im Straßenfußball, d.h. die tatsächlichen Talente entwickeln sich als Straßenfußballer. Dabei vertraut man in die natürliche Entwicklung der Anlagen und Fähigkeiten, die sich hauptsächlich durch den eigenen Antrieb der Kinder ausprägen.

3.2.1.2 Reduzierung der Freiheitsgrade

Den absoluten Gegensatz zur Idee des Wachsenlassens bildet eine Methode, welche die Freiheitsgrade der Verhaltensweisen des Menschen einschränkt. Konkret heißt dies, dass die bei einer persönlichen Entwicklung einwirkenden Einflussgrößen als Störfaktoren empfunden werden. Statt dessen wird ausschließlich die sportliche Leistungsfähigkeit fokussiert; es kommt somit automatisch zu einer Reduzierung der Freiheitsgrade.

Dieses Konzept wurde über viele Jahre hinweg mit Erfolg in der ehemaligen DDR ausgeübt. Talentförderung war damals in einem monopolistischen Staatssystem integriert, d.h. Schulen wurden zur Förderung der sportlichen Leistung in Anspruch genommen und es entstand eine Sportkultur, in der Sportlerinnen und Sportler , Trainerinnen und Trainer sowie die Lebensziele von Sportlerinnen und Sportlern ein Ganzes bildeten. Die Freiheitsgrade wurden „durch die Vereinheitlichung von Trainingsplänen, die streng normativen Charakter hatten, durch die Selektionsverfahren und die Planungsstrategien, die den gesamten Tagesablauf und die Wochen-, Monats- und Jahresplanungen allein unter die Zielsetzung erfolgreicher Sport- und Berufskarrieren stellten“ (Joch 1992, S. 70).

3.2.1.3 Intentionale Vielseitigkeit

Das Training in der Talentförderung beinhaltet ein wesentliches Prinzip, das weitgehend Zuspruch findet. Es handelt sich hierbei um den Gedanken der Vielseitigkeit. Dieser Gedanke spielt vor allem in der Einstiegsphase der Talentförderungsmaßnahmen, dem sogenannten Grundlagentraining bzw. Grundlagenausbildung, eine große Rolle. Aufgrund unserer Bildungstradition wird auch im Sport der Begriff der Grundausbildung mit dem Wort vielseitig verbunden. Ein Befürworter dieses Prinzips ist Hanebuth (1961), der die Leistungsförderung folgendermaßen begründet:

„Jede ausschließlich für sich betriebene Sportart führt unweigerlich zu einer leistungshemmenden Einseitigkeit, weil dadurch sowohl die menschlichen Organe als auch die Muskelkraft und die Bahnen der körperlichen Bewegungsabläufe immer nur in ein und derselben Form und Intensität beansprucht werden und in diesem gleichbleibendem, monotonen Wachstumsreiz abstumpfen.“ Nur die vielseitige Ausbildung führe „zur persönlichen höchsten Leistungsfähigkeit“ (Hanebuth 1961, S.9).

Die Idee der Vielseitigkeit stößt natürlich auch auf Kritik, wonach Vielseitigkeit eingesetzt wird, wenn man mit seinem Latein am Ende ist, eben ganz nach dem Prinzip Hoffnung.

Der Vielseitigkeit wird allerdings eine große Bedeutung in der Talentförderung geschenkt. Ein entscheidender Beitrag dazu liefert das Argument der Motivationsförderung (vielseitig - abwechslungsreich) wie auch die Verhinderung zu früher Spezialisierung (vielseitig - allgemein). Im Zusammenhang mit Training werden die Komponenten vielseitig - zielgerichtet (z.B. Verbesserung von Bewegungsabläufen) angesprochen (vgl. Joch 1987, S. 25 f.).

Die Vielseitigkeit habe also nicht nur für die Grundausbildung von Nachwuchssportlerinnen und -sportlern, sondern auch für den Hochleistungssport selbst „ eine hervorragende Bedeutung“. Sie wird durch „Breite und Vielfalt der angewendeten Trainingsmittel und -methoden sowie durch das Verhältnis zwischen allgemeinem und speziellem Training“ definiert. Nur wer über die Vielseitigkeit zur Spezialisierung gelangt, ist auf dem Weg der sportlichen Leistungsentwicklung (Thiess 1976, S.135). Des weiteren werden vier Punkte betont:

Talentförderung im Zusammenhang mit Schule kann nur durch den Bildungsauftrag der Schule stattfinden. Bis heute wird die Anforderung an Schule gerichtet, abwechslungsreichen Unterricht zu gestalten. Kurz (1977) hat dies auch auf die Talentförderung im Sport bezogen und ist der Meinung, dass die Aufgabe der Schule „immer noch mehr in einer breiten, auf Vielseitigkeit angelegten Ausbildung als in der Spezialisierung gesehen wird, und dass es der Tradition des Schulfaches Leibeserziehung bzw. Sport entspricht, diese Präferenz auch auf den eigenen fachspezifischen Auftrag zu beziehen“ (Kurz 1977, S.135). Letztendlich ist Vielseitigkeit ein wichtiger Aspekt eines Talentförderkonzepts, insofern Talentförderung im schulischen Umfeld stattfindet.

Wer die Entwicklung von Talent als Vorgang „mit vielen Freiheitsgraden und als ein offenes System mit variablen Zielsetzungen“ versteht und dabei versucht, „auf monostrukturelle Rahmenbedingungen“ zu verzichten, der wird erkennen, dass Talententwicklung „ eine hohe Affinität für multifunktionale Ansprüche“ hat. Diese sind jedoch nur „ mit dem methodischen Prinzip der Vielseitigkeit zu verwirklichen“ ( Joch 1992, S.74).

Vielseitigkeit bedeutet nicht nur ein abwechslungsreiches und vielfältiges Training im methodischen Bereich zu absolvieren, sondern vielmehr ein Trainingsprogramm mit Bewegungen aus anderen Sportarten anzubieten. Die Talentförderung muss daher eine Art „ allgemeine sportive Handlungsfähigkeit“ für Sportlerinnen und Sportler miteinbeziehen ( Joch 1992, S.74).

Talentförderung vielseitig durchzuführen, bedeutet aber ebenso, diese mit dem beabsichtigten Ziel anzuwenden. Je weiter die Maßnahmen in der Talentförderung fortschreiten, desto mehr kommt es zu einer Einschränkung der Vielseitigkeit. Sie wird nämlich der jeweiligen Disziplin mehr und mehr angepasst. Die Akzentuierung der Vielseitigkeit fällt auf die Vorbereitungsphasen, aus der Wettkampfphase wird sie allerdings gestrichen. Im Anschluss an das Grundlagentraining werden Schritt für Schritt die sportspezifischen Inhalte in den Trainingsprozess integriert. In der Phase des Aufbau- und Anschlusstrainings wird die Methode der Vielseitigkeit als Regenerationsmaßnahme angewendet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 101 Seiten

Details

Titel
Sportliche Talentförderung als Kooperationsaufgabe von Schule und Verein. Eine vergleichende Analyse der Förderkonzepte zweier Fußballvereine
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
101
Katalognummer
V54443
ISBN (eBook)
9783638496513
ISBN (Buch)
9783638708494
Dateigröße
2091 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Talent, Kooperationsaufgabe, Schule, Verein, Analyse, Förderkonzepte, Fußballvereine
Arbeit zitieren
Timo Mayer (Autor:in), 2004, Sportliche Talentförderung als Kooperationsaufgabe von Schule und Verein. Eine vergleichende Analyse der Förderkonzepte zweier Fußballvereine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54443

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