Die Revolution und die weibliche Protagonistin in Gioconda Bellis "Die Verteidigung des Glücks" und Angeles Mastrettas "Emilia"

Zeitgenössische lateinamerikanische Literatur von Frauen


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2005

22 Pages, Note: 1,5


Extrait


Inhaltsangabe

0. Einleitung

1. Der „nation building“ Begriff und die beiden Romane
1.1 Die frühe „nation building“ Literatur und Angela Mastrettas Roman „Emilia“
1.2 Gioconda Bellis Autobiografie unter dem „nation building“ Aspek

2. Die Frauenfiguren im Vergleich
2.1 Begriff der Freiheit bei den weiblichen Protagonistinnen
2.2 Die weibliche Protagonistin als politische Kämpferin

3. „Die Verteidigung des Glücks“ von Gioconda Belli als eine „weibliche“ Autobiografie

4. Zusammenfassung

5. Quellenangabe
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur

0. Einleitung

Die zeitgenössische Literatur lateinamerikanischer Autorinnen wird für den europäischen Leser immer mehr von Interesse. Mit viel Kreativität behandelt sie Themen, die überall auf der Welt von Bedeutung sind, zeigt starke Frauen und Problematiken der Befreiung der Frau aus den gesellschaftlichen und anderen Zwängen.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Romanen „Die Verteidigung des Glücks“ von Gioconda Belli und „Emilia“ von Angeles Mastretta. Sie beinhaltet sowohl einen theoretischen (1., 3. Kapitel) sowie einen werkimannenten (2. Kapitel) Teil, wobei die theoretischen Kapiteln sich mit dem Thema „nation building“ und Literatur in Lateinamerika, sowie mit der weiblichen Autobiografie auseinandersetzen. Es wird kurz die Entwicklung der „nation building Literatur“ umrissen und anhand der gegebenen Romane dargestellt, was sich daraus weiter entwickelt hat; außerdem wird skizziert, inwieweit der theoretische Begriff der Nation bei der Frau von heute Anklang findet und ob eine handelnde Revolutionärin, in diesem Fall Gioconda Belli, von denselben Quellen ihre Motivation schöpft, die in der theoretischen Literatur dargestellt sind.

Das zweite Kapitel untersucht vor allem die weiblichen Hauptprotagonistinnen, im Hinblick auf die so wichtigen Aspekte ihres Lebens wie die Freiheit und die Revolution werden die Parallelen und Unterschiede in ihrer Entwicklung und in ihren Charakteren dargestellt. Leider konnte in dieser Arbeit wegen des beschränkten Umfangs nicht auf alle Teilbereiche ihres Lebens eingegangen werden, wie die zum Beispiel Mutterschaft, Beruf und ähnliches. Da die beiden Romane miteinander verglichen werden, wurde vor allem auf jene Thematiken eingegangen, die in beiden Romanen stark präsent sind. Große Aufmerksamkeit wurde vor allem jenen Passagen geschenkt, in welchen die Frau außergewöhnlich für ihr Geschlecht handelt oder lebt, ob als Kämpferin oder Frau zweier Männer.

Im letzten Teil schließlich wird die theoretische Literatur über die von Frauen geschrieben Autobiografien herangezogen und dem autobiografischen Werk „Die Verteidigung des Glücks“ gegenübergestellt. Auch da wird nach Entsprechungen bzw. Widersprüchen gesucht und die „lebendige“ Literatur mit der Theorie verglichen.

1. Der „nation building“ Begriff und die beiden Romane

1.1 Die frühe „nation building“ Literatur und Angela Mastrettas Roman „Emilia“

Die Verbindung von Literatur und Politik hat eine lange Tradition in Lateinamerika. Nicht nur, dass die Autoren im Prozess der Entstehung einer Nation ihre Idealvorstellungen davon in ihre Werke einfließen ließen, sondern sie gehörten auch bemerkenswert oft zu denen, die die Politik aktiv mitgestalten konnten.

[...]perhaps the most stunning connection is the fact that authors of romance were also amoung the fathers of their countries, preparing national projects trough prose fiction. […]At the turn of the nineteenth century, there was already a page-long list of Hispano-American writers who were also presidents of their countries.[1]

Das 19. Jahrhundert war auch jene Zeit, in der die sogenannten “nation building romances” aufblühten, denn während der Bildung von Staaten, der Entstehung von Nationen war anscheindend das Bedürfnis da, die Lücken oder gar das Nichtvorhandensein der nationalen Geschichte aufzufüllen und zu ersetzen. So schrieb der berühmte Dichter und Gesetzesgeber Venezuelas Andrés Bello in seinem Essay über „Cultural Autonomy of America“ im Jahr 1848: “[W]hen a country´s history doesn´t exist, except in incomplete, scattered documents, in vague traditions that must be compiled and judged, the narrative method [ is] obligatory.”[2]

Auch für andere Lateinamerikaner war diese Funktion der Literatur selbstverständlich und unerlässlich; „ they went as far as considering narrative to b e history.[3] Im Jahr 1847 veröffentlichte der argentinische Historiker und zukünftiger Präsident Bartolomé Mitre ein Manifest über die nation building Romane. Ein anderer Befürworter der nation building Literatur war José Marti. Zwar gefiel ihm die zeitgenössische europäische Literatur, doch fand er dass der Pessimismus und die Ironie, die ihr eigen waren, in seiner Heimat nur fehl am Platze sein würden. Statt dessen, „ America needed an edifying and and practical literature[4], also eine Literatur, von der man einen praktischen Nutzen erwarten konnte und sollte, welche direkt in die Geschichte eingreifen würde.

[...] lilterature has the capacity to intervene in history, to help construct it. Generations of Latin American writers and readers assumed as much; and they have produced and consumed foundational novels as part of the more general process of nation building.[5]

Trotz der markanten “programmatischen” Unterschiede zwischen den einzelnen Werken, die von den verschiedenen Vorstellungen des Staates und der Nation herrühren, weist die nation building Literatur dennoch Merkmale auf, die sich auf ihre Gesamtheit erstrecken. Dazu gehören zunächst die Liebesgeschichten in den Romanen – Verbindungen zwischen Menschen verschiedener Herkunft, Überzeugungen oder Rassen, die metaphorisch zu betrachten sind. Natürlich verfolgen die sentimentalen Handlungen einen eigenen politischen Zweck:

The coherence comes […] from their common need to reconcile and amalgamate national constituencies, and from the strategy to cast the previously unreconciled parties, races, classes, or religious, as lovers, who are “naturally” attracted and right for each other.[6]

Damit der Liebesstrang im Roman seine symbolische Funktion erfüllen konnte, musste die Liebe natürlich erwidert sein, die Verbindung für beide Parteien gleichermaßen begehrenswert erscheinen. Auch das macht bei der lateinamerikanischen Literatur einen großen Unterschieden zur europäischen Literatur jener Zeit aus – es ist bemerkenswert, dass „ in the American version, love is sentimental and not romantic in the sense of unrequitable an non-mutual that describes European literary affairs of the same period.“[7] Der Familie als einem Mikromodell eines Staates, kommt ein besonders hoher Stellenwert zu. Durch sie werden die möglichen, manchmal sehr unterschiedlichen „ social constructs[8] skizziert und dargestellt. Die Ehe ist dabei ein Idealbild der Liebesverbindung und eine unumgängliche Voraussetzung für die Familie, welche letztendlich auch der Nationalpolitik zugute kommt, denn:

Marriage is not only projected an ideal state, but also helped to realize the family alliances that supported national governments. […] The mutual dependence of family and state in Latin America ideally could and sometimes did mitigate the tensions between private and public allegiances that has dogged western political philosophy.[9]

Dieser langen Tradition der „politischen“ Literatur in Lateinamerika, von der ein aktives Eingreifen in die Geschichte einer Nation erwartet wurde, setzte in den 1960er Jahren die Generation der Boom-Schriftsteller ein jähes Ende. Sie distanzierten sich bewusst von ihren literarischen Vorgängern, ihre Werke zeichneten sich aus durch „ a demotion, or defusion, of authorial control and tireless formal experimentation, [...] directed towards demolishing the straight line of traditional narrative.[10] Die praktische Ausrichtung der Literatur rückt in den Hintergrund. Der darauffolgende „Posboom“, die Weiterentwicklung der Literatur im zeitgenössischen Lateinamerika bringen schließlich folgende sieben Merkmale der „contemporary novels“ hervor, die Donald Shaw nach Skarmetas „Tendencias en la más nueva narrativa hispanoamerikana“ (1975) anführt:

Sexuality as a preferred subject

Spontaneity

Fantasy

Colloquial language as a tool to represent reality

Vital exuberance

Daily events

The non-transcendental[11]

Im Mastrettas Roman “Mal de amores” (“Emilia”), der 1996 erschienen ist, findet man ohne Mühe Entsprechungen zu den oben genannten Merkmalen. Die Klarheit und Einfachheit der Sprache fallen sofort auf, die Handlung selbst ist ebenfalls relativ unkompliziert, doch strotzt nur so vor Lebenskraft. Auch scheut Mastretta weder davor, die alltäglichen Ereignisse und Gespräche der Familie Sauri darzustellen, noch davor, die Protagonistin eine erfüllte und außergewöhnliche Sexualität ausleben zu lassen.

Interessant ist aber vor allem, nachzuvollziehen, was in dem Roman noch in der Tradition der „nation building novel“ zu finden ist und auf welche Art und Weise die Tendenzen der nation building Literatur weiterentwickelt wurden, vor allem im Bezug auf die weibliche Prtagonistin.

Zwar ist es politisch gesehen nicht mehr unbedingt notwendig, dass die Liebenden verschiedenen Klassen oder Rassen angehören, doch zumindest das Ideal der erwiderten Liebe findet hier seine Entsprechung. Nicht nur, dass Emilia die beiden Männer ihres Lebens, Zavalza und Daniel „ mit der gleichen Intensität liebt “, sondern die beiden Männer erwidern ihre Liebe auch mit voller Hingabe, was den auch die Idylle ihrer Co-Existenz in Emilias Leben zum Schluss ermöglicht. Es ist seine Liebe, die Zavalza das rätselhafte Wesen Emilias voll akzeptieren lässt: „ denn kein anderer hätte den Reichtum einer Frau zu schätzen gewusst, die die Kraft aufbrachte, unbeirrbar und auf Dauer zwei Männer zu lieben.[12] Auch Daniel bindet seine Liebe sein Leben lang an Emilia, trotz der manchmal jahrelangen Trennungen und der immer wieder ausbrechenden „Gefühlskriege“, die in Hassliebe gipfeln.

Dagegen wird hier das Bild der Ehe, das in nation building Romanen eine so große Rolle spielte, zu einem gewissen Ausmaß umgeworfen. Die starke, selbstbewusste und kreative Tante Milagros lebt glücklich ohne heiraten zu wollen, um ihre ganz persönliche Freiheit nicht zu verlieren: „ Deshalb hatte sie auch keinen ihrer zahlreichen Verehrer erhört. [...] Freiheit ging ihr über alles, und Vorwitz war ihr größtes Laster.[13] Auch für Emilia steht die Ehe bei Weitem nicht im Vordergrund – sie heiratet Daniel eher zufällig, auf einem Friedhof zwischen „ Bettlern und Betrunkenen “ und „ wild blühenden Hecken “.[14] Auch kann ihre Ehe eine erneute Trennung zwischen den Liebenden nicht verhindern. Zalvazo dagegen, mit dem Emilia ihr restliches Leben verbringt und drei Kinder hat, scheint sie gar nicht geheiratet zu haben.

Doch der allergrößte Unterschied liegt wohl in der Stellung der Protagonistin, in ihrer Unabhängigkeit und der Freiheit ihr Leben selbst zu bestimmen. In den frühen nation building Romanen heißt es noch:

[...]


[1] Doris Sommer: Irresistible romance: the foundatonal fictions of Latin Amerika. In: Homi K. Bhaba (Hrsg): Nation and Narration. London (u.a): Routledge, 1999, S. 73.

[2] Ebd. S. 77.

[3] Ebd. S. 77

[4] Ebd. S. 77

[5] Ebd. S. 78

[6] Doris Sommer: Irresistible romance: the foundatonal fictions of Latin Amerika. In: Homi K. Bhaba (Hrsg): Nation and Narration. London (u.a): Routledge, 1999, S. 81

[7] Ebd. S. 85

[8] Ebd. S. 89

[9] Ebd. S 88-89

[10] Doris Sommer: Irresistible romance: the foundatonal fictions of Latin Amerika. In: Homi K. Bhaba (Hrsg): Nation and Narration. London (u.a): Routledge, 1999, S.71

[11] Donald Shaw: Nueva narrativa hispanoamericana : boom, posboom, posmodernismo. Madrid: Ed. Cátedra , 1999

[12] Angeles Mastretta: Emilia. (Übersetzung aus dem Spanischen von Petra Strien)Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 410

[13] Ebd. S. 22

[14] Ebd. S. 346

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Die Revolution und die weibliche Protagonistin in Gioconda Bellis "Die Verteidigung des Glücks" und Angeles Mastrettas "Emilia"
Sous-titre
Zeitgenössische lateinamerikanische Literatur von Frauen
Université
University of Vienna  (Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft)
Cours
Die Frau als Protagonistin in der lateinamerikanischen Prosa
Note
1,5
Auteur
Année
2005
Pages
22
N° de catalogue
V54473
ISBN (ebook)
9783638496711
ISBN (Livre)
9783656768692
Taille d'un fichier
449 KB
Langue
allemand
Mots clés
Revolution, Protagonistin, Literatur, Frauen, Eine, Gegenüberstellung, Romane, Verteidigung, Glücks, Gioconda, Belli, Frau, Protagonistin, Prosa
Citation du texte
Uljana Vyshnyakov (Auteur), 2005, Die Revolution und die weibliche Protagonistin in Gioconda Bellis "Die Verteidigung des Glücks" und Angeles Mastrettas "Emilia", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54473

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