Nach biblischer Überlieferung und dem Glauben orthodoxer Juden war Hebräisch die Ursprache der Menschheit; da nach Genesis 3,20 Eva (hebr. chawa) die "Mutter aller, die da leben" (chai) war und unverkennbar einen hebräischen Namen trug, läßt sich daraus schlüssig ableiten, daß die gemeinsame Sprache der damals existierenden Menschheit (Adam und Eva) Hebräisch war. Dies hat sich bis zum Turmbau zu Babel offenbar nicht geändert.1
Doch natürlich ist Hebräisch für den aufgeklärten Menschen als "Ursprache" der Menschheit nicht mehr von Bedeutung; vielmehr gründet sich die heutige wissenschaftliche Beschäftigung mit der hebräischen Sprache darauf, daß Hebräisch (1) immer noch Kultsprache der mosaischen Religion und in gewisser Weise auch des Christentums ist, (2) eine der ältesten Kultursprachen der Welt und (3) die einzige Sprache überhaupt ist, die nach 2000 Jahren erfolgreich als Gebrauchssprache wiederbelebt worden konnte.
Der erste Teil der hier vorliegenden Arbeit soll einen Überblick über die dem Hebräischen verwandten Sprachen geben, um es innerhalb der semitischen Sprachgruppe einzuordnen und ihre möglichen Einflüsse zu erklären. Der zweite Teil wird sich ausführlicher mit der Geschichte des Hebräischen beschäftigen.
[...]
Gliederung
1. Einleitung
2.1 Die Einordnung des Hebräischen innerhalb der semitischen Sprachgruppe
2.1.1 Die Bezeichnung "semitisch"
2.1.2 Spezifische Kennzeichen der semitischen Sprachen
2.1.3 Das Verbreitungsgebiet der semitischen Sprachgruppe
2.1.4 Die Unterscheidung der semitischen Sprachen
2.2 Nordostsemitisch
2.3 Westsemitisch
2.3.1 Südwestsemitisch
2.3.1.1 Südarabisch
2.3.1.2 Nordarabisch
2.3.2 Nordwestsemitisch
2.3.2.1 Aramäisch
2.3.2.2 Kanaanäisch
2.3.2.2.1 Mittelkanaanäisch: Phönizisch
2.3.2.2.2 Südkanaanäisch
2.4 Hebräisch
2.4.1 Biblisches Hebräisch
2.4.2 Mischna-Hebräisch/Rabbinisches Hebräisch
2.4.3 Mittelalterliches Hebräisch (Neuhebräisch)
2.4.4 Modernhebräisch
2.4.4.1 Die Haskalah
2.4.4.2 Der Zionismus und Eliezer Ben Yehuda
2.4.4.3 Israelisches Hebräisch
2.4.4.3.1 Probleme des Israelischen Hebräisch
3. Ausblick
Bibliographie
1. Einleitung
Nach biblischer Überlieferung und dem Glauben orthodoxer Juden war Hebräisch die Ursprache der Menschheit; da nach Genesis 3,20 Eva (hebr. chawa) die "Mutter aller, die da leben" (chai) war und unverkennbar einen hebräischen Namen trug, läßt sich daraus schlüssig ableiten, daß die gemeinsame Sprache der damals existierenden Menschheit (Adam und Eva) Hebräisch war. Dies hat sich bis zum Turmbau zu Babel offenbar nicht geändert.[1]
Doch natürlich ist Hebräisch für den aufgeklärten Menschen als "Ursprache" der Menschheit nicht mehr von Bedeutung; vielmehr gründet sich die heutige wissenschaftliche Beschäftigung mit der hebräischen Sprache darauf, daß Hebräisch (1) immer noch Kultsprache der mosaischen Religion und in gewisser Weise auch des Christentums ist, (2) eine der ältesten Kultursprachen der Welt und (3) die einzige Sprache überhaupt ist, die nach 2000 Jahren erfolgreich als Gebrauchssprache wiederbelebt worden konnte.
Der erste Teil der hier vorliegenden Arbeit soll einen Überblick über die dem Hebräischen verwandten Sprachen geben, um es innerhalb der semitischen Sprachgruppe einzuordnen und ihre möglichen Einflüsse zu erklären. Der zweite Teil wird sich ausführlicher mit der Geschichte des Hebräischen beschäftigen.
2.1 Die Einordnung des Hebräischen innerhalb der semitischen Sprachgruppe
2.1.1 Die Bezeichnung "semitisch"
Obschon die Verwandtschaft der wichtigsten semitischen Sprachen "bereits den jüdischen und islamischen Grammatikern des Mittelalters bekannt" war, erwachte das Interesse an der Semitistik im christlichen Europa erst im 16. Jahrhundert; die Bezeichnung "semitisch" selbst wurde 1781 durch L. v. Schlözer zum Ausdruck gebracht.[2]Sie geht zurück auf Genesis 10, 21-31[3](die Semiten als die Nachkommen des Noahsohnes Sem) und wird als Benennung für eine "Sprachgemeinschaft", "nicht aber [..] ein Volkstum, eine Rasse oder eine Kultur", verwendet,[4]"that share common features of phonology, morphology, syntax and vocabulary"[5].
Für die semitische Sprachgruppe wird, wie für das Indogermanische, ein Urtypus ("Proto-Semitic") vorausgesetzt,[6]der zwar nicht mehr zu rekonstruieren ist, aber doch charakteristische Merkmale erkennen läßt.[7]Wohl eher spekulativ ist die Vermutung Körners, es habe eine "semitisch-hamitisch-indoeuropäische[] Sprachgemeinschaft um 6000 v. Chr." bestanden, die allerdings "nicht mehr lokalisierbar" sei.[8]
Körner nimmt wegen des großflächigen Verbreitungsgebiets eine wahrscheinliche frühe Aufspaltung dieser Ursprache in Dialekte an;[9]heutzutage treten etwa siebzig verschiedene semitische Sprachen oder Dialekte auf[10]. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Grenzen des semitischen Verbreitungsgebietes und der Zugehörigkeit zum Semitischen nicht klar festgelegt werden können, da auch Sprachen wie beispielsweise das Libysche – als hamitische Sprache mit dem Semitischen verwandt[11]– Züge aufweisen, die eine Klassifizierung als semitisch nicht ganz abwegig erscheinen lassen.[12]
Sáenz-Badillos merkt ferner an, daß bei der Zuordnung einzelner Sprachen zum Semitischen von einigen Forschungsrichtungen nicht nur sprachliche, sondern auch geographische, historische und kulturelle Gegebenheiten berücksichtigt würden, obschon die unsichere Überlieferung diesen Sachverhalten höchstens den Stellenwert von Hypothesen zuweisen kann.[13]
Die semitische Sprachgruppe gilt als verwandt mit der hamitischen, mit Ägyptisch, (Libysch-)Berberisch und Kuschitisch[14]sowie Tschadisch und eventuell Omotisch, mit der sie zusammen den sogenannten afro-asiatischen oder hamito-semitischen Sprachstamm bildet.[15]
2.1.2 Spezifische Kennzeichen der semitischen Sprachen
Kennzeichnend für die semitischen Sprachen sind einmal zahlreiche emphatische Konsonanten, das heißt pharyngalisierte (Rachenlaute) und glottalisierte (Knacklaute). Für das Semitische ist ferner die Wurzelflexion charakteristisch, also die Beugung von – meist drei – "Radikalen" (deswegen auch "Triliteralität" genannt).
In der Morphologie des Verbs gibt es "zwei Aspektformen mit unterschiedlichen Konjugationsmustern"; einerseits das Perfekt, das das Präteritum ausdrückt, andererseits das Imperfekt zur Darstellung von Präsens respektive Futur.[16]
Das "reiche Diathesen-System"[17]der semitischen Sprachen enthält "Konjugationsformen" zur "Modifikation[] des Verbalbegriffes"; im Hebräischen sind dies sieben, Binjanim genannte Stammesmodifikationen.[18]Die Grundform, Pa'al oder Kal, besteht aus dem Grundstamm des Verbs; das Pi'el drückt die Intensität der Handlung oder den Kausativ aus. Ebenfalls kausative, dazu aber noch deklarative Bedeutung hat das Hif'il, während das Hitpa'el reflexive oder reziproke Handlungen bezeichnet. Nif'al, Pu'al und Hof'al sind die Passivformen von Pa'al, Pi'el und Hif'il.
Das Nomen weist ein zweistufiges Genus-System mit Maskulinum und Femininum auf; häufig sind drei Kasus anzufinden – Nominativ, Genitiv und Akkusativ. Dativ und Lokativ sind rekonstruierbar; in modernen Sprachen, so auch beim Modernhebräischen, gibt es häufig überhaupt keine Kasus mehr.
Dualformen und teilweise Unterscheidung von Kollektiv und Singulativ sind Bestandteile des Numerussystems;[19]eine Besonderheit des Semitischen ist der Status constructus, der den Genitiv bildet und bei dem das regierende Nomen (Regens) statt des im Genitiv stehenden Rectum flektiert wird.[20]
2.1.3 Das Verbreitungsgebiet der semitischen Sprachgruppe
Als Ursprungsgebiet des Semitischen wird im allgemeinen die arabische Halbinsel angesehen;[21]dies ist jedoch nicht unumstritten: auch andere Teile des semitischen Siedlungsgebietes, das in der Antike ganz Vorderasien umfaßte, werden vereinzelt als Herkunftsgebiet genannt.[22]Außer den orientalischen Ländern, also Mesopotamien (Nordostsemitisch), Arabien (Südwestsemitisch), Syrien und Palästina (Nordwestsemitisch), ist ferner Äthiopien aufzuführen, das, von Südarabien aus kolonisiert[23], schon im Altertum zum südwestsemitischen Siedlungsgebiet zählte.[24]
Nach den islamischen Eroberungen breitete sich zudem Arabisch in Nordafrika, Spanien und anderen Teilen Südeuropas aus; als Kreolsprache ist es bis heute Landessprache in Malta (Maltesisch).[25]
2.1.4 Die Unterscheidung der semitischen Sprachen
Die Gliederung des Semitischen teilt es gewöhnlich in zwei große Sprachgruppen, das Nordost- oder Ostsemitische (Akkadisch) und das Westsemitische, das sich wiederum in Nordwestsemitisch (Kanaanäisch, Aramäisch und andere Sprachen) und Südwestsemitisch (Nordarabisch, Südarabisch und Abessinisch) aufspaltet.[26]
Schon vor 3000 v. Chr. trennte sich das Nordostsemitische ab; das Akkadische verdrängte im Nordosten in der Folgezeit das (nichtsemitische) Sumerische, nicht ohne dessen Substrateinfluß ausgeliefert zu werden. Auch im Nordwesten, etwa in Ebla, wurde während dieser Zeit eine semitische Sprache verwendet, deren Einordnung allerlei Schwierigkeiten aufwirft (s. u. S. 11f.).[27]
Im 2. Jahrtausend v. Chr. erfolgte die Spaltung des Akkadischen in zwei Dialekte (Babylonisch und Assyrisch), gleichzeitig der Aufstieg des Amoritischen, später des Ugaritischen und anderer Sprachen.
Schon vor der Wende zum 2. Jahrtausend hatte sich wahrscheinlich das Westsemitische in Nord- und Südwestsemitisch geteilt; am Ende des 2. Jahrtausends traten Kanaanäisch und Aramäisch im Nordwestsemitischen auf. Im Südwestsemitischen entwickelten sich Nordarabisch, Südarabisch und Äthiopisch, deren älteste Schriftzeugnisse aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. stammen.[28]
2.2 Nordostsemitisch
Die älteste überlieferte Sprache der semitischen Sprachgruppe ist das Akkadische, das "im alten Mesopotamien" beheimatet war.[29]Vom Anfang des 3. Jahrtausends bis ins 6. Jahrhundert v. Chr., als seine Hegemonie als Lingua franca vom Aramäischen übernommen wurde, war es als Verwaltungssprache im Nahen Osten in Gebrauch.[30]
Das Akkadische zeigt dem Westsemitischen gegenüber eine "altertümlichere Entwicklungsstufe des semitischen Sprachtyps". Vor allem im Lautbestand ist sein sumerisches Substrat erkennbar, der "Verlust der Laryngale, der dentalen Spiranten und größtenteils der Halbvokale" wie die Schwäche der Pharyngale. Die Verwendung der ebenfalls von den Sumerern übernommenen Keilschrift erschwert die Rekonstruktion erheblich, da sie "die in ihr gegebenen Möglichkeiten genauerer Lautbezeichnung nur unvollkommen [ausnützt]".[31]
Im 2. Jahrtausend teilte sich das Akkadische dann in "zwei merklich verschiedene Dialekte", das Babylonische, dessen klassische Zeit die "Periode der Hammurabi-Dynastie" (1792-1750) war, und das Assyrische, von dem am meisten aus der "Periode des neuassyrischen Weltreichs" überliefert ist.[32]
Letzte Belege des Akkadischen reichen "nahe an unsere Zeitrechnung" heran[33], vielleicht sogar noch in die Zeit Kaiser Trajans (98-118 n. Chr.).[34]Danach war es völlig vom Aramäischen verdrängt worden.[35]
[...]
[1]Genesis 11, 1: "Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache", bis "der HErr daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache" (11, 9).
[2]Bauer/Leander 1; Bußmann 680f. ("Semitisch"); Körner 13.
[3]Kutscher 3.
[4]Körner 13.
[5]Kutscher 3; vgl. Körner 13.
[6]Körner 13; Kutscher 3.
[7]Kutscher 3.
[8]Körner 14.
[9]Körner 13.
[10]Sáenz-Badillos 3.
[11]Kutscher 4.
[12]Sáenz-Badillos 4.
[13]Sáenz-Badillos 6f.
[14]Kutscher 4.
[15]Bußmann 54f. ("Afro-Asiatisch").
[16]Bußmann 681 ("Semitisch").
[17]Bußmann 681 ("Semitisch").
[18]Simon 51.
[19]Bußmann 681 ("Semitisch").
[20]Bußmann 681 ("Semitisch"); Simon 31.
[21]Körner 13.
[22]Sáenz-Badillos 7.
[23]Sáenz-Badillos 15.
[24]Körner 13; Kutscher 3; Sáenz-Badillos 3.
[25]Kutscher 3.
[26]Körner 13f.; Kutscher 3f.; Sáenz-Badillos 4, 10.
[27]Sáenz-Badillos 3, 10.
[28]Sáenz-Badillos 3f., 10.
[29]Bußmann 680 ("Semitisch").
[30]Sáenz-Badillos 12f.
[31]Bergsträsser 13, 20.
[32]Bergsträsser 20; vgl. Körner 13; Sáenz-Badillos 12.
[33]Bauer/Leander 2.
[34]Schmitt 571.
[35]Bauer/Leander 3.
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