I Nach Andrew Moravcsik ist es eindeutig: Das explizite Motiv für das Vorantreiben der europäischen Integration war stets ökonomischer Natur – oder genauer, „the anticipated benefits for consumers and producers that were thought to be associated with the creation of larger European markets for goods and services, and capital” (Moravcsik 1998: 13). Falls dem so ist, kann daraus geschlussfolgert werden, dass die Bemühungen um eine politische Integration immer erst an zweiter Stelle standen und diese der wirtschaftlichen stets hinterher hinkte? Wird derzeit zu Recht eine Asymmetrie zwischen wirtschaftlicher und politischer Integration postuliert oder hat letztere längst aufgeschlossen?
II Unbestritten ist, dass die EU seit ihrer Gründung als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit den Römischen Verträgen von 1957 bis hin zum Vertrag von Nizza die Bandbreite ihrer Aktivitäten und Kompetenzen ausdehnen konnte – laut Mark A. Pollack sogar „dramatically“ (Pollack 2000: 519). Er zeigt in seiner Studie unter dem Titel „The End of Creeping Competence?“, dass die Europäische Union mittlerweile „a policy presence in nearly every issue-area of European politics“ (Pollack 2000: 537) aufweist. Auch Ernst Haas hat mit seiner Theorie des Neofunktionalismus „the dynamic process of task expansion in the European Union“ (Pollack nach Haas 1994: 98) erläutert und mit seinem Erklärungsansatz des spill-overs eine Kompetenzerweiterung der EU vorhergesagt.
Um eine Asymmetrie zwischen politischer und wirtschaftlicher Integration zu postulieren, ist neben einer Analyse der Breite der Integration vor allem eine Analyse der Tiefe ausschlaggebend. So bedingt zwar eine in der Breite angelegte Politik eine Vertiefung, damit die EU überhaupt tätig werden kann. Doch nur die vertieften, supranationalen Politikbereiche haben für die Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht zur Folge, dessen Umsetzung die EU-Kommission und dessen Verstoß der EuGH überprüfen kann.
Aufgabenstellung
In der Literatur wird eine Asymmetrie zwischen wirtschaftlicher und politischer Integration postuliert. Nennen Sie die zentralen Argumente dieser Diskussion. Illustrieren Sie die Problematik mit Hilfe aktueller Beispiele auf europäischer Ebene.
I Nach Andrew Moravcsik ist es eindeutig: Das explizite Motiv für das Vorantreiben der europäischen Integration war stets ökonomischer Natur – oder genauer, „the anticipated benefits for consumers and producers that were thought to be associated with the creation of larger European markets for goods and services, and capital” (Moravcsik 1998: 13). Falls dem so ist, kann daraus geschlussfolgert werden, dass die Bemühungen um eine politische Integration immer erst an zweiter Stelle standen und diese der wirtschaftlichen stets hinterher hinkte? Wird derzeit zu Recht eine Asymmetrie zwischen wirtschaftlicher und politischer Integration postuliert oder hat letztere längst aufgeschlossen?
II Unbestritten ist, dass die EU seit ihrer Gründung als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit den Römischen Verträgen von 1957 bis hin zum Vertrag von Nizza die Bandbreite ihrer Aktivitäten und Kompetenzen ausdehnen konnte – laut Mark A. Pollack sogar „dramatically“ (Pollack 2000: 519). Er zeigt in seiner Studie unter dem Titel „The End of Creeping Competence?“, dass die Europäische Union mittlerweile „a policy presence in nearly every issue-area of European politics“ (Pollack 2000: 537) aufweist. Auch Ernst Haas hat mit seiner Theorie des Neofunktionalismus „the dynamic process of task expansion in the European Union“ (Pollack nach Haas 1994: 98) erläutert und mit seinem Erklärungsansatz des spill-overs eine Kompetenzerweiterung der EU vorhergesagt.
Um eine Asymmetrie zwischen politischer und wirtschaftlicher Integration zu postulieren, ist neben einer Analyse der Breite der Integration vor allem eine Analyse der Tiefe ausschlaggebend. So bedingt zwar eine in der Breite angelegte Politik eine Vertiefung, damit die EU überhaupt tätig werden kann. Doch nur die vertieften, supranationalen Politikbereiche haben für die Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht zur Folge, dessen Umsetzung die EU-Kommission und dessen Verstoß der EuGH überprüfen kann.
Tanja A. Börzel hat in einer aktuellen Studie alle wichtigen Politikfelder der EU auf ihr Erwähnen in den Römischen Verträgen bis zum nicht ratifizierten Vertrag über eine Verfassung für Europa hinsichtlich ihrer Breite und Tiefe untersucht. Sie definiert Breite quantitativ bezüglich der Anzahl der Themenbereiche, die unter EU-Zuständigkeit fallen[1] und Tiefe qualitativ bezüglich der Einbeziehung supranationaler Organe sowie der Art der Entscheidungsregel im Ministerrat[2]. Betrachtet man den Status quo, den 2003 in Kraft getretenen Nizza-Vertrag, ist festzustellen, dass Börzel auf dem Feld der wirtschaftlichen Integration, abgesehen von den Bereichen Steuern, Makroökonomie und Beschäftigung sowie Energie und Transport durchweg in der Breite wie in der Tiefe Einstufungen von 3-5 vorgenommen hat. Eine hundertprozentige Zuständigkeit und Supranationalität bescheinigt sie jedoch nur der Geldpolitik, die bei Breite und Tiefe den Höchstwert von 5 erhält. Bemerkenswert sind die hohen Werte für Forschung und Entwicklung (Tiefe 3,5-4,5), Arbeitsschutz und Sicherheitsstandards am Arbeitsplatz (Tiefe 4,5) sowie Umwelt- und Verbraucherschutz (Tiefe 3-4,5).
Bei Betrachtung der Zeitleiste scheint bestätigt, dass die politische Integration der wirtschaftlichen temporär stets nachfolgte: Während Wirtschaftsthemen wie die ökonomischen Grundfreiheiten in den Römischen Verträgen bereits angelegt sind und die in der Untersuchung behandelten Felder darin mit einer durchschnittlichen Breite von 2 und einer Tiefe von 1,7 Erwähnung finden, sind sozio-kulturelle Themenfelder wie Umwelt- und Verbraucherschutz 1957 erst marginal und meist nur in der Breite erahnbar. Die Durchschnittswerte liegen hier lediglich bei 1 in der Breite und 0,2 in der Tiefe.
[...]
[1] Von 1 (exklusive nationale Kompetenz (0 % EU): Kompetenzen für alle Politikfelder auf der nationalen Ebene) bis 5 (exklusive EU Kompetenz (100 % EU): Kompetenzen für alle Politikfelder auf der EU-Ebene) Vgl. Börzel 2005: 5
[2] Von 0 (Keine Koordination auf EU-Ebene) bis 5 (Supranationale Zentralisierung: Unilaterale Entscheidung durch Kommission oder EZB, kein Einbeziehen des Rates oder des Parlaments, Rechtsprechung des EuGH) Vgl. Börzel 2005: 5
- Quote paper
- Tanja Prinz (Author), 2005, Zur Asymmetrie von wirtschaftlicher und politischer Integration in der EU, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54764