Die Liberalisierung des Außenhandels im wirtschaftlichen Transformationsprozess der Republik Indien


Diploma Thesis, 2005

99 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Gliederung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Problemstellung
1.1 Einführung
1.2 Zielsetzung und Fragestellung
1.3 Konzeptioneller Aufbau

2 Theoretische Legitimierung der Integration einer Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft
2.1 Motivation für internationalen Handel
2.2 Theoretische Begründung für internationalen Freihandel
2.2.1 Theorie der komparativen Kosten
2.2.2 Produktivitäts-Theorie
2.2.3 Heckscher-Ohlin-Theorem
2.2.4 „Export- led growth“ - Hypothese
2.2.5 Neue Wachstumstheorie
2.2.6 Zusammenfassung
2.3 Gegenargument der nationalen Wohlfahrt Protektionismus
2.3.1 Definition und Instrumente des Protektionismus
2.3.2 Argumente zur Legitimierung des Protektionismus
2.3.2.1 „Infant-industry“- Argument
2.3.2.2 „Autarkie“- Argument
2.3.2.3 „Terms of Trade“- Argument
2.3.3 Fazit
2.4 Entwicklungsstrategien
2.4.1 Importsubstitution
2.4.2 Exportdiversifizierung

3 Implikation einer Außenhandelsliberalisierung
3.1 Thematische Einführung
3.2 Ausgangslage vor Reformbeginn
3.3 Struktur einer Außenhandelsliberalisierung
3.3.1 Ziele und Handlungsfelder
3.3.2 Relevante Komponenten einer Außenhandelsliberalisierung
3.3.2.1 Stabilisierung und ordnungspolitischer Rahmen
3.3.2.2 Kapitalverkehrsliberalisierung
3.3.2.3 Preisliberalisierung, Privatisierung und Finanzmarktreform
3.3.3 Das Reformdesign
3.3.3.1 „Sequencing“ der Reformschritte
3.3.3.2 „Timing“ der Reformschritte

4 Indiens Wirtschaftsstruktur vor dem Transformations prozess von
4.1 Grundlegende Elemente der indischen Wirtschaftspolitik
4.2 Das indische Außenhandelssystem und seine Folgen
4.3 Ergebnisse der indischen Wirtschaftsplanung und die Zahlungsbilanzkrise von

5 Die Liberalisierung des Außenhandels seit 1991
5.1 Wirtschaftspolitische Reformziele
5.2 Neugestaltung des Handelssektors
5.3 Reformmaßnahmen relevanter Nebenbedingungen

6 Ergebnisse und Entwicklungstendenzen der Reformen
6.1 Auswirkungen des Reformprozesses auf den Außen handel und auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung
6.2 Indiens außenwirtschaftliche Entwicklung im internationalen Vergleich
6.3 Kritische Würdigung und Perspektiven des indischen Liberalisierungsprozesses
6.3.1 Bewertung der Reformen
6.3.2 Überprüfung der theoretischen Erkenntnisse am Fallbeispiel Indien
6.3.3 Handlungsempfehlung

7 Schlussbetrachtung

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Internetverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Der Reformprozess

Abb.2: Anteil des Staats- und Privatsektors am BIP zu Faktorkosten

Abb.3: Indiens Zollsätze im internationalen Vergleich

Abb.4: Graduelle Absenkung der maximalen Importzölle für Investitionsgüter

Abb.5: Die Entwicklung des indischen Außenhandelsvolumens von 1990 - 2006

Abb.6: Entwicklung des indischen Bruttoinlandproduktes von 1990 - 2006

Abb.7: Anteil des indischen Außenhandels am Bruttoinlands- produkt von 1990 - 2004

Abb.8: Anteil verschiedener Einfuhrwaren bzw. Warengruppen am gesamten indischen Güterimport 1990-1991 und 1998-1999

Abb.9: Anteil verschiedener Ausfuhrwaren bzw. Warengruppen am gesamten indischen Güterexport 1990-1991 und 1998-1999

Abb.10: Entwicklung der bedeutendsten indischen Dienst- leistungsexporte an den gesamten Dienstleistungsausfuhren Indiens von 1995-2004

Abb.11: Anteil der indischen Importländer am Gesamtimport 1987-1988 und 1999-2000

Abb.12: Anteil der indischen Exportländer am Gesamtexport 1987-1988 und 2001-2002

Abb.13: Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes in ausgewählten Volkswirtschaften von 2006-2020

Abb.14: Durchschnittliche Zolltarife von 1990 und 2001

Abb.15: Anteil des Außenhandels am BIP 1990, 2000 und 2003

Tabellenverzeichnis

Tab.1: Instrumente des Protektionismus 20

Tab.2: Die bedeutendsten indischen Importgüter vor 1991

Tab.3: Die bedeutendsten indischen Exportgüter vor 1991

Tab.4: Jährliche Wachstumsraten des indischen Außenhandels von 1990 bis 2006

Tab.5: Entwicklung der indischen Leistungsbilanz von 1990-2004

1 Problemstellung

1.1 Einführung

Der internationale Handel mit Gütern und Dienstleistungen erlangt im wirtschaftlichen Geschehen eine immer höhere Bedeutung. Technischer Fortschritt im Transportwesen, die Liberalisierung des Welthandels und die weltweite Diffusion marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnungen haben zu einem erhöhten Zuwachs der internationalen Verflechtungen geführt (vgl. SCHÄTZL 2000, S.123 ff.). In den letzten Jahren drängen immer mehr Entwicklungsländer auf den Weltmarkt. Sie erhoffen sich durch die Liberalisierung ihrer Wirtschaft, insbesondere durch die exportorientierte Umstrukturierung, ein erhöhtes Wirtschaftswachstum, um so den Entwicklungsrückstand auf die Industrie- staaten abzubauen. Ausgangspunkt ist dabei eine jahrzehntelange Politik exzessiver Importsubstitution (vgl. ZWEIFEL/HELLER 1997, S.3).

Ein Exempel hierfür bildet die Republik Indien, die bis Anfang der 1990er Jahre fast völlig vom Weltmarkt abgeschottet war. Mehr als 40 Jahre lang wurde eine Politik nach dem Prinzip der „self-reliance“ verfolgt. Die wirtschaftliche, politische und militärische Selbstständigkeit wurde als das höchste Ziel des Staates vorgegeben. Zu Beginn der neunziger Jahre stürzte Indien in eine schwere Zahlungsbilanzkrise. Das indische Wirtschaftssystem war gescheitert. Die Regierung wurde zu tief greifenden, bis heute andauernden Wirtschaftsreformen gezwungen (vgl. GHOSE 2003, S.49 ff.). Erklärtes Ziel dieser Reformen war und ist die Integration Indiens in die Weltwirtschaft. Insbesondere die Liberalisierung des Außenhandels soll zum Motor des Wachstums werden (vgl. STEINGRÖVER 1998, S.141). Obwohl der Reformprozess noch nicht abgeschlossen ist, konnte bereits eine große Anzahl von Reformerfolgen erzielt werden, die zur Stabilisierung der Wirtschaft beigetragen haben. Eine Studie der Deutschen Bank Research über Globale Wachstumszentren prognostiziert, dass in Indien die Wirtschaft mit einem durchschnittlichen Wachstum des realen BIP von 5,5% pro Jahr im Zeitraum von 2006 bis 2020 so schnell wachsen wird wie in keinem anderen Land weltweit. Damit wird Indien bis 2020 zur drittgrößten Volkswirtschaft nach den USA und China werden1 (vgl. ASUNCION-MUND 2005, S.3).

1.2 Zielsetzung und Fragestellung

Die zentralen Ziele der Arbeit sind die Darstellung und die Bewertung des Außenhandelsliberalisierungsprozesses der Republik Indien. Des Weiteren sollen in diesem Zusammenhang auf der einen Seite die Vorteile des internationalen Freihandels und auf der anderen Seite die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen durch interventionistische Eingriffe aufgezeigt werden. Dazu werden unterschiedliche außenhandelstheoretische Ansätze dargestellt. Auf diese Weise soll die Integration einer Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft objektiv beurteilt werden. Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist es, den komplexen Vorgang einer Außenhandelsliberalisierung mit seinen unterschiedlichen Gestaltungsalternativen und interdependenten Rahmenbedingungen dar- zustellen, um im Verlauf der Arbeit den indischen Reformprozess besser beurteilen zu können. Aus den genannten Zielen ergeben sich folgende Fragestellungen für die Arbeit:

- Welche nachhaltigen positiven Wohlstandseffekte sind bei einer exportorientierten Umstrukturierung eines auf Importsubstitution ausgerichteten Wirtschaftssystems zu erwarten?
- Gibt es eine allgemeingültige Außenhandelsliberalisierungsstrategie, die auf alle Volkswirtschaften angewendet werden kann?
- Weshalb stand Indien 1991 kurz vor dem Staatsbankrott und welche Bedeutung hatte dabei die Isolation vom Weltmarkt?
- Welche Ziele hat die indische Regierung im Rahmen des Liberalisierungsprozesses vorgegeben und welche Reformschritte wurden ergriffen?
- Welche wirtschaftlichen Entwicklungen und welche Erfolgsaussichten sind seit den eingeleiteten Liberalisierungsmaßnahmen in Indien erkennbar?

1.3 Konzeptioneller Aufbau

Aus der aufgeführten Zielsetzung und Fragestellung ergibt sich folgender konzeptioneller Aufbau der Arbeit:

Im 2. Kapitel wird theoretisch untersucht, welche nachhaltigen positiven Wohlstandseffekte durch internationalen Freihandel zu erwarten sind und wie sich andererseits eine protektionistische Wirtschaftspolitik auswirkt. So soll die Integration einer Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft beurteilt werden. Aufgrund der Relevanz für das in der Arbeit untersuchte Länderbeispiel Indien werden die binnenmarktorientierte Importsubstitutionsstrategie und die als Antithese dienende Strategie der Exportdiversifizierung näher erläutert.

Um im weiteren Verlauf der Arbeit den indischen Reformprozess besser beurteilen zu können, werden im 3. Kapitel die unterschiedlichen Gestaltungsalternativen sowie die interdependenten Handlungsfelder und Nebenbedingungen einer Außenhandelsliberalisierung ausführlich erläutert.

Im 4. Kapitel wird auf die Zahlungsbilanzkrise des Jahres 1991 eingegangen. Die nachkolonialen binnen- und außenwirtschaftlichen Gegebenheiten des indischen Staates werden verdeutlicht und ihre Auswirkungen auf die Krise erörtert.

Darauf aufbauend befasst sich Kapitel 5 mit den Liberalisierungsmaßnahmen im Rahmen der exportorientierten Umstrukturierung des indischen Außenhandelssystems. Des Weiteren werden die relevanten Nebenbedingungen des Außenhandels in die Betrachtung mit einbezogen.

Im 6. Kapitel werden die Auswirkungen des Liberalisierungsprozesses auf den Außenhandel und auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Indiens aufgezeigt. Außerdem wird Indien mit einigen ausgewählten Ländern bezüglich des Reformerfolges verglichen. Abschließend wird die Liberalisierung des indischen Außenhandels unter Einbezug der vorherigen Ergebnisse kritisch betrachtet und mit den theoretischen Erkenntnissen des 2. Kapitels verglichen.

2 Theoretische Legitimierung der Integration einer Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft

In diesem Kapitel sollen die Vorteile des internationalen Freihandels (2.1 und 2.2), aber auch die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen durch interventionistische Eingriffe (2.3) unter Einbezug von wichtigen Außenhandelstheorieansätzen aufgezeigt werden. Weiterhin werden die Strategie der Importsubstitution und die der Exportdiversifizierung erläutert, die für das Beispiel Indien besonders relevant sind (2.4).

2.1 Motivation für internationalen Handel

Außenhandel zählt zu den ältesten Erscheinungsformen von Markt- im Sinne von Tauschwirtschaft. Farmer und Wendner definieren den Außenhandel folgendermaßen:

„ Handel mit Waren, die nach außen (= in andere L Änder) gehen oder von außen (= aus anderen L Ändern) kommen heißt Außenhandel oder internationaler Handel “ (FARMER/WENDNER 1997, S.157).

Es stellt sich die Frage, warum Länder miteinander Handel treiben. Allgemein lassen sich drei Gründe für den Handel von Waren zwischen Raumeinheiten feststellen:

Als erste Ursache für den Außenhandel wird in der Literatur die Nichtverfügbarkeit genannt. Ein Bezug von Waren aus anderen Regionen erfolgt dann, wenn in einem Land eine Nachfrage nach Gütern besteht, die aufgrund von Defiziten in der Ressourcenausstattung oder beim technischen Wissen nicht befriedigt werden kann (vgl. FARMER/WENDNER 1997, S.157). Man unterscheidet zwischen einer permanenten Nicht-Verfügbarkeit (resultierend aus der natürlichen Ausstattung eines Raumes) und der temporären Nicht-Verfügbarkeit (z.B. Missernten, Streiks) (KULKE 2004, S.199f.; vgl. BIRNSTIEL 1983, S.71f.).

Durch die unterschiedliche Ausstattung mit Produktionsfaktoren und Spezialisierungen können bei der Herstellung von Gütern Preisunterschiede zwischen verschiedenen Ländern auftreten. Durch die seit Jahren stetig sinkenden Raumüberwindungskosten erlangt die Nutzung dieser regionalen Differenzen bei den Kosten eine erhöhte Bedeutung. Insbesondere die gegenwärtigen Exportstrukturen zahlreicher Schwellenländer, die vor allem arbeitsintensive Industriegüter herstellen, lassen sich durch Preisunterschiede verdeutlichen (vgl. KULKE 2004, S.201).

Charakteristisch für den Handel zwischen hoch entwickelten Ländern ist der Austausch von Waren einer Warenklasse (z.B. Automobile), wobei kaum preisliche Unterschiede von Bedeutung sind, sondern die Qualit Äts- unterschiede. Diese erklären sich aufgrund vielfältiger Angebote der Produzenten und unterschiedliche Präferenzen der Nachfrager. So ist der Verkauf von italienischen Autos in Deutschland nicht durch Nicht-Verfügbarkeit oder Preisunterschiede, sondern durch differenzierte Verbraucherwünsche zu erklären (vgl. KULKE 2004, S.201f.).

2.2 Theoretische Begründung für internationalen Freihandel

Freihandel ist ein Modell der Außenwirtschaftspolitik. In der Literatur treten Ökonomen für den Freihandel ein und sehen in ihm das Ideal, das die Handelspolitik anstreben sollte. Außenhandel, der keinen staatlichen Eingriffen unterliegt, kann eine Wohlstandssteigerung in allen Volkswirtschaften bewirken, die durch wirtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden sind. Vor allem Effizienzverluste, die durch protektionistische Maßnahmen hervorgerufen werden, lassen sich nach Meinung zahlreicher Ökonomen durch Freihandel vermeiden. Außerdem erzeugt der freie Handel Gewinne, die über die Vermeidung von Produktions- und Konsumverzerrungen hinausgehen (vgl. BENDER 1995, S.463f.; vgl. KRUGMANN/OBSTFELD 2004, S.290).

Im folgenden Abschnitt dieser Arbeit sollen die Wohlstandseffekte des internationalen Handels durch einige klassische und neoklassische Außenhandelstheorieansätze sowie der neuen Wachstumstheorie verdeutlicht werden.

2.2.1 Theorie der komparativen Kosten

Der Engländer David Ricardo hatte bereits 1817 in seiner „ Theorie der komparativen Kosten “ erkannt, dass durch freien internationalen Handel komparative Kostenunterschiede im In- und Ausland entstehen können (vgl. SIEBERT 2000, S.29). Demnach kann ein Land selbst für den Fall, dass die absoluten Kosten der Produktion ihrer Güter höher als im Ausland sind, in einem Gut einen relativen Kostenvorteil erzielen. Der internationale Handel führt daher zu einer Produktionsspezialisierung jedes Landes auf dasjenige Gut, bei dem es über einen komparativen Kostenvorteil verfügt. Dieses ist dann der Fall, wenn die Opportunitätskosten für dessen Herstellung, ausgedrückt in anderen Gütern, in diesem Land niedriger sind als in anderen Ländern. Durch die jeweilige Spezialisierung auf ein Gut kann mit unverändertem Faktoreinsatz bei gleichem Produktionsverfahren von beiden Produkten mehr produziert werden. Internationaler Handel führt deshalb zu einer Steigerung der weltweiten Produktionsmenge. Somit kann man den internationalen Freihandel gesamtwirtschaftlich als wohlfahrtsoptimal bezeichnen (vgl. KRUGMAN/ OBSTFELD 2004, S.38ff.; vgl. BENDER 2003, S.484ff.; vgl. SIEBERT 2000, S.29-38).

2.2.2 Produktivitäts- Theorie

Ricardos Theorie zeigt die direkten Vorteile von Freihandel durch Arbeitsteilung und Optimierung der Produktionsfaktorenallokation auf. Demgegenüber lassen sich aus der „ Produktivit Äts- Theorie “ der zwei klassischen Nationalökonomen Adam Smith und John Stuart Mill indirekte positive Effekte aus dem internationalen Handel ableiten. Zum einen kann sich durch die Erschließung neuer Absatzmärkte die Produktionsmenge erhöhen. Daraus resultiert eine Absenkung der Stückkosten („economies of scale“). Darüber hinaus kommt es durch den Freihandel zu einer Verbreitung von Wissen und technischen Fortschritt, was zu einer Verbesserung der Produktionsmethoden und des Humankapitals führt. Auch die gesteigerte Wettbewerbsintensität zwischen verschiedenen Ländern, und somit der Anreiz effizienter zu produzieren und in neue Technologien zu investieren, wird durch den internationalen Handel gefördert (vgl. EIDEL 2000, S.26).

2.2.3 Heckscher-Ohlin-Theorem

Das „ Faktorproportionentheorem “ (Heckscher-Ohlin-Theorem) stammt von den schwedischen Ökonomen Eli Heckscher und Bertil Ohlin. Die neoklassische Variante der Theorie der komparativen Kosten erklärt die komparativen Kostenunterschiede in der Güterherstellung und die Richtung der Handelsströme mit der unterschiedlichen Ausstattung mit Produktionsfaktoren. Weltweit unterscheiden sich die Länder in ihren Faktorausstattungen (Knappheit bzw. Überfluss). Daraus resultieren abweichende Faktorpreis- verhältnisse. Diese führen wegen der unterschiedlichen Faktorintensitäten bei der Produktion verschiedener Güter zu nicht übereinstimmenden Güterpreisverhältnissen. Jedes am Handel teilnehmende Land spezialisiert sich deshalb auf die Herstellung desjenigen Gutes, bei dessen Fertigung der relativ reichlich vorhandene Produktionsfaktor intensiv eingesetzt wird. Durch die Umschichtung der Produktionsfaktoren zugunsten derjenigen Sektoren, die die reichlich vorhandenen Faktoren intensiver nutzen, kann mit den gegebenen Beständen eine höhere Wertschöpfung und somit eine höhere Wohlfahrt realisiert werden (vgl. KRUGMAN/OBSTFELD 2004, S.106ff.; vgl. EIDEL 2000, S.26f.; vgl. ZWEIFEL/HELLER 1997, S.132ff.).

2.2.4 „Export- led growth“ - Hypothese

Nach der postkeynesianische „ Export- led growth “ - Hypothese stellt der Anstieg der Exporttätigkeit die wichtigste Variable für wirtschaftliches Wachstum dar.

Es wird zum einen unterstellt, dass Exportwachstum die Produktionstätigkeit einer Industrie steigert und so das Wirtschaftswachstum antreibt. Durch die erhöhte Nachfrage nach den Gütern der Industrie kommt es durch Nutzung von Größenvorteilen und die damit zusammenhängende Absenkung der Stückkosten (economies of scale) zu einer Produktivitätssteigerung. Steigen die Löhne mit einer geringeren Rate als die Produktivität, so realisiert die Industrie eine Reduzierung der Kosten. Sie steigert so ihre Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten und damit die Exporte. Steigt wiederum die Nachfrage auf den Exportmärkten, so erhöht sich über die Spezialisierungsvorteile auch die Produktivität.

Zum anderen kann durch ein starkes Exportwachstum und die damit zusammenhängende positive Handelsbilanz das Vertrauen der Unternehmen in die Wirtschaft unterstützt und so deren Investitionstätigkeit gefördert werden. Die Steigerung des Investitionsniveaus gewährleistet eine hohe Produktivitätsrate und zieht über den aufgeführten Zusammenhang eine Verbesserung der Zahlungsbilanz nach sich, womit ein Wachstumspfad auf höherem Niveau eingeschlagen wird (vgl. EIDEL 2000, S.27f.).

2.2.5 Neue Wachstumstheorie

Unter den Begriff der Neuen Wachstumstheorie wurden Ende der 1980er Jahre Wachstumsmodelle mit steigenden Skalenerträgen, Humankapitalbildung und endogen erklärbarem technischen Fortschritt entwickelt. Dabei wurden potentielle Relationen zwischen Handelspolitik, technischem Fortschritt und Wirtschaftswachstum theoretisch begründet. Der Zusammenhang zwischen dem Außenhandelsregime eines Landes und der Wachstumsrate seines Inlandsproduktes wurden hier besonders betrachtet.

Nach den Modellen der Neuen Wachstumstheorie wird das Wachstum des BIP durch die Produktion neuen technischen Wissens im Forschungs- und Entwicklungssektor einer Volkswirtschaft erzeugt. Der F&E-Sektor bildet demnach den zentralen Wachstumsmotor einer Volkswirtschaft, da durch technologische Neuerungen die Produktivität der eingesetzten Produktions- faktoren ansteigt und so die Outputmenge zunimmt. Das Außenhandelsregime kann so über seine Einflussnahme auf die Produktionsmenge bzw. -ergebnisse des F&E-Sektors auf die Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes einwirken. Ein Land kann am intensivsten durch Freihandel an der internationalen Arbeitsteilung und dem auf ihr aufbauenden Güter- und Wissenstransfer teilhaben. Demnach wird durch Freihandel der Bestand an verfügbarem technologischem Wissen einer Volkswirtschaft erhöht. Folglich kann das Außenhandelsregime dazu beitragen, dass sich der Einsatz effizienter Produktionsfaktoren im F&E-Sektor erhöht und somit auch der Output des F&E- Sektors und mit ihm die Wachstumsrate des Bruttoinlandproduktes ansteigt (vgl. EIDEL 2000, S.44f).

Die Beeinflussung der Wachstumsentwicklung kann über verschiedene Mechanismen des Freihandels erfolgen. Zum einen kann sich durch eine Ausweitung des Marktes (Marktexpansionseffekt) der Anreiz zur Herstellung neuen technischen Wissens erhöhen (Abschöpfung von Monopolgewinnen). Das führt zu einer Erhöhung der Outputmenge des F&E-Sektors und demzufolge zu einer Steigerung der Wachstumsrate des BIP. Wird als Hauptgrund für die Entstehung technischen Wissens und Produktivitäts- fortschritts die Arbeitsteilung interpretiert, ist die Marktgröße die bedeutendste Wachstumsvariable.

Neben dem Markterweiterungseffekt kann aber auch der so genannte Wissenstransfereffekt aus Freihandel theoretisch begründet werden. Unter der Vorraussetzung vollkommener Mobilität von technologischem Wissen zwischen zwei perfekt symmetrischen Ökonomien impliziert einsetzender Freihandel die Verdoppelung des Bestandes an technologischem Know-how. Dies führt bestenfalls zu einer Verdoppelung der verfügbaren Varietät von Produktionsgütern und damit zu einer Verdoppelung der Produktivität in den Produktionssektoren beider Volkswirtschaften.

Der Marktexpansionseffekt und der Wissenstransfereffekt führen also zu einer Erhöhung der Produktionsmenge an technischem Wissen im F&E-Sektor. Damit kann man einen positiven Zusammenhang zwischen dem Offenheitsgrad einer Volkswirtschaft und dem Wachstum ihres Bruttoinlandsproduktes feststellen (vgl. RIVERA-BATIZ/ROMER 1991, S.971ff.; vgl. BENDER 2003, S.512f).

2.2.6 Zusammenfassung

Die in den klassischen, neoklassischen und der neuen Wachstumstheorie nachgewiesenen Vorteile der Liberalisierung des Welthandels bieten eine breite Legitimationsbasis des Freihandelsziels. Demnach empfängt sowohl die Welt, als auch jedes einzelne Land, das seine Außenwirtschaftspolitik nach dem Leitbild des freien Welthandels ausrichtet, nachhaltige positive Wohlstands- effekte (vgl. GERKEN 1999, S.29). Zusammenfassend haben sich vier zentrale Kanäle für den Wohlstandsgewinn aus Freihandel herauskristallisiert:

Wohlfahrtsgewinne und Wirtschaftswachstum liegen bei der Aufnahme von internationalen Handelsbeziehungen in der verbesserten Ressourcenallokation (Allokationseffekt) in den beteiligten Volkswirt- schaften entsprechend deren komparativen Vorteile. In den am Freihandel beteiligten Ländern kommt es zu einer Spezialisierung auf die Produktion der Exportgüter, die sie relativ kostengünstig herstellen können. Jene Güter hingegen, deren Inlandsproduktion mit relativ hohen Kosten verbunden wäre, werden importiert.

Durch Freihandel kommt es zu einer Ausweitung der Absatzmärkte (Marktexpansionseffekt), so dass durch eine Produktionserhöhung größenabhängige Kostendegressionspotentiale besser abgeschöpft werden können (Ausnutzung von Skalenvorteilen).

Freihandel fördert die internationale Diffusion von Wissen und Technologien. Aufgrund dessen kommt es zu einer Verbesserung des Humankapitals und ermöglicht komparative Vorteile bei der Produktion durch importierte Prozess- und Produktinnovationen. Durch die Offenheit der Märkte können die konkurrierenden Unternehmen schneller auf technologische Neuerungen reagieren und vermeiden hohe Kosten durch parallele Entwicklungen (Wissenstransfereffekt).

Freihandel intensiviert den Wettbewerb zwischen Unternehmen (Preis-, Qualitäts- und Innovationswettbewerb). Der erhöhte Wettbewerbsdruck zwingt die Unternehmen ihre Produktpalette durch Innovationen horizontal und vertikal zu erweitern, ihre Qualität zu verbessern und die Kosten im Produktionsprozess zu senken (Wettbewerbseffekt). Auch nichtpreisliche Wettbewerbsparameter wie Marketing und Vertrieb, Liefertreue, Kundenorientierung etc. werden qualitativ verbessert (vgl. BENDER 2003, S.537f.; vgl. EIDEL 2000, S.55f.; vgl. WAGNER 1993, S.113ff.; vgl. KRUGMAN/OBSTFELD 2004, S.290ff.; vgl. WECK- HANNEMANN 1992, S.21ff.).

2.3 Gegenargument der nationalen Wohlfahrt - Protektionismus

2.3.1 Definition und Instrumente des Protektionismus

Trotz der Befürwortung fast aller Ökonomen, ist das Leitbild des freien Welthandels in der Realität eine Utopie. Immer wieder sind Volkswirtschaften zu beobachten, die vom Welthandel abweichen und aus einer Vielzahl von Gründen sich protektionistisch verhalten. Insbesondere im Fall der Entwicklungsländer soll durch eine solche Wirtschafts- und Handelspolitik ihre politische und vor allem wirtschaftliche Unabhängigkeit gesichert werden (vgl. BERG 1995, S.464; vgl. SIEBERT 2000, S.180).

Bender spricht von Protektionismus, wenn wirtschaftspolitische Instrumente zur Lenkung der Außenhandelsströme für den Schutz bestimmter Interessengruppen ausgerichtet werden (BENDER 2003, S.517).

Protektionismus wird demnach dann geltend gemacht, wenn heimische Sektoren vor ausländischen Anbietern geschützt werden sollen. Der Ausgangspunkt für handelspolitische Eingriffe ist in der Regel, wenn ein heimischer Sektor, der Importsubstitute herstellt, seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischer Konkurrenz verliert. In dieser Situation sollen durch verschiedene Maßnahmen und Instrumente die heimische Produktion und Beschäftigung erhalten werden (vgl. SIEBERT 1997, S.161).

Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, sind diverse Protektionsinstrumente vorhanden. Dabei können inländische Importkonkurrenz- oder Exportanbieter gegenüber der Auslandskonkurrenz (Importzoll, Importkontingent, Exportsubvention) geschützt werden. Gleiches gilt für inländische Nachfrager von Importen oder Exporten gegenüber konkurrierender Auslandsnachfrage (Importsubvention, Exportzoll, Exportkontingent). Neben Import- und Exportzöllen (tarifärer Protektionismus) sind heute vielfach andere Formen von preis- und mengenpolitischen Eingriffen (nicht-tarifärer Protektionismus) vorhanden (BENDER 2003, S.517; vgl. KRUGMAN/OBSTFELD 2003, S.296).

Tab.1: Instrumente des Protektionismus

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung nach BENDER 2003, S.517)

2.3.2 Argumente zur Legitimierung des Protektionismus

Ausgehend von der Kritik an den Annahmen der traditionellen und neueren Freihandelsmodelle und der Schlussfolgerung einer außenorientierten Handelsstrategie wurden Szenarien für die Optimalität diskretionärer handelspolitischer Interventionen entwickelt. Die handelspolitischen Eingriffe können eine Volkswirtschaft insgesamt oder einzelne Sektoren betreffen, sie können an nationalen Instrumenten ansetzen oder sich auf internationale Regeln beziehen. Im folgenden Kapitel werden die wichtigsten Argumente zur Begründung des Protektionismus kritisch dargestellt.

2.3.2.1 „Infant-industry“ - Argument

Die Forderung nach einem zeitlich begrenzten Importschutz für Industrien, die sich noch in einem jungen Entwicklungsstadium befinden, geht auf die Erziehungszolltheorie von Friedrich List (1841) zurück. Das „ Infant-industry “ - Argument fordert, dass junge Industrieunternehmen vor allem von Ländern, die noch nicht intensiv in die internationale Arbeitsteilung integriert sind, vor dem internationalen Wettbewerb durch temporären Importprotektionismus in Form von Erziehungszöllen (Importzölle und andere Handelshemmnisse) geschützt werden. Besonders junge Unternehmen, vor allem gering industrialisierter Länder, sollen dadurch ihren internationalen Wettbewerbsrückstand abbauen können. Während der Protektionsphase sollen Erfahrungen in Produktion und Absatz ihrer Güter gesammelt werden, um die Durchschnittskosten zu senken. Der Zeitraum des Importschutzes ist nur von vorübergehender Natur. Nach dem Wegfall der Zölle soll durch die Effizienzsteigerung der Produktion eine internationale Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden. Grundsätzlich ist ein kurzfristiger Importschutz nur dann zu rechtfertigen, wenn verschiedene Bedingungen erfüllt sind. Zum einen muss sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit der jungen Industrie in kurzer Zeit soweit erhöhen, dass sie sich auch ohne Protektion auf dem Weltmarkt behaupten kann. Zum anderen müssen die anfänglichen Wohlfahrtsverluste, die durch die Erhebung des Erziehungszolles anfallen, durch spätere Wohlfahrtsgewinne aus Kostensenkungen wieder neutralisiert werden (EIDEL 2000, S.29ff.; vgl. WECK- HANNEMANN 1992, S.24).

Gegenüber dem „Infant-industry“ Argument gibt es Einwände. Durch die fehlende ökonomische Voraussicht der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die über die Förderung der schutzbedürftigen Industriesektoren entscheiden, kann es zu Fehlentscheidungen kommen. Immerhin wird durch die Auswahl der zu schützenden Wirtschaftszweige oder Industrien bestimmt, ob die Politik durch eine vorübergehende Abschirmung die Wohlfahrt der Volkswirtschaft tatsächlich zu erhöhen vermag. Ein Erziehungszoll ist folglich nur dann sinnvoll, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die staatlich Beauftragten eine bessere Voraussicht als die privaten Unternehmer haben, wobei hieran erhebliche Zweifel bestehen. Auch die Festlegung einer „angemessenen Zeitspanne“ der Protektion ist fast unmöglich. Empirische Untersuchungen in import- substituierenden Staaten haben ergeben, dass eine als temporär gedachte Zollprotektion oftmals von jahrzehntelanger Dauer war. Nach der Wieder- aufnahme des Freihandels waren die geschützten Industrien nicht oder nur stark begrenzt wettbewerbsfähig (vgl. SIEBERT 2000, S.181; SIEBERT 1997, S.165f.).

2.3.2.2 „Autarkie“ - Argument

Das Argument der wirtschaftlichen und politischen Eigenständigkeit des Landes wird immer wieder für protektionistische Eingriffe des Staates angeführt. Insbesondere das Versorgungsrisiko wird als Erklärung vorgebracht, wenn ein Land seine Importsubstitute (Agrarprodukte, Kohle) vor der ausländischen Konkurrenz schützt.

Dabei ist allerdings zu bedenken, dass der Bezug von Importgütern heutzutage in aller Regel weltweit gestreut ist2, und einseitige Abhängigkeiten kaum bestehen. Das Risiko, in Versorgungsengpässe zu geraten, wird so reduziert. Des Weiteren wirkt die Globalisierung der Märkte einer Abhängigkeit von bestimmten Ländern (als Einzellieferanten) entgegen. Außerdem entstehen für heimische Exportsektoren durch die Selbstversorgungspolitik hohe Kosten und Wettbewerbsnachteile, da sie diese Güter als Inputs für ihre Produktion verwenden. Letztendlich lässt sich das wirtschaftspolitische Ziel, das Versorgungsrisiko zu reduzieren, nicht zwingend durch den Schutz der heimischen Produzenten, sondern eher mit einer ausreichenden Lagerbildung erreichen. Autarkie ist demnach mit erheblichen Wohlstandsverlusten verbunden (vgl. SIEBERT 2000, S.181; vgl. SIEBERT 1997, S.160f.).

2.3.2.3 „Terms of Trade“ - Argument

Das „ Terms of Trade “ - Argument besagt, dass ein Land mit internationaler Marktmacht (das also Auslandsexportpreise zu beeinflussen vermag) mit Hilfe eines Zolls die Importpreise senken und so seine Terms of Trade3 verbessern kann. Augrund eines Importzolls auf ein Produkt geht dessen Inlandsnachfrage zurück und steigt dessen Angebot. Die sinkende Importnachfrage führt zu einem Angebotsüberschuss auf dem Weltmarkt, worauf der Preis des Importgutes absinkt. Das Inland realisiert bei unveränderten Exportgüterpreisen über die Verbesserung seiner Terms of Trade eine Wohlfahrtssteigerung. Bei einem bestimmten Optimalzoll4 werden die fehlallokationsbedingten Verluste, die aus der unrentablen Produktion und der Verringerung der Nachfrage entstehen, überkompensiert.

Die Verbesserung der eigenen Situation erfolgt hier allerdings einseitig auf Kosten der ausländischen Handelspartner. Bei einer Aufnahme von freien internationalen Handelsbeziehungen würde hingegen sowohl das Inland als auch das Ausland an den Wohlfahrtssteigerungen teilhaben. Negativ betroffene Länder können ihrerseits mit Gegenmaßnahmen in Form von Retorsionszöllen reagieren. Es ist also leicht möglich, dass sich im Gesamtergebnis auch für das den Optimalzoll erhebende Land nicht eine Wohlfahrtsverbesserung sondern eine Verschlechterung einstellt (vgl. EIDEL 2000, S. 29; vgl. WECK- HANNEMANN 1992, S.26f.; vgl. KRUGMANN/OBSTFELD 2004, S.296f.).

2.3.3 Fazit

In der Realität greifen Politiker immer wieder zu protektionistischen Maßnahmen, um gesamtnationale Interessen zu verfolgen. Die nationale Wohlfahrt scheint sich hierbei aber nur in Ausnahmefällen tatsächlich zu erhöhen (vgl. KRUGMAN/OBSTFELD 2004, S.296). Nach der kritischen Betrachtung der vorgestellten Argumente wird deutlich, dass eine protektionistisch ausgelegte Handelspolitik nicht zu den erhofften wirtschaftlichen Wachstumseffekten führt. Unter der Mehrheit der Ökonomen besteht ein breiter Konsens darüber, dass protektionistische Maßnahmen in der Regel Effizienzverluste nach sich ziehen. Aufgrund des direkten Effekts der komparativen Kostenvorteile und der indirekten Effekte der Marktexpansion, des Wissenstransfers und des Wettbewerbs, wird der Freihandel als die erfolgversprechendere Strategie für Transformation und Wachstum gesehen (vgl. EIDEL 2000, S.35).

2.4 Entwicklungsstrategien

Zwischen den hoch entwickelten Industrienationen (z.B. USA oder Japan) und zwischen den weniger entwickelten Ländern (z.B. Indien, Bangladesh) bestehen erhebliche Diskrepanzen (z.B. im Pro-Kopf-Einkommen). Die Entwicklungsländer versuchen, diese Rückstände aufzuholen, und richten ihre wirtschaftspolitische Vorgehensweise danach aus (vgl. KRUGMANN/ OBSTFELD 2004, S.337f.). Aufgrund der Relevanz für das Länderbeispiel Indiens soll in diesem Kapitel die entwicklungspolitische Strategie der binnenmarktorientierten Importsubstitution näher erläutert werden. Weiterhin soll die Strategie der weltmarktorientierten Exportdiversifizierung als Antithese dienen.

2.4.1 Importsubstitution

Nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der 1970er Jahren war die Handelspolitik vieler Entwicklungsländer (Lateinamerika, Indien) von der Überzeugung geprägt, den Aufbau ihrer Volkswirtschaften zu beschleunigen, indem sie den Import von Industriegütern beschränkten (vgl. KRUGMAN/OBSTFELD 2004, S.339). Importe sollten durch heimische Erzeugnisse ersetzt werden. Infolgedessen wurde ein Industriesektor für den Binnenmarkt geschaffen. Insbesondere durch den Schutz junger Industrien sollte nach dem Prinzip des „Infant-Industry“ - Arguments eine eigene Wirtschaftsbasis aufgebaut werden (vgl. SIEBERT 1997, S.125f.). Trotz der zahlreichen Einwände gegen das Erziehungszollargument wurde es von vielen Entwicklungsländern als Begründung benutzt, die Entwicklung neuer Branchen zu fördern. Als Instrumentarium zur Durchsetzung der Importsubstitutionsstrategie dienten temporäre und dauerhafte Protektionsinstrumente für inländische Anbieter. Charakteristische Instrumente waren Importzölle, die mit zunehmenden Verarbeitungsgrad anstiegen und daher die heimischen Fertigwaren- produzenten schützten, sowie Importquoten oder Importlizenzen (vgl. BENDER 1995, S.537; vgl. SIEBERT 1997, S.126). Normalerweise schützten die Entwicklungsländer zunächst die letzten Fertigungsstufen der Branche (z.B. bei der Automobilmontage). In größeren Staaten wie z.B. Brasilien ersetzten einheimische Güter die importierten Produkte fast vollständig. Später wurden auch Maßnahmen zur Protektion von Zwischenprodukten (z.B. Autokarosserien, Stahl, petrochemische Produkte) ergriffen. In vielen Entwicklungsländern wurde die Importsubstitutionsstrategie nicht bis zu ihrem logischen Ende getrieben. Höherwertige Produkte wie z.B. Computer wurden weiterhin importiert. Dennoch haben insbesondere größere Entwicklungsländer, die diese Strategie verfolgten, ihre Importe auf ein beachtlich niedriges Niveau absenken können (vgl. KRUGMANN/OBSTFELD 2004, S.343).

Dennoch hat die importsubstituierende Industrialisierung die wirtschaftliche Entwicklung der Staaten nicht wirklich gefördert. Die meisten Länder, die diese Strategie verfolgten, konnten ihren Rückstand auf die fortgeschrittenen Staaten nicht verringern. Insbesondere der Nutzen des Erziehungszolls wird scharf kritisiert. Ein temporärer Schutz schafft keinen wettbewerbsfähigen Industriesektor, da einem Land aus fundamentalen Gründen jeder komparative Vorteil in der Produktion fehlt. Von Bedeutung für das Scheitern der Importsubstitutionsstrategie ist auch der fehlende internationale Wettbewerbsdruck der heimischen Produzenten. Ohne diesen bleiben Kostensenkungen und Innovation meist aus (vgl. SIEBERT 1997, S.126).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Ländern, in denen es vor der Einführung der Strategie der Importsubstitution keine Industrie gab, die Schutzmaßnahmen nur für die Anfänge hilfreich sein können. Im Industriesektor entstehen auf langfristige Sicht keine wettbewerbsfähigen Strukturen. Die Industrie wird vielmehr am Leben erhalten. Das erkannten Ende der 1980er Jahre auch die politischen Entscheidungsträger vieler importsubstituierender Staaten. Daher fand eine Trendwende von einer protektionistischen hin zu einer relativ freien Handelspolitik statt. Viele Entwicklungsländer beseitigten Importquoten und senkten die Zölle (vgl. KRUGMANN/OBSTFELD 2004, S.344ff.).

2.4.2 Exportdiversifizierung

Während die Importsubstitutionsstrategie eher binnenorientiert ist, wird seit Mitte der 1960er Jahre besonders erfolgreich von den Tiger-Staaten5 in Südostasien die weltmarktorientierte Strategie der Exportdiversifizierung zur wirtschaftlichen Entwicklung angewendet (vgl. KULKE 2004, S.232f.). Sie verfolgt folgende Ziele: das Wachstum der traditionellen Exportsektoren soll forciert und die nötigen Deviseneinnahmen für Entwicklungen neuer Exportzweige sowie der Binnenwirtschaft sollen durch höhere Exporterlöse beschafft werden. Durch die aufgezeigte Entwicklungsförderung kommt es zu direkten Effekten vom Exportsektor auf die Binnenwirtschaft des entsprechenden Landes (vgl. HEMMER 2002, S.650f.). Darüber hinaus wird durch die Teilnahme am internationalen Wettbewerb, aufgrund des außenwirtschaftlich intensivierten Konkurrenzdrucks, die Effizienz der heimischen Produktion verstärkt und dadurch eine tragfähige Wirtschaftsbasis geschaffen. Die für Exporte schädliche Wirkung der Importprotektion wird zunächst durch gezielte Exportfördermaßnahmen wie Prämien, Subventionen, Steuernachlässe oder Risikogarantien kompensiert, was bei hohen heimischen Ersparnissen für den Budgetausgleich des Staates nicht allzu nachteilig ist (vgl. WAGNER 1993, S.48).

Die von den südostasiatischen Tiger-Staaten verfolgte Politik der Exportdiversifikation erwies sich als erfolgreich. Die Exporte waren ein gewaltiger Stimulus für die Industrialisierung und die wirtschaftliche Entwicklung, wodurch die Länder hohe Wohlfahrtsgewinne erzielen konnten (vgl. SIEBERT 1997, S.126f.).

[...]


1 gemessen in Kaufkraftparität (KKP), d.h. wechselkursbereinigt

2 Streuung der Bezugsquellen, Streuung auf Substitute - z.B. bei Energieträgern: Kohle, Erdöl, Erdgas

3 Dieser Begriff bezeichnet den Quotienten aus dem Preis des Gesamtexports und dem Gesamtimport eines Landes (vgl. KRUGMANN/OBSTFELD 2004, S.138).

4 Ein Optimalzoll ist erreicht, wenn der Grenznutzen aus der Verbesserung des realen Austauschverhältnisses gerade den marginalen Kosten der durch die Politik induzierten Allokationsverzerrungen im Inland entspricht (vgl. WECK-HANNEMANN 1992, S.26).

5 Bezeichnung für die asiatischen Schwellenländer Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur (vgl. DIERCKE WÖRTERBUCH ALLGEMEINE GEOGRAPHIE 1997, S.890)

Excerpt out of 99 pages

Details

Title
Die Liberalisierung des Außenhandels im wirtschaftlichen Transformationsprozess der Republik Indien
College
University of Hannover  (Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie)
Grade
2,3
Author
Year
2005
Pages
99
Catalog Number
V54799
ISBN (eBook)
9783638499156
File size
729 KB
Language
German
Keywords
Liberalisierung, Außenhandels, Transformationsprozess, Republik, Indien
Quote paper
Diplom-Wirtschaftsgeograph Christian Sunder (Author), 2005, Die Liberalisierung des Außenhandels im wirtschaftlichen Transformationsprozess der Republik Indien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54799

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