Die Bedeutung der Resilienzforschung für die Sozialpädagogik


Dossier / Travail, 2004

48 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Entwicklung der Resilienzforschung
2.1. Emmy E. Werner: Kauai-Studie
2.2. Viktor E. Frankl: Logotherapie
2.3. Aaron Antonowsky: Salutogenese
2.4. Schwerpunkte der Resilienzforschung
2.4.1. Resilienzforschung im Kontext der Entwicklungspsycho-

3. Resiliente Persönlichkeiten
3.1. Merkmale resilienter Persönlichkeiten

4. Risiko- und Schutzfaktoren
4.1. Risikofaktoren
4.3.1. Risikoforschung
4.2. Schutzfaktoren
4.2.1. „Royal Protekts“ – königliche Schutzfaktoren

5. Voraussetzungen für eine sinnvolle Verwendung des Schutzkonzeptes

6. Resilienzforschung als Paradigmenwechsel in der Sozialpädagogik

7. Transfer der Resilienzforschung in die sozialpädagogische Praxis
7.1. Konsequenzen für den Sozialpädagogen
7.2. Sozialpädagogische Familienhilfe

8. Resümeè und Perspektive

9. Anhang

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Zwei Söhne eines hoffnungslosen Alkoholikers wurden einmal gefragt, worauf sie ihren Werdegang zurückführten. Der eine war mittlerweile glücklich und wohlhabend, der andere lag genauso in der Gosse wie sein Vater. Weißt Du, was beide entgegneten? ‚Kunststück bei so einem Vater!’ “ (Höller, 1998, S.106)

Warum bewältigen manche Menschen belastende Ereignisse und Lebenssituationen, und gehen aus Krisen gestärkt hervor, während andere durch die gleichen Umstände stark verletzt und geschädigt werden?

Dieses ist eine zentrale Frage der Resilienzforschung, die zu klären versucht, was Menschen brauchen, um sich nach Niederlagen und belastenden Lebensereignissen immer wieder aufzurichten, seelisch unversehrt zu bleiben und sich erfolgreich im Leben weiterzuentwickeln.

Studien amerikanischer Psychologen, die Kinder aus extrem schwierigen Familienverhältnissen untersuchten, ergaben, dass sich einige Kinder trotz widriger Lebensumstände prächtig entwickelten, und damit über ein hohes Maß an Resilienz verfügten. In Wissenschaftskreisen sorgten sie damit für großes Aufsehen, denn diese Ergebnisse rüttelten stark an der, seit Siegmund Freud geltenden, Annahme, dass ein Mensch vor allem durch seine Kindheitserlebnisse geprägt wird. Außerdem warfen sie Fragen nach dem „Geheimnis“ auf, was diese Menschen hatten, das andere nicht besaßen…

In dieser Hausarbeit möchte ich erklären, was man unter Resilienz versteht und einen Einblick über den Verlauf der bisherigen Resilienzforschung geben. Dazu gehört auch ein Blick auf die Schwerpunkte der Resilienzforschung sowie auf den Kontext der Entwicklungspsychopathologie.

Weiter werde ich erläutern, welchen Risikofaktoren Kinder und Familien ausgesetzt sind, und welche Schutzfaktoren dazu beitragen können, diese Risiken zu minimieren. Der Schwerpunkt dieser Arbeit soll an dieser Stelle auf der Betrachtung der Schutzfaktoren und den darin begründeten Chancen liegen.

Bemerkt werden sollen aber auch die Probleme der Resilienzforschung sowie die Bedingungen, welche zu einer sinnvollen Umsetzung eines Schutzkonzeptes notwendig sind, sowie die Grenzen der Umsetzbarkeit.

Weiter möchte ich die Resilienzforschung als Paradigmenwechsel der Sozialpädagogik betrachten, wozu auch der entwicklungspsychologische Aspekt der Sozialpädagogik kurz angerissen wird.

Der letzte Teil der Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Versuch von Transferleistungen der Ergebnisse der Resilienzforschung in die sozialpädagogische Praxis. Dabei wird vor allem die Rolle und die Aufgaben des Sozialpädagogen näher beleuchtet. Insbesondere wird dabei die Sozialpädagogische Familienhilfe betrachtet. Ein abschließender Ausblick auf die Erträge und Perspektiven der Resilienzforschung beschließen die Arbeit.

1.1 Was versteht man unter Resilienz?

Der Begriff der Resilienz hat seinen Ursprung in der Physik und meint dort die Fähigkeit, einer gestressten Masse, wieder in ihre ursprüngliche Form zurück zu kehren.

Für die Bedeutung in der Sozialpädagogik beschreibt Marie-Luise Cohnen den Resilienzbegriff folgendermaßen:

„Resilienz wird lt. Naturwissenschaftlicher Definition als Fähigkeit beschrieben, zu einer vorherigen Form zurückzuspringen. […] Resilienz beschreibt eine Elastizität, die mit der Kraft verbunden ist, die vorige Form oder Position wieder einzunehmen, nachdem diese gedrückt oder verbogen wurde.[…] Nach Forma Walsh (1998), führende amerikanische Familientherapeutin, kann Resilienz als die Fähigkeit definiert werden, aus den widrigsten Lebensumständen gestärkt und mit größeren Ressourcen ausgestattet als zuvor herauszukommen,[…] Es ist ein aktiver Prozess des Wagemuts und der Fähigkeit zur Selbstkorrektur sowie des Wachsens als eine Antwort auf Krisen und die daraus resultierenden Herausforderungen. Resilienz ist die Fähigkeit, Elend, Not und Trauma zu überwinden.“ (Cohnen, 2004, S.18 ff.)

Unter dem Resilienzbegriff im Kontext der Pädagogik lassen sich drei Erscheinungsformen subsummieren:

die gesunde, positive Entwicklung trotz hohem Risikostatus

die beständige Kompetenz unter extremen Stressbedingungen

die positive, bzw. schnelle Erholung von traumatischen Erlebnissen

(vgl. Wustmann 2004 nach Bender/Lösel 1998 und Werner 2000)

Da diese Hausarbeit auf dem Resilienzbegriff basiert, füge ich, zur spezifischen Verdeutlichung, im Anhang weitere Definitionen an, um die Terminologie umfassend zu klären. In allen Definitionen wird auf die Bewältigungskompetenz des Menschen und auf seine psychische Gesundheit abgezielt.

Als Gegenteil der Resilienz bezeichnet man die Vulnerabilität (Verwundbarkeit) eines Menschen.

„Vulnerabilität gibt an, wie stark die Entwicklung eines Kindes durch Risikofaktoren ungünstig beeinflusst werden kann.“ (Petermann/Kusch/Niebank, 1998, S.222)

2. Entwicklung der Resilienzforschung

Die Resilienzforschung ist eine relativ neue Forschungsdimension, die ihren Ursprung in Amerika hat. Untersuchungen zur Entwicklung von Risikokindern stellen ein wichtiges Forschungsfeld dar, zur Konzeption und Überprüfung aktueller Vorstellungen zur Genese von psychischer Gesundheit und Krankheit. Dabei steht neben der Suche nach gesundheitsgefährdenden Entwicklungsbedingungen, also den Risikofaktoren, in der Resilienzforschung, mit zentraler Bedeutung, die Ermittlung von Faktoren im Vordergrund, die die Kinder vor den risikobehafteten Einflüssen schützen und sie in einer gesunden Entwicklung unterstützen.

Nachfolgend möchte ich einen Überblick über drei Vorläufer und einige ihrer bedeutendsten Forschungs- bzw. Therapieansätze für die Resilienzforschung geben.

2.1. Emmy E. Werner: Kauai-Studie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Psychologieprofessorin Emmy E. Werner-Jacobsen wuchs während des zweiten Weltkrieges in Deutschland auf. Im Alter von etwa 20 Jahren wanderte sie aus nach Amerika. Dort lehrte sie als Psychologin an der University of California.

Bei ihren Forschungen befasste sie sich mit der Situation von Kindern, die in Situationen aufwachsen mussten, die viele Risikofaktoren für eine gesunde Entwicklung beinhalteten. Sie interessierte sich dafür, was es möglich machte, dass sich ein großer Teil dieser Kinder doch positiv entwickelte. Heute ist sie emeritiert und lebt in den USA. Bekannt wurde Emmy E. Werner durch ihre Forschungsarbeit an der Kauai-Studie. (vgl. Gautschi, 2004, URL siehe Litverz.)

Vor über 50 Jahren, im Jahr 1955, begannen Wissenschaftler mit einer Längsschnittstudie über die Kinder der Insel zu Kauai, in Hawaii. Die Studie wurde durchgeführt von einem Team aus Psychologen, Kinderärzten und Mitarbeitern der Gesundheits- und Sozialdienste welche 698 Kindern, die in diesem Jahr auf der Insel geboren wurden, untersuchten. Studiert wurde dabei der Einfluss vielfältiger biologischer und psychosozialer Risikofaktoren und schwieriger Lebensumstände sowie die schützenden Faktoren in der Entwicklung der Kinder zu studieren. Bei etwa 30 % der überlebenden Kinder bestand aufgrund ihrer Lebensbedingungen ein hohes Entwicklungsrisiko. Faktoren dafür waren die Tatsachen, dass sie geburtsbedingte Komplikationen überstehen mussten, in chronische Armut hineingeboren wurden und in Familien aufwuchsen, die durch permanente Disharmonie und elterliche Psychopathologie gekennzeichnet waren. Trotz dieser erheblichen Entwicklungsrisiken entwickelte sich ein Drittel der Kinder

„zu leistungsfähigen, zuversichtlichen und fürsorglichen Erwachsenen. Im Alter von 40 Jahren gibt es in dieser Population im Vergleich mit der Altersgruppe die niedrigste Rate an Todesfällen, chronischen Gesundheitsproblemen und Scheidungen.“ (Werner, 1999, S.26)

Obwohl ein Orkan die Insel verwüstete, was sich als schwere ökonomische Rezession erwies, haben diese Erwachsenen alle Arbeit und sind unabhängig vom Sozialdienst. Emmy E. Werner, die selbst seit über 30 Jahren an der Studie mitarbeitet, und als Vertreterin der Pionierphase in der Resilienzforschung gilt, konnte feststellen:

„Keiner dieser Erwachsenen hat Konflikte mit dem Gesetz. Ihre Ehen sind stabil, sie schauen hoffnungsvoll und positiv in ihre Zukunft und haben viel Mitgefühl für andere Menschen in Not.“ (Werner, 1999, S.26)

Emmy E. Werner und ihre MitarbeiterInnen fanden als Ergebnisse der Kauai-Studie Zusammenhänge zwischen positiven Entwicklungsresultaten und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen der Kinder, bzw. Merkmale ihrer sozialen Umwelt. Diese Ergebnisse deckten sich mit Studien anderer Forscher.

Somit begannen durch die zahlreichen Beiträge zur Kauai-Studie Prozesse des Umdenkens in der relevanten Fachdiskussion.

2.2. Viktor E. Frankl: Logotherapie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Viktor E. Frankl (1905 – 1997) lebte in Wien und gilt als Begründer der Logotherapie und der Existenzanalyse. Er war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien, Professor für Neurologie und Psychiatrie an der International University in Kalifornien und hatte noch weitere Professuren inne. Insgesamt wurden ihm 28 Ehrendoktorate verliehen.

Viktor E. Frankl setzte sich zunächst intensiv mit der psychoanalytischen Denkweise von Sigmund Freud auseinander, bevor er sich mit der Individualpsychologie Alfred Adlers beschäftigte. Diese diente ihm zwar als Erweiterung,

„doch das typisch menschliche, nämlich der Einbezug der geistigen Dimension aber auch die primäre Sinnorientierung des Menschen, fehlte ihm noch.“ (Giosch, 2004. URL s. Litverz.)

Die Logotherapie entwickelte er als eigenständige Therapierichtung weiter, nicht als Ersatz, sondern als notwendige Ergänzung zu den beiden anderen Richtungen. Damit gehört die Logotherapie zu den „drei Wiener Schulen“:

Siegmund Freud – der Wille zur Lust – Psychoanalyse

Alfred Adler – der Wille zur Macht – Individualpsychologie

Viktor E. Frankl – der Wille zum Sinn – Logotherapie

Viktor Frankl geht in der Logotherapie davon aus, dass jeder Mensch einen Sinn für sein Leben benötigt, der die Hauptmotivation für das Leben selbst ausmacht. Dieser Sinn müsse auch in größter Not und Leiden Bestand haben.

Zentral steht dafür das Zitat von Nietzsche:

„Wer ein Warum zu leben hat erträgt fast jedes wie!“

Somit hat Sinn einen transzendenten Charakter. Viktor Frankl sieht Gott als denjenigen, der diesen Sinn garantiert. Ohne ihn, läuft unsere Sinnsuche ins Leere.

Viktor Frankl verdeutlichte in seinem Ansatz, dass sinnloses Leben zu Neurosen führt, welche dann durch die Logotherapie behandelt werden.

Die Hauptgedanken der Logotherapie sind:

Erleben statt Konsumieren: Jeden Tag als Geschenk zu begreifen und die Menschen, sowie die ganze Schöpfung in ihrer Einmaligkeit und Einzigartigkeit wahrzunehmen.

Ein Werk schaffen: mit Kreativität und Freude etwas Neues schaffen und sich einer Aufgabe völlig hinzugeben

Diejenigen Lebensereignisse und – umstände hinnehmen und akzeptieren, die nicht zu ändern sind : Wir können auch in scheinbar hoffnungslosen Situationen unsere Einstellung zum Geschehen verändern, z.B. indem wir Leid als Aufgabe sehen. (vgl. Rudolf, 2001, Url s. Litverz.)

Während des zweiten Weltkrieges durchlebte Viktor E. Frankl den Aufenthalt in vier Konzentrationslagern. Dieser Lebensabschnitt wurde zum ihn zum Prüfstein seiner Lehre, in welcher er seine Theorie über den Menschen unter extremsten Bedingungen überprüfen und verifizieren konnte. Über diese Zeit handelt sein Buch „…trotzdem Ja zum Leben sagen“, welches in 26 verschieden Sprachen übersetzt wurde.

In seiner Leit, die er in den Konzentrationslagern verbrachte, richtete er sein Interesse auf die Fragestellung, warum einige Menschen die unwürdigen Lebensbedingungen erlebten und sogar noch die Kraft hatten, ihre Mitmenschen zu ermutigen und aufzurichten, während andere an ihrer Selbstaufgabe starben. Dabei fand er heraus, dass diese Menschen, welche wir heute als resilient bezeichnen würden, in ihrem Leben und in ihrem Leiden bis zuletzt einen Sinn sahen und ihr Schicksal als Geschenk annehmen konnten, durch ihre persönliche, bewusste Entscheidung, die Situation unter diesem Aspekt zu betrachten.

„Der Mensch wird allenthalben mit dem Schicksal konfrontiert und so vor die Entscheidung gestellt, aus seinem bloßen Leidenszustand eine innere Leistung zu gestalten.“ (Frankl, 2003, S. 111)

Viktor Frankl plädiert dafür, in jeder Lebenssituation die Verantwortung für das eigene Leben und den eigenen Lebenssinn zu übernehmen.:

„Was hier not tut, ist eine Wendung in der ganzen Fragestellung nach dem Sinn des Lebens: Wir müssen lernen und die verzweifelten Menschen lehren, dass es eigentlich nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben noch von uns zu erwartet!“ (Frankl, 2003, S. 124/125)

Mit dieser Sinnfrage setzte sich Viktor Frankl in einer Tiefe auseinander, in der es um weit mehr ging, als nur um die schaffende Verwirklichung eines Ziels:

„Uns ging es um den Sinn des Lebens als jener Totalität, die auch noch den Tod mit einbegreift und so nicht nur den Sinn von „Leben“ gewährleistet, sondern auch den Sinn von Leiden und Sterben: um diesen Sinn haben wir gerungen!“ (Frankl, 2003, S. 127)

In seinen Berichten misst Viktor Fankl einen sehr hohen Stellenwert der Tatsache bei, dass jeder Mensch in seinem Leben die freie Entscheidung hat, wie er seine Lebenssituation, sein Umfeld seine Umstände beurteilt:

„Was also ist der Mensch? Er ist das Wesen, das immer entscheidet, was es ist. Er ist das Wesen, das die Gaskammern erfunden hat; aber zugleich ist er auch das Wesen, das in die Gaskammern gegangen ist aufrecht und ein Gebet auf den Lippen.“ (Frankl, 2003, S.139)

Diese Freiheit, zur persönlichen, selbständigen Beurteilung und Bewertung der eigenen Lebensbedingungen ist ein wesentlicher protektiver Faktor, der gegenwärtig in allen Beiträgen zur Resilienzforschung bedeutsame Erwähnung findet.

2.3. Aaron Antonowsky: Salutogenese

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aaron Antonovsky (1923 – 1944) gilt als Begründer, bzw. Vorreiter der Salutogenese. Im Sinne der Salutogenese versteht man Heilung als alltägliche Aktualisierung von Gesundheit. Aaron Antonovsky emigrierte 1960 als Medizinsoziologe nach Israel, wo er in Jerusalem lehrte und wissenschaftlich tätig war. Der Auslöser für seine Kehrtwende von der Medizinsoziologie zur Salutogenese , war eine Untersuchung über die Adaption von Frauen, verschiedener ethnischer Gruppen in Israel, an das Klimakterium. Im Rahmen dieser Untersuchung gaben 29% einer Gruppe von Überlebenden des Konzentrationslagers an, über eine insgesamt recht gute Gesundheit zu verfügen.

„Den absolut unvorstellbaren Horror des Lagers durchgestanden zu haben, anschließend jahrelang eine deplazierte Person gewesen zu sein und sich dann ein neues Leben in einem Land neu aufgebaut zu haben, das drei Kriege erlebte… und dennoch in einem angemessenen Gesundheitszustand zu sein! Das war für mich die dramatische Erfahrung, die mich bewusst auf den Weg brachte, das zu formulieren, was ich später als das salutogenetische Modell bezeichnet habe…“ (Antonovsky, 1997, S.15)

Antonovsky stellte heraus, dass Sressoren im menschlichen Leben omnipräsent sind, manche Menschen trotz hoher Stressorbelastung aber gut zurecht kommen. Aus der Konfrontation mit einem Stressor entsteht für den Mensch ein Spannungszustand. Ob er mit diesem entsprechend umgehen kann, oder ob das Ergebnis pathologisch wird, hängt von der Angemessenheit der Spannungsverarbeitung ab, also davon, wie diese Stressoren vom Individuum emotional-kognitiv und sozial-emotional verarbeitet werden. Die Untersuchung der Faktoren, die die Verarbeitung von Spannung determinieren, wurde dadurch zur Schlüsselfrage Antonovskys.

Als vorläufige Antwort formulierte er das Konzept der generalisierten Widerstandsressourcen (GRRs – general rsistance resources). Damit bezeichnete er

„jedes Phänomen, das zur Bekämpfung eines weiten Spektrums von Stressoren wirksam ist.“ (Antontovsky, 1997, S.16)

„Generalisierte Widerstandsressourcen sind Wirkfaktoren bzw. Ressourcen, die eine erfolgreiche Spannungsbewältigung unterstützen und damit einen Einfluss auf den Erhalt oder die Verbesserung von Gesundheit haben.“ (Schubert, 2002, URL s. Litverz.)

Diese sind im Individuum selbst, in seinem nahen sozialen Umfeld, in seiner Lebens- und Arbeitswelt und den jeweils dort befindlichen zwischenmenschlicher Beziehungen, seinen materiellen Ressourcen und in den gesellschaftlich-kulturellen Strukturen und Bedingungen erkennbar.

Nach Antonovskys Ansatz sei allen GRRs gemeinsam, dass sie es vereinfachten, den vielfältigen Stressoren, denen Menschen ausgesetzt sind, einen Sinn zu verleihen.

„Dadurch, dass sie einen fortlaufend mit solchen sinnhaften Erfahrungen versorgen, schaffen sie mit der Zeit ein starkes Kohärenzgefühl.“ (Antonovsky, 1997, S. 16)

Das Konzept des Kohärenzgefühls (SOC – sense of coherence) entwickelte Aaron Antonovsky als Kriterium, mit dessen Hilfe man verstehen konnte, wie ein Phänomen als generalisierte Widerstandsressource wirkte.

„Ob sich ein starkes oder ein schwaches Kohärenzgefühl herausbildet, hängt vor allem von der Verfügbarkeit generalisierter Widerstandsressourcen und somit wesentlich von den gesellschaftlichen Gegebenheiten und der familiären Sozialisation ab.“ (Schubert, 2002, URL s. Litverz.)

"Kohärenzsinn" bedeutet, dass derjenige „bessere Gesundheits-Chancen“ hat, „der seine Welt und die ihn betreffenden Abläufe versteht und handelnd beeinflussen kann, und derjenige, der seinem Leben einen Sinn geben kann…“ (Braun von Glediß, URL s. Litverz.)

Das Kohärenzgefühl selber beruht auf den drei Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit.

Alexa Franke beschreibt den aktuellen Stand der Konstruktvalidierung 1997 so, dass es sich beim SOC um ein konsistentes, wie auch um ein vorwiegend kognitives Konstrukt handelt. Außerdem hob sie hervor, dass das Kohärenzgefühl hoch mit Maßen Seelischer Gesundheit korelliert und eine Große Nähe zu Konzepten wie Optimismus, psychische Gesundheit, Selbstwertgefühl und Kontrollüberzeugung aufweist. Negativ korelliert das Kohärenzgefühl mit Angst. Weiter stellte sie fest, dass das Kohärenzgefühl keine spezifischen Copingstil abbildet, sonder als übergeordnetes Konzept gilt. (vgl. Antonovsky, 1997, S.172/173)

Der Trend „from cure to care“ – von der Pathogenese zur Salutogenese - als Aufruf der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer neuen Sichtweise in der Medizin, ist auf jeden Fall aktueller denn je. (vgl. Dubs, 1998, URL s. Litverz.)

Ein vollständiger Paradigmenwechsel vom Pathogenetiker zum Salutogenetiker ist nach Walser nicht zu erwarten, „weil beide Extreme allein keine Überlebenschancen haben.“ (Walser, 2004, URL s. Litverz.)

2.4. Schwerpunkte der Resilienzforschung

Die Resilienzforschung beschäftigt sich mit

den adaptiven Ressourcen, welche ein Individuum zur Bewältigung von Lebensbelastungen befähigen

den Prozessen des Entstehens und Wirksamwerdens dieser Ressourcen im Rahmen von Biographien

mit der Entwicklung und Evaluation von Präventions- und Interventionsmaßnahmen, die dazu gedacht sind, zur Entwicklung bzw. Förderung von psychischer Widerstandsfähigkeit beizutragen. (vgl. Fingerle, 1999, S.94)

Konkret auf die Praxis bezogen bedeutet das, dass die Resilienzforschung hauptsächlich folgende Aspekte untersucht:

Individuelle Merkmale des Kindes, z.B. sein Temperament und seine intellektuellen Fähigkeiten

Familialen Faktoren, z.B. die Familienformen, die Partnerschaftsqualität, die Qualität der Bindung, die Erziehungsqualität in Form der Eltern-Kind-Interaktion und die gelebten Erziehungsstilen, die Psychopathologie der Eltern, Missbrauch, Gewalt in der Familie sowie Vernachlässigung des Kindes

Sozialen Faktoren, z.B. Armut, dem sozioökonomischen Status, Deprivation, sozialen Unterstützungssystemen und der pädagogischen Qualität von außerfamilialen Betreuungsformen des Kindes (vgl. Fthenakis, URL S. Litverz.)

2.4.1. Resilienzforschung im Kontext der Entwicklungspsycho- pathologie

Der Ursprung wie auch der Verlauf von gestörtem Verhalten sind von besonderem Interesse für die Entwicklungspsychopathologie. In deren übergeordnetem Rahmen lässt sich auch die Resilienzforschung wieder finden. Während sich die Resileinzforschung insbesondere mit Faktoren beschäftigt, die den Menschen Widerstandsfähigkeit verleiht, erforscht die Entwicklungspsychopathologie Faktoren, die aus den Perspektiven des Individuums, seiner Umwelt und in der Interaktion zwischen den beiden, die Adaption im Entwicklungsverlauf fördern oder beeinträchtigen.

In diesem Kontext verfolgt die Entwicklungspsychopathologie drei Ziele:

Personen, mit hohem Risiko sollen identifiziert und unterschieden werden von Menschen, die bei einem ähnlichen Risiko keine Störungen entwickelten

Faktoren sollen bestimmt werden, die bei Personen, welche einem Risiko ausgesetzt sind, zu Störungen führten, wie auch Faktoren, die durch die solche vermieden werden können.

Variablen sollen zukünftig identifiziert werden, durch welche es gelingt, zu einem festgelegten Zeitpunkt einen negativen Entwicklungsverlauf positiv zu beeinflussen.

(vgl. Petermann / Kusch / Niebank, 1998, S. 203)

[...]

Fin de l'extrait de 48 pages

Résumé des informations

Titre
Die Bedeutung der Resilienzforschung für die Sozialpädagogik
Université
University of Siegen
Note
1,0
Auteur
Année
2004
Pages
48
N° de catalogue
V54862
ISBN (ebook)
9783638499712
ISBN (Livre)
9783638737890
Taille d'un fichier
2230 KB
Langue
allemand
Mots clés
Bedeutung, Resilienzforschung, Sozialpädagogik
Citation du texte
Simone Sauer-Stricker (Auteur), 2004, Die Bedeutung der Resilienzforschung für die Sozialpädagogik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54862

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