Der inszenierte 'jüdische Körper' im antisemitischen Film


Dossier / Travail de Séminaire, 2003

24 Pages, Note: 1,0


Extrait


Gliederung

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Antisemitische Spielfilme
2.2. „Jud Süß“
2.3. „Der ewige Jude“ – Konzept und Beteiligung
2.4. Herstellung
2.5. Intentionen

3. Annäherungen – Mythen

4. Inszenierung des „jüdischen Körpers“ – Symbolfelder
4.1. Körperinszenierungen – einführende Betrachtungen
4.2. Juden als „Rasse“
4.3. Die „jüdische Nase“
4.4. Sexualisierung des „jüdischen Körpers“

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Propaganda gehörte zu den Grundfesten des nationalsozialistischen Staates, legitimierte ihn und baute eine ästhetische Scheinwelt auf, der viele mit der Illusion, darin ihre sich verändernde Realität und Identität resp. ihr Aufgehobensein in der „Volksgemeinschaft“ finden zu können, folgten. Propaganda beeinflußt Meinungen und Vorstellungen hinsichtlich ihrer eigenen „Wahrheit“. Ihre Methoden sind vielschichtig und komplex, schwer zu durchschauen, aber auch sehr einfach und fast banal, jedoch immer wirkungsvoll. Sie arbeitet mit Vereinfachung von Sachverhalten, die komplex und undurchschaubar erscheinen, mit ewigen Wiederholungen, Emotionalisierungen und einer wissenschaftlichen Scheinobjektivität. Alle diese Propagandaelemente kann man auch im antisemitischen Propagandafilm „Der ewige Jude“ wiederfinden.

Gerade das neue Medium Film, das in der Weimarer Zeit stark an Bedeutung gewonnen hatte, und die Unmittelbarkeit des filmischen Erlebens, ebneten den Weg für die Emotionalisierung der Massen und den antisemitischen Film. Ziel dieser Arbeit soll es aber nicht sein, die antisemitischen Strukturen und Wirkungsmeachnismen im Film zu untersuchen, was schon in ausreichender Form geschehen ist,[1] sondern den Blick auf einen anderen Sachverhalt zu lenken, den inszenierten jüdischen Körper im antisemitischen Film. Es sollen Diskurse untersucht werden, die im Film direkt angesprochen werden, d.h. als eindeutige antisemitische Propaganda gekennzeichnet und in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen sind. Leitend soll dabei die Frage sein, wie der „jüdische Körper“ – ebenso ein Konstrukt wie der „arische Gemeinschaftskörper“ – konzipiert ist, welche Zuschreibungen er erfährt und aus welchen Diskursen diese Elemente entnommen wurden, um seine angenommene Andersartigkeit zu „beweisen“. Ich werde dabei vor allem drei Themengebiete anschneiden: die Konstruktion einer jüdischen Rasse und die damit verbundenen rassisch-biologischen Zuschreibungen – hier am Beispiel der „jüdischen Nase“, – die Pathologisierung dieser Elemente mit Hilfe des Begriffes der Degeneration und Strategien der Sexualisierung, d.h. der Verweiblichung des jüdischen Körpers, um die „Andersartigkeit“ und damit Fremdheit zu untermauern und vom anderen „Körper“ abzugrenzen. Zunächst soll aber ein einführender Teil folgen, der die Situation des antisemitischen Films, seine Auftraggeber und Beteiligte, sowie Produktionsbedingungen näher erläutern wird.

2.1. Antisemitische Spielfilme

2.2. „Jud Süß“ (1940)

Zeitgleich zu „Der ewige Jude“ im November 1940 war im Spielplan der Kinos der antisemitisch-historische Spielfilm „Jud Süß“, der die historische Figur des Joseph Oppenheimer zum Thema hat, zu sehen. Beide Filme entstehen zu einer Zeit, in der man eine Intensivierung der antisemitischen Propaganda im Film beobachten kann. In der Zeit zwischen 1938-1940 entstanden vermehrt Filme mit deutlich erkennbaren antijudaistischen und antisemitischen Stereotypen, was keineswegs eine Tendenz war, die nur auf den Film beschränkt blieb. Dabei wurden vor allem traditionelle antijudaistische Inhalte wie beispielsweise der wirtschaftliche Antisemitismus angesprochen.[2] Es folgen neben dem Spielfilm sogenannte antisemitische „Dokumentarfilme“, wie „Juden ohne Maske“ (1938) und „Schicksalswende“ (1939), die allerdings nur auf parteiinternen Veranstaltungen der NSDAP gezeigt wurden und daher einem größeren Publikum vorenthalten blieben. Als erster „richtiger“ antisemitischer Film, der ganz bewußt antisemitische Stereotypen – hier verbunden mit einer antienglischen Haltung – einsetzt und sich nicht nur auf Andeutungen verläßt, kann der Film „Die Rothschilds“ gelten, der 1939/40 entstanden ist. Der zwischen 1806-1815 spielende Film benutzt das Stereotyp vom jüdischen Geld- und Weltmachtstreben, um den Aufstieg der Bankiersfamilie Rothschild zu zeigen und zu „erklären“. Im Film wird sich auf ein einziges Stereotyp beschränkt, das vom jüdischen Großkapital. Es fehlen – was die späteren Filme „auszeichnet“ – Anspielungen auf die „Assimilationsfähigkeit“ der Juden, die „Ost- und Ghettojuden“ und ebenso die politischen Konsequenzen. Schon nach zwei Monaten wurde der Film wegen zu geringer Einspielergebnisse aus dem Verleih genommen, aber 1941 erneut in den Kinos gezeigt. Die nun folgenden Filme zeigen ein durchkomponiertes antisemitisches Konzept, das nicht nur darstellt, sondern auch politische Forderungen einschließt.

Ebenso wie der Film „Die Rothschilds“ bediente sich auch „Jud Süß“ (Regie: Veit Harlan, 1940) einer historischen Figur/Ereignissen als Vorlage. Die historische Figur des Joseph Süß Oppenheimer, der im 17. Jahrhundert als Finanzberater und Geldverleiher am Hofe des Württembergischen Herzogs Karl Alexander lebt, diente hier als Vorbild. Das Leben des Jud Süß, das einerseits von der Bewahrung der jüdischen Tradition und andererseits vom sozialen Aufstieg geprägt war, fand auch schon im 19. Jahrhundert literarische Zuwendung[3]. Trotz des historischen Anspruchs im Vorspann des Filmes wird massive Geschichtsfälschung an der historischen Figur des Joseph Oppenheimer vorgenommen und diese völlig neu, im Einklang mit der nationalsozialistischen Propaganda gezeichnet. So schreibt Goebbels zufrieden in sein Tagebuch: „Der erste wirkliche antisemitische Film.“[4] In mehreren Szenen wird sich antisemitischer und antijudaistischer Vorurteile und Stereotypen bedient wie sie, wenn auch in veränderter Darstellungsform, auch im „Ewigen Juden“ vorkommen. So gibt es Andeutungen der „Assimilationsfähigkeit“ resp. Maskierung der Juden, ausschweifende Sexualität und Mädchenhandel resp. Blutschande, moralischen Dekadenz, Geldgier und Heimatlosigkeit/Wanderungen und Weltmachtstreben.[5] Der Tod Jud Süß und die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Württemberg am Ende des Film wird als logische Konsequenz der Geschichte und als Prophezeiung und Anweisung an die Gegenwart inszeniert. „Jud Süß“ war an den Kinokassen sehr erfolgreich, was sich unter anderem mit seiner verdeckten – in Form einer als historisch wahr dargestellten Begebenheit – Propagandastrategie erklären läßt.

2.3. „Der ewige Jude“ – Konzept und Beteiligung

Die Beteiligten an diesem „Gemeinschaftswerk“ herauszufinden resp. ihre Kompetenzbereiche genau zu trennen, fällt schwer, da die jeweilige Mitarbeit an Konzeption, Herstellung und Veränderung der einzelnen Szenen sich nicht mehr genau nachrecherchieren läßt. Daher ist man auf die Nennung im Vorspann und die hierarchischen Strukturen im „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ (RMVP), Tagebuchaufzeichnungen von Goebbels und Aussagen der Beteiligten angewiesen.[6] Auftraggeber und höchstwahrscheinlich auch Ideengeber dieses Films war der Reichsminister des im März 1933 neuerrichteten »Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda« Joseph Goebbels, der aus diesem Film ein „propagandistisches Meisterwerk“[7] machen wollte. Er hatte nach der „Gleichschaltung“ uneingeschränkte Kontrolle über sämtliche Bereiche des kulturellen Lebens und der Medien und nutzte die neu geschaffene Situation der Institutionalisierung und Zentralisierung für die Verbreitung von antisemitischer Propaganda. Daneben wurden Reichsfilmkammer, die Filmschaffende, die darin nicht organisiert waren, ausschloß und ein neues Lichtspielgesetz, welches die Freigabe von Filmen kontrollierte, verabschiedet. Dieser Tendenz kam die bis 1939 abgeschlossene Verstaatlichung der Filmindustrie entgegen, die nur scheinbar freie Entscheidungen traf, ansonsten aber unter der Kontrolle des RMVP stand.

Goebbels gab im Oktober 1939, einen Monat nach dem Überfall auf Polen[8] und fast ein Jahr nach der sogenannten „Reichskristallnacht“ den Auftrag für einen „Ghettofilm“ an den Leiter der Filmabteilung und der Deutschen Wochenschauen, Fritz Hippler, weiter und rechnete mit einer Herstellungszeit von drei bis vier Wochen[9]. Hippler war seit 1936 Leiter der Filmabteilung und hatte bereits Erfahrung in der Konzeption und Herstellung von tendenziösen Filmen. So war er für die Produktion der Wochenschauen „Sieg im Westen“ und „Feldzug in Polen“ verantwortlich und trat im „Der ewige Jude“ als „Gestalter“ des Film auf, wie es im Abspann heißt.[10] So verwundert es auch nicht, daß einige Szenen des „Ewigen Juden“ auch im Wochenschauprogramm „Sieg im Westen“ wiederzufinden sind. Hippler fuhr mit einigen Kameraleuten im Auftrage Goebbels im Oktober 1939 in ein Ghetto nach Łodz, um dort Aufnahmen von „Judentypen“ und Schächtungen zu machen.

Das Konzept zu diesem „dokumentarischen“ Film entwickelte Dr. Eberhard Taubert ein enger Mitarbeiter von Goebbels und Leiter des „Institutes zum Studium der Judenfrage“. Der Sprechtext hingegen kann nicht auf eine einzelne Person zurückgeführt werden, daher muß von einem Gemeinschaftsprojekt ausgegangen werden. Ungewöhnlich bei diesem Film, im Vergleich zu anderen antisemitischen Filmen ist das intensive Eingreifen und die Beteiligung von Goebbels und Hitler während der Herstellung des Films in Konzeption und Schnitt, was zu mehrfachen Überarbeitungen und Veränderungen und auch zu der langen Herstellungszeit – insgesamt 13 Monate – führte[11]. So wurde immer wieder die Konzeption verändert und die Intention verschärft, bis schließlich nur noch die Enthumanisierung und Vernichtung als Botschaft und Legitimation blieb.

2.4. Herstellung

Der von den Auftraggebern als „dokumentarischer Film“ bezeichnete Streifen, ist ein aufwendig hergestellter Kompilationsfilm, d.h. er arbeitet mit dokumentarischem Material von Aufnahmen aus dem Ghetto in Polen, die falsch kommentiert wurden, mit Studioaufnahmen und Tricktechniken, animierten Karten, Filmausschnitten aus der eigenen antisemitischen Filmproduktionen wie etwa „Jud Süß“ oder „Die Rothschilds“, die als „Beweis“ einer Selbstdarstellung der Juden gewertet wurden, aber auch mit Photographien und Archivmaterial.[12] Allein diese kurze Andeutung der Fülle des verwendeten Materials macht die Komplexität und das Zusammenspiel im Filmes deutlich. Dabei sind einzelne Elemente der Propaganda wie das Spiel von Licht und Schatten, Musikuntermalung (Franz R. Friedl), Kameraperspektive, Schnitt und Textkommentar noch nicht erfaßt.

[...]


[1] Vgl. hier die Arbeiten von: Stig Hornshøj-Møller: „Der ewige Jude“ Quellenkritische Analyse eines antisemitischen Propagandafilms, hrsg. vom Institut für den Wissenschaftlichen Film. Göttingen 1995, Yizak Ahren, Stig Hornshøj-Møller u. Christoph B. Melchers: „Der ewige Jude“ oder wie Goebbels hetzte. Eine Untersuchung zum nationalsozialistischen Propagandafilm. Aachen 1990, Wolf Donner: Propaganda und Film im „Dritten Reich“. Berlin 1995.

[2] Vgl. den Film „Leinen aus Irland“ (1939). In: Stefan Mannes: Antisemitismus im nationalsozialistischen Film Jud Süß und Der ewige Jude. Köln 1999. S. 20.

[3] Vgl. Beispielsweise den Roman von Lion Feuchtwanger: „Jud Süß“ aus dem Jahre 1925 oder die von Wilhelm Hauff veröffentlichte Novelle „Jud Süß“ (1827).

[4] Zit. n.: Stefan Mannes: Antisemitismus im nationalsozialistischen Film. S. 30, FN. 57

[5] Vgl. die ausführliche Analyse von Stefan Mannes in: Antisemitismus im nationalsozialistischen Film. S. 33-50.

[6] Die Bezeichnung „D.F.G.“ im Vorspann benennt keineswegs die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sondern die „Deutsche Film-Herstellungs- und Verwertungsgesellschaft“, eine Tochterfirma des RMVP, die Goebbels 1937 gegründet hat.

[7] Stig Hornshøj-Møller: „Der ewige Jude“ Quellenkritische Analyse eines antisemitischen Propagandafilms, hrsg. vom Institut für den Wissenschaftlichen Film. Göttingen 1995. S. 17.

[8] Stig Hornshøj-Møller vermutet in seinem Buch, nach Aussagen von Taubert, daß es schon früher Bestrebungen gegeben habe, Filmmaterial aus jüdischen Wohngebieten in Polen zu bekommen, was am Widerstand der polnischen Behörden scheiterte und erst mit der Besetzung Polens möglich war. Das läßt die Schlußfolgerung zu, daß schon viel eher über einen solchen Film und damit über die Verbreitung der „Idee“ der physische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung nachgedacht wurde. Vgl. Stig Hornshøj-Møller: „Der ewige Jude“ Quellenkritische Analyse. S. 15. Fußnote 3. Stefan Mannes bestreitet einen Zusammenhang zwischen dem Auftrag des Filmes und der Vorbereitung des Holocaust. Vgl. Stefan Mannes: Antisemitismus im nationalsozialistischen Film. S. 113.

[9] Ebd., S. 16.

[10] Ebd., S. 7.

[11] Vgl. Stig Hornshøj-Møller: „Der ewige Jude“ Quellenkritische Analyse. S. 18ff.

[12] Ebd., S. 24-30.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Der inszenierte 'jüdische Körper' im antisemitischen Film
Université
Dresden Technical University  (Germanistische Literaturwissenschaft)
Cours
Hauptseminar
Note
1,0
Auteur
Année
2003
Pages
24
N° de catalogue
V54864
ISBN (ebook)
9783638499736
ISBN (Livre)
9783656650218
Taille d'un fichier
587 KB
Langue
allemand
Mots clés
Körper, Film, Hauptseminar
Citation du texte
Manuela Lück (Auteur), 2003, Der inszenierte 'jüdische Körper' im antisemitischen Film, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54864

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