Motivverarbeitung und intertextuelle Aufhebung von Textgrenzen in Christoph Ransmayrs 'Die letzte Welt'


Hausarbeit, 2005

12 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Gliederung der Hausarbeit

1. Analyse des Spiels mit dem mythologischen Prätext im zweiten Kapitel der Letzten Welt
1.1. Verarbeitung der Motivkomplexe um die Ovidsche Actaeon - und Cyparissus -Episode ( Met.,III, 138-252 bzw. X, 86-142 )
1.1.1. Definition eines Motivs
1.1.2. Einzelmotive bei Ovid
1.1.3. Verknüpfung der Einzelmotive
1.2. Analyse der Textpassage im 2. Kapitel der Letzten Welt
1.2.1. Das Spiel mit dem mythologischen Prätext
1.2.2. Verschachtelung und Verknüpfung der Handlungsstränge und Erzählebenen

2. Intertextuelle Aufhebung von „Text“-Grenzen
2.1. Definition des Begriffs „Textebene“
2.2. Intertextuelle Aufhebung der „Text“-Grenzen als programmatische Verfahrensweise im weiteren Verlauf der Letzten Welt

1. Analyse des Spiels mit dem mythologischen Prätext im zweiten Kapitel der Letzten Welt

1.1. Verarbeitung der Motivkomplexe um die Ovidsche Actaeon - und Cyparissus -Episode (Met.,III, 138-252 bzw. X, 86-142)

1.1.1. Definition eines Motivs

Der Begriff des Motivs tritt in vielen unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachbereichen auf und ist von allen entscheidend geprägt. Vom psychologischen Motiv einer Handlung bis zum Motiv in der Fotographie charakterisieren verschiedene Eigenschaften die Definitionen des Begriffs.

In der Literaturwissenschaft taucht das Motiv zunächst als Zentralbegriff der Märchen- forschung auf. Oft ist zu erkennen, dass sich die Märchen in bestimmten kleinen Einheiten wiederholen. Die selben Bilder tauchen in vielerlei Form und Verwendung immer wieder auf. Hieraus leitet sich die Definition des Motivbegriffs ab. Ein Motiv stellt eine in sich abgeschlossene Einheit dar und schildert eine typische Situation, die sich in allen möglich Konstellationen wiederholen kann.

1.1.2. Einzelmotive bei Ovid

Die Werke Ovids sind von den verschiedensten Motiven geprägt, die oft als verflochtene Netze Motivkomplexe bilden. In den Metamorphosen ist dies sehr deutlich erkennbar. Die Götter- und Heldenmythen, aus denen sich dieses Werk zusammensetzt, arbeiten stets mit ähnlichen und wiederkehrenden Bildern, die eindeutig als Motive identifiziert werden können, wie z.B. jenes des „Drachentöters“1 oder auch das der „Verjüngung“2.

Besonders beispielhaft ist das Zusammenspiel von Einzelmotiven in der Actaeon - und der Cyparissus - Episode. Actaeon, der auf einer langen Jagd, von Durst und Erschöpfung getrieben, in die Grotte der Jagdgöttin Diana gerät und diese dort beim Bad erblickt, wird zur Strafe in einen Hirsch verwandelt und darauf von der eigenen Jagdgesellschaft zu Tode gehetzt.

Menschen, die unbewusst die Pläne der Götter durchkreuzen oder ihnen auf andere Art und Weise unwissentlich schaden, tauchen in der Literatur oft auf und stellen ein beliebtes Motiv zur Einleitung eben dieser Göttermythen dar, da der Unglückliche an

seinem eigenen Verhängnis nichts mehr ändern kann, wenn er einmal den Zorn der Götter auf sich geladen hat (siehe z.B.: Die Irrfahrten des Odysseus3). Ebenso dienen Jagdsituationen oft als Einstieg in die darauf folgenden Handlungsabläufe (siehe z.B.: Die Sage von den Nibelungen4). Die Erzählung nimmt ihren Lauf und Actaeon wird vom Wasser der Diana in einen Hirsch verwandelt; hier wird deutlich, dass die Verwandlung, z.B. durch Wasser mit magischen Fähigkeiten, ebenfalls Grundlage von Motiven aller Art, wie der Bestrafung für ein Vergehen, ein besonderes Geschenk oder im Falle einer Rückverwandlung eine Erlösung sein kann (z.B.: Brüderchen und Schwesterchen5, Cadmus und Harmonia6). Außerdem kann Wasser auch als spiegelnde Oberfläche verhängnisvolle oder hilfreiche Bilder zeigen und sogar Voraussagen machen (z.B.: Der Herr der Ringe7). Das zwangsläufig darauf folgende Motiv der Verwechslung (z.B.: König Artus8) des verwandelten Actaeon mit der wirklichen Jagdbeute zeigt den unabänderbaren Lauf der Ereignisse und des tragischen Endes, das Actaeon findet; die Verkettung unglücklicher Zufälle, also Actaeons Todesursache, hat wiederum Motivcharakter. Der Unglückstod des Actaeon ist nun das letzte Motiv in dieser Episode, welches ebenfalls häufig auftritt (z.B.: Die Sage von den Nibelungen 4).

seinem eigenen Verhängnis nichts mehr ändern kann, wenn er einmal den Zorn der Götter auf sich geladen hat (siehe z.B.: Die Irrfahrten des Odysseus3). Ebenso dienen Jagdsituationen oft als Einstieg in die darauf folgenden Handlungsabläufe (siehe z.B.: Die Sage von den Nibelungen4). Die Erzählung nimmt ihren Lauf und Actaeon wird vom Wasser der Diana in einen Hirsch verwandelt; hier wird deutlich, dass die Verwandlung, z.B. durch Wasser mit magischen Fähigkeiten, ebenfalls Grundlage von Motiven aller Art, wie der Bestrafung für ein Vergehen, ein besonderes Geschenk oder im Falle einer Rückverwandlung eine Erlösung sein kann (z.B.: Brüderchen und Schwesterchen5, Cadmus und Harmonia 6). Außerdem kann Wasser auch als spiegelnde Oberfläche verhängnisvolle oder hilfreiche Bilder zeigen und sogar Voraussagen machen (z.B.: Der Herr der Ringe 7). Das zwangsläufig darauf folgende Motiv der Verwechslung (z.B.: König Artus 8) des verwandelten Actaeon mit der wirklichen Jagdbeute zeigt den unabänderbaren Lauf der Ereignisse und des tragischen Endes, das Actaeon findet; die Verkettung unglücklicher Zufälle, also Actaeons Todesursache, hat wiederum Motivcharakter. Der Unglückstod des Actaeon ist nun das letzte Motiv in dieser Episode, welches ebenfalls häufig auftritt (z.B.: Die Sage von den Nibelungen 4).

Der junge Cyparrisus der tiefe Zuneigung zu einem Hirsch hegt, wird von einem ähnlich tragischen Schicksal ereilt. Nachdem er das Tier versehentlich mit seinem Jagdspeer tötet, versinkt er in tiefe Trauer und wird von den Göttern, die ihm damit die letzte Bitte erfüllen in eine Zypresse verwandelt. Hier verwendet Ovid ähnliche Motivbilder, z.B. den erneut auftauchende Hirsch, der zunächst jedoch nicht tragischer Gestalt ist, sondern als von den Menschen besonderes geliebtes, hoch geschätztes und königliches Tier auftritt. Diese Erscheinung wird durch Attribute wie das goldene Geweih und den Schmuck unterstützt. Die Liebe die Cyparissus zu dem Tier hegt, ist hier Motiv für die tiefe Verbundenheit, dieses ungleichen Paares, wo das Vertrauen und die Zuneigung, die Hirsch und Knabe für einander hegen einer menschlichen Beziehung gleich kommt. Diese bedingungslose Freundschaft und Treue zwischen Tier und Mensch findet man ebenfalls in zahlreichen Geschichten wieder (z.B.: Die Irrfahrten des Odysseus 13). Das Element, welches nun für die Tragik in dieser eigentlich

harmonischen Beziehung sorgt, ist der Mord den Cyparissus an seinem eigentlichen Freund, dem Hirsch, begeht, was jedoch nicht mehr als ein schrecklicher Unfall ist. Nun verfällt Cyparissus in ewige Trauer, welche nahezu in jeder tragisch zerbrochenen oder getrennten Liebesbeziehung als Motiv auftaucht. Die darauf folgende Verwandlung in einen Baum, eine Zypresse, ist hier ebenfalls Motiv, fungiert jedoch in diesem Fall nicht als Rache oder Bestrafung, sondern hat einen erlösenden Charakter.

1.1.3. Verknüpfung der Einzelmotive

In der Actaeon- Episode sind die auftretenden, sehr vielfältigen Einzelmotive zu einem Netz verflochten, in das sich der ahnungslose Held zwangsläufig und ohne Chance auf Entkommen verstricken muss. Alles was Actaeon tut, kann ab dem Betreten der Grotte nur noch auf sein vorbestimmtes Ende hinauslaufen. Ovid erreicht dieses Gefühl im Leser durch Kombination von Einzelmotiven, wobei jedes für sich nicht zwangsläufig negative Gedanken auslöst. Durch ein geschicktes Arrangement und das Zusammenwirken der Motive wird diese negative Empfindung erzielt. Actaeon kann seinem Schicksal somit nicht entgehen.

Cyparissus sieht sich mit ähnlichen Motiven umgeben, die jedoch anders verbunden auf ein zwar ähnlich tragisches, aber auch auf ein vollkommen selbstverschuldetes Ende hinführen. Das Glück, welches Cyparrisus lange Zeit erfährt, wandelt sich durch das hier eingesetzte Motiv, dem aus Unachtsamkeit und Übermut verschuldeten Tod des Freundes, in das exakte Gegenteil. So ereilt Cyparrisus ein ebenso trauriges Schicksal, wie Actaeon, in dem er selbst seinem liebsten Gefährten das Leben nimmt. Auch die Verwandlung, wirkt hier nicht als gnadenloser Todesstoß einer rächenden Macht, sondern im Gegenteil, als Gnade und Erbarmen einer milden Gottheit, die wiederum kontrovers zur eitlen, unnachsichtigen Diana steht. So rückt Ovid die Launen griechischer Götter und deren Auswirkungen ins Zentrum dieser beiden Episoden seines Werks, was man wiederum als Motiv ansehen könnte, da auch Unberechenbarkeit und Willkür der Götter in vielen Erzählungen eine zentrale Rolle spielen.

[...]


1 (Met.,III, 30-95). 2 (Met.,IX, 395-400).

3 Homer: Odyssee.Stuttgart11977 (XIII.Gesang, 125-185; 340-345).

4 Mudark, Edmund: Deutsche Heldensagen. Die Sagen von den Nibelungen. Reutlingen(?)1987,S.102-109.

5 Grimm: Die Märchen der Brüder Grimm.München91979,S.52-57 („Brüderchen und Schwesterchen“).

6 (Met.,IV, 572-590)

7 Tolkien, J.R.R.: Der Herr der Ringe. Die Gefährten. Stuttgart122002,S.468-471.

8 Lechner, Auguste: König Artus,Wien51995,S.37-40.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Motivverarbeitung und intertextuelle Aufhebung von Textgrenzen in Christoph Ransmayrs 'Die letzte Welt'
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Veranstaltung
Proseminar
Note
2,5
Autor
Jahr
2005
Seiten
12
Katalognummer
V55096
ISBN (eBook)
9783638501385
ISBN (Buch)
9783656833642
Dateigröße
396 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Motivkomplexe und intertextuelle Aufhebung von Textgrenzen sind in Christoph Ransmayrs 'Die letzte Welt" ein zentraler Aspekt. Ihre Verarbeitung und das interessante Zusammenspiel werden hier genauer unter die Lupe genommen.
Schlagworte
Motivverarbeitung, Aufhebung, Textgrenzen, Christoph, Ransmayrs, Welt, Proseminar
Arbeit zitieren
Martina Nothdurft (Autor:in), 2005, Motivverarbeitung und intertextuelle Aufhebung von Textgrenzen in Christoph Ransmayrs 'Die letzte Welt', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55096

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