Die Entfremdung im Kontext des technologischen Fortschritts in Pirandellos "Quaderni die Serafino Gubbio Operatore"


Trabajo, 2006

22 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Inhalt

1.) Einleitung

2.) Gesellschaftlicher Kontext
2.1.) Die politische Situation
2.2.) Der technologische Fortschritt
2.3.) Veränderungen in Kunst und Kultur
2.4.) Entwicklung der Massengesellschaft
2.5.) Kino als neue Form der Kunst
2.6.) Zeitgenössische Reflexionen zur kulturellen Entwicklung

3.) Pirandellos „Quaderni di Serafino Gubbio operatore“
3.1.) Der Begriff der Entfremdung
3.2.) Entfremdung im Roman
3.3.) Der Kosmograph: Mikrokosmos industrieller Entfremdung
3.3.1.) La maschera
3.3.2.) L’accidente
3.3.3.) La follia
3.3.4.) La perdità della personalità

4.) Fazit

5.) Literaturverzeichnis

1.) Einleitung

Technik und Fortschritt sind zwei Errungenschaften unserer Zeit, die mittlerweile zu einem integrativen Bestandteil unseres alltäglichen Lebens geworden sind. Mensch und Maschine bilden eine symbiotische Einheit. Daher ist es für uns heute schwer nachzuvollziehen, dass der Mensch seinen Alltag ohne Maschinen bewältigen kann.

In der Zeit der Industrialisierung ist die anfängliche Euphorie über die technischen Errungenschaften groß gewesen. Maschinen ersetzten, die für Menschen, anstrengenden Arbeitsprozesse. Doch schnell schlug diese Euphorie um in die Erkenntnis, dass der Mensch nun nur noch ein Beiwerk der Maschine ist. Durch die Automatisierung und Mechanisierung änderten sich grundlegend, die bis dahin existierenden, Werte- und Verhaltensmuster. An die Stelle humanistischer Werte traten Technik und Maschine. So fand auch mit der Erfindung des Films - und damit verbunden des Kinos – die Verdrängung der Literatur statt. Im Zuge der Technologisierung ist in den Menschen aber auch das Gefühl erwachsen, weniger bedeutend zu sein als eine Maschine.

Genau diese Thematik wird in dem Werk Quaderni di Serafino Gubbio operatore von dem Sizilianer Luigi Pirandello aufgegriffen. Dieses Werk, das im Jahr 1915 entstanden ist, erzählt die Geschichte des Kameramanns Serafino Gubbio, der nicht in der Lage ist sich der Gegenwart und dem damit verbundenen technologischen Fortschritt anzupassen. Er arrangiert sich nicht mit der Welt des Films, in der er arbeitet, sondern stellt ihr die Literatur gegenüber und schwelgt in den Erinnerungen vergangener Tage. Diese Arbeit als Kameramann, die Serafino so zu wider ist, veranlasst ihn dazu, seine Umwelt nur passiv wahrzunehmen und sich zunehmend von ihr zu distanzieren.

Pirandello präsentiert mit diesem Buch wieder ein Werk, in dem sein Held unter dem Zwang der Umgebung Rollen spielen muss, denen er meist nicht gewachsen ist. So entstehen auch für diesen Helden letztendlich groteske Situationen.

Im Folgenden wird nun untersucht, in welchem Kontext das Werk Pirandellos entstanden ist, um daraufhin zu analysieren, welchen Einfluss der technologische Fortschritt auf die Entfremdung des Kameramanns Serafino Gubbio hat.

2.) Gesellschaftlicher Kontext

Die Zeit, in der Pirandello gelebt hat (1867- 1936), ist geprägt von gravierenden Veränderungen. Die industrielle Revolution, d.h. die rasche Entwicklung von Industrie und Technologie, hat sich auf alle Lebensbereiche ausgewirkt und zu tief greifenden Folgen auf wirtschaftlichem, politischem und sozialem Gebiet geführt. Aber auch das kulturelle Leben ist von den großen Umwälzungen betroffen gewesen und es hat sich ein neues Verständnis von Kunst und ihrer Funktion für die Gesellschaft entwickelt.

Auch Luigi Pirandello präsentiert mit seinem Werk die Abkehr von ehemals veristischen und positivistischen Strömungen, um sich nun der Darstellung paradoxer Handlungen, auf die Spitze getriebener Situationen und einem expressionistisch gefärbten Stil zu widmen[1].

2.1.) Die politische Situation

Beginnend mit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts haben die radikalen Veränderungen in Italien eingesetzt.

Im Jahre 1894 ist es zu den fasci siciliani – den Aufständen der sizilianischen Schwefelarbeiter- gekommen. Weitere wichtige Ereignisse sind u.a. der sogenannte „Skandal der Banca Romana“ und die Niederlage 1896 im ersten Kolonialkrieg Italiens gewesen.

Die zeitgleiche Steigerung des Grades der Industrialisierung hat zur Öffnung des Staates gegenüber der nun neu entstandenen sozialen Gruppen geführt. Gleichzeitig ist es aber zu einem Rückgriff auf Diktatur und Gewalt gekommen, um die Interessen der herrschenden Klassen zu sichern[2]. Giovanni Giolotti hat mit seiner Politik die Unruhen der 1890er Jahre überwunden und einen relativen sozialen Frieden geschaffen. 1913 gipfelt die Eingliederung der unteren sozialen Klassen in das allgemeine Wahlrecht, was am Ende des 1. Weltkrieges zur Wahl der Faschisten beitrug.

2.2.) Der technologische Fortschritt

Wie schon gesagt, ist der wichtigste Faktor für die gravierenden Veränderungen in allen Lebensbereichen die industrielle Revolution. Es ist zu einer schnellen Abfolge von Entdeckungen und Erfindungen gekommen, die zu einer Automatisierung des Lebens führten

und in ihrem Fortschritt besonders Auswirkungen auf den sozialen Bereich hatten. Beispielsweise ist die Landwirtschaft zu einer Industrieproduktion übergegangen. Diese Industrialisierung führte ebenfalls zum Entstehen neuer gesellschaftlicher Gruppierungen wie Parteien und Gewerkschaften, die nun die Interessen des immer stärkeren Proletariats wahrgenommen haben[3]. Denn nun besteht für den Arbeiter das Risiko, durch die Technik ersetzt zu werden.

Diese technischen Innovationen beeinflussen nicht nur das Leben eines Arbeiters oder Angestellten, sondern dringen ebenfalls in alle anderen Wissenszweige vor. So ist auch die Kunst und Literatur stark durch die industrielle Revolution verändert worden und führte zum Entstehen neuer Strömungen und Denkansätze.

2.3.) Veränderungen in Kunst und Kultur

Im 19. Jahrhundert galt der Positivismus als Grundlage der europäischen Kultur und als „ideologische[s] Gerüst des expandierenden Bürgertums“[4]. Man glaubte durch objektives Beobachten die Realität und deren Gesetzmäßigkeiten erkennen zu können. Dieser Ansatz geht auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse zurück. Man ist davon ausgegangen, dass der Mensch zwar die Gesetzmäßigkeiten, die den Lauf der Welt bestimmen, erkennen, sie aber nicht verändern könne. So sagt Verga, dass der Mensch sein Schicksal nicht ändern könne und es gar nicht erst versuchen solle. Der Mensch könne das Schauspiel des Lebens nur betrachten und „ studiarla senza passione, e rendere a la scena nettamente […] tale da dare la rappresentazione della realtà com’è stata, o come dovrebbe avuoto essere”[5].

Gegen Ende des Jahrhunderts wurde die positivistische Denkweise mehr und mehr abgelehnt und in der Literatur musste der Naturalismus bzw. der italienische Verismus zahlreichen neuen Strömungen weichen. Diesen Strömungen ist allen gemein, dass sie sich gegen die positivistische Objektivität und Vernunft stellen. Der Franzose Emile Boutroux ( 1845-1921) sagt „Erfahrung“ sei nicht „teilnahmslos etwas festzustellen, was außerhalb von uns geschieht, sondern die ein oder andere Form von Sein in uns selbst auszuprobieren, in uns selbst zu fühlen und selbst zu leben“[6].

Diese neuen Strömungen strebten danach, sich gegen die herrschende Moral und den herrschenden Geschmack zu wenden und eine von der Tradition abweichende Kunst anzubieten, die schockiert und durch ihre Neuartigkeit beeindruckt. Durch diesen Anspruch war der Künstler gezwungen, ständig neue und andersartige Kunstwerke zu schaffen, die „konsumiert und nach Gebrauch weggeworfen werden [konnten]“.[7]

2.4.) Entwicklung der Massengesellschaft

Zu diesem neuen Verständnis von Kunst kommt die Entstehung der Massengesellschaft hinzu, die sich durch die zahlreichen Veränderungen der Zeit vollziehen konnte. Radio, Fernsehen, Kino, Autos und Flugzeuge: Sie alle haben dazu beigetragen, dass die Menschen enger in Kontakt traten, schneller kommunizierten und schneller an anderen Orten sein konnten. Die neuen Medien ermöglichten es nun einem viel größerem Publikum Zugang zur Kunst und der Kultur zu verschaffen: Dies bedeutet, dass „die Zahl von Menschen, die Kultur- und Konsumgüter besitzen können, die zuvor nur Privilegierten vorbehalten waren“[8] stetig anstieg. Im Gegensatz zu früheren Zeiten steht das jetzige Publikum nicht mehr „[…] in einer bestimmten Bildungstradition, [sondern] ihre Bildung ist eher technischer und berufsbezogener Art“[9]. Dadurch änderten sich auch die Ansprüche der Leser an die Literatur und ästhetische Werte verloren an Wichtigkeit. Die Literatur änderte – bedingt durch die Nachfrage der Leser- ihre Merkmale. Mit dieser Entwicklung ist ein Teil der Schriftsteller jedoch unzufrieden gewesen und wendete sich vom Publikum ab. Der Schriftsteller musste sich entscheiden, ob er die unaufhaltsame Entwicklung hin zur Massengesellschaft akzeptierte oder sie ablehnte. So kommt es zur Teilung in eine Avantgarde-Literatur und in eine Konsum- und Massenliteratur.

Durch diese Massengesellschaft konnte sich auch eine Massenkultur entwickeln. Kulturgüter wurden durch die Möglichkeiten der fotografischen Reproduktion für alle Schichten der Bevölkerung verfügbar und durch neue Medien wie Radio und Kino konnten riesige Menschenmengen gleichzeitig erreicht werden.

2.5.) Kino als neue Form von Kunst

Durch die enormen technischen Neuerungen der Zeit stand den traditionellen Künsten bald der Film gegenüber. Aufgrund der Entwicklung der Massengesellschaft „war die Entstehung des Films historisch ‚fällig‘“[10], da „sich enorme gesamtgesellschaftliche Umwälzungen [vollzogen], denen die traditionellen Medien nicht mehr zu entsprechen vermochten“[11]. So nahmen beispielsweise die Bevölkerungszahlen drastisch zu, der Lebensraum verdichtete sich und wurde gleichzeitig anonymisiert. Die daraus resultierende Orientierungslosigkeit führte zu einem Verlangen nach Unterhaltung und Zerstreuung, das mit Hilfe der entstehenden Kinos kurzweilig befriedigt werden konnte.

Im Jahr 1895 führten die Brüder Lumière in Paris den ersten Film der Welt vor: Arbeiter verlassen die Lumière-Werke[12] und 1902 entstand der erste Langfilm Die Reise zum Mond, der nicht mehr die Realität zeigte, sondern „die blanke Wirklichkeit durch Phantasie, Imagination und Vision endgültig überholt“[13] hatte. Darüber hinaus entwickelte sich die Produktion von Filmen zu einem neuen Industriezweig. Ab 1905 wurden auch in Italien Filme gedreht, die ersten Produktionsfirmen entstanden in Rom, Turin und Mailand. „Bereits 1912 wurden im Durchschnitt in Italien drei neue Filme täglich herausgebracht“[14]. Bedeutende italienische Filme dieser Zeit sind Der Fall von Troja (1911) von Giovanni Pastrone sowie Quo Vadis (1913) von Enrico Guazzoni.

Die Frage, ob der Film als Kunst gelten könne, wurde zur damaligen Zeit viel diskutiert. Aussagen von frühen Filmemachern belegen, dass diese sich selbst als Künstler und ihre Filme als eine neue Form von Kunst verstanden[15].

Fest steht, dass der Film zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Konkurrenz zu den traditionellen Arten von Kunst trat und seitdem aus dem kulturellen Leben der Menschen nicht mehr wegzudenken ist.

2.6.) Zeitgenössische Reflexionen zur kulturellen Entwicklung

Die genannten Veränderungen im kulturellen Bereich sind von zahlreichen kritischen Reflexionen begleitet worden. Die Entwicklungen dieser Zeit sind sehr unterschiedlich bewertet worden, was in den Essays von Ortega y Gasset (1925) und Walter Benjamin (1936) zum Ausdruck kommt. José Ortega y Gasset spricht in seinem Essay La dehumanización del arte von der Verfremdung, die die neue Kunst mit sich bringt und von der Unfähigkeit des Rezipienten, sich mit ihr zu identifizieren[16]. Walter Benjamin hingegen bedauert zwar den Verlust der Aura, die die Kunst umgab, als sie nur wenigen Privilegierten verfügbar war, er betont aber auch den positiven Einfluss der reproduzierbaren Kunst auf das Bewusstsein der Menschen[17].

Auch das neu entstehende Kino rief völlig unterschiedliche Reaktionen hervor. So bezeichnete Georges Duhamel den Film als „einen Zeitvertreib für Heloten, eine Zerstreuung für ungebildete, elende, abgearbeitete Kreaturen“[18]; Séverin-Mars und Alexandre Arnoux hingegen sahen in dem neuen Medium eine neue Form von Kunst[19]. So gibt es eine Reihe divergierender Meinungen zu den kulturellen Entwicklungen dieser Zeit. Während die einen vom Niedergang der Kunst sprechen, sehen die anderen in der Entstehung der Massenkultur einen großen Fortschritt im Bereich der Kunst, der gleichzeitig einen Prozess der Demokratisierung einleiten sollte, „der zwar die Werte von einst ... auflöst, zur selben Zeit aber neue, qualitativ andere Werte für alle schafft“[20].

[...]


[1] Petronio 1993, S. 190

[2] ebenda, S. 90

[3] Petronio 1993, S. 89

[4] ebenda, S. 91

[5] ebenda, S. 92

[6] Petronio 1993, S. 92

[7] ebenda, S. 99

[8] ebenda, S. 94

[9] ebenda, S. 110

[10] Faulstich 2005, S. 17

[11] ebenda, S. 17

[12] ebenda, S. 19

[13] ebenda, S. 21

[14] ebenda, S. 39

[15] vgl. Aussagen in Aurich, Jacobsen (Hrsg.) 1998. Beispielsweise Ernst Lubitsch, S. 152

[16] Vgl. Neuschäfer 2001, S. 348

[17] Vgl. Benjamin 1974

[18] Duhamel, zit. nach Benjamin 1974, S. 45

[19] Benjamin 1974, S. 25f

[20] Petronio 1993, S. 96

Final del extracto de 22 páginas

Detalles

Título
Die Entfremdung im Kontext des technologischen Fortschritts in Pirandellos "Quaderni die Serafino Gubbio Operatore"
Universidad
Ernst Moritz Arndt University of Greifswald
Calificación
2
Autor
Año
2006
Páginas
22
No. de catálogo
V55224
ISBN (Ebook)
9783638502375
ISBN (Libro)
9783656778165
Tamaño de fichero
558 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Entfremdung, Kontext, Fortschritts, Pirandellos, Quaderni, Serafino, Gubbio, Operatore
Citar trabajo
Franziska Hübsch (Autor), 2006, Die Entfremdung im Kontext des technologischen Fortschritts in Pirandellos "Quaderni die Serafino Gubbio Operatore", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55224

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