Privatisierungsmaßnahmen im Wassersektor der Entwicklungszusammenarbeit aus neo-institutionalistischer Perspektive


Mémoire (de fin d'études), 2005

90 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

II. Abkürzungsverzeichnis

III. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Einleitung

1. Einführung in den Untersuchungsgegenstand
1.1 Fragestellung und Ziel der Arbeit
1.2 Struktur der Arbeit

2. Theorien und Historie der Entwicklungspolitik

3. Entwicklung der Bedeutung von Privatisierungsmaßnahmen als entwicklungspolitisches Instrument
3.1 Begriffliche Prägung
3.1.1 Die Entwicklung von GATT, WTO, GATS und AKP-Vertrag
3.2 Erhoffte positive Effekte von Privatisierungsmaßnahmen
3.2.1 Erwartungen internationaler Finanz- und Entwicklungsinstitutionen und der Regierungen der Entwicklungsländer
3.2.2 Die Erwartungen der privaten Wirtschaft
3.3 Privatisierung im Wassersektor
3.3.1 Betreibermodelle
3.3.2 Lobbyisten und Konzerne der Wasser- und Abwasserindustrie
3.4 Probleme von Privatisierungen im Wassersektor

4. Theoretischer Teil – das Privatisierungskonzept aus neo-institutionalistischer Sicht
4.1 Forschungsfragen und Annahmen generiert anhand der Theorie des Neo-Institutionalismus
4.1.1 Der world-polity -Ansatz: eine Variante der Globalisierungs- und Weltgesellschaftsdiskussion
4.1.2 Die Mikrofundierung des soziologischen Neo-Institutionalismus
4.2 Die weltweite Verbreitung des Konzeptes der Privatisierung
4.3 Die Weltbank als zentraler Agent der Diffusion
4.3.1 Normenübernahme und Produktion des Privatisierungskonzeptes
4.3.2 Kopiervorgänge bei der Verbreitung von Projekten und Strategien
4.3.3 Implementierung
4.4 Die Wasserkonzerne als Teil des organisationalen Feldes der Weltbank
4.4.1 Konzerne als nach Legitimation strebende Organisationen
4.5 Internationale Handels- und Wirtschaftsabkommen als Beschleuniger der Verbreitung von Privatisierungsmaßnahmen

5. Methode zur Untersuchung der Projekte
5.1 Begründung der Fallauswahl
5.2 Vorgehen

6. Empirischer Teil – Projektanalysen
6.1 Der Privatisierungsprozess in Buenos Aires – Grundlegende Vereinbarungen
6.2 Struktur und Verlauf der Privatisierung
6.2.1 Zugang zu Wasser
6.2.2 Wasserverluste
6.2.3 Investitionen
6.2.4 Wasserpreis
6.2.5 Arbeiter
6.2.6 Effizienz der Regulierung
6.3 Analyse und Bewertung der Privatisierung in Buenos Aires aus neo–institutionalistischer Perspektive
6.4 Die Privatisierung der Wasserversorgung in Manila – Grundlegende Vereinbarungen
6.5 Struktur und Verlauf der Privatisierung
6.5.1 Zugang zu Wasser:
6.5.2 Wasserverluste
6.5.3 Investitionen
6.5.4 Wasserpreis:
6.5.5 Arbeiter
6.5.6 Effizienz der Regulierung:
6.6 Analyse und Bewertung der Privatisierungen in Manila aus neo-institutionalistischer Perspektive
6.7 Synthese der Analysen
6.7.1 Monopolisierungsstrategien
6.7.2 Bietstrategien
6.7.3 Die Unterschätzung von Kosten und die Überschätzung von Einnahmen
6.7.4 Die Schwächung der Regulierungsbehören
6.7.5 Strategien der nachträglichen Rationalisierung

7. Fazit

IV. Literatur

V. Anhang

II. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

III. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Kernprinzipien neoliberaler Wasserpolitik

Tabelle 1: Beteiligungsgesellschaften an Aguas Argentinas S.A. 1993

Tabelle 2: Beteiligungsgesellschaften an Aguas Argentinas S.A. 2004

Tabelle 3: Geberinstitutionen und Höhe der Kredite (in Tausend Dollar)

Tabelle 4: Anteil der Kosten für Wasser und Abwasser am Haushaltseinkommen

Tabelle 5: Beteiligungsgesellschaften in Manila Ost und West

Tabelle 6: Geberinstitutionen und Höhe der Kredite an Maynilad (2001)

Tabelle I: Programme diverser Geberinstitutionen zur Förderung von PSP

Tabelle II: Umsatz und Kundenzahl der globalen Wasserkonzerne

Abbildung III: Umsatz der Konzerne im Wassersektor im Vergleich

Abbildung IV: Abweichungen vom Ausgangsgebot bei Maynilad

Abbildung V: Verschuldung von Aguas Argentinas S.A.

Einleitung

A development project is a special kind of investment.

(Hirschman 1967: 1)

Die Sicherstellung menschlicher Grundbedürfnisse war immer eines der Hauptziele von Entwicklungszusammenarbeit. In diesem Sinne stellt der Zugang zu Trinkwasser das oberste Anliegen dar, da es in Situationen von Knappheit zu einem hart umkämpften Gut werden kann.

Gerade in nicht stark industriell entwickelten Ländern schien es bisher traditionell ein unbestrittener Wert zu sein, dass einige öffentliche Güter nicht Waren oder Handelsgütern gleichzusetzen sind und daher auch nicht den Gesetzen eines Marktes unterworfen werden dürfen. In der Kommerzialisierung von Wasser sehen viele Menschen intuitiv einen fundamentalen, gar ethischen, Widerspruch. Folgende Diplomarbeit allerdings bezieht die Tatsache der globalen Tendenz zur Übertragung öffentlicher Güter in privates Eigentum ein in eine soziologische Betrachtung der Entwicklung von entwicklungspolitischen Institutionen und deren Positionen.

Im Zuge dieser Untersuchung werden die privaten Unternehmen der Wasserversorgung, denselben analytischen Kriterien zu unterwerfen, wie dies mit den Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, wie in diesem Fall insbesondere mit der Geberinstitution Weltbank, getan wird. Dazu werden im Zuge dieser Arbeit zwei Privatisierungsprojekte untersucht, in denen eine Zusammenarbeit dieser beiden Akteure stattgefunden hat.

1. Einführung in den Untersuchungsgegenstand

Privatisierungen1 sind in den unterschiedlichsten Bereichen des öffentlichen Sektors anzutreffen und werden in erster Linie in den Politik- und Wirtschaftswissenschaften diskutiert. In dieser Diplomarbeit soll sich dem Phänomen allerdings mit Blick auf die Privatisierungsmaßnahmen angenähert werden, die als Instrument in der Entwicklungszusammenarbeit verwendet werden. Dies soll in folgender Diplomarbeit anhand der Theorie des soziologischen Neo-Institutionalismus geschehen.

Die Motive für die private Wirtschaft, wie auch für die öffentliche Hand miteinander eine Partnerschaft einzugehen, scheinen nur auf den ersten Blick klar zu sein: Die zunehmende Unzulänglichkeit staatlicher Verwaltung und internationaler Entwicklungsorganisationen globale oder nationale Probleme alleine zu lösen sowie haushaltspolitische Erwägungen lassen eine Beteiligung der privaten Wirtschaft als äußerst notwendig und attraktiv erscheinen. Zudem erfordert die Erreichung entwicklungspolitischer Ziele, wie etwa der millenium-goals zur Halbierung der absoluten Armut bis zum Jahr 2015, neue Problemlösungsansätze. Ein Engagement der Wirtschaft wird somit nicht nur aus finanziellen Gründen angeregt und begrüßt. Die Akteure der Privatwirtschaft erhoffen sich dabei in erster Linie eine Maximierung ihrer Gewinne. Zudem erwarten sich beide Seiten eine Verbesserung ihres Ansehens.

Allerdings geraten Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und der Finanzierung seit geraumer Zeit in einer breiten Öffentlichkeit in die Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, durch ihre Privatisierungsstrategien, vor allem in den Ländern der Dritten Welt, zur Liberalisierung der Wassermärkte beizutragen – mit problematischen sozialen und wirtschaftlichen Nebeneffekten. Während der letzten Jahre kam es im Zuge dieser Privatisierungen zu Widerstand in der betroffenen Bevölkerung, der teils so vehement ausfiel, dass der Privatisierungsprozess durch die betroffenen Nationalstaaten gestoppt und rückgängig gemacht werden musste.

Die bisher öffentliche Infrastruktur der Wasserver- und Entsorgung wird zugunsten global agierender Wasserkonzerne in privatwirtschaftliche Hände oder in Betreibermodelle mit privatwirtschaftlicher Teilhabe überführt. Dieser Prozess wird in hohem Maße durch Kredite von Entwicklungsbanken finanziert.

1.1 Fragestellung und Ziel der Arbeit

Die vorliegende Diplomarbeit soll das Paradigma der Privatisierung in der Entwicklungszusammenarbeit untersuchen. Dazu werden die Ursachen und Konsequenzen einer Teilnahme der privaten Wirtschaft an entwicklungspolitischen Maßnahmen der Zusammenarbeit im Wassersektor zu klären sein.

Zunächst wird eine Analyse des Entwicklungskonzeptes der Privatisierung vorgenommen. Konkret sollen im Rahmen dieser Arbeit folgende Fragen beantwortet werden: Wie haben sich die Privatisierungsmaßnahmen im Wassersektor weltweit durchgesetzt ? Inwiefern haben internationale Wirtschafts- und Handelsabkommen zu diesem Prozess beigetragen? Es soll dem Verhalten der Weltbank bei der Verbreitung des Konzeptes sowie der Rolle der global agierenden Wasserkonzerne bei Diffusion und Implementierung nachgegangen werden. Die empirische Analyse schließlich soll die Frage nach den Resultaten der Privatisierung untersuchen, wobei bei den beiden Projekten die Annahme einer Strukturähnlichkeit in Verlauf und Ergebnis unterstellt wird.

Dazu werden die einzelnen Privatisierungsverläufe detailliert rekonstruiert und dabei versucht, die Ausgangsbedingungen und die entstandenen Strukturen zu identifizieren. Es soll ein Kategorienschema entworfen werden, welches die Suche nach Mustern, Effekten und Strukturen ermöglicht. Durch die Sekundäranalyse und die vorher theoretisch diskutierten Fragestellungen sollen die möglichen Effekte der Kooperation der privaten Wirtschaft mit einer finanzierenden Entwicklungsorganisation auf Privatisierungsprojekte mit entwicklungspolitischer Zielsetzung herausgefunden werden.

Dieses Vorgehen impliziert, dass der Schwerpunkt des theoretischen Teils der Arbeit auf einer eher makrosoziologischen Diskussion beruht. Hier geht es vor allem um die Frage, wie und warum die Strukturen entstehen konnten, die zu den Phänomenen geführt haben, die in der eher mikrosoziologisch argumentierenden Projektanalyse untersucht werden.

Die theoretische Analyse wird mit Hilfe des soziologischen Neo-Institutionalismus vorgenommen. Die im Neo-Institutionalismus gebrauchten Begriffe wie Diffusion, organisationale Felder, Legitimität, Rationalität, Organisationsmoden und Wertorientierungen sowie die Annahme von Entkoppelungsprozessen, stellen die Basis der theoretischen Untersuchung dar.

„Die Diffusion strukturähnlicher Muster“ (Wobbe 2000: 29) bildet hierbei die Kernannahme und die Erklärung für das Phänomen der „Strukturähnlichkeit“ in einer eigentlich politisch, sozial und ökonomisch heterogenen Umwelt. Die Theorie konstatiert dazu „kulturelle und institutionelle Isomorphie“ als Resultat von Diffusionsprozessen, die in zunehmendem Maße parallel zu sich verstärkenden globalen Differenzen verlaufen und zu „Strukturähnlichkeiten auf weltgesellschaftlicher Ebene führen“ (Wobbe 2000: 29).

Für oben erwähnte Fragestellungen bedeutet dies, dass es sich bei den Privatisierungsmaßnahmen um das Resultat der Diffusion einer Entwicklungsnorm handelt. Diese geht, in einer vereinfachten Vorstellung, von der Organisation Weltbank aus, und wird von weiteren Organisationen im organisationalen Feld, wie den internationalen Wasserkonzernen, aufgegriffen und kopiert. Verstärkt und erleichtert wird dieser Angleichungsprozess insbesondere durch drei, von DiMaggio und Powell (1983) formulierte Mechanismen zur Erzeugung von institutioneller Isomorphie: die Isomorphie des Zwangs (coercive isomorphism), die durch Regeln, Gesetze und Vereinbarungen gebildet wird, durch Imitation zwischen Organisationen (mimetic isomorphism) sowie durch normativen Druck (nomative isomorphism), wie er etwa von der Autorität beratender Wissenschaft und Forschung ausgehen kann.

Für Organisationen sichert dieses Vorgehen ihr Überleben, da es Legitimität erzeugt. Aber auch für private Unternehmen, bei denen in erster Linie Effizienz- und Wettbewerbsziele im Mittelpunkt stehen, sichert dieses Vorgehen das Überleben sowie die interne und externe Legitimität, wie gezeigt werden wird.

1.2 Struktur der Arbeit

Im zweiten Kapitel werden die grundlegenden Theorien der Entwicklungspolitik skizziert. Dies geschieht, um einen Überblick über die Prämissen entwicklungspolitischer Akteure zu gewinnen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nationalstaatliches Handeln und das Auftreten internationaler Organisationen geprägt haben.

Im dritten Teil wird die Entwicklung der Bedeutung des Privatisierungskonzeptes durch international agierende Entwicklungs- und Geberinstitutionen zurückverfolgt und seine Ursprünge sowie heute praktizierte Formen beschrieben. Danach werden die Erwartungen der Partner dieser Maßnahmen, der öffentlichen wie der privatwirtschaftlichen Seite dargelegt. Dabei wird im Folgenden den Wassersektor eingegangen und es werden Betreibermodelle beschrieben, die auch in den Ländern der Dritten Welt seit Anfang der neunziger Jahre zur Anwendung gekommen sind. Daraufhin werden auch die Probleme beschrieben, welche in Fällen der Wasserprivatisierung entstanden sind. Der vierte Teil der Diplomarbeit führt zunächst in die theoretischen Grundlegungen des Neo-Institutionalismus ein. Hieraus werden ab 4.2 die konkreten Forschungsfragen abgeleitet, welche die Untersuchung der Privatisierungsmaßnahmen in Kapitel 6 leiten werden. Kapitel 5 beschäftigt sich mit der Methode der Untersuchung, bei der es sich um eine Sekundäranalyse bereits durchgeführter und als abgeschlossen geltender Maßnahmen handelt. Die Daten hierzu sind zum großen Teil Projektberichten entnommen, die in einer Datenbank der PSIRU-Forschunginstitution2 zur Verfügung stehen. Im sechsten Teil der Arbeit wird die Sekundäranalyse von Privatisierungsmaßnahmen in Argentinien und auf den Philippinen durchgeführt. Diese sind in der Form von Projektberichten gut dokumentiert. Dazu werden der Verlauf und die Struktur der Privatisierungsmaßnahmen einzeln detailliert rekonstruiert und darauf einer theoretischen Analyse unterzogen. Kapitel 7 subsumiert die Ergebnisse der Sekundäranalyse und der theoretischen Analyse und schließt die Arbeit mit einer allgemeinen Betrachtung zu Privatisierungsmaßnahmen als entwicklungspolitisches Instrument ab.

2. Theorien und Historie der Entwicklungspolitik

In folgender Einführung werden die grundlegenden Theorien der Entwicklungspolitik skizziert, um einen Überblick über die Prämissen entwicklungspolitischer Akteure zu gewinnen.

Bis zum Ende der sechziger Jahre herrschten die beiden Theorierichtungen der Entwicklungsökonomie und der Modernisierungstheorie vor. Charakteristisch für diese beiden Ansätze war es, dass die Rückständigkeit der Entwicklungsländer in erster Linie auf innergesellschaftliche Faktoren wie Bewusstseins- und Gesellschaftsstrukturen der Nationen beziehungsweise der ehemaligen Kolonien zurückgeführt wurde. Das Verständnis von Modernisierung war das eines eindimensionalen, linearen Prozesses, der alle Nationen früher oder später erfassen würde. Die historische Sichtweise der Modernisierungstheorie besagt, dass im Zuge der Industriellen Revolution die jetzigen reichen Länder erst entstanden seien. Da die Industrialisierung aber auch einen Kapitalzufluss in ärmere und arme Länder und Regionen nach sich ziehe, werden auch diese nach und nach von ihr profitieren und sich den reichen Nationen angleichen. Die Gründe für Armut liegen in dieser Argumentation in den Gesellschaften selbst, die sich durch schwach ausgeprägte Industrialisierung, eine starke Verwurzelung in Traditionen auszeichnen und in denen ein schnelles Bevölkerungswachstum stattfindet, was wiederum einer eigenen Entwicklung im Wege steht. Der Begriff ‚Entwicklung‘ wurde innerhalb dieser Perspektiven gleichgesetzt mit Produktivitätssteigerung, Wirtschaftswachstum, Industrialisierung und Alphabetisierung sowie mit Demokratisierung nach dem Vorbild westlicher Staaten, wobei die Rolle der reichen und westlichen Nationen als aktive Akteure in diesem Entwicklungsprozess eindeutig hervorgehoben wird (So 1990: 53f; Menzel 1992: 17). Denn sie sind es, die die nötigen Technologien zur Nahrungsmittelproduktion bereitstellen und durch finanzielle Auslandshilfen die Entwicklung der ‚unterentwickelten’ Industrien fördern können. Entwicklung wird so als ein technisch zu lösendes und lösbares Problem angesehen. Der damals in der Ökonomie vorherrschende Keynesianismus vertraut auf staatliche Eingriffe und eine binnenorientierte Wachstumsstrategie, die außenwirtschaftlich durch handelspolitische, protektionistische Maßnahmen abzusichern ist (Menzel 1992: 18). Die modernisierungstheoretische Sicht betont somit in besonderem Maß die endogenen Ursachen für die Unterentwicklung vieler Nationen, ohne diese Ursachen jedoch länderspezifisch zu differenzieren oder die historischen Hintergründe in die Analyse einzubeziehen (So, A. 1990: 56f).

Eine ideologische Kritik an diesem Ansatz brachten die linksliberalen und neomarxistischen Strömungen der sechziger Jahre mit, die eine völlig umgekehrte Sichtweise der Problematik ‚Unterentwicklung’ herleiteten. Unterentwicklung wurde nun ausdrücklich als Ergebnis außergesellschaftlicher, außenwirtschaftlicher und historischer Einflüsse gesehen, wobei der zunehmende Reichtum in weiter entwickelten Nationen direkt für die zunehmende Verarmung und Verschuldung unterentwickelter Regionen verantwortlich zu machen sei. Historisch wird der Beginn dieses Verarmungs- und Abhängigkeitsprozesses an die Anfänge der Kolonialisierung gelegt. Die nötige Einbindung der unterentwickelten Länder in das System des Welthandels fand demnach, teils gewaltsam, bereits zu Kolonialzeiten statt und schuf Abhängigkeiten die bis heute andauern. Einen wesentlichen Bestandteil der Dependenztheorie bildet die Vorstellung eines globalen Netzwerkes zwischen reichen und armen Ländern, wobei die armen Nationen den Satellitenstaaten (satellite countries) entsprechen und die entwickelten Länder die Zentralstaaten (metropolitan countries) darstellen (Frank 1969: 160). Die Argumentation dieser Theorie bedient sich teils marxistischer Begrifflichkeiten. Der Kapitalismus fördert demnach durch Kapitalakkumulation in den reichen Ländern deren Wohlstand und Weiterentwicklung und erzeugt dadurch Armut und Unterentwicklung in den armen Nationen, da diese die Lieferanten der für den Produktionsprozess nötigen billigen Rohstoffe sind. Der Grund hierfür wird von Frank (1969: 160) zum Beispiel darin gesehen, dass sowohl die Technologien wie auch das nötige Know-How in den reichen Nationen verbleiben, Rohstoffe aus den armen Ländern abfließen, die Verschuldung durch immer neue Kredite zunimmt und die Entwicklung der unterentwickelten Länder so begrenzt bleiben muss. Das Muster von Zentralstaaten und Satelliten setzt sich bis in die fernsten Peripherien der abhängigen Länder fort. So überzieht ein Netz von Metropolen-Satelliten-Beziehungen die Welt und ein Kapitalfluss findet im Wesentlichen nur in Richtung der Zentralstaaten statt. Der Weltkapitalismus mit seinem Prinzip der Mehrwertschaffung fördert und erhält diese Mechanismen und dringt so bis in weit entlegenes Hinterland vor, wo er soziale und ökonomische Bedingungen verändert. Der These zufolge, findet eine starke Entwicklung eines Satelliten nur dann statt, wenn die Bindung zu den Zentralstaaten relativ schwach ausgeprägt ist, wie es zum Beispiel in Zeiten der Weltwirtschaftskrise in Lateinamerika der Fall war. Demzufolge sind auch diejenigen Regionen heute am wenigsten entwickelt, die früher die engsten Beziehungen zu den Metropolen gehabt hatten (Frank 1969: 160ff).

Menzel (1992) konstatiert schließlich das „Scheitern der großen Theorie“. Doch nicht erst seit dem Ende des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation, die die Welt in die scheinbar so übersichtlichen Sphären der Ersten, Zweiten und Dritten Welt teilte, sind die oben beschriebenen Paradigmen zunehmend in Frage gestellt worden. Bereits zu Beginn der siebziger Jahre wurde immer offensichtlicher, dass weder die modernisierungstheoretische Sicht noch die marxistische Hoffnung auf eine Umwälzung des weltweiten kapitalistischen Systems zugunsten der armen Nationen eine Erklärung für die fortschreitende Unterentwicklung großer Teile der Welt bieten kann (Menzel 1992: 22 f). Die Hoffnungen auf wirksame Patentlösungen entpuppten sich in einer sich stetig ausdifferenzierenden ‚Dritten Welt‘ als schlicht naiv. Vor allem die Erwartung von ‚durchsickernder’ Entwicklung erfüllte sich nicht. Denn selbst wenn es zu Wachstum in einem unterentwickelten Land gekommen war, profitierte davon doch oft nur eine Minderheit. Von einer globalen Tendenz zur Demokratisierung und damit einhergehender Entwicklung konnte ebenfalls nicht die Rede sein (Menzel 1992: 27). Die Vertreter der Abhängigkeitstheorien versuchten ihren Thesen durch Fallstudien eine wissenschaftliche Basis zu geben. Laut Menzel (1992) lassen sich allerdings Existenz und spezifischen Eigenschaften der in der Theorie angenommenen Satellitenstaaten nicht bestätigen. Ebenso fragwürdig seien Güte und Aussagekraft der verwendeten makroökonomischen Indikatoren wie Investitionsquoten, durchschnittliche Lebenserwartung, Pro-Kopf-Einkommen oder das Bruttosozialprodukt, die als Maß der Entwicklung galten (Menzel 1992: 28).

Als Folge des „doppelten Differenzierungsprozesses der ehemals Dritten Welt“ (Menzel 1995: 47), mit aufstrebenden Schwellenländern, zunehmend verarmenden Staaten in Afrika und mit Phänomenen wie der zunehmenden „Versüdlichung“ (Menzel 1998: 228) des Nordens wie des Südens, sowie neuen Fundamentalismen, haben Globaltheorien stark an Erklärungskraft verloren.

3. Entwicklung der Bedeutung von Privatisierungsmaßnahmen als entwicklungspolitisches Instrument

3.1 Begriffliche Prägung

Der Begriff der Privatisierungen, im entwicklungspolitischen Kontext auch Public Private Partnerships oder Private Sector Participation genannt, wurde durch Projekte, Maßnahmen und Initiativen der Infrastrukturentwicklung geprägt, in deren Rahmen die Tätigkeiten einer multinationalen, überregionalen oder nationalen Entwicklungsfinanzierungsorganisation mit den Aktivitäten privater Unternehmen kombiniert werden. Im weiteren Sprachgebrauch wird der Begriff Public Private Partnerships heute auch häufig für Kooperationen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor außerhalb des Infrastrukturbereichs verwendet (Foerster 1997: 2).

3.1.1 Privatisierungsinitiativen im System von UN, EU und Weltbank

Innerhalb des Systems der UN lassen sich die Anfänge von Entwicklungspartnerschaften bis in das Jahr 1966 zurückverfolgen, als das Konzept zur Schaffung des Industry Cooperative Program ICP entworfen wurde. Die Regierungen der Industrienationen wurden aufgefordert, ihre einheimischen Unternehmen zu mehr Teilnahme an den Programmen zur Förderung der Entwicklungsländer anzuregen (Friedrich 2004: 46). Nach der Überzeugung der Gründer sollte das Programm der Industrie ein erweitertes Verständnis langfristiger wirtschaftlicher und sozialer Prioritäten ermöglichen. Die Initiatoren erhofften sich, die Einstellung der Privatwirtschaft gegenüber den EL verändern zu können. Ziel war es in erster Linie „to establish joint ventures everywhere, as many as feasible“ (Friedrich 2004: 47). Zu den Zielländern für die in den Jahren 1972-1976 ausgeführten Missionen des ICP zählten zum Beispiel Venezuela, Liberia, Sri Lanka, Brasilien, Kamerun und Kolumbien (Friedrich 2004: 60). Da es sich um eine Institutionen übergreifende Initiative handelte, waren die Mitglieder des ICP, laut Friedrich (2004) allesamt Vertreter weltweit agierender Konzerne, auch als Berater in anderen Unterorganisationen der UN sowie in der Weltbankgruppe (IBRD, IFC, IDA, MIGA, ICSID) tätig. Zu Mitte der siebziger Jahre stieß die Initiative der UN allerdings auf so großen Widerstand in der Öffentlichkeit, dass das Programm für die nächsten zwanzig Jahre auf Eis gelegt wurde (Friedrich 2004: 5). Einen Neubeginn gab es unter dem Namen Global Compact im Rahmen der Millenium Declaration der UN, aus dem Jahr 2000.Vorgeschlagen wurde die Schaffung eines Paktes mit der Wirtschaft, darunter eine Reihe bekannter transnationaler Konzerne, die sich bereit erklärten, auf freiwilliger Basis bestimmte soziale Richtlinien einzuhalten, wie Menschenrechte, Arbeitsbeziehungen und Umwelt. Fehlende oder schwache Rahmenbedingungen der globalen Wirtschaft sollten so durch die freiwillige Übernahme grundlegender und international anerkannter Werte seitens der Privatwirtschaft ausgeglichen werden (Hamm 2002: 25).

Die Initiative der UN reiht sich in die vielfältigen Bestrebungen ein, die mit meist appellativem Charakter, die Beziehungen zur Privatwirtschaft verstärken sollen (Hamm 2002:17).3 Zu den Unterzeichnern des Paktes gehören Shell, Nike und der Wasserkonzern Suez. Der Global Compact wird von seinen geistigen Vätern explizit als Element und Instrument für Good Governance bezeichnet. Good Governance soll demnach unter anderem den „Ausgleich von Steuerungsdefiziten nationaler und internationaler Politik leisten, die als Folge der Globalisierung eingeschätzt werden“ (Hamm 2002: 24). Mangelnde oder schwache Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft, wie rechtliche Vereinbarungen oder Sozial- Umwelt- und Menschenrechtsstandards, sollen durch eine freiwillige Übernahme der Privatwirtschaft ausgeglichen werden. Dieser soll dazu im Gegenzug ein zumindest vereinfachter Zugang zu Märkten in Ländern der ‚Dritten Welt’ gewährt werden. Im Abschnitt 3.1.2 wird genauer auf die Funktion internationaler Handelsabkommen wie GATT, WTO, GATS und das Abkommen mit den so genannten AKP-Staaten eingegangen werden. Im Rahmen dieser Abkommen wurden Liberalisierung und Deregulierung insbesondere in den Binnenmärkten der Länder der ‚Dritten Welt’ gefördert und dadurch die Handlungsfreiheit multinationaler Konzerne gestärkt und deren Rechtslage vereinfacht.

Ein weiterer Hauptproduzent für die ‚Ideologie der Privatisierung’ sind die Bretton-Woods-Institutionen, insbesondere die Weltbank. Deshalb soll im Folgenden auf die geistigen Hauptströmungen innerhalb der Weltbankgruppe eingegangen werden, wie sie seit etwa Anfang der achtziger Jahre vorherrschen.

Die programmatische Grundlage für das Handeln der Weltbank seit den frühen achtziger Jahren, der Washington consensus4 , lässt sich als neoliberale Handlungsempfehlung für Entwicklungsländer verstehen, hat das Vertrauen auf funktionierende Marktkräfte zur Kernaussage und strebt ein möglichst starke Reduktion von Staatsinterventionen und Staatsausgaben an (Fine 2001: 3). Die Politik, die inspiriert durch den Washington consensus, seitens der Weltbank durchgeführt wurde, war immer schon Kritik ausgesetzt. Erst durch einen Anstoß aus den eigenen Reihen Ende der neunziger Jahren fand sie zu einer Diskussion in der breiteren Öffentlichkeit: 1998 läutete der Chefökonom Joseph Stiglitz die Ära des post-Washington consensus ein, zu dessen Hauptaussage die Kritik am absoluten Vertrauen auf das Funktionieren der Märkte gehört. Stiglitz räumt unvollkommene Märkte, unvollkommene Informationsverteilung unter den Markteilnehmern und diverse Asymmetrien als gegeben ein und forderte eine Neuorientierung der Weltbankpolitik anhand dieser Fakten ein (Fine 2001: 3). Besonders informationsbedingte Marktmängel könnten demnach ausgeglichen werden und es sei laut Stiglitz grundlegend für den Erfolg von beispielsweise Privatisierungen, ein dafür geeignetes soziales, politisches, rechtliches und wirtschaftliches Umfeld zu schaffen (Fine 2001: 10). So betonte er etwa die verstärkte Bedeutung von Wettbewerbspolitik, für die seiner Meinung nach der Staat Sorge zu tragen hat (Bayliss / Cramer 2001: 55, 57).

Der Begriff ‚Privatisierung’ fand bis Anfang der neunziger Jahre keinen Eingang in das Vokabular der Weltbankpublikationen. In einem Report aus dem Jahr 1983 lag die Betonung noch auf der Reform staatseigener Betriebe (state-owened enterprise reform) (SOE) , auf Marktpreisfestsetzungen und der Streichung staatlicher Zuschüsse. Das Verhältnis zum privaten Sektor war ambivalent. Die eigentliche Überführung in Privateigentum stand noch nicht im Vordergrund (Bayliss / Cramer 2001: 53).

Erst als die Reformen des öffentlichen Sektors offenbar nicht die gewünschten nachhaltige Wirkung zeigten, entschied man sich für Privatisierungen, von denen man sich eine stärkere Unabänderlichkeit von Reformen erhoffte. Man übertrug recht schnell offensichtliche Erfolge, die bei der Privatisierung staatlicher Monopole in Staaten mit mittlerer Armutsstärke festgestellt worden waren (vgl. Galal et al. 1995), ohne deren Anpassungsfähigkeit auf ärmste Länder zu klären. In Tabelle I sind diverse Programme ersichtlich, die seit Beginn der achtziger Jahre zur Förderung der Private Sector Participation unter Federführung der Weltbankgruppe aufgelegt worden sind.

Im Rahmen der EU wurden ebenfalls multilaterale Vereinbarungen zur Förderung der Privatwirtschaft in Entwicklungsländern getroffen. Diese Abkommen garantieren einen sicheren Rechtsrahmen und enthalten Investitionsgarantien für Unternehmen. Dabei wird unterschieden zwischen Zusammenarbeit im Rahmen des AKP-Vertrages und der Kooperation im Programm European Community Investment Partners (ECIP), das für die meisten übrigen Entwicklungsländer (ASEAN, MERCOSUR, ANDENGEMEINSCHAFT) gilt (Menck 2000: 85).

3.1.1 Die Entwicklung von GATT, WTO, GATS und AKP-Vertrag

Das 1947 gegründete GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) wurde 1995 in die Welthandelorganisation WTO überführt und hatte im Jahr 2004 148 Mitglieder. Ursprüngliche Zielsetzung war es durch eine Liberalisierung des Welthandels den Lebensstandard in den Mitgliedsländern zu heben, Vollbeschäftigung und ein anhaltendes Wachstum der Realeinkommen zu erreichen sowie den Handel zu mehren. Hauptinstrumente sind die Meistbegünstigungsklausel, die vorsieht, dass ein Staat Handelserleichterungen nicht bilateral vergeben darf, sondern in seinem Außenhandel allen Vertragsstaaten gleiche Chancen gewähren muss, was umgekehrt dazu führt, dass bilaterale Abkommen zwischen Mitgliedsstaaten automatisch auch gegenüber den übrigen Mitgliedern gelten (Reziprozitätsprinzip). Zudem sind aus WTO-Ländern stammende Waren wie inländische Güter zu behandeln (Inländerbehandlung). Dies gilt allerdings nicht für die Sonderkonditionen, die innerhalb von Zollunionen und Freihandelszonen gelten. Außerdem soll eine Reduktion von Handelsbeschränkungen auf dem Weg multilateraler Verhandlungen die Liberalisierung forcieren, was ein Verbot von Ein- und Ausfuhrkontingenten nach sich zieht und stete Zollsenkungen auch für EL bedeutet. Es gibt allerdings eine Reihe allgemein formulierter Ausnahmeklauseln und Sonderregelungen, die insbesondere im Fall von Problemen greifen sollen, die durch Handelsliberalisierungen erst herbeigeführten worden sind, wie etwa zur notwendigen Beseitigung von Zahlungsbilanzstörungen oder zur Stützung von Landwirtschaft oder Fischerei. Hinzu kamen mit der Gründung der WTO der Schutz geistiger Eigentumsrechte (TRIP), der eine internationale Ahndung von ‚Patentklau’ ermöglicht. Bei handelsrelevanten Investitionsmaßnahmen (TRIM) dürfen seit 1999 keine Anteile inländischer Arbeit oder Materials (local content) mehr vorgeschrieben sein und keine Vorschriften über Export- oder Importquoten existieren. Außerdem soll der Handel mit Dienstleistungen (GATS) liberalisiert werden (Nohlen 1998: 300ff; Woyke 2000: 546ff).

Aufgrund der stark zunehmenden Bedeutung von Dienstleistungen, für die die herkömmliche Zollschranken ungeeignet sind, da hier ja keine greifbare Ware eine Landesgrenze passiert, wurde mit dem GATS eine scheinbar überfällige Institution geschaffen. Mit dem General Agreement on Trade in Services werden Finanzdienstleistungen, der Bausektor, EDV-Dienstleistungen, der Tourismus und Infrastrukturbereiche wie Verkehr und Telekommunikation umfasst. Auch Basisdienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung fallen immer dann unter die Hoheit des GATS, wenn es sich um privatwirtschaftlich (mit-)getragene Leistungen handelt (Deckwirth 2004: 29; Barlow / Clarke 2004: 207; 210).

Bei den AKP-EU-Abkommen (Lomé-Verträge I-V von 1975-2000) handelt es sich um Vereinbarungen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und den 71 AKP-Staaten (Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifischen Raums), die „die Strukturanpassung durch Liberalisierung und Stärkung des Wettbewerbs“ erleichtern sollen (Menck 2000: 85). Der Vertrag stellt eine Verbindung zwischen entwicklungspolitischen und außenwirtschaftlichen Zielsetzungen dar. Enthalten ist auch der Schutz von Eigentumsrechten ausländischer Investoren. Die Kooperationen sollen durch Förderung der Berufsausbildung in den AKP-Staaten, durch Verbesserungen der institutionellen Rahmen für die Industrie und mit Hilfe technischer Entwicklungszusammenarbeit zustande kommen. Bei den Ländern, die in die Zuständigkeit des ECIP fallen, ist vor allem der Infrastrukturbereich zu fördern. Unternehmen dieses Sektors sollen bei der Privatisierung durch betriebliche Zusammenarbeit unterstützt werden. Eine besondere Betonung liegt auf der Eigenverantwortung der Entwicklungsländer für die nötigen internen wirtschaftspolitischen Veränderungen (Menck 2000: 86ff; Woyke 2000: 115)

In den beiden vorgestellten Wirtschafts- und Handelsabkommen werden ausdrücklich Regelungen erwähnt, die den Entwicklungsländern Handelsvorteile einräumen. Im Rahmen von GATT und WTO gilt das Allgemeine Präferenzsystem (Generalized System of Preferences), das den EL einseitige Handelsvorteile, wie den zollfreien Zutritt für Fertigwaren innerhalb bestimmter Zollkontingente (Franzmeyer 1995: 255) zugesteht und Schutzmaßnahmen zum Aufbau der Wirtschaft einräumt. Das Lomé-Abkommen gewährt für alle gewerblichen Produkte und eine Reihe von Agrarprodukten vollständige Zollfreiheit bei der Einfuhr in die EU. Diese großzügigen Zollbehandlungen fallen insofern leicht, als dass die Staaten hinsichtlich ihrer Angebotsstruktur keine wirkliche Gefährdung für Unternehmen in den Industrieländern darstellen (Franzmeyer 1995: 262).

3.2 Erhoffte positive Effekte von Privatisierungsmaßnahmen

Im Folgenden wird aufgezeigt, mit welchen Motiven die Regierungen der Entwicklungsländer und die Geberorganisationen Weltbank und UN das Streben nach Privatisierung offiziell zu begründen suchen, wobei sich anhand der Argumentation zwischen beiden Organisationen eine leichte Unterscheidung im Schwerpunkt ablesen lässt. Danach werden die den Motiven multinationaler Unternehmen aufgezeigt, die sich an Privatisierungsmaßnahmen beteiligen.

3.2.1 Erwartungen internationaler Finanz- und Entwicklungsinstitutionen und der Regierungen der Entwicklungsländer

Auf Seiten der Weltbankgruppe steht einerseits die Weltbank selbst für die Vergabe von Krediten an Staaten zur Verfügung, an die sie Bedingungen wie etwa die Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung knüpfen kann. Zweitens vergibt die Weltbank über die IFC auch Kapital an die privaten Wasserunternehmen selbst. Hierbei kann die Institution den Konzern, wie im Falle der Privatisierung in Buenos Aires (vgl. Kapitel 6.1), zu bestimmten Auflagen verpflichten, wie SUEZ / Maynilad zur Investition von einer Milliarde US-Dollar im ersten Jahr (Barlow / Clarke 2004: 202). Wie in 3.5 näher erläutert wird, waren Kreditvergaben an Staaten insbesondere in den achtziger und neunziger Jahren zum einem großen Teil an die Vorgabe geknüpft, Reformen im Sinne der Strukturanpassungsprogramme (SAP) durchzuführen.

Häufig wird von den Staaten selbst die schlechte Haushaltslage von Staaten als der bedeutendste Beweggrund für die Durchführung von Privatisierungen angegeben. Diese kann als Resultat der starken Auslandsverschuldung vieler Entwicklungsländer gesehen werden, die seit Beginn der achtziger Jahre immer akuter wurde. Dies ist unter anderem als Konsequenz der Armutsbekämpfungsstrategie unter Weltbankchef Mc Namara und der damit einhergehenden „massiven Ausweitung des Kreditvolumens der Weltbank“ anzusehen (Ziai, Aram 2004: 1093). Die Schuldenkrise war eine der eigentlichen Hauptanlässe zur Einführung der SAP, die „zunächst als kurzfristige Maßnahmen, zur wirtschaftlichen Konsolidierung und zur Wiederherstellung von Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit“ dienen sollten (Ziai, Aram 2004: 1093).

Mit der Mobilisierung privaten Kapitals zur Investition in öffentliche Aufgaben, erhofft man sich eine Entlastung der finanziellen Situation und sogar einen positiven gesamtwirtschaftlichen Effekt. So äußert sich zum Beispiel die malaysische Regierung dementsprechend im Bezug auf Privatisierungen:

„Privatisation is expected to promote competition, improve efficiency and increase the productivity of the services (…) In addition, Privatisation, by stimulating private entrepreneurship and investment, is expected to accelerate the rate of growth of the economy“ (Bayliss / Cramer 2001: 73).

Von einer Partnerschaft mit der Wirtschaft erhofft man sich, von den ihr zugeschriebenen Kompetenzen profitieren zu können: effizientes Handeln, eine bessere Kapitalausstattung, höhere Innovationsbereitschaft, Flexibilität, und Selbstständigkeit. Insbesondere bei stark den verschuldeten Regierungen erwecken Privatisierungen Hoffnung auf ein besseres, weil von außen kommendes Management und die positiven Mechanismen des freien Marktes. (Stadler / Hoering 2004: 122).

3.2.2 Die Erwartungen der privaten Wirtschaft

Über die Motive der Privatwirtschaft sich in einer Privatisierung zu engagieren, lassen sich in diesem Abschnitt der Arbeit nur reduzierte Aussagen anstellen. Im Vordergrund muss als Hauptmotiv natürlich die betriebswirtschaftliche Gewinnorientierung angenommen werden. Global agierende Unternehmen könnten zudem mit einem nicht unbedeutenden Imagegewinn rechnen, wenn sie sich unter der Führung der Vereinten Nationen oder anderer internationaler Geber wie der Weltbank an entwicklungspolitischen Vorhaben beteiligen. Sie wollen so dem Bild von Corporate Social Responsibility entsprechen, und damit der öffentlich und weltweit geäußerten Kritik an ihnen entgegnen (Hamm 2002: 26). Dabei ist anzunehmen, dass die Unternehmen auf diesem Weg auch mittels politischer Einflussnahme ihre Positionen zu festigen und weiter auszubauen versuchen, dies insbesondere über den Weg der Lobbyorganisationen, die im internationalen Wassersektor zahlreich sind. Ziel der Untersuchung in Kapitel 4.4 wird es sein, theoretisch nachzuweisen, dass ein Engagement, von vor allem global agierenden Konzernen für entwicklungspolitisch motivierte Privatisierungsmaßnahmen, nicht nur mit Profitstreben erklärt werden kann.

3.3 Privatisierung im Wassersektor

Nach dieser grundlegenden Einführung in das Thema der Privatisierung, soll im Folgenden spezifischer auf den Wassersektor eingegangen werden. Im Sektor der Wasserversorgung und Wasserentsorgung kann eine Privatisierung oder eine Form der Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Betreibern besonders starke Auswirkungen haben. Der Widerspruch, der der Kommerzialisierung des Allgemeingutes Wassers zugrunde liegt, wurde durch den Vorstandschef von Suez, Gérard Mestrallet, selbst formuliert:

„Water is an efficient product. It is a product which normally would be free, and our job is to sell it. But it is a product which is absolutely necessary for life.” (www.polarisinstitute.org→corporations→suez→quotations).

Privatisierungen im Wassersektor sind heftig umstritten. Von den Befürwortern werden sie damit gerechtfertigt, dass nur so die Versorgung ärmerer Gebiete und Bevölkerungsgruppen mit sicherem Trinkwasser verbessert werden könne. Kritiker befürchten dagegen, dass die Versorgung mit einem lebenswichtigen Gut dadurch Profitinteressen untergeordnet wird (Hoering 2001: 3; zu einer Diskussion der Kritikpunkte siehe 3.4). Das in den Wirtschaftswissenschaften formulierte Allmende-Problem liefert häufig eine Argumentationsgrundlage für die Befürworter von Wasserprivatisierungen. Demnach werden Ressourcen, die sich in Gemeinschaftseigentum befinden, intensiver genutzt, als wenn sie sich in Privateigentum befänden, was natürlich eine Verschwendung dieser Ressource implizieren kann. Für die Nutzer besteht kein Anreiz sich für die Erhaltung des Allgemeingutes zu engagieren. Angewandt auf Unternehmen bedeutet dies in einer ökonomischen Sichtweise, die auch die Bedeutung von Regulierung betont: „dass Entscheidungsträger in öffentlichen Unternehmen im Vergleich zu öffentlich regulierten und privatwirtschaftlichen Unternehmen geringere Anreize haben, die Ressourcen, über die sie verfügen, möglichst effizient einzusetzen“ (Ebers / Gotsch 1999: 204f).

3.3.1 Betreibermodelle

Es sollen zunächst die gebräuchlichsten Betreibermodelle vorgestellt werden und beschreiben werden, wie diese auch im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit auf globaler Ebene implementiert werden.

Die Variante der Private Sector Participation, die am wenigsten in den öffentlichen Sektor eingreift, besteht in einem Beratervertrag (consultant contract). Dabei übernimmt das von einem privaten Beratungs- und Wasserversorgungsunternehmen entsandte Personal beratende Funktionen. Die Laufzeit solcher Verträge liegt normalerweise zwischen drei und sechs Jahren. Bei einem Managementvertrag (management contract) erhält ein Konsortium aus privatem Beratungsunternehmen und privatem Wasserversorgungsunternehmen das Recht, das Wasserunternehmen selbständig zu betreiben. In der Regel übernimmt das Konsortium dabei auch führende Managementpositionen ein. Der private Betreiber erhält eine vorher festgelegte Summe für den Betrieb des Wasserunternehmens. Im Fall einer Pacht (leasing) pachtet ein privates Unternehmen die Wasserver- oder Entsorgung und zahlt dafür einen gewissen Betrag. Es ist für Betriebsführung und Instandhaltung verantwortlich, das Geschäftsrisiko wird aber von Staat und Privatunternehmen gemeinsam getragen. Damit das Unternehmen Gewinn erwirtschaften kann, muss es eine vollständige Kostendeckung erzielen. Bei einem BOT-Vertrag (build operate transfer contract) baut der Betreiber die Anlage und verkauft dann die Produkte und Dienstleistungen dieser Anlage an öffentliche oder private Wasserver- und Entsorger. Dafür wird dem Betreiber ein vorher vereinbarter Preis pro erbrachter Leistung bezahlt. Nach einer Vertragslaufzeit von normalerweise fünfzehn bis dreißig Jahren, in der das Unternehmen seine Investitionen zu amortisieren versucht, geht die Anlage an öffentliche Eigentümer über oder wird in eines der anderen Privatisierungsmodelle umgewandelt. Bei einem Konzessionsvertrag (concession contract) trägt der Betreiber die volle Verantwortung, sowohl für Betrieb und Wartung, als auch für die Kapitalinvestitionen. Der Konzessionär finanziert sich durch die Preise, die die Kunden für die erbrachten Leistungen bezahlen. Im Konzessionsvertrag werden bestimmte Service- und Qualitätsstandards festgelegt. Die Güter bleiben im Besitz der öffentlichen Hand und werden nach Ablauf der Konzession nach normalerweise 15 bis 30 Jahren dieser wieder übereignet. Die Konzession ist die von der Weltbank favorisierte und weltweit am meisten angewandte Privatisierungsform. Auch hier es für die Wasserunternehmen notwendig, kostendeckende Tarife zu erheben, um ihre Kosten zu amortisieren. Die Variante der Privat Sector Participation, die den größten Eingriff in öffentliches Eigentum bedeutet, ist letztlich der Verkauf (sales). Dabei werden die Anteile entweder komplett an ein Konsortium verkauft oder über einen Börsengang an verschiedene Investoren veräußert. (Kühl 2004b: 5f; Stadler / Hoering 2003: 59ff.; Hoering 2001: 17).

Die Anfänge des globalen Privatisierungstrends im Wassersektor fallen zeitlich mit den zu Beginn der neunziger Jahre von der Weltbank initiierten Privatisierungsstrategien zusammen. Wie demnach bereits im Politikpapier Water Resource Management der Weltbank im Jahr 1993 formuliert wurde, waren die Grundprinzipien der Weltbankgruppe in Bezug auf Wasser folgende: Kommerzialisierung, Dezentralisierung, Wasser als Wirtschaftsgut und Kostendeckung durch den Verbraucher, der Rückzug des Staates aus Dienstleistungen und die Öffnung des Sektors für privates Kapital (Hoering 2004: 4; World Bank 1993). Insbesondere höhere Effizienz und einen allgemein besseren Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie eine verbesserte Abwasserversorgung erhoffte man sich von den privaten Betreibern (Stadler / Hoering 2003: 136).

3.3.2 Lobbyisten und Konzerne der Wasser- und Abwasserindustrie

Im Gefolge der Sektorreformen übernahmen die europäischen Global Player des Wassersektors Suez / Ondeo, Vivendi / Veolia oder RWE / Thames Water (vgl. Tabelle II und III) in vielen Städten die Wasserversorgung von den öffentlichen Unternehmen und Versorgern mit dem Versprechen, dringend notwendige Investitionen zu tätigen und Effizienz und Management zu verbessern. Von den 30 Wasserkonzessionen, die seit Mitte der neunziger Jahre von großen Städten vergeben wurden, gingen 20 an den Konzern Suez (Barlow / Clarke 2004: 141).

Über Einrichtungen wie den Weltwasserrat (World Water Council, WWC), die Global Water Partnership (GWP) oder das World Panel on Financing Water Infrastructure wurde der Gedanke, dass im Wassersektor vermehrt auf öffentlich - private Partnerschaften zu setzen sei, bis in die internationalen Entwicklungsinstitutionen hineingetragen (Laimé 2005: 14; Deckwirth 2004: 27). Als Folge der Empfehlungen des Camdessus - Berichtes5, wurden mittlerweile Instrumente geschaffen, die den Schutz der privaten Investitionen garantieren. Dem Bericht kann daher die Funktion eines Agenda – Setters zugesprochen werden (Deckwirth 2004: 28; Rekacewicz 20005: 19).

Aus Abbildung 1 ergibt sich eine Zusammenfassung der Prinzipien, die den theoretischen Rahmen für die Privatisierungen der letzten Jahre abgesteckt haben.

Abbildung 1: Kernprinzipien neoliberaler Wasserpolitik

a) Water resources should be allocated through the market; that is private water rights should be created replacing any existing forms of collective or public rights and they should be freely tradable;
b) Water services have to be considered an economic good, in the sense of being a private good that has to be bought in the market; by definition, once WSS are considered to be private goods, non payers can be excluded from accessing them; the notion that WSS are a public or social good must be abandoned:
c) Water services should be provided by private operators, which are inherently more efficient than public ones; if possible, water services should be self regulated by market mechanisms and state intervention should be minimized if not altogether cancelled;
d) Water services are not are natural monopoly, as claimed by the defenders of state intervention; most operations can actually be opened to competition, perhaps with the exception of some core activities; however, high transaction costs can make competition difficult; in these cases, a privately-owned water monopoly is preferable to a public one; even then, keep regulation to a minimum or cancel it altogether if possible;
e) Water users should be transformed into customers, and right holders into customers.

Quelle: Castro 2004: 87

Wasserlobbyisten wie der Weltwasserrat strebten es zudem in den Augen von Kritikern an, den Zugang zu Wasser offiziell zum einem Bedürfnis erklären zu wollen, um so der Privatwirtschaft das Recht auf die Verantwortung für die Versorgung mit diesem notwendigen Gut auf kommerzieller Basis übertragen zu können (Barlow / Clarke 2004: 109f).

3.4 Probleme von Privatisierungen im Wassersektor

Im Folgenden soll auf die Argumentationen diverser Kritiker des Privatisierungsparadigmas eingegangen werden. Privatisierungsmaßnahmen wurden seit den achtziger Jahren im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen[2] für Schuldnerstaaten zur Bedingung für Kreditfortzahlungen gemacht (SAPRIN-Report 2002: 91; Killick 1985: 25). Eine These zum policy-based-lending lautet, dass „ein Staat umso wahrscheinlicher privatisieren wird, je höher seine Abhängigkeit von den Darlehen der Weltbank ist“ (Bayliss / Cramer 2001: 69). Dies führe unter anderem dazu, dass nicht die am meisten geeigneten Reformen ausgewählt würden, sondern in erster Linie eine hohe Anzahl und Geschwindigkeit von durchgeführten Privatisierungsmaßnahmen zählt (Bayliss / Cramer 2001: 69). Rund 70 Prozent aller Strukturanpassungsprogramme der achtziger Jahre enthielten eine Privatisierungskomponente und dies galt besonders für die Sub-Sahara-Regionen. (Bayliss / Cramer 2001: 52; World Bank 1994).

Dass der Druck seitens der Geberinstitutionen gewaltig sein kann, begründet sich schon in der Tatsache des so genannten ‚Mittelabflusszwangs’ (Fine 2001: 11; Hanke 1996: 336, 342), dem die Weltbankgruppe in hohem Maße unterliegt. Der Verleihdruck, dem die Weltbank ausgesetzt ist, hat seine Begründung in der Tatsache der negativen Nettotransfers (Hanke 1996: 341), denn schon in den fünfziger Jahren zeigte sich, dass einige Länder mehr an die Weltbank zurückzahlten, als diese ihnen an neuen Krediten gewährte. Eine Tatsache, die die Organisation wiederum dazu zwingt, immer mehr Geld zu verleihen um eben diesem ‚Geldsegen’ zu entgegnen. Die Weltbankgruppe muss daher möglichst viele Wege finden, um Geld in Entwicklungsländer zu transferieren. Da allerdings auch diese Kredite eines Tages zurückgezahlt werden, zeigt sich, dass durch diese Taktik das Problem der Bedrohung der Existenz als Bank an sich, lediglich in die Zukunft verschoben wird (Hanke 1996: 342).

Ein Problem der von der Weltbank geförderten Privatisierungsmaßnahmen stellt die Tatsache dar, dass die Umwandlung staatlicher Unternehmen oft, besonders im Falle hochwertigerer und größerer Unternehmen, zugunsten ausländischer, meist multinationaler, multi-utility- Firmen stattfindet, wie dies gerade im Wasser- und Abwassersektor deutlich wird. Dagegen sind Privatisierungen, die gänzlich durch inländische Firmen durchgeführt werden, selten. Dies hat laut Bayliss und Cramer (2001) einen direkten Effekt auf die Verteilungsgerechtigkeit und kann heimische und internationale Ungleichheiten noch verstärken (Bayliss / Cramer 2001: 71).

Auch ein Rückgang der Beschäftigtenzahlen ist meist eine direkte Auswirkung. Die Weltbankliteratur beschäftigt sich nicht weiter mit Fragen des Effekts von Privatisierungen auf die Arbeitsbedingungen, wie etwa auf die Anzahl geringfügig Beschäftigter, auf die Rolle von Gewerkschaften oder auf die Höhe der Löhne. Afrikanische Staaten wurden lediglich aufgefordert, höhere Abfindungen an die Arbeiter zu zahlen, die in Folge von Privatisierung freigesetzt worden waren (Bayliss / Cramer 2001: 71).

Ein weiterer zentraler Effekt ist der auf die Preishöhe, die Produktqualität und die Produktionsmenge des privatisierten Gutes. In manchen Fällen wurden die Preise bereits vor der Privatisierung erhöht um potentielle Investoren anzulocken. Aufgrund der extremen Importabhängigkeit der Entwicklungsländer setzt eine schlecht oder nicht vorbereitete Liberalisierung alle – und vor allem einheimische – Unternehmen einem Wettbewerb mit Importen aus. Der post-Washington consensus betont deshalb die Bedeutung staatlicher Regulierung (Bayliss / Cramer 2001: 63; 72).

Das zuständige Personal der Weltbank ist meist nur mit Privatisierungen in Industrieländern vertraut. Mit weitergehenden ökonomischen, sozialen und politischen Auswirkungen und Fragestellungen in den am wenigsten entwickelten Ländern beschäftigen sich die Programme nicht (Bayliss / Cramer 2001: 72). Neben den erwähnten Effekten von Privatisierungen kommt hinzu, dass Nachhaltigkeit keine Auswirkung sein kann oder soll. In den meisten Fällen kommt es häufig zu einer Steigerung des Wasserverbrauchs (Barlow / Clarke 2004: 163) und selten zu einer Verringerung von Wasserverlusten, was einer Ressourcenschonung nicht dienen kann.

Die theoretische Argumentationsbasis des Washington-consensus verbirgt zudem, dass der Erfolg von Privatisierung nicht nur von der Wirtschaftspolitik eines Staates abhängig ist, sondern auch von den wirtschaftlichen, finanziellen, politischen und historischen Kontexten des jeweiligen Projektes beeinflusst wird (Bayliss / Cramer 2001: 57f; 66; 70). Es findet meist eine nicht fallspezifische, unvorbereitete und zu schablonenhafte Projektierung statt (Bayliss / Cramer 2001: 52; Hirschman 1967: 17). Auch Stiglitz (vgl. dazu Stiglitz 2002: 209f) bemerkte die unausgereifte Vorgehensweise von Privatisierungsmaßnahmen im Zuge des Washington consensus.

„In Stiglitz’s view, most people at the time would have preferred to have proper regulatory systems and competition in place before privatisation“ (Bayliss / Cramer 2001: 54).

Die Verschuldung vieler Entwicklungsländer bedingt, dass diese wenig geneigt sind bei der Weltbank neue Kredite aufzunehmen, es sei denn vielleicht zur Tilgung dieser Schulden. Die Weltbank – unter dem bekannten Verleihdruck stehend – muss sich daher nach einer neuen Gruppe von Kreditnehmern umsehen und stößt bei ihrer Suche auf investitions- und expansionswillige, unverschuldete Konzerne, die sich, oft als Teil einer Strategie der globalen Imagepflege, von den Offerten der Weltbank und der Regierungen angezogen fühlen. Macht die Weltbank Privatisierungen zur Bedingung für die Vergabe neuer Kredite, wirkt dies dann attraktiv für die Regierungen, wenn sich, wie im Falle Manilas, die Konzessionäre zum Abtragen der Altschulen verpflichten und die Regierungen dann darauf hoffen können, mit neuem Geld aus Washington Anderes finanzieren zu könne und ein Problem weniger zu haben – die Sorge um die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser.

[...]


[1] Der Begriff ‚Privatisierung’ wird im Folgenden zur Vereinfachung verwendet, um einen ‚Zustand’ aus einer ganzen Palette von möglichen Beteiligungsmodellen von privater Wirtschaft am öffentlichen Sektor zu beschreiben. Einen Überblick über Betreibermodelle bietet 3.1.1.

[2] Das Public Services International Research Unit ­– PSIRU (www.psiru.org), ist angesiedelt in der Business School, University of Greenwich, UK. Hauptträger der Forschungen ist Public Services International – PSI, der internationale Gewerkschaftsverbund der öffentlichen Dienste (www.world-psi.org).

[3] Die unterschiedlichen Initiativen sind in einem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 28.August 2001 mit dem Titel: „Cooperation between the UN and all relevant partners, in particular the private sector” dokumentiert (UN, General Assembly, A/56/323).

[4] Standing (2000) fasst die Hauptelemente folgendermaßen zusammen: „(…) the Washington consensus consisting of eleven main elements (…): trade liberalisation, financial liberalisation, privatisation, deregulation, foreign capital liberalisation (elimination of barriers to the FDI), secure property rights, unified and competitive exchange rates, diminished public spending (fiscal discipline), public expenditure switching (to health , schooling and infrastructure), tax reform (broadening the tax base, cutting marginal tax rates, less progressive tax), selective state transfers for the needy and a twelfth element is labour market flexibility (decentralised labour relations, coupled with cutbacks in protective and pro-collective regulations)“.

[5] Benannt nach Michel Camdessus, Vorsitzender des World Panel on Financing Water Infrastructure und ehemaliger Chef des IWF. Der Bericht aus dem Jahr 2003 enthält unter anderem auch „die Empfehlung, öffentliche Gelder und Entwicklungshilfe für die Finanzierung und Unterstützung privater Investitionen im Wassersektor zu benutzen“ (Deckwirth 2004: 28).

[2] „Im weitesten Sinne des Wortes bedeutet ‚Strukturanpassung’ die Angleichung bestehender wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Systeme an sich ändernde Rahmenbedingungen, wobei der Zusatz ‚Struktur’ auf tief greifende, substanzverändernde Maßnahmen hinweist. Im engeren Sinne, (…), ist damit die erwünschte Politik eines Schuldnerstaates gemeint, seine volkswirtschaftlichen Ausgaben auf ein langfristig finanzierbares Niveau zu Vermeidung künftiger Haushalts- und Zahlungsbilanzdefizite abzusenken, (…) die Abwehr von Schocks und die Rückgewinnung von Kreditwürdigkeit“ (Tetzlaff 1996: 123f).

Fin de l'extrait de 90 pages

Résumé des informations

Titre
Privatisierungsmaßnahmen im Wassersektor der Entwicklungszusammenarbeit aus neo-institutionalistischer Perspektive
Université
LMU Munich  (Institut für Soziologie)
Note
2,0
Auteur
Année
2005
Pages
90
N° de catalogue
V55297
ISBN (ebook)
9783638502924
ISBN (Livre)
9783638726832
Taille d'un fichier
1002 KB
Langue
allemand
Mots clés
Wassersektor, Entwicklungszusammenarbeit, Neoinstitutionalismus, Weltbank, Organisationssoziologie, Privatisierung, Privatisierungsmaßnahmen, Wasser, Argentinien, Philippinen, öffentliche Güter
Citation du texte
Diplom-Soziologin Karla Nitschke (Auteur), 2005, Privatisierungsmaßnahmen im Wassersektor der Entwicklungszusammenarbeit aus neo-institutionalistischer Perspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55297

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