Brain Drain. Begriff, theoretische Grundlagen, Maßnahmen und empirische Evidenz


Mémoire (de fin d'études), 2005

95 Pages, Note: 2,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Einführung
1.2 Methodik und Vorgehensweise

2. Begriffsabgrenzung
2.1 Humankapital
2.2 Migration
2.2.1 Migrationsformen
2.2.2 Migrationsrichtung
2.3 Brain Exchange
2.3.1 Brain Drain
2.3.2 Brain Gain/Return
2.3.3 Brain Circulation
2.4 Diaspora

3. Theoretische Grundlagen des BD
3.1 Geschlossene Modelle zu den Ursachen und Auswirkungen des BD
3.1.1 Neoklassische Modelle vs. Neue Wachstumstheorien
3.1.2 Handelstheorie vs. Migrationstheorie
3.1.3 Endogenes Wachstumsmodell von Haque/Kim (1995)
3.2 Einzelaspekte der Migration von hochqualifizierten Arbeitskräften
3.2.1 Allgemeine Determinanten
3.2.2 Push-Faktoren
3.2.3 Pull-Faktoren
3.2.4 Kritische Betrachtung und kurze Zusammenfassung
3.3 Auswirkungen des BD
3.3.1 Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung in den LDC
3.3.1.1 Positive Feedback-Effekte
3.3.1.2 Negative Feedback-Effekte
3.3.1.3 Interdependenz zwischen Migration und Entwicklung
3.3.2 Auswirkungen auf die HDC

4. Allgemeine politische Maßnahmen
4.1 BD-Ansätze
4.1.1 Kompensatorische Politik
4.1.2 Regulierung durch internationale Normen
4.1.3 Restriktive Politik
4.2 Brain Gain-Strategien
4.2.1 Rückkehroption
4.2.2 Förderung der Diaspora
4.3 Rolle und Maßnahmen der HDC
4.4 Rolle und Maßnahmen der LDC
4.5 Rolle von internationalen Organisationen

5. Empirische Evidenz
5.1 Allgemeines Ausmaß des BD
5.2 BD in den Ländern Lateinamerikas und der Karibik (LAC)
5.2.1 Allgemeine Situation
5.2.2 Determinanten des BD
5.2.3 Ausmaß und Auswirkungen des BD
5.2.4 Politische Maßnahmen
5.3 BD in den Ländern Zentral- und Osteuropas (CEE)

6. Schlussbetrachtung

Anhang

Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: ’Normale' Migration

Abb. 2a, 2b: Abwärtsbewegung der Reaktionskurve im Fall einer normalen Gleichgewichtsdynamik sowie einer kritischen Masse

Abb. 3a, 3b: Kritische Massendynamik und ausgleichende Dynamik

Abb. 4: Partielle Migration

Abb. 5: Das dynamische Ausmaß des BD

Abb. 6: Steuerertrag und Wohlfahrtsverlust

Abb. 7: Migration von und innerhalb LAC

Abb. 8: kumulativer Verlust der tertiär und sekundär ausgebildeten Bevölkerung nach Herkunftsregion

Abb. 9: Anteil der selektiv ausgewählten Hochqualifizierten nach Herkunftsregionen

Abb. 10: Migration von CEE nach Westeuropa seit 1989

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Emigration (absolut und relativ) von Hochqualifizierten aus ausgewählten Ländern

Tab. 2: Auswirkungen des BD für Herkunftsländer

Tab. 3: Definitionen der ’Six R’s’

Tab. 4: Diasporen in LAC und CEE

Tab. 5: prozentuale als auch absolute Veränderung des Bestandes an Hochqualifizierten in LAC und den USA im Zeitraum 1980 bis 1990

Tab. 6: absolute und relative Zahlen hochqualifizierter Immigranten aus LAC in die USA und in OECD-Staaten, 1990

Tab. 7: Emigrationsraten in LAC und CEE - klassifiziert nach schulischer Bildung und Geburtsland (1990-2000)

Tab. 8: Offiziell erhaltene RÜ in 8 LAC-Ländern und gesamte Region LAC, 1981-2000 (in realen Mio. US-Dollar)

Tab. 9: Vergleich BD in LAC und in CEE

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1 Einführung

“The flow of highly trained persons from poor countries to rich countries has aroused more interest and concern than has any other aspect of international migration with respect to the sending countries” (Simon 1999, S. 295).

Seit den sechziger Jahren existieren Untersuchungen und Studien zum Brain Drain (BD), der als Süd-Nord-Phänomen bezeichnet wird, was darauf hinweist, dass die meisten Emigrationsströme von Entwicklungsländern (LDC) in Industrieländer (HDC) erfolgen. Allerdings existieren auch zahlreiche Abwanderungen von Hochqualifizierten aus HDC in LDC[1]. Weiterhin kommt es innerhalb eines Landes zu Wissensabflüssen, bei denen hochqualifiziertes Personal vom Land in die Stadt bzw. von weniger entwickelten in wirtschaftlich blühende Regionen zieht (Williams 2000, S. 5ff.).[2] Allerdings ist die internationale Migration von heute viel komplexer und weitreichender als noch vor einigen Jahrzehnten, als die Globalisierung noch keine bedeutende Rolle in unserer Gesellschaft eingenommen hatte. Durch die fortschreitende Internationalisierung haben sich u.a. die wirtschaftlichen Zusammenhänge sowie Funktionsweisen verändert und verlagert. So sind Ländergrenzen bei wirtschaftlichen Entscheidungen kaum noch relevant, da diese meist von transnationalen Kooperationen abhängen. In diesem Zusammenhang ist die internationale Migration ein sehr wichtiger Faktor, dem zu wenig Beachtung geschenkt wird. Jedoch trägt gerade die Mobilität von hochqualifiziertem Humankapital entscheidend zum Internationalisierungsprozess bei. Gerade im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien ist die Mobilität von Wissensträgern gefragt. Der BD in LDC ist ein sehr präsentes Thema. Trotz der Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen konnte das Ausmaß bis dato nicht eingedämmt werden konnte. Beispiele wie Indien beweisen allerdings, dass dieses Phänomen bewältigt werden kann und das Herkunftsland sogar von der Migration seiner hochqualifizierten Arbeitskräfte profitiert. Das lässt vermuten, dass bei einer konsequenten und gut implementierten Politik auch andere Länder den BD zu ihrem Gunsten nutzen können.

1.2 Methodik und Vorgehensweise

Der allgemein gewählte Titel ’Brain Drain’ lässt schwer auf den Kern der vorliegenden Arbeit schließen. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Betrachtungen des Süd-Nord-Phänomens in den Herkunftsländern bzw. LDC, da zu den HDC bereits zahlreiche Studien existieren. Im Laufe der Arbeit stellt sich heraus, dass die Bedeutsamkeit des BD-Phänomens bzw. Problems in den LDC verankert ist. Ziel der vorliegenden Arbeit ist das Aufzeigen der BD-Problematik allgemein und mit einem speziellen Fokus auf die Region Lateinamerika und die Karibik (LAC). Ein kurzer Vergleich mit den Ländern Zentral- und Osteuropas (CEE) verdeutlicht die globale Bedeutung des BD. Im Zusammenhang damit sollen Einflussfaktoren sowie allgemeine und regionalspezifische Maßnahmen abgeleitet werden, welche für die betroffenen Länder einen positiven Nutzen bringen.

In Kapitel 2 erfolgt mit der Begriffsabgrenzung eine knappe Einführung in das Thema. Zunächst werden die mit dem BD zusammenhängenden Begriffe Humankapital (Kapitel 2.1), Migration und deren Erscheinungsformen (Kapitel 2.2), Brain Exchange (Kapitel 2.3) und Diaspora (Kapitel 2.4) näher erläutert. Daran anschließend wird das BD-Problem anhand von theoretischen Modellen erklärt (Kapitel 3.1), um dann konkrete Einzelaspekte, die zur Migration von Hochqualifizierten führen, zu beleuchten (Kapitel 3.2). Kapitel 3 endet mit der Analyse der Auswirkungen in LDC und HDC, wobei ein Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung in den LDC hergestellt wird (Kapitel 3.3). In Kapitel 4 werden daraufhin den BD betreffende Maßnahmen betrachtet, bei denen zwischen konservativen (Kapitel 4.1) und moderneren Ansätzen (Kapitel 4.2) unterschieden wird. Zusätzlich wird die jeweilige Rolle der beteiligten Interaktionspartner untersucht (Kapitel 4.3 bis 4.5). In Kapitel 5 wird zunächst das allgemeine Ausmaß des BD weltweit dargestellt (Kapitel 5.1) und schließlich wird der empirische Zusammenhang zu der Region LAC geschaffen, indem zuerst die allgemeine Situation (Kapitel 5.2.1) und die BD-Determinanten (Kapitel 5.2.2) geschildert werden. Außerdem verdeutlichen das Ausmaß und die Auswirkungen (Kapitel 5.2.3), dass der BD ein nicht zu unterschätzendes Phänomen in dieser Region ist. Die in der Region durchgeführten Maßnahmen (Kapitel 5.2.4) zeigen die allgemeinen Ansätze des vorangegangenen Kapitels. Zur Verdeutlichung der Aussagen erfolgt in Kapitel 5.3 ein kurzer Vergleich mit den Ländern CEEs. Kapitel 6 schließt mit einer kritischen Schlussbetrachtung der aus der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse ab.

2. Begriffsabgrenzung

Bei der Erörterung des BD-Phänomens, stehen auch Begriffe wie Humankapital und Migration im Mittelpunkt der Betrachtungen. Deshalb werden im Folgenden alle mit dem BD in Beziehung stehenden Begriffe kurz erklärt, um einen allgemeinen Überblick zu erhalten und die Zusammenhänge besser nachvollziehen zu können.

2.1 Humankapital

Humankapital[3] (HC) wird definiert als „Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen, das in Personen verkörpert ist sowie durch Ausbildung, Weiterbildung und Erfahrung erworben wird“ (Chancen für alle 2005a). Es besteht aus zwei Komponenten: Dem sichtbaren HC, wie z.B. Bildung und Ausbildung und dem nicht wahrnehmbaren HC, wie z.B. Fähigkeit, Unternehmertum sowie andere persönliche Eigenschaften. Dabei liegt die Qualität einer Arbeitskraft in der Verteilung des nicht wahrnehmbaren HCs (Rivera-Batiz/Oliva 2003, S. 157). Deshalb spielt HC insbesondere bei der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes eine große Rolle.

Für hochqualifiziertes HC gibt es keine einheitliche Definition. Salt (1997) erklärt in seinen Ausführungen, dass Hochqualifizierte keine homogene Gruppe bilden, sondern grob als professionelle, leitende und technische Spezialisten beschrieben werden können. Die gesamte Gruppe besteht aus einer Reihe von zum Großteil separaten und nicht in Konkurrenz zueinander stehenden Untergruppen (Salt 1997, S. 5).

2.2 Migration

Bei dem Begriff Migration wird zwischen Emigration und Immigration unterschieden. Meist wird in der Literatur die Migration als Oberbegriff für beide Situationen genannt, wobei in den weiteren Ausführungen die Migration zumeist Emigration bedeutet.

Bei der Betrachtung von Migration muss zwischen Primär- (0 bis 8 Jahre schulische Ausbildung), Sekundär- (9 bis 12 Jahre) und Tertiärausbildung (mehr als 12 Jahre) differenziert werden. Die Mehrheit der Migranten aus LDC hat mindestens eine Sekundärausbildung absolviert, woraus geschlossen werden kann, dass Migranten im Vergleich zur restlichen Heimatbevölkerung besser (aus)gebildet sind. Eine andere Schlussfolgerung ist, dass sehr gut (aus)gebildete Individuen die am internationalsten beweglichste Gruppierung darstellen. Dies impliziert, dass bei einer geringeren Ausbildung auch die Migrationsneigung umso geringer ist (Carrinton/Detragiache 1998, S. 6).

Der Term Migration beinhaltet jedoch auch die Aspekte der Migrationsform und der Migrationsrichtung, die im Folgenden kurz erläutert werden und in engem Zusammenhang mit dem näher zu betrachtenden BD stehen.

2.2.1 Migrationsformen

Um internationale Bevölkerungsströme unterscheiden zu können, werden in der Literatur häufig folgende Unterteilungen vorgenommen: Freiwillige vs . unfreiwillige Migration; legale vs . illegale Migration; temporäre vs. permanente Migration; geplante Migration vs. Flucht migration (Asyl, Zuflucht, ökologisch); sowie niederlassende Migration vs. Arbeits migration, um die Absicht bzw. Migrationsdauer zu verdeutlichen, da die Arbeitsmigration für einen kürzeren Zeitraum gedacht ist. Diese Abgrenzungen überschneiden sich teilweise, jedoch helfen sie bei der Untersuchung der Migrationsproblematik aus verschiedenen Blickwinkeln (Ramamurthy 2003, S. 3f.).

Die Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Migration wird häufig angewandt um ’Push’-Faktoren von den ’Pull’-Faktoren[4] abzugrenzen (Ramamurthy 2003, S. 3). Eine unfreiwillige Migration liegt vor, wenn sie durch Gewalt oder politische Unterdrückung hervorgerufen wird. Es werden drei gegensätzliche Arten unterschieden, die in der Praxis auch interdependent sein können: Die Vertreibung (’ expulsion’), der ’Ausweg aus dem Sozialismus’ (’ exit-from-socialism’) und die ’Flucht vor Autoritarismus’ (’ flight-from-authoritarianism’) (Bhagwati 1985, S. 307). Dem gegenüber steht die Migration aus ökonomischen oder arbeitsbedingten Gründen, die auf freiwilliger Basis erfolgt (Pellegrino 2001, S. 27ff.) und generell angenehmer ist als die ’exit’- und ’flight’-Variante (Bhagwati 1985, S. 307). Der in Kapitel 2.3.1 abzugrenzende Begriff BD wird eher der freiwilligen Migration zugeordnet, obwohl er durchaus auch von externen Einflüssen forciert werden kann.

Wenn sich ein Individuum zur Emigration entschlossen hat, gehört zu dieser Entscheidung auch die Überlegung über die Aufenthaltsdauer: Permanent oder temporär. Während bei der permanenten Migration eine Rückkehr fast völlig ausgeschlossen ist, kann sich die temporäre Aufenthaltsdauer kurz- bis langfristig gestalten, je nach persönlicher Absicht, Entscheidung oder beruflichen Aussichten (Pellegrino 2001, S. 28). Im Zusammenhang mit der temporären Migration wird oft der Begriff Mobilität verwendet, da er sich auf weniger permanente Formen bezieht. Zum einen die Ausreise mit anschließender Rückkehr und zum anderen die Fernkommunikation, durch die ein permanenter Verlust relativiert bzw. stückweise abgebaut wird. Allerdings sollte auch die temporäre Migration nicht unterschätzt werden, da trotz alledem die LDC die Leidtragenden sind (Meyer 2001, S. 47).

2.2.2 Migrationsrichtung

Die einstige Behauptung, dass die Migration Hochqualifizierter nur ein lokalbedingtes Phänomen sei, das sich meistens in einer Süd-Nord-Richtung äußert, kann nicht länger unterstützt werden, da auch Nord-Nord - und Süd-Süd -Beziehungen, sowie zusätzliche Bewegungen aus dem ehemaligen Ostblock vorzufinden sind (Meyer 2001, S. 47). Für das Verständnis der BD-Problematik spielen die zuletzt genannten Migrationsrichtungen jedoch keine Rolle.[5] Deshalb wird im Folgenden nur die Süd-Nord-Migrationsrichtung erläutert.

Eine Süd-Nord-Migration impliziert die Migration von verhältnismäßig unterentwickelten Regionen oder Ländern (’im Süden’), in denen die Entwicklung noch ein politisches Ziel darstellt, in relativ entwickelte Gebiete (’im Norden’). Die Gründe für Süd-Nord-Migration liegen vor allem in den großen wirtschaftlichen Unterschieden zwischen Herkunfts- und Zielland.[6] Dabei sind die aus der Migration resultierenden nachteiligen Effekte weder ein Bestandteil noch ein akzeptables Nebenprodukt der politisch angestrebten Ziele. Süd-Nord-Migration ist die Ursache für die mit der Migration zusammenhängenden Probleme der heutigen Zeit, sowohl in den Herkunfts- als auch in den Zielländern. Durch technischen Fortschritt und zunehmend bessere Kommunikationsbedingungen im Zeichen der Globalisierung, nehmen die Migrationsströme in Umfang und Geschwindigkeit zu (Ellermann 2003, S. 12). Auf die Frage, ob die Migration aus einer kritischen Massendynamik oder einer ausgleichenden Dynamik heraus resultiert, wird in Abb. 3a und 3b im Anhang S. 62f. näher eingegangen.

2.3 Brain Exchange

’Brain Exchange’ ist eines von zwei Basiskonzepten[7], das bei der Migration von Hochqualifizierten eine Rolle spielt. Im Wesentlichen beschreibt es den Aspekt, dass hochqualifiziertes Personal migriert, um einer seinen Kenntnissen und Qualifikationen angemessenen Arbeit an einem anderen Ort nachzugehen. Dabei handelt es sich um einen Zwei-Wege-Fluss (’two-way flow’) von Expertenwissen zwischen dem Herkunfts- und dem Zielort. Sobald der Nettofluss stark einseitig ist, werden, je nach Betrachtungsregion, die Begriffe ’Brain Drain’ oder ’Brain Gain’ verwendet. Ein ’Brain Exchange’ kann in allen Wirtschaftssystemen beobachtet werden, da er ein Bestandteil von Güterbewegungen zwischen fortschrittlichen Volkswirtschaften ist (Salt 1997, S. 5).

2.3.1 Brain Drain

Vom sog. ’Brain Drain’ wird gesprochen, wenn Individuen über eine Tertiärausbildung verfügen, d.h. wenn sie zwölf oder mehr Jahre an einer Bildungseinrichtung verbracht haben und sich zur Emigration entschließen.[8] Die Hochschulausbildung kann entweder im Heimat- oder im Zielland abgeschlossen worden sein (Carrington/Detragiache 1998, S. 5). Ursprünglich wurde der Begriff für die Migration von Europa nach Nordamerika in den sechziger Jahren verwendet, heutzutage wird damit der Nettoverlust hochqualifizierter Arbeitskräfte aus den Dritte-Welt-Ländern (Salt 1997, S. 5) sowie die Strömungen von Ost- nach Westeuropa beschrieben.

Eine notwendige Bedingung für einen BD liegt dann vor, wenn eine große Anzahl an hochqualifizierten Arbeitskräften tatsächlich für das Herkunftsland verloren ist. Es gibt zwei Möglichkeiten das Ausmaß des BD zu ermitteln: Zum einen der ’kumulative Verlust’, der sich auf die Emigranten bezieht, die nicht mehr im Ursprungsland leben und zum anderen die ’Bildungsselektivität’ der Emigrantenströme, die verdeutlicht, inwieweit Emigranten als hochqualifiziert einzuschätzen sind.[9] Diese beiden Varianten betrachten unterschiedliche Blickwinkel, die jeweils beide von Forschern verwendet werden. Jedoch kann mit zuerst genannter Methode das Konzept des BD am besten konzeptionalisiert werden, während die zweite Messvariante als Indikator für den relativen Verlust von ausgebildetem Personal genutzt wird (Lowell 2001a, S 5f.).

Der Begriff BD[10] wird als Synonym für die Mobilität von hochqualifiziertem HC verwendet, wobei sich der Netto-Wissensabfluss stark in eine Richtung vollzieht (Giannoccolo 2004, S. 2; Salt 1997, S. 5). ’Brain’ steht in diesem Falle für Fähigkeiten, Kompetenz oder potentielles Vermögen, während ’Drain’ eine größere Abwanderungsrate (’exit rate’) als ’normal’ bzw. gewünscht impliziert. Verbindet man diese beiden Begriffe ergibt sich ein Abfluss der Talentiertesten[11] zu einer merklichen Rate (Giannoccolo 2004, S. 2). Mit anderen Worten: ein BD bezieht sich auf die permanente oder langfristig angelegte internationale Emigration hochqualifizierter Arbeitskräfte, deren Ausbildung im Herkunftsland in großem Umfang unterstützt wurde (Wickramasekara 2002, S. 3; Williams 2000, S. 3). Dabei handelt es sich um einen Wissens- und Fähigkeitstransfer aus dem Herkunftsland in das gewählte Zielland (Williams 2000, S. 3). Meist wird davon ausgegangen, dass hauptsächlich LDC von diesem Phänomen betroffen sind, da diesen durch die Emigration von Hochqualifizierten in die HDC wertvolle HC-Ressourcen und damit auch wirtschaftliches Potential zumeist permanent verloren gehen (Dumont/Lemaître 2004, S. 3; Williams 2000, S. 3). Die meisten Forscher beziehen sich bei ihren Definitionen des BD auf die Migration bestimmter Berufsgruppen, wie bspw. von Ingenieuren, Studenten, Ärzten oder anderen hochqualifizierten Fachkräften. Adams (2003) verallgemeinert dies, indem er anmerkt, dass erst dann von einem BD gesprochen werden kann, wenn mehr als 10% der tertiär-ausgebildeten Bevölkerung eines bestimmten arbeitsexportierenden Landes auswandern. Meist stellen die Migranten eine Elite dar, da sie besser ausgebildet sind als die restliche Bevölkerung des Heimatlandes (Adams 2003, S. 1, 18).

2.3.2 Brain Gain/Return

Im Zusammenhang mit dem BD wird oft ein Bezug zu einem ’Brain Gain’ oder ’Brain Return’ geschaffen. Meist ist gerade bei Hochqualifizierten oder Studenten die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland nach einem längeren Aufenthalt im Ausland sehr groß. Auch wenn sich die Aufenthaltsdauer der ursprünglich geplanten Zeit verlängert, kehren sie schließlich zurück. In der Fachsprache wird hierbei von ’Brain Return’ gesprochen (Giannoccolo 2004, S. 4). Damit einhergehend stehen dem Land die gesamten Kenntnisse und Fähigkeiten zur Verfügung, von denen es profitieren kann. Dieser Aspekt wird auch ’Brain Gain’ oder „Gewinn von Intelligenz bzw. Verstand“ (Chancen für alle 2005c) genannt.

2.3.3 Brain Circulation

Bei der ’Brain Circulation’ entscheiden sich Individuen für ein Studium im Ausland und im Anschluss daran nehmen sie einen Job an. Später pendeln sie zwischen Ausland und Heimatland hin- und her, um in der Heimat von den im Ausland erworbenen Fähigkeiten und Kenntnissen zu profitieren (Giannoccolo 2004, S. 4). Nach Meinung der Autoren Johnson/Regets (1998) wird diese Form der Migration in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen (v. Johnson/Regets, zitiert nach: Giannoccolo 2004, S. 4). Dadurch können zuvor entstandene Defizite ausgeglichen bzw. gemildert werden.

2.4 Diaspora

Diaspora ist die Präsenz einer beachtlichen Anzahl intellektueller Expatriates des Südens sowie Ostens, welche in sämtlichen OECD-Ländern verstreut sind, aber heute überwiegend über das Internet miteinander in Verbindung stehen. Dadurch sind Netzwerke entstanden, die daran arbeiten, die Entwicklung in ihren Heimatländern zu fördern (Meyer 2001, S. 48). Die International Organization of Migration (IOM) sieht in der Diaspora „the idea of trans-national populations, living in a place but still related to their homelands, being both ’here’ and ‘there’” (IOM 2005a, S. 1). Weltweit existieren mehr als 40 dieser Netzwerke, die mit 35 LDC zusammen arbeiten. Das von den Mitgliedern besessene Wissen wird dafür genutzt, einen nachhaltigen Beitrag bei gewinnbringenden Aktivitäten zu leisten. Dazu zählen gemeinsame Forschungsprojekte, Joint Ventures, Weiterbildungsmaßnahmen etc.. Die Diaspora-Option zeigt, dass nicht nur eine physische Rückkehr (’Remigration’) der hochqualifizierten Arbeitskräfte eine Alternative zum BD darstellt. Der Vorteil dieser Option liegt darin begründet, dass sie sich weder nachteilig auf die Interessen des Ziellandes noch auf die des Herkunftslandes auswirkt, da die Expatriates beiden Ländern zur Verfügung stehen, die Entwicklung fördern und konstruktive Verbindungen zwischen diesen schaffen (Meyer 2001, S. 48). Die Diaspora-Netzwerke sehen sich selbst als unabhängige und gemeinnützige Organisationen, die jedoch manchmal auf institutionelle Unterstützung zurückgreifen müssen um ihre Ziele zu erreichen (Brown 2000, S. 8).

3. Theoretische Grundlagen des BD

3.1 Geschlossene Modelle zu den Ursachen und Auswirkungen des BD

In der Literatur gibt es eine große Vielzahl an Modellen bzw. Theorien[12], die den BD thematisieren. Es werden jeweils unterschiedliche Aspekte untersucht, die insbesondere die Ursachen des BD sowie daraus resultierende Konsequenzen analysieren. Die im Folgenden betrachteten Modelle werden herangezogen, da sie einen guten Zusammenhang zu der in Kapitel 5 erwähnten Empirie schaffen. Einzelne Aspekte, die in der Praxis zu erkennen sind, können anhand der ausgewählten Modelle besser erklärt werden. Zunächst werden die neoklassischen Modelle den Ansätzen der Neuen Wachstumstheorie sowie die Handelstheorie der Migrationstheorie gegenüber gestellt um dann im weiteren Verlauf ein endogenes Wachstumsmodell zu betrachten.

3.1.1 Neoklassische Modelle vs. Neue Wachstumstheorien

Neoklassische Ansätze der sechziger/siebziger Jahre sind statischer Natur und setzen den Fokus auf mikroökonomischer Ebene. HC wird hier als Produktionsfaktor deklariert, wobei vollkommener Wettbewerb, vollständige Informationen und vollkommene Einkommensflexibilität angenommen werden (Solimano/Pollack 2004, S. 11). Weiterhin gehen die Modelle davon aus, dass jedes Individuum durch die Möglichkeit einer Migration seinen persönlichen Nutzen maximiert. Die durch wirtschaftliche Anreize hervorgerufene Emigration hochqualifizierter Arbeitskräfte steigert das Welteinkommen, ohne dass die Wohlfahrt der Zurückgebliebenen reduziert wird. Obwohl sich die Wohlfahrt der emigrierten Individuen verbessert, hat dies keinen Einfluss auf die Wohlfahrt der Nicht-Emigrierten.[13] Wenn die mikroökonomischen Betrachtungen auf die makroökonomische Ebene übertragen werden, wird die Migration als Konsequenz von Einkommensunterschieden zwischen Ländern bzw. Regionen gesehen. Migration ist demzufolge die optimale Allokation des Faktors Arbeit in die Region mit der höchsten Produktivität, wodurch sich, bei Migrationskosten von Null, die Löhne angleichen (Rotte/Vogler 1998, S. 5f.). Erst Bhagwati/Hamada (1974) machten darauf aufmerksam, dass auch die Wohlfahrt der nicht-emigrierten Individuen vom BD betroffen ist, wodurch sie für die Einführung einer BD-Steuer plädierten, die bei den Maßnahmen in Kapitel 4.1 näher erläutert wird.

Nachteil aller neoklassischen Modelle ist der fehlende Bezug zu empirischen Daten sowie die hauptsächliche Betrachtung von Einkommensunterschieden zwischen Herkunfts- und Zielland (Commander et al. 2003, S. 8).

Die dynamischen Wachstumstheorien bzw. Endogenen Wachstumsmodelle vertreten die Grundaussage, dass sich jegliche Minderung des HC-Bestands eines Landes nachteilig auf die momentane und zukünftige Situation auswirkt. Im Rahmen der meisten endogenen Wachstumsmodelle (zumeist Selbstselektierungsmodelle) werden die negativen Effekte des BD hervorgehoben (Rapoport 2002, S. 3). Seit ein paar Jahren versuchen einige Forscher zu zeigen, dass der BD nicht nur negative Konsequenzen für das Herkunftsland mit sich bringt, sondern durchaus auch ein Brain Gain erzielt werden kann. Die Wissenschaftler versuchen aufzuzeigen, wie die sonst untersuchten adversen Effekte verringert werden können (Solimano/Pollack 2004, S. 11).

Die oben erläuterten neoklassischen Theorien gehen davon aus, dass ein BD so gut wie keine bzw. wenige global negative Auswirkungen hat, während die Neuen Wachstumstheorien bedeutende negative Effekte feststellen. Währenddessen wird bei den zuletzt genannten Theorien festgestellt, dass die kumulierten Effekte von HC für die nationale Entwicklung bedeutend größer sind, als bei der Neoklassik angenommen (Lowell 2001a, S. 13; Solimano/Pollack 2004, S. 11).[14]

In den folgenden Ausführungen wird zunächst die parsimonische Erweiterung des Heckscher-Ohlin-Theorems (Punkt 3.1.2) betrachtet und schließlich das Modell von Haque/Kim (1995) und dessen Erweiterung von Beine et al. (2001). Das Endogene Wachstumsmodell von Haque/Kim (1995) untersucht die Auswirkungen eines BD auf die wirtschaftliche Entwicklung des betroffenen Landes. Beine et al. (2001) bauen auf den Ergebnissen von Haque/Kim (1995) und Mountford (1997) auf und zeigen, dass durch einen BD auch positive Externalitäten entstehen können, wie der unter Punkt 3.1.3 beschriebene ’Beneficial Brain Drain’. In diesem Zusammenhang soll auf das Modell von Mountford (1997) hingewiesen werden, der auch, wie Beine et al. (2001), nutzensteigernde Wachstumseffekte (in Form einer Produktivitätssteigerung) des BD feststellt, wenn Entscheidungen bezüglich der Ausbildung endogen getroffen werden und eine gewisse Migrationsunsicherheit besteht (Lundborg 2004, S. 1).[15]

3.1.2 Handelstheorie vs. Migrationstheorie

Das Heckscher-Ohlin-Theorem[16], auch Faktorproportionen-Theorem genannt, erklärt zwar die Bedeutung von Ressourcendifferenzen im internationalen Handel (Krugman/Obstfeld 2003, S. 76), nicht jedoch die internationale Migration. Internationaler Handel und internationale Migration sind unterschiedliche Phänomene, da Handelsgewinne nicht mit einem Migrationsgewinn verglichen werden können. Hinsichtlich der internationalen Mobilität von Humanressourcen erlangen Konsumenten nicht denselben Nutzen wie bei einem länderübergreifenden Güteraustausch. Außerdem sind die Erklärungen für die Mobilität von HC und Güterbewegungen nicht identisch (Simon 1999, S. 17). Das Heckscher-Ohlin-Theorem ist ungeeignet um Migrationsströme von HC zu erklären, da HC keinen Produktionsfaktor an sich darstellt und weil es nicht zu einer Faktorpreisveränderung kommt. Die Handelstheorie erklärt nur, warum es nicht zur Migration kommen muss und nicht warum die stattfindende Migration auftritt (Simon 1999, S. 19f.).

Mit der parsimonischen Erweiterung des Heckscher-Ohlin-Modells von Schiff (2000) kann allerdings der Bezug zum BD geschaffen werden, da die Kritikpunkte und Grenzen des ursprünglichen Theorems beachtet werden. Zum einen werden Faktorbewegungen zwischen Süd und Nord gut erklärt und zum anderen werden schwerpunktmäßig die Auswirkungen auf das Sozialkapital (soziale Normen, Verhalten, Werte, Sprache und Kultur) betrachtet (Schiff 2000, S. 2f.). In seinen Untersuchungen geht Schiff (2000) von zwei Annahmen aus: Zum einen maximieren Emigranten ihren persönlichen Nutzen, ohne Rücksicht auf die restliche Wohlfahrt, wobei keine Internalisierung der Externalitäten statt findet. Zum anderen ist die Migration Bestandteil eines kollektiven Wohlfahrtsmaximierungsprozesses im Süden. Dabei werden alle Migrationsexternalitäten des Südens internalisiert (Schiff 2000, S. 4). Diese beiden Annahmen werden unter zwei Gesichtspunkten, der unbeschränkten Migration sowie bei optimalen Immigrationseinschränkungen, analysiert. Bei seinen Ausführungen macht er darauf aufmerksam, dass die Bewegung von Individuen nicht mit der Mobilität von Gütern oder Dienstleistungen vergleichbar ist, da Individuen aufgrund von Sozialkapital gebundener sind. Dadurch entstehen bei der Migration positive und negative Externalitäten.[17] Die Migrationsexternalitäten hängen von der Größe der Migrantengruppe im Vergleich zur Nicht-Migrantengruppe im Süden und im Vergleich zur Bevölkerung im Norden ab (Schiff 2000, S. 7). Aus der Sicht der Zielländer ist eine unbeschränkte Migration generell nicht optimal. Für den Süden ist eine uneingeschränkte Migration nur dann vorteilhaft, wenn die Externalitäten internalisiert werden. Unabhängig vom Internalisierungsgrad der Migrationsexternalitäten ergeben sich fünf stabile Ergebnisse: Erstens profitiert der Norden vom Einführen einer Immigrationssteuer. Zweitens stellt eine unbeschränkte Migration nie ein globales Optimum dar. Drittens ist für den Süden eine Handelsliberalisierung gewinnbringend. Viertens kommt dem Süden ein bevorzugter Handelszugang zum Norden zugute. Und schließlich ist der Norden besser gestellt, wenn er eine Immigrationssteuer erhebt, ohne dem Süden einen bevorzugten Handelszugang zu gewähren (Schiff 2000, S. 22).

3.1.3 Endogenes Wachstumsmodell von Haque/Kim (1995)

In ihrem dynamischen Modell betrachten Haque/Kim (1995)[18] zwei sich überlappende Generationen heterogener, hochqualifizierter Arbeitskräfte aus zwei identischen Ländern, die allerdings eine unterschiedliche Steuerpolitik (Einkommenssteuer, Ausbildungssubventionierungen, Immigrationspolitik) und Technologie aufweisen. Beide Länder verfügen über die gleiche Anzahl an heterogenen Wirtschaftssubjekten, da kein Bevölkerungswachstum und keine Arbeitsmobilität herrschen (Haque/Kim 1995, S. 581). Die Autoren gehen von der Annahme aus, dass Wachstum durch die Anhäufung von HC eines jeden Agenten generiert wird. Dabei ist die Funktion zur HC-Anhäufung linear und sorgt somit für gleichmäßiges Wachstum. Die heterogenen Wirtschaftssubjekte leben für die Dauer von zwei Perioden, wobei in der ersten Bildung und Wissen erworben und in der zweiten die Erträge verbessert werden sowie eine Entscheidung getroffen wird, ob man emigriert oder in der Heimat bleibt (Haque/Kim 1995, S. 579). Die jeweilige Ausstattung mit Wissen entspricht dem des durchschnittlichen Fähigkeitsniveaus der Eltern, welches an die junge Generation weiter gegeben wird. Es bestehen also intergenerative Externalitäten, die eine Grundvoraussetzung für positives Wachstum sind (Haque/Kim 1995, S. 583). Wichtig ist, dass die Agenten mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet sind und sich somit die HC-Anhäufung sowie andere Entscheidungen unterscheiden, jedoch in beiden Ländern die Verteilung der Bildungsfähigkeit identisch ist (Haque/Kim 1995, S. 583f.). Durch unterschiedlich erhobene Steuern ist das Nettoeinkommen in beiden Ländern unterschiedlich hoch, was sich die Migration zunutze macht (Haque/Kim 1995, S. 579f.).

Bei ihren Untersuchungen konzentrieren sich Haque/Kim auf die Auswirkung der Migration von HC auf Wachstum und Einkommensniveau im Rahmen eines endogenen Wachstumsmodells. Dabei werden der Einfluss der Steuerpolitik und anderer mit Migration und wirtschaftlichen Wachstum zusammenhängende Variablen identifiziert. Diese Betrachtung ermöglicht das Ermitteln, inwiefern die Migration zu unterschiedlichen Auswirkungen in verschiedenen Ländern führt (Haque/Kim 1995, S. 578).

Ob ein Wirtschaftssubjekt die Migrationsoption wählt, hängt nicht nur von dem im Ausland erworbenen Nettoeinkommen, sondern auch von dem für das Individuum höchsten Nutzenniveau, den Migrations- und Assimilationskosten[19] sowie dem Bildungsniveau ab (Haque/Kim 1995, S. 580, 583ff.). Die optimale Investition in die individuelle Bildung wird von der Migrationsentscheidung und der Nutzenmaximierung beeinflusst. Wenn ein Wirtschaftssubjekt emigrieren möchte, investiert es mehr in die Ausbildung. Die Höhe des individuellen Nutzens ist von den persönlichen Fähigkeiten, der Höhe der Einkommenssteuer im Herkunfts- bzw. Zielland, der Höhe der Bildungssubventionen sowie den Migrationskosten abhängig (Haque/Kim 1995, S. 586f.). Ein hochqualifiziertes Individuum entscheidet sich dann zu emigrieren, wenn das Nettoeinkommen im Ausland höher sowie die Migrations- und Assimilationskosten mittlerer Höhe sind bzw. wenn es seinen Nutzen im Ausland maximieren kann (Haque/Kim 1995, S. 580). Im Falle eines weniger qualifizierten Wirtschaftssubjektes würde dieses unter gleichen Ausgangsbedingungen die Möglichkeit einer Migration nicht in Betracht ziehen (Haque/Kim 1995, S. 587ff.).[20]

Weiterhin untersuchen Haque/Kim welchen Effekt der BD auf die Wachstumsraten der beiden Länder hat. Sie zeigen auf, dass der BD zu einer permanenten Reduzierung der langfristigen Pro-Kopf-Einkommenswachstumsrate im Emigrationsland führt, da die zurückgebliebenen Individuen weniger Fähigkeiten besitzen und demzufolge weniger HC akkumulieren als die Emigranten. Zusätzlich bleibt die Wachstumsrate im Zeitverlauf konstant, da auch der BD konstant bleibt. Das wiederum zeigt, dass der BD einen Wachstumseffekt hat, wobei das Ausmaß der reduzierten Wachstumsrate proportional zum emigrierten Bevölkerungsanteil ist (Haque/Kim 1995, S. 592f.). Währenddessen ist im Immigrationsland, aufgrund der Entwicklung des durchschnittlichen HC-Niveauverhältnisses in beiden Ländern, der BD-Effekt im Laufe der Zeit Schwankungen ausgesetzt. Anfänglich beschleunigt sich die Wachstumsrate durch den erhöhten HC-Anteil. Dadurch vergrößert sich der Unterschied zwischen den beiden Ländern. Das führt dazu, dass der Anteil des emigrierten HC im Zeitverlauf abnimmt, wodurch das Wachstum wieder nachlässt. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass das Ausmaß des Wachstums im Zielland von der Entwicklung des HC-Anteils in beiden Ländern abhängt (Haque/Kim 1995, S. 593f.). Zusätzlich zu den Unterschieden in den Wachstumsraten verändert sich langfristig auch die Einkommensstruktur in den Ländern (Haque/Kim 1995, S. 595).

Zu guter letzt untersuchen sie die Auswirkung einer unterschiedlichen Steuer- und Subventionspolitik für wirtschaftliches Wachstum bei BD-Vorkommen (Haque/Kim 1995, S. 580). In der Praxis finden sich häufig zwei Arten von Bildungssubventionen, eine proportionale und eine Pauschalsubventionierung (Haque/Kim 1995, S. 582). Bei ihrer Analyse stellen Haque/Kim fest, dass sich bei HC-Abwanderung eine durch Steuern finanzierte Ausbildungssubventionierung, negativ auf das wirtschaftliche Wachstum auswirkt, während diese Subventionierung in einem Land ohne Migration durchaus positive Wachstumseffekte mit sich bringt. Sowohl in einer geschlossenen als auch in einer offenen Volkswirtschaft führt eine proportionale Ausbildungssubventionierung zu einer höheren Wachstumsrate als eine Pauschalsubventionierung, die denselben Einkommenseffekt verfolgt. Wenn in einem anderen Fall Subventionen für höhere Bildungswege ansteigen, verbessert sich damit die Ausbildung der qualifizierteren Individuen. Dadurch erhöht sich deren Chance zur Migration, wodurch sie wiederum kaum zum Einkommenswachstum ihres Landes beitragen, sondern eine Last für den Staatshaushalt darstellen. Deshalb sollte, anstatt einer Subventionierung des höheren Bildungsweges, eine Ausbildungssubventionierung angestrebt werden, die nur bis zu einem bestimmten Ausbildungsniveau – der Grundausbildung - erfolgt (Haque/Kim 1995, S. 597ff.).

Als Fazit kann festgehalten werden, dass in einer für Arbeitsmobilität offenen Volkswirtschaft ein BD durch eine vergleichsweise höhere Arbeitsrendite im Ausland zustande kommt. Durch einen Exodus hochqualifizierter Arbeitskräfte verringern sich permanent Einkommensniveau und langfristige Wachstumsraten in ärmeren Nationen. Bildungssubventionen in LDC haben einen stärkeren entwicklungsfördernden Wachstumseffekt, wenn sie nicht der höheren Ausbildung sondern der Grundausbildung zukommen. Zwar scheinen sich diese Subventionen auf den ersten Blick positiv auf das Wachstum auszuwirken, aber durch das Migrationsvorkommen wird ein gegenteiliger Effekt erzeugt. Weiterhin wird in dem Modell gezeigt, dass politische Maßnahmen, die Bestandteil eines wirtschaftlichen Stabilitätsprogramms sind (wie z.B. Steuer- oder Arbeitsmarktreformen, Gehaltseinschränkungen für Staatsangestellte), den Effekt, den die Migration Hochqualifizierter mit sich bringt, berücksichtigen müssen (Haque/Kim 1995, S. 602f.; Carrington/Detragiache 1998, S. 4).

Beine et al. (2001) erweitern die Modelle von Haque/Kim (1995) und Mountford (1997)[21], da sie Ausbildung nicht wie im Haque/Kim-Modell als kontinuierliche, sondern als diskrete Variable betrachten und eine herrschende Unsicherheit bezüglich künftiger Migration annehmen. Im Vergleich zum Mountford-Modell ist der Wachstumsfaktor vom durchschnittlichen HC-Niveau der verbleibenden Erwachsenengeneration abhängig und nicht von der verbleibenden ausgebildeten Bevölkerungsschicht eines Landes. Beine et al. beobachten langfristig zwei unterschiedliche Wachstumseffekte: einen ex-ante ’Brain-Effekt’ (Migrationsaussichten fördern aufgrund der höheren Einkommen im Ausland eine Investition in Bildung) sowie einen zweifelsohne nachteiligen ex-post ’Drain-Effekt’ (aufgrund der tatsächlich stattfindenden Migrationsströme). Wenn der erstgenannte Effekt dominiert, kommt es zu einem Beneficial Brain Drain (nutzensteigernder BD = Beneficial BD)[22] (Beine et al. 2001, S. 275ff.; Docquier/Rapoport 2004, S. 27). Aus theoretischer Sicht kann der Beneficial BD[23] in zwei Fällen entstehen. Zum einen wenn die Wirtschaft aufgrund von Unterentwicklung geschlossen ist, wodurch Migrationsaussichten eher gering sind und zum anderen wenn die Wirtschaft bereits eine relativ hohe Wachstumsperformance aufweist, weshalb eine Migration weniger reizvoll ist (Beine et al. 2001, S. 287f.; Lundborg 2004, S. 1).[24] Kurzfristig gesehen stellt die Emigration von Hochqualifizierten einen Netto-Verlust für das Heimatland dar, wenn Migration nicht erwartet wird. Im Laufe der Zeit passen die nachfolgenden Generationen ihre Ausbildungsentscheidungen an, wodurch sich das gesamtwirtschaftliche Bildungsniveau teilweise oder komplett erhöht.[25] Im letztgenannten Fall entstehen langfristig mögliche Nettogewinne durch zahlreiche BD-Konsequenzen (Rücküberweisungen, Diaspora etc.) (Docquier/Rapoport 2004, S. 27).

Um einem BD entgegen zu wirken, zeichnen sich, vom Blickwinkel des Herkunftslandes aus betrachtet, einige Schwierigkeiten für politische Maßnahmen ab, da diese auch einen gegenteiligen Effekt bewirken können, wie bspw. eine langfristige Abnahme des HC. Deshalb sind Ausbildungssubventionierungen nach Ansicht der Autoren ineffizient, wenn die Migrationswahrscheinlichkeit hoch ist oder Einkommensunterschieden eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Da in beiden Fällen die Ausbildung essentiell ist, darf diese nicht subventioniert werden um eine HC-Formation zu fördern (Beine et al. 2001, S. 288).

3.2 Einzelaspekte der Migration von hochqualifizierten Arbeitskräften

3.2.1 Allgemeine Determinanten

Oteiza (1968) gibt zu bedenken, dass die Migrationsentscheidung immer auch von komparativen Abwägungen beeinflusst wird, d.h. ein potentieller Emigrant vergleicht seine momentane Situation im Heimatland mit der Situation ähnlich qualifizierter Personen im Zielland. Da sich ein Individuum vorher Informationen über die Zustände im möglichen Zielland verschafft, kann davon ausgegangen werden, dass die Migrations­entscheidung aus rein objektiven Gründen gefällt wird, indem die Unterschiede beider Länder gegenüber gestellt werden. Die jeweilige Faktordifferenz zwischen zwei Ländern ist das ausschlaggebende Kriterium um Migrationsentscheidungen verstehen zu können. Wenn sich bei diesem Vergleich ein positives Präferenzdifferential bildet, wird das Zielland einen Migrationszufluss erfahren. Ist dieses Differential jedoch negativ, erfährt das Herkunftsland keine Migrationsabflüsse (Oteiza 1968, S. 126ff.).

Die Entscheidung zur Migration wird demzufolge vorwiegend individuell getroffen, da sich die Betroffenen davon eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erhoffen. Sie wägen die Nettogewinne für Bleiben und Emigrieren gegeneinander ab.[26] Migrationsmotive sind jedoch viel komplexer als bloße Einkommensunterschiede zwischen den Ländern (DBResearch 2003, S. 2). Es wirken mehrere Faktoren auf die Migrationsentscheidung, die in zwei Faktorgruppen unterteilt werden können. Zum einen die ’Push’ -Komponenten, welche die Angebotsseite, d.h. das Interesse sowie die Bereitschaft zu emigrieren, beeinflussen und zum anderen die sogenannten ’Pull’ -Faktoren der Nachfrageseite, die den Immigrantenbedarf im Zielland bewirken.[27]

Generell kann folgende, vereinfacht dargestellte Schlussfolgerung gezogen werden: Wenn bei den Pull-Faktoren die Vorteile des Ziellandes die des Herkunftslandes überwiegen oder wenn bei den Push-Faktoren die Nachteile des Ziellandes geringer sind als die des Herkunftslandes, entscheidet sich ein Individuum für die Emigration (DBResearch 2003, S. 3; Ramamurthy 2003, S. 2).

3.2.2 Push-Faktoren

Bei einer durch Push-Faktoren hervorgerufenen Emigration spielen sowohl wirtschaftliche als auch nicht-wirtschaftliche Gründe eine Rolle, die es im Folgenden zu untersuchen gilt.

Eine der größten Migrationsdeterminanten der Angebotsseite sind laut Literatur die Einkommensunterschiede zwischen Herkunfts- und Zielland.[28] Um den relativen erwarteten Einkommensunterschied zu schätzen, wird das proportionale Pro-Kopf-Einkommen des Ursprungslandes zu dem im Zielland vorhandenen Pro-Kopf-Einkommen in Beziehung gesetzt. Allerdings kann bei Verwendung von statistischen Quellen der Migrationsanreiz als ziemlich heftig angesehen werden, da die Unterschiede zwischen Herkunfts- und Zielland nicht aufgeführt sind (Coppel et al. 2001, S. 11).[29] Gerade geringere Einkommen in den Herkunftsländern begünstigen die Emigration hochqualifizierter Arbeitskräfte.

Neben Einkommensunterschieden führen auch fehlende Technologie- und Qualifizierungsmöglichkeiten zu einer Migrationsentscheidung. So sind einige Technologien sowie Qualifikationen im Herkunftsland nicht in ausreichendem Maße vorhanden, so dass eine Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften beobachtet werden kann, die ihre erworbenen Fähigkeiten nicht anwenden können (DBResearch 2003, S. 3; Krugman/Obstfeld 2003, S. 81). Obwohl sich in einigen Ländern die Ausbildungssituation verbessert hat und viele Menschen einer universitären Ausbildung nachgehen, kann das Land an sich aufgrund einer geringen Wachstumsrate nicht genügend, auf Fähigkeiten abgestimmte, Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, um auf die Absolventenzahlen reagieren zu können. Zu einem BD kommt es aber erst dann, wenn die verbesserten Ausbildungsbedingungen mit dem Glauben einhergehen, dass nur spezialisierte technische und berufliche Weiterbildungen zum Wirtschaftswachstum beitragen, so dass Studenten zum Studium im Ausland ermutigt werden, da dort die Bedingungen besser sind (Myintz 1968, S. 239f.). Es stellt sich die Frage, warum hochqualifiziertes Personal aus LDC oft den Weg der Emigration wählt. Das liegt u.a. darin begründet, dass in vielen Berufen erst eine kritische Masse erreicht werden muss, ehe für die Gesellschaft produktive Ergebnisse erzielt werden. Jedoch ist das Erreichen der kritischen Masse gerade in Ländern mit einer geringen Bevölkerungszahl schwieriger, was nicht zuletzt auf einer selektiven Immigrationspolitik der HDC beruht.[30]

Ob sich ein Individuum für eine Auswanderung entscheidet ist in hohem Maße von den Migrationskosten abhängig (DBResearch 2003, S. 3). So müssen die potenziellen Einkommensgewinne den Migrationskosten gegenüber gestellt werden. Migrationskosten setzen sich aus direkten sowie indirekten Kosten zusammen. Zu den direkten Kosten zählen Arbeitssuche, Wegziehen und Anpassung an die neue Umgebung, während indirekte Kosten durch die schwer quantifizierbaren sozialen Kosten entstehen. Die sozialen Kosten entstehen durch geographische Distanz. Diese setzt sich wiederum aus der räumlichen und kulturellen Entfernung zwischen Herkunfts- und Zielland zusammen. Je größer in beiden Fällen die Distanz ist, umso höher fallen die sozialen und damit einhergehend auch die Migrationskosten aus. Durch die Existenz von Diasporen können die sozialen Kosten für kulturelle Distanz reduziert werden (DBResearch 2003, S. 3). Coppel et al. (2001) bekräftigen, dass Migrationskosten zum Teil gedämpft werden, wenn im gewählten Zielland bereits diese Migrantennetzwerke existieren und damit die Migrationsentscheidung erleichtern. Neben geringeren Migrationskosten mindern Diaspora Unsicherheit und Risiko bezüglich der Emigration (Rotte/Vogler 1998, S. 8). Aufgrund des substanziellen Charakters der Migrationskosten führen marginale Einkommensunterschiede nicht explizit zu Migrationsströmen, sondern nur bei Erreichen einer gewissen Einkommensspanne. In der Literatur wird häufig aufgeführt, dass zwischen zwei Regionen mindestens ein Einkommensunterschied von einem Drittel herrschen muss, damit Individuen emigrieren (DBResearch 2003, S. 3). Solimano/Pollack (2004) geben zu bedenken, dass Migrationskosten, vorhandene Netzwerke, kulturelle Barrieren etc. eher die Emigration von weniger qualifizierten Individuen beeinflussen.

Ein anderer Grund für die Abwanderung von Hochqualifizierten liegt in politischer und sozialer Gewalt, autoritären Systemen (Diktaturen) sowie Instabilität begründet, da sie in diesem Umfeld an der Ausübung ihrer Tätigkeiten behindert bzw. eingeschränkt werden. Es wird oft davon gesprochen, dass ein ’Überangebot’ an Hochqualifizierten vorhanden ist und sich der Arbeitsmarkt nicht in der Lage sieht diese Arbeitskräfte zu absorbieren. Betroffene suchen sich deshalb jene Gebiete aus, in denen die wirtschaftlichen Rückflüsse ihren Qualifikationen entsprechend am höchsten sind (Pellegrino 2001, S. 56f.).

Nach Meinung von Docquier/Marfouk (2004) spielt die Bevölkerungsgröße eines Landes eine nicht zu unterschätzende Rolle. Bei der Messung muss allerdings zwischen absoluten (Anzahl der ausgebildeten Emigranten) und relativen Werten (proportionaler Anteil der Emigranten am Bestand ausgebildeter Arbeitskräfte) unterschieden werden. Betrachtet man die absoluten Zahlen sind die größten Länder, wie bspw. Indien, China, Mexiko, aber auch Deutschland, sehr stark vom BD betroffen. Wenn jedoch die relativen Werte ausschlaggebend sind, sind kleine Länder, wie z.B. Guyana, Haiti und Jamaika, deren Bevölkerung unter 4 Mio. Einwohner liegt, am meisten betroffen (Docquier/Marfouk 2004, S. 29).[31]

Einen weiteren wichtigen Anreiz für Emigration aufgrund einer schlechten allgemeinen Situation im Heimatland, wie z.B. Hungersnot, Naturkatastrophen, Krieg, Verfolgung etc. stellt die Aussicht auf bessere Überlebensaussichten im Zielland dar (DBResearch 2003, S. 3). Nach Meinung von Oteiza (1968) entsteht dann eine spezielle bzw. extreme Push-Situation, wenn sich im Herkunftsland eine neue Situation entwickelt, die für Hochqualifizierte negative Auswirkungen hat. Typische Vorfälle können politische Krisen, Militärputsche, Krisen an Universitäten, rassische, religiöse, ideologische oder politische Verfolgungen etc. sein. Diese Vorkommnisse verursachen einen plötzlichen Anstieg von Auswanderungsströmen, wobei der Begriff des BD hierbei nicht so ideal ist, da sich Individuen nicht aufgrund rationaler wirtschaftlicher Gründe für eine Emigration entscheiden (Oteiza 1968, S. 131).

Pellegrino (2001) verweist in seiner Studie darauf, dass auch die Produktivität eines Landes eine bedeutende Rolle spielt. Die Mobilität von HC richtet sich demzufolge nach der wirtschaftlichen Produktivität in Herkunfts- und Zielland. Wenn die Produktivität im Ursprungsland geringer ist als im Zielland, ziehen hochqualifizierte Individuen die Emigration in Betracht (Pellegrino 2001, S. 18).

3.2.3 Pull-Faktoren

Wenn auf der nachfragenden Seite, meist OECD-Mitgliedstaaten bzw. Zielländer, ein Defizit an qualifizierten Arbeitskräften vorherrscht, besteht die Herausforderung dieser Länder in der Behebung dieses Mangels, indem sie die Immigration Hochqualifizierter aus den LDC, wie z.B. Ingenieure und Techniker im Informations-, Kommunikations- und Technologiesektor, aktiv fördern. Der Aufenthalt der immigrierten Fachkräfte kann dabei permanent oder temporär sein. Das Defizit an qualifizierten Arbeitskräften ist insbesondere auf das Altern der Bevölkerung in den HDC zurück zu führen (Coppel et al. 2001, S. 13f.; Solimano/Pollack 2004, S. 10).[32]

Die Immigrationspolitik einzelner Länder ist ein nicht zu unterschätzender Pull-Faktor, der Migrationsströme reguliert sowie deren Ausmaß definiert (Massey et al. 1998, S. 14). Durch die Immigrationspolitik der Zielländer werden Anreize gesetzt, die Migrationsströme aus LDC auslösen, wodurch es wiederum in den Herkunftsländern zu Engpässen kommt (Pellegrino 2001, S. 51). Ein Hauptgrund für die Zunahme der Emigration hochqualifizierter Arbeitskräfte ist zum Teil darin begründet, dass die meisten OECD-Staaten eine ’qualitativ-selektive’ Immigrationspolitik[33], z.B. Punktesysteme in Australien und Kanada in den achtziger Jahren, U.S. Immigration Act of 1990, etc., eingeführt haben (Rapoport 2002, S. 2; Pellegrino 2001, S. 13). Migranten werden ’genutzt’ um Engpässe bei Fachkräften auszugleichen. Indem eine Selektierungsstrategie gefahren wird, erhalten nur hochqualifizierte Individuen die Möglichkeit einer Einwanderung, obwohl durchaus auch ein Mangel an weniger qualifiziertem Personal herrscht (Ramamurthy 2003, S. 3). Es kann in diesem Zusammenhang auch von ’Body Shopping’ gesprochen werden. Meyer (2001) verwendet diesen Ausdruck um zu verdeutlichen, dass die Anwerbung ausländischer hochqualifizierter Arbeitskräfte unter grundsätzlich anderen Bedingungen einen ähnlichen Zweck verfolgt wie vor wenigen Jahrhunderten die Sklaverei[34] (Meyer 2001, S. 48). Hauptanliegen des Abwerbens ist eine gewünschte Produktivitätssteigerung (Commander et al. 2003, S. 1). Die weitaus wichtigere Komponente für den BD wird durch den allgemeinen Trend der wirtschaftlichen Globalisierung hervorgerufen. Das impliziert, dass eine natürliche Tendenz des HC vorhanden ist, sich dort zu agglomerieren wo bereits eine reichliche Menge vorhanden ist (Rapoport 2002, S. 2).

Meyer (2001) nennt in seinen Ausführungen als klaren Grund für die beschleunigte Migration in den letzten Jahren die Beibehaltung der wirtschaftlichen Tätigkeit. Mehr denn je werden hochqualifizierte Humanressourcen benötigt. Gerade in den HDC ist dies der Fall. Der Mangel an HC-Ressourcen wird durch die vermehrte Immigration versucht auszugleichen. Da allerdings der Anteil der qualifizierten Bevölkerung stetig zunimmt, spiegelt die steigende Immigration hochqualifizierter Arbeitskräfte nur die globale Zunahme der auf dem internationalen Arbeitsmarkt vorhandenen qualifizierten Humanressourcen wider. Durch die fortschreitende Globalisierung verwischen Grenzen und damit eröffnet sich ein größerer Wissenszugang. Aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung werden Individuen, die gewisse Kriterien eines bestimmten Arbeitsmarktes erfüllen, ermutigt ihr Wissen in diesen zu transferieren (Meyer 2001, S. 46f.).

[...]


[1] In diesem Zusammenhang wird jedoch meist von ’international technical assistance’, ’overseas private investment’ oder ’military assistance mission’ gesprochen.

[2] Zusätzlich stellte Williams (2000) fest, dass einige LDC zum internationalen Wissensexport ermutigen, da sie durch die von den Emigranten gesandten Rücküberweisungen ihre Wirtschaft finanzieren. Weiterhin entstehen durch freie Märkte mit freiem Ressourcenfluss (Humankapital inbegriffen) Spillover-Effekte, die zur Produktivitätssteigerung beitragen (Williams 2000, S. 5ff.).

[3] Anmerkung: HC wurde 2004 zum Unwort des Jahres gewählt.

[4] Auf diese Begriffe wird in Kapitel 3.2 näher eingegangen.

[5] Diese beiden Migrationsrichtungen werden als Verständnishilfe in Erläuterung 1 im Anhang S. 61f. näher beleuchtet.

[6] Die Determinanten der Migration werden in Kapitel 3.2 analysiert.

[7] Das zweite Konzept ’Brain Waste’ wird in der vorliegenden Arbeit nicht weiter untersucht. Es beschreibt die Situation, wenn Hochqualifizierte emigrieren um eine Arbeit anzunehmen, bei der sie ihre Fähigkeiten und Erfahrungen nicht anwenden (Salt 1997, S. 5). Dieses Phänomen kann dann beobachtet werden, wenn die Unterschiede in den Lebensbedingungen gravierend sind und eine Verbesserung der Lebensumstände angestrebt wird.

[8] Salt (1997) gibt in seinen Ausführungen zu bedenken, dass einerseits viele Graduierte keine hochqualifizierte Tätigkeit ausüben und andererseits viele hochqualifizierte Arbeiter keinen universitären Abschluss haben (Näheres dazu siehe Salt 1997, S. 5ff.). Da eine solche Unterscheidung im Rahmen dieser Arbeit zu weit führt, wird in den weiteren Betrachtungen davon ausgegangen, dass eine Tertiärausbildung absolviert worden ist.

[9] Anmerkungen zur Ermittlung des ’kumulativen Verlustes’ und der ’Bildungsselektivität’ siehe Erläuterung 2 im Anhang S. 63f..

[10] In der Literatur beziehen sich die Definitionen des BD zumeist auf soziale, ethische sowie politische Aspekte und weniger auf wirtschaftliche. So verwendet z.B. Black (1997) in seinem ’A dictionary of Economics’ folgende Erklärung: “Brain Drain: a pejorative description of the tendency for talent people from poor countries to seek employment in richer ones. Sometimes this migration occurs because, while similar skills are needed in both poor and rich countries, the rich pay more for them. In other cases brain drain occurs because the technical and economic backwardness of poorer countries means that job opportunities there are limited or non existent. It is also possible that brain drain is encouraged because of tendencies in poorer countries to fill such good jobs as there are on a basis of family connections, political influence, and corruption, while on average richer countries, though subject to some of the same problems, tend to fill posts on a slightly more meritocratic basis” (v. Black 1997, zitiert nach: Giannoccolo 2004, S. 3f.).

[11] Auch als „Abfluss von Intelligenz bzw. Verstand“ (Chancen für alle 2005b) bezeichnet.

[12] Eine Auswahl an Modellen, die sich auch mit der Entstehung des BD sowie dessen Auswirkungen beschäftigen, werden aus Kapazitätsgründen nicht erwähnt. Dazu zählen zum einen die neoklassischen Theorien, darunter das ’Nationalist’-Modell von Patinkin (1968), das ’Internationalist’-Modell von Johnson (1968), das Harris/Todaro-Modell (1970) sowie das Modell der asymmetrischen Information und Migration von Kwok/Leland (1982). Bei den neueren Wachstumsmodellen spielen u.a. die Modelle von Mountford (1997), Lundborg (2004) eine Rolle in der Literatur.

[13] Haque/Kim 1995, S. 578; Commander et al. 2003, S. 6; Solimano/Pollack 2004, S. 11

[14] Zum besseren Verständnis der Erkenntnisse siehe dazu die bereits genannten Quellen.

[15] Die Erkenntnisse des Mountford Modells werden der Vollständigkeit halber erwähnt und daher nicht ausführlich dargestellt.

[16] Das Modell wird als bekannt vorausgesetzt.

[17] Für konkrete Beispiele siehe Schiff (2000).

[18] Aus Kapazitätsgründen kann die analytische Vorgehensweise nicht dargestellt werden. Hierzu siehe Haque/Kim (1995).

[19] Setzen sich aus Transportkosten, Umsiedelung und Immigrationspolitik zusammen.

[20] Erläuterung 3 im Anhang S. 64 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Migrationskosten und Bildungsniveau.

[21] Mountford (1997) untersucht die Auswirkungen des BD auf das Wirtschaftswachstum im Herkunftsland, unter der Annahme, dass u.a. ein optimales Emigrationsniveau sowie Bildungsanreize existieren. Dabei stellt er fest, dass das Herkunftsland von einem BD profitieren kann solange eine ausreichende Anzahl an Individuen in Bildung investiert, bei einer geringen Migrationsaussicht. Er zeigt außerdem, dass eine optimale Emigrationspolitik produktivitätssteigernd für die Wirtschaft des Herkunftslandes ist (Mountford 1997, S. 294f.). Weiterhin kommt Mountford zu dem Entschluss, dass auch eine temporäre Emigration nutzensteigernd sein kann. Durch eine Interaktion zwischen Entscheidungen zur HC-Anhäufung, Wachstum und Einkommensverteilung, kann der BD langfristig Einkommensniveau und –verteilung erhöhen (Mountford 1997, S. 302f.).

[22] Dieser kann einem Brain Gain gleichgesetzt werden.

[23] Empirisch konnte anhand von Untersuchungen in 37 LDC gezeigt werden, dass der Beneficial BD nicht nur ein theoretisches Modell ist, sondern Migrationsaussichten durchaus eine wichtige Rolle bei Ausbildungsentscheidungen spielen (Beine et al. 2001, S. 287f.; Lundborg 2004, S. 1).

[24] Aus Kapazitätsgründen wird für die analytische Herleitung auf den Originaltext (Beine et al. 2001) verwiesen.

[25] Hierzu siehe graphische Darstellung (Abb. 5) im Anhang S. 65.

[26] Hierzu siehe Gleichung 1 im Anhang S. 65, die die Migrationsentscheidung analytisch darstellt.

[27] Coppel et al. 2001, S. 11; Oteiza 1968, S. 126; Rotte/Vogler 1998, S. 7

[28] Coppel et al. 2001, S. 11; Rivera-Batiz/Oliva 2003, S. 155; Solimano/Pollack 2004, S. 9

[29] Anmerkung: Die Determinante Einkommensunterschied könnte auch als Pull-Faktor verstanden werden, da sich hochqualifiziertes Personal aufgrund höherer Löhne im Zielland für eine Auswanderung entscheidet. Da der Effekt jeweils derselbe ist, kann der Einkommensunterschied beiden Kategorien zugeordnet werden.

[30] Oteiza 1968, S. 133f., Pellegrino 2004, S. 40; Solimano/Pollack 2004, S. 9

[31] Hierzu siehe auch Tab. 1 im Anhang S. 66.

[32] Für ausführliche Beispiele zu von OECD-Ländern geförderter Immigration kann Coppel et al. (2001) als weiterführende Quelle hinzugezogen werden.

[33] In der Fachsprache auch ’Screening’ genannt (Commander et al. 2003, S. 17).

[34] “The capturing of a workforce – in this case a highly qualified workforce – and its virtual or actual relocation to undertake productive work for a foreign master” (Meyer 2001, S. 48).

Fin de l'extrait de 95 pages

Résumé des informations

Titre
Brain Drain. Begriff, theoretische Grundlagen, Maßnahmen und empirische Evidenz
Université
http://www.uni-jena.de/  (Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik II)
Note
2,7
Auteur
Année
2005
Pages
95
N° de catalogue
V55387
ISBN (ebook)
9783638503433
ISBN (Livre)
9783656803720
Taille d'un fichier
1597 KB
Langue
allemand
Mots clés
Brain, Drain
Citation du texte
Diplom-Kauffrau Erika Otto (Auteur), 2005, Brain Drain. Begriff, theoretische Grundlagen, Maßnahmen und empirische Evidenz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55387

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Brain Drain. Begriff, theoretische Grundlagen, Maßnahmen und empirische Evidenz



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur