1. Einleitung
„… Am 10. November 1983 jährt sich zum 500. Male der Tag, an dem Martin Luther, einer der größten Söhne des deutschen Volkes, geboren wurde. …“1 Vermutlich würde man diesen Satz aus dem Jahr 1980 einem westdeutschen Politiker in den Mund legen oder der westdeutschen Geschichtswissenschaft zuschreiben. Grund mag das lange anhaltende negative Lutherbild der DDR sein. Umso staunender muss allerdings zur Kenntnis genommen werden, dass es kein Geringerer war, als der damalige Staatsratsvorsitzende Erich Honecker, der mit jenen Worten die konstituierende Sitzung des Martin – Luther – Komitees einleitete. Es muss ein Prozess des Umdenkens stattgefunden haben, wenn man die Aussagen der frühen DDR Histografie und des Jahres 1980 vergleicht. So verurteilte Friedrich Engels den Reformator Luther noch als Verräter. Nach seiner Meinung waren es zu aller Zeit die linken Kräfte, welche den progressiven Fortschrittsgedanken trugen. Dem Reformator sprach er wegen seiner negativen Rolle als Fürstenknecht diese Gedanken ab. In dieser Linie standen die Arbeiten der Wissenschaft der DDR – zumindest für einen langen Zeitraum. Was war geschehen, dass das Bild Martin Luthers in das marxistische – leninistische Weltbild passte und Erich Honecker scheinbar anderer Meinung war als Friedrich Engels? Eine Vielzahl von Quellen stände zur Auswahl, jedoch muss eine Auswahl getroffen werden, um den Rahmen dieser nicht zu sprengen. Die wichtigsten Historiker und Meinungen in der DDR werden zur Beantwortung herangezogen, da diese ein repräsentatives Bild abgeben. An den gewählten Quellen wird am deutlichsten, welches Bild vertreten wurde und wieso der Wandel eintrat. Provozierend stellt sich natürlich die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Quellen. Verlieren sie nicht durch eine gewisse Systemnähe ihren wissenschaftlichen Wert? Natürlich stehen kirchliche Quellen zur Verfügung. Aus ihnen geht ein anderes Lutherbild hervor. Da sie aber in der Betrachtung der DDR keine Beachtung fanden, wird auf eine Untersuchung in dieser Arbeit verzichtet. Somit bleiben diese, sicherlich politisch gefärbten Quellen, wichtige Zeugnisse für den Veränderungsprozess.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Quellenlage
- Forschungsstand
- Der frühe Luther in der DDR
- Die Situation in den fünfziger Jahren
- Das Lutherbild nach dem Mauerbau
- Luther im Bild der sozialistischen Gesellschaft
- Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den Wandel des Lutherbildes in der DDR und sucht nach den Motiven, die diesen Wandel beförderten. Sie analysiert die Entwicklung des Lutherbildes von den frühen Jahren der DDR bis hin zum 500. Geburtstag Luthers im Jahr 1983.
- Der Einfluss von Friedrich Engels und der marxistischen Ideologie auf die Interpretation Luthers
- Die Rolle von Alexander Abusch und seiner „Misere Theorie“ im frühen Lutherbild
- Die Veränderungen des Lutherbildes nach dem Mauerbau und die Annäherung an Luthers Werk im Kontext der sozialistischen Gesellschaft
- Die Bedeutung des Martin Luther Komitees in der DDR und seine Bedeutung für die Rehabilitierung Luthers
- Die Ambivalenz des Lutherbildes in der DDR: Widerspruch zwischen dem negativen Bild des „Fürstenknechts“ und der Anerkennung Luthers als bedeutenden deutschen Denker
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung erläutert die Quellenlage und den Forschungsstand zum Thema. Sie hebt die Bedeutung der Quellen aus der DDR-Historiographie und die Herausforderungen der wissenschaftlichen Analyse dieser Quellen hervor.
Kapitel 2 analysiert das frühe Lutherbild in der DDR und beleuchtet die kritische Auseinandersetzung mit Luthers Rolle im deutschen Kontext. Die Misere Theorie, die Luther als Mitverantwortlichen für die deutschen Missstände sieht, wird in diesem Kapitel im Detail betrachtet.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Situation des Lutherbildes in den 1950er Jahren und zeigt die Kontinuität des negativen Bildes Luthers in den frühen Jahren der DDR auf. Die Bedeutung von Alexander Abusch als einflussreiche Persönlichkeit und seine kritische Sicht auf Luther wird hier beleuchtet.
Kapitel 4 untersucht den Wandel des Lutherbildes nach dem Mauerbau und die neu entstandenen Ansätze, Luthers Bedeutung im Kontext der sozialistischen Gesellschaft zu verstehen. Die Entstehung des Martin Luther Komitees und die Würdigung Luthers im Jahr 1983 werden in diesem Kapitel beleuchtet.
Kapitel 5 analysiert die Integration Luthers in das Weltbild der sozialistischen Gesellschaft und die Verschiebung des negativen Lutherbildes hin zu einer komplexeren Betrachtung seiner Persönlichkeit und seiner Bedeutung.
Schlüsselwörter
Lutherbild, DDR, Misere Theorie, Friedrich Engels, Alexander Abusch, Martin Luther Komitee, sozialistische Gesellschaft, Bauernkrieg, Reformator, Fürstenknecht, Geschichtswissenschaft, Ideologie
- Citation du texte
- Knut Kasche (Auteur), 2006, Wandel des Lutherbildes in der DDR - eine Suche nach Motiven, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55526