'Düsteres Auge' und trockene Träne: das Augenmotiv in Heinrich Heines 'Weberlied'


Dossier / Travail, 2006

14 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Poetologische Konnotationen vor dem ‚ Weberlied’
1.1. Formale und motivgeschichtliche Parallelen zu Heines Frühwerk - die Träne in Heines frühen Gedichten
1.2. Heines Romantikkritik – Abwendung von christlichem Spiritualismus und Gegenweltentwürfen

2. Das „Lied der Schlesischen Weber“
2.1. historischer und biographischer Kontext des ‚ Weberliedes
2.2. das „düstere Auge“
2.3. die fehlende träne

Fazit

Einleitung

Das Auge wird, als wichtigstes Sinnesorgan des Menschen, in der Symbolgeschichte mit Licht, Helle, auch geistiger Klarheit assoziiert[1]. Es gilt als „Fenster zur Welt und zugleich Spiegel der Seele“[2] und fungiert damit als Verbindungsstück zwischen der Innenwelt eines Individuums und seinem sozialen Umfeld. Es spielt in der religiösen Symbolik vom alten Ägypten über nordische und östliche Kulte bis zum Christentum eine wichtige Rolle als Zeichenträger für göttliche Weisheit, Allgegenwart sowie - beim Christentum – die Dreifaltigkeit und wird seit der Antike als Metapher „für die Öffnung zum menschlichen Herzen“ verwendet, „durch die das Göttliche Zugang findet“[3]. Im Kontext von Kult und Volksaberglauben fungiert das Auge auch als Machtfaktor, dessen Blick versteinern kann oder als „böser Blick“ mit Zauber zu belegten vermag[4].

Die vorliegende Arbeit untersucht das Augenmotiv in Heinrich Heines 1844 erschienenem, als ‚ Weberlied’ bekannt gewordenem Gedicht „Die schlesischen Weber“[5], indem sie die zunächst die Typologien des Augen- und Tränenmotivs in Heines frühen Gedichten umreißt und nach einer kurzen Skizzierung der historischen Rahmenbedingungen zur Wendung vom „düsteren Auge“ in Bezug zu setzen versucht. Der darin erkennbar werdenden Gegenbewegung zum kulturgeschichtlich und symbolkundlich weiter verbreiteten „positiven Ausdruckswert des Auges“[6] sowie dem Phänomen der fehlenden Träne versucht sie hierbei genauer auf den Grund zu gehen.

1.1. Formale und motivgeschichtliche Parallelen zu Heines Frühwerk – die Träne in Heines frühen Gedichten

Auf die dem ‚ Weberlied’ zugrundeliegende Form des Volksliedes greift Heine bereits im 1927 erschienenen „Buch der Lieder“ zurück, wobei schon dieser frühen Adaption auf Volkslied und seine kunstpoetische Stilisierung mit dem Rückgriff auf das Motiv der fehlenden, zurückgehaltenen Träne eine Abgrenzung von der „schlichten Mentalität des Volksliedhaften“[7] und dessen romantischer Verklärung eingeschrieben ist: im Achtzeiler „Wenn zwei voneinander scheiden...“[8] setzt er einem Zitat aus ‚Des Knaben Wunderhorn’, das die tränenreiche Trennung zweier Liebender zum Thema hat, die tränenlose, aber umso schmerzhaftere Trennung des lyrischen Ich als Kontrast gegenüber und verweist damit auf die zur Konvention erstarrte Emotionalisierung des romantischen Kunstliedes. Die sich hier abzeichnende Entzweiung zwischen einer in ihrer „Wahrheitsfähigkeit“[9] fragwürdig gewordenen lyrischen Verklärung und der Erfahrungswirklichkeit des modernen Subjekts äußert sich in „Wahrhaftig“[10] ebenfalls als Gegenüberstellung unter Rückgriff auf das tradierte positive Augenmotiv: „Blümelein“ und „Äuglein“, bereits durch Diminutive ironisch gebrochen, geraten in den letzten beiden Strophen zu „Zeug“, das zwar gefallen mag, aber noch lang „keine Welt“ macht.

Wo die Träne fließt, wird sie häufig entweder in symbolgeschichtlich kanonisierte Mythologie eingewoben oder in den Rahmen einer romantischen Mysthisierungsästhetik gestellt: zum letzteren Feld gehören jene Gedichte, die die fliessende Träne in das Reich der Träume verlagern: In „An eine Sängerin“[11] entlockt eine „Zaubervolle“ dem lyrischen Ich Tränen, die ihn sogleich in einen Traum einweben - mit dem Tränenfluss wird das Subjekt seiner Sinne beraubt aus der realen Umgebung in die Welt der Märchen und Rittersagen versetzt - die Träne fungiert hier als Vehikel zur von ihm bereits ironisch-distanziert betrachteten mittelalterlichen Sagenwelt und ihrer spätromantischen Idealisierung.

Die Verbindung von Träne und Traum im Kontext unerfüllter Liebessehnsucht tritt in den ‚Romanzen’ und ‚Lyrischen Intermezzo’ an mehreren Stellen auf: In „Da ist ein Brausen und Heulen“[12] sieht er das Auge der Geliebten zwar „gefüllt mit Tränen“, wie es in die Nacht hinein „starrt“, doch nur als Vorstellung. In „Der Traumgott bracht mich in sein Riesenschloß“[13] bricht zwar aus den Augen der Geliebten der „süße Brand“, doch unter ihrem Blick erwacht das lyrische Ich im letzten Vers. Auch in „Ich hab im Traum geweinet“[14] entspringt die Träne der Sphäre Schlaf und Traum. An die Verbindung zwischen ironischer Distanzierung und der Verwendung von Diminutiva in „Wahrhaftig“ erinnern auch die „Perlenthränentröpfchen“ aus „Allnächtlich im Träume seh ich dich“[15], die ebenfalls nur im Traum den Augen des „wehmütiglich“ dreinschauenden „blonde[n] Köpfchen[s]“ entsprießen, bis das Ich aufwacht. Ähnlich in „Im nächt´gen Traum...“[16], einem Sonett aus dem Abschnitt „Traumbilder“: auch hier fliessen die „bitt´re[n] Thränen“ aus den „süße[n] Augen“, „fromme[n] Liebessternen“ der Geliebten nur in einer dem realen Jetzt entrückten Traumwelt. In der Kluft zwischen Realität und Wunschtraum tritt das petrarkische Element unerfüllbarer Liebe in Heines früher Liebesdichtung[17] als ein häufig aufgegriffener Topos auf, in dessen Umfeld die Träne zum Symbol für Erfüllungsersatz fungiert: als Zeichen entkörperlichter, seelisch-reiner Liebesempfindung wird sie zum Kompensationssymbol für sexuelles Begehren, das selbst in chiffrierter Form als „poetische Konvention der extremen Form“[18] in den meisten frühen Gedichten Heines nur in einer irrealen Parallelwelt ungebremst fließen kann.

In „Lehn deine Wang´ an meine Wang´“[19] aus dem Abschnitt „Lyrisches Intermezzo“ tritt dieser Kompensations- und Sublimierungscharakter des Tränenmotivs deutlich zu Tage: die Vereinigung zwischen lyrischem Ich und der angesungenen Geliebten wird als Zusammenfluss von Tränen geschildert, die hyperbolisch als „Strom von unseren Thränen“[20] Gestaltung finden. Und während die Träne in „Aus meinen Thränen sprießen“[21] noch als lebensspendende Kraft erscheint, aus der „blühende Blumen“ hervorsprießen, wird in den „Reisebildern“ deren Negation zur giftigen Träne: als das lyrische Ich in die Stadt zurückkehrt, die von der einstigen Geliebten längst verlassen wurde, sind an der Stelle, wo sie ihm „Treue geschworen / wo einst ihre Thränen gefallen / [...] Schlangen hervorgekrochen“[22]: das Gift der Träne beim falschen Schwur verbindet sich mit dem Tiersymbol der falschen Schlange zu einem Motivkomplex, das mit der Vorstellung von der „giftigen Seele“[23] in Volkssage und biblischer Mythe verwurzelt bleibt und damit auch hier die Rolle des Verbindungselements zu einer entrückten Welt spielt, in der die Verknüpfung zwischen „Herz und Auge“[24], zwischen Sein und Schein der lyrischen Figuren entweder noch intakt ist oder es zumindest im Nachhinein zu einer Deckung zwischen Handlung und Konsequenz kommt - in der Schlangensymbolik, die Falschheit wenn schon nicht strafen, so zumindest kenntlich machen kann, bleibt das Motiv eingebettet in den Formelkanon des romantischen Liebeskonzepts, das im „Traumhaft-Werden der Welt [als] romantische Konsequenz des Verlusts [von] Sozialwelt“[25] mit Entrückung und Traummetaphorik auf Weltverlust antwortet. Die in der Tradition des romantischen Liebesmodells[26] fußende Überhöhung seelischer Verklärungsmuster gegenüber dem erotischen Moment führt auf diesem Wege zur Gestaltung einer „absolute[n] Liebessehnsucht“[27], die in ihrer Unerfüllbarkeit zum Bruch zwischen real Erlebtem und poetischem Wunschbild als Spannungszustand führt, der durch die Versetzung von Sublimierungsbildern und Kompensationsvorstellungen in Traum-, Märchen- und Mythenwelten eben diese Unerfüllbarkeit mit ins poetisch geschaffene Bild setzt. Diese petrarkische „Spiritualisierung“[28], die sich in die Tradition empfindsamer Lyrik, auch an Vorbilder Klopstocks und Schillers anlehnend, fügt, bildet eines der Grundmuster für das „Buch der Lieder“.

So treffen in Heines früher Dichtung verschiedene Modelle poetisch umgesetzter Entfremdungserfahrungen zwischen realer Umwelt und unerfüllbarem Wunschbild aufeinander, wobei die Intaktheit und Abgerücktheit der zwischen ersten ironischen Brechungen und Distanzierungen entstehenden poetischen Gegenwelt sich mit der christlichen Vorstellung deckt, im Jenseits Erfüllung des hiesseits Unmöglichen zu finden[29]: setzt man diesen frühen Konnotationsrahmen in Bezug zum Augenmotiv im ‚ Weberlied’, wird in der Gegenbewegung, als welche sich vor diesem Hintergrund das dezidiert „düstere“ Auge und die ausdrücklich nicht fließende Träne darstellt, eine Abwendung von Formelkanon, Thematik, Epochenkonvention und religiöser Verklärung der romantisch geprägten Ausgangsposition deutlich, von der die Hinwendung zum Diesseitigen, zum zuvor verlustig gegangenen sozialen Kontext begleitet wird: Das „Zeug, das noch lang keine Welt macht“[30] findet sich im ‚ Weberlied’ eingetauscht gegen das Zeug, das in der Welt gemacht wird.

1.2. Heines Romantikkritik - Abwendung von christlichem Spiritualismus und Gegenweltentwürfen

Während Heine bereits 1926 in einem Brief der „einigermaßen volksthümlich[en] Form“ im „Buch der Lieder“ ihren „der conventionellen Gesellschaft“ angehörenden Inhalt gegenüberstellt[31], greift er seine frühe Begegnung mit den die Romantik prägenden Einflüssen Volkslied, Mittelalter und christliche Mythologie – eine Begegnung, die sich „vor dem Hintergrund seiner Düsseldorfer Jugendzeit abspielte und zu enger Identifikation des Jünglings mit den mittelalterlich gestimmten Balladen führte“[32] - in seiner 1833 bereits in Paris verfassten „Romantischen Schule“ aus einer zeitlichen und räumlichen Distanz auf, die sich in entschiedener Kritik gegenüber dem christlich-katholischen „absoluten Spiritualismus“ äußert, der durch „die Verdamniß allen Fleisches [...] dieses ganz abtöten will um den Geist zu verherrlichen“ und der „durch die Lehre von der Verwerflichkeit aller Güter, von der auferlegten Hundedemuth und Engelsgeduld, die erprobteste Stütze des Despotismus geworden“ war[33].

[...]


[1] Vgl. Biedermann 1989, S. 42.

[2] Lurker 1991, S. 61.

[3] Daemmrich 1987, S. 62.

[4] Vgl. Biedermann 1989, S. 42-43.

[5] Heine, Heinrich: „Die schlesischen Weber“. Historisch-kritische Gesamtausgabe (= DHA), Bd. 2. S. 150.

[6] Vgl. Biedermann 1989, S. 42.

[7] Preisendanz 1996, S. 559.

[8] Heine: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo XLIX; DHA 1/I S. 183.

[9] Preisendanz 1996, S. 559.

[10] Heine: „Wahrhaftig“. Buch der Lieder, Romanzen XX; DHA 1/I, S. 113

[11] Heine: „An eine Sängerin.“ Buch der Lieder, Romanzen XVI. DHA 1/I, S. 105-107.

[12] Heine: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo LVII; DHA 1/I, S. 191.

[13] Heine: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo LIX; DHA 1/I, S. 193.

[14] Heine: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo LV; DHA 1/I, S. 189.

[15] Heine: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo LVI; DHA 1/I, S. 189.

[16] Heine: Buch der Lieder, Traumbilder III. DHA 1/I, S. 25.

[17] Die Bezüge zwischen Heines früher Liebeslyrik und der petrarkischen Tradition stellt Manfred Windfuhr in seinem Artikel „Heine und der Petrarkismus“ anschaulich dar: Windfuhr 1975, S. 207-231.

[18] Reed 2000, S. 186. T.J. Reed verweist in diesem Zusammenhang auf die in Heines poetischen Formeln steckende „Verselbständigung“ körperlicher Einzelmotive wie Augen und Lippen zu zunehmend selbständig handelnden Organen, die „immer mehr von den sie tragenden Personen“ getrennt zu sein scheinen: vgl. S. 186-188.

[19] Heine: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo VI. DHA 1, S. 139.

[20] Diese stilistische, für die Empfindsamkeit typische Figur zeigt Parallelen zur Funktion des Tränenmotivs in Goethes „Werther“-Abschiedsszene, wenngleich vom positivistischen Standpunkt aus ein direkter Einfluß des Briefromans auf das „Buch der Lieder“ unsicher ist: von einer frühen „Werther“-Rezeption Heines kann nach Ulrich Maché kaum gesprochen werden - bis mindestens 1824 war Heine der „Werther“ offenbar unbekannt (vgl. Maché 1965, S. 45), das Gedicht wurde als fünfteiliger Zyklus bereits 1822 gedruckt (vgl. DHA 1/II, S. 781).

[21] Heine: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo II. DHA 1/I, S. 135.

[22] Heine: Buch der Lieder, die Heimkehr XIX. DHA 1/I, S. 229.

[23] Gunter E. Grimm zeichnet die Verbindung zwischen der neuplatischen Theorie vom zwischen Auge und Auge überspringendem Lebensstrahl und dem Volksaberglauben vom „bösen Blick“, in dem sich die „giftige Seele“ weitervermittelt, nach. Vgl. Grimm 2000, S.96.

[24] In der französischen und deutschen Klassik werden die Motive Auge und Herz fest miteinander verbunden. Vgl. Daemmrich 1987, S. 62.

[25] Götze 1999, S. 38

[26] Manfred Windfuhr nennt neben den Liebesmodellen in anachreontischer und perarkischer Tradition die formelhafte Liebeskonzeption des Volksliedes und das romantische Liebesmodell zu den um 1820 dominierenden Konzeptionen der Liebesdichtung. Das romantische Modell beruhte „auf der Harmonie zweier Individuen, aber mit dem Akzent auf der Seelenliebe“ (Windfuhr 1975, S. 208).

[27] Götze 1999, A.a.o.

[28] Windfuhr 1975, S. 228. Zur petrarkischen gerät auch christliche Spiritualisierung in den Zusammenhang der Einflüsse, die in das ‚Buch der Lieder’ eingeflossen sind: so zeichnet Beate Perrey in ihrem Beitrag die Zusam-menhänge zwischen dem Hohelied und Heines Zyklus „Lyrisches Intermezzo“ nach: Perrey 1997, S. 846-857.

[29] Manfred Windfuhr verweist mit Hinweisen auf Novalis und Hölderlin in diesem Zusammenhang auf die „religiöse Bindung der Romantik“, die die „Fortsetzung der Liebe auch im Jenseits ein[bezieht]. Wenn es im Diesseits nicht zur Erfüllung kommt, so wird sich die liebe im Jenseits vollenden“ (Windfuhr 1975, S. 208).

[30] [30] Heine: „Wahrhaftig“. Buch der Lieder, Romanzen XX; DHA 1/I, S. 113. vgl. Anm. 10, S. 3.

[31] Heine: Brief an Wilhelm Müller vom 7.6.1926. Briefe Bd. 1, S. 192.

[32] DHA Bd. 8/2. Kommentar zur „Romantischen Schule“, S. 1025.

[33] Heine: Die Romantische Schule. DHA 8/I, S. 127.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
'Düsteres Auge' und trockene Träne: das Augenmotiv in Heinrich Heines 'Weberlied'
Université
Free University of Berlin  (Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft)
Cours
Seminar zum Tränenmotiv in der abendländischen Literaturgeschichte
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
14
N° de catalogue
V55581
ISBN (ebook)
9783638504881
ISBN (Livre)
9783638819992
Taille d'un fichier
566 KB
Langue
allemand
Mots clés
Düsteres, Auge, Träne, Augenmotiv, Heinrich, Heines, Weberlied, Seminar, Tränenmotiv, Literaturgeschichte
Citation du texte
Anna Panek (Auteur), 2006, 'Düsteres Auge' und trockene Träne: das Augenmotiv in Heinrich Heines 'Weberlied', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55581

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