Der Titel der Erzählung, Doktor Gräsler, Badearzt, scheint bereits auf den ersten Blick wie beliebig aus einem Telephonbuch herausgegriffen zu sein. Dies ist auffällig und legt nahe, dass der Beruf für den Protagonisten wie auch für die Erzählhandlung von besonderer Bedeutung sein dürfte. In diesem Zusammenhang findet sich auch in Schnitzlers bereits 1900 veröffentlichten Erzählung Leutnant Gustl eine Berufsnennung bereits im Titel, deren zentrale Bedeutung für die Handlung schnell deutlich wird. Nicht nur werden Erscheinungen dekadenter Daseinsform des fin de siècle vorzugsweise Angehörigen der Offizierskaste zugeschrieben. Auch spielt diese Zugehörigkeit für Gustl selbst eine fundamentale Rolle, bildet sie doch die Grundlage für jenen zweifelhaften Ehrbegriff, der eine Duellierung mit seinem Widersacher notwendig zu machen scheint. Im Falle von Doktor Gräsler, Badearzt nun ist – wenn auch nicht die Zugehörigkeit zur Ärzteschaft als solcher – der Status als „Badearzt“ durchaus negativ konnotiert, unterstellt man doch den in Kuranstalten und Ferienorten praktizierenden Medizinern eine besondere Affinität zur eher wohlhabenden und zahlungskräftigen Klientel, wenn nicht gar die Neigung, einen ethischen Beruf vorrangig aus Profitlichkeit ergriffen zu haben. Dass sich Gräsler einer Einordnung seines Status als Arzt in einen bereits am Rande der Professionalität angesiedelten Bereich außerhalb der wissenschaftlichen Medizin durchaus bewusst ist, zeigt C.E.J. Brinson auf: „In the company of other doctors Gräsler is aware of his low standing as an itinerant and fundimentally uncommitted ‚Badearzt‘.“ Nach Ansicht von Michaela L. Perlmann handelt es sich gar um die Furcht „vor dem Berufsrisiko der Ansteckung, daß sie (die Ärzte, M.M.) lieber Ausschau nach den einträglichen, leichten Fällen halten, als sich der prekären Fälle anzunehmen“. Vielleicht mag der Autor auch die Absicht gehabt haben, im Leser bereits bei der Rezeption des Titels eine unterschwellige Abneigung, eine Vorahnung von Zweitrangigkeit des Protagonisten oder den Keim des Verdachts einer Charakterschwäche des Doktor Gräsler zu legen.
Inhaltsverzeichnis
- Zur Titelgebung
- Zur Entstehung
- Ein Leitmotiv
- Die Frauen und ihre Rollen
- Friederike
- Sabine
- Katharina
- Frau Sommer
- Doktor Gräsler: Der Arzt
- Solipsismus, Kleinbürgertum und Décadence
- Solipsismus und Egoismus
- Kleinbürgertum
- Décadence und Impressionismus
- Wetteraspekte
- Deutungsaspekte
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Erzählung „Doktor Gräsler, Badearzt“ von Arthur Schnitzler beleuchtet die Lebenswelt eines alleinstehenden Arztes im Kontext des fin de siècle. Der Text untersucht die Ambivalenz von Gräslers Existenz zwischen Solipsismus und den Konventionen des Kleinbürgertums und hinterfragt die soziale und ethische Rolle des Arztes im Wandel der Zeit.
- Die Bedeutung des Berufes für die Persönlichkeit und das Verhalten des Protagonisten
- Das Spannungsfeld zwischen Individualismus und gesellschaftlicher Integration
- Die Darstellung von Frauenrollen im Kontext der damaligen Zeit
- Die Ambivalenz der Arzt-Patienten-Beziehung
- Die Bedeutung von Dekadenz und Impressionismus in der Erzählung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Erzählung beginnt mit der Abreise Doktor Gräslers von der Insel Lanzarote, wo er als Badearzt praktiziert. Der Direktor der Klinik rät ihm, eine Frau aus Deutschland mitzubringen, um dem Alleinsein zu entgehen. Diese Äußerung löst in Gräsler einen Wunsch nach einer Partnerin aus, der ihn während der Schiffsreise begleitet. Die folgenden Kapitel zeichnen ein komplexes Bild von Gräsler als Arzt und Mensch. Seine Beziehungen zu verschiedenen Frauen werden beleuchtet, darunter die verheiratete Friederike, die impulsive Sabine und die introvertierte Katharina. Gräslers Verhalten wird ambivalent dargestellt, geprägt von einer Mischung aus Solipsismus, Sehnsucht nach Nähe und den Konventionen des Kleinbürgertums.
Schlüsselwörter
Die Erzählung behandelt zentrale Themen wie Solipsismus, Kleinbürgertum, Décadence, Arzt-Patienten-Beziehung, Frauenrollen, Impressionismus und die Ambivalenz von Individualismus und gesellschaftlicher Integration. Diese Konzepte werden im Kontext der Lebenswelt eines Badearztes im fin de siècle erörtert und hinterfragen die ethischen und gesellschaftlichen Normen des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
- Citar trabajo
- Matthias Mühlhäuser (Autor), 2005, Arthur Schnitzler: "Doktor Gräsler, Badearzt" - Zwischen Solipsismus und Kleinbürgertum, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55791