Wilhelm Meisters Wandel - Im besonderen die Bildung des Protagonisten durch die Hamlet-Rezeption und die Turmgesellschaft


Seminar Paper, 2001

20 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis:

1 Einleitung

2 Parallelen zwischen Goethe und dem Protagonisten Wilhelm Meister/ Der Typus Bildungsroman

3 Die Entwicklungsschritte Wilhelms bis zur Premiere

4 Wilhelm und Shakespeare
4.1 Der Kontakt mit Shakespeare/ Erste Berührungspunkte
4.2 Die Entscheidung zur Aufführung und deren Form
4.3 Die Premiere des Hamlet – im besonderen Wilhelm Meister als Hamlet
4.4 Ein kurzes Resümee – welchen Einfluss hat Hamlet auf Wilhelm?

5 Turm und Sozietät
5.1 Der Ursprung von Turm und Sozietät im Roman und in der Realität
5.2.1 Die Turmgesellschaft
5.2.2 Die Sozietät
5.3 Die Turmgesellschaft contra Shakespeare?

6 Schluss

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Ziel der Arbeit soll es sein, die Entwicklung des „Helden“ zu analysieren. Vor allem den Einfluss der Shakespeare-Rezeption explizit des Hamlets auf den Charakter Wilhelm Meister gilt es zu ermitteln und wie die Turmgesellschaft auf ihn zu wirken versucht.

In Punkt 2 werden Zweck und Inhalt eines Bildungsromans diskutiert und Parallelen zu Goethes Biographie gezogen, d.h. es wird ein Fundament für das Textverständnis gesetzt.

Punkt 3 behandelt wichtige Entwicklungsschritte bis zu Wilhelms Aufführung von Shakespeares „Hamlet“. In 4.1 schließlich wird der erste Kontakt mit Shakespeare und die ungeheure Wirkung dessen auf Wilhelm erläutert und 4.2 verarbeitet Wilhelms Übersetzung und Umarbeitung des Shakespeare-Stoffes. Unterpunkt 4.3 dient der Betrachtung der Premiere und fokussiert auf Wilhelm in der Rolle Hamlets. 4.4 fasst in einem kurzen Resümee die Wirkungsmöglichkeiten Hamlets auf Wilhelm zusammen.

Der weitere Verlauf des Textes soll sich den Rollen der Turmgesellschaft bzw. der Sozietät widmen und deren pädagogische Ambitionen in Bezug auf Wilhelm klären:

5.1 betrachtet die weitere Geschichte des Romans bis Wilhelm sich endgültig im direkten Einfluss des Turms und schließlich der Gesellschaft um Lothario, der Sozietät, befindet; in einem kurzen Exkurs werden die Quellen dieser Gesellschaften im Leben Goethes gesucht. 5.2.1 und 5.2.2 gehen auf das pädagogische Wirken des Turms bzw. der Sozietät ein. Gliederungspunkt 5.3 untersucht, wie die Turmgesellschaft auf Wilhelms Identifikation mit Hamlet Einfluss nimmt und seinen Theater-Dilettantismus bekämpft.

Da das Thema Identifikation ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit ist, scheint es hier angebracht eine Definition zu geben:

Identifikation beschreibt das Duden-Fremdwörterbuch als „emotionales Sichgleichsetzen mit einer anderen Person oder Gruppe und Übernahme ihrer Motive und Ideale in das eigene Ich“.

Interessant für „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ sind allerdings die Unterschiede, die trotz der Identifikation vorhanden sind. Denn diese treten dann im Kontrast um so deutlicher hervor und zeigen die Unterschiede zwischen den Charakteren auf.

2 Parallelen zwischen Goethe und dem Protagonisten Wilhelm Meister/ Der Typus Bildungsroman

Eine Inspirationsquelle für die Figur Wilhelm Meister lässt sich auf Goethes Italienreise finden; dort traf Goethe Karl Philipp Moritz, der von einem „unklaren Drang zum Theater[1]

beseelt war, was Goethe wohl zu der Konstruktion des Charakters, wie er vor allem in „Wilhelm Meisters Theatralische Sendung“, aber z.T. auch in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ zu finden ist, anregte.

Auch scheint die Entwicklung des Protagonisten von der Theatralischen Sendung[2] zu den Lehrjahren, die ja eine modifizierte Weiterführung der TS sind, bemerkenswert:

In den Lehrjahren findet keine eindimensionale Fixierung auf die Theatersphäre und die Shakespeare-Rezeption statt. Wilhelm Meister hat sich in eine amorphe Figur gewandelt, deren Ziel es ist, durch zunehmende Selbst- und Weltkenntnis, auf eine höhere Entwicklungsstufe zu gelangen.

Die Lehrjahre sind also mehr als eine bloße Projektion von Goethes Shakespearebegeisterung. Hier fließen viele verschiedene Motive und Erfahrungen ein, welche die Figur Wilhelm Meister ganz entscheidend mitprägen: Goethes Theaterpraxis verwebt sich mit seiner Shakespeareinterpretation, sodass Wilhelm Meisters Charakter nicht mehr nur eine idealisierte Theorie wiederspiegelt.

Daneben eröffnete die Loslösung des Autors vom religiösen Bildungsideal schließlich die Möglichkeit, die „Gestaltung-Umgestaltung“ eines sich selbst entwickelndes Individuums darzustellen, wie sie in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ stattfindet.

Erst dadurch wird aus dem biographischen Roman ein Bildungsroman bzw. aus dem Theaterroman ein Lebensroman: „Wilhelm Schüler“ soll zu „Wilhelm Meister“ werden.

Ganz in diesem Sinne hat Goethe den Charakter Wilhelm ganz dem Bedürfnis seiner Dramen- und Romantheorie angepasst, die hier in aller Kürze dargelegt werden:

Im Roman werden Gesinnungen und Begebenheiten dargestellt und die Handlung geht langsam voran. Die Hauptfigur ist leidend und „nicht im hohen Grade wirkend[3], passiv, und unterliegt eher dem Zufall.

Im Drama stehen Charaktere und Taten im Vordergrund und die Handlung eilt voran. Der Hauptcharakter drängt aktiv nach dem Ende und hat keine Möglichkeit Veränderungen im Verlauf zu erreichen, da er dem Schicksal unterliegt.

Am Beispiel des Kontrastpaares Schicksal – Zufall lässt sich exemplarisch die Entwicklung vom „Drama-“ zum „Romanhelden“ belegen:

So sieht sich Wilhelm bis zur Premiere des Hamlets immer wieder mit dem Schicksal konfrontiert: „[E] r erkannte den Wink eines leitenden Schicksals an diesen zusammentreffenden Umständen[4], „Und muß ich nicht das Schicksal verehren, das mich ohne mein Zutun an das Ziel aller meiner Wünsche führt?[5]. Dieser Schicksalsglaube wandelt sich, vor allem unter der Anleitung des Turms, immer mehr zu einem romankonformen Bekenntnis zum Zufall, denn Wilhelm fragt später im Gespräch mit dem Kunstfreund: „U nd das, was wir Schicksal nennen, soll es bloß Zufall sein?[6]

Goethe hat den Charakter also nicht nur seiner Theorie entsprechend „geformt“, er hat ihn sich bewusst plakativ verändern lassen.

Das Wort Schicksal in seiner Verwendung als „die Lebensumstände bestimmende Instanz“, wird allerdings nur in Verbindung mit dem Drama bzw. den tragischen Gestalten Harfners und Mignons verwendet[7]. Durch die Einschränkung des Begriffs wird der Kontrast zwischen Drama und Roman noch verstärkt und die dramatischen Momente und Gestalten treten deutlicher hervor.

3 Die Entwicklungsschritte Wilhelms bis zur Premiere

Die Begegnung und das Spiel mit dem Puppentheater im ersten Buch, stellen eine erste Emanzipation dar; Wilhelm Meister lehnt die pädagogischen Maßnahmen[8] und die bürgerliche Geschäftswelt ab, in deren Kreis sich sein Vater bewegt.

Er versucht sich also in Opposition zu seinem Vater, wenn er sich im Puppenspiel „David gegen Goliath“ mit dem David identifiziert, der den Riesen Goliath, also seinen Vater, besiegt.

Die Repräsentation durch Besitz bzw. durch Kunst wird im Umgang mit dem Nachlass des Großvaters demonstriert: Für den Vater zählen rein ökonomische Interessen und so werden die Gegenstände bald möglichst verkauft; im Kontrast dazu stehen die Ansichten Wilhelms, der sich mit dem Bild vom kranken Königssohn[9] emotional verbunden fühlt: Es hat deshalb einen ästhetischen, künstlerischen Wert für Wilhelm.

Aus Opposition und nicht nur aus Eignung oder Neigung, entwickelt Wilhelm demnach einen Hang zur Kunst bzw. zum Theater.

Ebenso prägend für Wilhelm Meister ist seine dialektische Beziehung zu Werner:

Wilhelm wird von diesem immer wieder in Erklärungsnot gebracht, von Außen analysiert und muss immer wieder Stellung beziehen und sich entscheiden: „Wer hätte gedacht, dass ein Brief von Wernern, der im ganz entgegengesetztem Sinne geschrieben war, ihn endlich zu einer Entscheidung hindrängen sollte.[10] So sorgt Werner als Antipode dafür, dass sich Wilhelm gegen ein klein-bürgerliches Leben und für die Schauspieler- bzw. Regisseurstätigkeit in Serlos Truppe entscheidet.

Die Beziehung zu Marianne stellt, wie alle anderen Verbindungen des Protagonisten zu Frauen, eine Spiegelung seiner inneren Verhältnisse dar. Sie bewegen sich in Kreisen, die Wilhelms aktuelle Entwicklungsstufe repräsentieren. Er ist sowohl in den Menschen als auch in die Schauspielerin Marianne verliebt und vermengt diese Gefühle, was zu einer undifferenzierten Glorifizierung der Schauspielkunst führt: Seine erste Geliebte symbolisiert Wilhelms Einstieg in den emotional geprägten Theaterdilettantismus.

Das 1799 von Schiller und Goethe entworfene Dilettantismusschema unterscheidet zwischen sieben verschiedenen Kunstrichtungen und als Bewertungskriterien werden der Nutzen bzw. Schaden für den Dilettanten selbst, für die Kunst im allgemeinen und für sowohl In- als auch Ausland analysiert. „Im Hinblick auf Wilhelm ist es von besonderem Interesse, daß dem Dilettantismus in der Poesie und der Schauspielkunst weitaus größere Gefahren zugesprochen werden, als in den anderen Kunstbereichen. Die Tendenz des Theaterdilettanten zur Identifikation führt am weitesten vom klassischen Kunstideal der Beherrschung des Stoffs weg, führt zur „Karikatur der eigenen fehlerhaften Individualität.““[11].

Auch die Liebe zur Gräfin, als er im zweiten Buch mit der ersten Schauspielgruppe auf dem Schloss des Grafen tätig ist, stellt eine Entwicklungsstufe auf Wilhelms Bildungsweg dar; er fühlt „in Anlehnung an das Ideal adliger Repräsentation[12] den „Trieb, [...] eine öffentliche Person zu sein, und in den weiteren Kreise zu.[13]

Der Adel, v.a. die Gräfin, sind für Wilhelm ein weiterer Katalysator sich für das Theater zu entscheiden, denn das Schauspielen scheint die einzige Möglichkeit ohne Adelstitel zu einer öffentlichen Person zu werden. Zudem wird hier Wilhelms Problem zunehmend transparent:

Er ist nämlich gar nicht in der Lage jemanden zu repräsentieren, er identifiziert sich ständig mit anderen Personen.

[...]


[1] Wundt, Max: Goethes Wilhelm Meister und die Entwicklung des modernen Lebensideals. Berlin und Leipzig: 1913. S. 170.

[2] Im Weiteren mit TS abgekürzt.

[3] Goethe, Johann Wolfgang: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Stuttgart: 1982. S. 320f.

[4] Goethe. 1982. S. 41.

[5] Ebd.. S. 287.

[6] Ebd.. S. 517.

[7] Vgl. Haas, Rosemarie: Die Turmgesellschaft in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Zur Geschichte des Geheimbundromans und der Romantheorie im 18. Jahrhundert. Frankfurt a. M.: 1975 (= Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Reihe B. Untersuchungen. Bd. 7). S. 49.

[8] So ist Wilhelms Vater der Meinung, „man müsse [die Kinder] nicht merken lassen, wie lieb man sie habe [...], man müsse bei ihren Freuden ernst scheinen und sie ihnen manchmal verderben, damit ihre Zufriedenheit sie nicht übermäßig und übermütig mache.“ (Goethe. 1982. S. 18f.)

[9] Es behandelt die Geschichte von Antiochus und Stratonike: Antiochus, der Sohn des Syrer-Königs Seleukos I., verliebt sich unsterblich in die junge, schöne Gemahlin Stratonike seines Vaters. Als Antiochus vor Liebe zu sterben droht, tritt der Vater seine Frau an den Sohn ab. Das Bild zeigt Antiochus auf dem Krankenlager, dessen Puls gerade gemessen wird. Der Arzt kann die Gefühle des Patienten für die Ehefrau des Vaters wahrnehmen, denn der Puls des Königsohns steigt, als Stratonike eintritt. (Vgl.: Nolan, Erik: Wilhelm Meisters Lieblingsbild: Der Kranke Königsohn. In: Berichte des Freien Deutschen Hochstifts 1861-1901. Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1902-1940. Neue Folge seit 1962. (1972). S.132f.)

[10] Goethe. 1982. S. 297.

[11] Eigler, Frederike: Wer hat ‚Wilhelm Schüler’ zum ‚Wilhelm Meister’ gebildet? Wilhelm Meisters Lehrjahre und die Aussparungen einer hermeneutischen Verstehens- und Bildungspraxis. In: Goethe Yearbook Volume III. Publications of the Goethe Society of North America. (1986). S. 93–119.

[12] Eigler. 1986. S. 106.

[13] Goethe. 1982. S. 303.

Excerpt out of 20 pages

Details

Title
Wilhelm Meisters Wandel - Im besonderen die Bildung des Protagonisten durch die Hamlet-Rezeption und die Turmgesellschaft
College
University of Freiburg  (Philosophische Fakultät)
Course
Zur Rezeption und Adaption von Shakespeares Hamlet
Grade
2,0
Author
Year
2001
Pages
20
Catalog Number
V5583
ISBN (eBook)
9783638134187
File size
556 KB
Language
German
Notes
Die Hausarbeit wurde noch einmal im Groben überarbeitet. Viel Verbesserungsarbeit gab es bei einer 2,0 glücklicherweise nicht zu tun ,-). 171 KB
Keywords
Shakespear Rezeption Wilhelm Meister Goethe Turmgesellschaft Sozietät Bildungsroman Illuminaten
Quote paper
Philip Baum (Author), 2001, Wilhelm Meisters Wandel - Im besonderen die Bildung des Protagonisten durch die Hamlet-Rezeption und die Turmgesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5583

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