Der Blindenführhund als erweiterndes Wahrnehmungsorgan


Hausarbeit, 2006

58 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Beziehung zwischen Mensch und Hund
1.1. Die Fähigkeit zur Kooperation – Der Hund als soziales Lebewesen
1.2. Die Wahrnehmungssinne des Hundes (im Vergleich zu denen des Menschen)

2. Blinde und Mobilität
2.1. Definition Blindheit
2.2. Die Auswirkungen einer Erblindung oder starken Sehbehinderung
2.3. Die Orientierung und Mobilität des Erblindeten

3. Der Blindenführhund
3.1. Die Ausbildung eines Blindenführhundes

4. Die Zusammenarbeit zwischen dem Blinden und dem Blindenführhund

5. Diskussion

6. Anhang
6.1. Interview mit Ulrike Krüger
6.2. Interview mit Herrn V

7. Literaturverzeichnis

8. Verzeichnis weiterer Quellen
8.1. Internet
8.2. Korrespondenz mit Führhundschulen
8.3. Persönliche Kontakte

Einleitung

Der Blindenführhund erbringt als „lebendes Wahrnehmungsorgan“ eine außerordentliche Leistung: er führt seinen Menschen sicher durch die Öffentlichkeit, verschafft dem Blinden eine neue Mobilität und Lebensqualität und erleichtert ihm dadurch den Umgang mit seiner Behinderung.

Das Ziel meiner Arbeit ist es, zu erläutern, aus welchem Grund sich der Hund besonders dazu eignet, die „Wahrnehmungslücke“, die aufgrund des fehlenden Augenlichts beim blinden Menschen entsteht, zu füllen. Es soll verdeutlicht werden, welch nützliche Hilfe ein Führhund einem Blinden sein kann, da er viele Schwierigkeiten im täglichen Leben eines Blinden vereinfacht oder sogar löst.

Die Grundlage eines gut funktionierenden Führgespanns liegt im Verständnis der besonderen Art der Mensch-Tier-Beziehung, die zwischen dem Hund und „seinem“ Menschen besteht. Daher dient das erste Kapitel dazu, einen kurzen Einblick in diese Form der Beziehung zu vermitteln. Um beurteilen zu können, inwieweit ein Hund einem blinden Menschen als „erweiterndes Wahrnehmungsorgan“ dienen kann, wird anschließend untersucht, wie ein Hund seine Umwelt wahrnimmt und inwieweit sich diese Wahrnehmung von der Welt, wie wir Menschen sie wahrnehmen, unterscheidet.

Da die gesundheitlichen (und auch psychischen) Verhältnisse eines blinden Menschen eine entscheidende Rolle bei der möglichen „Ausstattung“ mit einem Führhund spielen, gehe ich im zweiten Kapitel kurz auf die Definition des Ausdrucks „blind“, sowie auf die Unterschiede, die zwischen Geburtsblinden und Späterblindeten bestehen, ein. Die Ausführungen zur Orientierung und Mobilität des Erblindeten sollen die auftretenden Schwierigkeiten und Probleme, die sich aus seiner Situation ergeben, verständlich machen.

Im dritten Kapitel soll die Darstellung der Ausbildung eines Hundes zum Blindenführhund veranschaulichen, welche Fähigkeiten der Hund zum Zeitpunkt der Übergabe an den Blinden besitzen sollte.

Im abschließenden vierten Kapitel steht die direkte Zusammenarbeit zwischen dem ausgebildeten Führhund und dem blinden Menschen im Mittelpunkt. Es soll deutlich werden, welche Möglichkeiten der Hund dem Menschen bietet und wie sie zusammen als sich ergänzendes Team erfolgreich agieren können.

Im Anhang werden zwei Interviews mit Führhundhaltern aufgeführt, welche praxisnah veranschaulichen sollen, inwieweit ihre Führhunde eine Hilfe für sie darstellen.

1. Die Beziehung zwischen Mensch und Hund

1.1. Die Fähigkeit zur Kooperation – Der Hund als soziales Lebewesen

Die Beziehung zwischen Menschen und Tieren sowie die Stellung des Tieres in der Gesellschaft sind jeher geprägt von der soziokulturellen Entwicklung des Menschen.

Aufgrund der ähnlichen sozialen Organisationsform von Hund und Mensch ist das Zusammenleben beider Arten seit langem bewährt. Das Verhalten von Hunden ist durch die Sozialordnung im Rudel geprägt. In einer Familie oder auch mit nur einem Menschen als Partner ist der Hund prinzipiell eingepasst wie in ein Rudel von Artgenossen. Laut Urd Feddersen-Petersen liegt aber kein echter Zoomorphismus (= Vertierlichung oder, exakter, „Verhundlichung“ des Menschen) vor, Hunde können zwischen Menschen und ihren Artgenossen unterscheiden. Bedingt durch den Prozess der Domestikation (Haustierwerdung) ist der Hund stark an den Menschen gebunden.[1]

Eine überaus wichtige Komponente für eine gute Mensch-Hund-Bindung ist das Fachwissen des Menschen über die Kommunikationsweise und das Sozialverhalten des Hundes.[2] Hunde können die menschliche Sprache nicht erlernen, jedoch sind sie aufgrund ihrer angeborenen, guten Beobachtungsgabe in der Lage, die Ausdrucksmittel des Menschen zu interpretieren.[3] Gelingt es dem Partner Mensch die „Sprache“ des Hundes zu „verstehen“ und zu „sprechen“, steht einer Zusammenarbeit nichts mehr im Wege.[4] Die Sicherheit des Hundes dem Menschen gegenüber steigt und gleichermaßen auch seine Neigung zur Zusammenarbeit.[5] Je schlechter sowohl der Mensch als auch der Hund die jeweils andere Sprache „versteht“, desto größer ist die Möglichkeit von „missverstehen“, was durchaus gefährlich werden könnte.

Zwischen Mensch und Hund besteht ein wechselseitiges Verhältnis, beide Partner beeinflussen sich gegenseitig. Diese Beeinflussung geschieht von Seiten des Menschen meist im Sinne der Befriedigung seiner Bedürfnisse, er setzt den Hund für seine Zwecke ein.[6]

Die Fähigkeit des Hundes sich in eine Gemeinschaft einzuordnen, sein Hang zur Geselligkeit und sein Bindungsvermögen ermöglichen erst die Ausbildung eines Hundes zu einem „Gebrauchshund“.[7]

1.2. Die Wahrnehmungssinne des Hundes (im Vergleich zu denen des Menschen)

Für Hunde und Menschen sind generell die gleichen Reize adäquat. Jedoch liegt die Schwelle, die zur Auslösung eines Reizes überschritten werden muss, bei Hunden oft sehr viel niedriger, was bedeutet, dass diese ein größeres Spektrum an Sinneseindrücken wahrnehmen können.[8] Zudem haben Hunde ein ausgesprochen gutes Orientierungsvermögen, das es ihnen ermöglicht, auch aus größeren Entfernungen ein bestimmtes Ziel zu erreichen – so haben Hunde, die bei einem Ortswechsel zurückgelassen wurden, manchmal den neuen Wohnsitz des Besitzers finden können.[9]

Die Beurteilung der Ausprägung der Sinne bei Mensch und Hund ist immer relativ, denn alle Messgrößen müssen in Hinblick auf ihren Nutzen gesehen werden.

Das Geruchsorgan ist beim Hund weitaus besser ausgeprägt als beim Menschen. Der Hund ist ein erstklassiges „Nasentier“ und der Mensch ein eher mittelmäßiges „Augentier“, was im Vergleich deutlich wird:

1. Der Mensch nimmt seine Umwelt hauptsächlich optisch wahr - der Hund geruchlich.
2. Beim Menschen dominiert das Bildgedächtnis - beim Hund das Geruchsgedächtnis.
3. Der Mensch sieht in seiner „Sichtwelt“ wesentlich weniger als der Hund in seiner „Geruchswelt“.[10]

Mithilfe des ausgeprägten Geruchssinns ist es dem Hund möglich, sich an Orte und Wege zu erinnern. Dadurch kann er z.B. den Befehl „zurück zum Ausgangspunkt“ - „a casa“[11] ausführen. Dieser Befehl bedeutet, dass der Hund seinen Halter entweder zu dessen Wohnsitz oder zu der Stelle, an der beide ihren Weg begonnen haben, zurückführen soll. Dieses Kommando kann auch eine Art „Notbefehl“ darstellen, wenn seine Anwendung bedeutet, dass der Blinde die Orientierung verloren hat oder es ihm gesundheitlich nicht gut geht.[12]

Auch das Richtungshören ist beim Hund besser ausgeprägt. Für den Blindenführhund ist die akustische Lokalisation von Geräuschquellen von großer Bedeutung. Der Hund kann aus ca. 4-mal größerer Entfernung Geräusche hören als der Mensch.[13]

Obwohl der Hund ein Nasentier ist, orientiert er sich auch mit den Augen. Die Übereinstimmung des optischen Orientierungsverhaltens bei Mensch und Hund ermöglicht also erst den Einsatz des Hundes als Führhund. Viele Teile der „Menschenwelt“ sind der „Hundewelt“ im Prinzip ähnlich. Diese Übereinstimmung zeigt sich auch in der generellen Strukturierung des Raumes. Der Sehraum, der für den Menschen die überragende Bedeutung hat, ähnelt dem Sehraum des Hundes durchaus, wie laut Riederle[14] Untersuchungen an Führhunden bewiesen.

Durch die Blindheit verliert der Mensch den Sehraum, der ihm das Vorausplanen und Ordnen auf weite Sicht ermöglicht und wird auf den Tastraum, eine Entfernung von maximal einem Meter, begrenzt. Aber auch im Tastraum orientiert sich der Mensch, wie auch der Hund, dreidimensional (rechts-links, oben-unten, hinten-vorn). Diese Gliederung beruht auf dem aus drei senkrecht zueinander angeordneten Bogengängen des Gleichgewichtsorgans.[15] Diese dreidimensionale Orientierung ist von großer Bedeutung für die Ausbildung eines Führhundes, denn nur so kann dieser verstehen, welche Objekte für den Menschen Hindernisse darstellen und sie richtig bewerten.

Der Hund besitzt zudem ein größeres Blickfeld als der Mensch. Um ein Objekt im Auge zu behalten, welches sich schräg hinter ihm befindet, braucht er den Kopf kaum zu wenden. Auf diese Weise kann auch der Blindenführhund das Geschehen hinter seinem Halter gut beobachten und entsprechend reagieren.

2. Blinde und Mobilität

Die gesetzlichen Bestimmungen sehen vor, dass, falls ein blinder Mensch mit einem Führhund „ausgestattet“ werden soll, die jeweiligen persönlichen bzw. beruflichen Verhältnisse bzw. Bedürfnisse zu berücksichtigen sind.[16]

In diesem Zusammenhang werde ich kurz auf die Definition der Blindheit und deren Auswirkungen eingehen.

2.1. Definition Blindheit

In den einzelnen Ländern bestehen hinsichtlich der Interpretation des Begriffs Blindheit erhebliche Unterschiede.[17] In Deutschland variiert die Definition für Blindheit auch je nach Verwendungszweck im medizinischen, sozialen und pädagogischen Bereich: in streng wissenschaftlichem Sinne gilt als blind, wer sein Sehvermögen völlig verloren hat, d.h. Hell und Dunkel nicht mehr unterscheiden kann (Diagnose: Amaurose).[18] In pädagogischem Sinne blind ist, wer Geschriebenes und Gedrucktes nicht lesen und dadurch am normalen Unterricht nicht teilnehmen kann. Im Bundessozialhilfegesetz ist Blindheit in sozialem Sinne folgendermaßen definiert:

㤠24 BSHG Abs. 1 Satz 2

[…] neben den völlig Blinden gelten ebenfalls als blind: Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,

2. bei denen […] nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nummer 1 gleichzuachten sind.“[19]

In Deutschland werden unter dem Begriff der Sehschädigung Blinde (Sehschärfe ≤0,02) und wesentlich Sehbehinderte (Sehschärfe 0,3-0,05 [hochgradig sehbehindert]) zusammengefasst.[20]

2.2. Die Auswirkungen einer Erblindung oder starken Sehbehinderung

In diesem Abschnitt möchte ich mehr auf die Unterschiede, die zwischen Geburtsblinden bzw. Früherblindeten und Späterblindeten bestehen, als auf die Persönlichkeitsänderung eines Menschen infolge von Erblindung oder starker Sehbehinderung, hinweisen.

Die psychische Wirkung einer Erblindung ist u. a. von dem Zeitpunkt des Eintritts der Blindheit, dem Verlauf der Erblindung (plötzlich oder allmählich) und der Ursache der Erblindung (Krankheit, Unfall) abhängig. Bei der Ausbildung eines Blindenführhundes werden diese Faktoren zwar nicht beachtet, bei der späteren Zuteilung müssen diese Kriterien jedoch gebührend berücksichtigt werden. Da der Zeitpunkt der Erblindung eine besondere Bedeutung besitzt, unterscheidet man:

1. Geburtsblinde,
2. Früherblindete (≤ 4. Lebensjahr),
3. Jugenderblindete (≤ 18. Lebensjahr),
4. Späterblindete (≤ 45. Lebensjahr) und
5. Altersblinde.

Geburtsblinde und Früherblindete (die Seheindrücke, die vor der Vollendung des 4. Lebensjahres entstehen, verblassen mit der Zeit, daher können diese zu einer Gruppe zusammengefasst werden) besitzen den Vorteil, mit den besonderen Bedingungen des Blindseins in einem Lebensabschnitt konfrontiert zu werden, in dem der Mensch eine besondere Lern- und Anpassungsfähigkeit besitzt.[21] Sie lernen ihre Restsinne (d.h. Gehör-, Tast- und Geruchssinn) in weit feinerem und umfassenderem Maße einzusetzen als sehende Menschen.[22] Dies fällt Späterblindeten schwerer, ferner müssen sie in wesentlich kürzerer Zeit all das lernen, was sich der Früherblindete in Jahren erarbeitet. Gegenstände und Zusammenhänge, die in ihrer Dimension direkt erreichbare und nachvollziehbare Entfernungen überschreiten, können Früherblindeten nur verbal oder anhand dreidimensionaler Modelle dargestellt werden. Der Späterblindete hat aufgrund seiner Erinnerung an früher erworbene visuelle Erfahrungen meist weniger Schwierigkeiten, sich präzise beschriebene oder taktil dargestellte Zusammenhänge und Strukturen vorzustellen.

2.3. Die Orientierung und Mobilität des Erblindeten

Die Interaktionen eines Menschen mit seiner Umwelt werden durch Blindheit auf verschiedene Weise beeinflusst. Unter der Mobilität des Erblindeten versteht man die Fähigkeit, sich in seiner Umwelt weitgehend selbstständig und sicher zu bewegen, wobei als Umwelt sowohl die unmittelbare häusliche und außerhäusliche Umgebung sowie auch weit entfernte Regionen bezeichnet werden.[23] Diese Fähigkeit wird durch den Ausfall der optischen Sinneswahrnehmung auf einen minimalen Aktionsradius beschränkt. Die Mobilität des Blinden wird durch verschiedene Faktoren bestimmt: der Grad der Sehbehinderung, das Alter (Jüngere sind eher gewillt, mit einem Mobilitätshilfsmittel zu trainieren, sie sind aufgeschlossener gegenüber Veränderungen und mutiger in unbekannten Gegenden; Ältere bevorzugen eine Begleitperson), das Geschlecht (männliche Erblindete gehen öfter alleine aus), der Eintritt der Blindheit, der Wohnort (Blinde, die in ländlichen Gegenden mit geringem Verkehr wohnen, haben weniger Schwierigkeiten zu bewältigen als Blinde, die in einer Großstadt wohnen; auch die Akzeptanz durch die Öffentlichkeit ist größer), die Erziehung (Personen, die eine Ausbildung genossen haben, gehen öfter aus; solche die zu sehr behütet wurden, trauen sich oft nicht, ohne Begleitperson auszugehen).[24]

Um zu verdeutlichen, dass der Führhund ein geeignetes Mobilitätshilfsmittel ist, werde ich im Folgenden die generellen Fortbewegungsprobleme blinder Menschen analysieren.

Die zwei Hauptprobleme Blinder bestehen zum einem in der Erkennung eines Objektes als Hindernis oder Markierungspunkt und zum anderen in der perzeptiven und geographischen Orientierung. Eine adäquate Hinderniserkennung bedeutet, dass der Blinde gefährliche Objekte der Umwelt rechtzeitig wahrnimmt, um ihnen ausweichen oder sie gefahrlos passieren zu können. Innerhalb der eigenen Wohnung kann sich ein Blinder meist sehr gut orientieren, außerhalb ist dies schwieriger, da sich dort viele natürliche (herabhängende Äste, Pfützen, Löcher, Steine) und künstliche (abgestellte Fahrräder/Autos, Müllbehälter) Hindernisse befinden. Erschwerend hinzukommt, dass sich diese Hindernisse ständig verändern können. Jedoch können bestimmte Maßnahmen, wie z.B. die Vermeidung von Hindernissen auf dem Gehweg, die Veränderung der Wegoberfläche (vor Stufen, Bordsteinkanten, Fußgängerüberwegen), die Installation akustischer Signale an Fußgängerampeln u.v.m, dem Blinden die Fortbewegung erleichtern.

Unter perzeptiver Raumorientierung, dem zweiten Hauptproblem Blinder, versteht man „die Fähigkeit, die eigene Position in Relation zur Umwelt unter Ausnutzung und Anwendung aller zugänglichen Sinnesinformationen korrekt bestimmen zu können“ [25] . Speziell auf freien Plätzen und im offenen Gelände haben Blinde diesbezüglich Schwierigkeiten, die sich schon daran zeigen, dass viele eine Geradeausrichtung schwer beibehalten können.

In dem Orientierungs- und Mobilitätsunterricht (O&M) lernt der Sehgeschädigte, sich seiner Behinderung gemäß zu verhalten und sich in seiner Umwelt zurechtzufinden. Durch diese systematische Bewegungsschulung sollen eine sichere und entspannte Fortbewegung sowie eine möglichst genaue Orientierung ermöglicht werden. Diese Mobilitätsschulung als aktivierendes defektbezogenes Selbsthilfetraining des blinden Hilfsmittelbenutzers ist zur Erlangung einer Grundsicherheit des Bewegungsverhaltens notwendig und nur mit dieser Basiskompetenz kann sich der Blinde seinem das fehlende Augenlicht „ersetzendem“ Hilfsmittel Führhund anvertrauen.[26]

3. Der Blindenführhund

Es existiert im deutschsprachigen Raum eine ganze Reihe von so genannten Service- bzw. Assistenzhunden, zu denen auch der Blindenführhund zählt. „Assistenzhund“ ist ein Überbegriff für alle eigens ausgebildeten Hunde, die hauptberuflich einem Menschen mit motorischen, sensorischen oder emotionalen Beeinträchtigungen helfen.[27] Neben dem Blindenführhund kommen andere Assistenzhunde, wie z.B. der Behindertenbegleithund (erledigt Alltagsaufgaben für Körperbehinderte (meist Rollstuhlfahrer), manchmal als Zughund oder Lastenhund eingesetzt), der Signalhund (Meldehund für Gehörlose), der Epilepsiehund (zeigen bevorstehenden epileptischen Anfall an) und der Diabeteshund (zeigt eine bedrohliche Absenkung bzw. Erhöhung des Blutzuckerspiegels an), bei spezifischen Handicaps zum Einsatz.

3.1. Die Ausbildung eines Blindenführhundes

Der erste Weltkrieg stellt eine einschneidende Veränderung in der Geschichte des Führhundwesens dar, da zu der Zeit die systematische Ausbildung von Hunden als Mobilitätshilfe für Kriegsblinde begann.

Eine allgemeingültige Beschreibung des „Werdegangs“, d.h. Auswahl, Aufzucht und Ausbildung eines Blindenführhundes zu verfassen, ist schwer, da diesbezüglich in den verschiedenen deutschen und ausländischen Führhundschulen sehr unterschiedliche Auffassungen herrschen und teilweise auch konträre Methoden angewendet werden. Es existiert momentan keine vereinheitlichte Standart-Führhundausbildung, die die Methode und das Endergebnis (Anzahl/Art der Kommandos, Anforderungen an das Können der Blindenführhunde) festlegen würde.[28] Daher werde ich in meiner kurzen Ausführung den Werdegang schildern, der in unterschiedlicher Literatur ähnlich dargestellt wird und mir somit am weitesten verbreitet erscheint.

Der Hund durchläuft viele verschiedene Entwicklungsstadien von seiner Geburt bis zur fertigen Ausbildung. Die eigentliche Führhundausbildung beginnt erst nachdem er einen Wesenstest bestanden hat und die Grunderziehung (u. a. Stubenreinheit) beendet ist. Die Erziehung des Hundes basiert auf Worten und Körpersprache (Gesten, Mimik). Diese grundlegenden „Mittel der Ausbildung“ haben für den Hund Signalcharakter, wobei ihm zuvor deren Bedeutung verständlich gemacht werden muss.

Auch über die Art und Anzahl der Kommandos existieren derzeit keine verbindlichen Regeln, sodass auch diesbezüglich jede Führhundschule eigene Entscheidungen trifft.

Eine genaue Auflistung der Hörzeichen ist nur bei Rupp „Der Blindenführhund. Die neue Ausbildungsmethode“ zu finden. Hierbei handelt es sich um 25 Kommandos in fast ausschließlich italienischer Sprache (welche teilweise bevorzugt wird, da die Befehle besonders kurz und deutlich seien und Abwandlungen vermieden werden), die im folgenden in der Reihenfolge, wie sie gelehrt werden, dargestellt sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.[29]

Die Ausbildung beginnt mit 1 bis 1,5 Jahren und dauert zwischen sechs und neun Monaten. In dieser Zeit lernt er u. a. sich voll auf seinen Führer zu konzentrieren (ohne das sonst übliche Schnuppern oder das Zugehen auf andere Hunde), Hindernissen auszuweichen, und zwar auch solchen, die für ihn keine, jedoch für den Blinden eine Gefahr sind. Er muss lernen Bordsteinkanten anzuzeigen, im Verkehr Gefahren zu vermeiden, auf den Befehl „Banca“ eine leere Bank im Park, im Restaurant einen leeren Stuhl anzuzeigen, und auch, sich falschen Befehlen zu widersetzen. Ein (guter) Führhund beherrscht als „lebendes Wahrnehmungsmittel[30] die Fähigkeit der intelligenten Gehorsamsverweigerung. Hält er vor einem Abgrund und bekommt dann den Befehl, weiterzulaufen, muss er diesen verweigern, falls dadurch der Blinde in Gefahr käme. Zum Abschluss findet eine Gespannprüfung statt, in der sichergestellt wird, dass der neue Halter und der ausgebildete Hund genügend aufeinander eingestimmt sind. In der Nachbetreuung können später auftretende Probleme gelöst werden.

[...]


[1] Dorit Urd Feddersen-Petersen (2004), S. 408

[2] Manfred Müller (1995), S.63

[3] Silvana Calabrò-Folchert (2002), S.134

[4] Georg Riederle (1991), S.28

[5] Georg Riederle (1991), S.29

[6] Dorit Urd Feddersen-Petersen (2004), S. 408 8 Georg Riederle (1991), S.25

[8] Calabrò-Folchert (2002), S.110

[9] Schmid (1931), S 39

[10] Müller, M. (1995), S.65

[11] Rupp (1987), S.243

[12] Calabrò-Folchert (2002), S. 121

[13] Müller, M. (1995), S.65

[14] Riederle (1991)

[15] Riederle (1991), S.43

[16] Riederle (1991), S.95

[17] Bolsinger (1974), S.9

[18] Strehl (1939), S.9

[19] Eichberger (1996), S.9

[20] Calabrò-Folchert (2002), S.140

[21] Calabrò-Folchert (2002), S.146 u. 147

[22] Rupp (1987), S. 13

[23] Müller, G. (1985), S.8

[24] Buijk (1977), S.33 u.34

[25] Calabrò-Folchert (2002), S.151

[26] Riederle (2005), S.100

[27] Olbrich u. Otterstedt (2003), S.360

[28] Calabrò-Folchert (2002), S.288

[29] Rupp (1987), S.61-63

[30] Riederle (2005), S.97

Ende der Leseprobe aus 58 Seiten

Details

Titel
Der Blindenführhund als erweiterndes Wahrnehmungsorgan
Hochschule
Fachhochschule für Kunsttherapie Nürtingen
Veranstaltung
Wahrnehmungspsychologie
Note
1
Autor
Jahr
2006
Seiten
58
Katalognummer
V56038
ISBN (eBook)
9783638508407
ISBN (Buch)
9783638875899
Dateigröße
2786 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Blindenführhund, Wahrnehmungsorgan, Wahrnehmungspsychologie
Arbeit zitieren
Kathrin Müller (Autor:in), 2006, Der Blindenführhund als erweiterndes Wahrnehmungsorgan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56038

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