„Ich denke mir mein Ich durch ein Vervielfältigungsglas – alle Gestalten, die sich um mich herum bewegen, sind Ichs, und ich ärgere mich über ihr thun und lassen (...)“(Hoffmann, E.T.A)
Nicht nur optische Geräte spielen in dem Nachtstück „Der Sandmann“, von Dichter, Jurist, Komponist und Karikaturist Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776-1822), eine bedeutende Rolle, sondern auch die Tatsache, dass sich das Ich des Protagonisten Nathanael unmerklich in mehr als einer Figur in der Erzählung wieder findet. Siegmund Freud (1856-1939) hat dazu in seiner Studie „Das Unheimliche“ eine Theorie geliefert, die die Erzählung zu „einem hell ausgeleuchteten Szenario [macht], worin psychoanalytische Kategorien mit zwei Beinen agieren.“
Gegenstand dieser Arbeit ist die analytische Sachdarstellung der psychoanalytischen Interpretation von E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ auf der wissenschaftlichen Grundlage von Siegmund Freuds berühmter Interpretation in „Das Unheimliche“. Das Motiv der Augen wird dort in aufschlussreicher Weise gedeutet. Daher werden in dieser Arbeit die Charaktere der Erzählung auf das Augenmotiv hin untersucht. Ausserdem werden relevante Elemente aus der Lehre Freuds erläutert.
Die Darstellung wird ansatzweise erweitert durch den Vergleich zu der Ichpsychologischen Interpretation von Günter Sasse. Seine Interpretation beschäftigt sich mit dem psychologischen bzw. psychopathologischen Gehalt der Erzählung „Der Sandmann“. Sasse versucht dem Wahnsinn des Protagonisten Nathanael auf die Spur zu kommen, wobei er sich stark an den Symptomen orientiert, die sich in Nathanaels Verhalten äussern. Seine Interpretation konzentriert sich im Wesentlichen auf Nathanaels Ich und dessen krankhafter Zersetzung. Die anderen Charaktere der Erzählung kommen bei Sasse als Verkörperungen von Nathanaels Ich nicht direkt in Frage (wohl aber als dessen Projektionsflächen).
Ganz anders bei Freud, der leider keine komplette Interpretation des 'Sandmanns' liefert, sondern lediglich in einer Fussnote essentielle Gedanken zum Grundkonflikt des Protagonisten äussert. Es ist zu vermuten, dass die Brisanz seiner Gedanken, ob ihres - für jene Zeit (1919) - skandalösen Charakters, eine gewisse Scheu bei ihm verursacht haben könnten.
Welche Rolle der Sandmann, Coppelius, Coppola, die Puppe Olimpia und Clara in Bezug auf Nathanael spielen, soll im Folgenden erläutert werden. Dazu werden nun die Figuren auf das Hauptmotiv der Augen untersucht.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Das Motiv der Augen
- 2.1 Sandmann
- 2.2 Coppelius
- 2.3 Coppola
- 2.4 Olimpia
- 2.5 Clara
- 3. Der Ödipuskomplex
- 3.1 Vaterimago
- 3.2 Das Unbewusste
- 3.3 Nathanaels Trauma
- 3.4 Nathanaels Liebesobjekte
- 4. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ unter Bezugnahme auf Siegmund Freuds psychoanalytische Interpretation in „Das Unheimliche“ und vergleicht diese mit der ich-psychologischen Interpretation von Günter Sasse. Ziel ist es, die Bedeutung des Augenmotivs und seine Verbindung zum Ödipuskomplex zu untersuchen.
- Das Motiv der Augen als zentrales Symbol in der Erzählung
- Die psychoanalytische Interpretation des Ödipuskomplexes bei Nathanael
- Der Einfluss der Kindheitserfahrungen auf Nathanaels psychische Entwicklung
- Vergleich der psychoanalytischen und ich-psychologischen Interpretationsansätze
- Die Rolle der verschiedenen Figuren im Kontext von Nathanaels psychischer Verfassung
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die psychoanalytische Interpretation von E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ durch Siegmund Freud und den Vergleich mit Günter Sasses ich-psychologischer Betrachtung in den Mittelpunkt. Die Arbeit fokussiert auf das Motiv der Augen und dessen Bedeutung für das Verständnis von Nathanaels psychischer Entwicklung und den Ödipuskomplex. Der methodische Ansatz wird erläutert und die unterschiedlichen Perspektiven von Freud und Sasse werden kurz vorgestellt, wobei auf die Lücken in Freuds Interpretation und den Schwerpunkt Sasses auf Nathanaels Ich hingewiesen wird.
2. Das Motiv der Augen: Dieses Kapitel analysiert das zentrale Motiv der Augen in „Der Sandmann“. Es untersucht die vielfältige Verwendung des Bildes des Auges in der deutschen Sprache, das oft mit dem klaren Erkennen der Wahrheit in Verbindung gebracht wird. In Hoffmanns Erzählung dient das Augenmotiv als Indiz für Nathanaels innere Zustände, reflektiert in der Symbolik der Wahrnehmung und des Sehens. Es wird dargelegt, wie das Augenmotiv die psychologischen und psychopathologischen Aspekte der Erzählung beleuchtet.
2.1 Der Sandmann: Dieser Abschnitt konzentriert sich auf die Figur des Sandmanns und deren Bedeutung für Nathanaels psychische Entwicklung. Es wird die unterschiedliche Sichtweise von Freud und Sasse präsentiert: Sasse sieht die Begegnung mit dem Sandmann als Keim von Nathanaels psychischer Erkrankung, während Freud den Ödipuskomplex als bereits vorbestehend betrachtet. Das Ammenmärchen vom Sandmann und das damit verbundene Wahrnehmungsverbot werden analysiert, um Nathanaels Ängste und die spätere kommunikationsverhindernde Isolation zu erklären.
Schlüsselwörter
E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Ödipuskomplex, Augenmotiv, Psychoanalyse, Ich-Psychologie, Nathanael, Freud, Sasse, Wahrnehmung, Traumata, psychische Erkrankung.
Häufig gestellte Fragen zu E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann" unter Verwendung psychoanalytischer (Freud) und ich-psychologischer (Sasse) Interpretationsansätze. Der Fokus liegt auf dem Augenmotiv und seiner Verbindung zum Ödipuskomplex bei der Hauptfigur Nathanael.
Welche zentralen Themen werden behandelt?
Die Arbeit untersucht das Augenmotiv als zentrales Symbol, die psychoanalytische Interpretation des Ödipuskomplexes bei Nathanael, den Einfluss der Kindheitserfahrungen auf seine psychische Entwicklung, und vergleicht die psychoanalytischen und ich-psychologischen Interpretationsansätze. Die Rolle verschiedener Figuren im Kontext von Nathanaels psychischer Verfassung wird ebenfalls beleuchtet.
Wie wird das Augenmotiv interpretiert?
Das Augenmotiv wird als Indiz für Nathanaels innere Zustände interpretiert, reflektiert in der Symbolik der Wahrnehmung und des Sehens. Es beleuchtet die psychologischen und psychopathologischen Aspekte der Erzählung. Die Arbeit untersucht die vielfältige Verwendung des Bildes des Auges in der deutschen Sprache und seine Verbindung mit der Wahrheit.
Welche Rolle spielt der Sandmann?
Die Figur des Sandmanns und die Begegnung mit ihm werden als Keim von Nathanaels psychischer Erkrankung (Sasse) interpretiert, während Freud den bereits vorbestehenden Ödipuskomplex betont. Das Ammenmärchen und das damit verbundene Wahrnehmungsverbot werden analysiert, um Nathanaels Ängste und Isolation zu erklären.
Wie werden Freuds und Sasses Interpretationen verglichen?
Die Arbeit vergleicht die psychoanalytische Interpretation Freuds mit der ich-psychologischen Betrachtung Sasses. Dabei werden die Lücken in Freuds Interpretation und der Schwerpunkt Sasses auf Nathanaels Ich hervorgehoben. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Bedeutung des Sandmanns und die Entstehung von Nathanaels psychischer Erkrankung werden kontrastiert.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel zum Augenmotiv (mit Unterkapiteln zu einzelnen Figuren wie Sandmann, Coppelius, Coppola, Olimpia und Clara), ein Kapitel zum Ödipuskomplex (mit Unterkapiteln zu Vaterimago, dem Unbewussten, Nathanaels Trauma und seinen Liebesobjekten) und einen Schluss.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann, Ödipuskomplex, Augenmotiv, Psychoanalyse, Ich-Psychologie, Nathanael, Freud, Sasse, Wahrnehmung, Traumata, psychische Erkrankung.
- Citation du texte
- Nora Gielke (Auteur), 2006, Der Ödipuskomplex am Beispiel von E.T.A. Hoffmanns 'Der Sandmann', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56069