Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I VORWORT
1 SPRACHERWERB
1.1 Was Sprache ist
1.1.1 Gemeinsamkeiten aller Sprachen
1.1.2 Unterschiede der Sprachen
1.1.3 Deutsch
1.2 Verschiedene Spracherwerbstheorien
1.2.1 Nativistischer Ansatz
1.2.2 Lerntheoretischer Ansatz/ Behaviorismus
1.2.3 Kognitivistischer Ansatz
1.2.4 Interaktionistischer Ansatz
1.3 Interpretation und Fortführung der allgemeinen Diskussion
1.4 Stufen des Spracherwerbs
2 AUDITIVE BEEINTRÄCHTIGUNG UND MÖGLICHKEITEN DER MEDIZINISCHEN VERSORGUNG
2.1 Schweregrade von Schwerhörigkeit
2.2 Das CI und andere Hörhilfen
2.2.1 Das CI
2.2.1.1 Aufbau und Implantation des CIs
2.2.1.2 Indikation
2.2.1.3 Zeitpunkt der Implantation
2.2.2 Andere Hörhilfen
2.3 Frühförderung
3 SPRACHE ERWERBEN OHNE GEHÖR
3.1 Grundlagen der Lautspracherziehung bei Hörgeschädigten
3.2 Aufgabenbereiche der Lautspracherziehung
3.2.1 Sprachwahrnehmung
3.2.2 Sprechatmung
3.2.3 Stimmgebung
3.2.4 Artikulation
3.2.5 Dialogische Gesprächsführung
3.3 Lautbildung
3.3.1 Konsonanten
3.3.1.1 Plosive
3.3.1.2 Nasale
3.3.1.3 Frikative
3.3.1.4 Der Laterallaut
3.3.1.5 Tremulanten
3.3.1.6 Der Hauchlaut
3.3.2 Vokale
3.3.3 Diphthonge
3.4 Technische und manuelle Hilfssysteme
3.4.1 Technische Hilfssysteme
3.4.2 Manuelle Hilfssysteme
3.5 Einsatz von Gebärdensprache
4 FRÜHFÖRDERUNG
4.1 Prävention
4.2 Notwendigkeit der Früherfassung
4.3 Weitere Untersuchungsmethoden
4.3.1 Der Morosche Schreckreflex
4.3.2 Der akustische Lidreflex
4.3.3 Der motorische Schallreaktionstest
4.3.4 Schuluntersuchung
4.4 Maßnahmen und Hörgeräteversorgung
4.5 Förderung konkret
5 GESCHICHTE UND STAND DER PÄDAGOGISCHEN
BEWEGUNG ZUR SPRACHBILDUNG DER
SCHWERHÖRIGEN/GEHÖRLOSEN
5.1 Geschichte
5.2 Heutiger Stand
II LITERATURVERZEICHNIS
a) Bücher
b) Internet
c) Sonstige Quellen
III ABBILDUNGSVERZEICHNIS
a) Bücher
b) Internet
c) sonstige Quellen
IV ANHANG
VERSICHERUNG
I Vorwort
Diese Arbeit entstand im Rahmen meines Studiums zur Sonderschulpädagogin. Sie bezieht sich hauptsächlich auf meine 1. Fachrichtung, die Sprachheilpädagogik.
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welche Auswirkungen eine Hörschädigung auf den Erwerb der Lautsprache haben kann. Um Schwierigkeiten und Besonderheiten aufzeigen zu können, erläutere ich zuerst wie ein Kind normalerweise zur Lautsprache gelangt. Dazu gibt es mehrere Theorien, die ich vorstellen werde. Danach werde ich den Spracherwerb anhand des gängigen Verständnisses genauer erläutern. Im zweiten Kapitel werde ich die verschiedenen Intensitäten von Hörschädigungen bis hin zur Gehörlosigkeit besprechen und entsprechende Hörhilfen vorstellen. Dabei wird natürlich auch das CI genauer besprochen. Da Hörhilfen den Spracherwerb des Kindes stark beeinflussen können ist die Kenntnis dieser Hilfen vor einer genaueren Auseinandersetzung mit dem Thema notwendig.
In Kapitel 3 geht es dann darum wie ein schwerhöriges oder gar gehörloses Kind die Lautsprache erwerben kann. (Bei Verwendung der lautschriftlichen Zeichen kam es zu unregelmäßigen Zeilenabständen, da diese noch nicht für jede Schriftart auf dem Computer erhältlich sind. Dies bitte ich hiermit zu entschuldigen). Dabei wird besprochen welche speziellen Schwierigkeiten entstehen und welche Möglichkeiten der Hilfe es gibt.
Das vorletzte Kapitel beinhaltet die Frühförderung. Diese befasst sich mit der Prävention von Sprachschwierigkeiten aufgrund von Hörschwierigkeiten. Die vielfältigen Möglichkeiten der Diagnostik und der anschließenden Förderung werden genau dargelegt.
Im fünften Kapitel gebe ich einen kurzen Überblick der Geschichte der pädagogischen Bewegung für die Sprachbildung von Hörgeschädigten und einen Kommentar zum aktuellen Stand dieser.
1 Spracherwerb
1.1 Was Sprache ist
Den Begriff Sprache zu definieren ist nicht einfach. Deshalb werde ich ihn erst einmal näher betrachten.
Sprache hat mehrere Bedeutungen. Ferdinand de Saussure unterteilt ihn in drei Aspekte:
1. langue
2. parole
3. langage
Mit langue bezeichnet er das Regelsystem von Sprache. Dazu gehören Wörter, Grammatik, Regeln der Anwendung, usw..
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Parole bezeichnet den Sprachgebrauch. Hierunter fällt z.B. die Wortwahl. Der letzte Aspekt, langage, bezeichnet die angeborene Sprachfähigkeit eines jeden Menschen.
Nun wissen wir, dass sich Sprache noch genauer unterscheiden lässt. Was aber charakterisiert Sprache? Volmert sieht Sprache als Kommunikationsmittel Dies erscheint verständlich, repräsentiert jedoch nicht die vielfältigen Möglichkeiten die mit Sprache verbunden sind. Er verifiziert seinen Gedanken und sagt, "Daß [Dass] Sprache darüber hinaus ein Verständigungsmittel ist, das nur im Kommunikationsbereich eines Stammes, eines Volkes oder einer Gesellschaft gilt, wurde den Menschen spätestens dann bewußt [bewusst], als ihre Stämme oder Ethnien auf andere trafen und das, was allzu selbstverständlich als Instrument des alltäglichen Verkehrs benutzt wurde, plötzlich als Mittel der Verständigung versagte."1
Aus diesem Zitat lässt sich folgern, dass es mehrere Sprachen gibt und innerhalb derer Unterschiede. Welche Unterschiede/Gemeinsamkeiten gibt es und was macht eine Sprache zur Sprache?
1.1.1 Gemeinsamkeiten aller Sprachen
Jede Sprache ist ein Regelsystem mit einer begrenzten Anzahl sprachlicher Elemente. Die Zahl der Sätze jedoch ist unbegrenzt, da deren Gestaltung nur zum Teil geregelt ist. Jede Sprache unterliegt einem ständigen Wandel. Es können neue Wörter aufgenommen werden (z.B. Internet, sitt, Stress...). Wörter verändern durch den Gebrauch ihre Bedeutung (z.B. gemein, früher: gewöhnlich, alltäglich, heute: bösartig, hinterlistig) oder fallen weg (z.B. Jüngling).
Sprache dient immer zur Kommunikation und muss erlernt werden. Es gibt keine angeborene Sprache.
1.1.2 Unterschiede der Sprachen
Die sprachlichen Elemente unterscheiden sich (z.B. Guten Tag (dt.), good day (eng.), bonjour (fr.), ni hao (chi.), bog (hrv.)...). Auch die Regeln des Gebrauchs sind teilweise sehr unterschiedlich. Die Art der Verlautung ist je nach Herkunft der Sprache etwas bis völlig anders. Hinzu kommt, dass nicht jede Sprache kodifiziert ist. Dazu gehören Indianersprachen und manche russische Sprachen.
Ein weiterer Unterschied ist die Zahl der Träger (z.B. Englisch und Sorbisch). Des Weiteren ist zwischen toten und lebendigen Sprachen zu unterscheiden (z.B. Deutsch und Gotisch).
Insgesamt gibt es ca. 4200 verschiedene Sprachen auf der Welt.2
1.1.3 Deutsch
Welche Merkmale charakterisieren nun die deutsche Sprache?
Sie gehört zu den IndoEuropäischen Sprachen. Sie hat eine Gesamtheit von einzelnen sprachlichen Elementen und Regeln und ist funktional geordnet. Alle Elemente stehen in einer Beziehung zueinander. Das System ist offen und dynamisch.
Aus den vorangehenden Erörterungen würde ich Sprache wie folgt definieren: "Mit Sprache bezeichnet man ein (teil)strukturiertes System von Signalen und Symbolen, das normalerweise von mehreren Individuen/Systemen in mehr oder weniger übereinstimmender Weise gebraucht wird."3
1.2 Verschiedene Spracherwerbstheorien
Gegenwärtig sind mehrere Ansätze zur Erklärung des Spracherwerbs bekannt. Diese werde ich im Folgenden kurz erläutern.
1.2.1 Nativistischer Ansatz
Der Nativismus geht davon aus, dass, wie der Name schon sagt, der Mensch eine genetische Anlage zum Erwerb von Sprache mitbringt. Durch entsprechende Stimulation kann diese entfaltet und in eine bestimmte Richtung (z.B. die Strukturen des Deutschen) gelenkt werden. Darin sehen die Nativisten auch die Erklärung dafür, dass Tiere Sprache nicht lernen können. Die Anlagen dazu sind alleine dem Menschen vorbehalten.
Über die physiologischen Anlagen wie Kehlkopf, Zunge, ... hinaus vermuten die Nativisten einen "angeborenen Apparat f ü r die Sprachentwicklung"4. Dieser wird in der wissenschaftlichen Diskussion als Language Acquisition Device bezeichnet. Es soll nach Noam Chomsky, dem wichtigsten Vertreter des Nativismus`, drei Grundfähigkeiten beinhalten.
Diese sind:
1. ein Hypothesenbildungsverfahren (es können Hypothesen über bestimmte Regeln des Sprachsystems gemacht werden)
2. sprachliche Universalien (das Kind weiß, dass z.B. Subjekt, Prädikat, Objekt in einen vollständigen Satz gehören)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(erklärt aufgestellte Hypothesen für falsch oder richtig)
Biologisch sind diese Annahmen nicht nachzuweisen. Es wurde bislang nur ein Gen (FoxP2) entdeckt, dass für die Artikulation zuständig ist.5 Die Annahme, dass der Spracherwerb in einer bestimmten Zeitspanne stattfinden sollte, ist gültig. Dies kann man z.B. daran sehen, dass Sprachstörungen bei Erwachsenen schwieriger zu beheben sind als bei Kindern. Auch die Beispiele von Kaspar Hauser und Genie, die ohne Sprache aufwuchsen und diese später, wenn auch nach ersten Fortschritten, nicht mehr lernten, sprechen für diese Annahme.
Chomskys Annahme, dass Kinder eine Anlage zur Konstruktion einer Transformationsgrammatik haben, gilt als widerlegt.6
1.2.2 Lerntheoretischer Ansatz/ Behaviorismus
Dieser Ansatz geht davon aus, dass Lernen eine Burrhus Frederic dauerhafte Verhaltensänderung ist, die durch Beobachtung und Übung entsteht. Da Sprechen ein Verhalten ist, gilt diese Annahme auch für den Spracherwerb. Für den Erwerb von Sprache gelten somit die "allgemeinen Bedingungen eines Konditionierungprozesses".7
Wichtigster Vertreter dieses Ansatzes ist Burrhus Frederic Skinner.
Dieser stellte seine Annahme in dem Buch "Verbal Behavior" (1957) dar.
Zwei Jahre später wurde dieses von Noam Chomsky besprochen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Er versuchte Skinner s Theorie zu widerlegen. Das Ergebnis ist fraglich.
Nach dem Lerntheoretischen Ansatz lernt das Kind am Erfolg. Da der Erfolg nur unter bestimmten Bedingungen eintritt wird das Kind versuchen diese Bedingungen, wenn es diese einmal zufällig entdeckt hat, wieder herbei zu führen. Dies ist ein ReizReaktionsprozess der nicht mehr an Reflexe gebunden ist und somit dem Nativistischen Ansatz widerspricht. Dieser Ansatz ist leicht nachvollziehbar und scheint plausible Erklärungen für den Erwerb einzelner Wörter (Sprachsymbole) zu liefern. Jedoch wurde dieser Ansatz bald als unzureichend erklärt. Zum einen liefert er keine Erklärung für den Erwerb der grammatischen Strukturen. Zum anderen können Reiz Reaktionsketten alleine nicht ausreichen um ein so komplexes Regelsystem wie Sprache in kurzer Zeit zu erlernen. Hier greift wieder Chomsky s Kritik: "Die Lerntheorie [...] kann nicht erklären, warum das Kind mit einer beschränkten Menge grammatischsyntaktischer Regeln unendlich viele Sätze bilden und verstehen kann, auch solche, die es vorher noch nicht gehört hat."8
1.2.3 Kognitivistischer Ansatz
Dieser Ansatz setzt voraus, dass der Spracherwerb eng im Zusammenhang mit der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten zusammenhängt. Sprache wird als gleichwertig mit Denken, Handeln, etc. als Teil der Gesamtentwicklung gesehen. Jean Piaget, einer der Vertreter, geht davon aus, dass das Denken der Sprache voraus geht. Jedoch ist auch die Entwicklung von kognitiven Strukturen wiederum von Sprache abhängig. Da wir in den Sprachsymbolen denken, kann man sich nur das vorstellen und kognitiv behandeln, was sprachlich definiert ist. Es wird klar, dass
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
sich Sprache nie völlig isoliert betrachten lässt. Der Vergleich des Gehirns mit einem Netzwerk ist in der Hirnforschung auch längst akzeptiert.
Führt man Piagets Theorie weiter, stellt man fest, dass das sprachlich begriffliche Denken erst mit dem Erreichen der sog. Objektpermanenz möglich wird. Diese erreicht ein Kind zwischen dem 18. und 24. Lebensmonat.
Es ist bewiesen, dass der Aufbau der kognitiven Strukturen durch den Erwerb von Sprache stark unterstützt wird. Falsch ist jedoch, dass die kognitive Entwicklung auf Sprache angewiesen ist.9
1.2.4 Interaktionistischer Ansatz
Hauptgedanke dieses Ansatzes ist die Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson(en). "Bezugspersonen entwickeln ein Supportsystem, mit dem sie den Spracherwerb in relevanten Situationen stützen [...]."10 Die menschlichen Partner brauchen ein System mit dem sie sich gegenseitig ihre Bedürfnisse und ihr Wissen mitteilen können. Die Interaktionspartner führen aufeinander bezogene Tätigkeiten aus und benennen diese. Um dies zu erreichen muss die Motivation emotional sein und die Steuerung durch die Intention geregelt werden. Jerome Bruner, einer der Hauptvertreter dieses Ansatzes, setzt gemeinsames Handeln von Mutter (Bezugsperson) und Kind dem Sprachgebrauch voraus. Er sieht die Interaktion als Bedingung, auch für grammatische Strukturen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Theorie ist heute weitestgehend anerkannt. Trotzdem gibt es noch Kritiker und es bleiben Fragen offen. Die schwerwiegendste ist wohl die nach dem Grammatikerwerb. Inwieweit können die Interaktionsmuster Modellcharakter für kognitive Strukturen des Grammatikerwebs haben?11
1.3 Interpretation und Fortführung der allgemeinen Diskussion
Trotz aller gemachten Interpretationsversuche und Kritik der bestehenden Erklärungsansätze des Spracherwerbs, lässt sich sagen, dass alle in verschiedenen Punkten Recht behalten.
Dies bestätigt auch die Kroppenberg´sche Trias, welche besagt, dass die wichtigsten Voraussetzungen zum Sprache erlernen die Vererbung der Anlage (was dem Nativismus entspricht), der Einfluss der Umwelt (Interaktionismus) und die Eigendynamik des Kindes (Behaviorismus) sind.12
Auch der Kognitivismus behält in einem seiner Punkte Recht: Sprache kann nie ganz isoliert von Kognition betrachtet werden.
Die Sonderpädagogik sieht den Spracherwerb umfassender als z.B. die germanistische Sprachwissenschaft. So unterliegt der Spracherwerb in der Sonderpädagogik drei Stufen: dem prä, peri und postnatalen Erwerb von Sprache. Man spricht auch von Zugang, Erwerb und Gebrauch der Sprache. Die Germanisten hingegen meinen: "Bereits wenige Wochen [...] nach der Geburt reagiert das Kind auf sprachliche Stimuli in einer Weise, die den Schluß [Schluss] nahe legen: Schon hier beginnt es mit dem Aufbau emotionaler und kognitiver Strukturen, [...]."13
Tatsache ist, dass Kinder schon weit früher, nämlich während der Schwangerschaft der Mutter, Sprache aufnehmen und die ersten Anlagen somit verankert werden.
Hierzu schreibt Dieter Kroppenberg die "Dialogischen Lernprozesse des Menschen zur Erlangung kommunikativer Fähigkeiten"14. Bereits vor der Geburt beginnt dieser Prozess mit dem Dialog zwischen Kind und Mutter aber auch dem Vater. René Spitz nennt diese Phase "pränatales emotionales Lernen in Form eines Körperwissens". Danach folgt das "pränatale sensomotorische Lernen", welches das intrauterine Wahrnehmen und Reagieren zwischen Mutter und Kind und auch dem Vater, der Außenwelt und dem Kind betrifft.
Nach den pränatalen Phasen folgt die Perinatale Phase. Sie betrifft die Kommunikation zwischen Mutter und Kind während der Geburt. Auch die Kommunikation zwischen Kind und Vater und Geburtshelfern trägt hierzu bei.
Anschließend folgen die postnatalen Dialogphasen. Hier tritt das Kind nacheinander mit immer mehr Kommunikationspartnern in Kontakt. Waren bisher nur die Eltern (primären Bezugspersonen) und die direkte Mitwelt am Dialog beteiligt, so kommen nun andere Personen wie z.B. Verwandte, Bekannte, andere Kinder und später auch die Umwelt hinzu. Doch nicht nur der Personenkreis vergrößert sich, auch die Art und Weise des Dialogs verändert (erweitert) sich ständig. Zuerst sind die Dialoge sehr dem Kind zu gewandt. Lernt das Kind erste Symbole (Wörter) selbst, nimmt dies ab. Das Kind muss nun lernen sich selbst zu behaupten. Beherrscht das Kind die Sprache und kommt in die Schule folgt das bewusste und gezielte Lernen von Sprechen, Schreiben und Lesen. Später folgt dann noch die Phase in der das Kind bzw. der Jugendliche lernt Sprache als rhetorisches Mittel einzusetzen.15
1.4 Stufen des Spracherwerbs
Um das Erlernen der Sprache genauer betrachten zu können wird sie in drei Teilbereiche gegliedert. Diese sind Wortschatz, Aussprache und Grammatik. Dennoch kann ein einzelner Bereich nicht ohne Kenntnisse der anderen erlernt werden. Grundsätzlich gelten noch andere sprachfördernde Voraussetzungen wie Sprachverständnis, Motivation, Anregung, Hören, usw.. Wolfgang Wendlandt hat hierzu sehr gute Metapher gefunden:
1.4.1 Der Sprachbaum
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten16
Das Bild stellt einen gut genährten Baum dar, der in vollem Laub steht. Alles was der Baum zum Leben braucht ist mit Symbolen versehen. Die Erde in welcher der Baum steht sind Lebensumwelt, Kultur und Gesellschaft. Die Wurzeln, die den Baum mit dem lebensnotwendigen Wasser versorgen werden hier durch Fähigkeiten wie Schreien/Lallen, Hören, Sehen, Bewegung, Hirnreifung, usw. ersetzt. Diese werden von außen zusätzlich mit Kommunikation genährt. Der (Grund) Stamm besteht je zur Hälfte aus Sprechfreude und Sprachverständnis, welche die Basis des Spracherwerbs darstellen. Der Stamm spaltet sich nun in die drei Äste Artikulation, Wortschatz und Grammatik. Diese spalten sich weiter auf in Sätze, Wörter, Silben, Phoneme, Morpheme, Lexeme usw.. Ein weiterer Aspekt ohne den ein Baum nicht blühen kann ist die Sonne. Sie steht symbolisch für Wärme, Liebe und Akzeptanz.
Nun möchte ich die drei Teilbereiche der Sprache genauer erläutern. Der Wortschatz betrifft das semantsichlexikalische Lernen. Er umfasst alle Wörter die ein Kind (Mensch) sowohl passiv, als auch aktiv nutzen kann. Es erwirbt sie durch Aufnahme der von der sprachlichen Außenwelt verwendeten Wörter. Das Gelernte wird ständig aktualisiert und ggf. korrigiert. Stellt ein Kind z.B. fest, dass ein Gegenstand auf den man sich setzt ein Stuhl ist und in Folge dessen alles worauf sich jemand setzt (Sofa, Sessel, Hocker...) als einen solchen bezeichnet, ist dies als Fortschritt zu sehen und nicht als Fehler. Die Differenzierung unserer Möbelvielfalt wird es noch lernen. Wenn z.B. jeder "Stuhl" der keine Lehne hat als Hocker bezeichnet wird, wird es dies bemerken und seine Vorstellung von einem Stuhl korrigieren und das neu erfasste Symbol "Hocker" seinem Wortschatz hinzufügen.
Die Aussprache beansprucht das phonetischphonologische Lernen. Das Kind lernt durch Nachahmung der Sprachvorbilder Wörter in einer bestimmten Weise auszusprechen. Später wird es von selbst entscheiden können wie ein Lexem in welchem Zusammenhang ausgesprochen wird. Auch hier greift das Korrektur und Erweiterungssystem.
Der dritte Bereich, die Grammatik, betrifft das morphologischsyntaktische Lernen. Das Regelsystem unserer Sprache lernen Kinder ebenfalls durch Nachahmung und Übertragung gewisser Regeln. Die Grammatik ist der Bereich, der in der Schule am meisten bewusst gefördert wird und deshalb als der wohl schwierigste angesehen wird.
In der folgenden Tabelle möchte ich eine Übersicht darüber geben, in welchem Alter ein Kind welche Fähigkeiten erlernt. Die Altersangaben sind nur ungefähre Werte und sowohl von der Individualität des Kindes als auch von der sprachfördernden Beschäftigung mit diesem abhängig.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten17
Nach Betrachtung dieser Übersicht stellt sich nun die Frage, was geschieht wenn eine der Hauptvoraussetzungen zum Sprache erlernen (z.B. das Gehör) nur eingeschränkt vorhanden ist oder gar völlig fehlt.
2 Auditive Beeinträchtigung und Möglichkeiten der medizinischen Versorgung
Schwerhörigkeit bedeutet, dass ein Mensch nicht das volle Hörvermögen hat. Die Ausprägung der Hörminderung variiert von geringgradig bis hin zu fast gehörlos. Ungefähr 10 % der Bevölkerung eines Landes sind von Schwerhörigkeit betroffen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die bekannteste Form ist die Altersschwerhörigkeit. Diese tritt durch den Verschleiß von Haarzellen im Innenohr bei älteren Menschen auf. Doch auch Jugendliche leiden unter Schwerhörigkeit entweder durch häufigen Lärm oder zu lautes Musikhören (besonders durch Kopfhörer) oder auch (seltener) durch Antibiotika und Meningitis. Hinzu kommt, dass Schwerhörigkeit vererbt werden kann. Es gibt auch Kinder die gehörlos auf die Welt kommen. Die Auswirkungen wären hier wieder genauer zu unterscheiden, doch werde ich darauf später (unter 2.2) zurückkommen. Erleidet ein bisher hörender Mensch einen Hörverlust spricht man von Ertaubung.
Über den Einfluss der Hörschädigung auf den Spracherwerb entscheiden mehrere Faktoren.
Faktoren beim Kind:
- Grad der Hörschädigung
- Ursache der Hörschädigung
- Art der Hörschädigung
- Alter in dem die Schädigung eintritt
- Alter in dem die Schädigung erkannt wird
- Zeitpunkt des Einsatzes von Hörhilfen
- Art der Hörhilfe
- Zustand der Hörhilfe
- andere Behinderungen
- sorgsamer Umgang mit der Hörhilfe
Faktoren im Elternhaus:
- soziale Situation im Haus
- Hörschäden in der Familie
- Bildung der Familie
- Einstellung der Familie zum Kind
- Geschwister
- Familiengröße insgesamt
- Art und Häufigkeit der Elternberatung
- Art der sprachlichen Kommunikation mit dem Kind
Faktoren in der Schule:
- Art der Schule
- Größe der Schule
- LehrerSchüler Relation
- Zusammensetzung der Klasse bzgl. der Intelligenz und des Hörvermögens
- Erziehungsziel der Schule
- Einsatz technischer Medien
- Art der sprachlichen Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler
- allgemeine Qualität des Unterrichts
Hinzu kommen die sozialen Kontakte des Kindes und sein Umgang mit anderen Kindern.
Im Folgenden werde ich die übliche Einteilung der Schwerhörigkeit in Schweregraden darstellen. Dies soll keinesfalls den Eindruck erwecken ich wolle Menschen in Kategorien einteilen. Es dient nur zur differenzierteren Betrachtung der Beeinträchtigungen beim Spracherwerb und zum besseren Verständnis später verwendeter Begriffe.
2.1 Schweregrade von Schwerhörigkeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten18
Das Ohr kann in verschieden Bereichen gestört sein. Man unterscheidet grob drei Arten. Die Schallleitungsschwerhörigkeit nennt man auch konduktive Schwerhörigkeit. In diesem Fall ist die Zuleitung des Schalls über die Luft zum Innenohr gestört. Dies kann durch Missbildung des Gehörgangs, Verletzung des Trommelfells o.ä. verursacht werden. Die Folge sind häufig Ohrgeräusche und eine gedämpfte auditive Wahrnehmung. Die Schallempfindungs schwerhörigkeit hingegen bedingt eine Missbildung oder Erkrankung im Innenohr. Auch defekte zuleitende Nervenbahnen oder eine gestörte Verarbeitung der Sinneseindrücke im Gehirn können hierzu führen. Man nennt sie auch sensorineurale Schwerhörigkeit. Die Folge ist eine verzerrte
Klangqualität. Des Weiteren gibt es noch die kombinierten Schädigungen der beschriebenen Art. Man spricht dann von einer kombinierten Schwerhörigkeit.
Die untergradigen Hörverluste können durch entsprechende Hörhilfen wieder kompensiert werden. Menschen mit schwereren Hörstörungen können trotz Hörhilfen nicht alles oder gar nichts hören. Diese müssen dann zunächst auf der visuellen Ebene kommunizieren (Gebärdensprache, Lippenlesen...). Für manche Gehörlose und Ertaubte gibt es noch die Möglichkeit mit Hilfe des Cochleaimplantats wieder zu hören.19
[...]
1 Volmert, Johannes [Hrsg.], Grundkurs Sprachwissenschaft, S. 9f.
2 vgl. Pohl, Inge, Einf ü hrung in die Sprachwissenschaft, 29.10.2001. vgl. Pohl, Inge, Einf ü hrung in die Sprachwissenschaft, 05.11.2001.
3 Schnell, Markus, persönliche Kommunikation, 05.10.2005.
4 Volmert, Johannes [Hrsg.], Grundkurs Sprachwissenschaft, S.211.
5 vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Spracherwerb, 01.09.2005, 12:11 Uhr.
6 vgl. Volmert, Johannes [Hrsg.], Grundkurs Sprachwissenschaft, S. 213.
7 Volmert, Johannes [Hrsg.], Grundkurs Sprachwissenschaft, S.214.
8 ebd., S.215.
9 ebd., S.215 ff.
10 http://de.wikipedia.org/wiki/Spracherwerb, 01.09.2005, 12:11 Uhr.
11 vgl. Volmert, Johannes [Hrsg.], Grundkurs Sprachwissenschaft, S.218.
12 vgl. Broich, Peter R., Menschen mit Störungen in der Aussprache, 06.11.2003.
13 Volmert, Johannes [Hrsg.], Grundkurs Sprachwissenschaft, S.208.
14 Kroppenberg, Dieter, Spracherwerb I/II, 08.06.2004.
15 vgl. Kroppenberg, Dieter, Spracherwerb I/II, 08.06.2004.
16 Wendlandt, Wolfgang, Sprachstörungen im Kindesalter, S.9, Abb.1.
17 vgl. Volmert, Johannes [Hrsg.], Grundkurs Sprachwissenschaft, S.219-231. vgl. Broich, Peter R., Wortschatz und Grammatikerwerb und Möglichkeiten der Beeinträchtigung: Diagnose und pädagogische Förderung, 06.05.2004. vgl. Broich, Peter R., Menschen mit Störungen in der Aussprache, 06.11.2003. vgl. Kroppenberg, Dieter, Spracherwerb I/II, 13.07.2004.
18 vgl. Jussen, Heribert, Kröhnert, Otto [Hrsg.], Handbuch der Sonderpädagogik Pädagogik der Gehörlosen und Schwerhörigen", S.5.
19 vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Schwerhoerigkeit, 13.09.2005.