Schulisches Lesen und Schreibenlernen im Kontext der Veränderung mit dem kritischen Blick auf das Konstrukt der Legasthenie


Trabajo Intermedio/Parcial, 2006

49 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

Teil I: Lesen und Schreiben im schulischen Alltag
2. Definitionen
2.1. Definition Lesen
2.2. Definition Schreiben
3. Geschichte des Lesens
4. Bedeutung des Lesens
5. Vorraussetzungen für das Lesen- und Schreibenlernen
6. Fähigkeiten beim Lesen und Schreiben
7. Verschiedene Methode des Lesenlernens
7.1. Überblick über die Leselehrmethoden
7.2. Die synthetischen Verfahren
7.2.1. Die Buchstabiermethode
7.2.2. Die Lautiermethode
7.2.3. Kritische Zusammenfassung
7.3. Das analytische Verfahren
7.3.1. Die Ganzheitsmethode
7.3.2. Kritische Zusammenfassung
7.4. Methodenintegration
8. Gründe für das Auftreten von Lese- und Schreibschwierigkeiten
8.1. Probleme durch allgemeine Faktoren
8.2. Probleme aufgrund sozialer Herkunft
9. Leseunterricht gestalten
10. Unterricht verändern
11. Lernen aus Fehlern
12. Prävention

Teil II: Legasthenie und seine Kritik
13. Legasthenie
14. Definition von Legasthenie
15. Der schwankende und inkonsistente Legastheniebegriff (Position
von Jörg Schlee)
16. Standpunkt von Hans Brügelmann
16.1. Erlass zu Förderung von Schülern mit besonderen
Schwierigkeiten beim Lernen des Lesens und
Rechtschreibens
16.1.1. Klassifizierung von Lernschwierigkeiten
16.1.2. Legastheniekonzept aus psychologischer Sicht
16.1.3. Legasthenie als Krankheit
16.1.4. Zusammenfassung
16.2. Allgemeiner Blick auf Legasthenie
17. Position von Renate Valtin
18. Kritische Bemerkung zum Umgang mit Legasthenikern
19. Schlusswort

Anhang: Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

1. Einleitung

Schriftsprache begegnet uns immer und überall. Wer Lesen und Schreiben gelernt hat, kann sich kaum noch vorstellen, es nicht zu können. Der Mensch neigt dazu, Schriftzeichen entziffern zu wollen und sei es noch so uninteressant. Jeder kennt diesen Drang, wenn man in der U-Bahn sitzt und eine Reklametafel direkt neben sich leuchten sieht. Man muss einfach wissen, welche Botschaft diese uns vermitteln möchte und beginnt zu lesen.

Kinder bekommen dieses Verhalten schon sehr früh mit. Allerdings ist die Schriftsprache eines von vielen Rätseln dieser Welt, die sie ergründen wollen. Einige schaffen dies ansatzweise schon vor dem Schuleintritt, während andere in den ersten Schuljahren und auch noch länger erhebliche Probleme haben, jenes zu lernen, was doch so einfach und selbstverständlich erscheint. Da jedoch dem Lesen und Schreiben in unserer heutigen Gesellschaft eine große Bedeutung beigemessen wird, haben Kinder mit Lese- und Rechtschreiblernproblemen eine sehr ungünstige Ausgangssituation, denn in der Schule wird das Wissen hauptsächlich über die Schriftsprache vermittelt. Dadurch ist ein Abrutschen schon in den ersten Klassenstufen regelrecht vorprogrammiert. Dies kann sich in eine Spirale verwandeln und eine Gefährdung der schulischen, beruflichen sowie sozialen Integration bedeuten, denn die Fähigkeiten des Lesens und Schreibens werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Werden nicht frühzeitig Fördermaßnahmen veranlasst, so führt dies schnell zu Enttäuschung und beeinträchtigt häufig das Selbstbewusstsein vieler Schüler.

In dieser Arbeit möchte ich das Problem des Lesens und teilweise auch des Schreibens aufgreifen. Welche Ausgangsituationen beeinflussen das Lesenlernen? Wie muss der Unterricht gestaltet sein und wie muss sich der Unterricht verändern, damit ein Kind unter den günstigsten Bedingungen lernt? Wie kann man Lese- und Schreibschwierigkeiten vorbeugen? Welche Bedeutung hat der Legastheniebegriff auf die Entwicklung eines Kindes und ist dieser überhaupt gerechtfertigt? Um diese Fragen zu beantworten, gliedere ich diese Arbeit in zwei große Themenbereiche. Der erste bezieht sich auf das Lesen und Schreiben im schulischen Alltag und der zweite befasst sich mit Legasthenie und seiner Kritik. Im ersten Teil der Ausarbeitung werde ich zunächst die beiden Hauptbegriffe Lesen und Schreiben definieren. Um nachvollziehen zu können, wie sich das Lesen im Laufe der Jahre entwickelt hat, gehe ich im Punkt zwei auf den geschichtlichen Verlauf des Lesens ein. Danach beleuchte ich das Thema der Bedeutung des Lesens in unserer Gesellschaft, um zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, lesen zu können. In Punkt fünf und sechs beschäftige ich mit den Vorraussetzungen und Fähigkeiten, die für das Lesen und Schreiben benötigt werden. Lesenlernen bedarf bestimmter Techniken und Methoden, die ich im Punkt sieben erklären und kritisch betrachten werde. Wenn man Kindern etwas beibringen möchte, kann man Fehler und Schwierigkeiten nicht ausschließen. Daher werde ich in den darauf folgenden vier Abschnitten auf Probleme durch allgemeine Faktoren und durch soziale Herkunft eingehen. Außerdem behandele ich die Themen, wie guter Unterricht gestaltet werden muss, was an der heutigen Situation im Klassenzimmer geändert werden sollte und dass Fehler keine Niederlagen bedeuten, sondern aus ihnen gelernt werden kann. Als letzten Punkt im ersten Teil der Arbeit werde ich einige präventive Maßnahmen nennen und beschrieben, wie man diese im Alltag umsetzen kann.

Der zweite Teil beginnt mit einer Definition von Legasthenie und einer anschließenden Kritik von Jörg Schlee im Bezug auf diese Begriffsbestimmung. Darauf folgt der Standpunkt von Hans Brügelmann, in dem der „Erlass zur Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Lernen des Lesens und Rechtschreibens“ beurteilt und kritisiert wird. Brügelmann stützt sich dabei auf die Klassifikation von Lernschwierigkeiten, auf eine psychologische Sicht und auf die Begriffsbestimmung im medizinischen Sinne. Die Position von Renate Valtin wird daraufhin erläutert. Zum Schluss werde ich noch einige kritische Bemerkungen zum Umgang mit Legasthenikern äußern. Abschließend fasse ich die Ergebnisse meiner Arbeit kurz zusammen.

Primär werde ich auf das Lesen und dem Umgang mit dieser Disziplin eingehen. Aber ich denke, dass sich Lesen und Schreiben gegenseitig bedingen. Daher werde ich auch Teilprozesse des Schreibens beachten und diese an gegebener Stelle näher betrachten.

Erfahrungsberichte in dieser Arbeit entnehme ich zum einen aus Erlebnissen mit Grundschulkindern in meiner Familie und zum anderen aus meiner Fördertätigkeit im Lese- und Schreiberwerb an einer Grundschule in Offenbach.

In der Arbeit verwende ich ausschließlich die männliche Form, um das Lesen zu erleichtern, wobei die weibliche Form immer mitbedacht werden muss.

Teil I: Lesen und Schreiben im schulischen Alltag

2. Definitionen

Zunächst werden die zwei zentralen Begriffe dieser Arbeit, Lesen und Schreiben, definiert und erklärt, um einen präzisen Standpunkt zu vermitteln, Missverständnisse zu vermeiden und Unklarheiten zu beseitigen. Ich werde dabei auch auf verschiedene Techniken kurz eingehen.

2.1. Definition Lesen

Lesen stammt von dem Wort „lesan“ ab und bedeutet ursprünglich „zusammentragen“ und „sammeln“. Lesen ist der Prozess, in dem man schriftliche Informationen aufnimmt und versteht. Anders ausgedrückt ist es die Sinnentnahme aus gedruckten und geschriebenen Schriftzeichen. Man deutet somit Zeichen, Schrift und schriftlich niedergelegte Spuren. „Die Fähigkeit, Gedrucktes und Geschriebenes zu entziffern, d. h., eine Folge graph. Zeichen in Sprache umzusetzen (Umkodierung), ist ein komplexer Prozeß, der auch das Vermögen einschließt, sich Sach- und Sinnzusammenhänge des Textes zugänglich zu machen (semantische Dekodierung).“ (Brockhaus 1990, S. 304) Anders definiert, würde man Lesen auch als visuelle Dekodierung von geschriebenen Zeichen bezeichnen.

Diese Definitionen beziehen sich nur auf die Sinnentnahme von Texten. Der Begriff an sich hat noch weitere Bedeutungen, wie beispielsweise: Jemanden „aus dem Gesicht lesen“ bedeutet, seine Mimik und Gestik zu interpretieren. „Spurenlesen“ ist beispielsweise das Erkennen von Tieren durch Fußspurenidentifikation und die Rekonstruktion seiner Handlungen. Und auch das „Datenlesen“ bezieht sich nicht auf Textverständnis, sondern ist ein spezieller Begriff in der Informatik.

Hierbei möchte ich noch kurz auf die verschiedenen Lesetechniken eingehen. Diese dienen dazu, die Art des Lesens den Zielen des Lesers anzupassen. Dadurch kann eine Minimierung des Aufwandes gewährleistet werden, ohne Abstriche beim Ergebnis machen zu müssen. Eine Lesetechnik ist das Sequenzielle Lesen, wobei der Text komplett gelesen wird, mit dem Ziel, dass die Handlungs- und Gedankengänge möglichst vollständig verfolgt werden können. Auf größere Rücksprünge wird weitestgehend verzichtet. Eine weitere Technik ist das Punktuelle Lesen. Aus dem Text werden nur einzelne Abschnitte entnommen. Der Inhalt wird durch das Zusammenfügen der Bruchstücke erfasst. Diese beiden Lesetechniken und das Intensive Lesen sowie das Kursorische Lesen gehören zu den konventionellen Lesetechniken.

Diagonales Lesen, Überfliegen, SpeedReading und PhotoReading sind Schnelllesetechniken, die allerdings unter der Kritik stehen, dass man zwar schneller vorankommt, aber somit auch den Inhalt der Texte nicht so intensiv aufnimmt, wie bei den konventionellen Lesearten. (vgl. Egle 2004)

Lesen kann man aber nicht nur mit dem Auge (visuell), sondern auch mit den Händen (taktil). Die Blindenschrift gibt Menschen ohne Sehvermögen die Möglichkeit, durch Betasten der Blindenschrift Informationen aufzunehmen und auch schriftlich niederzulegen. Diese Schrift kann allerdings nur sequenziell und mit mäßiger Geschwindigkeit gelesen werden. Schnelllesetechniken können hier leider nicht angewendet werden.

2.2. Definition Schreiben

Schreiben stammt von dem Wort „scribere“ und bedeutet, dass man mit dem Griffel auf eine Tafel einritzt. In unserer heutigen Gesellschaft versteht man unter diesem Terminus das Aufzeichnen von Schriftzeichen, Noten, Buchstaben und Zahlen auf eine dauerhafte Unterlage wie Papier, Computer und ähnliche Medien. (vgl. Brockhaus 1992, S. 511) Diese Form der Kommunikation ist das Gegenstück zum Lesen, ebenso eine Kulturtechnik, wobei sich diese beiden Ausdrucksformen gegenseitig bedingen. Man kann nicht Lesen, wenn nichts geschrieben steht und es mag sehr schwierig sein, wenn man richtig und sinnvoll schreiben möchte, ohne Lesen zu können. Schreiben bedeutet zum Beispiel aber auch, dass man Texte und Geschichten verfasst. Dies sind meist lyrische und epische Texte, die unter das kreative Schreiben fallen. Außer der gebräuchlichen Handschrift gibt es noch die Kunst- und Zierschrift. Um Schriften langfristig festhalten zu können, bedarf es einem Werkzeug, mit dem man das Schriftbild fixiert. Früher waren dies Hammer und Meißel, später dann der Griffel. Außerdem war das Schreiben nur wenigen Menschen vorbehalten. Heute haben wir die unterschiedlichsten Möglichkeiten, um Gedanken zu sichern. Es gibt viele verschiedenartige Stifte wie Bleistift, Buntstifte oder Filzstifte, Füllhalter, Kreide sowie elektronische Geräte wie der Computer. (vgl. Brockhaus 1992, S. 511)

3. Geschichte des Lesens

Das Lesen und Schreiben blieb in den alten Hochkulturen eine Aufgabe ausgewählter Angehöriger religiöser Einrichtungen, die meist gleichzeitig Herrschaftsfunktionen und Verwaltungsaufgaben wahrnahmen. In Ägypten entwickelte sich ein eigener Schreiberstand, der zum einen als königliches Beamtentum und zum anderen als Gelehrtenstand amtierte. Im alten Griechenland erlebte das Lesen im 5./4. Jahrhundert einen großen Aufschwung. Im Römischen Reich lasen nur die gebildeten Bürger. Die städtische Kulturwelt und damit die Schriftkultur verschwand mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches um 400 n. Chr. Bis ins 12. Jahrhundert wurde Lese- und Schreibkunst einzig von der Kirche und den Klöstern aufrechterhalten, denn selbst Herrscher wie Karl der Große konnten seinerzeit weder lesen noch schreiben. Mit wachsendem Handel und der Gründung der Universität im 12./13. Jahrhundert entstand langsam wieder eine Lesekultur, die hauptsächlich von den Gebildeten, der Verwaltung und ab dem 14. Jahrhundert auch von der städtischen Bourgeoisie genutzt wurde. Die Zahl der Lesebegeisterten stieg. Dies war der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Schriftzeichen durch J. Gutenberg zu verdanken, durch die Niedergeschriebenes leichter zugänglich wurde. Etwa 15% der Bevölkerung konnten zu diesem Zeitpunkt lesen. Abgesehen von dem stillen Lesen kam dem Vorlesen eine große Bedeutung zu. Aber diese neue Drucktechnik und damit die schnelle Verbreitung von Schriften hatten nicht nur großen Einfluss auf die Bevölkerung im herkömmlichen Sinne, sondern auch auf den Hergang der Reformation. Mit der Aufklärung und ihrem Ideal der Bildung für alle, der aufkeimenden deutschen Nationalliteratur, der Industrialisierung und der schlagartig anschwellenden Buch- und Zeitungsproduktion gingen die Bemühungen, den unteren Ständen und der Landbevölkerung generell das Lesen und Schreiben beizubringen, einher. Vom 17. bis 19. Jahrhundert wurden im deutschen Sprachraum hunderte von Lesezirkeln, Leihbibliotheken, Lesegesellschaften und Volksschriftenvereine mit dem Ziel gegründet, das Lesen pädagogisch wertvoller Beiträge auf eine breitere Grundlage zu stellen. Saisonale Modeliteratur, Jahrbücher/Chroniken, Zeitschriften und Magazine fanden mit großem Zuspruch ihre Leser. Kritiker im 18. Jahrhundert sprachen von einer Lesesucht. Im 19. Jahrhundert kam die Arbeiterbildungsbewegung hinzu. In allen Gesellschaften, in denen Wert auf gute Bildung im Bereich des Lesens und Schreibens gelegt wurde, versteht man früher und heute Lesen als Medium zur Erlösung des einzelnen aus Unkenntnis, Unfreiheit und sozialer Not. Daher bringt man mit Lesen immer Wörter wie Zensur, Bücherverbrennung, Meinungsfreiheit sowie Pressefreiheit in Verbindung. (Brockhaus 1990, S. 304/305)

4. Bedeutung des Lesens

Sobald ein Kind Lesen lernt, hat es einen neuen geistigen Zugriff gewonnen, mit dem es sich eine andere Welt der Vorstellungen erschließen kann. Indem das Kind die Zeichen der Schrift interpretieren lernt, macht es sich ein Symbolgefüge zueigen, durch welches gleichzeitig auch sein eigenes Denken organisiert, ausgedehnt und gewandelt wird. Wenn man lesen kann, wird man sogleich in einen anderen Stand der geistigen Bildung gehoben. Eine ganz neue Welt eröffnet sich und man macht einen großen Schritt in der eigenen geistigen Entwicklung. Man kann nun mit vielen Materialien arbeiten, die vorher unverständlich oder uninteressant waren, da man nichts mit ihnen anfangen konnte. Die Aneignung des Lesens ist die Grundlage für den Erfolg in der Schule und im Leben. Durch Schrift können sich die Menschen mitteilen und Lesen macht es möglich, Mitteilungen von anderen zu verstehen. Lesen ist sogar eine Kulturtechnik, die erlernt werden muss, denn sie ist Grundvoraussetzung für die Teilnahme an Wirtschaft, Kultur und Wissen. Ich wundere mich immer wieder, wie es einem erwachsenen Analphabeten gelingt, in der heutigen, modernen und arbeitsgeleiteten Gesellschaft ohne Lese- und Schreibfähigkeiten zurecht zu kommen.

In unserer Industriegesellschaft ist es selbstverständlich, Lesen zu lernen, aber in den Ländern der dritten Welt müssen die Kinder oft hart dafür kämpfen, damit sie Lesen lernen dürfen. Ich denke, dass manche Menschen dieses Privileg nicht richtig Wert schätzen und ihnen gar nicht bewusst ist, welche Möglichkeiten man hat, wenn man Lesen und Schreiben kann. Lesen ist nicht nur die Tatsache an sich, sondern man verbindet damit Wörter wie Wissen, Freiheit, wie beispielsweise Pressefreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung, oder Unabhängigkeit.

5. Voraussetzungen für das Lesen- und Schreibenlernen

Grundvoraussetzungen zum Erlernen von Lesen und Schreiben umfasst alle kognitiven Bereiche. Diese sind unter anderem eine gute Seh- und Hörfähigkeit, ein Gleichgewicht im Körper und motorische Koordination, eine integrative Verarbeitung der sensorischen Informationen, eine Koordination der Sinne und Motorik, die Beherrschung und Verständnis der Sprache, Sprachverarbeitung, eine kognitive Sprachanalyse und die Merkfähigkeit. Diese Grundfunktionen werden meist schon im Kindergarten gefördert. Schreiben und Lesen sind Prozesse des Problemstellens und Problemlösens. Wenn das Kind die Schriftsprache erwirbt, muss es die deutsche Sprache dem Alter entsprechend gut beherrschen und Wissen über die Funktion und den Aufbau der Schriftsprache gewinnen. Es muss die Einsicht gewinnen, dass in einem geschriebenen Satz alle Redeteile aufgenommen werden und eine Verknüpfung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache besteht. Auch muss das Kind erkennen, dass nach jedem Wort Platz gelassen werden muss, Wörter in lautliche Teile zerlegt werden können und Schriftzeichen bestimmten Lautelementen zugeordnet werden müssen. Bei der Erlernung dessen stützt sich das Kind auf vorausgegangene Kenntnisse im Bereich der Sprache, denn Lesen bleibt ein Bestandteil der Sprachbildung und Kinder können nur Lesen lernen, wenn sie der Schrift als einem gewissen Teil der Sprache begegnen und einen ständigen Bezug zu ihr erfahren.

Das sind alles wichtige Vorraussetzungen, damit Kinder erfolgreich Lesen lernen. Doch beim eigentlichen Eintritt in die Schule ist meist nur ein Aufnahmekriterium wichtig: das Lebensalter. Dies ist meiner Ansicht nach aber nicht ausreichend. Es müssten verstärkt Untersuchungen im Bereich der visuellen und akustischen Wahrnehmungsfähigkeiten gemacht werden. Es ist nach meinen Erfahrungen schon häufig vorgekommen, dass bei einem Kind Lese- und Rechtschriebschwierigkeiten diagnostiziert wurden, die allerdings nicht auf kognitive Defizite zurückzuführen waren, sondern auf Beeinträchtigungen der Augen oder des Gehörs. Dies wurde dann aber erst nach einigen längeren Phasen von Förderungen festgestellt. So etwas muss schon früher erkannt werden, denn die Kinder werden durch solche Versäumnisse extrem in ihrer persönlichen Entwicklung beeinträchtigt, hinken anderen Kindern unnötig hinterher und verursachen unter Umständen Entwicklungsstörungen.

6. Fähigkeiten beim Lesen und Schreiben

Bevor man einfach mit dem Lehren der Schriftsprache beginnt bzw. um Lesen und Schreiben zu können, müssen ein bestimmtes Grundwissen und vielseitige Fähigkeiten erworben werden. Der Lernende muss wissen, dass man von links nach rechts und von oben nach unten liest und schreibt. Bei Kindern vor dem Eintritt in die Schule kann man nämlich oft beobachten, dass sie spiegelverkehrt und von rechts nach links schreiben. So selbstverständlich wie uns dieser Punkt häufig erscheint, ist dies für Kinder nicht.

Außerdem muss man dem Kind bewusst machen, dass man bei der Schrift Geschriebenes in Gesprochenes und auch umgekehrt übersetzen kann. Manche Wörter werden häufig in bestimmten Wortkombinationen verwendet und in einigen Einheiten zusammengefasst. Wenn das Kind dies begreift, erleichtert es das Lernen. Gespeicherte Informationen können dem Kind helfen, schneller beim Lesen und Schreiben voranzukommen und erleichtern Denken und Handeln. Ferner ist die Gefahr geringer, dass das Kind Fehler macht und ermöglicht eine Erhöhnung der Lesegeschwindigkeit.

Wichtig ist auch die Erkennung der Graphem-Phonem-Korrespondenz (Zusammenspiel von kleinsten funktionalen Einheiten des Schriftsystems wie ch, sch… und dem Laut) bei den einzelnen Wörtern, um Lesefehler bezogen auf die Aussprache zu vermeiden. (Phonologische Bewusstheit)

Neil Ferguson ist der Ansicht, dass Kinder zunächst erst einmal erfahren müssen, wozu Lesen und Schreiben gut ist und worum es geht, wie er es ausdrückt „die Natur der Sache Lesen“ (Ferguson in Spitta 1977, S. 96) erfährt. Dann kann man erst anfangen, das Lesen an sich zu unterrichten. Für ihn ist es wichtig, dass direkte Leseerfahrungen und Wissen über die Funktion desselbigen als Grundlage im Vordergrund stehen und nicht die Theorien, die die Wichtigkeit der Entwicklung von Sprache hervorheben. (vgl. Ferguson in Spitta 1977, S.96)

Kinder müssen außerdem in der Lage sein, die gelernten Regeln auf neues Material zu übertragen, wobei hier die Strategie des Erinnerns eine wichtige Rolle spielt.

7. Verschiedene Methoden des Lesenlernens

Lesen und Schreiben ist, wie schon in den oberen Punkten erklärt, sehr wichtig für die Entwicklung des Kindes. Wie aber lernen Kinder Lesen und was ist eine angemessene Methode zum Erlernen des Lesens? Dies ist eine Frage, die sich seit Anbeginn der Vermittlung und Weitergabe der Kenntnisse des Lesens gestellt wurde. Es gibt viele verschiedene Methoden, Kindern das Lesen beizubringen. In diesem Abschnitt werde ich zuerst einen groben Überblick über diese Leselehrmethoden geben und danach drei der wichtigsten Verfahren näher erläutern: die Buchstabiermethode, die Lautiermethode und die Ganzheitsmethode.

7.1. Überblick über die Leselehrmethoden

Die Leselehrmethoden untergliedern sich vorerst grob in synthetische und analytische Methoden. Zu den synthetischen Lehrformen gehören die Buchstabiermethode und die Lautiermethode. Bei der Buchstabiermethode ist der Ausgangspunkt der Buchstabe und sein alphabetischer Name, wobei die Buchstaben nach dem Buchstabieren addiert werden. Die Lautiermethode gliedert sich noch einmal in Sinnlautmethode, Anlautmethode, Artikulations- und Phonologische Methode und Schreib-Lesemethode.

Zu den analytischen Methoden zählen die Ganzwortmethode und die Ganzsatzmethode. Diese beiden werden meist zusammengefasst als Ganzheitsmethoden bezeichnet. Der Ansatzpunkt bei der Ganzwortmethode ist die Sinneinheit des gesprochenen Wortes. Dabei wird Sprachwort, Schriftwort und Bedeutung gekoppelt; die Wortgestalt wird ganzheitlich erfasst. Bei der Ganzsatzmethode ist der Ausgangspunkt die Sinneinheit des gesprochenen Satzes, wobei die sprachliche Aussage, Schriftzeichenband und Bedeutung des Satzes gekoppelt sind. Die Satzgestalt muss ganzheitlich erfasst werden. (vgl. Brügelmann 1989, S. 72)

[...]

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Detalles

Título
Schulisches Lesen und Schreibenlernen im Kontext der Veränderung mit dem kritischen Blick auf das Konstrukt der Legasthenie
Universidad
University of Frankfurt (Main)
Calificación
2
Autor
Año
2006
Páginas
49
No. de catálogo
V56097
ISBN (Ebook)
9783638508858
ISBN (Libro)
9783640543687
Tamaño de fichero
594 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Schulisches, Lesen, Schreibenlernen, Kontext, Veränderung, Blick, Konstrukt, Legasthenie
Citar trabajo
Anja Neugebauer (Autor), 2006, Schulisches Lesen und Schreibenlernen im Kontext der Veränderung mit dem kritischen Blick auf das Konstrukt der Legasthenie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56097

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