Völkerpsychologie und Nationalcharaktere in Heines "Lutezia"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

21 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


2. Inhaltsverzeichnis

1. Titel

3. Einleitung

4. Deutschland als verspätete Nation

5. Ideen zu Europa und Nation vor Heine

6. De Staëls Deutschlandbild und Heines Reaktion

7. Nationalcharakteristiken des frühen Heine

8. Ausschluss Englands aus Heines Europakonzeption

9. Völkerpsychologischer Vergleich Frankreich, Deutschland

10. Ergänzungsgedanke Deutschland / Frankreich – Heines Europakonzeption

11. Umakzentuierung der Nationalcharakteristiken in der Lutezia

12. Unvereinbarkeit von historischen und utopischen Denken

13. Schluss

14. Literaturverzeichnis

3. Einleitung

Die Gründe, die Heine 1831 nach Paris führten, lagen sicherlich zum einen am Überdruss der in Deutschland herrschenden Zustände, die insbesondere seine Arbeit als politischer Schriftsteller zunehmend beeinträchtigten. Zum anderen bestand die Anziehung Frankreichs, das ein Jahr zuvor eine erneute Revolution, die Julirevolution, erlebte, die Heines Entschluss, in die französische Hauptstadt zu gehen, verstärkte. Demzufolge bildete natürlich der Vergleich der beiden Länder, seinem Heimatland und seiner Wahlheimat, ein immer wiederkehrendes Motiv in seinen Arbeiten. In der Analyse ging Heine dabei freilich auch auf die Menschen mit all ihren Eigenarten und Charakteristiken ein, um die Unterschiede in der Wesensart und die daraus resultierenden Verschiedenheiten in Politik und gesellschaftlichen Leben hervorzuheben.

In der Lutezia arbeitet Heine nun explizit mit Klischees der Völkerpsychologie und teils überzeichneten Nationalcharakteren, mit dem Ziel, seine „pacifike Mission“, sprich die Völker einander näher zu bringen, voranzutreiben.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht demnach der völkerpsychologische Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich in der Lutezia, sowie Heines Europakonzeption, in der genannte Länder führend sein werden, England hingegen völlig außen vor bleiben muss. Zunächst wird jedoch auf den deutschen Sonderweg als verspätete Nation, auf Ideen zu Europa und Nation vor Heine, de Staëls Werk über Deutschland, welches Heine unmittelbar beeinflusst hat, sowie die Nationalcharakteristiken des frühen Heine eingegangen. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden schließlich Gründe für die Umakzentuierung der Charakteristiken in der Lutezia gesucht und die Unvereinbarkeit von Heines utopischen Vorstellungen mit der Entwicklung politischer und gesellschaftlicher Zustände Mitte de neunzehnten Jahrhunderts beleuchtet.

Sekundärliteratur zu Heinrich Heine ist zwar im großen Umfang vorhanden, erstaunlicherweise scheint aber die Analyse der Berichte in der Lutezia ein weitgehend unberührtes Feld zu sein. Demzufolge fällt das Literaturverzeichnis ein wenig übersichtlicher aus.

4. Deutschland als verspätete Nation

Bei der Besprechung des deutschen Nationalcharakters ist es notwendig, auf den deutschen Sonderweg einzugehen, der sich am deutlichsten im zeitlichen Rückstand in den Bereichen der Industrialisierung und Demokratiebewegungen im Vergleich zu anderen Nationen wie Frankreich äußert. Auffälligstes Indiz dafür ist der kleinstädtische Provinzialismus, wobei das provinzielle Denken mitverantwortlich ist für die Erstarrung des gesellschaftlichen Lebens, einen engstirnigen Nationalismus und reaktionäres Schwärmertum.[1] Höhne vergleicht dabei das Deutschland der 1820/30er Jahre mit den Zuständen die in Frankreich vor der Revolution 1789 vorherrschten.[2] Ein deutsches Bürgertum entsteht in Deutschland erst im Zuge Napoleons Kontinentalsystem, greift allerdings als politischer Akteur erst ab 1840 ein. Revolutionäre Interessen der unterdrückten Klassen werden nicht vertreten und darüber hinaus werden die Kleinbürger auf Grund der wenig entwickelten deutschen Industrie zunehmend wehrloser gegenüber der Konkurrenz durch den Weltmarkt. Dadurch wird der Anschluss der Menschen an die Höfe gefördert, um ihre Existenzgrundlage zu sichern. Das Untertanenverhalten gegenüber Fürsten und Adel ist das Ergebnis. Zudem kennzeichnet sich das Philistertum durch Beschränktheit, Mittelmäßigkeit, bescheidenen Egoismus und die Standardisierung des bürgerlichen Lebens. Die praktizierte Unterdrückung des politischen und gesellschaftlichen Lebens spiegelt dabei die selbstzufriedene Bedürfnislosigkeit des deutschen Spießbürgers wieder.[3] Gefördert wird diese Landeskindermentalität weiterhin durch das Fehlen einer deutschen Großstadtkultur, eines kulturellen Zentrums. Heine beklagt zum Beispiel nach einem Berlinbesuch die dort verbreitete Nüchternheit, Langeweile, Erstarrtheit und das Spießbürgerliche, was sich kaum von der kleinstädtischen Zurückgebliebenheit unterscheiden würde.[4] Nationale Identität besteht auf Grund politischer und kultureller Zersplitterung des Landes auch höchstens vage, erst 1871 können die Deutschen diese Identität auch auf staatliche Grenzen und Einheit gründen. Ein weiteres Indiz für den Sonderweg der verspäteten Nation.

5. Ideen zu Nation und Europa vor Heine

Unbestreitbar sind Heines Konzeptionen zu Nation und Europa auch ein Produkt der Geschichte. Daher scheint es notwendig, einen Blick darauf zu werfen, in welcher Form Vorstellungen zu diesem Themenkomplex bereits vor Heine entstanden und entwickelt wurden.

Schon im Mittelalter gab es etwa bei Karl dem Großen Gedanken zu einer europäischen Einheit als abendländisches Bollwerk beispielsweise gegen Araber und Türken. Diese Vorstellungen der Einheit der Vielheit, die sich auch noch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen wieder finden, werden dann in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts durch ein neues Europabewusstsein abgelöst, vor allem unter dem Einfluss französischer Autoren wie Voltaire, Rousseau und Montesquieu, deren aufgeklärtes Denken nicht nur die Grundsätze der französischen Revolution maßgeblich beeinflusste, sondern auch einzelne Denker und Vordenker wie etwa Herder, der im Zuge seiner Humanitätsphilosophie auf die Ausbildung der Nationalcharaktere ganz im Interesse Europas und der Menschheit setzt und die friedliche Konkurrenz der Völker als „Allianz aller gebildeten Nationen“ propagiert, wobei die Ausbildung einer europäischen Identität allerdings ein bereits entwickeltes Nationalbewusstsein voraussetzt.

Novalis, der Freiherr Friedrich von Hardenberg, entwirft darüber hinaus in seiner Europarede die Utopie einer idealen gesellschaftlichen Zukunft ohne konfliktreiche Auflösungs- und Entfremdungssymptome vor dem Hintergrund der Vorstellung eines erneuerten Christentums:[5] „Es wird so lange Blut über Europa strömen, bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise herumtreibt,(…). Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und die Völker sichern, und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden in ihr altes friedensstiftendes Amt installieren.“[6] Deutschland kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu: „Der Deutsche ist lange das Hänschen gewesen, er dürfte aber bald der Hans der Hänse werden.“[7]

Ebenso findet sich die zentrale Rolle Deutschlands auch bei Hölderlin wieder: „Je stiller ein Staat aufwächst, umso herrlicher wird er, wenn er zur Reife kömmt. Deutschland ist still, bescheiden, es wird viel gelacht, viel gearbeitet, und große Bewegungen sind in den Herzen der Jugend, ohne dass sie in Phrasen übergehen wie sonst wo. Viel Bildung und noch unendlich mehr bildsamer Stoff! – Gutmütigkeit und Fleiß, Kindheit des Herzens und Männlichkeit des Geistes sind die Elemente, woraus ein vortreffliches Volk sich bildet. Wo findet man das mehr als unter den Deutschen?“[8]

Ähnlich wie in Heines Europakonzeption nimmt Frankreich bei Hölderlin auch nur die vorbereitende Rolle im Befreiungsprozess des Menschen ein, um darin daraufhin von Deutschland abgelöst zu werden. Die Aufwertung des deutschen Nationalcharakters im Gegensatz zum französischen findet sich auch bei Schlegel.[9]

Was realpolitisch folgt ist die zunächst die Besatzungszeit Napoleons, die die Einführung einer europäischen Universalmonarchie vorsah, die auf der Friedens- und Freiheitsgarantie der Völker basieren sollte, in Wirklichkeit aber wohl eher einer imperialen Strategie des Unterwerfens und Unmündigmachens glich. Insbesondere betroffen von der französischen Besatzung auf dem europäischen Kontinent waren deutsche Gebiete, woraufhin dort unmittelbar das Entstehen einer frankreichfeindlichen, nationalistischen Ideologie einsetzte. Das gezeichnete Selbstbild des Unterlegenen mündet schließlich in Nationalhass wie von Arndt unmissverständlich ausgedrückt.

„(…) Geschieden werde das Fremde und Eigene auf ewige Zeit, geschieden werde das Französische und Deutsche, nicht nur durch Berge, nicht durch Ströme, nicht durch chinesische und kaukasische Mauern, nein, durch die unübersteigliche Mauer, die ein brennender Hass zwischen beiden Völkern aufführt.“[10]

[...]


[1] Stauf 59.

[2] Höhne 30.

[3] Oesterle 19ff.

[4] Stauf 61.

[5] Stauf 35.

[6] Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, Bd. 3, Stuttgart, 1968 (2.Auflage), S. 523

[7] [7] Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, Bd. 3, Stuttgart, 1968 (2.Auflage), S. 436

[8] Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 6,1, Frankfurt/M., 1969, S.229f.

[9] Stauf 40.

[10] Ernst Moritz Arndt, Arndts Werke, Teil 8: Geist der Zeit III, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart, 1912 S. 166.

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Details

Titel
Völkerpsychologie und Nationalcharaktere in Heines "Lutezia"
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Veranstaltung
Heines 'Lutezia': Modernität der Kunst und europäische Kulturgeschichte
Note
2,5
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V56288
ISBN (eBook)
9783638510134
ISBN (Buch)
9783656778790
Dateigröße
417 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Völkerpsychologie, Nationalcharaktere, Heines, Lutezia, Heines, Modernität, Kunst, Kulturgeschichte
Arbeit zitieren
Stefan Schusterbauer (Autor:in), 2005, Völkerpsychologie und Nationalcharaktere in Heines "Lutezia", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56288

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