Diskursanalyse von Progammiersprachen - Zur Wissensarchäologie maschineller Diskurse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

43 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Diskursanalyse nach Michel Foucault
2.1. Archäologie des Wissens
2.2. Anwendbarkeit auf den Gegenstand der Arbeit

3. Computergeschichte als Programmiergeschichte

4.1. Sprache – das Codieren von Information
4.2. Schrift – das symbolische Programmieren der Welt
4.3.1. Exkurs zur Maschine: Mensch – Maschine – Interaktion
4.3.2. Alles Software? – Alles Hardware?
4.4. Programmiersprachen und linguistische Konzepte
4.4.1. Kompetenz und Performanz

5. Programmierung als Konstruktion von Realität

6.1. Fragen und Begriffe zur Diskursanalyse
6.2. Diskursanalytische Ansätze

7. Resümmee

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Vorwort

Der Computer als ›rechnender Raum‹, als abstraktes Zeichensystem oder als ideologische Metapher: die Ontologie der Maschine ist immer auch ein Betätigungsfeld der Anthropologie. Den konkurrierenden Definitionen des Computers wohnt immer auch ein Stück Selbstbeschreibung des Menschen und seiner Position zur Umwelt inne. Der Mensch formuliert durch Technik Aussagen über sich und über die Welt, der er sich durch eben jene Maschinen entfremdet fühlt.

Im Spannungsfeld dieser Begriffe möchte ich das Thema meiner Hausarbeit anlegen: der Mensch, der durch Technik zu Aussagen über sich und über die Welt findet – eine diskursive Perspektive auf das Abbildungssystem Computer. Die Beschreibung des Computers und seiner Genese beschränkt sich zumeist auf eine Hardware-Geschichtsschreibung, eine Phänomenologie der Apparate. Eine derartige Form der Medienchronik bieten beispielsweise Hans Hiebel (1997) oder Christian Wurster (2002). Die chronologische Abhandlung dieses Themas droht sich allerdings leicht in Anekdoten und Lobeshymnen auf die expotentiell beschleunigende Technikevolution zu verlieren. Einen anderen Weg beschreitet Wolfgang Hagen (1997), der mit der Beschreibung der Evolution von Programmierkonzepten in die Nähe einer sprachwissenschaftlichen Perspektive rückt.

In dieser Arbeit werde ich von einer geschlossenen, mit Jahreszahlen gespickten Beschreibung Abstand nehmen, und mich der Thematik mit Hilfe der Diskursanalyse nach Michel Foucault nähern. Zentral sind dabei die Fragen, was uns Programmieren ›bedeutet‹, und inwieweit der Computer als Abbildungssystem der Realität Wissen in Simulationen schaffen kann. Dazu gilt es, die verschiedenen Diskursfelder, in denen der Computer wirksam wird und die wiederum für das ›Funktionieren‹ des Computers notwendig sind, zu untersuchen. Entscheidend sind dabei die Strategien und Machtfragen der Computernutzung.

Zunächst werde ich die Grundzüge einer Diskursanalyse, wie sie Foucault in seinem programmatischen Buch der ›Archäologie des Wissens‹ (Foucault, 1981) entworfen hat, darlegen. Die Geschichte des Computers werde ich als Geschichte seiner Programmierung, als stringenten Weg in die Abstraktion von der Maschine, beschreiben. Sprachkonzepte bilden den Schlüssel zum tieferen Verständnis des ›Maschinen-Seins‹. Fragen nach der Hardware-Software-Dualität wird genauso nachgegangen werden, wie den Fragen nach wechselseitiger Simulation und den vielfältigen Widersprüchlichkeiten. Abschließend werde ich einige Ansätze zu einer generellen Diskursanalyse des Computers entwickeln und eine ergebnisorientierte Diskursanalyse zu einer Kernproblematik dieser Arbeit durchführen.

Auf diese Art und Weise hoffe ich, die ideologische Bedeutung des Computers für unsere Wahrnehmung der Realität besser fassen zu können. Die Einordnung des Menschen und der Maschine in verschiedene Positionen der Diskurse mag zudem einige Anregungen für unser Selbstverständnis als Mensch und als ›Nutzer‹ geben.

2. Diskursanalyse nach Michel Foucault

Die Diskursanalyse nach Michel Foucault ist keine konsistente Methode. Auch Foucault hat sich einer generellen Definition seiner Arbeitsweise stets entzogen. Er sieht sich selber vielmehr als einen, an den Schreibtisch gefesselten Philosophen, der sich zumindest die Freiheit herausnehmen darf, frei in den Labyrinthen des Geistes umherzuirren.

»Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der gleiche bleiben: das ist eine Moral des Personenstandes […] Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt zu schreiben« (Foucault, 1981, 30).

Allein in der ›Archäologie des Wissens‹ von 1969 nimmt er eine Methodenreflektion seiner bisherigen Arbeiten vor, und stellt programmatisch ›Verzichte‹ und ›Gebote‹ der Diskursanalyse auf. Diese radikalisierte Methode kommt in dieser Form aber auch in seinen folgenden Werken nicht zur Anwendung. Die Analyse der Diskursanalyse, wie sie Foucault in der ›Archäologie des Wissens‹ betreibt, bleibt ein systematisches Spiel von geringem praktischen Nutzen. Für das Verständnis der Begriffe und Verfahren einer Diskursanalyse ›nach‹ Michel Foucault, bleibt sie allerdings zentral.

2.1. Archäologie des Wissens

Foucault reflektiert die Vorgehensweise seiner bisherigen Arbeiten[1] und untergräbt durch die Strenge seiner programmatischen Forderungen deren theoretisches Fundament als mögliche und richtige Methodik. Er sieht seine Fehler in der Fortführung eines Denkens in Antagonismen. In der Behandlung von Begriffspaaren führt die Kritik eines Begriffs automatisch zur Idealisierung seines Gegenstücks.[2]

Foucault strebt künftig eine Archäologie im Sinne eines nicht wertenden und interpretierenden Sammelns und Registrierens der Fundstücke (aller Phänomene unserer Kultur) an. Der erste Schritt wird in der Abkehr von Begriffen und Konzepten der klassischen Geschichtserfahrung und Überlieferung getan: für ihn gibt es keine subjektive Äußerung eines Autors (Zeitzeugen), keine konsistente Überlieferung von Aussagen, keine Chronologie, keine Teleologie, keine Hierarchie, keine Evolution und keinen Ursprung. Die aus diesem Denken resultierende Geschichtsauffassung wird von Deleuze und Guatterie zum Begriff des rhizomatischen Denkens weiterentwickelt.[3] Das geschichtliche ›Dokument‹ wandelt sich vom ›sprechenden‹ Zeitzeugen zum ›stummen‹ Kategorisierungsobjekt. Der Archäologe sieht sich einem inkohärenten Feld verstreuter Aussagen gegenüber, die in keiner Verbindung zueinander stehen, als den ebenso verstreuten und inkohärenten Diskursformationen, denen sie entstammen.

Foucault strebt eine Theorie der Diskurse an, die sich auf die Suche nach den diskursiven Regelmäßigkeiten begibt. Den Diskurs begreift er als dessen eigene Praktik. Er kann nur in dieser Praktik existieren und beschrieben werden, und besitzt damit keine eigene, abstrakte Ebene. Diskursive Praktik kann zwar von nicht-diskursiven Praktiken[4] unterschieden werden, doch sind diese immer in bildender Weise auf einander bezogen: der autonome Diskurs ist eine Illusion. Foucault fragt nach den Beziehungen zwischen diskursiven Praktiken bzw. Aussageformationen (wie der Psychopathologie) und nicht-diskursiven Praktiken bzw. Inhaltsformationen (wie der Irrenanstalt). Diese stellen eine dritte, übergeordnete Instanz dar (kulturelle Werte: ›normal‹ oder ›pathologisch‹).

Diskurse sind geregelte Formationen von Aussagen. Eine Aussage wird als kontingente, individualisierte, aber anonyme Materialität des zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort wirklich Gesagten begriffen. In völliger Bedeutungslosigkeit und purer Äußerlichkeit findet der Archäologe sie verstreut im Raum vor. Ihm obliegt nun die Aufgabe, sie zu systematisieren und ihre wirklichen Regelmäßigkeiten zu eruieren. Regelmäßig ist das konstitutive Element der Inkohärenz, Diskontinuität, Offenheit und Heterogenität. Regelhaft ist also lediglich das regellose, streuende Verhalten der Diskurse. Ein Diskurs formiert sich aus allem Gesagten und Sagbaren in Auswahl. Er ist damit gleichzeitig eine selektive Manifestation und Okkultation. Ein Ver- und Entbergen von Wissensmöglichkeiten.[5] Zur Analyse eines Diskurses müssen die Bedingungen, Grenzen und Korrelationen der Aussagen im Feld der anderen Aussagen untersucht werden. Diskursfelder oder –formationen sind stets bemüht, die Illusion der inneren Ordnung und stringenten Entwicklung aufrecht zu erhalten. Die scheinbare Einheit der Aussagen einer Diskursformation wird durch den Bezug auf gleiche Objekte geschaffen, die Form ihrer Verkettung, einheitliche Begriffe und den Bezug auf wiederkehrende Themen und Ideen. Foucault hält Objekte, Begriffe und Themen für inkohärent. Die Einheit aller Aussagen beschreibt man paradoxerweise durch die Analyse ihrer Getrenntheit. Aussagen lassen sich auch nicht in der Form von Verkettungen darstellen. Es handelt sich vielmehr um Transformationen. Ihr Auftauchen und Verschwinden, ihr Grad der Streuung gibt Aufschluß über die Potentiale des Diskursfeldes. Die Untersuchung darf also niemals die Inhalte, sondern nur die Formen der Diskurse im Blick haben.

Foucault begibt sich aber auch auf die Suche nach den Formationsregeln der Diskursobjekte. Die ›Oberflächen‹ ihres Auftauchens werden zu Feldern erster Differenzierung: die Abgrenzung des Diskursbereichs, die Definition des Diskursthemas und die Vergabe von Objektstatus. An dieser Stelle lassen sich bereits die Instanzen der Abgrenzung (Machtformationen) mit ihren spezifischen Zuständigkeiten im Diskurs erkennen. Von gesteigertem Interesse ist die Frage nach dem Status der Individuen und nach ihrer Legitimation,[6] Beiträge zum Diskurs zu leisten und ›wahrgenommen‹ zu werden.

Diskurse funktionieren nicht als Zeichensysteme, sondern nur als Praktiken, die systematisch die Gegenstände der eigenen Behandlung herausbilden. Auch die Beziehungen zwischen diesen Objekten liegen lediglich in der Praxis ihrer Verwendung im Diskurs. Sie ermöglichen bestimmte Aussagen im Diskurs zuzulassen oder als ›falsch‹ auszuschließen. Die dahinterliegenden Strategien ermöglichen einen Blick auf die Ökonomie der diskursiven Konstellation: das Verhältnis eines Diskurses zu anderen Diskursen. Er kann in die Rolle eines formalen Systems, eines Modells, einer Analogie, Opposition, Komplementarität oder reziproken Abgrenzung treten (vgl. Foucault, 1981, 98). Motiviert werden Subjektformationen immer durch die Möglichkeit, sich den Diskurs anzueignen und damit beispielsweise befähigt zu werden, ›Recht‹ zu sprechen, die Kompetenz des richtigen Verstehens zu besitzen, Zugang zu Wissen zu erhalten oder den Diskurs in anderen Diskursen zu funktionalisieren. Die Strategien des Diskurses zielen nicht darauf ab, Weltsicht in Worte zu fassen, sondern regulierte Weisen zu schaffen, Diskursmöglichkeiten anzuwenden.

2.2. Anwendbarkeit auf den Gegenstand der Arbeit

Das Wissen des Computerdiskurses wird nicht nur in diskursiver Praktik, sondern auch in der Hardware der Maschine gespeichert. Dazu halten Speichermedien nicht nur Daten und Befehle, sondern auch das Wissen um die Konstruktion und die Eigengesetze der Maschinendynamik. Große Teile dieses Wissens entziehen sich der Zugänglichkeit menschlicher Diskurse. Es stellt sich die Frage, ob auch der Computer eigene Diskurssysteme zur Wissensproduktion und –speicherung entwickelt, oder ob er lediglich als nicht-diskursive, maschinelle Praktik zu interpretieren ist. Interessant sind dabei die Analogien zu anderen Wissensformen und Diskursformationen wie der Sprachwissenschaft, technischen Wissenschaften oder der Biologie. Auch der Status des Diskursobjekts (als diskursiviertes, aber ›reales‹ Objekt) erfährt in der immateriellen Wissenswelt der Programmierung eine interessante Transformation. Die Aussagen des Menschen über den Computer und die Aussagen des Computers über die Welt dürfen nicht inhaltlich, sondern nur formal untersucht werden. Der Inhalt einer Computerutopie ist ohne Interesse. Diskursanalytisch läßt sich aber die Form und Strategie der utopischen Aufladung von Technik durch den Menschen beschreiben.

Die Frage nach restriktiver oder produktiver Macht in den Strategien der Computerdiskurse ist extrem vielschichtig. Die Anfänge des Computerzeitalters waren noch fast ausschließlich durch den Ort und die Motivation der Computerentwicklung geprägt (militärischer Einsatz – Kapitalmacht). Der Zugang zum Diskurs wurde durch den Zugang zur Maschine geregelt: eine Dualität aus teurer Rechenzeit und der Einweihung in die Codes der Geheimsprache ›Programmierung‹. Die Verwendung des Computers in der Wirtschaft[7] und schließlich die Heimcomputerrevolution[8] haben das Diskursfeld gradezu ›explodieren‹ lassen. Trotzdem bleibt die Frage der Macht im Computerdiskurs dominant. Die Frage nach der ›richtigen‹ Verwendung von Computern, die Frage um die Produktion von und den Zugang zu Computerwissen und die Frage nach der Autorität, zwischen ›real‹ und ›virtuell‹ zu unterscheiden, sind markante Ausprägungen der Machtformationen im Computerdiskurs.

3. Computergeschichte als Programmiergeschichte

Die Ursprünge der Rechenmaschine liegen im Griechenland des 4. Jahrhunderts v.Chr.: mittels Rechenbrettern wie dem Abakus waren bereits Kalkulationen (von gr.: ›calculi‹, dem Rechenstein) bis zu Zahlenwerten von zehn Millionen möglich. Die fortschreitende Automatisierung der Rechenvorgänge in Rechenmaschinen wurde durch die Fortschritte in der Feinmechnanik ab dem 17. Jahrhundert ermöglicht. Die mechanischen Rechenmaschinen Schickards, Pascals oder auch die späteren Entwicklungen von Charles Babbage unterscheiden sich aber noch in einem wichtigen Punkt vom heutigen Computerverständnis: sie sind nicht programmierbar. Ihre Funktionsweise, ihre ›Basisprogrammierung‹ ist ihnen gleichsam durch ihre Konstruktion in ihr Hardware-Selbst eingeschrieben. Man kann mit ihnen kalkulieren, sie aber nicht programmieren. Eine Ausnahme stellt der programmierbare Webstuhl von Joseph-Marie Jacquard aus dem Jahre 1805 dar. Die ›Programme‹ der verschiedenen Webmuster sind auf der kurz zuvor erfundenen Lochkarte gespeichert.

»Historisch begann Programmierbarkeit, so sie denn von Kalkülisierung unterschieden werden darf, wohl erst zu jener Zeit, als die Technologie von Werkzeugen zu Maschinen überging, anstelle der Einzelstückherstellung also die standardisierte Massenproduktion trat« (Kittler, 1998, 120)[9]

Die Möglichkeit zur freien Umprogrammierung der Rechenapparatur markiert den Übergang vom endlichen Automaten zur universellen Simulationsmaschine. Sie markiert gleichzeitig auch den Übergang vom mechanischen zum elektronischen Zeitalter. Ist dem Menschen die Funktion der mechanischen Maschine noch durch Betrachtung und Analyse der Hardware zugänglich, so entzieht sich die elektronische Maschine zunehmend seinem Verständnis und physischem Zugriff.[10] Heute werden Maschinen durch andere Maschinen entwickelt und gefertigt.

»[So] fällt der Hardwareentwurf mit seiner eigenen Simulation zusammen, weil die anschließende Realisierung der Hardware selber überlassen bleiben kann« (Kittler, 1998, 124).

Die Beschreibung der Evolution der elektronischen Rechenmaschine kann also auch abseits der Hardware, auf der Ebene der Programmierung geschehen.[11]

Die Programmierung eines Rechenautomaten erfordert, Problemstellungen in sequentiell, maschinell entscheidbare Zustände aufzulösen. Unterschiedliche Formen der Problemlösung können so auch zu unterschiedlichen Programmier-Stilen führen.[12] Für die Diskursanalyse ist die Frage der Berechenbarkeit von besonderer Bedeutung: nur was sich berechnen, also in sequentielle Zustände auflösen läßt, erhält im Computeruniversum Realität. Für die Effektivität des Programmierprozesses ist zudem die Erkenntnis entscheidend, wann zwei Vorgänge durch die gleiche Prozedur (mit lediglich anderen Variablen) abgearbeitet werden können. Es kommt also zu einer Kategorisierung der Realität durch die Analyse von Ähnlichkeitsphänomenen. Ein weiteres Grundprinzip der Programmierung ist die Hierarchiesierung und Modularisierung. Im modernen Verständnis sieht man den Computer als Maschine, zusammengesetzt aus zahlreichen modularen Einzelmaschinen, die sich selber modifizieren, produzieren und reproduzieren – ›Texte‹, die sich lesen, schreiben und kopieren.

Die Programmierkonzepte der frühen Rechenmaschinen waren noch eng an der Hardware, und damit an räumlichen Strukturen ausgerichtet. Die Schaltdiagramme von-Neumanns stellen noch keine Programmierung im ›schreibenden‹ Sinne dar, sondern sind Planung und Sequenzierung der davon ausgehenden, räumlichen Hardware-Programmierung (materielle und fixe Verschaltung durch die ENIAC-Girls). Erst durch die integrierten Schaltkreise und die Entwicklung des Mikroprozessors (mit der vollständig integrierten von-Neumann Architektur) wurden die Schaltungsverbindungen frei programmierbar.[13] Der von-Neumann Computer ist schon in seiner Geburtsstunde zur Simulationsapparatur (der Atombombe) berufen. Durch die Befreiung der Programmierung aus den raum-zeitlichen Strukturen der Hardware, wird diese erstmals zur ›Software‹ (d.h. von der Hardware geschieden wahrgenommen). Sie integriert die Simulation durch das Element der Sprache nun auch auf systematischer Ebene der Computerarchitektur: der Computer simuliert sich selbst, indem er sich in verschiedene Formen Menschen-lesbarer Sprache übersetzt. Er wird zur semi-autopoietischen Textmaschine, die mit dem Menschen in einen simulierten Dialog tritt und damit ein internes und externes Diskursfeld eröffnet. Sein wahres Sein als Binär-Code und Transistor-Ladung in der Hardware-Software-Dualität wird in ein ›metaphysisches‹ Abbild reiner Software abstrahiert (lat.: weg-gezogen) und damit gleichzeitig dem menschlichen Zugriff und Verständnis ›entzogen‹. Es beginnt die Mystifizierung der Maschinenfunktion, die Kabbalisierung des Codes.[14]

[...]


[1] ›Wahnsinn und Gesellschaft‹ (1961); ›Die Geburt der Klinik‹ (1963); ›Die Ordnung der Dinge‹ (1966)

[2] Durch die Kritik am Begriff der ›Normalität‹ kommt es zur Romantisierung des ›Wahnsinns‹.

[3] Ein praktisches Beispiel einer derartigen Geschichtsschreibung bietet das Buch ›Die tausend Plateaus‹ (Deleuze/Guatterie, 1992).

[4] Foucault nennt technische und soziale Praktiken (das ›Sichtbare‹ entgegen dem ›Sagbaren‹).

[5] Die Entscheidung für eine Aussage unterdrückt automatisch alle anderen an dieser Stelle möglichen Aussagen, die nicht formuliert werden.

[6] Das Subjekt wird meist durch institutionelle Einbindung legitimiert: ›der Mediziner im System der Klinik‹. Die Positionen des Subjekts im Diskurs (›fragend‹, ›horchend‹, ›betrachtend‹, ›feststellend‹, …) führen Foucault nicht zur Annahme ›eines‹ spezifischen, handelnden Subjekts, sondern zu Formern entpersonalisierter ›Subjektivität‹.

[7] Die Ursprünge der Rechenmaschinen entstammen zwar den Anforderungen der Kaufleute, durch die hohen Investitionskosten sind Computer aber anfänglich nur im militärischen Umfeld ›rentabel‹.

[8] Sie versteht sich primär als Ausdruck einer Gegenkultur zu Kapital, Militär und Staat. Mit hoher, ideologischer Aufladung wird noch heute der Schulterschluß mit der Hacker-Szene und der damit verbundenen ›Robin Hood‹-Attitüde geübt.

[9] Parallel zur Geburtsstunde der ›Gutenberg-Galaxis‹, die durch die ›Serienfertigung‹ der Guß-Lettern das Potential der maschinellen und industriellen Massenproduktion offenlegte (vgl. Hiebel, 1997, 15-16).

[10] Die moderne, elektronische Maschine läßt sich nicht mehr modifizieren oder reparieren. Ihre Miniaturisierung, Baudichte und Komplexität entzieht ihre Physis dem menschlichen Zugriff. Allein durch die Modularisierung der Funktionskomponenten kann der Mensch noch (analog zur Programmierung auf ›abstrahierter‹, höherer Ebene) die Maschine ›konstruieren‹.

[11] Der Frage, inwieweit Hardware und Software zu unterscheiden sind und Relevanz für die Fragen der Programmierung entwickeln, wird im Kapitel 4.3.2. nachgegangen.

[12] Wolfgang Hagen macht den ›Stil‹ zum Inhalt seiner Computergeschichte (Hagen, 1997). Der Stil – das Werkzeug zum Tilgen von Text – verweist auf die subjektive Auswahl des Programmierers. Seine Aufgabe ist, die Fülle der Möglichkeiten elegant zu beschneiden. Im Sinne Foucaults also Aussagen zu treffen (subjektive Auswahl alles ›Sagbaren‹).

[13] Computer wie der Z3 von Conrad Zuse waren zwar schon deutlich früher frei programmierbar, der Schritt zur freien Programmierbarkeit (ohne manuelle Umkonfiguration der Hardware) in der dominant gewordenen Rechnerarchitektur von-Neumanns ist aber erst an dieser Stelle anzusetzen.

[14] Diese religiöse Metaphorik ließe sich noch viel weiter treiben, bietet sich aber schon an dieser Stelle als Erklärungsansatz für viele Phänomene des technomanen Computerdiskurses an: man denke nur an die Heilsgläubigkeit und Weltflucht vieler Computer-Jünger in virtuelle Welten, oder die Schöpfungsmythen der Robotiker und KI-Utopisten…

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Diskursanalyse von Progammiersprachen - Zur Wissensarchäologie maschineller Diskurse
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Institut für Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Rechnende Räume
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
43
Katalognummer
V56482
ISBN (eBook)
9783638511414
ISBN (Buch)
9783638688420
Dateigröße
984 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diskursanalyse, Progammiersprachen, Wissensarchäologie, Diskurse, Rechnende Räume
Arbeit zitieren
Claas Hanson (Autor:in), 2003, Diskursanalyse von Progammiersprachen - Zur Wissensarchäologie maschineller Diskurse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56482

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