Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges und dem nationalsozialistischen Staat sind nun etwa 60 Jahre vergangen. Blicken wir zurück, so können wir nicht glauben, dass so etwas Wirklichkeit werden konnte, können nur schwer begreifen wie es so weit kam. Arbeiten dieser Art, die sich mit den NS-Verbrechen gegenüber behinderten und kranken Menschen auseinandersetzen, haben natürlich zum einen immer einen aufklärenden Charakter, der meines Erachtens überaus wichtig ist, da diese schreckliche Zeit nicht in Vergessenheit geraten sollte.
Hauptziel dieser vorliegenden Arbeit ist es jedoch aufzuzeigen was zu solch grausamen Taten geführt hat, welche Einflüsse zu dieser Entwicklung beitrugen. Hierzu wird im ersten Teil zunächst der Wandel des Bildes von Menschen mit Behinderung in verschiedenen Epochen und die Entwicklung der Hilfsschule behandelt, der im Nationalsozialismus eine ganz besondere Rolle zukam, um dann zu klären, welche Gedankenströmungen schon vor 1933 entstanden und einen enormen Beitrag zu den späteren Folgen beisteuerten. Der zweite Teil dieser Arbeit soll im Anschluss an eine Erklärung der rechtlichen Änderungen bezüglich der faschistischen Behindertenpolitik darlegen, welche Maßnahmen durchgeführt wurden und welche Verbindungen sich hier zu der Hilfsschule abzeichneten.
Roland Raabe
1. Einleitung
Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges und dem nationalsozialistischen Staat sind nun etwa 60 Jahre vergangen. Blicken wir zurück, so können wir nicht glauben, dass so etwas Wirklichkeit werden konnte, können nur schwer begreifen wie es so weit kam.
Arbeiten dieser Art, die sich mit den NS-Verbrechen gegenüber behinderten und kranken Menschen auseinandersetzen, haben natürlich zum einen immer einen aufklärenden Charakter, der meines Erachtens überaus wichtig ist, da diese schreckliche Zeit nicht in Vergessenheit geraten sollte.
Hauptziel dieser vorliegenden Arbeit ist es jedoch aufzuzeigen was zu solch grausamen Taten geführt hat, welche Einflüsse zu dieser Entwicklung beitrugen.
Hierzu wird im ersten Teil zunächst der Wandel des Bildes von Menschen mit Behinderung in verschiedenen Epochen und die Entwicklung der Hilfsschule behandelt, der im Nationalsozialismus eine ganz besondere Rolle zukam, um dann zu klären, welche Gedankenströmungen schon vor 1933 entstanden und einen enormen Beitrag zu den späteren Folgen beisteuerten.
Der zweite Teil dieser Arbeit soll im Anschluss an eine Erklärung der rechtlichen Änderungen bezüglich der faschistischen Behindertenpolitik darlegen, welche Maßnahmen durchgeführt wurden und welche Verbindungen sich hier zu der Hilfsschule abzeichneten.
Teil 1: Geschichtliche Entwicklungen vor dem Nationalsozialismus
Will man sich mit den Ereignissen während des Nationalsozialismus in Deutschland beschäftigen, so muss man sich auch mit den Entwicklungen vor dieser Zeit auseinandersetzen, um verstehen zu können wie es zu solch schrecklichen Taten kommen konnte.
2. Menschen mit Behinderung im Wandel der Epochen
So schön der Gedanke auch wäre, dass behinderten Menschen in der Geschichte größtenteils Hilfe und Förderung zuteil geworden ist, muss man, beschäftigt man sich mit diesem Thema, leider feststellen, dass dies eher die Ausnahme als die Regel war.
Das Verhalten gegenüber Behinderten hatte seit jeher immer sehr viel mit dem Glauben der Menschen, ihren Ritualen und Bräuchen zu tun.
So hatten behinderte Kinder in der Antike, als der Glaube an die Heranbildung zur Tapferkeit und zum „Kalokagathos“, dem schönen und guten Menschen, stark verbreitet waren, so gut wie keine Chance zu überleben (Merkens, 1988, S. 70). Wurde ein Neugeborenes als nicht gesund angesehen und entsprach nicht den Erwartungen zur Entwicklung eines kräftigen Körperbaus, so war es üblich es im Interesse des Gemeinwohls von einer Klippe zu werfen (Meyer, 1983, S. 87).
Bei den Römern entwickelte sich sogar zum ersten Mal so etwas wie eine gesetzliche Regelung bezüglich der Tötung von behinderten Kindern. Wurde es fünf Zeugen vorgeführt und stellten diese fest, das Kind sei missgebildet, war die Tötung des Kindes somit legitimiert. Die Wenigen die überlebten, führten ein Leben als Sklaven, Bettler oder als Narren zur Belustigung des Volkes.
Nachdem in den frühchristlichen Jahrhunderten eine Besserung der Verhältnisse zu verzeichnen war, die sich dadurch ausdrückte, dass Behinderte von Klöstern und Gemeinden als nahezu gleichwertig mitgetragen wurden, da man die Taufe als Grundlage der Gleichwertigkeit ansah, sollte sich, durch den Rückgriff auf die Gedanken Plato’s und Aristoteles’, im Mittelalter eine Stufenordnung der Lebensformen in der Gesellschaft herausbilden, in der die Behinderten, als Empfänger christlicher Mildtätigkeit, neben Kranken und Bettlern auf die unterste Stufe gesetzt wurden (Merkens, 1988, S. 72).
Es folgte eine Zeit die, geprägt durch den Glauben an Besessenheit, Hexentum und Behinderung als göttliche Strafe, gekennzeichnet war „durch schlimmste Grausamkeiten, für die der Name Gottes regelrecht entwürdigt wurde“ (Meyer, 1983, S. 90). Im Zuge der Bestrafung von „Ketzern“, später der Teufelsaustreibungen und Hexenverfolgungen, wurden Menschen gequält, gefoltert und ermordet, unter ihnen auch viele Behinderte. Dachten viele doch sie wären nur Fleischstücke (massa carnis) und Satan hätte sie gegen das eigentlich heranwachsende Kind ausgetauscht (Wechselbälger), so fiel die Rechtfertigung wohl nicht allzu schwer.
Allerdings berichten viele Beiträge zur Geschichte der Heilpädagogik auch von Klöstern und ersten Hospitälern, die Menschen mit einem mehr oder weniger starken Grad der Behinderung aufnahmen. Doch ging es hier wohl auch oft nur um Spenden durch deren Angehörige oder darum, die Behinderten aus den Augen von Stiftern zu schaffen, denen ihr Anblick unangenehm war (Meyer, 1983, S. 91).
Dies änderte sich auch mit Beginn der Entwicklung der Industriestaaten nur geringfügig. Immer mehr staatliche Anstalten wurden gegründet, in denen die Insassen zwar versorgt, aber leider nicht gefördert wurden. Also stellten sie auf der einen Seite eine gewisse Hilfe durch Pflege, aber auf der anderen Seite auch eine neue Form der Ausgrenzung und Isolierung dar, durch die Menschen mit Behinderung immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwanden.
Erst durch eine intensivere Beschäftigung mit behinderten Kindern seitens der Medizin in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts kam es dazu, dass auch diesen eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt wurde und sich allmählig eine Besserung ihrer Situation einstellte, obwohl der tiefsitzende Aberglaube des Bestrafungscharakters und des „Dämonischen“ von Krankheit und Behinderung bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts weiter bestand.
3. Die Entwicklung der Hilfsschule bis 1933
Nachdem der geschichtliche Ablauf bis hin zur ersten Interessenentwicklung hinsichtlich Behinderter skizziert worden ist, soll in diesem Kapitel nun die letzten Endes daraus resultierende Entfaltung der Sonderschulen und damit auch der Hilfsschule dargestellt werden.
Die Heilpädagogik kann auf eine über zweihundertjährige Entwicklung zurückblicken, in der die ersten hundert Jahre dadurch gekennzeichnet waren, dass Kinder, die vorher für bildungsunfähig gehalten wurden, erstmalig unterrichtet wurden. Ende des 18. Jahrhunderts, im Zuge der Aufklärung, verbreitete sich die Auffassung, jedem Mensch solle, im Rahmen seiner Möglichkeiten, Bildung zuteil werden, so wie es z.B. Jan Amos Comenius (1592 - 1670) bereits in seinem Werk „Didactica magna“, leider ohne praktische Folgen, gefordert hatte.
Nachdem Charles Michel Abbé de l’Epée 1770 in Paris die weltweit erste Schule für Taubstumme aus eigenen Mitteln eröffnete und somit den Anfang machte, sollte es nach weiteren Ansätzen noch bis in das 19. Jahrhundert dauern bis sich diese Auffassung zuletzt auch praktisch auf die Gruppe der geistig behinderten Kinder und Jugendlichen ausbreitete. Bis dahin waren diese vom Schulwesen größtenteils unbeachtet geblieben. Reichere Familien wählten oft den Weg der privaten Unterrichtung, während die Sprößlinge aus ärmeren Familien in den Volksschulen und deren Vorläufern, die ohnehin durch die Überfüllung und den Personalmangel nur sehr begrenzte Möglichkeiten hatten, eher Betreuung als Förderung erfuhren.
Die ersten Einrichtungen mit dem Ziel der Erziehung und Bildung von Kindern mit geistiger Behinderung, die sich ab 1816 bildeten konnten keinen sehr großen Einfluss ausüben und bestanden aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten und fachlicher Feindseeligkeit nicht sehr lange. Erst die Anstalt auf dem schweizer Abendberg, die 1841 von J. J. Guggenbühl gegründet wurde, regte, obwohl auch sie nicht lange bestehen konnte, durch die internationale Popularität Guggenbühl’s, zu weiteren Diskussion und zur Nachahmung an, was ihn zu einem der wichtigsten Vertreter des damals sogenannten Schwach- und Blödsinnigenbildungswesens machte (Meyer, 1983, S. 95-99).
In dieser Entwicklung bildeten sich zuerst die „älteren Sonderschulen“, die Taubstummen- und Blindenanstalten, Armenschulen, Rettungshäuser für geistig verwahrloste Kinder, sowie Erziehungs- und Pflegeanstalten für geistig und körperlich Behinderte. Bei näherer Betrachtung sieht man, dass sich also schon eine Trennung der Fachrichtungen abzeichnete und so jedem Kind die entsprechende Erziehung und Bildung zukommen sollte.
Durch weitere Differenzierung entstanden dann die „jüngeren Sonderschulen“, durch die versucht wurde das Schulsystem und den Unterricht für bestimmte Gruppen von Kindern weiter zu verbessern und zu spezialisieren. Hierzu gehörte neben Sprachheilschulen, Schulen für schwerhörige, sehbehinderte, geistig behinderte, sowie verhaltensgestörte Kinder und Krankenhausschulen auch die Hilfsschule, die hier, wegen der besonderen Rolle, die ihr später im Nationalsozialismus zukam, näher beleuchtet werden soll (Möckel, 1988, S. 162-165).
Bevor die Hilfsschule entstehen konnte gingen diesen Nachhilfeklassen in verschiedenen Städten voraus. Karl Ferdinand Kern regte hierzu eine Diskussion an, die Heinrich Ernst Stötzner 1864 mit seiner Schrift „Schulen für schwachbefähigte Kinder“ belebte.
Während alle anderen heilpädagogischen Schulen vorher nur in der Internats- und Heimform bestanden, sollte die Hilfsschule nun Kinder aufnehmen, die schon andere Schulen besucht hatten, den Anforderungen jedoch nicht entsprechen konnten und zwar in der Form einer Halbtagsschule.
Hierdurch ergab sich der erste Vorteil, der den Hilfsschulen zugesprochen wurde, nämlich der, dass die Kinder, die diese ortsansässigen Schulen besuchten, weiter zu Hause bei ihren Eltern bleiben konnten. Der zweite Vorteil waren die geringen Kosten. Die Hilfsschulen waren nicht teurer als die bereits vorhandenen Bürger- oder Armenschulen. Als dritter Vorteil wurde oft die entlastende Funktion gegenüber der Volksschule angegeben, obwohl man dadurch auf unhaltbare Weise gleichzeitig unschuldige Kinder, die lediglich ihrer Schulpflicht nachgingen, implizit als Last bezeichnete (Möckel, 1988, S. 165).
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- Quote paper
- Roland Raabe (Author), 2005, Behinderung unter dem Hakenkreuz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56751
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