Das "Challenger Disaster" - Entstehung und Konsequenzen


Dossier / Travail, 2006

34 Pages, Note: 1,0


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 TECHNISCHER HINTERGRUND

3 PROBLEME UND RISIKEN DES SHUTTLE-PROGRAMMS

4 INVOLVIERTE INTERESSENGRUPPEN
4.1 Interessen der US-Regierung
4.2 Interessen der NASA
4.3 Interessen amerikanischer Rüstungskonzerne
4.4 Interessen von Morton Thiokol

5 CHRONOLOGISCHE ENTWICKLUNG DES O-RING-PROBLEMS
5.1 Entdeckung von Lecks in der Hauptdichtung
5.2 Frühe Hinweise auf eine Auswirkung der Temperatur
5.3 Umgang mit dem Risiko
5.4 Mangelnde Unterstützung durch das Management
5.5 Temperaturvoraussage für Flug 51L
5.6 Entscheidungsabläufe im Rahmen der Startfreigabe

6 KONSEQUENZEN DER KATASTROPHE

7 HANDLUNGSALTERNATIVEN DER BETEILIGTEN
7.1 Handlungsalternativen der NASA
7.2 Handlungsalternativen des Thiokol-Managements
7.3 Handlungsalternativen der leitenden Ingenieure

8 FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Komponenten der Raumfähre „Challenger“

Abbildung 2: Solid Rocket Booster

Abbildung 3: Verbindungselement der Booster-Segmente

Abbildung 4: Involvierte Interessengruppen

Abbildung 5: Umgang mit dem Risiko seitens der Entscheidungsträger

Abbildung 6: Managementbeziehungen zwischen Morton Thiokol und der NASA

1 EINLEITUNG

Am 12. April 1981 wurde das Space-Shuttle-Programm der NASA mit dem Start der „Columbia“ eröffnet. Von Beginn an zeigten sich technische Mängel wie z.B. der Verlust von Hitzeschutzkacheln, die eine potenzielle Gefährdung der Astronauten darstellten. Das Schwesterschiff der „Columbia“, die „Challenger“, war seit dem 30. August 1983 im Einsatz. Am 28. Januar 1986 sollte die „Challenger“ zu ihrem 25. Flug aufbrechen.[1] Kurz nach dem Start explodierte das Space-Shuttle in 15000 Metern Höhe, wobei sieben Astronauten, darunter die Lehrerin Christa McAuliffe, ihr Leben ließen.[2]

Die Intention dieser schriftlichen Ausarbeitung zu einer am 12.01.2006 im Rahmen der Veranstaltung „Ausgewählte Probleme der Wirtschafts- und Unternehmensethik“ an der Universität Kassel abgehaltenen Präsentation zum Thema der „Challenger“-Katastrophe liegt darin, die Ursachen der Katastrophe darzustellen und beteiligte Interessengruppen und deren Handlungsmotive aufzuzeigen. Die Betrachtung konzentriert sich dabei im Wesentlichen darauf, mögliche Konflikte zwischen den Zielsetzungen der identifizierten Interessengruppen herauszuarbeiten und moralische Dilemmata einzelner Entscheidungsträger zu beleuchten.

Als Einstieg in die Thematik soll zunächst ein Überblick über den Aufbau des Space-Shuttles gegeben werden, wobei an dieser Stelle bereits der Fokus auf die Festtreibstoffraketen gerichtet werden soll, die in der Folge des Unglücks als Ausgangspunkt für die Katastrophe identifiziert wurden. Ein detaillierter Einblick in den technologischen Aufbau der Raketen zeigt dabei deren Zusammensetzung aus verschiedenen Segmenten, deren Verbindungselemente schließlich die Gummidichtungen enthielten, die Auslöser für die Explosion waren.

Der dritte Abschnitt dieser Arbeit soll in gebotener Kürze den Verlauf von, dem Katastrophenflug der „Challenger“ zeitlich vorgelagerten, Shuttle-Missionen aufzeigen, bei denen es bereits zu Störungen im Ablauf und zu technischen Fehlfunktionen gekommen war. Auf diese Weise soll verdeutlicht werden, dass die Explosion der „Challenger“ nicht das erste Auftreten von Störungen innerhalb der Start- bzw. Flugroutinen des Shuttle-Programms darstellte.

Durch eine Darstellung der wesentlichen in das Shuttle-Programm involvierten Interessengruppen sollen vor allem die verschiedenen Intentionen und Motivationen der Beteiligten herausgearbeitet werden, welche einander zum Teil verstärkten, sich zum anderen Teil jedoch auch als konfliktär erwiesen. An dieser Stelle wird bereits deutlich, welche Interessen für den Start der „Challenger“ von entscheidender Bedeutung waren, obwohl konkreter Anlass für Sicherheitsbedenken hinsichtlich des Shuttle-Starts bestand.

In Anlehnung an diese Interessenkonflikte soll die Vorgeschichte der „Challenger“-Katastrophe in Kapitel 5 dieser Arbeit noch einmal aufbereitet werden. Die Betrachtung konzentriert sich dabei auf die Entwicklungsgeschichte des O-Ring-Problems, also der funktionsgestörten Dichtungsringe und der Umstände, die wesentlich für jene Funktionsstörung verantwortlich waren. Innerhalb dieser Darstellung wird deutlich, dass deutliche Vorzeichen für ein Unglück existierten, diesen aber nicht mit der nötigen Konsequenz entgegengetreten wurde. Besonders detailliert soll in diesem Zusammenhang die Aufarbeitung einer Telekonferenz zwischen verschiedenen involvierten Interessengruppen erfolgen, in deren Verlauf moralische Dilemmata besonders deutlich hervortraten und aus der letztlich ein bewusstes Inkaufnehmen von Sicherheitsrisiken trotz bestehender Warnungen resultierte.

Wenn an dieser Stelle von einer Vernachlässigung von Risiken die Rede ist, die zum Start der „Challenger“ trotz bestehender technischer Mängel führte, so muss in der Folge ein Blick auf die Konsequenzen der Katastrophe für die bedeutenden Interessengruppen geworfen werden, um die Freigabe für den Start der „Challenger“ in Gänze einordnen zu können. Dies soll im Rahmen des sechsten Kapitels dieser Arbeit in gebotener Kürze geschehen.

Da sich diese Ausarbeitung nicht zuletzt auf die Ergebnisse der Gruppendiskussion im Rahmen der o.g. Lehrveranstaltung bezieht, sollen im Rahmen des siebten Kapitels mögliche Handlungsalternativen der in einer Dilemmasituation befindlichen Akteure aufgezeigt und in Bezug zu den ausschlaggebenden Handlungsmotiven gesetzt werden.

Abschließend wagen die Verfasser den Versuch, den tatsächlichen Verlauf der Katastrophe auszublenden und im Rahmen einer idealtypischen Argumentation herauszuarbeiten, wie eine Freigabe für den Start der „Challenger“ zustande kommen konnte. Dazu soll jedoch bereits im Vorfeld angemerkt werden, dass eine solche idealtypische Position keinesfalls Anspruch auf Alleingültigkeit erheben soll, sondern lediglich den Versuch darstellt, die Entscheidungsabläufe im Vorfeld der Katastrophe aus dem Standpunkt eines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums nachvollziehen zu können.

2 TECHNISCHER HINTERGRUND

Zunächst soll ein kurzer Überblick über die Komponenten des Space-Shuttles gegeben werden. Abbildung 1 zeigt dabei das Space-Shuttle und die Segmente der Trägerrakete, mit deren Hilfe das Space-Shuttle in den Orbit gebracht wird. Die Trägerrakete besteht aus dem Haupttank, in dem 550.000 Liter flüssiger Sauerstoff und 1,45 Millionen Liter flüssiger Wasserstoff enthalten sind, und den beiden Festtreibstoff-Raketen (Booster), deren Inhalt noch einmal 1000 Tonnen Festtreibstoff beträgt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Komponenten der Raumfähre „Challenger“

Quelle: Der Spiegel, Nr. 6 vom 3. Februar 1986, S. 445

Bei einem reibungslosem Verlauf des Starts lösen sich die leergebrannten Feststoffraketen (mittels Sprengung) nach zwei Minuten und sieben Sekunden vom Haupttank. Letzterer wird nach weiteren 6,5 Minuten ebenfalls durch Sprengung vom Raumgleiter gelöst.[3]

Wie die Abbildung 2 zeigt, setzen sich die Booster aus mehreren Segmenten zusammen, deren Verbindungselemente als Ausgangspunkt für die Katastrophe identifiziert wurden.[4]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Solid Rocket Booster

Quelle: Vaughan 1996, S. 4

Die Abbildung 3 zeigt einen schematischen Querschnitt eines der Verbindungselemente zwischen den Booster-Segmenten. Wie man sieht, passt der Verbindungszapfen (tang), der vom unteren Ende jedes oberen Boostersegmentes hervorsteht genau in die Nut (clevis) im oberen Rand des darunter liegenden Segments. Zapfen und Nut werden bei jeder Verbindung mit 177 Stahlbolzen (pins) zusammengehalten, die zusätzlich durch ein Stahlband (pin retainer band) gesichert und gegen Hitze durch eine isolierende Korkschicht geschützt sind. Die beiden Dichtungsringe (O-ring), die in Kerben um den oberen Rand der Verbindungsnut verlaufen, sichern das gesamte Verbindungselement gegen den gewaltigen Druck ab, den die heißen Gase des brennenden Treibstoffs (propellant) innerhalb des Boosters hervorrufen. Die Dichtungen bestehen aus schwarzem Spezialkautschuk. Ein grüner Spezialkitt (putty) schützt die Dichtungen vor der direkten Einwirkung der heißen Treibstoffgase.[5]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Verbindungselement der Booster-Segmente

Quelle: Bell/Esch 1987, S. 41

In späteren Untersuchungen konnte der Verlauf der Katastrophe auf die tausendstel Sekunde genau analysiert werden.[6] Aus Fotoserien[7] ging hervor, dass der Flug bereits beim Startvorgang außerplanmäßige Abweichungen aufwies, da schwarzer Rauch aus der Verbindung der unteren beiden Segmente des rechten Boosters austrat.[8] Ursache hierfür war, dass sich die beiden ringförmigen Dichtungen im Verbindungselement sowie der sie schützende hitzefeste Kitt in ihrer Position verschoben hatten, wodurch die über 3000 Grad Celsius heißen Abgase des Triebwerks aus dem Innere der Rakete austreten konnten und zu einer Entzündung des Booster-Segments führten.[9] Die Flammen zerstörten die Halteverbindung zwischen dem Booster und dem Außentank des Shuttles und ermöglichten auf diese Weise eine Pendelbewegung der Festtreibstoff-Rakete, was zum Durchbrechen der Außentankhülle durch die obere Halteverbindung führte. Aus dem Haupttank austretender flüssiger Sauerstoff und Wasserstoff entzündeten sich und bewirkten nach 73,628 Sekunden die Explosion der Raumfähre.[10]

Als Anlass für die Fehlfunktion der Dichtungsringe wurden die für Florida ungewöhnlich niedrigen Nachttemperaturen während der Startvorbereitungen identifiziert.[11] Diese betrugen selbst morgens um sieben Uhr Ortszeit noch –4,5 Grad Celsius.[12] Darüber hinaus führte die Flüssiggasfüllung des Haupttanks dazu, dass auf der Außenhaut der Rakete eine Temperatur von –12 Grad Celsius gemessen werden konnte. Die Folge daraus war eine Versprödung der Gummidichtungsringe und deren damit verbundene Positionsverschiebung, die das Ausströmen der heißen Abgase ermöglichte.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll geklärt werden, ob im Vorfeld des Unglücks Hinweise auf mögliche Fehlfunktionen auftraten, deren Beachtung eine Vermeidung der Katastrophe ermöglicht hätte. Darüber hinaus soll anhand einer Betrachtung der involvierten Interessengruppen und der deren Handlungen zugrundeliegenden Maximen aufgezeigt werden, ob und in welchem Umfang diese als ursächlich für die Katastrophe angesehen werden können.

3 PROBLEME UND RISIKEN DES SHUTTLE-PROGRAMMS

Seit Beginn des Shuttle-Programms wurden dessen Missionen von technischen Problemen begleitet. Der Erststart sowie die Folgeflüge der „Columbia“ waren durch abfallende Hitzeschutzkacheln an der Außenwand, die das Shuttle beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre schützen sollen, gekennzeichnet.[13]

Im Juni 1984 führte der Ausfall eines Treibstoffventils der „Discovery“, Schwesterschiff der „Challenger“, zu einem dramatischen Startabbruch.[14] Bei Missionen der „Challenger“ selbst waren mehrfach technische Störungen aufgetreten. So entdeckten Techniker im Februar 1983 in der Endphase der Startvorläufe ein Leck in der Treibstoffzufuhr zu einem der Triebwerke des Shuttles und leiteten den Einbau eines Ersatztriebwerks ein. Auch nach dem Austausch des Triebwerks kam es zu Komplikationen, da wiederum ein Leck - diesmal an einer Sauerstoffleitung im Wärmetauscher - auftrat. Dadurch veranlasste intensivere Nachforschungen der Ingenieure förderten Haarrisse auch in den Leitungen der Wasserstoffzufuhr zutage, die im Falle ihres Verborgenbleibens zum Verlust des Shuttles und seiner Besatzung hätten führen können. Der dritte Flug der „Challenger“ im September 1983 offenbarte einen gravierenden Materialfehler: die thermostabile Innenverkleidung einer der zusätzlichen Festtreibstoffraketen war nahezu vollständig weggeschmort und ein unkontrollierter Taumelflug konnte gerade noch abgewendet werden. Im Juli 1985 fiel eines der drei Shuttle-Haupttriebwerke im Steigflug aus, da ein Thermofühler irrtümlicherweise eine Überhitzung des Triebwerks gemeldet hatte.

Diese Ereignisse hätten im Vorfeld der Katastrophe zur Vorsicht mahnen sollen und den Sicherheitsbedenken der Ingenieure, die im Folgenden näher erläutert werden, mehr Gewicht verleihen sollen. Dass es trotz aufkeimender Bedenken zum Start und damit zur Katastrophe kam, impliziert Interessen, die der Sicherheit des Fluges übergeordnet wurden und im folgenden Kapitel näher betrachtet werden sollen.

4 INVOLVIERTE INTERESSENGRUPPEN

4.1 Interessen der US-Regierung

Mit der Explosion der „Challenger“ nahm das Image der Raumfahrt als Vorzeigeobjekt amerikanischer innovativer Forschung und Technik immensen Schaden.

„Eine Welle von Trauer, eine Schockwelle, die auch Ernüchterung bewirkte, brach über die amerikanische Nation herein, eine Betroffenheit, wie sie zuvor nur beim Mord an John F. Kennedy, manche meinten auch nach Pearl Harbor, zu verspüren gewesen war. Zerplatzt war wieder einmal der Traum vom unaufhaltsam vorwärtsstürmenden Amerika, dem alles gelingt, weil es die Mächte des Guten auf seiner Seite hat; (...)“[15]

Dieser Schaden für das amerikanische Prestige umfasste nicht ausschließlich die technologische Seite, sondern das Selbstverständnis einer gesamten, sich seit Jahrzehnten im Kalten Krieg befindenden, Nation.[16] Ein aus der Katastrophe resultierender Stop der amerikanischen Raumfahrtaktivitäten hätte zu Zeitverlusten im Wettbewerb um die Eroberung des Weltraums mit dem konkurrierenden System des Ostblocks geführt.

Darüber hinaus wurden durch die Explosion der „Challenger“ verteidigungspolitische Interessen der USA gefährdet. Sowohl der geplante Transport mehrerer bedeutender Spionagesatelliten als auch die Vorbereitungen für die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) verzögerten sich durch den Verlust eines der Shuttle und dem vorübergehenden Aussetzen aller Raumfahrtaktivitäten.[17] Insbesondere der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) wurde eine hohe Bedeutung beigemessen, um der sowjetischen Militärüberlegenheit gegenüberzutreten.[18] Dabei sollte ein umfassendes strategisches Abwehrsystem gegen nukleare Offensivraketen in einer planetaren Umlaufbahn installiert werden, um eine wirksame Verteidigung nicht von gegenseitiger Abschreckung und gutem Willen der Gegenseite abhängig sein zu lassen.[19]

Die hier aufgeführten Gründe nährten Gerüchte über Spekulationen, nach welchen das Weiße Haus Druck auf die NASA ausübte, um den vorgegebenen Starttermin einzuhalten. Richard Cook, ein früherer NASA Budgetanalyst, geht mit seinen Vermutungen sogar so weit, dass ein Unfall ohne politische Motivation nicht passiert wäre.[20]

4.2 Interessen der NASA

Als höchste Priorität der NASA kann angesehen werden, das Nation’s Space Transportation System (STS) – die regelmäßige Durchführung von Transporten in den Weltraum – betriebswirtschaftlich und kosteneffektiv zu gestalten.[21] Für das Jahr 1986 waren mit 15 Shuttle-Missionen so viele Starts geplant, wie in den beiden vorangegangenen Jahren zusammen initiiert worden waren.[22] Beobachtungen des Halleyschen Kometen, die Aussetzung einer Sonnensonde und des Jupiter-Fahrzeugs „Galileo“ sowie der Start des „Hubble Space Telescope“, mit dem Astronomen 15 Milliarden Jahre ins Universum zurückzublicken beabsichtigen, und vier geheime Missionen für das amerikanische Verteidigungsministerium sollten das Jahr zum erfolgreichsten Jahr der NASA-Geschichte machen. Der Verlust der „Challenger“ bedeutete gleichermaßen den Verlust von einem Viertel der Shuttle-Transportkapazitäten der NASA. Da das Shuttle-Programm der NASA bereits deutlich hinter der vorgegebenen Terminierung zurücklag, hätte eine Verschiebung der Challenger-Mission zur Vergrößerung dieser Abweichung beigetragen und einen Verlust millionenschwerer Folgeaufträge bedeutet.[23] Die Explosion des Shuttles hingegen intensivierte diese Problematik immens, da auf diese Weise der europäischen Raumfahrt ermöglicht wurde, wertvolle Zeit im Technologiewettbewerb mit den USA aufzuholen und Transportaufträge für die Trägerrakete „Ariane“ zu akquirieren.

Seit Beginn des Shuttle-Programms verzichtete die NASA darauf, einen zweiten Hersteller für die Booster, wie vom amerikanischen Kongress gewünscht, in das Programm zu involvieren, um auf diese Weise finanzielle Mittel zu sparen. Wie sich im Folgenden zeigt, hätte die Einbeziehung eines zweiten Herstellers für die Booster bewirken können, dass der Problematik der Versprödung von Dichtungsringen höhere Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre; eine Bearbeitung des Problems hätte eine sechsmonatige Verzögerung des gesamten Shuttle-Programms bedeutet.[24]

4.3 Interessen amerikanischer Rüstungskonzerne

Eine Betrachtung der am Bau der Space-Shuttles beteiligten Unternehmen verdeutlicht die Involvierung angesehener amerikanischer Rüstungskonzerne in das Shuttle-Programm. Vom Bau der Raumfähre durch Rockwell International über die Herstellung des Haupttanks durch Martin Marietta bis hin zum Luft- und Raumfahrtkonzern Lockheed, in dessen Aufgabenbereich die Betreuung der Shuttle am Boden sowie die Flugvorbereitung fiel, zeigt sich das Interesse dieser Konzerne an einem erfolgreichen Verlauf der Shuttle-Missionen. Die Challenger-Katastrophe stellte in diesem Zusammenhang die Zerstörung des Images der unfehlbaren und technologisch führenden Raumfahrtindustrie dar.[25] Ebenso wie im Fall der NASA leitet sich aus einer Involvierung der Rüstungskonzerne in das Shuttle-Programm deren Interesse an einer Einhaltung der Zeitpläne ab, an die eine Vergabe von Folgeaufträgen, insbesondere hinsichtlich der Planungen und Forschungen für die Strategische Verteidigungsinitiative und dem Bau einer bemannten Raumstation[26], gekoppelt war.

4.4 Interessen von Morton Thiokol

Die Manager des Herstellerunternehmens für die Festtreibstoffraketen (Solid Rocket Booster), Morton Thiokol, standen zum Zeitpunkt der Startvorbereitungen in Verhandlungen mit der NASA über einen Folgeauftrag in Höhe von mehreren Milliarden Dollar.[27] Aus diesem Umstand leitete sich ein Interesse des Thiokol-Managements an einem reibungslosen und termingerechten Ablauf des Challenger-Starts ab, nicht zuletzt um die NASA als zahlungskräftigen Kunden nicht zu verlieren.[28] Wie die Ursachenforschung der Rogers-Kommission, die der amerikanische Präsident zur detaillierten Aufklärung der Katastrophe ins Leben gerufen hatte[29], in der Folge der Katastrophe ergab, stellten sich gerade die Reibungslosigkeit und die Termingerechtigkeit des Shuttle-Starts als konfliktär dar, woraus ein moralisches Dilemma für die betroffenen Entscheidungsträger resultierte, welches im folgenden Kapitel näher beleuchtet werden soll. Dies wird umso deutlicher, wenn die Rolle der Ingenieure Roger Boisjoly und Arnold R. Thompson in diesem Prozess näher betrachtet wird und deren Erkenntnisse bzgl. potenzieller Gefahren beim Shuttle-Start der ökonomischen Notwendigkeit eines termingerechten Starts gegenübergestellt werden. Eine Verzögerung des Shuttle-Starts durch einen fehlerhaften Booster hätte evtl. eine Konventionalstrafe für Morton Thiokol nach sich gezogen und der Konkurrenz die Möglichkeit eröffnet, das Problem anstelle Morton Thiokols zu lösen. Die Handlungsmotivationen der Thiokol-Ingenieure werden dabei einerseits durch moralische Bedenken in Bezug auf Sicherheit und andererseits einem materiellen Interesse, welches sich aus einem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes begründet, geprägt.[30]

Eine grafische Zusammenfassung der bisherigen Ausführungen liefert die Abbildung 4.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Involvierte Interessengruppen

Quelle: Eigene Darstellung

[...]


[1] vgl. Steinmann/Löhr (1994), S. 23

[2] vgl. Dutzmann (1986), S. 42, Steinmann/Löhr (1994), S.23

[3] vgl. Der Spiegel, Nr. 6 vom 3. Februar 1986, S. 445 ff.

[4] vgl. Vaughan (1996), S. 4 f.

[5] vgl. Löhr (1991), S. 10 f.

[6] vgl. Bell/Esch (1987), S. 36 ff.

[7] ausgewählte Fotos siehe Anhang dieser Arbeit

[8] vgl. McConnell (1987), S. 105, Dutzmann (1986), S. 43

[9] vgl. Haaf (1986), S. 100

[10] vgl. McConnell (1987), S. 244, Steinmann/Löhr (1994), S. 23

[11] vgl. http://www.onlineethics.org/moral/boisjoly/RB-intro.html, Dutzmann (1986), S. 42

[12] vgl. im Folgenden Löhr (1991), S. 12

[13] vgl. Der Spiegel, Nr. 6 vom 3. Februar 1986, S. 448

[14] vgl. im Folgenden Der Spiegel, Nr. 6 vom 3. Februar 1986, S. 448

[15] Der Spiegel, Nr. 6 vom 3. Februar 1986, S. 444

[16] vgl. Löhr (1991), S. 19, Steinmann/Löhr (1994), S. 23

[17] vgl. Engels et al. (1986), S. 57

[18] vgl. Nagel (1986), S. 57, Engels et al. (1986), S. 20

[19] vgl. Au (1988), S. 1, Nagel (1986), S. 10, Guha (1986), S. 43

[20] vgl. Bell/Esch (1987), S. 48

[21] vgl. Bell/Esch (1987), S. 45

[22] vgl. im Folgenden Der Spiegel, Nr. 6 vom 3. Februar 1986, S. 444

[23] vgl. im Folgenden Löhr (1991), S. 18 f., Haaf (1986), S. 100

[24] vgl. Bell/Esch (1987), S. 46

[25] vgl. im Folgenden Der Spiegel Nr. 6 vom 3. Februar 1986, S. 449

[26] vgl. Der Spiegel Nr. 6 vom 3. Februar 1986, S. 445

[27] vgl. Haaf (1986), S. 100

[28] vgl. Bell/Esch (1987), S. 46

[29] vgl. Löhr (1991), S. 9

[30] vgl. Bell/Esch (1987), S. 49

Fin de l'extrait de 34 pages

Résumé des informations

Titre
Das "Challenger Disaster" - Entstehung und Konsequenzen
Université
University of Kassel
Cours
Ausgewählte Probleme der Wirtschafts- und Unternehmensethik
Note
1,0
Auteurs
Année
2006
Pages
34
N° de catalogue
V56962
ISBN (ebook)
9783638515146
ISBN (Livre)
9783640828708
Taille d'un fichier
845 KB
Langue
allemand
Mots clés
Challenger, Disaster, Ausgewählte, Probleme, Wirtschafts-, Unternehmensethik
Citation du texte
Michael Rummelsberger (Auteur)Jan Vockeroth (Auteur), 2006, Das "Challenger Disaster" - Entstehung und Konsequenzen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56962

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