Zur Bedeutung des demographischen Wandels in Nachhaltigkeitskonzepten: Zwischen finanzwissenschaftlichem Anspruch und politischer Praxisrelevanz


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

26 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Definitorische Vorbetrachtungen

2 Hauptteil
2.1 Demographische Entwicklung in Deutschland
2.1.1 Entwicklung der Geburtenzahlen und der Lebenserwartung .
2.1.2 Und hinter den Kennzahlen?
2.2 Schuldenentwicklung und Nachhaltigkeitskonzepte
2.2.1 Schuldenstandsentwicklung und Finanzen
2.2.2 Nachhaltigkeit: rechtliche Rahmenbedingungen
2.2.3 Nachhaltigkeitskonzepte
2.3 Finanzpolitik und Finanzplanung
2.3.1 Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU/SPD 2005
2.3.2 Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen
2.3.3 Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009

3 Fazit

4 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Fragestellung

Die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland nimmt stetig zu. Am anschau- lichsten ist dies an der Steueruhr des Bundes der Steuerzahler e.V. zu erkennen. Die Internetpräsenz macht ebenfalls deutlich: ”Schulden sind die Steuern von morgen.“1 Eine andere Entwicklung wurde erst kürzlich in verschiedenen Formaten thematisiert: der demographische Wandel. Deutschland zählt nach der Geburtenrate zum weltweiten Schlusslicht. Nur im Vatikanstaat werden weniger Kinder geboren,wie es das ZDF zuspitzt.2 Unter dieser Entwicklung betrachtet, ist die Frage begründet, inwieweit die derzeitige Finanzpolitik den anstehenden Problemen gewachsen ist, obschon ein enormer Schuldenberg auf die folgenden Generationen verteilt werden muss.

In dieser Arbeit werden Nachhaltigkeitskonzepte in der Finanzwirtschaft erläutert und versucht, zu ergründen, wann ein Staat - im speziellen Deutschland- nachhaltig wirtschaftet und wie dies mit Indikatoren zu messen ist. Besondere Bedeutung soll in diesem Konzepten der Zeitskala und somit dem demographischen Veränderungen zukommen. Nachdem die Entwicklung der demographisch- und finanziellen Rahmenbedingungen beleuchtet wurde und deren Einbettung in derzeitige Gesetze im nationalen und europäischen Rahmen, wird anhand von politischen Papieren die Relevanz der Lösung der sich abzeichnenden Probleme erarbeitet.

1.2 Definitorische Vorbetrachtungen

Im ersten Schritt sollen allerdings die komplexen Begriffe näher erläutert werden. In der Eingangs angeführten Graphik zum Dreieck der Nachhaltigkeit wurde schon ein Definitionsansatz vorgelegt. In dieser bildhaften Darstellung wird eindeutig auf die Einheit von Ökologie, Ökonomie und Soziales hingewiesen, derer unsere Handlungen unterzuordnen sind, sodass dieses Dreieck nicht gestört wird und auch in Zukunft ein Ausgleich zwischen diesen drei konträren und sich beeinflussenden Faktoren möglich ist. Die Brundtland Kommission hat im Jahr 1987 erstmals den aus dem forstwirtschaftlichem Bereich bekannten Begriff der Nachhaltigkeit3 politisiert und Nachhaltigkeit als Leitbild einer weiteren Entwicklung in Ihrem Endbericht postuliert:4:

”Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“5

Nachhaltigkeit bindet somit verschiedenste Lebensbereiche ein und lässt insofern eine Fokussierung auf Fragen des Staatshaushaltes- im Kontext dieser Arbeit- sinvoller er- scheinen.Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Finan- zen charakterisiert nachhaltige Finanzpolitik so, ”dassdiehaushaltspolitscheHand- lungsfähigkeit dauerhaft gesichert bleibt und die Finanzpolitik ihren Beitrag dazu leistet, die Grundlagen für eine wachsende Wirtschaft zu erhalten.“6

Hier spielt vor allem die Entwicklung der Finanzpolitik und somit Steuern- und Renten- politik eine entscheidende Rolle und somit muss die Entwicklung der Einwohnerzahlen Deutschlands näher betrachtet werden. Diese wird ursprünglich vom Modell des demo- graphischen Übergangs (vgl. Abb. 1) beschrieben und ist im Ersten unbewertet. der demographische Wandel wird in der heutigen Zeit allerdings immer mit Alterung der Gesellschaft und Abnahme der Bevölkerungszahlen gleichgesetzt.7 Ausschlaggebender Inhalt dieses Modells für die hiesigen Belange ist der Übergang von einer hohen Ge- burtenrate (Geburten pro 1000) zu einer niedrigen und dem schon früher eintretenden Abfall der Sterberate (Todesfälle pro 1000).

Fazit dieser Entwicklung ist, dass unter Ausschluss von Einwan- derung das Bevölkerungswachstum auf 0% zurückgeht und die Bevöl- kerung durchschnittlich altert. In der Endphase ist mit einem Be- völkerungsrückgang und einer wei- teren Alterung zu rechnen, welche in der Konsequenz einen erneuten Anstieg der Sterbeziffern bedeu- tet.8

2 Hauptteil

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Modell des demographischen Übergangs (geändert nach: Knox & Marston (2001): S. 145)

Im Jahr 2050 wird jeder Dritte in Deutschland 60 Jahre oder älter sein. Statistisches Bundesamt Deutschland 6.6.2003

Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Bund der Steuerzahler

2.1 Demographische Entwicklung in Deutschland

2.1.1 Entwicklung der Geburtenzahlen und der Lebenserwartung

Die Bevölkerungentswicklung in Deutschland ist allerdings nur bedingt mit dem Modell des demographischen Übergangs erklärbar. Während das Modell am Ende des Betrach- tungszeitraums ein gleichbleibende Einwohnerzahl prognostiziert, finden wir in Deutsch- land einen anderen Realtrend. Seit dem großen Geburteneinbruch in den 70’er Jahren in Folge der sexuellen Revolution und der Einführung der Pille als Verhütungsmittel sind die Geburtenraten rückläufig. Während in den 50’er Jahren des 20. Jahrhunderts eine

Frau noch 2,23 Kinder bekam, sank dieser Wert schon Mitte der 70’er Jahren unterhalb der Erhaltungsrate von 2,1 Kinder.9 Derzeit bekommt eine Frau durchschnittlich ca. 1,34 Kinder.10 Diese Entwicklung entspricht einem Rückgang von 16,1 auf 8,6 Kinder auf 1000 Einwohner. Dies ist nicht mehr bestandserhaltend und sorgt somit für einen Rückgang der Bevölkerung.

Derweil gibt es auch am anderen Ende der Alterspyramide Entwicklungen, die beach- tenswert sind. Durch die Fortschritte in der medizinischen Betreuung und Vorsorge steigt die Lebenserwartung langsam aber stetig. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg nach dem 2. Weltkrieg an und erreicht heute 75,6/81,3 Jahre (m/w) gegenüber 64,6/68,5 Jahre (m/w) im Jahr 1950! Die Prognosen für die Entwicklung der Lebenserwartung va- riieren, gehen aber von einem Wert von ca. 81/86 Jahre (m/w) bei durchschnittlichen Entwicklungsannahmen aus. Die Konsequenz besteht darin, dass es seit 1972 einen St- erbeüberschuss in Deutschland gibt, welcher sich vergrößern wird.11 Das bedingt einen Bevölkerungsrückgang (vgl. Abb. 2) der in den verschiedenen Prognosen 2-15 Millionen Menschen in Deutschland beträgt. In Variante (1) ist die Einwohnerzahl wieder unter den Wert von 1950 angekommen.12

2.1.2 Und hinter den Kennzahlen?

Die Entwicklung zu niedrigen Geburten und einer höheren Lebenserwartung steigert vehement das Verhältnis von Alten zu Jungen. Während in den 50’er Jahren der Altersquotient noch ca. 0,26 betrug stieg dieser auf einen Wert von 0,45 an und wird sich den Prognosen zufolge auf ca. 0,75 im Jahr 2050 erhöhen.13 Explizit bedeutet dies, dass seit den Wirtschaftswunderjahren immer weniger Erwerbstätige die Renten im Rahmen des Umlageverfahrens der Rentenversicherung finanzieren.14

Gleichzeitig wächst nicht nur das Verhältnis, sondern natürlich auch der absolute Um- fang von Leistungen die der Sozialstaat bereithält. Dazu gehören in erster Linie die Renten. In zweiter Instanz sind die Leistungen der Krankenkassen und andere Sozi- alleistungen zu sehen.15 Die Rentenleistungen sind von 12,9% (1964) auf über 30,7% (2004) des Bundeshaushaltes gestiegen.16 Gleichzeitig muss beachtet werden, dass in den Jahren der Erwerbstätigkeit der heutigen Rentner die wirtschaftlichen Rahmenbe- dingungen wie Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum wesentlich günstiger waren, sodass die Lebensarbeitszeit höher war, also verhältnismäßig mehr verdient wurde. Die resultierenden hohen Rentenleistungen sollten von der heutigen Wirtschaftskraft gedeckt werden und müssen somit von weniger Arbeitnehemern in schlechteren wirtschaftlichen Verhältnissen erarbeitet werden.17

Ebenfalls wurde in den Daten die Auswirkungen der Zuwanderung nicht bedacht. Zwar

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Entwicklung der Bevölkerungszahl in Deutschland (geändert nach: Statistisches Bundesamt Deutschland (2003): S. 26)

ist das Wanderungssaldo seit 1970 mit durchschnittlich 200.000 Personen positiv, die

Auswirkungen fallen aber kaum ins Gewicht. Zum einen erhöhen 200.000 Einwanderer die Geburtenzahl der Frauen nur um den Wert 0,1 Zum anderen sind die Belastungen des Sozialsystems durch falsche Integrationspolitik und der soziale Werdegang dieser Einwanderer sowie derer Folgegenerationen zu beachten.18 Der weitere Einfluss von Einwandererfamilien und deren Fertilität ist noch nicht geklärt. Man geht von folgendem Wirkungsgefüge aus: Einwanderung ⇒ mangelnde Integration ⇒ schlechtere Schulausbildung ⇒ mindere Positionierung auf dem Arbeitsmarkt ⇒ gesteigerte Fertilität. Dies wird allerdings von Neyer (2005) relativiert.19

Die Quintessenz (vgl. Abb. 2) soll aber hervorgehoben werden: Die Gesellschaft altert weiterhin, das Verhältnis von Rentenbezieher zu arbeitender Bevölkerung vergrößert sich und es ist in allen Szenarien mit einer abnehmenden Bevölkerung zu rechnen.

2.2 Schuldenentwicklung und Nachhaltigkeitskonzepte

2.2.1 Schuldenstandsentwicklung und Finanzen

Während die Gesellschaft al- so altert, muss sich der Staat auf eine Erhöhung der Leistungen im Sozialsystem vorbereiten, wenn dieses konzeptionell so bestehen bleiben. Es stellt sich also die Fra- ge welchen Status Quo die Staats- kasse z. Z. aufweist.

Es sollen zwei Abbildungen die Langzeitentwicklung der Schul- Abbildung 3: Staatsverschuldung 1970-2004 denpolitik verdeutlichen. Abbil- (Dornbusch (2005): S.11) dung 3 zeigt die Schuldenstand- sentwicklung seit den 70’er Jahren, während Abbildung 4 die Nettoneuverschuldung der einzelnen Gebietseinheiten wiedergibt.

Während in der Zeit vor 1970 nur minimale Schulden aufgenommen wurden, konnte mit der Neuregelung des Paragraphen 115 im Zuge der Grundgesetzänderung von 196820 die Verschuldung politisch einfacher gehandhabt werden. In den 70’er Jahren stieg dann die Neuverschuldung und die Gesamtverschuldung der Gebietskörperschaften stetig an.21

Dies ist mit zwei Argumen- ten zu erklären. Zum einen wur- den vor allem Schulden generiert um interne Wachstumsimpulse zu setzen. Diese Verschuldung ist vor allen konjunkturell, also im Sin- ne Keynes für die Stärkung der Inlandsnachfrage in Zeiten der Re- zession gedacht. Keynes Theori- en besagen allerdings auch, dass der Staat in wirtschaftlich besse-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Nettokreditaufnahme Bund, Länder, Ge- meinden (Dornbusch (2005): S.13)

ren Zeiten die Ausgaben drosseln muss und die Verschuldung abbauen sollte.22 Diesem Anspruch wurde nicht nachgekommen.

Die Diskordanz der Ausgaben und Einnahmen wird unter dem Begriff des strukturellen Defizits zusammengefasst. Dieser Zustand ist vor allem in den Jahren nach der Wende eingetreten, da die Altlasten der DDR- Misswirtschaft ausgeglichen wurden und werden. Das Hauptproblem an der strukturellen Verschuldung ist darin zu sehen, dass sie durch wirtschaftliches Wachstum nicht aufgehoben und behoben werden kann. Sie würde eine Neustrukturierung des staatlichen Konsumverhaltens und somit der Ausgabenstruktur erzwingen. Der Schuldenberg hat sich von 475 Mrd. Euro (1989) in diesen 15 Jahren auf 1,430 Mrd. Euro verdreifacht.23

Aber nicht nur der Bund ist hier in die Verantwortung zu ziehen. Wie in Abb. 4 deutlich zu erkennen ist wächst auch die Nettokreditaufnahme der Länder.Rosenschon (2003) hat gezeigt, dass fast alle Bundesländer eine Nachhaltigkeitslücke besitzen und diese liegt im Durchschnitt bei 0,77% des BIP. Das bedeutet dass die Länder de facto 0,77% mehr Primärüberschüsse erwirtschaften müssten, um ihre Schulden abzubauen.

[...]


1 vgl. hierzu: Bund der Steuerzahler (2006)

2 Zdf: Frontal 21: 21.03.2006, 21:45; vgl. hierzu Cia, (2005): Birth Rate

3 Carlowitz (1713): S. 106

4 Zwar wurde nachhaltiges Wirtschaften schon im Bericht ”DieGrenzendesWachstums“vomClub of Rome thematisiert, es wurde allerdings erst durch die Brundtland Kommission politisch unter der UN institutionalisiert

5 United Nations (1987): S. 24f

6 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2001): S. 1

7 vgl. Förderland (2006)

8 näher erläutert in: Knox & Marston (2001): S. 136-149, Esche (2006)

9 Es wurden Mittelwerte zwischen Ost- und Westdeutschland gebildet. Es ist zu bedenken, dass die Geburtenzahlen in Ostdeutschland aus politischen Gründen höher gehalten werden konnten.

10 Statistisches Bundesamt Deutschland (2003)

11 Statistische Daten: Statistisches Bundesamt Deutschland (2006)

12 Statistisches Bundesamt Deutschland (2003): S. 26

13 Der Altersquotient gibt das Verhältnis von Personen im Rentenalter (älter als 60 Jahre) zu Personen im Erwerbsalter (20-60 Jahre) an. Vgl. ebd.: S.31

14 vgl. Hebeler (2001): S. 30f sowie Berhorst (1998)

15 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2001): S. 1

16 Bundesministerium der Finanzen (2005): S. 48

17 Hebeler (2001): S. 33ff

18 Lutz & Scherbov (2004)

19 Es besteht zwar weiterhin ein linearer Zusammenhang zwischen Abschlußgrad und dem Anteil kinderloser Frauen, aber die Streuung de Ergebnisse ist erheblich. vgl. Neyer (2005)

20 Bundeszentrale für politische Bildung (2006)

21 vgl. Weizsäcker (2004): S. 1

22 zu den Theorien von Keynes: Faltlhauser (2002): S.29ff

23 Dornbusch (2005): S.11-22

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Zur Bedeutung des demographischen Wandels in Nachhaltigkeitskonzepten: Zwischen finanzwissenschaftlichem Anspruch und politischer Praxisrelevanz
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto Suhr Institut)
Veranstaltung
Finanrpolitik und Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland
Note
2,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
26
Katalognummer
V57078
ISBN (eBook)
9783638516143
ISBN (Buch)
9783638665094
Dateigröße
1598 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bedeutung, Wandels, Nachhaltigkeitskonzepten, Zwischen, Anspruch, Praxisrelevanz, Finanrpolitik, Föderalismus, Bundesrepublik, Deutschland
Arbeit zitieren
Riccardo Klinger (Autor:in), 2006, Zur Bedeutung des demographischen Wandels in Nachhaltigkeitskonzepten: Zwischen finanzwissenschaftlichem Anspruch und politischer Praxisrelevanz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57078

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